Wortprotokoll Kult 15 / 17 15. Wahlperiode Plenar- und Ausschussdienst Wortprotokoll Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten 17. Sitzung 27. Januar 2003 Beginn: Ende: Vorsitz: 10.07 Uhr 12.30 Uhr Frau Abg. Ströver (Grüne) Vor Eintritt in die Tagesordnung Siehe Beschlussprotokoll. Punkt 1 der Tagesordnung Aktuelle Viertelstunde Siehe Inhaltsprotokoll. Frau Vors. Ströver: Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Paul von Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste Berlins streichen - Drs 15/923 - 0090 Die Fraktionen haben dazu eine Anhörung vereinbart, und ich freue mich sehr, dass Herr Professor Dr. Heinrich Winkler so kurzfristig zu unserer Anhörung gekommen ist. Er ist der Einzige, den wir eingeladen haben, weil wir ihn als Sachverständigen hier hören wollen. – Ich freue mich sehr, dass Sie da sind. – Ich gehe davon aus, dass ein Wortprotokoll erstellt wird. Ich höre keinen Widerspruch. Ich würde gern zu Beginn die Begründung für unsere Fraktion zu diesem Antrag geben. Es geht überhaupt nicht darum – um gleich einmal auf den Änderungsantrag der Fraktion der FDP, der uns schon vorliegt, einzugehen –, jetzt zu sagen: Die Ehrenbürgerfrage muss generell überprüft werden. – Es ist immer so, dass Ehrenbürgerschaften im Kontext der konkreten gesellschaftlichen und politischen Situation ausgesprochen werden und auch zu beurteilen sind. Es ist auch gar nicht der Fall, dass man unbedingt im Redakteur: Th. Böhm-Christl, Tel. 23 25 1460 bzw. quer (99407) 1460 Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 2 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – Nachhinein besserwisserisch Dinge zurücknehmen oder kommentieren muss, obwohl wir diesbezüglich eine Menge Erfahrungen haben. Selbstverständlich – würde ich heute sagen – hat man Frick, Hitler, Göring und Goebbels aus der Berliner Ehrenbürgerliste gestrichen, aber auch Bersarin hat man nicht in die gemeinsame Ehrenbürgerliste aufgenommen. Hier muss man, abgesehen von der Frage der allgemeinen Kriterien, immer die Entscheidung im Einzelfall fällen. Ich weiß nicht – ich maße es mir auch nicht an, vielleicht kann uns Herr Prof. Winkler dazu etwas sagen –, ob die Katastrophe aufzuhalten gewesen wäre. Was wir aber wissen, ist, dass Hindenburg selbst ein aktiver Unterstützer geworden ist und aus meiner Sicht – ich hoffe, darüber gibt es keinen Dissens – zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft seinen Teil, und zwar aktiv, beigetragen hat. Wenn wir heute, kurz vor dem 70. Jahrestag der Ernennung Hindenburgs zum Ehrenbürger, diese Frage reflektieren, sollten wir das auch unter dem Blick tun: Was hat diese Person für Berlin geleistet? An die Fraktion der FDP oder auch an alle Kollegen: Es gibt ziemlich eindeutige Kriterien, nach denen jemandem die Ehrenbürgerwürde ausgesprochen wird, nämlich sich besonders für das Wohlergehen einer Stadt eingesetzt zu haben. Wenn man sich diese Liste – ich empfehle Ihnen allen das Buch „Die Ehrenbürger von Berlin“ – der Personen durchsieht, dann kann man – jedenfalls ist es mir so ergangen – bei vielen Personen und ihrer Bedeutung für die Weltgeschichte oder ihrer politische Ausrichtung verschiedene Fragen haben, aber Sie werden niemanden finden, der nicht einen sehr konkreten Bezug zu Berlin als Stadt hat. Das ist die zentrale Voraussetzung für die Erteilung einer Ehrenbürgerwürde. Im Fall von Hindenburg ist es aber ein ganz anderer Vorgang. Hindenburg ist im Februar 1933, unmittelbar nachdem er Hitler die Machtübernahme angetragen hat, mit Adolf Hitler zusammen nicht nur in Berlin, sondern zeitgleich in mehr als 4 000 Gemeinden und Orten zum Ehrenbürger zu ernennen gebeten worden, und zwar auf Antrag der NSDAP. Es war also keine individuelle Vergabe einer Ehrenbürgerschaft für Berlin und in Berlin, sondern es war der politische Dank für die Willfährigkeit gegenüber den Nationalsozialisten. Insofern ist aus meiner Sicht ganz formal das Kriterium der Ehrenbürgerschaft als singuläre Tätigkeit für eine Stadt nicht gegeben. Es gibt eine Reihe von Städten in Deutschland, die diese Doppelehrenbürgerschaft für Hitler und Hindenburg, die immer gleichzeitig erteilt worden ist, in den Jahren nach dem Krieg Hitler einzeln aberkannt haben – wie Berlin –, es gibt aber auch Städte, die selbiges verabsäumt haben. Das ist auch sehr interessant. Ich will zwei Beispiele nennen, die Städte Bitterfeld und Wuppertal: In beiden Städten ist es nach der Wiedervereinigung, nach 1990, gelungen, beide Ehrenbürgerschaften aus der Ehrenbürgerliste zu streichen, weil man im Rückblick noch einmal den Kontext und die Verbindung mit der damaligen Erteilung der Ehrenbürgerwürde thematisiert hat. Über die historische Einbindung der Person Hindenburg und den Bezug zu Berlin werden wir heute reden. Ich hoffe sehr, dass es jedem einzelnen Abgeordneten und jeder einzelnen Abgeordneten gelingt, eine individuelle Entscheidung in dieser Frage zu fällen. Sie ist nicht einfach. Es ist auch nicht selbstgerecht. Wir müssen sehr intensiv darüber nachdenken. Als letzte Anmerkung noch: Sie alle haben als Fraktionen das Ansinnen aus dem Petitionsausschuss erhalten, sich mit dieser Frage zu befassen. Der Antrag unserer Fraktion geht auf diese Petition von Bürgern zurück, die das Abgeordnetenhaus gebeten haben, Hindenburg die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Der Petitionsausschuss hat seinerseits diese Entscheidung nicht zu fällen vermocht und es an die Fraktionen zur politischen Beratung weitergegeben. Unsere Fraktion hat sich diesen Antrag von Bürgern unserer Stadt zu eigen gemacht und stellt ihn hiermit zur allgemeinen Diskussion. Ich würde mich freuen, wenn die Mehrheit dieses Ausschusses und später auch des Abgeordnetenhauses dem Antrag folgen könnte. So weit zu unserer Begründung. – Ich bitte jetzt Herrn Prof. Winkler um seine Stellungnahme zur Einordnung der Person Hindenburg. – Bitte schön! Prof. Dr. Winkler: Schönen Dank! – Der Antrag der Fraktion der Grünen bezieht sich vor allem auf Handlungen des damaligen Reichspräsidenten nach der Ernennung Adolf Hitlers, aber es gibt gute Gründe, zunächst einmal noch hinter diese Zäsur zurückzugehen. Am 10. April 1932 wurde Hindenburg im zweiten Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 3 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – Wahlgang der zweiten Reichspräsidentenwahlen wiedergewählt. Er wurde u. a. deswegen gewählt, weil die Sozialdemokraten die Parole ausgegeben hatten: Schlagt Hitler, darum wählt Hindenburg! – Hindenburg wurde gewählt von den Weimarer Parteien, den Sozialdemokraten, dem Zentrum, den bürgerlichen Demokraten und der gemäßigten Rechten, und er war damals der einzige Kandidat, der diese Parteien hinter sich bringen konnte, um Hitler auf Platz 2 zu verweisen. Wäre er damals nicht wiedergewählt worden, dann wäre das Dritte Reich am 10. April 1932 proklamiert worden. Aber mit diesem Ergebnis war Hindenburg selbst sehr unzufrieden. Nicht die Rechte hatte ihn vorrangig gewählt, sondern die von ihm nicht geliebten Katholiken und Sozialdemokraten. Deswegen hatte er ein sehr offenes Ohr für diejenigen, die ihm rieten, sich von dem damaligen, von den Sozialdemokraten tolerierten, Reichskanzler Brüning zu trennen und eine weiter rechts stehende Reichsregierung einzusetzen, um so auch evtl. die Unterstützung der Nationalsozialisten zu bekommen. Am 30. Mai 1932 wurde Brüning entlassen, am 1. Juni 1932 der hochkonservative Franz von Papen zu seinem Nachfolger ernannt. Unmittelbar darauf folgte die Auflösung des im September 1930 gewählten Reichstages und die Ausschreibung von Neuwahlen zum 31. Juli 1932. Dies ist der entscheidende Wendepunkt in der deutschen Staatskrise, und Hindenburg und der Kreis um ihn tragen die volle Verantwortung dafür, dass die Krise sich damals so zuspitzte, dass eine verfassungskonforme Krisenbewältigung kaum noch möglich war. Man muss sich einmal vorstellen, der im September 1930 gewählte Reichstag hätte seine Legislaturperiode voll ausschöpfen können. Neuwahlen im September 1934 wären in eine Zeit gefallen, in der sich die wirtschaftliche Lage nach allen Konjunkturanalysen gebessert hätte. Es war vorauszusehen, dass die Arbeitslosenzahlen dann niedriger gewesen wären und der Zulauf zu den radikalen Parteien sehr viel geringer. Neuwahlen im Sommer 1932 auf dem Tiefpunkt der Depression, auf dem Höhepunkt der Massenarbeitslosigkeit, das musste bedeuten: ein Reichstag mit einer gewaltig vermehrten Mandatszahl der Nationalsozialisten, wenn nicht gar der Gefahr, dass dieser Reichstag überhaupt nicht mehr aktionsfähig gewesen wäre – und so kam es. Das Ergebnis der Wahl vom 31. Juli 1932 – und dafür trägt Hindenburg die Verantwortung – war ein Reichstag, in dem Nationalsozialisten und Kommunisten, die aus ganz unterschiedlichen Gründen die Republik von Weimar ablehnten, die Mehrheit hatten, eine negative Mehrheit, aber keine, die eine Regierung stellen konnte. Das war der Zustand, der damals von Juristen als „Verfassungslähmung“ und „Verfassungsnotstand“ bezeichnet worden ist. Infolgedessen kamen Planungen zur Debatte – zunächst zwischen Mitgliedern der Reichsregierung und dem Reichspräsidenten –, den Reichstag abermals aufzulösen und Neuwahlen erst nach Ablauf der verfassungsmäßigen Frist von 60 Tagen abzuhalten, d. h. die Verfassung insoweit zu brechen. Dieser Plan wurde nicht realisiert aus Angst vor bürgerkriegsähnlichen Unruhen. Es kam zur Reichstagsauflösung und zu Neuwahlen innerhalb der verfassungsmäßigen Frist am 6. November 1932, und da schien es plötzlich, als sei Hitler am Ende, denn die Nationalsozialisten verloren gegenüber der Juliwahl über 2 Millionen Stimmen, und alle Welt in Deutschland und auch im Ausland vermutete, jetzt sei Hitler geschlagen. Aber nun erwies sich, dass das Zusammentreffen von nationalsozialistischen Verlusten und kommunistischen Stimmengewinnen Hitlers letzte Chance war, doch noch an die Macht zu kommen. Es waren Kreise des ostelbischen Rittergutsbesitzes, es war ein Teil, der rechte Flügel, der Schwerindustrie, der darauf drängte, Hitler zusammen mit dem hochkonservativen Reichskanzler Franz von Papen in einem sog. Duumvirat vereint an die Macht zu bringen und gleichzeitig zu bändigen, durch eine konservative Ministermehrheit einzurahmen. Am 3. Dezember 1932 wurde von Papen durch General von Schleicher abgelöst. Die Frage stellt sich, ob danach, im Januar 1933, noch an Hitler vorbeizukommen war, denn auch Schleicher verfügte wie sein Vorgänger von Papen nicht über eine Mehrheit im Reichstag. Darüber gibt es eine lange wissenschaftliche Diskussion, aber das Ergebnis ist relativ eindeutig: Es gab Praktiker und es gab prominente Juristen, die damals dazu rieten, ein Misstrauensvotum des Reichstages, das rein negativer Natur war, zu ignorieren – ein destruktives Misstrauensvotum, das zwar eine Bekundung der Ablehnung des Reichstags gegenüber dem amtierenden Kanzler enthielt, aber keinerlei Vorstellungen von einer Alternative erkennen ließ. Hätte Hindenburg diesen Vorschlag aufgegriffen, hätte auch der letzte Reichskanzler von Schleicher dies getan, es wäre vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig schwerlich zu einer Verurteilung wegen Verfassungsbruchs Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 4 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – gekommen, denn natürlich konnte ein gestürzter Reichskanzler auch geschäftsführend im Amt gehalten werden. Es gab keine Frist für die Zeit der Geschäftsführung. Auf Landesebene war dies längst praktiziert worden. D. h. auch ohne offenkundigen Bruch der Verfassung hätte im Januar 1933 die amtierende Regierung im Amt gehalten werden können. Hindenburg hätte auch die Möglichkeit gehabt, einen nicht polarisierenden Nachfolger eines evtl. bereits gestürzten Kanzlers von Schleicher zu ernennen. Er hat all dies nicht gemacht, sondern er hat sich im Januar 1933 von seiner im Jahr zuvor immer wieder zu Protokoll gegebenen Überzeugung abbringen lassen, dass er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, Hitler zum Kanzler zu ernennen. Er hat dies nach einer Unterredung mit Hitler am 13. August 1932 getan, und ich bin gern bereit, das nachher kurz zu zitieren, weil es zeigt, was Hitler in den Augen Hindenburgs war, nämlich eine Gefahr für Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung. Diese Stellungnahme hat Hindenburg noch einmal Ende November 1932 durch seinen Staatssekretär Otto Meißner Hitler übermitteln lassen. Ich bin bereit, das auch nachher kurz zu zitieren, weil es sehr eindrucksvoll deutlich macht: Hindenburg wusste, warum er Hitler ablehnte. Im Januar 1933 ließ er sich von seinem engsten Beraterkreis davon überzeugen, dass er seinen Widerstand gegen Hitler aufzugeben habe, dass ein konservativ eingerahmter Hitler keine Gefahr bedeute. Der Reichslandbund drängte in diese Richtung, der Osthilfe-Skandal – die Veruntreuung öffentlicher Mittel zugunsten hochverschuldeter Rittergüter – spielte dabei eine große Rolle, auch die Rolle, die Hindenburg selbst dabei gespielt hatte. Dies alles trug mit dazu bei, dass Hindenburg dem Kanzler von Schleicher zunehmend sein Vertrauen entzog und sich am Ende davon überzeugen ließ, dass Hitler an der Spitze eines überwiegend konservativen Kabinetts keine Gefahr bedeute, vielleicht sogar eine Vorkehrung gegen die Gefahr des Bürgerkriegs sei. Man muss festhalten: Hindenburg wusste, was er tat, sonst wären seine Erklärungen gegen Hitler aus dem Jahr 1932 völlig belanglos. Im Januar 1933 schwieg das Gewissen des greisen Reichspräsidenten; er war im Oktober 1932 gerade 85 Jahre alt geworden. Der Einfluss seiner Berater war stärker als seine frühere Einsicht, dass Hitler eine Parteidiktatur bedeuten würde. Hindenburgs Verantwortung für die deutsche Katastrophe endet aber nicht mit dem 30. Januar 1933. Der Antrag der Fraktion der Grünen enthält einige Hinweise auf weitere Verfassungsverstöße. Dazu gehört die Reichtstagsbrand-Verordnung vom 28. Februar 1933 mit der Aufhebung der wichtigsten Grundrechte und natürlich die Unterschrift unter das Ermächtigungsgesetz. Es gehört vor allem aber auch seine Unterschrift unter das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 dazu. Dieses Gesetz erlaubte die Versetzung missliebiger und nichtarischer Beamter in den Ruhestand. Hindenburg setzte zwar Ausnahmeregelungen durch für jüdische Frontkämpfer, Väter und Söhne von Kriegsgefallenen sowie für solche Beamte, die schon vor dem 1. August 1914 Beamte gewesen waren, aber ohne die Unterschrift des Reichspräsidenten wäre dieses rechtsstaatswidrige, rassistische Diskriminierungsgesetz nicht in Kraft getreten. Auch hier gilt: Hindenburg trägt die volle politische Verantwortung für das, was er tat. Der Hinweis auf sein hohes Alter kann ihn nicht wirklich entlasten. Hindenburg und der Kreis um ihn waren das wirkliche Machtzentrum der späten Weimarer Republik. Das Wunschdenken, von dem er und seine sog. Kamarilla sich leiten ließen, als die Entscheidung für die Kanzlerschaft Hitlers fiel, ist kein mildernder Umstand. Hindenburg trug 1932/33 entscheidend zum Weg in die Katastrophe bei. Ich sehe keinen Grund, der es rechtfertigen würde, ihn in der Liste der Ehrenbürger Berlins zu belassen. Frau Vors. Ströver: Vielen Dank, Herr Prof. Winkler! – Jetzt kommen wir zur Aussprache. Als Erster hat Herr Brauer das Wort. – Bitte! Abg. Brauer (PDS): Vielen Dank, Frau Vorsitzende! Vielen Dank, Herr Prof. Winkler! – Ich verkneife mir jetzt die Versuchung, bereits getane Statements zu wiederholen. Es ist eine Anhörung, ich möchte mich auf Fragen beschränken, allerdings auf Fragen – das möchte ich vorausschicken –, die sich aus der Plenardebatte vom 14. November über mehrere Fraktionen ergeben haben. Der Präsident dieses Hauses, Herr Momper, hat einen Grundkonsens formuliert, ich darf ihn zitieren: Mörder und Menschenschinder oder Leute, die auf diese Liste nicht gehören, weil die besondere Leistung nicht ersichtlich sei, sollten wir darauf nicht dulden. Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 5 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – Das ist ein Grundkonsens, denke ich, dem niemand widersprechen wird. Erste Frage: Worin bestünde aus Ihrer Sicht die besondere Leistung Paul von Hindenburgs, die eine Ehrenbürgerschaft Berlins legitimieren würde? Es schließt sich die zweite Frage an: Kann die Popularität – ob tatsächlich oder propagandistisch konstruiert, sei völlig dahingestellt – während des Ersten Weltkriegs als „Verteidiger Ostpreußens“ als ein solcher Maßstab gelten? Drittens: Sie griffen selbst in Ihren Darstellungen der Geschichte der Weimarer Republik hinter den 30. Januar 1933 zurück. Ich möchte noch ein Stückchen weiter zurückgehen: Hat Hindenburg 1918/19 dem Land den Bürgerkrieg erspart? Wie groß ist sein Anteil an der Entstehung der Dolchstoß-Legende zu bewerten, und welche Rolle spielte diese für das Schicksal der Weimarer Demokratie? Nächste Frage: Ist es belegbar, dass 1925 – die Reichspräsidentenwahlen 1932 hatten Vorläufer – die Kandidatur Thälmanns den Sieg Otto Brauns bzw. im zweiten Wahlgang den Sieg des ehemaligen Reichskanzlers Marx verhindert hat? Wie hoch schätzen Sie überhaupt den Masseneinfluss der Kommunistischen Partei Deutschlands in der Mitte der 20er Jahre ein? – [Zuruf des Abg. Kittelmann (CDU)] – Das hat sehr viel mit Hindenburg zu tun, da in der Debatte immer wieder die Behauptung konstruiert wird: Dank Hindenburg wurde eine Sowjetisierung, Stalinisierung – wie auch immer – Deutschlands verhindert. Nächste Frage: Wann unterschrieb Hindenburg die erste Notverordnung? Während seiner ersten Reichspräsidentenschaft oder erst in der zweiten? Dann warfen Sie das Problem auf – hier zitiere ich wortwörtlich eine Frage, die auch in unseren Debatten fiel –: Was wäre 1932 eigentlich gewesen, wenn Hitler die Wahl gewonnen hätte? – Anders gefragt – ich weiß, dass solche „Was wäre, wenn?“-Fragen äußerst problematisch sind –: Wäre ein qualitativer Unterschied in der NS-Politik zu verzeichnen gewesen? Nächste Frage: Wurde durch die Ernennung Hitlers 1933 tatsächlich der Bürgerkrieg in Deutschland verhindert, oder spielte er sich nicht auf anderen Ebenen ab, auch an anderen Orten als auf der Straße? Dann komme ich fast zum Schluss: Was verstand man 1933/34 unter „nationaler Wiedergeburt“? – Der Text stammt aus der Ehrenbürgerverleihungsurkunde. Eine Rückfrage: Sie spielten darauf an, dass der Reichspräsident Paul von Hindenburg auch nach dem 30. Januar 1933 einen gewissen Einfluss auf reale politische Entscheidungen hatte. Ist der Kriegsteilnehmerpassus im Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ursächlich auf ihn zurückzuführen, oder war es eine vorwegnehmende Verbeugung des Reichskanzlers vor dem Reichspräsidenten? Allerletzte Frage: Welche Bedeutung hatte die Tatsache, dass der Reichspräsident dem NS-Regime quasi die höheren Weihen verliehen hatte – ich erinnere an den Tag von Potsdam –, für die Stabilisierung des Regimes? – Vielen Dank! Frau Vors. Ströver: Es ist schon eine Menge Fragen, aber vielleicht können wir sie bündeln, wenn wir jetzt die Runde durch die Fraktionen machen. – Herr Apelt, bitte! Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 6 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – Abg. Apelt (CDU): Frau Vorsitzende! – Die Schwierigkeit, vor der wir von Anfang an standen, ist: Unter welchen Gesichtspunkten sollten historische Persönlichkeiten bewertet werden? – Die Frage der Kriterien ist hier schon einmal benannt worden. Das ist das Eine. Das Zweite ist: Sollten wir – das ist ein bisschen die Gefahr der Diskussion – historische Persönlichkeiten herauslösen aus einer Sichtweise, wie sie sich möglicherweise heute für uns ergibt und möglicherweise vor 20 Jahren anders ergeben hätte? – Auch die Historiker sind in ihrer Einschätzung dessen, was sie über die Geschichte sagen, nicht gleich bleibend. Das wird Herr Prof. Winkler sicherlich bestätigen. Möglicherweise denkt man über einzelne Persönlichkeiten und einzelne Geschichtsabschnitte in 20 Jahren wieder anders als heute, weil wir Quellenforschung betreiben und Dinge jetzt anders würdigen als vielleicht vor 20, 30 Jahren. Die Frage ist: Unter welchen Gesichtspunkten wollen wir uns zu einer Entscheidung durchringen, die heißt: Wir wollen Ehrenbürger haben, wir wollen sie nicht haben? – Aus welchem Blickwinkel heraus wollen wir zu einem Urteil kommen und Kriterien aufstellen? – Ich sage das deshalb, weil Hindenburg nicht der Einzige auf der Ehrenbürgerliste ist, der umstritten ist. Jeder, der die Liste kennt, weiß, dass das anfängt mit Zar Nikolaus I., Manteuffel, bis zu dem Wunsch von Ihnen, Bersarin wieder aufzunehmen. Es gibt sehr viele umstrittene historische Persönlichkeiten, wo man sagen muss: Haben sie überhaupt etwas auf unserer Liste zu suchen? Müsste man sie herunternehmen? – Von Blücher habe ich mir noch angekreuzt, von Bismarck, von Moltke, von Wrangel. Es gibt auch noch eine Reihe von Kommunisten. Man müsste theoretisch über jeden einmal eine Diskussion führen, auch aus dem Licht heraus: Wie bewerten wir heute die Taten von Nikolaus I.? – Wenn wir schon anfangen, ist es dann nicht eher sinnvoll, keinen Krieg an bestimmten kleinen Stellen zu führen, sondern eine Gesamtschau zu machen und als Parlament eine Kommission einzusetzen, die sagt: Wir gehen noch einmal all die Leute durch? – Denn ich weiß, 1990 mit der Vereinigung der Stadt Berlin hat man sich die Liste auch vorgenommen und selektiert. Die Frage, die müsste ich auch an Prof. Winkler stellen – ich weiß gar nicht, ob er sich daran erinnern kann, vielleicht war er sogar dabei, weiß ich nicht –: Warum ist Hindenburg damals, als man sowieso aussortiert hat, nicht herausgenommen worden, sondern darin geblieben? Was waren die Gründe dafür? – [Zurufe] – Worüber wir auf jeden Fall noch reden sollten, ist die Bewertung dessen, was Hindenburg wirklich machen konnte, wo er Freiräume hatte. Sie haben das Ermächtigungsgesetz genannt, das er unterschrieben hat. Hatte er überhaupt Freiräume, es nicht zu unterschreiben, nachdem der Reichstag mit einer überwältigenden Mehrheit – gegen die Stimmen der SPD, glaube ich, das waren die Einzigen – dem zugestimmt hatte? Hat er nur noch pro forma unterschreiben müssen? Welche Freiheit hätte er gehabt, sich dagegen zu stellen? Die viel entscheidendere Frage ist: Was hat er dazu beigetragen, dass Hitler an die Macht kam? – auch im Licht der damaligen Verhältnisse, insbesondere wenn man bedenkt, dass es nicht wenige – auch Historiker – gibt, die sagen, er hatte wenig Wahlmöglichkeiten, er hatte nur die Wahl zwischen einem Bürgerkrieg oder einer neuen Koalitionsregierung unter Hitler, also NSDAP und DVP. Heute sind wir alle viel schlauer, und viele Leute, die damals ganz schnell sicherlich Hitler ihre Stimme gegeben hätten, sind auch heute viel schlauer und hätten es ganz anders bewertet als damals. Kann man in der richtigen Einschätzung Hindenburgs nicht auch sagen, dass die Tragik Hindenburgs darin lag – Sie haben die Reichspräsidentenwahl erwähnt –, als Monarchist eine republikanische Verfassung aufrechtzuerhalten, gegen die er früher immer war? – In dieser Tragik, dass ausgerechnet jemand, der nichts damit anfangen konnte, die Weimarer Republik aufrechterhalten sollte, hat er dennoch lange Zeit die Weimarer Verfassung verteidigt. Wir wissen, dass das spätestens mit den Präsidialregierungen deutlich schwieriger wurde, dass die Verfassung ständig von allen Seiten gebrochen worden ist, aber er war es letztendlich, der insbesondere nach 1925, nach seiner ersten Wahl, bis 1929 der Weimarer Republik wahrscheinlich die stabilste Zeit beschert hat. Ausgelöst von Weltwirtschaftskrise und der Polarisierung von Rechts und Links ist er unter einen Druck geraten, dem er nachher nicht mehr standhielt bzw. wo er die Dinge nicht mehr so einschätzte, wie er sie hätte einschätzen müssen. Das zeigt vielleicht, wie schwierig es ist, Persönlichkeiten mit dem Blick von 70 Jahren später zu beurteilen. Frau Vors. Ströver: Danke schön! – Herr Cramer, bitte! Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 7 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – Abg. Cramer (Grüne): Zunächst einmal möchte ich zu dem FDP-Antrag sagen: Er ist überflüssig. Wir können jede Persönlichkeit, die auf der Ehrenbürgerliste steht, wieder untersuchen, aber entscheidend ist doch, dass man sich die Liste nach Phasen der Diktatur in Deutschland anschaut. Das ist passiert: Als 1989 die DDR zusammenbrach und man eine gemeinsame Liste machen wollte, wurde jeder der 25 Ehrenbürger, der auf der Liste der Stadtverordnetenversammlung war, überprüft, und dann wurden bestimmte Leute übernommen und ein großer Teil nicht. Bersarin wurde nicht übernommen, Zille wurde übernommen, der auf der anderen Liste nicht stand. Das ist genau untersucht worden. Dieselbe Untersuchung hat man auch nach 1945 gemacht. Als die Nazidiktatur zusammenbrach, sind all diejenigen überprüft worden, die während der Nazizeit, in diesen 12 Jahren, auf die Berliner Ehrenbürgerliste kamen. Der Einzige, der blieb, war Paul Lincke – er ist 1941 ernannt worden –, und Hindenburg blieb auch. Göring, Hitler, Goebbels wurden gestrichen. Jetzt muss man sich fragen, warum in dem damaligen Feld – 1948 – Hindenburg blieb. Das ist die entscheidende Frage, denn Hindenburg war auf der westlichen Liste. Auf der östlichen stand er nicht, deshalb wurde er 1990 nicht überprüft, weil nur die 25, die auf der Liste der Stadtverordnetenversammlung standen, überprüft wurden. Frau Ströver hat schon darauf hingewiesen: Es war überhaupt keine Aktion der Berliner, der Berliner Volksvertreter oder von wem auch immer, es war eine zentrale Agitationsmaschinerie der Nazis, die 1933 dafür sorgte, dass er auf jede Ehrenbürgerliste kommt, in Kleinkleckersdorf genauso wie in der Reichshauptstadt Berlin oder wo auch immer. Das war die zentrale Sache und hat damals schon die Idee der Ehrenbürgerliste aus formalen Gründen nicht beachtet. Das muss man auch im Hinterkopf haben, was da eine Rolle spielte – und immer im Zusammenhang mit Hitler. Hitler/Hindenburg war ein Gespann, und das haben die Nazis propagandistisch ausgenutzt. Jetzt geht es darum, wie wir uns das anschauen. Das schlechte Gewissen der Liste, die ganzen 108, es sind ein paar dazugekommen, – [Frau Vors. Ströver: 111 sind es jetzt!] – bei jedem steht das konkrete Datum, wann er zum Ehrenbürger ernannt wurde, nur bei Paul von Beneckendorff und von Hindenburg steht „1933“. Ich wette, wäre das vor dem 30. Januar gewesen, stünde dort das korrekte Datum. Offensichtlich hat man auch kein gutes Gewissen gehabt, so dass man 1933 hinstellt. Es war klar, was danach kam. Die Verteidigungsrede von Herrn Momper, die uns alle überrascht hat, hatte zwei zentrale Argumente. Einmal hat er gesagt: Die Kommunisten waren mehr für Hitler verantwortlich als Hindenburg. – Der zweite Punkt war: Er hatte keinen Spielraum, er hat die Gesetze beachtet. – Jetzt habe ich gerade aus dem Mund von Prof. Winkler gehört: Er hat – gar nicht das Ermächtigungsgesetz, das war uns allen klar – das Gesetz über das Berufsbeamtentum unterschrieben, Sie haben es ein rechtsstaatswidriges, rassistisches Gesetz genannt. Das musste er nicht unterschreiben. In diesen und anderen Zeiten gibt es Situationen, in denen sich demokratische oder republikanische Gesinnung zeigt oder nicht – wenn es darauf ankommt. Er hätte das zurückweisen können, und damit ist auch Mompers Argumentation zurückgewiesen worden, er hätte keinen Spielraum gehabt. Er hätte sich strikt im Kontext der Gesetze, der Verfassung von Weimar bewegt. Das ist nicht der Fall. Jedenfalls habe ich Sie so verstanden, Herr Prof. Winkler, und für diese Klarstellung bin ich außerordentlich dankbar. Deshalb haben wir überhaupt keine Möglichkeit, hier zu sagen: Hindenburg gehört auf die Liste. – Er gehört herunter. Ich finde, aus der Zeit von 1933 bis 1945 sollte hier jetzt gestrichen werden. Vielleicht noch ein Punkt zur CDU: Herr Apelt, ich weiß nicht genau, welche Position Sie haben, es war so offen. Ist sie wirklich offen? – Herr Stölzl hat in der „Bild“-Zeitung gesagt, er plädiere dafür, dass die Abstimmung frei gegeben wird, und jeder solle sich dann entscheiden. Das ist eine Möglichkeit. Ich finde, die Vergleiche, die Sie gebracht haben, treffen nicht zu. Die Zeit von 1933 bis 1945 ist eine singuläre Entscheidung, auch wenn es Diktaturen vorher und nachher gegeben hat. Aber das ist eine ganz andere Frage, und darum wäre ich mit Vergleichen sehr vorsichtig. Er hatte den kleinen Spielraum, den hat er nicht genutzt, und Hindenburg ist mit dafür verantwortlich, dass Hitler Reichskanzler wurde und die Katastrophe über Deutschland hereinbrach. Ich finde, so einer gehört nicht auf die Liste, und plädiere dafür, dass Sie unserem Antrag zustimmen. Frau Vors. Ströver: Herr Dr. Jungnickel, bitte! Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 8 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – Abg. Dr. Jungnickel (fraktionslos): Frau Vorsitzende, vielen Dank! – Ich unterstütze den Antrag der Grünen und bitte Sie, den Änderungsantrag der FDP abzuweisen. Ich bedanke mich bei Herrn Prof. Winkler für die klare Position, die er eingenommen hat. Ich habe noch eine Frage: Welche Rolle spielte der sog. Putschversuch, der das Parlament schwächen und die Regierung stärken sollte und das Ziel hatte, der Monarchie ähnliche Strukturen einzuführen? Welche Rolle hatte das für den Ablauf der Dinge? – [Prof. Dr. Winkler: Welcher Putschversuch?] – Dass z. B. dem Brüning nahe gelegt worden ist, Reichspräsident oder Kanzler zu werden und in dieser Kontroverse zwischen Brüning und Schleicher, der die Reichswehr hinter sich hatte, die Frage aufgeworfen worden ist, die Entscheidungsgewalt dem Präsidenten zuzubilligen und das Parlament in dieser Hinsicht zu schwächen. Man nahm an, dass Brüning sich nicht dafür entschieden hat, das zu tun – das hat man wohl als Putschversuch bezeichnet –, weil er die Reparationsfragen geklärt haben wollte, bevor er das übernimmt oder sich dazu bereit erklärt. Frau Vors. Ströver: Danke schön! – Frau Lange! Frau Abg. Lange (SPD): Ich wollte mich auch erst einmal bei Herrn Prof. Winkler für den informativen Vortrag bedanken. Es ist klar geworden, dass Hindenburg – wenn man sagt: Ehre, wem Ehre gebührt. – sicher nicht zu denen gehört, die geehrt werden sollten. Mir ist unklar geblieben, warum Hindenburg 1990 auf der Liste blieb. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen. Dann habe ich die Frage, wie Sie es fänden, wenn wir eine Kommission einrichten würden, die sich noch einmal mit der gesamten Liste ab 1918 befasst. Halten Sie das für sinnvoll oder nicht? Sollten wir nicht insgesamt klären, wie wir zukünftig mit der Ehrenbürgerschaft und mit dem Status der Ehrenbürgerliste umgehen? Meine letzte Frage: Hat die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Hindenburg einen ursächlichen Zusammenhang mit dem so genannten Tag von Potsdam? Frau Vors. Ströver: Frau Meister als Letzte für diese Runde. – Bitte! Frau Abg. Meister (FDP): Vielen Dank! – Ich glaube, man muss Herrn Prof. Winkler für die präzise geschichtliche Darstellung danken. Trotzdem finde ich die Beurteilung daraus – zumindest, wenn man selbst nicht Historiker ist – ausgesprochen schwer, weil man sich immer in einem Kontext bewegt: Was wäre gewesen, wenn? – Mir ist etwas nicht ganz klar geworden – da geht es mir genauso wie Frau Lange. Es ist klar, warum Hindenburg 1990 nicht mit überprüft worden ist. Aber wenn die letzte Überprüfung der Ehrenbürger 1948 lag, dann frage ich mich, warum es nicht legitim wäre, sich heute die Liste noch einmal mit den Augen von Historikern anzuschauen, die ausgiebig Zeit dafür haben, sich darüber Gedanken zu machen und Hintergründe zu durchforsten. Wir bewerten diese Liste noch einmal neu, schauen uns die einzelnen Namen noch einmal an und überlegen uns genau: Welche Kriterien wollen wir ansetzen, wenn wir für Berlin eine Ehrenbürgerwürde verleihen? Mich interessiert noch die funktionale Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Herrn von Hindenburg, die Frau Ströver schon angesprochen hatte. Auch das ist ein Vorgang gewesen, der abweichend von allen anderen verliehenen Ehrenbürgerwürden gewesen ist. – Danke schön! Frau Vors. Ströver: Bitte schön, Herr Winkler! Prof. Dr. Winkler: Ich beginne mit den Fragen des Abgeordneten Brauer. Erstens: Spezifische Verdienste von Hindenburg um Berlin sind mir nicht bekannt. Zweitens: Der Hindenburg-Mythos datiert bereits aus dem Ersten Weltkrieg. Er galt als der Sieger von Tannenberg, was übrigens mit den historischen Tatsachen nicht übereinstimmt, denn er war nicht wirklich der, der die Schlacht gewonnen hatte. Aber schon damals gab es begabte Experten in Sachen Public Relations im Bereich der Obersten Heeresleitung. Da Kaiser Wilhelm II. immer mehr ausfiel, nicht mehr als Integrationsfigur zur Verfügung stand, hat Hindenburg bereits im Ersten Weltkrieg die Rolle des Ersatzkaisers übernommen, also nicht erst in der Zeit seit 1925, als er tatsächlich Reichspräsident war und auch immer wieder Ersatzkaiser genannt wurde. Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 9 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – Die dritte Frage des Abgeordneten Brauer bezieht sich auf 1918/19. Hat Hindenburg dazu beigetragen, Deutschland den Bürgerkrieg zu ersparen? Welche Rolle spielte er bei der Dolchstoßlegende? – Den Bürgerkrieg haben Deutschland damals jene erspart, die wussten, dass ein Bürgerkrieg sich nicht auf Deutschland würde begrenzen lassen, sondern sofort eine alliierte Intervention auslösen würde, d. h. diejenigen, die sich klar machten, dass Bürgerkrieg der größte anzunehmende Unfall sein würde. Das waren die gemäßigten Kräfte in der Arbeiterbewegung und im Bürgertum, d. h. diejenigen Parteien, die dann die Weimarer Koalition bildeten: auf der einen Seite die Mehrheitssozialdemokraten, auf der anderen Seite Zentrum und Deutsche Demokratische Partei. Ohne die Bereitschaft dieser gemäßigten Kräfte in der Arbeiterschaft und im Bürgertum wäre es nie zur parlamentarischen Demokratie gekommen. Die Alternative hieß: der Bürgerkrieg oder die Demokratie. Man muss das so pointiert sagen, um übrigens auch die Verantwortungslosigkeit derer beim Namen zu nennen, die damals die Parole ausgegeben haben, Bürgerkrieg sei nur eine andere Form von Klassenkampf und unvermeidbar. Das hat damals im November 1918 Rosa Luxemburg gesagt – obiter dictum. Deswegen bin ich, Herr Senator, nach wie vor ein Gegner der Errichtung eines Denkmals für Rosa Luxemburg. Das Verdienst an der Vermeidung des Bürgerkriegs gehört denen, die sich im Namen der parlamentarischen Demokratie miteinander verständigt haben und über ihren Schatten gesprungen sind. Im Falle der SPD heißt das: über den Schatten des Dogmas vom Klassenkampf. Hindenburg hat zur Dolchstoßlegende maßgeblich beigetragen durch Aussagen Ende 1919 vor dem entsprechenden Untersuchungsausschuss. Er hat sich auf einen ungenannten britischen Offizier berufen, der diese Aussage angeblich als Erster getroffen habe: Es habe so etwas wie den Dolchstoß von kriegsmüden Kräften in den Rücken des unbesiegten Heeres gegeben. Diese angebliche Aussage eines britischen Generals ist nie verifiziert worden. Aber seit Hindenburg dieses angebliche Zitat in die Welt gesetzt hat, war die Dolchstoßlegende eine der Hauptwaffen der Rechten im Kampf gegen die Weimarer Republik. Viertens die Erstwahl Hindenburgs 1925, Sie haben nach dem Anteil Thälmanns gefragt: Ja. Die Tatsache, dass die Kommunisten die sinnlose Zählkandidatur Ernst Thälmanns im zweiten Wahlgang aufrechterhielten, hat den Kandidaten der demokratischen Parteien, Wilhelm Marx, den Sieg gekostet und den „Vorwärts“ veranlasst, am Tag nach dem zweiten Wahlgang mit der Schlagzeile zu erscheinen: „Hindenburg von Thälmanns Gnaden“. Allerdings muss man hinzufügen, auch die Bayerische Volkspartei hätte die Wahl Hindenburgs verhindern können, wenn sie für Marx gestimmt hätte. Aber sie stimmte für Hindenburg und war damit mit der KPD zusammen mit verantwortlich dafür, dass 1925 so etwas wie eine konservative Umgründung der Republik stattfinden konnte. Fünfte Frage des Abgeordneten Brauer: Die ersten Notverordnungen Hindenburgs stammen vom Juli 1930, also aus der Regierungszeit Brünings, und in diesem Zusammenhang muss man Hindenburgs Anteil an der Auflösung der parlamentarischen Demokratie hervorheben. Das war kein Vorgang, der aus heiterem Himmel kam. Zu denen, die im Vorfeld des Bruchs der großen Koalition unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller auf eine Präsidialregierung hin gedrängt hatten, gehörte Hindenburg selbst und der engere Kreis um ihn, gestützt vom Rittergutsbesitz, vertreten im Reichslandbund, und von Teilen der Industrie, aber Hindenburg selber wollte weg von der parlamentarischen Mehrheitsregierung. Deswegen waren die Notverordnungen vom Juli 1930 die logische Folgerung des Bruchs der großen Koalition. Der Sozialdemokrat Hermann Müller hatte vom Reichspräsidenten nicht die Vollmacht bekommen, notfalls auf die Befugnisse des Artikels 48 zurückzugreifen. Diese Vollmacht erhielt erst Brüning, der dann zum Vertreter der gemäßigten, parlamentarisch tolerierten Version des Präsidialregimes wurde. Die Sozialdemokraten haben Brüning toleriert, um eine weiter rechts stehende Regierung im Reich zu vermeiden, um in Preußen an der Macht zu bleiben, wo sie mit dem Zentrum regierten; und sie wussten: Wenn die Sozialdemokraten im Reich Brüning stürzen, dann stürzt in Preußen Otto Braun. Und die Sozialdemokraten wussten auch, dass sie nur durch Zusammenarbeit mit dem Zentrum bei den Reichspräsidentenwahlen vom Frühjahr 1932 Hitler würden verhindern können durch das vorhin erwähnte Votum für das kleinere Übel: Schlagt Hitler, darum wählt Hindenburg! Sie haben gefragt: Was wäre anders gewesen, wenn das Dritte Reich schon im Frühjahr 1932 proklamiert worden wäre? – Meine Antwort ist: Es wäre absolut unverantwortlich gewesen, in einem Augenblick, wo man einen Reichspräsidenten Hitler verhindern konnte, ihn nicht zu verhindern. Wenn man ihn verhinderte, Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 10 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – konnte man immer noch darauf setzen, dass es gelingen würde, ihn von der Macht fernzuhalten, und bis zum Januar 1933 schien diese Rechnung ja auch aufzugehen. Hat Hitler einen Bürgerkrieg verhindert? – Nein! Ich glaube auch nicht, dass der Auftrag an einen vom Reichstag gestürzten Reichskanzler, geschäftsführend im Amt zu bleiben, einen Bürgerkrieg ausgelöst hätte. Fraglich ist, ob eine verfassungswidrige Vertagung von Neuwahlen zum Bürgerkrieg geführt hätte, wenn das unter Schleicher geschehen wäre. Das alles kann man nicht exakt beantworten. Aber eines muss ich sagen: Die Angst vor dem Bürgerkrieg war Hitlers mächtigste Verbündete, und dass es diese Angst gab, dafür tragen die Kommunisten, die sich bewusst zum Bürgerkrieg bekannt haben, eine maßgebliche Verantwortung. Diese Angst wirkte vor allem seit dem 6. November 1932 zugunsten von Hitler, als seine Partei 2 Millionen Stimmen verlor und die Kommunisten 600 000 Stimmen dazugewannen. Die Kommunisten mit ihrem Kampf gegen die Sozialdemokraten, die angebliche soziale Hauptstütze der Bourgoisie, haben immer wieder gesagt: Es kommt darauf an, den Hauptstoß zunächst einmal gegen die Sozialdemokratie zu führen. – Natürlich war das ein Beitrag zum Triumph der Nationalsozialisten. Diese Mitverantwortung muss auch beim Namen benannt werden. Nationale Wiedergeburt haben Sie als Stichwort erwähnt. Dafür stand die verfassungswidrige Einführung der Farben Schwarz-Weiß-Rot im März 1933, ein klarer Verfassungsbruch des Reichspräsidenten, nicht der erste. Es ist richtig, dass Hindenburg bis zum Januar 1933 die Verfassung eingehalten hat, aber am 30. Januar 1933 ernannte er vor der Ernennung Hitlers bereits einen Reichswehrminister, den er nach der Verfassung nur auf Vorschlag des Reichskanzlers hätte ernennen können. Aber der Reichskanzler von Schleicher war zurückgetreten und konnte ihm diese Vollmacht oder diesen Auftrag nicht geben, und Hitler war noch nicht ernannt. Auch dies war ein offener Bruch der Reichsverfassung. Beim Gesetz über das Berufsbeamtentum ist der Nachweis erbracht worden, dass Hindenburg und der Kreis um ihn Wert darauf legten, gewisse Ausnahmeregelungen einzuführen. Man weiß auch von einem persönlichen Anteil Hindenburgs bei Versuchen, den Kirchenkampf zu mäßigen oder abzubrechen. D. h. dort, wo er sich persönlich angesprochen fühlte, hat er schon gelegentlich in begrenztem Rahmen etwas versucht. Aber – damit komme ich zu weiteren Fragen – beim Ermächtigungsgesetz gilt in der Tat: Nur der erste Schritt ist frei. – Nachdem er Hitler ernannt und Hitler von Anfang an gesagt hatte: Für den Fall, dass es im Reichstag keine Mehrheit gibt, gibt es Neuwahlen und danach ein Ermächtigungsgesetz. –, war klar, er würde es unterschreiben. Aber mindert das seine Verantwortung? – Denn er konnte ja das Gesetz lesen, und seine Berater wären auch in der Lage gewesen, ihm zu sagen, was dieses Gesetz bedeutet: die endgültige Liquidation der Weimarer Republik, die freilich durch die Abschaffung der Grundrechte im Gefolge der Reichstagsbrand-Verordnung bereits in der Substanz schwer getroffen war. Von einem Rechtsstaat konnte man danach nicht mehr reden. Der Tag von Potsdam, diese so genannte Rührkomödie, hat in der Tat so etwas wie eine höhere Weihe für den Nationalsozialismus bedeutet. Das Schlagwort Hitlers von der „alten Größe“ und der „jungen Kraft“ bedurfte der Personifizierung durch Hindenburg, und in diesem Kontext sind damals alle Anträge in deutschen Städten zu bewerten, Hindenburg und Hitler gemeinsam die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Zu den Fragen des Abgeordneten Apelt: Was konnte man wissen? Müssen wir das nicht alles im damaligen historischen Zusammenhang sehen? – Ja, und deswegen erlauben Sie mir zu zitieren, was Hindenburg wusste. Nach seiner Begegnung mit Hitler erklärte Hindenburg in Anwesenheit des Reichskanzlers und auch der Paladine Hitlers aus der NSDAP – und das wurde noch am selben Tag der Öffentlichkeit in einem Kommuniqué bekannt gegeben –, er könne es vor Gott, seinem Gewissen und seinem Vaterland nicht verantworten, einer Partei die gesamte Regierungsgewalt zu übertragen, noch dazu einer Partei, die einseitig gegen Andersdenkende eingestellt wäre. Hindenburg konnte nicht wissen, dass der Holocaust kommt. Was einen neuen Krieg angeht, hätte man freilich aus „Mein Kampf“ und Hitlerreden schon wissen können, dass „Lebensraum im Osten“ nicht nur eine Floskel war. Im November 1932, nach der Reichstagswahl, am 21. November, lässt Hindenburg durch seinen Staatssekretär Meißner nach einem Gespräch mit Hitler diesem Folgendes mitteilen – ich zitiere: Der Herr Reichspräsident glaubt, es vor dem deutschen Volke nicht vertreten zu können, dem Führer einer Partei seine präsidialen Vollmachten zu geben, die immer erneut ihre Ausschließlichkeit betont Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 11 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/vo – hat und die gegen ihn persönlich wie auch gegenüber den von ihm für notwendig erachteten politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen verneinend eingestellt war. Der Herr Reichspräsident muss unter diesen Umständen befürchten, dass ein von Ihnen – Hitler – geführtes Präsidialkabinett sich zwangsläufig zu einer Parteidiktatur mit allen ihren Folgen für eine außerordentliche Verschärfung der Gegensätze im deutschen Volke entwickeln würde, die herbeigeführt zu haben er vor seinem Eid und seinem Gewissen nicht verantworten könne. Das waren Hindenburgs Einsichten im Jahr 1932, und die sollen im Januar 1933 nicht mehr gegolten haben? – Das kann ich nicht nachvollziehen. Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 12 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – Ich bin gegen Bilderstürmerei; ich bin dagegen, im 19. Jahrhundert zu suchen, wer da nicht unseren heutigen Vorstellungen von Demokratie entsprochen hat. So kann man das Ereignis vom 30. Januar 1933 nicht relativieren; damit begann die „deutsche Katastrophe“ – das ist der Ausdruck, den der Historiker Friedrich Meinecke im Rückblick1946 gewählt hat. Die Zitate Hindenburgs zeigen, wie sehr ihm in der Grundtendenz die ungeheure Tragweite dieses Schrittes, der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, bewusst gewesen war. Es ist noch das Stichwort „Putschversuch“ gefallen: Ich wüsste nichts von einem Putschversuch, der in die Zeit der Regierung Brüning fällt. Man kann darüber streiten, ob eine Mitteilung oder Anordnung Hindenburgs, den Reichstag aufzulösen und Neuwahlen nicht innerhalb der 60-Tagefrist abzuhalten, als Putschversuch zu bezeichnen ist. Das würde ich eher verneinen, denn es hat ähnliche Erörterungen schon einmal in einer Ausnahmesituation unter Ebert, im November 1923, gegeben; das würde nicht unter „Putsch“ fallen. Manche nennen den „Preußenschlag“ einen Putsch, also die Absetzung der parlamentarisch nur noch geschäftsführend weiter amtierenden Minderheitsregierung Braun am 20. Juli 1932. Da passte dieser Begriff eher, obwohl der Staatsgerichtshof dann später nur teilweise von einem Verfassungsbruch gesprochen und die Korrektur gefordert hat. Weitere Fragen betrafen dann noch den „Tag von Potsdam“, aber dazu habe ich mich schon geäußert. Und dann kam immer wieder die Frage nach dem Kontext der Nichtaberkennung der Ehrenbürgerwürde. Mein Vermutung ist: Der tiefere Grund war der nachwirkende Hindenburg-Mythos, der auch nach 1945 bei vielen dazu beigetragen hat, sich gar nicht ernsthaft mit der Frage zu befassen, wie weit die Verantwortung Hindenburgs ging. Aber darauf können wir uns nicht mehr herausreden, denn es ist noch Vieles zusätzlich bekannt geworden zu dem, was damals schon bekannt war. Insofern müssen wir auch die heutige Situation historisch sehen: Sie unterscheidet sich von den Situationen, in denen Parlamente davon abgesehen haben, das zu tun, was eigentlich hätte getan werden müssen, nämlich die Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste. Frau Vors. Ströver: Recht schönen Dank! – Ich möchte mich – wenn ich darf – gern noch einmal zum Sprachrohr der Petenten machen. Herr Dr. Warnecke hat mir gerade einen Zettel hereingereicht. Ich halte dessen Inhalt zur Information bezüglich des formellen Antrags, der damals gestellt worden ist, für wichtig und gebe Ihnen den Wortlaut als meinen Beitrag zur Rede zur Kenntnis. Der Antrag der Nationalsozialisten und Deutschnationalen lautete: In Würdigung der Verdienste, die sich der Herr Reichspräsident von Hindenburg und der Reichskanzler Adolf Hitler um die nationale Wiedergeburt der Stadt Berlin erworben haben, beantragen wir: Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Magistrat, den Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg und den Herrn Reichskanzler Hitler das Ehrenbürgerrecht zu erteilen. Am 1. April wurden Hitler und von Hindenburg übrigens einstimmig zu Ehrenbürgern ernannt. Die SPD hatte den Saal verlassen. Am 20. April wurde die offizielle Ernennung ausgesprochen.– [Abg. Cramer (Grüne): Hitlers Geburtstag! Deshalb fehlt das Datum! Ist doch eine Frechheit!] – Das nur noch einmal zu Ihrer Information. – Es hatten sich noch Herr Braun und Herr Apelt zu Wort gemeldet, und danach würde ich dem Herrn Senator das Wort geben. – Bitte, Herr Braun! Abg. Braun (CDU): Bei diesen Diskussionen fällt mir als Jurist auf, dass oft der Eindruck vermittelt wird, man brauche sich bloß an die Verfassung zu halten und irgendwie könne man dann eine Entwicklung schon beeinflussen oder sich an Verträge halten und vieles andere mehr. Wer den Verfassungsbruch will und dafür eine Mehrheit findet, der macht das auch – das zeigt die Geschichte. Deswegen halte ich die Frage, wie Hindenburg im Einzelnen hätte verfassungsrechtlich agieren müssen, gar nicht für entscheidend, weil man die Folgen möglicherweise nicht vorhersehen konnte. Heute muss man an einen Ehrenbürger Berlins wenigstens die Frage stellen, ob er den Grundsätzen der Humanität entspricht, wie zum Beispiel der Menschlichkeit und des menschlichen Umgangs miteinander. Dass nicht alle 100-prozentig überzeugte Demokraten waren und nicht immer unbedingt dem Rechtsstaats folgten, das wissen wir. Die entscheidenden Fragen sind für mich: Wie gehe ich mit anderen Menschen um? Wie ist mein Verhältnis zur Menschlichkeit? Wie ist meine grundsätzliche Gesinnung? Welche Standpunkte vertrete ich? Und ist mein Handeln so ausgerichtet, dass ich als Ehrenbürger auch Vorbild für spätere andere Generationen bin? Da gab es – nach Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 13 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – dem Vortrag von Herrn Winkler, der sehr überzeugend war – doch erhebliche Zweifel an der Person Hindenburg. Wir führen – deswegen will ich den Bogen mal ein bisschen weiter spannen – heute nur die Diskussion um die Ehrenbürgerschaft, aber ich kann mir schon vorstellen, wie es weitergeht. Die nächste Frage wird der Hindenburgdamm sein, und wir kommen schnell auch wieder zu anderen Straßennamen. – [Zuruf] – Nein, das ist heute nicht die Sache, aber wir können das nicht loslösen. Wenn Herr Hindenburg als Ehrenbürger Berlins aus den von Herrn Winkler genannten Gründen nicht tragbar wäre, dann ist die nächste Frage, Frau Ströver – auch wenn das nicht Ihr Problem ist –, ob wir den Hindenburgdamm vor dem Klinikum Steglitz mit der gleichen Berechtigung aufrechterhalten können oder nicht, und dann stellen sich auch schnell andere Fragen. Deswegen wäre es mein Wunsch – auch in Ergänzung des FDP-Antrags –, dass wir uns darüber Gedanken machen, ob wir eine Kommission, der Sie meiner Kenntnis nach schon einmal angehört haben, mit Fachleuten wie Ihnen, Herr Winkler, einrichten, die das Thema „Ehrenbürger – Straßennamen“ für das gesamte Stadtgebiet noch einmal neu behandelt und dann Kriterien aufstellt, nach denen wir künftig Straßennamen umbenennen oder beispielsweise auch neu hinzufügen. Ich könnte mir zum Beispiel eine Vielzahl von Berlinern vorstellen, die sich um die Stadt verdient gemacht haben, deren Straßennamen ich aber leider nicht sehe, und bei anderen wundere ich mich manchmal, dass sie im Straßenbild vorhanden sind. Aber um das nicht zu einer Kette von Dauerdiskussionen bei jedem Einzelnen werden zu lassen, sollten wir mit Ihrer Unterstützung, Herr Winkler, eine Kommission einrichten, die dann nicht nur die Ehrenbürgerliste überprüft, sondern auch für den einen oder anderen problematischen Straßennamen und auch für die Neuvergabe Kriterien aufstellt. Das würde der Diskussion in Berlin helfen. Frau Vors. Ströver: Herr Apelt! Abg. Apelt (CDU): Der Ansatz ist schon von meinem Kollegen genannt worden: Angesichts der Gesamtsituation sollte vielleicht darüber nachgedacht werden, inwiefern man dem FDP-Antrag doch zustimmen und unter den von uns zu benennenden Kriterien eine Kommission einsetzen sollte, um eine Reihe von Persönlichkeiten, die einerseits im Stadtbild vorkommen und andererseits Ehrenbürger sind, einmal unter die Lupe nehmen und dann auch würdigen zu können. Dennoch habe zwei, drei kurze Nachfragen – erstens: Ist es von der Hand zu weisen, dass Hindenburg möglicherweise geglaubt hat, mit der Ernennung Hitlers den Gefreiten Hitler klein zu halten? Es gibt Äußerungen aus seinem Umfeld, die besagen: „Wenn er dann an der Macht ist, geben wir ihm keine drei Monate. Also soll er es mal machen, und dann wird die Situation etwas anders sein.“ Ich glaube, dass irgend jemand sagte: „Hitler selbst wird nicht regieren, er wird nur unser Adjutant sein.“ Er sollte also als Helfershelfer missbraucht werden, aber logischerweise hatte man sich getäuscht, weil alle Hitler völlig unterschätzt haben. Zweitens: Interessant sind die Zitate, die Sie gebracht haben. Da stellt sich die Frage – ich habe das nicht genau mitbekommen –, von wann die waren und in welchem Kontext sie gestanden haben. Denn es ist immer interessant: Politik gibt, weil sie etwas rechtfertigen muss, auch nach außen eine öffentliche Begründung ab. War das die veröffentlichte Meinung, die das Büro von Hindenburg herausgab? Oder war das auch seine persönliche Haltung zur Einschätzung Hitlers? Denn wir wissen, dass man, wenn man etwas rechtfertigen möchte, schnell eine Presseerklärung herausgibt. Jeder, der in der Politik tätig ist, weiß, in welchem Umfang das manchmal passiert. Die dritte Frage hatten Sie nicht vollständig beantwortet. Als 1990 genau diese Ehrenbürgerlisten überprüft worden sind – also nicht 1948, sondern 1990 – und man sich alle Ehrenbürger vorgenommen hatte – – [Zurufe: Nur die Ossis! Nur die Ostliste!] – Da bin ich mir nicht sicher! Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei denen – – [Zurufe von der PDS – Weitere Zurufe] – Man muss doch wenigstens so tolerant sein, jemanden ausreden zu lassen! – Ich weiß, Herr Brauer, dass Sie das nicht gewöhnt sind, aber ich bestehe jetzt mal darauf. – Also, ich kann mir nicht vorstellen – damit wiederhole ich mich –, dass dort ein paar Historiker gesessen haben – das waren nicht nur Historiker aus dem Westen, sondern auch aus dem Osten, und ich kenne auch einige Namen – Sie alle kennen diese Namen –, die bei der Durchsicht der Ehrenbürgerlisten nicht mal gesagt haben sollen: „Nun gucken wir uns mal die Listen an, wer sonst noch Ehrenbürger ist, um einmal den Gesamtkontext zu haben“, und das völlig blind gemacht haben sollen. Wir werden gern mal Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 14 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – jemanden von denen befragen – da könnten wir mal anrufen –, denn das würde mich wundern. Wenn ich als Historiker diesen Auftrag bekäme, dann würde ich erst einmal die Gesamtlisten sehen wollen und mir nicht einreden lassen: „Das ist nicht eure Aufgabe, guckt mal nur dort hin!“ Ich komme auf den FDP-Antrag zurück und bin der Ansicht, dass wir ihn als Ansatz nehmen sollten, um nicht in einer Kurzschlussreaktion zu einer Bewertung zu kommen, die viel breiter zu sein hat. Denn es geht hierbei nicht nur um Hindenburg, sondern um das Gesamtverständnis der Stadt mit historischen Persönlichkeiten. Deshalb wird die CDU diesen Antrag unterstützen, mit der Zielrichtung, dass es eine Kommission geben sollte, die sich dieser Aufgabe widmet. Frau Vors. Ströver: Ich hoffe, dass Sie alle sich mit Blick auf die Zeit kurz fassen. – Herr Cramer, bitte! Abg. Cramer (Grüne): Herr Apelt, wir sollten keine Geschichtsklitterung machen! So ähnlich die Position damals war: Das Grundgesetz hat sich bewährt, und deshalb wird bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nichts geändert – so war es auch hier. Die Ehrenbürgerliste im Westen gilt, und es wird nur der Osten überprüft. Sie waren damals in der Regierung und müssten es eigentlich besser wissen. – Ich gehe noch weiter: In den Verordnungen für die Ehrenbürgerwürde steht, dass die Ehrenbürgerwürde im Einvernehmen zwischen Senat und Abgeordnetenhaus erteilt wird. Die von mir sehr geschätzte Parlamentspräsidentin Laurien, die Ihrer Partei angehörte, hat sich leider nicht an diese Bestimmung gehalten. Sie als Parlamentspräsidentin hat ihr Votum dafür gegeben, dass alle DDR-Ehrenbürger – bis auf sieben – gestrichen werden, nämlich fünf Künstler – darunter Anna Seghers, Herzfelde, Heinz usw. – und zwei Astronauten – Siegmund Jähn und ein russischer Astronaut –, und alle anderen wurden gestrichen. Das hat Frau Laurien erklärt, ohne dass sich irgendein Gremium dieses Hauses damit befasst hat. Also, wenn wir schon mal streng sind – Frau Laurien ist als Lehrerin immer sehr streng gewesen –, dann war das nicht korrekt.– [Abg. Braun (CDU): Aber Sie waren auch im Parlament! Warum haben Sie nichts gemacht?] – Herr Braun! Ich war zwar im Parlament, aber wir haben davon nichts erfahren. Wir haben es drei Jahre später erfahren, als es darum ging, die Bersarinstraße umzubenennen. Da kam heraus, dass er gestrichen worden war. Das, was Sie gerade befürchtet haben, dass die Straßennamen jetzt in die Diskussion kommen, hat man bei Bersarin anders gemacht: Da hat man erst die Straße gestrichen, und dann kam heraus, dass er vorher schon Ehrenbürger gewesen ist, und deshalb müsse die Straße gestrichen werden. Wir brauchen überhaupt keine neue Kriterien; und für die Straßennamen sind die Bezirke zuständig. Es dauert manchmal Jahre, bis so etwas geändert wird. Das ist die Sache der Bezirke und nicht unsere Aufgabe, aber die Ehrenbürgerwürde ist unsere Aufgabe. Ich bin der Ansicht, dass wir einen Straßennamen nicht mit einem Ehrenbürger gleichsetzen sollten. Wir haben doch Kriterien, in denen steht: „Nur demjenigen darf die Ehrenbürgerwürde verliehen werden, der sich in hervorragender Weise um die Stadt Berlin verdient gemacht hat.“ Ich würde doch nicht behaupten, dass sich jeder, der in einer Straße kenntlich gemacht wurde, in hervorragender Weise um die Stadt Berlin verdient gemacht hat. Wir haben die Kriterien, und unsere Aufgabe ist es – nach allem, was wir wissen, auch nach den Ausführungen, die Herr Winkler gemacht hat –, zu klären, ob sich Hindenburg in hervorragender Weise um die Stadt Berlin verdient gemacht hat. Das können wir verneinen. Hindenburg ist eine umstrittene Persönlichkeit, und da die „hervorragende Weise“ nicht mehr zutrifft, können wir es sagen. Und was Ihre Überprüfung von allen 113 Personen betrifft: Nennen Sie mir einen, den wir überprüfen sollen! Dann gehen wir im Einzelfall vor, und nicht mit dem Rasenmäher oder der Gießkanne. Wenn aus heutiger Erkenntnis irgendwo Zweifel bestehen, dass sich Personen nicht mehr in „hervorragender Weise“ verdient gemacht haben, dann müssen wir das überprüfen. Die Einschätzung Hitlers – das hat Herr Winkler mehrfach gesagt –, diese Zitate, gingen bis 1932 und wurden von Hindenburg mehrfach persönlich geäußert, daran gibt es nichts mehr zu deuteln. Die Frage ist, ob es Opportunismus war oder ob er dazu gezwungen worden ist – wie auch immer –, aber das haben Sie ausführlich beantwortet. Das Letzte, was ich noch sagen will: Zwischen 1914 und 1933 sind mehrere Personen zu Ehrenbürgern ernannt worden, und zwar in Berlin insgesamt fünf – Hindenburg war aber nicht darunter. Möglicherweise spielt dabei der Hindenburg-Mythos eine Rolle oder Frage, wann er Reichspräsident war. Jedenfalls in dieser Phase wurde Hindenburg nicht zum Ehrenbürger ernannt. Das ist erst nach 1933 passiert, und zwar am Tag Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 15 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – von Hitlers Geburtstag – das kommt noch hinzu! Damals, 1948, haben sie das wohl gewusst, aber nicht hineingeschrieben. Ich bin der Meinung, dass man so etwas nicht durchgehen lassen darf, und deshalb plädiere ich noch einmal: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Frau Vors. Ströver: Bitte, Herr Brauer! Abg. Brauer (PDS): Vielen Dank, Frau Vorsitzende! – Na ja, ich glaube, die Gründe, die dazu führten, dass der Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs nun ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ernannt wurde, wurden hinlänglich dargestellt. Herr Apelt, ich kann Ihre Fragen und Ihre Wirrnis noch ein bisschen verstärken: Der ehemalige Chef der Senatskanzlei, Volker Kähne – die Parteizugehörigkeit müsste Ihnen vertraut sein –, stellte Ende der 90er Jahre in einem offiziellen Schreiben der Senatskanzlei fest: „Die Ehrenbürgerliste Ostberlins gilt noch!“ – Sie gilt noch – was wollen Sie? –, wir haben sie nur nicht übernommen. Also, was denn nun? Das Rechtssubjekt ist abhanden gekommen, also die Ehrenbürgerschaft verleihende Kommune, aber die Liste gilt noch. Insofern sind wir auch der Meinung – wir finden das Anliegen der FDP-Fraktion und auch die Diskussion, die erfolgt ist, durchaus sympathisch –, dass wir das hinsichtlich der Problematik des Umgangs mit Ehrungen von Persönlichkeiten in dieser Stadt Berlin nicht nur auf die Ehrenbürgerwürde beschränkt, sondern auch auf andere Felder ausgeweitet wissen möchten. Damit sollten wir uns beschäftigen und es grundsätzlich klären. Eine solche Kommission kann dabei durchaus nützlich sein. Allerdings sind wir auch der Auffassung, dass die Arbeit einer solchen Kommission völlig ins Leere laufen würde, wenn sie sich mit den Verdiensten oder Missetaten des Generals von Wrangel um das Jahr 1850 auseinandersetzen würde. Das wäre dann doch etwas übertrieben. Hierbei geht es um – ich gebrauche jetzt einen Begriff, der nicht von mir stammt, aber das ist nicht unser Thema – die Auseinandersetzung mit Protagonisten, Verursachern, Tätern und Mitschuldigen totalitaristischer Regime dieses Jahrhunderts – das werden Sie vielleicht nachvollziehen können. Hier haben Generalfeldmarschall Paul von Beneckendorff und Hindenburg eine singuläre Position, und spannenderweise ist Hindenburg der Einzige, der dabei übrig geblieben ist. Dass eine gewisse Entrümplung in der Stadt Berlin wünschenswert ist, okay, aber andererseits sollten wir nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. Meine Fraktion würde sich energisch dagegen verwehren – auch wenn wir die Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf hinsichtlich Treitschke alles andere als himmelhochjauchzend begrüßen –, wenn bezüglich der Straßennamen durch neuen Zentralismus in Zuständigkeiten von Bezirksverordnetenversammlungen nachdrücklich hinsichtlich Straßennamen eingegriffen würde. Es geht hier und heute – jetzt kommt meine Bitte, aber betrachten Sie sie auch als Vorschlag für den weiteren Umgang – und auch mit dem Antrag der Fraktion der Grünen ausschließlich und explizit um eine einzige Person. Diese Person ist mit ihrem Namen sowie ihren Verdiensten oder Nichtverdiensten genannt worden. Wir sind heute einen guten Erkenntnisstand weitergekommen, und ich danke Herrn Prof. Winkler nachdrücklich für das, was er dargestellt hat. Wir sind der Meinung, dass die Diskussion um diese Person nicht weggewischt und auch nicht vernebelt oder weggestimmt werden sollte – zum Beispiel durch einen Änderungsantrag, der keiner ist, sondern einen gänzlich anderen Zugriff hat. Ich glaube, die Position der Fraktion der Grünen dürfte klar und eindeutig sein, und auch die Position meiner Fraktion ist klar – das kann ich so wie der alte Cato machen: Im Übrigen bin ich der Meinung: Der muss weg! – Das ist überfällig, und wir werden auch dabei bleiben. Aber wir sehen Klärungsbedarf in anderen Fraktionen dieses Hauses, um beides zu ermöglichen, nämlich um der FDP-Fraktion zu ermöglichen, aus ihrem Änderungsantrag einen Plenarantrag zu machen, der dieses Problem grundsätzlich anfasst, und gleichzeitig das Ergebnis der heutigen Anhörung noch einmal in den Fraktionen diskutabel zu machen. Es ist eine gute Tradition in diesem Ausschuss, dass wir uns in strittigen Fragen einigermaßen konsensual bewegt haben – in den letzten Jahren war es jedenfalls so –, und vielleicht schaffen wir das wieder. Deshalb bitten wir darum, heute nicht abschließend die Beschlussfassung vorzunehmen, sondern dieses im Februar zu machen. Ich bitte die Verwaltung des Hauses, die Erstellung des Wortprotokolls in diesem Fall beschleunigt anzugehen, damit wir die Möglichkeit haben, Anfang Februar in den Fraktionen darüber zu diskutieren und spätestens in der zweiten Ausschusssitzung im Februar die Entscheidung herbeizuführen. – Es geht um den Umgang mit der Drucksache 15/923. Das kann man auch als Antrag interpretieren. Frau Vors. Ströver: Das habe ich schon verstanden! – Das Wort hat nun der Herr Senator. – Bitte sehr! Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 16 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – Sen Dr. Flierl (WissKult): Meine Damen und Herren! Ich erlebe diese Debatte heute, am 27. Januar 2003, als eine denkwürdige und notwendige Geschichtsstunde im Parlament und empfinde sie als eine der intensivsten und qualifiziertesten Debatten, die ich im Kulturausschuss jemals erlebt habe. Deswegen bin ich auch Herrn Prof. Winkler für seine Ausführungen und seine Deutung dankbar, weil sie klarmachen, dass historische Vergegenwärtigung jenseits von historistischem Relativismus oder tagespolitischer Aktualität auch eine politische Aufgabe wahrnimmt, nämlich die Selbstverständigung des Gemeinwesen zu ermöglichen. Auf Grund Ihrer Bemerkung sage ich Ihnen ausdrücklich, dass ich persönlich auch Ihre politische Einschätzung in diesem Punkt zu Rosa Luxemburg teile. – Vielleicht haben wir einen anderen Denkmalbegriff, was die Aufgabe von Kunst im öffentlichen Raum sein könnte, aber eventuell können wir bei Gelegenheit darüber diskutieren. Auch ich sehe einen Unterschied einer Ehrenbürgerliste zu anderen Geschichtsmedien im öffentlichen Raum, zu denen dann auch Kunstwerke gehören. Ich erinnere mich an eine Initiative, die dieses Parlament sogar aus einer Oppositionsinitiative heraus angenommen hat, nämlich die Möglichkeit zu schaffen, im Berliner Straßengesetz auch an Straßenschildern historische Erläuterungen zu geben, die auf die vorhergehenden Benennungen verweisen, um damit auf die Brüche in der Geschichte hinzuweisen. Leider ist davon bisher noch viel zu wenig Gebrauch gemacht worden. Wir haben unterschiedliche Medien, und es wäre sinnvoll, sie vielleicht einmal zueinander in Bezug zu setzen und ihren Variantenreichtum zu nutzen. Allerdings verspreche ich mir von einer solchen Kommission auch nicht, dass nun alles zugeordnet wird. Manches Widersprüchliche und Widerständige wird auch in den unterschiedlichen Medien bestehen bleiben. Wir sollten uns hüten, gewissermaßen die verschiedenen Kategorien zuzuweisen und die lebendige Veränderung von Geschichte durch Umbenennungen völlig auszuschließen. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass wir nicht vor einer neuen Geschichtsrevision stehen, und die Besorgnisse der Opposition – vor allem der CDU und ihres Landesvorsitzenden – aus Anlass der Wahl dieses neuen Senats, hier würde ein linker Geschichtsrevisionismus Platz greifen, sind – wie auch diese Diskussion zeigt – unbegründet. Insofern ist Ihre Vergesslichkeit, wie sehr Geschichtspolitik auch im Zuge des Einigungsprozesses einseitig instrumentalisiert wurde, außerordentlich bemerkenswert. – [Zurufe von der CDU] – Ich denke, dass wir die Chance einer neuen Qualität von Geschichtskultur und Geschichtspolitik haben. Das hat sich die Koalition mit ihrer Koalitionsvereinbarung ausdrücklich zu Eigen gemacht, und ich hoffe, dass wir in der Koalition auch zu einer Klärung kommen. Frau Vors. Ströver: Herr Prof. Winkler, Sie haben zum Schluss noch einmal das Wort, um die an Sie gestellten Fragen zu beantworten. – Bitte schön! Prof. Dr. Winkler: Noch einige kurze Anmerkungen: Herr Braun, Sie haben auf die unabhängige Kommission hingewiesen, die damals von Verkehrssenator Haase eingesetzt worden war. Im Rahmen dieser Kommission ist Mitte der 90er Jahre auch das Stichwort „Hindenburgdamm-Steglitz“ diskutiert worden. Dafür ist diese Kommission nicht zuständig gewesen, und ich habe dafür plädiert, diesem Bezirk zumindest in Form einer Empfehlung eine Umbenennung nahe zu legen. Dieser Vorschlag hat nicht die Mehrheit der Kommission gefunden. Aber es gab eine eindeutige Abstimmungssituation, als es darum ging, die Dimitroffstraße umzubenennen. Die Kommission hat damals nicht den Namen Danziger Straße vorgeschlagen, sondern sie hat einstimmig vorgeschlagen, diese Straße nach zwei Kämpfern für Rechtsstaat und Demokratie zu benennen. Der eine war der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger – zeitweilig Reichsfinanzminister und 1921 von Rechtsradikalen ermordet –, und der andere war Rudolf Hilferding – ebenfalls zeitweilig Reichsfinanzminister, ein großer Theoretiker, und man hat ihn oft den führenden theoretischen Kopf der SPD in der Weimarer Zeit genannt. 1941 wurde Rudolf Hilferding in Paris von der Gestapo in den Selbstmord getrieben. – Leider ist der Senator – trotz einer Zusage – dieser Umbenennungsidee der Kommission nicht gefolgt. Ich erwähne das deswegen, weil Sie in einem zentralen Punkt Recht haben: Es kommt darauf an, dass wir uns unserer Demokratiegeschichte erinnern, wenn es darum geht, Straßen neu zu benennen oder auch umzubenennen. Für diesen Hinweis bin ich Ihnen dankbar, aber nach meinen Erfahrungen aus der ersten Kommission kann ich Ihnen keine Zusage für eine Mitgliedschaft in einer zweiten Kommission geben. Dazu sind für mich die Erinnerungen an die erste Kommission dann doch zu ernüchternd: Das Ergebnis blieb weit hinter dem zurück, was wir in vielen Sitzungen beschlossen hatten. Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 17 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – Was die Nichtstreichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste im Jahr 1990 angeht, so kann ich nur ein Quellenstudium empfehlen, um festzustellen, warum das nicht geschehen ist. Aber es wäre auch damals schon sehr nachdrücklich darauf hinzuweisen gewesen, dass es gute, ja zwingende Gründe für diese Streichung gab. Was die Zitate Hindenburgs aus dem Jahr 1932 angeht, Herr Abgeordneter Apelt: Das erste Zitat stammt vom 13. August 1932 und ist das offizielle Protokoll des Reichspräsidialamts nach einer Unterredung mit Hitler. Das hat in Deutschland riesige Schlagzeilen hervorgerufen und war die größte Demütigung Hitlers nach seinem gescheiterten Putsch am 8./9. November 1923: Hindenburg ist derjenige, der dem deutschen Volk zu Protokoll gibt, was er von Hitler hält. – Das war keine beiläufige, sondern eine sorgfältig formulierte Äußerung, die mit Zustimmung Hindenburgs an die Öffentlichkeit gegeben worden ist. Bei der zweiten Äußerung vom 21. November 1932 geht es ebenfalls um ein Dokument von staatsrechtlicher Bedeutung: Es ist die von dem Staatssekretär Meißner verfasste Form eines Briefs an Hitler, der im Auftrag des Reichspräsidenten geschrieben wird. Also alles, was da steht, ist die amtliche Begründung dafür, dass der Reichspräsident nicht glaubt, es mit seinem Amtseid und seinem Gewissen vereinbaren zu können, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. – Ich frage noch einmal: Das alles soll im Januar 1933 nicht mehr gegolten haben? – Ich kann es nicht nachvollziehen! Und wenn Sie sagen, Hindenburg habe vermutlich geglaubt, Hitler an der Spitze eines überwiegend konservativen Kabinetts sei ungefährlich: Ja, das hat man ihm eingeredet! Das war die Lebenslüge des Herrn von Papen oder des Staatssekretärs Otto Meißner, der seine Erinnerungen unter dem Titel geschrieben hat: „Staatssekretär unter Ebert, Hindenburg, Hitler“ – ein überaus wandlungsfähiger deutscher Beamter. Es war das, was der in der Verfassung nicht vorgesehene Sohn des Reichspräsidenten Oskar seinem Vater sagte, aber dass der alte Herr dieses übernahm und dass er verriet, was er wenige Monate zuvor öffentlich erklärt hatte, das spricht nicht zu Gunsten Hindenburgs. – Danke schön! Frau Vors. Ströver: Recht schönen Dank, Herr Prof. Winkler, für die aufschlussreichen Erläuterungen zu unserem Thema. – Ich befinde mich gerade mit mir in einem Konflikt, weil ich denke, dass der Änderungsantrag der FDP kein solcher ist. Wir haben kein Initiativrecht, in diesem Ausschuss eigenständige Anträge einzubringen. Der Sachzusammenhang ist nur mittelbar zu erkennen. In § 40 Abs. 1 „Änderungsanträge und Entschließungen“ heißt es: „Sie müssen mit dem Gegenstand der Beratungen in sachlichem Zusammenhang stehen und schriftlich eingebracht werden.“ Unser sachlicher Zusammenhang ist Paul von Hindenburg. Das ist eine Einzelperson im Kontext der Ehrenbürgerwürde, der Aberkennung und auch zum Datum selbst. Nun ist die Frage, wie das von den Kolleginnen und Kollegen gesehen wird. Aus meiner Sicht kann sich ein Änderungsantrag nur auf die Person, um die es geht, beziehen. Wären Sie gewillt, diesbezüglich eine Änderung des Änderungsantrags vorzunehmen? – Bitte schön, Frau Meister! Frau Abg. Meister (FDP): Ich muss gestehen, dass ich vorhin den Vorschlag von Herrn Brauer zum Ablauf nicht ungeschickt fand, dass wir sowohl den Antrag der Grünen nicht sofort abstimmen, sondern die Anhörung dafür nutzen, noch einmal in uns zu gehen, und dass wir unseren Änderungsantrag mitnehmen und daraus einen Antrag für den normalen Ablauf machen, in dem wir dann auf unseren Wunsch nach der Kommission eingehen können. Frau Vors. Ströver: Herr Cramer! Abg. Cramer (Grüne): Darauf wollte ich auch eingehen: Ich den anderen Ausschüssen, in denen ich bin, ist es Brauch, dass wir eine Aushörung auswerten. Für uns ist das heute eine Geschichtsstunde gewesen, und diese sollten wir weitergeben. Denn im Parlament sollen alle abstimmen, und insofern sollten wir das Protokoll abwarten, es in die Fraktionen geben, und dann sollen diese sich auch damit befassen, so dass wir anschließend noch einmal diesen Antrag abstimmen. Im Verkehrsausschuss lautet unser Grundsatz, die Anträge erst dann abzustimmen, wenn die Anhörung ausgewertet ist, und so sollten wir es auch in diesem Fall halten. Denn wir können nur davon profitieren, wenn die anderen Abgeordneten diese Informationen rechtzeitig, bevor sie entscheiden, bekommen. Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 18 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – Frau Vors. Ströver: Ich würde gern – es steht mir vielleicht nicht zu – noch eine Bitte äußern: Ich glaube, die Diskussion hat gezeigt, dass es nicht die Aufgabe der Exekutive ist, diese Kriteriendiskussion zu führen, sondern dass es die ursprüngliche Aufgabe des Parlaments unter Einbeziehung von Fachleuten ist. Aus diesem Grund bitte ich die FDP, ihren Antrag in seiner Kernaussage zu überdenken. – Zum weiteren Verfahren – bitte, Frau Grütters! Frau Abg. Grütters (CDU): Uns kommt das entgegen. Wir hätten nämlich auch gern die Chance – diese wäre mit dem Verfahren eingeräumt –, dass wir diese Debatte noch einmal in unserer gesamten Fraktion führen, und zwar nicht nur, weil heute einige neue Erkenntnisse dabei waren, sondern im Übrigen auch unsere Haltung zum FDP-Antrag. Ich stimme Ihnen zu, Frau Vorsitzende, er entspricht nicht ganz den Kriterien eines Änderungsantrags, ist aber gleichwohl inhaltlich diskussionswürdig. Ein letztes Wort zum Senator: Herr Senator, die Überprüfung von 1990 hat die große Koalition als Ganze gemacht, und Sie sollten nicht einem einzelnen Abgeordneten, der seinerzeit nicht dabei war, vorwerfen, dass er den damaligen Wortlaut des Auftrags nicht kannte. Insofern empfanden wir als heutige CDUAbgeordnete die Lesart, die Sie da hineingebracht haben, als etwas ungehörig und sie damit korrigiert wissen. – Was das jetzige Vorgehen betrifft, so wären wir dankbar, wenn wir über den Antrag erst in der nächsten Sitzung abstimmen würden. Frau Vors. Ströver: Frau Lange! Frau Abg. Lange (SPD): Auch wir möchten das Ergebnis der Anhörung nach Auswertung noch einmal der Fraktion vorstellen und schließen uns den anderen an. Frau Vors. Ströver: Der weitestgehende Antrag ist der auf Vertagung, und ich stelle diesen zur Abstimmung. Wer für die Vertagung ist, den bitte ich um das Handzeichen! – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Bitte, Herr Brauer! Abg. Brauer (PDS): Vielen Dank! – Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, dass mein Vorschlag noch eine zweite Komponente hatte, und zwar die Beschleunigung des Prozesses der Herstellung des Wortprotokolls. Frau Vors. Ströver: Das ist klar; als Ausschussvorsitzende werde ich mit Brief an den Präsidenten darum bitten. – Jetzt ist es an mir, Herrn Prof. Winkler recht herzlich für die umfangreichen Ausführungen zu diesem Thema zu danken, die uns weiter gebracht haben. – [Beifall] – Herzlichen Dank, Herr Prof. Winkler! Damit sind Sie entlassen. Punkt 3 der Tagesordnung Mitteilung - zur Kenntnisnahme Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma - Drs 15/245 (Besprechung auf Antrag der Fraktion der SPD) Siehe Inhaltsprotokoll. 0033 Abgeordnetenhaus von Berlin 15. Wahlperiode Seite 19 Wortprotokoll Kult 15 / 17 27. Januar 2003 – bc/sth – Punkt 4 der Tagesordnung Finanzielle Planungen für eine neu zu ordnende Ufer GmbH hier: a) Besprechung gem. § 21 Abs. 5 GO Abghs (0974) (auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) in der 7. Sitzung UA Theater vom 20.1.03 (THE 21) b) Schreiben SenWissKult - K (IV B) - vom 13.1.2003 (THE 29) Haupt 1198 (Auf Vorschlag des UA THE von Haupt an den Ausschuss Kult m.d.B. um Stellungnahme weitergegeben.) 0098 Vertagt. Punkt 5 der Tagesordnung Antrag der Fraktion der CDU Vorlage einer Gesamtkonzeption, die den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 als herausragendes Datum des Widerstandes der Berliner Bevölkerung gegen die SED-Diktatur angemessen berücksichtigt - Drs 15/1069 - 0096 Vertagt. Punkt 6 der Tagesordnung Besprechung gemäß § 21 Abs. 5 GO Abghs Die kulturelle Aufgabe des Museums Haus am Checkpoint Charlie (auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) Vertagt. Punkt 7 der Tagesordnung Verschiedenes Siehe Beschlussprotokoll. Ausschuss-Kennung : Kultgcxzqsq 0013