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SPEECH/06/677
Olli Rehn
Mitglied der Europäischen Kommission
Die
Herausforderungen
Erweiterung
der
Herbsttagung der Deutsch-Finnischen Handelskammer
Bremen, 10 November 2006, 13h30
EU-
Ich danke für die Einladung zu dieser Herbsttagung der Deutsch-Finnischen
Handelskammer und für die Möglichkeit, hier das Wort zu ergreifen.
Ich freue mich, hier in Bremen vor dieser deutsch-finnischen Organisation über die
Zukunft der EU sprechen zu dürfen – vor dem Hintergrund der langjährigen
traditionellen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Finnland. Ein Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war der Beitritt Finnlands zur
Europäischen Union vor bald 12 Jahren im Jahr 1995.
Einen ebenso historischen Moment erleben wir jetzt, wo Finnland die
Präsidentschaft der EU hat. Diese wichtige Aufgabe wird am 1. Januar von
Deutschland übernommen. Die EU wird also während eines ganzen Jahres – in
einer sehr wichtigen Zeit – unter deutsch-finnischer Vorsitz sein.
Aufeinanderfolgende Präsidentschaften bieten eine ausgezeichnete Gelegenheit
zur Zusammenarbeit und zur Verfolgung der Ziele der entsprechenden Länder,
natürlich stets zum Besten Europas.
Die Europäische Union steht heute vor großen Herausforderungen und Chancen,
aber auch vor Problemen und Gefahren. Ich werde im Folgenden zunächst die
Lage der EU unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Entwicklung und der
Erweiterung betrachten. Dabei möchte ich die Möglichkeiten und Stärken Europas
hervorheben, nicht nur die Risiken und Schwächen.
Finnlands Beitrittsantrag wurde im Frühjahr 1992 im Auftrag der Regierung von
Ministerpräsident Esko Aho gestellt. Zur Zeit der Beitrittsverhandlungen war ich
enger Mitarbeiter von Ministerpräsident Aho, so dass ich den Fortgang der
Verhandlungen sehr nah verfolgen konnte.
Die Beitrittsverhandlungen waren nicht einfach, obwohl Finnland aufgrund seiner
wirtschaftlichen Lage und anderer Faktoren alle Voraussetzungen für die
Mitgliedschaft erfüllte. Möglicherweise dachte man, dass der Beitritt von drei EFTALändern zur Europäischen Union, die damals 12 Mitglieder zählte, das geopolitische
Gleichgewicht und die Arbeitskultur verändern würde, was vielleicht nicht von allen
nur positiv gesehen wurde.
Die Bundesrepublik Deutschland jedoch hegte keinen Zweifel daran, dass eine
Mitgliedschaft Finnlands wünschenswert war. Finnlands Beitrittsbestrebungen
wurden von ihr energisch unterstützt. Bei vielen schwierigen Details der
Beitrittsverhandlungen war die deutsche Unterstützung für den Fortgang und
schließlich auch für den Erfolg der Verhandlungen von großer Bedeutung. Ich
möchte auch das hier erwähnen und Ihnen, verehrte deutsche Kollegen, danken.
Wir werden die wertvolle Unterstützung Finnlands durch Deutschland nicht
vergessen.
Finnland ist als Mitglied der Europäischen Union gut vorangekommen. Finnlands
Sicherheit ist gestiegen, sowohl im Innern als auch nach Außen. Die finnische
Wirtschaft hat eine günstige Entwicklung genommen und Finnland ist es gelungen,
seine Position unter den EU-Ländern im wirtschäftliche Vergleich zu verbessern.
Auch für Schweden, das gleichzeitig beigetreten war, fällt die Bilanz positiv aus.
Finnland hat den Euro eingeführt, Schweden verlässt sich weiterhin auf die Krone.
Für Finnland, das war vor allen eine politische Wahl, und auch wirtschäftlich
wichtiger, weil es hat die Stabilität und Wachstun gefördert. Jedenfalls, das gute
Vorankommen von Finnland und Schweden erklärt sich meistens durch Faktoren,
die mit der strukturellen Entwicklung der Wirtschaft zu tun haben.
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Diese beiden nordischen Länder – wie auch Dänemark, das schon früher
beigetreten ist – haben sich der Globalisierung der Wirtschaft besser angepasst als
der Durchschnitt der EU. Sie haben es vor allem deshalb besser als andere
geschafft, flexibel zu reagieren, weil sie viel früher mit dem Aufbau einer auf Wissen
und Fähigkeiten beruhenden Gesellschaft begonnen haben.
Zweifellos hat mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens ein sowohl politischer als
auch funktioneller Wandel der Europäischen Union
vollzogen. Dieser
Veränderungseffekt ist nach und nach sichtbar geworden, denn die nordischen
Länder sind seit über zehn Jahren Mitglieder der Union. Neben der Entwicklung
einer auf Wissen und Fähigkeiten basierenden Gesellschaft hat der „nordische
Beitrag“ darin bestanden, sich massiv für Bürokratieabbau, eine pragmatische
Arbeitskultur und eine stärker ergebnisorientierte Verwaltung zu einzusetzen.
Meines Erachtens war und ist der nordische Beitrag nie gegen die Interessen
irgendeines EU-Landes oder der EU als Ganzes gerichtet, vielmehr war die
Wirkung stets positiv. Heutzutage ist ja – anders als vor zehn Jahren – allen klar,
dass Europa einen raschen strukturellen Wandel in Richtung Wissensgesellschaft
benötigt, um angesichts der globalen Veränderungen seine Wettbewerbsfähigkeit
zu bewahren.
Es stimmt, dass der Beitritt der nordischen Länder das geopolitische Gleichgewicht
in der EU verändert hat. Die nördliche Dimension der EU wurde gestärkt. Im
Frühjahr 2004, als Polen, Litauen, Lettland und Estland der EU beitraten, erhielt die
nördliche Dimension der EU eine noch wesentlich größere Bedeutung.
Alle Anrainerstaaten der Ostsee sind Mitglieder der Europäischen Union, außer
Russland, das inzwischen stärker mit der EU zusammenarbeitet, vor allem mit ihren
nördlichen Mitgliedstaaten.
Im Ostseeraum, dem historischen Hansegebiet, ist heute ebenfalls eine
dynamische wirtschaftliche Entwicklung zu beobachten. In den kleineren
Ostseeanrainerstaaten wächst die Wirtschaft schneller als im EU-Durchschnitt (11
% jährlich in Estland und Lettland in 2006 ) – und auch im größten Anrainerstaat
Deutschland befindet sich die Wirtschaft nach einigen schwierigen Jahren auf dem
Wege der Besserung.
Aus politisch-wirtschaftlicher Sicht besteht auch Anlass, auf Russlands äußerst
wichtige strategische Interessen im Ostseeraum hinzuweisen. Das Ostseegebiet ist
ein wichtiges Laboratorium und Testgebiet für die Entwicklung der Beziehungen
zwischen der EU und Russland.
Das Ostseegebiet kann also zu einem für die gesamte EU immer wichtigeren Raum
der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung, der zunehmend engeren
Zusammenarbeit und auch eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Umwelt
werden. Eine Verstärkung der nördlichen Dimension der EU ist gegen niemanden
gerichtet, sondern ist als eine wirtschaftliche und politische Stärkung der
Europäischen Union zu betrachten.
Ein Höhepunkt der finnischen Präsidentschaft war die informelle Gipfelkonferenz
vor einigen Wochen in Lahti. Ihre Themen – Energie und Innovation – sind in
Anbetracht der derzeitigen globalen Lage die wichtigsten Themen auf der
europäischen Tagesordnung. Bei den energiepolitischen Gesprächen auf der
Gipfelkonferenz zeigten die EU-Mitgliedstaaten größere Einstimmigkeit als früher
und führten ausgewogene und konstruktive Gespräche mit dem russischen
Präsidenten Vladimir Putin.
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Auch bei der Innovationspolitik ging es voran. Die europäischen
Technologieplattformen erhielten kräftige Unterstützung, und das Projekt zur
Gründung eines europäischen Technologieinstituts bekam im Prinzip ebenfalls
grünes Licht.
Eine der größten Herausforderungen für Europa ist das
Innovationsdefizit im Vergleich zu den wichtigsten Konkurrenten. Es gibt jedoch
keine vorgegebenen Gründe, warum Europa nicht die Innovationslücke schließen
und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern könnte. Wir brauchen klare Visionen
und ein starkes politisches Engagement der Mitgliedstaaten sowie eine
umfassendere Zusammenarbeit auf EU-Ebene.
Die Innovationspolitik ist die wichtigste Priorität des finnischen EU-Vorsitzes. Die
Innovationspolitik ist auch eine der Hauptprioritäten der Kommission bei der
Umsetzung der 2004 erneuerten Lissabon-Strategie für Wettbewerbsfähigkeit,
Wachstum und Beschäftigung. Die ersten Ergebnisse der Innovationspolitik waren
auf dem Gipfeltreffen von Lahti bereits zu erkennen.
Es steht außer Zweifel, dass Deutschland während seiner Präsidentschaft die
Intensivierung
der
Innovationspolitik
der
EU
weiterführen
und
die
Wettbewerbsfähigkeitspolitik ausbauen wird, die Europa zu einer besseren Stellung
im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb verhelfen wird. Deutschland will während
seiner Präsidentschaft auch die bessere Rechtsetzung zum Thema machen. Auch
dies ist eine der wichtigsten Prioritäten für die Bewahrung der Stärke und der
Dynamik des Binnenmarktes.
Um erfolgreicher zu sein, braucht die EU natürlich ein Deutschland, das sich
erneuert und seine wirtschaftliche Leistung verbessert. Ohne ein dynamisches
Deutschland gibt es nicht viel Hoffnung auf mehr Erfolg in der EU. Die derzeitige
Situation vieler Grundlagen der deutschen Wirtschaft, insbesondere die
Wettbewerbsfähigkeit der Exporte, ist gut, sodass neu zu beurteilen ist, dass
Deutschland wieder seine Rolle als Motor der europäischen Wirtschaft einnimmt.
Die in dieser Woche veröffentlichte Wirtschaftsbilanz der Kommission bekräftigt
diese Auffassung.
Auch Europa im weiteren Sinne hat einen Aufschwung der Wirtschaft nach vielen
schwierigen Jahren der Stagnation erlebt. Wirtschaftlich bessere Zeiten erleichtern
die Durchführung von wirtschaftlichen Reformen. Der luxemburgische
Ministerpräsident Jean-Claude Juncker sagte treffend: „Wir wissen alle, was zu tun
ist, aber wir wissen nicht, wie wir die nächsten Wahlen gewinnen sollen“. Der
wirtschaftliche Aufschwung in Europa vereinfacht die Schwierigkeiten der Politiker –
diese Gelegenheit sollte genutzt werden.
Eine grosse Herausforderung Europas ist heute die Einstellungen zur Erweiterung
der Union. Es sind wirtschaftliche, politische und kulturelle Herausforderungen.
Die Entwicklung der EU von sechs Gründungsmitgliedern zu einer Gemeinschaft
von 25 Mitgliedern und ab dem nächsten Jahr zu einer Union von 27 Mitgliedern,
die fast ganz Europa umfasst, ist ein enormer Erfolg. Die fünfte Erweiterungsrunde
der EU wird Anfang des nächsten Jahres mit dem Beitritt Bulgariens und
Rumäniens abgeschlossen – nachdem auch beispielsweise die beiden Kammern
des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland, der Bundestag und der
Bundesrat die Beitrittsverträge ratifiziert haben, was, wie ich glaube, mit einer klaren
politischen Willensäußerung geschehen wird.
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Alle Erweiterungsrunden haben die Union natürlich verändert. Der Beitritt
Großbritanniens, Irlands und Dänemarks im Jahr 1972 vereinte die EWG und die
EFTA weitgehend. Im Jahr 1973 sicherte Finnland dann seine handelspolitische
Position durch ein Freihandelsabkommen mit der EWG. Durch den Beitritt
Spaniens, Portugals und Griechenlands dehnte sich die EU nach Süden und zum
Mittelmeer hin aus. Durch den Beitritt von acht ehemaligen kommunistischen
Ländern im Jahr 2004 wurde die Zweiteilung Europas in Ost und West endgültig
aufgehoben.
Die Erweiterung der EU, die politische Wiedervereinigung Europas haben Frieden
in Europa gesichert und den Bereich der Freiheit, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit auf fast ganz Europa ausgedehnt.
Neben der Politik war die Wirtschaft der wichtigste Motor der EU-Erweiterung. Die
in den 1980er Jahren begonnene Vertiefung des Binnenmarktes führte zum
größten Wirtschaftsraum der Welt, dem europäischen Binnenmarkt. Er umfasst ab
Anfang nächsten Jahres rund 480 Millionen Europäerinnen und Europäer. Durch
den EWR und die Europäische Nachbarschaftspolitik wird der Einflussbereich des
Binnenmarktes noch ausgedehnt. Die Errichtung der europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion und die Einführung einer einheitlichen Währung, des Euros, in fast
allen Mitgliedstaaten haben die Stabilität der europäischen Wirtschaft konsolidiert
und den Euro weltweit zur zweitwichtigsten Währung gemacht.
Die wirtschaftlichen Kosten der Erweiterung sind nicht gering, aber es gibt auch
schwerwiegende Argumente dafür, nämlich das Wachstum des Binnenmarktes
nach der Erweiterung. Die Möglichkeiten und Vorteile der Märkte von 500 Millionen
Einwohnern in 25, bald 27 Mitgliedstaaten, sind natürlich viel größer als ihre Kosten.
Unter anderem haben insbesondere die deutschen Mittelstandsunternehmen die
durch die letzte Phase der europäischen Integration geschaffenen neuen
Möglichkeiten im Export, in der Standortwahl und der Vertiefung der Vernetzung der
Unternehmenstätigkeiten im europäischen Rahmen erfolgreich genutzt.
Die erweiterte EU ist, verglichen mit den USA und den schnell wachsenden
Volkswirtschaften, wettbewerbsfähiger geworden und kann besser auf die
Herausforderungen des globalen Wettbewerbs reagieren.
Der große Deutsche Konrad Adenauer hat treffend festgestellt: „Die Weltgeschichte
ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre“. Wie würde die
Entwicklung Europas verlaufen ohne die zunehmende Erweiterung der
Europäischen Union? Welchen Platz hätten Frieden und Demokratie und wie
würde sich die Wirtschaft entwickeln?
Meine Damen und Herren,
Diese Woche führte die Kommission ihre jährliche Debatte über den Stand und die
Herausforderungen
der
Erweiterung
im
Zusammenhang
mit
den
Erweiterungsberichten, die ich der Kommission vorgelegt habe.
In der letzten Zeit hat sich die Integrationsfähigkeit als Hauptthema der
Erweiterungsdiskussion durchgesetzt: kann die EU noch weiter erweitert werden
und wo liegen die geografischen Grenzen der EU-Erweiterung?
Ein finnisches Sprichwort lautet: „Gut geplant ist halb getan“. Dies trifft auch zu: Die
EU bereitete die große 2004 Erweiterung im Laufe von rund zehn Jahren besonders
gründlich vor. Die Erweiterung von EU-15 auf EU-25 verlief auch erstaunlich glatt
und ohne die befürchteten Schwierigkeiten hinsichtlich der Funktionsfähigkeit, der
Finanzierung, der Funktionsweise des Arbeitsmarktes und so weiter. Es ist
notwendig auch in der Zukunft, jeden möglichen Beitritt gründlich vorzubereiten.
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Die EU hat außer der Erweiterung auch eine tiefergehende Integration erreicht.
Erweiterung und Vertiefung fanden statt, ohne sich auszuschließen. Es muss so
weitergehen. Dafür, brauchen wir eine institutionelle Reform, die EU zu stärken und
effektiver zu machen. Ein neues institutionelles Regelwerk sollte etabliert werden
bis zum Zeitpunkt der Aufnahme das nächsten Mitgliedes, das aller Vorausschicht
nach Kroatien sein wird.
Nach der Aufnahme der Länder des östlichen Balkans, Bulgarien und Rumänien,
zur Jahreswende, stehen auf der erweiterungspolitischen Agenda der EU in der
Zukunft der westliche Balkan und die Türkei. Mit der westliche Balkan ich meine:
Kroatien, Bosnia-Herzegovina, Serbien, Montenegro, Albanien, und die e.J.R.
Macedonien; und auch Kosovo.
Die EU darf sich auch nicht leisten, bei der Entscheidung über neue Erweiterungen
die Funktionsfähigkeit und die Funktionsressourcen zu übertragen. Deshalb ist es
besser, sich in der nächsten Zeit, die nicht zu kurz ist, weil dies keine leichten Fälle
sind, auf den westlichen Balkan und die Türkei zu konzentrieren.
Meine Damen und Herren,
In meinem neuen Buch „Europe’s Next Frontiers“ habe ich die Herausforderungen
für Europa und die EU näher untersucht. Es ist vor einem Monat in dem deutschen
Verlag Nomos erschienen.
Ich wünsche der deutsch-finnischen Handelskammer viel Erfolg bei der wichtigen
Aufgabe, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Finnland zu
fördern.
Außerdem wünsche ich dem finnischen EU-Vorsitz, der sich dem Ende zuneigt,
sowie dem darauf folgenden deutschen Vorsitz viel Erfolg. Zusammen können sie
die Entwicklung Europas und der EU deutlich beeinflussen, in vieler Hinsicht sogar
prägend.
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