Skelettmuskulatur Alle Muskeln haben eine bestimmte Grundspannung (Tonus), ohne die wir ganz in uns zusammensinken würden, wie dies z.B. bei einem Ohnmachtsanfall passiert. Der Muskeltonus ändert sich ständig, ohne dass uns dies auffällt. Wenn bereits bei potentieller Gefahr die Skelettmuskeln angespannt werden, ist bei tatsächlichem Bedarf eine rasche Reaktionsmöglichkeit im Sinne von Kampf oder Flucht gegeben. Bei häufiger Fehlalarmierung kommt es jedoch zu einer chronischen Muskelverspannung. Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Anspannung der Skelettmuskulatur als Vorbereitung auf körperliche Aktivität (Flucht oder Angriff). Die vermehrte Energiezufuhr erhöht den Spannungszustand in den Muskeln. Gedanken und Gefühle, d.h. innere Reize, führen zur gleichen muskulären Anspannung wie Anforderungen vonseiten der Umwelt. Dies ist für das Überleben unbedingt notwendig. Die Erregungsbereitschaft der Gelenke äußert sich oft in einem unsicheren Stand, der subjektiv als typischer Schwankschwindel erlebt werden kann. Die hohe Muskelanspannung führt zu zittern, solange keine gerichteten Bewegungen erfolgen. Das Zittern der Muskeln dient auch der Bereitstellung von Wärme, um der Skelettmuskulatur Höchstleistungen abzuverlangen. Damit die Muskeln Höchstleistung erbringen, müssen sie warm sein, wie aus dem Sport bekannt ist. Viele Betroffene haben vor dem von anderen Menschen beobachtbaren Zittern der Hände oft mehr Angst als vor dem von anderen nicht sichtbaren Herzrasen. Sie fürchten oft, wie Alkoholiker auf Entzug zu wirken, wenn sie in einem Lokal eine Tasse Kaffee zum Mund führen. Das feinmotorische Zittern wird durch Anspannung zu unterdrücken versucht, so dass bei Überspannung eine grobmotorische Reaktion sichtbar werden kann, die erst recht auffällig macht. Die Verspannung und Verkrampfung in den Muskeln kann so weit gehen, dass sich diese nicht einmal in Ruhestellung zu ihrer ursprünglichen Länge und Form ausdehnen können. Dies beeinträchtigt die Durchblutung der Muskeln und die Funktion des Lymphsystems, so dass nicht alle Giftstoffe aus den Muskeln ausgeschieden werden können. Die im Körper verbleibenden Giftstoffe bilden Kristalle und verursachen Schmerzen, Steifheit und manchmal Entzündungen und Schwellungen. Chronische Muskelverspannung führt nicht nur zu örtlich begrenztem Muskelschmerz, sondern auch zu Gelenkverrenkungen und ihren Folgeschmerzen. Die Verspannung der Beine hängt nicht nur mit der Vorbereitung auf Kampf oder Flucht zusammen, sondern oft auch mit einer Urangst vor dem Fallen, der man durch Anspannung der Beine zu begegnen sucht. Übungen des entspannten und sicheren Stehens (in der Bioenergetik "Erden" genannt) sind hilfreiche Bewältigungsstrategien. Viele Menschen drücken ihre Knie fest zusammen und stehen mit den Beinen steif durchgestreckt da, weil sie Angst haben umzufallen. Die Beine elastisch etwas durchzubeugen (wie beim Schifahren) und den Körperschwerpunkt zu senken, gibt dagegen Sicherheit vor dem Fall. Beim Schifahren kommt es gerade dann zu Knochenbrüchen, wenn man die Beinmuskeln anspannt und sich gegen den Fall wehrt (in 90% der Fälle). Übermäßige Anspannung in Phasen von körperlicher Untätigkeit führt nicht selten zu Panikattacken. Es ist typisch, dass Panikanfälle oft in Ruhe, d.h. ohne anschließende Bewegung, auftreten (beim Sitzen oder Liegen, in Pausen, am Wochenende). Möglichst ruhiges Stehen-, Sitzen- oder LiegenBleiben bei Panikattacken aus Angst, dass noch Ärgeres passieren könnte, verstärkt die Symptomatik. Durch Bewegung wird dagegen die Anspannung rasch abgeführt. Hilfreich ist das Ausschütteln der Arme und Beine. Muskuläre Verspannung bewirkt häufig Schlafstörungen, besonders dann, wenn tagsüber keine Bewegung und damit keine Ermüdung der Muskeln erfolgt, die angenehme Entspannung garantiert. Einschlafstörungen treten verstärkt auf, wenn vor dem Einschlafen oft langes ängstliches Grübeln erfolgt, wodurch der Körper immer wieder aktiviert wird und nicht auf Entspannung umschalten kann. Ein- und Durchschlafstörungen bzw. Schlaflosigkeit sind oft Ausdruck einer Befindlichkeitsverschlechterung. Chronische Anspannung führt zu chronischer Müdigkeit, die sich ähnlich wie eine Depression äußert. Die Betroffenen klagen über Erschöpfung, ohne dass sie sich angestrengt hätten (sog. asthenische Symptomatik, d.h. Kraft- und Energielosigkeit). Diese Müdigkeit lässt sich am raschesten durch körperliche Betätigung überwinden, auch wenn man sich anfangs kaum dazu aufraffen kann. Bei der Behandlung von Depressionen und Angststörungen gewinnen körperliche Aktivierung, Sport (Langsamlauftherapie), Massagen, Bäder zur Muskelentspannung und körperorientierte Psychotherapie zunehmend an Bedeutung. Chronische Muskelverspannungen bewirken oft starke Schmerzzustände, weil die angespannten Muskeln die Gefäße verengen und die Blutzufuhr beeinträchtigen. Die Erfahrung des Muskelkaters nach einer ungewohnten körperlichen Betätigung, d.h. nach einer Überforderung der Skelettmuskulatur, ist jedermann bekannt. Die Schmerzen resultieren aus den zweifachen Folgen der Minderdurchblutung: 1. Unterversorgung mit Sauerstoff 2. Fehlender Abtransport der Abfallprodukte des Stoffwechsels (Milchsäure) Stressbedingte, chronische Muskelverspannungen zeigen sich in vielen Bereichen: Extremitäten Hände, Beine, Füße sind angespannt. Kopfbereich Eine Gefäßverkrampfung ist die Ursache häufiger Spannungskopfschmerzen, eine Schulter-NackenVerspannung die Ursache der dumpfen Kopfschmerzen im Hinterkopf und des Gefühls der Verschwommenheit. Schulter-Nacken-Bereich Hinterkopfspannungsschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Klingeln in den Ohren als Folge der verspannten Blutgefäße, die den Kopf versorgen. Rücken Rücken- und Kreuzschmerzen als Folge der ständigen Verspannung der Wirbelsäule. Es kommt zu einem Halswirbelsäulen-(Zervikal-Syndrom: schmerzhafte Nackenversteifung, ausstrahlende Schmerzen in Schultern, Arme und Hände und Durchblutungsstörung der Hände. Muskelverspannungen des oberen Rückens, die zu Schmerzen unterhalb des Herzens oder im linken Arm führen, werden von den Betroffenen häufig als Herzkrämpfe oder Herzschmerzen und damit als panik-auslösend erlebt. Fehlstellungen der Wirbelsäule im Hals- und Brustbereich aufgrund chronischer Verspannung führen zu einem Druck auf die Nerven, der als Schmerz im vorderen Brustbereich empfunden wird, weil dort die Nerven endigen. Brustkorb. Die Verspannung des Brustkorbs (zusammen mit der Schulter-Nacken-Verspannung und der Anhebung von Schlüsselbeinen und Brustbein) behindert die Atmung und führt oft zu Hyperventilation mit Panikattacken. Wangen-Kiefer-Bereich. Kieferverspannung, zusammengepresste Lippen und Zähne. Zähne Zähneknirschen (Bruxismus). Angstbedingte chronische Verspannungen werden fälschlich oft als Bandscheibenleiden oder Rheumatismus diagnostiziert. Wenn alle Behandlungsversuche scheitern, erhebt sich der Verdacht auf Angst, Depression oder Stress als Ursache der Verspannungen. Oft wirken sich psychische Faktoren bei organisch bereits vorgeschädigten Körperteilen im Sinne einer psychischen Überlagerung aus. Subjektiv äußern sich Angst, Aufregung und Stress als Anspannung der Muskulatur, was sich manchmal bis zu deutlich sichtbarem Zittern oder Beben ausweitet. Ohne anschließende körperliche Betätigung wird die chronische Anspannung der Muskulatur als unangenehme Verspannung erlebt, oft verbunden mit Schmerzen. Bei einer Gesamtaktivierung des Organismus drückt sich emotionale Anspannung vorrangig in erhöhter Muskelspannung aus. Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem eine Erschlaffung der Skelettmuskulatur. Die Muskulatur umfasst mehr als die Hälfte der Körpermasse, so dass eine Lösung und Erschlaffung der Muskulatur zu einer weitreichenden Umschaltung des Organismus in Richtung Entspannung führt. Muskelentspannung bei sich oder bei anderen wird als Schwere erlebt. Entspannte, schlafende und ohnmächtige Menschen wirken deshalb schwerer als sonst. Das autogene Training beginnt mit der "Schwere-Übung" als Mittel der muskulären Entspannung. Bei Entspannung sowie vor dem Einschlafen treten öfters Muskelzuckungen in den Armen und Beinen sowie im Gesicht auf, die eine elektrische Entladung der vorher angespannten Muskeln darstellen. Zahlreiche Menschen, die um diese Vorgänge nicht Bescheid wissen, fürchten sich daher, an einer unbekannten Störung zu leiden, wenn derartige Zustände plötzlich auftreten. Die parasympathische Überaktivität bei Schock- bzw. Schreckreaktionen führt zu "weichen Knien", weil die Spannung nachlässt, im Extremfall zum Zusammensinken des Körpers, was bei Angstpatienten praktisch nicht vorkommt. Entsprechende Muskelschwächen in den Beinen sind eher durch eine Tranquilizerüberdosierung verursacht, wie dies bei älteren Menschen häufig vorkommt. Autor: Dr.Hans Morschitzkyc