130425_Plenum_Gesundheitsversorgung_MmB

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Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesundheitsversorgung von Menschen mit -Behinderung menschenrechtskonform gestalten
– Drucksache 17/12712 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Die Reden sind, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen.
Maria Michalk (CDU/CSU):
Ob wir hier im Deutschen Bundestag eine Debatte über die Arbeitswelt oder den Sport oder das
Wahlrecht oder die wirtschaftliche Entwicklung führen, immer sind auch die Belange von Menschen mit
Behinderung berührt. So ist es auch im Gesundheitswesen. Dieses deckt sogar einen wesentlichen Anteil
der Belange von Menschen mit Behinderung ab, denn es gilt, das gesundheitliche Wohlbefinden zu
erhalten bzw. zu stärken oder die Beeinträchtigungen zu lindern oder Schmerzen zu vermeiden oder den
gegenwärtigen Gesundheitszustand zu stabilisieren, chronische Erkrankungen oder Pflegebedürftigkeit zu
vermeiden bzw. die Betreuung so zu organisieren, dass ein menschenwürdiges Leben und eine
gesellschaftliche Teilhabe möglich sind. Das ist nicht nur aus ganz persönlichen Gesichtspunkten für
erkrankte oder durch einen Unfall dauerhaft verletzte oder von Geburt an mit einer Behinderung lebende
Menschen wichtig, sondern letztlich aufgrund der demografischen Entwicklung eine
gesellschaftspolitische Aufgabe von uns allen. Das haben wir als Unionsfraktion in vielen immer wieder
vorgelegten Anträgen deutlich gemacht. Und wir haben in dieser Legislaturperiode in den jeweiligen
Gesetz-gebungsprozessen immer wieder auch Anliegen im Interesse der Menschen mit Behinderung
geregelt. Das Thema der Gesundheitsversorgung ist eine permanente Aufgabe und immer aktuell. Insofern
ist der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen durchaus sinnvoll.
Auch im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention ist dem Thema Gesundheitsversorgung ein -besonderer Abschnitt gewidmet.
Wir wollen eine wohnortnahe, barrierefreie und flächendeckende Versorgung mit Präventions-,
Gesundheits-, Rehabilitations- und Pflegedienstleistungen für Menschen mit und ohne Behinderung. Das
bedeutet, dass auch alle Ärztinnen und Ärzte, das gesamte medizinische Personal, ja alle
Leistungsanbieter für die Belange von Menschen mit Behinderung sensibilisiert und fachlich qualifiziert
sind. Das bedeutet auch, dass in den kommenden Jahren weiter daran gearbeitet werden muss, eine
ausreichende Zahl an Arztpraxen barrierefrei zugänglich zu machen.
Es muss nach unserer Ansicht unmissverständlich Bedingung sein, bei Neubauten konsequent auf
Barrierefreiheit zu achten. Auch Modernisierungsarbeiten in Praxen von gesundheitlichen
Leistungsanbietern sollten genutzt werden, noch mehr Barrierefreiheit zu schaffen. Dabei ist auf
Praxisbesonderheiten entsprechend den Behandlungsnotwendigkeiten zu achten. In diesem Kontext ist die
ehrenamtliche Arbeit der Stiftung Gesundheit zu loben. Über ihre transparente Aufstellung im Internet ist
die Orientierung bei der Arztsuche mit den Suchfunktionen der „barrierefreien Praxis“ leicht möglich.
Dieses Angebot schafft zur Barrierefreiheit in Arztpraxen Transparenz und ist schon deshalb wertvoll. Es
ist eine echte Hilfestellung für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen. lch weiß, dass dieses
Angebot genutzt wird, weil es auch eine ständige Vervollkommnung erfährt.
Aber es geht nicht nur um bauliche Bedingungen. Wir sind uns einig, dass die Fragen der
verständlichen Kommunikation, zum Beispiel durch Leichte Sprache oder Assistenz bei Taubblindheit, ein
unbedingtes Muss für eine gute individuelle Versorgung sind. Mehr und mehr Arzneimittelhersteller
achten auf den barrierefreien Beipackzettel. Und ich selbst habe in Apotheken auch schon
Informationsmaterial in Leichter Sprache gesehen. Es ist wirklich etwas in Bewegung gekommen, seitdem
wir über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention diskutieren.
Ich finde es zumindest untertrieben, wenn die Antragsteller im Antrag lapidar formulieren, dass im
Ersten, Fünften, und Neunten Sozialgesetzbuch einige Vorgaben zur Erbringung von Leistungen der
Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderung enthalten sind. Vielmehr ist es so, dass wir eine
umfassende und solidarische Regelung haben. Natürlich stellen wir in der Umsetzung immer wieder auch
Defizite fest und wir thematisieren diese. Die Zuständigkeiten dafür sind differenziert. Sie liegen zum Teil
bei den Ländern, zum großen Teil auch bei der Selbstverwaltung.
Wir Menschen sind von lernenden Systemen umgeben. Das gilt auch für das System des
Gesundheitswesens. Deshalb kommt es ja immer wieder zur neuen Gesetzgebung. Und wie Sie wissen, ist
das gerade im Gesundheitsbereich besonders intensiv, weil es sich um ein sehr komplexes und
ausdifferenziertes System handelt. Wir Menschen sind ja auch sehr verschieden.
Lassen Sie mich auf einige Aspekte von Verbesserungen in der medizinischen Versorgung von
Menschen mit Behinderung eingehen.
So haben wir im GKV-Versorgungsstrukturgesetz, das zum Jahresanfang 2012 in Kraft getreten ist, im
§ 87 im SGB V einen neuen Abs. 2 eingefügt. Danach ist im einheitlichen Bewertungsmaßstab für
zahnärzt-liche Leistungen zusätzlich zum Wegegeld eine gesondert abrechenbare Position vorzusehen.
Diese soll für das Aufsuchen von Pflegebedürftigen und Menschen mit einer Behinderung gelten, die
aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht in der Lage sind, eine Zahnarztpraxis selbst aufzusuchen. Und im
Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz ist zehn Monate später die Erweiterung des einheitlichen
Bewertungsmaßstabs nochmals ausgedehnt worden, und zwar auf Personen mit dauerhaft erheblich
eingeschränkter Alltagskompetenz. Es wird eine zusätzliche Leistungsposition zur Abrechnung von
Hausbesuchenstätigkeiten durch Vertragsärzte eingeführt, wenn diese im Rahmen eines
Kooperationsvertrags nach § 119 b Abs. 1 SGB V erbracht wird. Am 17. Dezember 2012 hat der
Bewertungsausschuss nunmehr für zahnärztliche Leistungen beschlossen, mit Wirkung zum 1. April 2013
den BEMA den gesetzlichen Vorgaben entsprechend zu erweitern. Damit stehen seit April dieses Jahres
die verbesserten Leistungen zur Verfügung.
Als weiteres Beispiel für die sich verbessernde medizinische Versorgung nenne ich das AMNOG.
Danach gilt bei Arzneimitteln für die Behandlung seltener Erkrankungen, sogenannter Orphan Drugs, der
sonst nachzuweisende medizinische Zusatznutzen bereits durch die arzneimittelrechtliche Zulassung als
belegt. Von dieser Regelung profitieren viele Menschen mit einer Behinderung und einer spezifischen
Erkrankung.
Erinnern will ich auch an die novellierte Heilmittelrichtlinie. Seit 2011 gilt, dass Menschen mit dauerhaften schweren Behinderungen ohne erneute Überprüfung des Behandlungsbedarfs eine langfristige
Genehmigung von mindestens einem Jahr Heilmittelbehandlungen von ihrer gesetzlichen Krankenkasse
bekommen können. Kinder und Jugendliche mit einer besonders schweren und langfristigen funktionellen
und strukturellen Schädigung und Beeinträchtigung der Aktivitäten können auch ohne Verordnung eines
Hausbesuchs eine Heilmittelbehandlung in fördernden Tageseinrichtungen außerhalb der Praxis erhalten.
Das sichert eine kontinuierliche und qualitätsgerechte Behandlung, weil sie zu Tageszeiten stattfindet, wo
die Kinder noch besonders aufnahmefähig sind. Das ist viel besser als abendliche Behandlungen, wenn
Mutter oder Vater, von der Arbeit kommend, Zeit haben. Damit haben wir auch auf die sich verändernden
Bedingungen der Arbeits- und Familienwelt reagiert.
Ferner haben wir zum Januar 2012 mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz im § 32 im Abs. 1 a
verschiedene Regelungen getroffen, um die Heilmittelversorgung von Patientinnen und Patienten mit
langfris-tigem Behandlungsbedarf, insbesondere für Menschen mit schweren und dauerhaften
Behinderungen, zu erleichtern. Sie können sich die erforderlichen Heilmittel von ihrer Krankenkasse für
einen geeigneten Zeitraum genehmigen lassen. Natürlich wird ein Antrag gestellt. Dieser muss von der
Krankenkasse innerhalb von vier Wochen entschieden sein. Nach Ablauf dieser Frist gilt die
Genehmigung als erteilt. Diese speziellen Verordnungen unterliegen zudem nicht mehr den
Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die den behandelnden Ärztinnen und Ärzten oftmals die Entscheidung
erschwerten. Zur Umsetzung haben sich der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche
Bundesvereinigung auf bundesweit geltende Praxisbesonderheiten für die Verordnung von Heilmitteln
geeinigt, die seit dem 1. Januar 2013 in Kraft sind.
Meiner Aufzählung der Verbesserungen füge ich noch zwei weitere Beispiele hinzu:
Mit Inkrafttreten des Assistenzpflegegesetzes gilt seit Januar dieses Jahres der erweiterte Assistenzpflegeanspruch für Assistenz nach dem Arbeitgebermodell für die Situationen, wo es nicht nur um die
Unterstützung im Krankenhaus geht, sondern auch wenn stationärer Aufenthalt für Vorsorge und
Rehabilitation notwendig wird.
Im Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz ist noch eine weitere Verbesserung seit dem 30. Oktober 2012 in
Kraft. Pflegebedürftige, die in vollstationären Einrichtungen leben, erhalten anteilig auch für die Tage
das volle Pflegegeld ausgezahlt, an denen sie zu Hause gepflegt werden. Dadurch werden die häusliche
Pflege sowie der familiäre Kontakt gestärkt. Und diese Regelung gilt auch für die Pflege von Kindern und
Jugendlichen mit Behinderung, die zu Hause gepflegt werden und bislang nur einen Anspruch auf eine
Kurzzeitpflege bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres hatten. Wir in der Koalition haben hier
nachgebessert, das heißt, der Anspruch besteht nunmehr bis zum 25. Lebensjahr. Wir haben damit den
berechtigten Bedürfnissen Rechnung getragen.
Wie Sie wissen, ist derzeit das Präventionsgesetz in der parlamentarischen Beratung. Auch für die
medizinische Versorgung von Menschen mit einer Behinderung gilt: Vorbeugen ist in jedem Fall besser.
Wir arbeiten daran, dass in der Gesundheitsuntersuchungs-Richtlinie des G-BA die ärztliche
Gesundheitsuntersuchung neben der Früherkennung auch primärpräventive Maßnahmen enthält.
Die bisher in § 25 Abs. 1 vorgegebene Häufigkeit des Anspruchs der Gesundheitsuntersuchung von
zwei Jahren und die untere Altersgrenze von 35 Jahren sowie die nicht abschließende Aufzählung von
Zielkrankheiten für die Früherkennung entfallen. Der G-BA soll Inhalt, Art, Umfang und Häufigkeit der
Untersuchungen sowie die für die Früherkennung in Betracht kommenden bevölkerungsmedizinisch
relevanten Zielkrankheiten an den jeweils aktuellen Stand des medizinischen Wissens anpassen und
zugleich alters- und zielgruppengerecht ausgestalten. Hierbei ist auch den besonderen Bedürfnissen von
Menschen mit -Behinderung Rechnung zu tragen. Diese Gesetzes-begründung zeigt deutlich auf, dass bei
aktuellen Gesetzgebungsverfahren die Belange von Menschen mit Behinderung beachtet und Schritt für
Schritt optimiert werden.
Ja, Gesundheit hat einen zentralen Stellenwert in unserer Gesellschaft eingenommen und zählt zu den
sogenannten Megatrends. Deshalb ist es für uns selbstverständlich, dass Menschen mit Behinderung auch
hier eine echte Teilhabe erfahren und von allen neuen Erkenntnissen auf medizinischem Gebiet
profitieren. Die Beispiele haben gezeigt, dass viele im Antrag benannte Forderungen von der christlichliberalen Koalition bereits umgesetzt wurden bzw. in die aktuelle Gesetzgebung einbezogen werden.
Dass es in individuellen Situationen immer wieder auch Unzufriedenheit oder Klagen der Betroffenen
gibt, liegt oftmals an unterschiedlicher Auslegungspraxis der gesetzlichen Bestimmungen vor Ort und
noch öfter an nicht geklärten Schnittstellenfragen. Wir sind uns einig: Verschiebebahnhöfe in der
medizinischen Versorgung, meist aus Kostengründen, zulasten von Menschen mit Behinderung sind nicht
akzeptabel. Und wir sind uns auch einig, dass noch stärker als bisher in der medizinischen Aus- und
Weiterbildung für die besonderen Erfordernisse von Menschen mit Behinderung sensibilisiert werden
muss und umfassende Kompetenzen angeeignet werden müssen. Und wir sind uns in einem dritten Punkt
einig: Gute, vorausschauende Gesetze und Verordnungen sind wichtig! Aber ebenso wichtig ist die
Kontrolle der Umsetzung. Dies setzt eine zeitnahe und umfassende Information aller Leistungsanbieter
voraus.
Da uns alle aber immer wieder auch Beschwerden über nicht zufriedenstellende Versorgung erreichen,
nutze ich die Gelegenheit, für die Union zu erklären: Wir setzen uns auch weiterhin für eine
bedarfsgerechte medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung ein und gehen davon aus, dass
alle Leistungs-träger die medizinische Versorgung verantwortungsbewusst erfüllen. Wir halten am
Solidarprinzip fest, das eine kostenmäßige Überforderung durch Zuzahlungen ausschließt. Die
Überforderungsklausel im Gesetz funktioniert in der Praxis. Auch sind zwischenzeitlich praktische
Umsetzungsstrategien erprobt, die den bürokratischen Aufwand minimieren.
Wir nehmen diese Themenstellung nach wie vor ernst, da wir wissen, dass in einer älter werdenden
Gesellschaft die medizinische Versorgung von Menschen mit Mehrfachbehinderungen zunehmen und über
einen viel längeren Zeitraum praktisch stattfinden wird. Das sind neue Herausforderungen, an deren
Lösungen wir heute bereits arbeiten.
Mechthild Rawert (SPD):
Der heute hier im Plenum behandelte Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen thematisiert den
sehr wichtigen Bereich einer inklusiven Gesundheits- und Pflegepolitik. Wir sind uns alle einig, dass den
Bedürfnissen und Bedarfen von Menschen mit Behinderungen sehr viel stärker Rechnung zu tragen ist.
Von einem inklusiven Gesundheits- und Pflegewesen sind wir noch weit entfernt. Menschen mit
Behinderung brauchen viel mehr medizinische Unterstützung.
Damit diese umfassende Unterstützung im Gesundheitswesen auch geschieht, ist Handeln der Politik angesagt. Nicht nur Menschen mit Behinderung brauchen mehr als Lippenbekenntnisse und
Absichtserklärungen in Sonntagsreden.
Durch die Vielzahl der im Antrag erwähnten Baustellen wird klar, wie wenig die aktuelle
Bundesregierung – für den Bereich Gesundheit Bundesminister Daniel Bahr (FDP) – zur Umsetzung der
UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich getan hat. Deren Unterzeichnung jährte sich am 26. März
2013 bereits zum vierten Mal. Dabei ist mit der Ratifizierung am 26. März 2009 die UNBehindertenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland geltendes Recht geworden. Sie
verpflichtet insbesondere alle staatlichen Stellen zu mehr Chancengleichheit beim Zugang und zu mehr
Teilhabe und Partizipation in allen Bereichen.
Schon unter Rot-Grün wurde bereits der Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur selbstbestimmten
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft eingeleitet – mit der Einführung des SGB
IX, dem Behindertengleichstellungsgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz. Wir haben noch einen
langen Weg zur inklusiven Gesellschaft vor uns, in der alle Rechtsansprüche aus der UNBehindertenrechtskonvention umgesetzt sind. Die SPD fordert die Bundesregierung auf, die riesigen
Chancen aus der UN-Behindertenrechtskonvention für eine inklusive Gesellschaft wahrzunehmen und ihre
Politik der kleinen Umsetzungsschritte aufzugeben. Um die Menschenrechte der behinderten Menschen
auf freie Zugänge, auf Selbstbestimmung, auf volle Teilhabe in einer inklusiven Gesellschaft umzusetzen
und Rechtsansprüche in allen gesellschaftlichen Bereichen durchzusetzen, hat die SPD in dieser
Legislaturperiode bereits mehrere Initiativen gestartet.
Unser großer SPD-Antrag zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention „UN-Konvention jetzt
umsetzen – Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“ wurde am 9. November 2012 in zweiter und
dritter Lesung hier im Deutschen Bundestag debattiert. Wir haben hier benannt, wo für uns
Handlungsbedarf besteht, um allen Menschen mit Behinderung vor Beginn an Teilhabe und
Selbstbestimmung zu ermöglichen. Das sind im Bereich von Gesundheit und Pflege unter anderem: Der
Aufbau von medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderung, in Anlehnung an die bestehenden
Sozialpädiatrischen Zentren für Kinder; die Auflage eines Programms für den barrierefreien Umbau von
Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft, zum Beispiel Arztpraxen, Krankenhäuser, Physio- und
Ergotherapiepraxen und Rehabilitationseinrichtungen. Aus- und Weiterbildungen für Ärztinnen und Ärzte
und Pflegekräfte im Themenfeld sollen verpflichtend werden (bisher nur freiwilliges Fortbildungsangebot
der Ärztekammer). Nötig sind die Erweiterung der Ausbildungs- und Facharztweiterbildungsordnungen.
Die Sensibilisierung zur Gewaltproblematik gegenüber Frauen mit Behinderungen sollte in die
Grundausbildung von medizinischen und therapeutischen Berufsgruppen aufgenommen werden.
Beratungs-, Hilfs- und Betreuungsstrukturen sind behinderungs-, geschlechts- und kultursensibel zu
verbessern. Und Menschen mit geistiger, insbesondere aber mit mehrfacher Behinderung sind umfassend
in den Ausbau von Gesundheitsförderung und Prävention einzubeziehen.
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gilt: Wir wollen diskriminierungsfreie Zugänge
zum Gesundheitswesen, wollen gleiche Patientinnen- und Patientenrechte für alle, sodass Teilhabe und
Selbstbestimmung für alle auch im Gesundheitswesen gilt.
Leider ist zu konstatieren: Zwar wollte das Bundesgesundheitsministerium für 2012, gemeinsam mit
den Ländern und der gesamten Ärzteschaft, ein Gesamtkonzept vorlegen, um Anreize für einen
barrierefreien Zugang oder die barrierefreie Ausstattung von Praxen und Kliniken zu gewährleisten.
Zwar steht es so – wie vieles andere auch – im ersten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vom 15. Juni 2011. Geschehen ist aber wenig bis nichts.
CDU/CSU und FDP haben bei der Umsetzung der Rechte aus der UN-Behindertenrechtskonvention,
haben bei der Herstellung eines inklusiven Gesundheits- und Pflegewesens versagt.
So rückt beispielsweise das Ziel, in den nächsten zehn Jahren eine ausreichende Zahl an Arztpraxen
barrierefrei zugänglich zu machen, in weite Ferne. Das ist schlimm, denn der Handlungsbedarf liegt auf
der Hand – allein in Berlin sind rund 80 Prozent der Arztpraxen nicht barrierefrei. Für Menschen mit
Behinderung ist dadurch das Recht auf freie Arzt- bzw. Ärztinnenwahl erheblich eingeschränkt. Als
Gesundheitspolitikerin setze ich mich für das Recht auf eine bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung
für jede und jeden ein. Nur ein auf dem Gedanken der Solidarität und Beitragsparität organisiertes
Gesundheitswesen ist im Interesse von chronisch kranken, älteren, behinderten und pflegebedürftigen
Menschen.
Es existieren Barrieren in vielfacher Hinsicht. Diese sind multidimensional und existieren in
struktureller, mentaler und kommunikativer Art. Zu den strukturellen Barrieren des deutschen
Gesundheitssystems gehören neben nicht barrierefreien Arztpraxen und nicht behindertengerechten
Praxisausstattungen die ungenügende Assistenz in der stationären Versorgung oder nicht ausreichende
Ausbildungscurricula in den Gesundheits- und Pflegeberufen. Von höchster Bedeutung ist auch die
mangelnde Kommunikation zwischen Arzt und Patient, zwischen Ärztin und Patientin: Die einen können
sich häufig nicht ausreichend ausdrücken, die anderen haben nicht gelernt, dass Krankheit und
Behinderung zwei verschiedene, oftmals aber mit Wechselwirkungen versehene Aspekte sind. An eine
Anamnese werden vielfache Herausforderungen gestellt, zu denen es besonderer Kompetenzen bedarf.
Völlig unverständlich ist mir, warum nicht von Anfang das Motto „Nichts ohne uns über uns“
umgesetzt wurde, warum die Vertretungen von Menschen mit Behinderung so wenig in den Prozess der
Erarbeitung des Gesamtkonzepts eingebunden sind. Dann wäre mit Sicherheit mehr geschehen, und wir
wären bei einer inklusiven Gesellschaft, einem inklusiven Gesundheits- und Pflegewesen sicherlich ein
Stück weiter.
Für mich, für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bleibt die grundlegende
Herausforderung, für ein grundsätzliches gesellschaftliches und persönliches Umdenken im
Gesundheitswesen zu sorgen. Unser Ziel ist es, alle medizinischen und pflegerischen Angebote aus Sicht
der Patientenperspektive zu planen und vor Ort anzubieten.
Wir werden den heute vorgelegten Antrag im Ausschuss für Gesundheit weiter beraten. Ich prophezeie,
dass Schwarz-Gelb bis zum Ablauf dieser Legislaturperiode aber keine wesentlichen Verbesserungen für
die Gesundheitsversorgung der Menschen mit Behinderung umsetzen wird. Nach der gewonnenen
Bundestagswahl werden wir, wird Rot-Grün dieses Thema mit Verve anpacken und zu mehr Teilhabe, zu
mehr Selbstbestimmung führen.
Gabriele Molitor (FDP):
Menschen mit Behinderung haben ebenso wie Menschen mit psychischen Erkrankungen das Recht auf
gute Gesundheit. Ein diskriminierungsfreier Zugang zu einer guten gesundheitlichen Versorgung leitet
sich für uns schon aus dem Grundgesetz ab und nicht erst durch die UN-Behindertenrechtskonvention.
Mit der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung haben wir uns in dieser
Legislaturperiode intensiv beschäftigt. Unser Ziel ist eine optimale gesundheitliche Versorgung von
Menschen mit Behinderung. Das schließt Früherkennung und Präventionsmaßnahmen ebenso ein wie
Leistungen, die eine Behinderung abwenden oder kompensieren.
Wir haben in dieser Legislatur eine deutliche Verbesserung in der zahnärztlichen Versorgung von
Menschen mit Behinderung erzielt. Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen sind
häufiger von Zahn- und Zahnfleischerkrankungen betroffen, da sowohl die Mundhygiene als auch die
Behandlung eingeschränkt ist. Ich freue mich daher, dass wir im Versorgungsstrukturgesetz, das die
FDP-Bundestagsfraktion gemeinsam mit dem Koalitionspartner im Bundestag verabschiedet hat, die
Vergütung der Zahnärzte angemessen gestaltet haben. So wird dem erhöhten per-sonellen,
instrumentellen und zeitlichen Aufwand Rechnung getragen. Zahnärzte können bettlägerige oder
schwerbehinderte Menschen nun in der Pflegeeinrichtung aufsuchen und vor Ort behandeln.
Mit dem Versorgungsstrukturgesetz haben wir zudem dafür gesorgt, dass auch zukünftig alle Menschen
eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung wohnortnah erhalten.
Auch für Menschen mit Assistenzpflegebedarf haben wir Verbesserungen erreicht. Durch unsere Politik
können Menschen mit Pflegebedarf ihre privat beschäftigte Pflegekraft nicht mehr nur ins Krankenhaus
mitnehmen, sondern zusätzlich auch in stationäre Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen. Für die
gesamte Dauer ihres Aufenthalts erhalten die Betroffenen nun weiterhin das Pflegegeld und die Hilfe zur
Pflege von der Sozialhilfe.
Auch die Barrierefreiheit spielt in der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung eine
wichtige Rolle. Menschen, die auf Rollstühle oder Rollatoren angewiesen sind, muss der Zugang zu
Arztpraxen, Apotheken oder Physiotherapieräumen erleichtert werden. Im besten Fall haben Praxen
Behindertenparkplätze am Haus, eine Busstation in der Nähe, eine Rampe, elektrische Türöffner auf
Hüfthöhe, höhenverstellbare Behandlungsliegen sowie -stühle und einen Fahrstuhl mit Blindenschrift auf
den Tasten. Leider haben immer noch einige Arztpraxen und Krankenhäuser erhebliche Defizite in der
Barrierefreiheit, während andere schon viel weiter sind. Deshalb fördern wir das Projekt „Barrierefreie
Praxis“, das in die Arzt-Auskunft der Stiftung Gesundheit integriert ist. Damit können sich Patienten über
den Grad der Bar-rierefreiheit bzw. Barrierearmut von Arztpraxen in ganz Deutschland informieren.
In einer alternden Gesellschaft spielt auch die Versorgung von Menschen mit Demenz eine große Rolle,
da diese eine umfangreiche Unterstützung benötigen. Deshalb haben wir mit dem PflegeNeuausrichtungs-Gesetz die Leistungen für demenziell Erkrankte in der ambulanten Versorgung erhöht.
Auch die Ausweitung der Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen
ist ein Erfolg. Die erwachsenen Töchter pflegebedürftiger Menschen sind mit 23 Prozent die größte
Gruppe pflegender Angehöriger: Ihnen Spielräume und weitere Unterstützungsmöglichkeiten anzubieten,
war uns ein wichtiges Anliegen.
Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt. Darum beneiden uns viele Länder. Doch
darauf können und wollen wir uns nicht ausruhen, sondern wir wollen unser Gesundheitssystem noch
effizienter und bedarfsgerechter gestalten, gerade auch für Menschen mit Behinderung.
Jedoch sind nicht alle Fragen rund um die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung eine
Aufgabe des Gesetzgebers. So kann es beispielsweise nicht sein, dass Rehabilitationsträger Leistungen
verwehren, da sie sich nicht einig sind, wer die Kosten trägt. Meist sind die gesetzlichen
Rahmenbedingungen schon längst geschaffen, sodass wir auch von den Parteien der Selbstverwaltung
erwarten, dass sie die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung im Blick behalten.
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
Was nützt die beste Gesundheitsversorgung, wenn man sie nicht erreichen kann? Gar nichts. Die Linke
hat die Bundesregierung in einer Großen Anfrage nach ihren Kenntnissen bezüglich der barrierefreien
Gestaltung von Praxisräumen und Kliniken gefragt. Es folgte eine der häufigsten Antworten auf Fragen
zum Gesundheitswesen – nämlich dass der Bundesregierung dazu keine Erkenntnisse vorlägen. Gerne
wird auf die Verantwortung der Länder verwiesen, als ob der Bund keine Verantwortung für eine
ausreichende -gesundheitliche Versorgung der Menschen mit Behinderung tragen würde. Das gleiche
Ergebnis bei unseren Fragen zur zahnärztlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung. Menschen
mit Behinderung spielen in der bisherigen Bedarfsplanung, in der Prävention, letztlich in der gesamten
Gesundheitspolitik keine oder nur eine marginale Rolle. Statt-dessen vollmundige Ankündigungen im
Nationalen -Aktionsplan, man würde 2012 gemeinsam mit den Ländern und der Ärzteschaft ein
Gesamtkonzept entwickeln, das dazu beiträgt, einen barrierefreien Zugang oder die barrierefreie
Ausstattung von Praxen und Kliniken zu gewährleisten. Leere Worte, wie so oft.
Die Linke hat auf die Mängel bei der Barrierefreiheit in den entsprechenden Anträgen und Anfragen
hingewiesen und Änderungen gefordert. Den Grünen gebührt der Dank dafür, eine Vielzahl von
Forderungen für eine barrierefreie Gesundheitsversorgung in einem Antrag zu bündeln. Einen großen
Teil der Forderungen können wir unterstützen, einiges hätten wir lieber klarer oder auch schärfer
formuliert. So reicht es nicht aus, bei den Ländern auf eine Stärkung der Barrierefreiheit als
Qualitätskriterium in der Krankenhausplanung hinzuwirken. Die Linke fordert seit geraumer Zeit zur
Beseitigung des Investitionsstaus bei Krankenhäusern 2,5 Milliarden Euro jährlich für zehn Jahre aus
dem Bundeshaushalt. Die Beantragung dieser Gelder kann an einen Beitrag zur barrierefreien
Ausgestaltung der Kliniken geknüpft werden. So hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Wir finden es wie die Grünen richtig, bei Neuzulassungen von Praxissitzen die Verpflichtung zur
Barrierefreiheit festzuschreiben. Hier sind die Barrieren teilweise sogar für Menschen ohne
festgeschriebene Behinderung kaum überwindbar. Wie kann es zum Beispiel sein, dass es orthopädische
Praxen im vierten Stock ohne Aufzug gibt? Natürlich werden viele Praxisinhaber darauf bestehen, dass
sie auch ihre nicht barrierefreie Praxis weiterverkaufen können. Der Aufkauf der Praxen durch die KV
benachteiligt allerdings diejenigen Praxisinhaber, die selbst für einen barrierefreien Zugang gesorgt
haben; denn der Aufkauf von Praxen mindert das Honorarbudget der KVen. Hier müssen schnellstens
Regelungen gefunden werden, bevor weitere Ärztinnen und Ärzte ihre neuen, unzugänglichen Praxen
einrichten, und wir müssen eine Deadline benennen, bis wann alle Praxen barrierefrei sein müssen. Sonst
schleppen wir Praxen mit Barrieren bis ins nächste Jahrtausend.
Es ist auch nicht ausreichend, eine bestimmte Anzahl von barrierefreien Arztsitzen vorzuhalten, wie es
die Bundesregierung fordert. Es kann doch nicht sein, dass Menschen mit Behinderung Einschränkungen
bei der freien Arztwahl haben, faktisch Patientinnen und Patienten zweiter Klasse sind, nur weil
Praxissitze nicht barrierefrei sind. Es mag da Ausnahmen bei bestimmten Behinderungen geben, für die
Praxen nur mit großem Aufwand zugänglich gemacht werden können. Entsprechend sind verbindliche
Mindestkriterien für Praxen, ob für Ärzte oder Heilmittelerbringer, zu benennen. Die Bundesregierung ist
gefordert, jährlich einen Bericht über die Barrierefreiheit in der gesundheitlichen Versorgung und die
Fortschritte vorzulegen, statt leerer Versprechungen. Das Nichtwissen, das ja letztlich aus einem Nichtwissen-Wollen folgt, muss aufhören, und es müssen endlich Taten folgen.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Stellen Sie sich vor, Sie brauchen einen Rollstuhl, um sich dauerhaft damit fortzubewegen, und müssen
plötzlich Ihrer Krankenkasse erklären, warum Sie mit diesem Rollstuhl auch zur Bank, zum Optiker und in
den Buchladen möchten. Denn Ihre Kasse ist der Auffassung, sie sei gesetzlich nur verpflichtet, einen
Rollstuhl zu finanzieren, der medizinisch notwendig ist. Stellen Sie sich vor, Sie liegen nach einem Notfall
im Krankenhaus, und das gesamte Personal ist nicht in der Lage, mit Ihnen zu kommunizieren: Niemand
dort spricht Ihre Sprache, und eine Dolmetscherin ist auch nicht vor Ort. Das ist die Situation von vielen
Gehör-losen in diesem Land. Oder stellen Sie sich vor, Sie sind blind und möchten zum Hausarzt, dürfen
in die Praxis um die Ecke Ihren Blindenführhund aber nicht mitbringen.
Menschen mit Behinderung kennen solche Probleme; sie begegnen ihnen immer wieder. Denn unser
Gesundheitssystem ist nicht für sie gemacht. Wer keine Beeinträchtigung hat, hat vermutlich auch schon
viel Zeit in Wartezimmern verbracht, musste lange auf einen Termin warten oder hatte Probleme, auf
Anhieb die richtige Anlaufstelle zu finden. Wenn wir hier über die gesundheitliche Versorgung von
Menschen mit Behinderung sprechen – und zu den Menschen mit Behinderung zählen auch Menschen mit
chronischen Erkrankungen, psychischen Beeinträchtigungen oder Pflegebedürftigkeit –, dann sprechen
wir über wesentlich gravierendere Probleme.
Ich möchte hier kein Bild des Schreckens zeichnen: Es ist richtig, dass sich immer mehr Akteure im
Gesundheitssystem bemühen, die Bedarfe behinderter Menschen zu berücksichtigen und das System
entsprechend umzugestalten. Es ist aber auch richtig, dass unser Gesundheitssystem viel zu stark an den
Interessen der Kostenträger und Leistungserbringer ausgerichtet ist – auf Kosten einer guten Versorgung
von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Und die verantwortlichen Akteurinnen
und Akteure versichern sich viel zu häufig gegenseitig, dass sie ein inklusives System möchten, ohne viel
dafür zu tun. Das muss sich ändern.
Den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen ist Rechnung zu tragen. Das
geht unzweideutig aus § 2 a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch hervor. Wohlfahrtsverbände und
Verbände behinderter und chronisch kranker Menschen kritisieren seit langem, dass diese Formel
leistungsrechtlich und praktisch kaum Niederschlag findet. Grund sind unter anderem bestehende
Spannungsfelder zwischen dem Fünften und dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch. Sie verursachen
zahlreiche Probleme in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung. Unser Antrag
sieht daher vor, alle Gesetze, -Verordnungen und Verwaltungsvorschriften, die Leistungsansprüche und
die Organisation der Gesundheitsversorgung regeln, auf noch bestehende Widersprüche zum Neunten
Buch Sozialgesetzbuch und zur UN-Behindertenrechtskonvention zu überprüfen und im Sinne behinderter
Menschen zu beseitigen.
Es ist aber nicht allein die Politik gefragt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind gesetzlich dazu
verpflichtet, die ärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Für Menschen mit Behinderung ist
das nicht gewährleistet, wenn Praxen baulich und technisch nicht barrierefrei sind oder die
Kommunikation nicht gelingt. Damit Krankenhäuser entsprechend gestaltet werden, muss das Ziel der
Barrierefreiheit in der Krankenhausplanung der Länder berücksichtigt werden. Wenn es um die Aus-,
Fort- und Weiterbildung in den Gesundheitsberufen geht, kommen unter anderem die Universitäten ins
Spiel. Zu diesen Bereichen haben wir entsprechende Forderungen in unseren Antrag aufgenommen. Denn
auch wenn die Politik nicht alleine gefragt ist, so halte ich es für wirklich notwendig, dass wir politisch
größeren Druck machen.
Ich war selbst ganz überrascht: Im Rahmen einer Veranstaltung meiner Fraktion zur gesundheitlichen
Versorgung von Menschen mit Behinderung waren sich Kassen- und Ärztevertreter in ihrer Forderung an
die Politik erstaunlich einig. Angesichts der teilweise konträren Interessen in der Selbstverwaltung dauere
es mitunter sehr lange, bis die untergesetzliche Ausgestaltung von Vorgaben Gestalt annehme. Hier sei
der Gesetzgeber aufgerufen, für eine Einigung Fristen mit Sanktionsandrohungen vorzugeben, um
Verzögerungstaktiken zu verhindern. Ich finde, auch darüber sollten wir sprechen.
Dass wir konsequenter an einer besseren gesundheitlichen Versorgung behinderter Menschen arbeiten,
gebietet die völkerrechtliche Verpflichtung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ich
freue mich, mit Ihnen in den Ausschussberatungen über unsere Vorschläge zu diskutieren.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Interfraktionell ist die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12712 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine Einwände. Dann ist das so beschlossen.
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