Was von Preußen noch übrig ist Einwirkung preußischer Gedanken und Normen bis ins heutige Recht Als Staat und Rechtsgebilde ist Preußen tot. Aber es interessant zu untersuchen, wo der Geist von Preußen noch lebendig ist. In der Gesellschaft ist Preußen an sich noch ein lebendiger Begriff. Der rege Andrang bei den Feiern im „Preußenjahr 2001“ zeigt, dass das Interesse an Preußen ungebrochen ist. Preußen war ein starker Staat – ja „Preußen“ war geradezu ein Symbol, ein Synonym für den starken Staat. Das Faszinierende an Preußen ist seine Vielschichtigkeit: Von einigen wird Preußen abgrundtief gehasst, von anderen geliebt. Es liegt wohl daran, dass „Schicksal und Schuld, Glanz und Versagen, helles Licht und Schatten“1[1] in der Geschichte dieses Staates so nahe beianderliegen, wie wohl sonst nirgendwo in der Geschichte. Auch die „preußischen Tugenden“ sind noch heute bekannt: - Selbstlosigkeit; - Geltung durch Leistung; - Bescheidenheit;2[2] - gute Disziplin; - Zucht und Ordnung; - Sparsamkeit;3[3] - gute Organisation; - hervorragende Bürokratie und Beamtenwesen.4[4] Interessanterweise werden heute diese Eigenschaften den Deutschen allgemein zugeschrieben. Gerade im Ausland wurde lange Zeit Preußentum mit Deutschtum gleichgestellt. Aber auch andere, negative Seiten, wie - Militarismus; - blinder Gehorsam; - nach oben schmeicheln und dienen, nach unten unterdrücken 1[1] H.-J. Schoeps: „Preußen: Geschichte eines Staates“, S. 301. 2[2] a.a.O. S. 298. 3[3] Friedrich der Große: „Das politische Testament von 1752“, Nachdruck 1987, Nachwort von Eckhard Most.. S.150. 4[4] Salmonowicz: „Preußen...“ werden als die Ursache allen Übels angesehen, der das unheilvolle Ende preußisch-deutscher Geschichte schon in den Anfängen vorgegeben zu scheint.5[5] Diese Aussagen werden auch im Ausland pauschalisiert. Dies zeigte sich eindrücklich noch am 25. Februar 1947 als die Alliierten Preußen „auflösten“, da Preußen angeblich seit „jeher der Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland“6[6] war. Diese politische Leichenschändung7[7] zeigte nur die Unwissenheit und auch die Angst des Auslands über Preußen. Zudem hätte es eines solchen Auflösungsbeschlusses nicht mehr bedurft. Preußen war im Grunde genommen schon zweimal gestorben: 1871 verlor es seine Eigenständigkeit als Staat, als es ins Deutsche Reich einging, übrig blieb nur ein Bundesstaat. Am 20. Juli 1932 wurde der Bundesstaat Preußen der Weimarer Republik durch einen Staatstreich („Preußenschlag“) noch einmal liquidiert. 8[8] Anscheinend wollten die Alliierten einen deklaratorischen Akt als definitives Ende des deutschen Militarismus setzen. Wenn man das Phänomen Preußen wissenschaftlich betrachtet, darf man dabei nicht der Versuchung erlegen, alle oben genannten Eigenschaften – wie z.B. den Militarismus - als typisch preußisch zu betrachten. Solche Eigenschaften treten bei jedem Volk zu allen Zeiten auf. So sind die Tugenden und Untugenden auch nur im Gesamtzusammenhang der Geschichte zu untersuchen. Der Grund, die Idee und die Umsetzung der Ziele, wie sie sich in Politik und Recht manifestiert haben sind dabei zu analysieren. Preußisches Staatsrecht. Zunächst ist es zu untersuchen, ob es „preußisches Staatsrecht“ gibt, die seinen eigenständigen Charakter hat und sich von anderen Staatsrechtsvorstellungen unterscheidet. Falls es solch ein Staatsrecht gibt, ist zu analysieren, wie diese Staatsrechtsvorstellungen entstanden sind und wie sie sich in der Praxis und/ oder Gesetzen manifestiert haben. I) Analyse und rechtsgeschichtliche Herleitung preußischen Staatsrechts. Seitdem man von Preußen als einen Staat sprechen kann9[9] spielte der Herrscher eine überragende Rolle. 5[5] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen...“ S.77. 6[6]H.-J. Schoeps: „Preußen: Geschichte eines Staates“, S.668. 7[7] Friedrich Ebel: „Rechtsgeschichte. Ein Lehrbuch.“ Bd. II. Neuzeit, S. 202. 8[8] Friedrich Ebel: „Rechtsgeschichte. Ein Lehrbuch.“ Bd. II. Neuzeit, S. 202. 9[9] Richard Dietrich(Hrsg.): „Preußen...“ S.50. Im Vertrag von Labiau vom 10.11.1656 wurde der Kurfürst als „höchste, unabhängige und eigenmächtige Regenten von Preußen und Diese Staatspraxis war sehr stark von der damaligen Staatstheorie geprägt. Schon Machiavelli propagierte den Absolutismus.10[10] Thomas Hobbes war aber der bedeutendste und wirksamste geistige Schöpfer des absoluten Staates.11[11] Weiter ausgefeilt hatte Jean Bodin den Souveränitätsbegriff. Er definierte die Souveränität des Monarchen als eine „höchste Gewalt über Bürger und Untertanen, losgelöst von den Gesetzen.“12[12] Bedeutende Staatsmänner des 17. Jahrhunderts setzten diese Theorie in die Praxis um. In Preußen war so zum Ende des 17.Jahrhunderts das geistige Bild eines absoluten, monarchischen Staates entstanden, in dem sich Elemente des Luthertums und der Aufklärung verbanden. Dies war auch das Werk Pufendorffs (16321694) und seiner Naturrechtslehre.13[13] Während der Zeit des Großen Kurfürsten (reg.1640-1688) kann man die Regierungsform in Preußen schon durchaus als Absolutismus definieren. Aber insbesondere Friedrich I (reg.1688-1713) lebte den Absolutismus. Er krönte sich selbst zum Herrscher als „König in Preußen“ und führte einen feudalen Hofstaat ein. Aber er auch führte eine zentralistische Herrschaft ein, um so die zerstückelten Teile von Preußen zu einen. Dies war auch dringend notwendig, da die Gebiete Mecklenburg, Mark und Cleve, Brandenburg und Preußen weit auseinanderlagen und einen starken zentralen Herrscher brauchten.14[14] Sein Sohn Friedrich Wilhelm I (reg.1713-1740) war ganz dem Gottesgnadentum und patrimonalen Staatsaufassung verbunden, der in einem bedingungslosen Herrschaftsanspruch mündete. 15[15] Der König sorgte dafür, dass das Volk religiös ausgebildet wurde Auch in der weiteren Bildung schuf er das Fundament für eine breite Schulausbildung der Massen. Über 2000 Schulen ließ der König bauen und ließ zumindest in der Theorie die allgemeine Schulpflicht einführen.16[16] Aber er herrschte nicht nur, sondern regierte und griff steuernd, lenkend und reformierend in den Staat ein. Emsland“ anerkannt. Der Friede von Oliva 1660 bestätigte diese Abmachung zwischen Preußen und Schweden. Seitdem kann man von Preußen als echten Staat und nicht nur von einer losen Sammlung von Gebieten sprechen. 10[10] Niccoló Machiavelli: “Il Principe”, Nachdruck in Deutsch, Stuttgart. 1986. Machiavelli hat dabei aber ausgerechnet den unehelichen Sohn von Papst Alexander IV Cesaré Borgia als Beispiel genommen, der als skrupelloser Feldherr andere Gebiete eroberte, ausplünderte und über die Bevölkerung wie ein Despot regierte. Insofern erntete seine staatsphilosophische Abhandlung zunächst starke Ablehnung. 11[11] Thomas Hobbes: „Leviathan“. 1651. 12[12] Jean Bodin: « Les six livres de la République ». 1576. 13[13] Forsthoff: „ Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit “ S. 53. 14[14] Willoweit: “Deutsche Verfassungsgeschichte”. S.161. 15[15] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen..“, S.82ff. 16[16] H.-J. Schoeps: “Preußen. Geschichte eines Staates.” S.47 und 55. Er sah seine patriachale Aufgabe, wirklicher fürsorglicher Landesvater zu sein, der auch nachsieht, ob und wie der Bauer sich nährt und ob eine Kammer auch wirklich zur Ausführung bringt, was ihr zum Besten des gemeinen Mannes befohlen ist.17[17] So vermengte sich das Gottesgnadentum mit der herrschaftlichen Fürsorglichkeit, die aber in der Innenpolitik auch in Pedantentum und Überprüfungswahn ausarten konnte. Um aber als ernstzunehmender Herrscher auch im Ausland anerkannt zu werden, musste der Staat stark sein. Die Stärke nach außen wurde durch eine hinreichende militärische Macht repräsentiert und durch genügend Geld zum Einsatz dieser Macht.18[18] Also wurde das Heer ausgebaut. Dies war angesichts der geringen Bevölkerungsdichte ein großes Problem. Außerdem waren die Zwangsrekrutierungen beim Volk sehr unbeliebt.19[19] Ein weiteres Problem war die Finanzierung eines großen Heeres. Dafür mußten die Staatsfinanzen drastisch erhöht werden. Aber der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I hat nicht einfach die Steuern erhöht, sondern tiefgreifende wirtschaftliche Reformen eingeleitet. Wenn auch die militärische Rüstung den unmittelbaren Anlaß und ständiger Antrieb der inneren Reformen bildeten, so beruhte seiner Meinung nach die Macht eines Staates nicht nur in der kriegerischen Potenz, sondern ebenso auf der inneren, von einer sittlichen Idee getragenen Ordnung, blühende Wirtschaft und der Wohlfahrt einer möglichst zahlreichen Bevölkerung, die er für den größten Reichtum betrachtete.20[20] Um seine Ziele zu erfüllen, brachte er Volk und Staat die bürgerlichen Tugenden der Sparsamkeit, Arbeitsamkeit, Pflichterfüllung, Pünktlichkeit und Gehorsam gegen Gott und die Obrigkeit bei.21[21] Diese Tugenden impfte er auch dem neu aufgebauten Beamtenwesen ein und reformierte das Verwaltungssystem. Folgenreicher als die Organisation war der Geist, den Friedrich Wilhelm I den Institutionen beizubringen verstand, und der erst jenen typischen preußischen Beamtentypus geschaffen hat. Gleichzeitig band er durch die Rekrutierung der Adligen zum Beamten diesen an seinen Thron.22[22] Auch die Behördenorganisation wurde reformiert. Es wurde eine einheitliche Oberbehörde für Wirtschaft, Finanzen und Armee, das Generaldirektorium geschaffen, das aus vier Provinzialdepartements zusammengesetzt war, an deren Spitze je ein dirigierender Minister mit drei oder vier geheimen Räten stand. 17[17] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.49. 18[18] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen..“, S.80. 19[19] H.-J. Schoeps: “Preußen. Geschichte eines Staates ” S. 54. 20[20] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen. ..“, S.80f. 21[21] H.-J. Schoeps: “Preußen. Geschichte eines Staates ” S. 47ff. 22[22] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen...“ S.87. Dadurch war die ganze Wirtschaftsverwaltung vereinigt, so dass ein fast moderner Einheitsstaat mit sparsamer Verwaltung und gegenseitiger Kontrolle entstanden war.23[23] Diese „Lehrtätigkeit“ und die Wirtschaftsförderung und Wohltaten für die Bevölkerung war damit aber nur der Reflex und ein Mittel zum Ziel der egoistischen Ziele des Königs. Dies zeigte auch darin, dass die Wirtschaftsabteilung gleichzeitig für die Armee zuständig war. Die Wirtschaft hatte dem Heer also zu dienen. Alles im Staate war auf das Militär ausgerichtet. Alles wurde danach beurteilt, ob es für das Heer dienlich ist. Hier wurde der typische preußische Militarismus geboren. Andererseits muß man Friedrich Wilhelm I zugute halten, dass seine Herrschaft nie in Willkür ausartete, da er der religiösen Überzeugung war, dass er dereinst seinem Herrgott für sein Tun Rechenschaft ablegen müsse.24[24] Aus der Religion resultierte auch seine Gewissheit des göttlichen Auftrags und die daraus resultierende Selbstsicherheit, die keine andere Verantwortlichkeit als die vor Gott und dem eigenen Gewissen anerkannte.25[25] Daher wollte Friedrich Wilhelm seine Macht auch in keinster Weise begrenzen lassen. Schon vom ersten Augenblick ließ er keinen Zweifel daran, dass er ganz alleine regieren würde, und dass er weder Rat noch Räsónement, sondern absoluten Gehorsam erwartete. Dies stand im Widerspruch zu dem Ständedenken und der Adelsvorherrschaft.26[26] Zu diesem politischen Machtverlust der Stände und des Adels, welche nur noch dann etwas galten, wenn sie zu Soldaten oder Offizieren taugten, kam die effektive Eintreibung von Steuern oder die Eintreibung alter Forderungen, die schon längst vergessen waren. Weiterhin umging der König die Landstände, bei der Finanzpolitik. Statt neue Steuern zu erheben, welche der Zustimmung der Stände bedurft hätten, erhöhe er die Zölle und die Akquise, welche nicht der Mitbestimmung der Stände bedurfte.27[27] Der Adel war sehr unzufrieden mit dem absoluten Königtum und empfand den Dienst in der Armee oder als Beamter zunächst keineswegs als Ehre. In den Mittelmarken konnte Friedrich Wilhelm sich mit seiner Steuerpflicht auch nicht durchsetzen28[28]. Aber schon ab 1717 wurde der eingessene Landadel – zum Teil unfreiwillig – in ein neu gegründetes Kadettencorps, das die Bezeichnung „Königliches Batallion“ gesteckt. So wurden die Adligen aller Provinzen an ihre Vasallentreue gemahnt und zu Offizieren des Königs gemacht. Dadurch wurde der Adel auch an den König gebunden und Widersprüche unterdrückt. Friedrich Wilhelm I sah in den Offizieren seine „Herren 23[23] H.-J. Schoeps: “Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.50f. 24[24] H.-J. Schoeps: “Preußen. Geschichte eines Staates.” S. 47ff. Sehr gute Darstellung, wie die Religion, insbesondere der Pietismus der Franckeschen Schule in Halle und der Calvinismus, im 17. und 18. Jahrhundert Preußen geprägt haben. 25[25] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen...“ S.82f. 26[26] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen...“, S.81. 27[27] Willoweit: „Preußen..“ S.162. 28[28] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen...“, S.88f. Brüder und Söhne“. Der Adel war eng an den König gebunden, war dadurch aber von ihm abhängig und keine eigenständige politische Macht mehr. 29[29] Im Gegensatz zu England und Frankreich waren die bürgerlichen Schichten zu schwach ausgebildet um ernsthafte politische Mitspracherecht fordern zu können. So konnte Friedrich Wilhelm I den Absolutismus in Preußen voll entfalten. Er hatte den persönlichen Willen des Königs in den Mittelpunkt von Verfassung und Verwaltung gestellt.30[30] Sein Nachfolger Friedrich II (der Große; reg. 1740-1786) hatte den Adligen als brauchbaren und verlässlichen Offizier kennengelernt. Auf den Schlachtfeldern der Schlesischen Kriege wurde jenes Bündnis zwischen Adel und Königtum geschmiedet und befestigt(s.o), welches fortan den preußischen Staat kennzeichnete.31[31] Zu dieser Zeit hatte die Aufklärung auch in Preußen schon gewirkt. Insbesondere Montesquies Buch: „Vom Geist der Gesetze“ lenkte die politische Welt auf den Rang der Gesetze.32[32] Gleichzeitig erfreute sich das deistische Weltbild, in der die Welt zwar von einem Schöpfer, aber die Schöpfung nach den Naturgesetzen sich entwickelt und bewegt, großer Beliebtheit. Das deistische Weltbild beinhaltet die Gewissheit der totalen Gesetzlichkeit der Welt, also auch der Politik.33[33] Es sollte der Staat und das Recht ebenfalls vergesetzlicht werden. Die Herstellung des Vorrangs der Gesetze schloß damit das Postulat einer verfassungsgemäßen Gliederung des Staates in sich. So kam der Gedanke der Gewaltenteilung auf, nachdem der Staat ein in sich ruhendes und in seinen Gewalten der Ausbalancierung bedürftiges Ganzes sei.34[34] Die Verselbständigung des Staates durch seine – zunächst ideele – Trennung vom Herrscher bildeten den Ausgang der ganzen späteren Verfassungsbewegung. 29[29] H.-J. Schoeps: „Preußen .Geschichte eines Staates.“ S.53ff. 30[30] Forsthoff: „Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit“, S.51. Dieser absoluten Herrscherwillen richtete sich auch gegen die eigene Familie und vor allem gegen seinen Sohn. Gute Schilderung der Flucht des Sohnes vor seinem jähzornigen Vater und spätere Verurteilung des Prinzen und das Todesurteil für dessen Freund Leutnant von Katten: H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.62ff; Friedrich der Große: „Das politische Testament von 1752“, Nachdruck 1987, Nachwort von Eckhard Most.. S.152. 31[31] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen...“, S.91; amüsante Einschätzung des Adels aus der Sicht Friedrich des Großen: Friedrich der Große: „Das politische Testament von 1752“, Nachdruck 1987, Nachwort von Eckhard Most.. S.152. 32[32] Montesquieu: „Vom Geist der Geiste.“ 1748, Nachdruck in deutscher Sprache 1994. 33[33] Forsthoff: „ Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit “, S.53. 34[34] Forsthoff: „ Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit “, S.54. Die Staaten hatten nun eine Gestalt, eine zwingende Gewalt, der sich auch der Souverän nicht entziehen konnte.35[35] Friedrich II stand dem Christentum distanziert gegenüber und sah daher sein Herrscheramt nicht mehr als gottgewollte Obrigkeit, sondern innerhalb des Gesellschaftsvertragsmodells. Die Macht ist für ihn kein Besitztitel dessen gewesen, der sie innehat, sondern ein Amt und ein Amt ist stets an Pflichten gebunden. Die Obrigkeit besitzt daher ihre Rechte zur Erfüllung ihrer Pflichten. Die Macht rechtfertigt sich aus der moralischen Verpflichtung im Dienste des allgemeinen Wohls.36[36] Daher sah sich Friedrich II sich als ersten Diener des Staates.37[37] Hier zeigte sich der aufgeklärte Absolutismus. Aber die Politik Preußens setzt sich nahtlos fort. Friedrich II erfasste die aufgeklärte Gedankenwelt nicht in ihrer Totalität. So hielt er an der überkommenen Ständeordnung und den Vorrechten der Adligen fest und verweigerte die Aufklärung der Volksmassen.38[38] Dies bedeutet aber nicht, dass das Volk keine Vorteile gehabt hätten. Der König wollte auch für das einfache Volk Gerechtigkeit und Recht. Er ließ ein riesiges Gesetzeswerk schaffen, das alle Bereiche des Lebens regeln sollte (das ALR, welches aber erst nach seinem Tode fertiggestellt wurde.)39[39] Weiterhin ließ er durch Coccerji das Prozessrecht reformieren und schuf dadurch eine klare Gerichtsverfassung mit dreifachen Instanzenzug mit einer modernen Prozessordnung und einem wissenschaftlich geschulten Richterstand. Damit wurde die Grundlage für einen Rechtsstaat geschaffen.40[40] Friedrich II war als aufgeklärter Monarch für eine Religions-, Bildungs-, und Gleichheitspolitik.41[41] Der Sinn aller drei Rechte, war der prinzipielle Vorrang des Staates gegenüber allen anderen Institionen. Aber die Toleranzpolitik Friedrich des II war weniger von den Achtungen vor anderen religiösen Überzeugungen 35[35] Friedrich der Große: „Das politische Testament von 1752“, Nachdruck 1987, Nachwort von Eckhard Most. S.164., wobei gut die innere Entstehungeschichte des staatsphilosophischen Werks Friedrichs, des „Antimachiavell“ beschrieben wird. 36[36] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.86f. 37[37] Friedrich der Große: „Das politische Testament von 1752.“, Nachdruck von 1987, Nachwort von Eckhard Most, S.153. 38[38] Dietrichs(Hrsg.): „Preußen...“, S.91. 39[39] Forsthoff: „ Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit “, S59. Der Gedanke, ein umfassendes Gesetzeswerk für alle Untertanen zu schaffen war typisch für Preußen, da der Staat alles regeln und lenken wollten. Aber gleichzeitig hatte dieses Anliegen auch eminent sozial, den so bekam jeder Untertan auch geschriebene Rechte. 40[40] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.85-86 mit einer guten Darstellung der Kodifikationsgeschichte des ALR´s. 41[41] Friedrich der Große: „Das politische Testament von 1752.“, Nachdruck von 1987, Nachwort von Eckhard Most, S.173. geprägt, als von dem Ziel geprägt, sich von den Bindungen an eine Staatsreligion frei zu machen und so die erstrebte Stellung über die Kirchen zu erlangen.42[42] Weiterhin bedurfte er Frieden im Inneren, um seine Außenpolitik der Expansion führen zu können. Daß Preußen unter dem Zwange steht, sich um seiner Selbsterhaltung willen vergrößern zu müssen, hatte er bei aller Humanitätsbegeisterung schon als Kronprinz festgestellt.43[43] Als Beweis, dass er zu mehr tauge als zum „Flötenspieler und Gecken“ wollte er sich auf dem „Theater des Ruhms“ einen Namen machen.44[44] In seinen schlesischen Kriegen kämpfte er oft gegen mehrere Gegner gleichzeitig, überschritt mehrmals völkerrechtswidrig Grenzen und brach skrupellos Bündnisse, wann es ihm gelegen schien. Die Poltik des „Alles oder nichts“, die für ihn die treibende Kraft war und die ihn als „ersten Diener des Staates“ in Erwartung des bitteren Endes zu Selbstmordgedanken trieb, brachte Preußen wirklich bis an den Rand der Katastrophe.45[45] Es ist nur dem Glück und der Friedensliebe der Russen zu verdanken, dass Friedrich II nicht den siebenjährigen Krieg verheerend verloren hatte.46[46] In dieser Zeit wurde auch die gegenseitige Abhängigkeit von König und Volk (s.o.) sehr gefestigt. Das Volk war so sehr im Pflichtbewusstsein, dass es eher mit dem König untergegangen wäre, als sich gegen ihn zu erheben. Das preußische unbedingte Pflichtbewusstsein hat hier ihre Wurzel. Dieses Pflichtbewusstsein stand aber nicht losgelöst, sondern war nur mit dem Aufkommen eines neuen Gefühls, einer neuen Idee: dem preußischen Nationalstaat zu verstehen. Friedrich II sah Preußen nicht mehr als Ansammlung von Gebieten, sondern die lebendige Gemeinschaft seiner Bewohner. Dies hat er dem Volk auch zu fühlen gegeben. Die preußische Monarchie hat zwar durch das adlige Offizierskorps den Gutsadel an sich gebunden und später durch die Einbindung aller Stände in die Armee auch den Rest des Volkes und damit eine über das Provinzialbewusstsein hinausgehende Staatsgesinnung und Staatsnation geschaffen. Aber Preußen war auf Institutionen gegründet: Königtum, Offizierskorps und Bürokratie. 47[47] 42[42] Forsthoff: „ Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit “, S? ; 43[43] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.64. 44[44] a.a.O. S.64. Dieser Selbstbeweisungsdrang kam wahrscheinlich wegen der herablassenden Erziehung seines Vaters, der in ihm nur einen Taugenichts sah. 45[45] Dieser Krieg bis zum letzten und die Opferung des Staates und des Heeres für seine Ziele wurde oft interpretiert. Während die Nationalsozialisten ihn einer nie gekannten nationalen Heldenverehrung mit dem Mythos des Durchhaltekrieges verbanden und eine Linie zwischen Friedrich und Hitler ziehen wollten, so wurde Friedrich II von ausländischen Historikern nach dem Zweiten Weltkrieg oft als „Imperialist und Militarist“ bezeichnet. Beide Betrachtungen sind zu kurzsichtig: H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.100. mwN. 46[46] Friedrich der Große: „Das politische Testament von 1752.“, Nachdruck von 1987, Nachwort von Eckhard Most, S.155-161. 47[47] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.93f. Diese einten zunächst Preußen, welches als Ansammlung von Gebieten und verschieden Regionen und Bewohnern kein Staatsvolk hatte. Erst durch das gemeinsame kämpfen in den Schlesischen Kriegen, wobei es auch um das Bestehen Preußens ging, fühlten die Bewohner sich als „Preußen.“48[48] Diese Entwicklung war wichtig, um später einen Verfassungsstaat erbauen zu können. Dieser kam aber nicht plötzlich, sondern entwickelte sich erst langsam. Ein schwerer Rückschlag in der Verfassungsentwicklung waren die Kriege bis zum Frieden von Tilsit, die Preußen beinahe vernichteten.49[49] Diese Lage kurz vor dem Staatszusammenbruch führte aber auch dazu, die Ursachen der Katastrophe von 1806 zu untersuchen. Um wieder lebensfähig zu sein mußte der Staat reformiert werden. Dass diese Reformen dann nicht nur angegangen, sondern sogar verwirklicht wurden ist der große Verdienst des Herrn Hardenberg und des Herrn von und zum Stein. Ihre Reformen waren der Versuch, die Staatskrise durch Übergang von totalitärer Bevormundung zu liberalen Denken zu meistern, die Identifikation der Bevölkerung mit dem Staat zu stärken und so bisher schlummernde geistige und ökonomische Ressourcen zu erschließen.50[50] Herr Freiherr von Stein zeichnete sich dafür verantwortlich, dass die Frondienste und die ständischen Schranken beseitigt wurden. Er wollte die Stände nicht abschaffen, wohl aber den unteren Schichten gegen die Unterdrückung der Adligen beschützen. Er wollte einen freien Bauernstand ohne Frondienste, ohne Erbuntertänigkeit, mit der Freiheit des Gesindels und des Rechts des Abzugs von der Scholle schaffen.51[51] So wurde Preußen in kürzester Zeit vom Synonym für Unterdrückung, Bevormundung und totaler Pflichterfüllung gegenüber dem Staat – seit dem Soldatenkönig prägendes Bild Preußens - zu einem der fortschrittlichsten deutschen Länder. Freiherr von Stein erneuerte auch das Beamtenwesen, wodurch es zum Wandel vom Fürstendienst zum Staatsdienst kam. Der Beamte sollte dem Gemeinwesen dienen, obwohl er dem König zu Treue verpflichtet war.52[52] 48[48] a.a.O. 49[49] Gute Darstellung dieser Kriege in.: H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.101-113, wobei nicht verschwiegen wird, dass Preußen nur noch nominell souverän war und tatsächlich nur von der Gnade der mächtigen Nachbarn, der Russen und der Franzosen abhing. 50[50] Stolleis: „Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland.“, Bd.II, S.60. 51[51] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.120. Gute Darstellung der Bauernbefreiung und der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen. 52[52] Willoweit:“ Deutsche Verfassungsgeschichte“, S.213. So setzte sich die Idee Friedrichs II fort. Wenn der König der erste Diener des Staates dar, dann mussten es auch die Beamten sein. Die Beamten waren zwar noch an den König gebunden, aber das Staats- und Gemeinwohl war zumindest auch Ziel des Dienstes. Die Justizreform, die Gewerbereform und die Finanzreform fiel in den Bereich des Staatskanzlers Freiherr von Hardenberg..53[53] Es wurden die Vorrechte der Zünfte beseitigt und die Gewerbefreiheit proklamiert. Das Spiel der freien Kräfte sollte den staatlichen Regulator ersetzen.54[54] Statt der bis dahin typischen merkantilistischen Wirtschaftsform wurde der Liberalismus eingeführt. Auch dies brach eigentlich mit der bis dahin „typisch preußischen“ Wirtschaftsform. Aber der freie Warenhandel und die Wirtschaftsfreiheit sollte über die Zeit zu einem preußischen Merkmal werden. Herr Freiherr von Hardenberg erneuerte auch das Heereswesen nach der Devise, jeder Bewohner des Staates ist ein geborener Verteidiger desselben.55[55] Statt eines Söldnerheeres kam es jetzt zu dem sogenannten Krümpersystem, d.h. dem ständigen Wechsel zu kurzfristiger Ausbildung eingezogener Rekruten. Damit schuf er „ein Volk in Waffen“. So identifizierte sich das Volk stärker mit der Armee und empfand es nicht als Fremdkörper. Weiter war wichtig, dass die Bevorzugung des Adels abgeschafft wurde. Jeder hatte dieselben Rechte und Pflichten. Die Offiziersstellen standen nun nicht nur dem Adel zu, sondern jedem mit Tapferkeit, Überblick und Talent.56[56] Diese Reform ist natürlich nur im Kontext mit der historischen Lage zu erklären. Preußen war von den Franzosen besetzt, hatte enorme Reparationen an Frankreich zu zahlen und hing nur von der Gnade seiner Nachbarn ab. In einem solchen Moment konnte es sich Preußen nicht leisten, fähige Talente des Volkes vom Militär und der Heerführung auszusperren. Aus der Not wurden die Gleichheitsrechte selbst ins preußische Militär transportiert. Dies war ein unerhörter Bruch mit der Adelsherrschaft und dem monarchische Prinzip, dass sich auf die dem König gegenüber loyale Armee, geführt von Adligen, stützte. Aber in dieser Zeit waren Gleichheitsrechte für das Volk und Monarchentum kein Gegensatz, weil hier Volk und Monarch dasselbe wollten, nämlich die Befreiung Preußens. Aus der Not wurde Preußen zu einem der fortschrittlichsten deutschen Länder. Das dies aber nicht dem preußischen Naturell entsprach, zeigte sich in der Reaktionszeit. 53[53] Stolleis: „Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland.“, Bd.II, S.60f. 54[54] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.123. 55[55] Stolleis: „Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland.“, Bd.II, S.60f. 56[56] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.127. Die Humboldtsche Bildungsreform mit der nunmehr fest verankerten Schulpflicht, der besseren Lehrerausbildung und der Gründung der Berliner Universität erneuerte die geistigen Kräfte des Staates.57[57] Humboldt wollte in jeder Gattung von Schule allgemeine Bildung, Freiheit und Universalität des Geistes und ein auf die Entwicklung der Selbstständigkeit gerichtetes Erziehungssystem verwirklichen.58[58] Es ist bezeichnend, dass „der preußische Beamten- und Militärstaat in seiner größten Erniedrigung diesen reinen Zweck begreifen konnte“. Auch hier ist die Freiheit des Geistes entstanden, nachdem die staatliche Macht geschwächt war. Es sollten gerade die freien Kräfte des Geistes entwickelt – ja entfesselt werden – um so durch neue Ideen und Möglichkeiten Preußen zu befreien. „Typisch preußisch“ war dies aber nicht, wie sich in der Reaktionszeit wieder zeigen sollte. In diesen Reformen wurden aber die Grundlagen für die späteren Grundfreiheiten der Preußen gelegt. Wichtig war nun, dass auch die allgemeine Entscheidungsfreiheit geduldet wurde – freilich nur, wenn sie Preußen diente. In den Befreiungskriegen entschied sich das Volk aber auch für die Unterstützung der Monarchie und des Staates. Selbst Entscheidungen gegen einen militärischen Befehl wurde erlaubt, wenn dies Preußen nützte.59[59] Gerne erfüllte das Volk die allgemeine Wehrpflicht. Zur Befreiung wurde auch der Landsturm und die Landwehr gegründet. In dieser durften die Soldaten, oftmals Freiwillige aus dem Adel und gebildeten Bürgertum, ihre Offiziere frei wählen. Von den Konservativen wurde diese neue Freiheit angefeindet, da der offene Aufruhr befürchtet wurde. Dieser fand aber nicht statt. Aber der Zweck, dass so ein besonderer Wehrgeist im Volk gebildet wurde, wurde voll erreicht. Der Patriotismus lebte dort voll auf.60[60] Zudem wurde zwischen König und Volk geschlagen.61[61] 57[57] Stolleis: “Geschichte des öffentlichen Rechts” Bd. II, S.60f.. 58[58] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.127. 59[59] Wie der berühmte Übertritt des General von York. Er entschied eigenmächtig, nicht mehr auf französischer Seite gegen die Russen (1812) zu kämpfen, sondern erklärte seine Truppen für neutral. Ein solcher militärischer Ungehorsam war völlig gegen das typische preußische Naturell. Aber hier zeigte sich das erwachende Nationalbewusstsein in Verbindung mit der neuen Handlungsfreiheit.: H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.136ff. 60[60] Forsthoff „Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit.“ S.98ff. 61[61] H.-J. Schoeps: „Preußen. Geschichte eines Staates.“ S.140f. Des weiteren hatte der König sowohl 1810 als auch 1815 den Erlaß einer Verfassung versprochen, die diese Rechte sichern sollte.62[62] Bei dem Verfassungsversprechen von 1810, wurde noch von einer „Repräsentation“ gesprochen worden, dessen „Rat“ der König gerne benutzen werde.63[63] Es ist bezeichnend, dass diese Verfassungszusage so undeutlich formuliert wurde, so dass nicht zu erkennen ist, welche Rechte diese „Repräsentation“ habe sollte. Zudem war noch nicht einmal klar, ob es sich dabei um ein Programm oder ein bindendes Versprechen handelte. Die Intonation, dass wenn überhaupt, dann nur eine Vertretung nach der Art der früheren Landstände gemeint war, ist unüberhörbar. Diese Furcht vor Gewährung von politischen Mitwirkungsrechten des Volkes rührte aus dem monarchischen Prinzip heraus, welches in Preußen seit dem Soldatenkönig unantastbar war. Darauf aufbauend wollte Hardenberg den Übergang zur Repräsentativverfassung vorbereiten und berief eine Notabeln-Versammlung, die als Vorstufe zu einer gewählten Versammlung gedacht war. Die 64 Mitglieder wurden noch von dem König ernannt., bestand nur aus Gutsbesitzern und Städtevertretern. Ihre Rechte waren fest umrissen, aber sehr beschränkt, da sie nur das Recht zur Konsultation in Finanzsachen hatte.64[64] Einerseits ist es recht ernüchternd zu sehen, welche geringen Rechte eine solche Versammlung hatte. Andererseits ist angesichts der Debatten und Streitigkeiten der Stände und Regionenvertreter zu sehen, dass das preußische Volk noch nicht reif für eine Mitbestimmung des Volkes war.65[65] Trotzdem wurde der Weg der Verfassungsgebung fortgesetzt und im April 1812 trat die interimistische Nationalrepräsentation zusammen. Aber auch diese Versammlung hatte nur einen engen Geschäftskreis. Nichtsdestotrotz forderten sie nach der Niederwerfung Frankreichs die Vollendung des Verfassungswerkes und rangen dem König ein weiteres Verfassungsversprechen ab.66[66] Wichtig war in diesem Zusammenhang, dass die konservativen Herrscher des Anti-Napoleon-Bündnisses selbst vorschlugen, dass in Frankreich die Bourbonen wieder den Thron einnehmen sollten, aber auf der Basis der Machtteilung mit dem Volk. Die Errungenschaften der Revolution sollten erhalten bleiben, insbesondere die Freiheits- und Gleichheitsrechte. Der König blieb zwar Inhaber der Exekutivgewalt, musste sich die Legislative mit zwei Volksvertreterkammern teilen. Weiterhin hatte er die Justizhoheit, aber die Richter waren unabhängig. Der Monarch hatte somit die Souveränitätsrechte inne, war aber in ihrer „Ausübung“ an die Verfassung gebunden.67[67] 62[62] D. Grimm: „Deutsche Verfassungsgeschichte. 1766-1866“. S.99-103. 63[63] E.R.Huber: „Deutsche Verfassungsgeschichte“ , Bd. I, (1978), S.296. 64[64] 64[64] E.R.Huber: „Deutsche Verfassungsgeschichte“ , Bd. I, (1978), S.299. 65[65] a.a.O. S.300. 66[66] D. Grimm: „Deutsche Verfassungsgeschichte. 1766-1866“. S.99-103. 67[67] Stolleis: „Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland.“, Bd.II, S.103. Es war klar, dass die deutschen Liberalen dies mit der großen Hoffnung sahen, dass in ihren Ländern solche „konstitutionellen Verfassungen“ auch erlassen werden, wenn doch ihre Herrscher dies für andere Völker selbst wünschen. Das Problem dabei steckte in dem Wort „Konstitution“. Während die einen es als einen Neubeginn des Gesellschaftsvertrages verstanden, mit dem Recht der Kündigung bei Vertragsverletzung seitens des Herrschers, sahen andere, insbesondere die preußischen Könige, es als eine Konzession, die eine aus dem Gottesgnadentum abgeleitete monarchische Gewalt dem Zeitgeist machen musste.68[68] Zudem waren die Herrscher Europas bereit für Frankreich eine fortschrittliche Verfassung zu geben, da sie vermuteten, dass eine allzo restriktive monarchische Herrschaft in dem postrevolutionären Frankreich nur eine weitere Revolution und damit einen weiteren europäischen Flächenbrand bedeutet hätte. Dies heißt aber nicht, dass sie in ihren eigenen Ländern den Bürgern solche Rechte geben wollten, bzw. auf ihre Herrschaftsrechte verzichten wollten. Insbesondere in Preußen war das monarchische Prinzip zu stark. Da auch das Bürgertum zu schwach war, sich gegen den König und den Adel durchzusetzen,69[69] wurden diese Freiheiten nach der Niederwerfung Napoleons und der endgültigen Befreiung Preußens (1815) wieder eingeschränkt. Zwar konnte Hardenberg in Preußen 1820 noch erreichen, dass neue Staatsschulden nur durch eine Mitsprache der Reichsstände erreicht werden können. Aber die Verfassungsfrage war gescheitert.70[70] Von Österreich-Ungarn und Preußen startete die Reaktion ihren Siegeszug.71[71] Das preußische Volk konnte sich nicht nur gegen ihre reaktionären Herrscher durchsetzen, sondern es ließ noch zu, dass Bestrebungen in anderen deutschen Ländern unterdrückt wurden. Die Rückkehr der liberalen Gedanken kam 1830 durch die Juni-Revolution in Frankreich und dem Erlaß der konstitutionellen Verfassung mit Grundrechtsgarantien in Belgien 1831. Dadurch inspiriert sollte der süddeutsche Liberalismus ab 1830 auch in Preußen das bürgerliche Verfassungsrecht wiederbeleben. Sichtbarstes Zeichen einer Aufbruchstimmung der liberalen und nationalen Kräfte war das Hambacher Fest (27. Mai 1832) mit 20000-30000 Teilnehmern. Wegen der enormen Resonanz dieser Veranstaltung in der Öffentlichkeit war – insbesondere für die Konservativen – dieses Fest für Deutschland das, was die JuliRevolution für Frankreich war.72[72] 68[68] a.a.O. S.103. 69[69] Gute Darstellung, wie der Adel sich gegen die Liberalen, insbesondere Hardenberg und seine Verfassungspläne durchgesetzt hat in: E.R.Huber: „Deutsche Verfassungsgeschichte“ , Bd. I, (1978), S.305ff. 70[70] Ausführliche Darstellung der Reaktion in H.-J. Schoeps: “Preußen. Geschichte eines Staates.“, S.171-184. 71[71] E.R.Huber: „Deutsche Verfassungsgeschichte“ , Bd. I, (1978), S.310f. 72[72] H.-U. Wehler: „Deutsche Gesellschaftsgeschichte.“ Bd.2, S.365f. Durch eine Welle von Repressionsmaßnahmen versuchten die Konservativen der Lage Herr zu werden. Dieses gelang Ihnen auch insoweit, als dass eine echte Revolution wie in Frankreich ausblieb und die revolutionären Kräfte zunächst unterdrückt werden konnten. Es fand also zunächst kein Aufstand der Massen statt. 73[73] II) Bewertung der preußischen Staatsrechtstheorie- und Praxis bis 1840. Zusammenfassend lassen sich mehrere typisch preußische Staatsrechtsgrundpfeiler festhalten: 1) Das monarchische Prinzip wurde von dem Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm I in Preußen etabliert. Auch seine Nachfolger regierten als absolute Herrscher. Nur Friedrich III musste einige Zugeständnisse in der Verfassungsfrage machen und erst 1848 gab es eine konstitutionelle Monarchie, gegründet auf eine Verfassung. Das monarchische Prinzip ist nun keine preußische Erfindung, sondern entwickelte sich vor allem in Frankreich unter Ludwig XIV schon im 17. Jahrhundert. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Monarchien (Frankreich 1789, Baden, Württemberg, Bayern in der Zeit 1815-1820) konnte das Königtum in Preußen ohne große Zugeständnisse an das Volk überleben. Dies lag zum einen an den starken Herrschern, die mit viel Energie ihr Land regierten und reformierten (Friedrich Wilhelm I-Friedrich Wilhelm III), zum anderen aber auch am Volk, dass sich so regieren ließ. Andererseits ist zu bemerken, dass die preußischen Herrscher, entgegen vielen Vorurteilen ihr Land fast immer mit dem Ziel einer Verbesserung der Lebensumstände seiner Bewohner regierten. Die preußischen Könige versuchten immer fürsorgliche Landesväter zu sein. Daher hatte das Volk, welches das Ziel selbst in größten Notzeiten erkannt hat, lange auch keinen Grund das monarchische Prinzip anzutasten. 2) Eine weitere Säule des preußischen Staates war das Beamtentum. Dieses diente insbesondere dem Zweck, den der Herrscher ihm vorgab. Damit es seinen Willen aber auch befolgen konnte, musste es reibungslos funktionieren. Daher haben alle preußischen Herrscher darauf geachtet, dass die Verwaltung effizient ist. Als Reflex der Erreichung der königlichen Ziele bekam auch das Volk die Vorteile der Verwaltung, indem die Wirtschaftsverwaltung im Interesse des Volkes und deren angemessenen Versorgung stand. Lange Zeit war das Beamtentum auf den Herrscher ausgerichtet. Erst als der Herrscher sich selbst als ersten Diener des Staates verstand, wurde langsam auch der Beamte ein Staatsdiener. Dies eröffnete den Weg für liberale Ideen. Weiter ist zu bemerken, dass die Beamten zunächst aus dem Adelstand rekrutiert wurden. Dadurch konnte der König den Adel an sich binden. Andererseits war dadurch die Bürokratie den Bürgern fremd. Erst als auch so langsam die Bürger zu den öffentlichen Ämtern zugelassen wurden, wurde die Verwaltung auch volksnah. 73[73] a.a.O.366f. 3) Aber auch dann blieb der Adel die wichtigste Stütze des Monarchen – und damit des Staates. Insbesondere Friedrich II baute die Adelsvorrechte aus und sorgte dafür, dass der Adelsstand wohlversorgt war. Andererseits band er den Adel in seine Bürokratie und Armee ein. So konnte der Monarch die Verwaltung und das Heer kontrollieren und war vor revolutionären Umstürzen sicher. 4) Ein wichtiger Sicherheitsfaktor – nach innen und nach außen – war die Armee. Sie war zeitweise der Inhalt des Staates an sich. Unter Friedrich Wilhelm I und Friedrich II war der ganze Staat auf die Armee ausgerichtet, der Staat lebte für die Armee. Aber Preußen lebte auch durch die Armee. Durch sie konnte sich Preußen außenpolitisch behaupten. Innenpolitisch wurde ihr ein überproportionaler Rang eingeräumt. Diese wichtige Stellung des Heeres zeigte sich auch darin, dass die preußischen Könige fast alle ihre Armee selbst führen wollten und führten. Auch später sollte das Heer eine bedeutende Stellung in Preußen spielen. Der Militarismus war in Preußen fest verwurzelt – im Guten, wie im Schlechten. Wichtig war die Führungsrolle des Adels im Heer. Erst durch die Befreiungskriege ist der Gedanke eine „freien Nationalvolkes“ in Waffen nicht wegzudenken. Der Monarch konnte sich dabei auf das Pflichtbewusstsein und absoluten Gehorsam, selbst bis in die vorhersehbare absolute Niederlage, seiner Soldaten stützen. Dieses Pflichtbewusstsein wurde bald gestärkt durch das Nationalbewusstsein. 5) Anderseits war Preußen auch ganz im ein Zeichen des Ständestaates. Gerade im Osten von Preußen, also östlich der Elbe war das Volk lange in Ständen gegliedert. Aber es rebellierte gegen diese Gesellschaftsform auch nicht. Selbst der harte Frondienst und die Unerdrückung der Bauern – in anderen europäischen Ländern wie Frankreich schon abgeschafft - war in Preußen bis zu den Stein-Hardenbergschen Reformen Normalität. Auch als die Verfassungsdebatte aufkam, dachte das Volk noch in der Ständegesellschaft. 6) Erst mühsam erkämpfte sich das Volk gewisse Freiheitsrechte. Viele davon sind erst durch die französischen Revolutionen – 1789 und 1830 - nach Preußen gelangt. Die Meinungsäußerungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sind z.B. keine typisch preußischen Errungenschaften. Andere Rechte wie die Religionsfreiheit kannte das Volk schon durch Friedrich II. Viele Herrscher, so Friedrich Wilhelm I, und Friedrich Wilhelm II und III waren sehr religiös, aber waren tolerant zu anderen Religionen. Auch die Wirtschaftsfreiheit war in Preußen ein altes Recht. Die Bildungsfreiheit war nicht erst in den Stein-Hardenbergschen Reformen aufgekommen. Auch die allgemeine Schulbildung geht schon auf Friedrich Wilhelm I zurück. 7) Trotz der übermächtigen Vorherrschaft des Königs und des Adels war Preußen schon früh ein Rechtsstaat. Schon Friedrich II versuchte einerseits seine Bürokratie in den Dienst des Volkes zu stellen und versuchte jegliche obrigkeitliche Willkür zu verhindern. Außerdem wurde durch ihn im ALR dem Volk geschriebene Rechte gegeben. Durch die Stein-Hardenbergschen Reformen wurde das Justizwesen verfeinert und die Rechtsstaatlichkeit des Staates fest verankert. Diese sollte nun eine feste Größe in Preußen sein. Auf diesen Grundpfeilern entwickelte sich und stand das preußische Staatsrecht – in Theorie und Praxis – bis 1840. (Autor: Florian Bartels 09/2001) http://fachreporte.tipido.net/preussen1.htm