Wohin geht die Reise?

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Rejoice „Kirchgemeinde im 21. Jahrhundert“
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17. April 2016; Pfr. B. Botschen
Wohin geht die Reise?
Ich kann mir die ganze Einleitung meiner Predigt sparen, denn Marco hat vorher
unsere Situation als landeskirchliche Gemeinde beschrieben. Leicht könnte es
passieren, dass man mutlos wird und das Gefühl entwickelt: „Es geht alles nur
bachab.“ Mir geht es aber zur Zeit genau anders: Seit Monaten habe ich beim Beten
das Gefühl, dass Gott dieses Jahr mit dieser Kirchgemeinde neu ansetzen wird.
1. Schwindende Ressourcen können uns nicht aufhalten
Dieses Gefühl ist eigentlich irritierend, denn ein paar äusserliche Fakten weisen
eigentlich in die genau entgegengesetzte Richtung. Wir merken jetzt nämlich immer
stärker, dass wir einfach nicht mehr für alles Geld haben. Es dauert noch zwei
Monate, dann ist unser Pfarrteam um eine Person weniger. Wir haben beim
Treffpunkt sagen müssen: „Wir können nicht wirklich langfristig 50% jemanden dafür
anstellen. Es liegt einfach nicht drin.“ Unser Kirchgemeindeschreiber ist unter
anderem deshalb gegangen, weil für ihn klar war: Eine 80% - Stelle dafür kann sich
die Kirchgemeinde auf lange Sicht gar nicht leisten.
Ich bin davon überzeugt, dass es für Vernetzung Angestellte braucht. Deshalb haben
wir einen Verein gegründet und das ist eine Erfahrung, die man überall macht: Wenn
keine Kraft da ist, sich nicht nur um den Alltag zu kümmern, sondern auch Akzente
zu setzen, geht es nicht. Wir brauchen eine vernünftige Organisation, wir brauchen
Sozialdiakone und Pfarrer, sonst geht es nicht!
Aber: Entscheidend ist nicht, wieviel Stellenprozente wir haben, sondern, ob wir
unsere Kräfte in das Richtige investieren. Dazu eine Erinnerung aus meiner Jugend:
Ich war ab 20 Jahren neben den Pfarrern für die Konfirmandenarbeit in unserer
Kirchgemeinde zuständig. Mein älterer Bruder hat die Jugendgruppe geleitet, und die
hatte immerhin 30 Mitglieder. Einen Jugendarbeiter hatten wir nicht, und das war
sicher ein Nachteil. Aber der Ressortleiter der Kirchenpflege hat mit meinem Bruder
und mir eine Schulung gemacht. Wir haben uns regelmässig getroffen, die Bibel
besser kennengelernt, sind in unserem persönlichen Glauben gefördert worden.
Dieser Mann hat in zwei Personen investiert. Man könnte schon frage: „Zwei
Personen? Ist das sinnvoll?“ Aber er hat seine Kraft ganz gezielt eingesetzt – und
der Segen in unserer Jugendarbeit hat ihm recht gegeben.
Ich behaupte: Wir haben auch in den nächsten Jahren noch genug Ressourcen.
Wichtig wird aber sein, dass wir unsere Kräfte in das Richtige investieren.
Luxuslösungen z.B., bei denen wir Leute für Sachen bezahlen, die auch andere
machen können, wird es irgendwann nicht mehr geben. Ich bringe euch ein ganz
kleines Beispiel: Wir haben seit Jahresanfang keinen Sigrist mehr bei modernen
Gottesdiensten. Es war natürlich angenehm, immer jemanden da zu haben. Aber wir
fanden: So ist die Arbeitskraft von Philippe nicht optimal genutzt. Es gab dann schon
Probleme. Beim Chilekafi gab es Stress, weil der Schlüssel einmal weg war. Es kann
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sein, dass dann manchmal die Kerze hier vorne noch nicht brennt. Wir haben die
Kerzen beim Christbaum selber angezündet.
Aber wir wollen, dass bezahlte Arbeit dort erfolgt, wo es wichtig ist und verabschieden uns von Luxuslösungen. In Zukunft sind wir darauf angewiesen, dass wir unsere
Ressourcen bewusst einsetzen. Dazu gehört auch der zweite Punkt:
2. Konzentration ist erlaubt
Landeskirche war immer bekannt dafür, dass wir gesagt haben: „Wir sind für alle
Menschen da.“ Tatsächlich ist das unsere grosse Chance als Landeskirche. Wir
können in diese Gesellschaft hineinwirken. Das kann keine Freikirche auf diese Art.
Wir haben viele Kinder, die wir im Religionsunterricht begleiten. Wir haben Kontakte
mit Jugendlichen, mit Tauffamilien, mit Trauerfamilien. Wir reden von Gott und ganz
viele Leute hören es bei der einen oder anderen Gelegenheit.
Aber wir können und dürfen nicht mehr alles machen und jede Chance packen
wollen. Sogar Jesus hatte von Gott einen ganz begrenzten Auftrag. Einmal zog sich
Jesus mit seinen Jüngern nach Syro-Phönizien zurück, ausserhalb des Gebietes von
Israel. Da kam eine Frau und rief: „Erbarme dich meiner. Meine Tochter wird von
einem bösen Geist geplagt.“ Aber Jesus sagt: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen
Schafen des Hauses Israel.“ Jesus sagt: „Das ist mein Auftrag von Gott!“ Er achtet
leidenschaftlich darauf, diesen Auftrag nicht zu überschreiten. Am Schluss hilft er der
Frau dennoch. Aber er weiss: Er würde alles kaputt machen, er würde sich
verzetteln, wenn er seinen Auftrag vergessen würde. (Matth.6,21-28).
In der Kirchenpflege haben wir beschlossen, in den nächsten Monaten viel darüber
zu diskutieren, was wir in den nächsten Jahren eigentlich wollen. Wir wollen nicht
einfach nur verwalten. Wir wollen wissen, worum es uns eigentlich geht. Aber eine
Vision ist kein Wunschkonzert, wenn sie realistisch ist. Sie sagt: Das machen wir,
das machen wir so richtig gut – aber das machen wir nicht mehr. Das gilt übrigens für
jeden von uns: Dass wir wissen, was Gott von uns möchte – und was nicht. Zu
wissen, was unser Auftrag ist – und anderes bewusst weglassen.
Das wird auch für uns als Kirchgemeinde wichtiger werden. Zu lange schon hatte die
Landeskirche das Gefühl, wir müssten alles machen, wir müssten jede Chance
packen und dürften ja nicht mit etwas aufhören! Ich wünsche uns den Mut, klarer zu
sagen, was wir wollen, was wir nicht wollen, wo wir mit Begeisterung etwas starten
und wo wir mutig mit etwas aufhören.
3. Was wichtig sein wird
Ich komme noch einmal auf das zurück, was ich am Anfang gesagt habe: Ich denke,
dass Gott dieses Jahr neu ansetzen wird. Zu wissen, was wir wollen, ist sicher eine
gute Idee.
Wir haben als Kirchgemeinde auch gute Voraussetzungen. Wir haben gute
Mitarbeiter, viele Freiwillige, die bereit sind, mitzumachen. Wir haben eine gut
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arbeitende Kirchenpflege. Wenn ich die Leute sehe, die hier sind, muss ich sagen:
Das Potenzial ist wirklich gross. Gott muss es nur noch zur Entfaltung bringen und
das ist bis jetzt nicht der Fall. Mir sind dabei zwei Punkte wichtig geworden:
Einheit: Die Frage, ob wir in Einheit vorwärts gehen können, wird für uns wichtig sein.
Paulus schreibt: „Ertragt einer den andern in Liebe. Setzt alles daran, dass die
Einheit – wie sie der Heilige Geist schenkt – nicht durch Unfrieden zerstört wird.“
(Eph.4,2-3). Einheit ist schwer. Sie lebt davon, dass wir uns mit unseren
unterschiedlichen Schwerpunkten und Persönlichkeiten akzeptieren – nicht
halbherzig oder zähneknirschend, sondern aus ganzem Herzen. Sie lebt davon, dass
wir uns mit unterschiedlichen Dörfern ernst nehmen. Sie lebt davon, dass wir die
neue Orgel in Weiningen genauso wertschätzen wie die modernen Lieder, die wir in
Geroldswil pflegen. Diese Einheit war in der Geschichte dieser Kirchgemeinde
manchmal schwierig und es wird auch nicht leichter, wenn wir ab Sommer eine
Pfarrperson weniger haben. Ich bitte Euch, für diese Einheit einzustehen. In dem,
was ihr sagt. In eurer Haltung anderen gegenüber. Der Teufel hasst die Einheit.
Denn in ihr liegt eine grosse Kraft. Deshalb wünsche ich mir, dass wir – wie es im
Bibeltext heisst – „alles daransetzen“, diese Einheit zu fördern.
Leidenschaftlich beten: Ich verspreche mir überhaupt nichts von einer Vision an sich.
Eine perfekte Vision leidenschaftslos umgesetzt ist sinnlos. Jedes Konzept lebt von
den Menschen, die es leben. Für mich ist die entscheidende Frage: Darf Gott
unseren Glauben ganz neu herausfordern – oder sind wir damit zufrieden, bis zu
unserem Lebensende unseren Glauben gemütlich vor uns hin zu leben? Sind wir
bereit, dass Gott uns wieder leidenschaftlich machen kann?
Paulus schreibt einmal: „Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im
Geist.“ (Röm.12,11). Eine brave, leidenschaftslose Gemeinde wird in dieser Welt und
in dieser Gesellschaft keine Chance mehr haben. Aber wo eine Gemeinde leidenschaftlich ist, kann sie zu einem Leuchtturm für die Welt werden.
Ich kenne nur einen Weg dazu: Eine betende Gemeinde! Das sagt sich leicht, ist es
aber nicht. Wo kein Gehorsam ist, ist auch kein Gebet. Wo wir mit unserem Herzen
zu fest an anderen Dingen hängen, hat das Gebet kaum Raum. Als Jesus einmal ein
Gleichnis erzählt - es ist das von der bittenden Witwe -, sagt er: „Meint ihr, Gott wird
seine Kinder übersehen und ihnen ihr Recht versagen, wenn sie ihm Tag und Nacht
keine Ruhe lassen?“ (Lk.18,7). Gott macht eine Gemeinde zum Licht. Aber der
einzige Weg dazu ist eine betende Gemeinde. Nein, eigentlich meint Jesus: Der
einzige Weg ist eine leidenschaftlich, Tag und Nacht betende Gemeinde!
Die Voraussetzungen in unserer Gesellschaft sind nicht gerade einfach. Lasst euch
nicht frustrieren, wenn sich viele Menschen von der Kirche abwenden. Es ändert
nichts an ihrer inneren Not und daran, dass Menschen Gott brauchen. Es hilft, wenn
wir wissen, was Gott von uns will, wenn wir ein Ziel vor Augen haben, wenn wir
wissen, wo wir investieren wollen und wo nicht. Aber ob wir ein Leuchtturm für
unsere Umwelt werden, wird sich an diesen zuletzt genannten Punkten entscheiden,
an der Einheit und am leidenschaftlichen Gebet. Darauf setzte ich meine Hoffnung,
nein, nicht nur Hoffnung, sondern Zuversicht! AMEN.
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