Tagebuch seite 3 - Europeana 1914-1918

Werbung
Erinnerungen aus
Krieg und Leben
Eigentum:
Anton Zils, geb. 29. Mai 1896
Zu Minona, Staat Minnesota
Nord Amerika
Transkripiert von Franz Schulz aus sehr klein geschriebener deutschen
Schreibschrift (kein Sütterlin).
© F. Schulz
1
Tagebuch Seite 1
I. Abschnitt: Von August 1914 – Dezember 1914
1.August 1914
Beendigung der Lehre als Buchbinder bei Albert Sigloch, Stuttgart, Blumenstor 36a.
22. August 1914
Eintritt als Kriegsfreiwilliger beim Res. Inf. Reg. 120 Ersatz. Battl. Rekruten Depot II in der
Stöckachschule, Einkleidung daselbst. Ausbildung auf dem Stöckachplatz, Privatquartier bei
Kaufmann, Werastr., später bei Köm.(?) Rat Spemann hohen Geren 5. Beidemale
ausgezeichnete Quartiere und gute Behandlung. Froh erlebte Stunden in Gesellschaft der
Lehrertochter Emma Schmidt, die als wohltätiger Engel mir im Felde auch stets mit Rat und
Tat hilfreich beistand. Gedenken will ich hier auch der Herrschaft, Herr und Frau Spemann,
sowie der Tochter Eleonore, die mit offenen Händen reichlich Wohltaten spendeten.
18. November
Abschied von der Heimat. Abtransport ins Feld. Kühler Abschied von Klara Aller, der
Schwester meines Lernkameraden bei Sigloch. Die Fahrt ging durch das herrliche Rheinland..
Grenzstation Herbestal, durch Luxemburg und Belgien. Bei Böven (?) erstmals die Spuren
des Krieges erkannt, kam mir leichtes Grausen über uns Kriegsfreiwillige. Weiter ging die
Fahrt nach Nordfrankreich bis Be??. Daselbst wurden wir ausgeladen. Durch bitterkalte Nacht
ging der Marsch. Nach 5 Stunden erreichten wir Pys, (Anm.: in der Nähe von Albert,
Nordfrankreich) wo wir in einer Scheune Quartier bezogen. Die ganze Nacht brachten wir vor
Kälte kein Auge zu. Die ersten Entbehrungen ließen uns erkennen, wie grausam doch der
Krieg ist, auch aber auch wie stark wir sein mussten, um durch diese Strapazen und unsere
Heimat zu schützen.. Mit argwöhnischen Augen wurden wir von der Zivilbevölkerung
gemustert und mancher Blick des Hasses traf uns tief ins Herz.
Tagebuch Seite 2
Er sollte uns aber auch vor Augen führen, wie groß die Feindschaft sein müsste; und wie stark
wir noch werden mussten; um unsere Aufgabe richtig zu erfassen.
Unser täglicher Dienst waren Feldübungen, Feldwachen an den Ortsausgängen und
Kleiderreinigen. Das Wetter war miserabel. Das erste Mal auf Feldwache gab es
Festtagsbraten: Der Hund des Nachbars musste das Fleisch liefern. Aber es schmeckte
ausgezeichnet. Von der Front her kamen auch einige verirrte Granaten in unsere Nähe, die uns
© F. Schulz
2
aber weiter nicht störten. Auch beobachteten wir eines Nachts von unserem Posten aus
Lichtsignale vom Kirchturm her, nach einigen Tagen erfuhren wir, dass der katholische
Pfarrer festgenommen wurde und erschossen sein soll. Diese letzten Wochen galten auch dem
letzten Schliff für unser künftiges Frontsoldatenleben. Entbehrungen, Härte und Ausdauer
sind notwendig für die kommenden Kämpfe. So nahte das erste Kriegsweihnachten. In der
Abenddämmerung des 24. Dezember traten wir an. Der Marsch an die Front ging über Be-sur
und Courselette nach La-Boiselle. Der Abend war ruhig. Immer näher kamen wir an die
Front. Schon konnten wir die Leuchtkugeln von Freund und Feind unterscheiden. Rauchen
durften wir nicht mehr. Einzelne Gewehrschüsse waren zu hören. Die ersten Gräben tauchten
auf. Am Ortseingang von La-Boiselle war ein Unterstand als Verbandsplatz bezeichnet. Wir
machten halt und wurden nun in die verschiedenen Kompanien verteilt. Ich kam zur 12.
Kompanie. Ein Laufgraben links der Straße brachte uns in den Kampfbereich derselben. Wir
wurden von den alten Frontkämpfern gut empfangen. Ich wurde der K?lschaft des
Unteroffiziers Götz zugeteilt. Es sah da vorn anscheinend nicht gut aus, den die Worte des
Unteroffiziers
Tagebuch Seite 3
„Gott sei Dank, dass ihr kommt“ ließ vieles ahnen. In meinem kleinen Unterstand für 4
Personenlegte ich meinen Tornister ab. Der Krieg förderte gute Kameradschaft. Es war die
Heilige Nacht. Zur Zeit der Postenablösung frug der Unteroffizier, wer von uns freiwilligen
zuerst mit auf Posten wolle. Ich meldete mich, und so ging ich mit dem Unteroffizier und
noch 2 Mann durch lange Laufgräben an ein vorgeschobenes Grabenstück, um hier auf
Feldwache Posten zu stehen. Wir sprachen leise miteinander. Ich bekam, nachdem ich über
unsere Lage und die Lage des Feindes unterrichtet war, schon etwas Mut. Die Gedanken an
Weihnachten und die Heimat wurde ich nicht los. Plötzlich ein leises Geräusch. Das musste
eine feindliche Patrouille sein. Vor uns bewegten sich einige Schatten. Der Unteroffizier gab
leise den Befehl. Wenn ich los sage, wird geschossen in die Richtung, wo die Schatten waren.
Vor uns bewegten sich die Schatten. „los“ Schon krachten 4 Gewehrschüsse durch die Stille
der Nacht. Alles blieb still. Hatten wir getroffen? Vielleicht der erste Mord in der Heiligen
Nacht? Das waren meine Gedanken. Nach 2 Stunden wurden wir von anderen Kameraden
abgelöst. Wir legten uns in unserem Unterstand nieder, summten leise ein Weihnachtslied und
schliefen selig ein. Friede den Menschen auf Erden. Der Weihnachtsmorgen fing an zu
grauen. Welch schauriges Erwachen, als ich bei Tag zum ersten Mal alle Verwüstung des
Krieges erkannte und mich damit abfinden musste, auch unseren Teil dazu beitragen zu
© F. Schulz
3
sollen. Doch dieser Tag, 25. Dezember, er sollte mir meine Feuertaufe, meine Bewährung
bringen, schrecklicher es keine Phantasie erträumen könnte. Der Vormittag verlief ruhig.
Meine Kameraden beschäftigten sich mit den Grüßen aus der Heimat. Auch ich hoffte in
dieser
Tagebuch Seite 4
trostlosen Einsamkeit auf ein paar liebende Worte, aber vergebens. Das Gewehr in der Hand,
den kalten Blick, dem Feinde zugewandt, überkam mich ein Gefühl des Verzagens und des
Vergessenseins. Am Nachmittag kam der Befehl zur Ablösung der 5.ten Kompanie die in
vorderster Stellung am Westrand von La Boiselle, etwa 40m vom Feinde lag. Ein einzelner
Hof, zur Hälfte zusammengeschossen. Der Granatenhof(?) von La Boiselle gemeut(?), war
vom Feinde festungsartig ausgebaut, immer für die unseren unbequem. Unsere Stellung war
ein Schützengraben mit Schutzschilden und Unterständen, die mit Baumstämmen belegt, mit
Erde aufgeschüttet waren. Diese Stellung sollten wir beziehen und die 5. Kompanie in unsere
zurückgehen. Um 3 Uhr machten wir uns marschbereit, verließen unsern Laufgraben am
Hohberg, und kamen in den Graben der durch das zerschossene Dorf dort in die Stellung
führte. Verschiedene Stellen konnten vom Franzosen eingesehen werden. War es
Unvorsichtigkeit oder Unerfahrenheit, jedenfalls hat uns der Franzose gesehen. Schon kam
die erste Granate. Aber auch die erste Furcht bei uns jungen Kriegern vermissten. Die Alten
gingen in Deckung oder suchten einen noch guten Keller auf während wir noch hilflos diesem
immer mehr sich steigerndem Granatenhagel schutzlos und ohne Kenntnis gegenüberstanden.
Ich war plötzlich allein, sah nichts mehr als Staub und Wolken und herabfallende Steine und
Erdbrocken. Vor mir türmen sich noch die stehende Mauerwand der Kirche, hinter die ich
mich verkroch und wartete und wartete. Die Gedanken überstürzten sich, ich glaubte nicht
mehr, aus dieser Hölle heraus zu kommen. Immer wieder sausten Steine und Erde auf mich
herab. Die Lage wurde immer unhaltbarer. Langsam kehrte in mir die Überlegung zurück. Ich
musste etwas tun. So schüttelte ich Erde und Staub von mir, richtete mich auf, aber oh weh!
Der Laufgraben war eben zerschossen. Ich machte trotzdem den Versuch,
vorwärtszukommen, die ersten Kugeln der Franzosen pfiffen an mir vorbei. Ich hatte die
Feuertaufe bestanden.
Tagebuch Seite 5
© F. Schulz
4
In gebückter Haltung schlich ich weiter nach vorn. Ich musste doch noch auf Kameraden
stoßen. Schon bog ich um die Ecke eines zerfallenen Hauses, da sah ich vor einem
Kellereingang, zugehängt mit einem Sack. Ein Sprung, und schon kugelte ich einige Treppen
hinab vor die Füße der Kameraden der 5. Kompanie. Auch sie waren erstaunt, dass ich mich
so lange im Freien aufgehalten hatte. Beim Schein einer Kerze erkannte ich dann auch einige
von meiner Kompanie, die besser orientiert waren, und den Unterstand natürlich sofort
aufsuchten. Langsam fing es an zu dunkeln, und damit hörte aber auch das Granatfeuer auf.
Wie wir uns alle wieder fanden, ist mir nicht bekannt worden. Wir gingen bei Nacht die
wenigen Schritte in den Graben und verteilten uns gruppenweise in die Unterstände. Ich selbst
wurde auch gleich auf Posten gestellt mit einem weiteren Kameraden. Da hatten wir
Gelegenheit, im Schein aufsteigender Leuchtraketen uns die Stellung des Gegners zu
betrachten. Der Granatenhof hauptsächlich hatte es mir angetan. Dass wir kein Auge von ihm
liessen obwohl auch dort alles in tiefer Stille verharrte. Nochmals kehrten wir in Gedanken
zurück in die Heimat, denn es war doch Weihnachten.
Nach zwei Stunden wurden wir abgelöst und kehrten in den Unterstand zurück, wo wir uns
niederlegten, und ein tiefer Schlaf uns alles vergessen lies, was wir in den letzten Stunden
erlebt. Mit dem Tagsgrauen wurden nur noch Einzelposten aufgestellt, sodass wir übrigen uns
in unserem Unterstand etwas einrichten konnten. Auch wurden Briefe geschrieben an die
Heimat. Was hätten sie alles erzählen können. So war es in den ersten Tagen schon ein stilles
Heldentum. Der Vormittag verlief meistens ruhig, aber mit dem Nachmittag begann auch
wieder die Artillerie Beschießung in einem Maße, die nichts gutes ahnen lies. Der Graben
wurde oben geschossen, sodass abends Pioniere mit Sandsäcken die Stellung wieder aufbauen
mussten. Auch hatten wir in diesen
Tagebuch Seite 6
Tagen unter den Freiwilligen die ersten Toten zu beklagen. Der Posten, der aus Neugier den
Kopf zu hoch über den Grubenrand hob, erhielt einen Kopfschuss und fiel lautlos am
Postenstand herunter. Er wurde von uns sofort hinter dem Graben zur letzten Ruhe gebettet.
Die Franzosen hatten in der Mauerwand des Granatenhofes ihre Gewehre so eingebaut, dass
sie jeden, der auf Posten stand und sich über den Graben beugte mit tödlicher Sicherheit
trafen. Selbst durch das kleine Loch eines Schutzschildes wurde ein Mann verwundet. Auch
mussten deshalb die Postenstände öfters gewechselt werden. Dieser Zustand war auf die
Dauer unhaltbar. Am 27. Dezember kam der Befehl, den Granatenhof zu stürmen. Am Abend
© F. Schulz
5
vorher erhielten wir auch unsere Weihnachtsliebesgaben. Auch gab es Wein und Schnaps.
Der Angriff auf den Granatenhof war für uns gewissermaßen eine Erleichterung, würde doch
endlich dieses Nest ausgehoben. Allerdings die späteren Folgen ahnten wir auch wieder. 5
min bis 1 Uhr nachts. Lautlos waren wir angetreten und standen an den Grabenwänden. Es
sollte nur ein Teilangriff sein. Wir die 12. Kompanie und ein Zug 13-er Pioniere. Der Angriff
war auf 1 Uhr festgesetzt. Eine Leuchtkugel sollte uns das Zeichen geben. Links und rechts
sollten uns die Nachbarkompanie durch Gewehrfeuer die Flanken decken. 1 Uhr. Die
Leuchtkugel ging hoch. Wir raus aus dem Graben. Mit wenigen Schritten hatten wir die
französische Stellung erreicht. Der Posten konnte nicht einmal mehr einen Schuss abgeben.
Wir besetzten die Kellereingänge des Granatenhofes und schrien hinab, sie sollten sich
ergeben. Schon kamen die ersten Franzosen die Treppe herauf. Einer bot mir Zigaretten an,
ich deutete jedoch, denn es waren so viele, dass mir ein wenig bang wurde. Die Gefangenen
wurden in unsere Stellung geschickt. Von dort denn weiter transportiert. Wo man sich
weigerte, die Keller zu verlassen, wurde mit Handgranaten nachgeholfen. Dann kamen
Tagebuch Seite 7
sie alle. 4 Offiziere 100 Mann wurden gefangen abgeführt. Wir selbst hatten keine Verluste.
Nun begannen die Pioniere ihre Arbeit. Die Keller wurden gesprengt. Die Reste der Häuser
mit Öl begossen und angezündet. Nach einer Stunde war unsere Arbeit beendet, wir gingen in
unsere Stellung zurück. Nur vom Friedhof her wurden wir etwas belästigt, ohne uns aber
Verluste hinzuzufügen. Die Rache der Franzosen sollte allerdings nicht ausbleiben. Die
Verluste durch Artilleriefeuer wurden immer größer. Bei Tag wurde der Graben
eingeschossen, bei Nacht musste er wieder aufgebaut werden. Es verging kaum ein Tag, wo
nicht ein Unterstand angegriffen wurde. Unsere Kompanie schmolz immer mehr zusammen.
Noch in den letzten Tagen des Dezembers unsere Rote-Kreuz-Leibespakete. Auch von
meinem Quartierherrn erhielt ich Wünsche, Esswaren und auch 1 Flasche Cognac. Ich hatte
alles schön in meinem Tornister verstaut. Wieder war es einmal Zeit, den Posten abzulösen.
Ich machte mich fertig. Die Nacht war kalt. So nahm ich meinen Cognac mit und trank ihn
aus. Immer noch schoss der Franzose von Albert heraus auf unsere Stellung. Langsam trat
Stille ein. Nach zwei Stunden wurden wir abgelöst. Aber wir fanden unseren Unterstand nicht
mehr. Er war eingeschossen in futsch alle Linksgaben. Wir suchten ein anderes Quartier.
Durch Verluste schmolzen wir immer mehr zusammen. Die Hälfte von und sind
Kriegsfreiwilligen war tot oder verwundet. Endlich wurden wir abgelöst und kamen einige
© F. Schulz
6
Tage in Ruhe nach Miraumont. Dort reinigten wir uns wieder von allem Dreck, reinigten
unsere Gewehre und schrieben Briefe an die Heimat. Auch wir erhielten wieder Grüße und
Liebesgaben. Nach 3-tägiger Ruhe mussten wir wieder vor in Stellung. Es wurde etwas
ruhiger, die Artillerie lies auch nach mit Schüssen, dafür begann aber ihr Minenkrieg, über
und unter der Erde. Unsere Minenwerfer mit ihren 2 Zentner–Minen richteten beim Franzosen
schweres Unheil an. Selbst wir hatten darunter zu leiden. Denn der Luftdruck war so stark,
dass wir selbst glaubten, zu zerspringen und manche Mütze flog da vom Kopfe.
Tagebuch Seite 8
Unsere Lage wurde dadurch aber nicht besser, denn der Franzose zahlte 10-fach zurück. So
gingen Wochen dahin. Immer denselben Dienst, immer dieselben Gefahren, bis wir eines
Tages abgelöst wurden. In Ruhe kommen zur Erholung und Ergänzung unseres Menschenund Materialbestandes, um für neue Aufgaben gerüstet zu sein. In diese Zeit fällt noch ein
Ereignis, das es besonders verdient, hervorgehoben zu werden. . Wir lagen in Vertry (?) in
Reserve. Das kleine Städtchen war voll von Truppen. Kein Wunder, dass französische Flieger
ihre täglichen Besuche machten. So auch an einem klaren Frühlingstage. Plötzlich zeigten
sich am Himmel ein Dutzend französische Flieger, die bestimmt gutes Material mitgenommen
hätten, wenn nicht hinter unserer Front ein anderes Geschwader aufgetaucht wäre. Unser Herz
schlug rascher voll spannender Erwartung, denn es waren die weithin erkennbaren roten
Flieger Richthofens. Wir ließen alle Vorsicht außer Acht, denn es war ein Schauspiel, das wir
während des ganzen Feldzuges nicht mehr in dem Ausmaß erleben durften. Der Luftkampf
entbrannte. Die roten Flieger erledigten ihre Aufgabe im Angriff, wie in der Abwehr, als wäre
die Luft ein Exerzierplatz. T?holt??? ½ Stunde waren 10 französische Flieger abgeschossen,
die meisten stürzten als brennende Feuersäulen ab. Leider war auch ein deutsches Flugzeug
im Heldenkampf vernichtet worden. Einige Flugzeuge waren in allernächster Nähe
abgestürzt. Die Insassen waren nur noch verkohlte Leichen. Der war echt Richthofen mit
seinen Heldenfliegern. Die Stadt Wiburg und deren Besatzung ist dadurch von einer
Beschießung verschont worden.
Bald sollte für uns eine neue Aufgabe anstehen.
Es war dies vielleicht der schrecklichste Tag meines Lebens.
Der 6.April 1915 bei Beaumont.
Tagebuch Seite 9
© F. Schulz
7
Der Angriff auf eine verlorengegangene Stellung war auf 6 Uhr früh angesetzt. Unsere
Kompanie zählte ungefähr 70 Gewehre. Der Gegner musste unsere Pläne gekannt haben,
kaum hatten wir unsere Stellung verlassen, setzte ein derart heftiges Granatfeuer ein, dass es
unmöglich war, weiter vorzustossen. Wir erreichten wohl einen Graben aber unsere Aufgabe
konnte nicht gelöst werden, und der Angriff muß als fehlgeschlagen betrachtet werden.
Unsere Kompanie hatte 5 Tote 18 Verwundete also 23 Mann Verluste zu verzeichnen. Am
späten Abend noch schrieb ich in die Heimat: Bin gesund und munter. Aber das Herz blutete
mir noch über all dem Elend und Grauen, das ich an diesen Tagen geschaut. Wider wurden
wir zurückgezogen und aufgefrischt zur neuen Verwendung. Die Zukunft war uns noch
verhüllt, aber die Geschehnisse an der Front bei Arrns (?) liessen uns ahnen, was uns
bevorstand. Lange Nachtmärsche brachten uns näher zum Ziel. Als wir die Stadt Lens (?)
erreichten, waren wir schon im Bilde. Die Front war durchbrochen worden. Die Truppenteile
bei Steuville(?) und Hernblein(?) waren entweder gefangen oder hatten sich ganz aufgelöst.
So begann am 9. Mai 1915 der Vormarsch und Angriff. Tatsächlich hatten wir vor uns keine
deutschen Truppen mehr. Der Angriff erfolgte auf breiter Front. Links von uns (Bat. 120)
hatten wir die sächsischen Reg. 105 und 106. Rechts davon waren ??? Reg. Eingesetzt. Auch
wussten wir, daß unser Gegner schwarze Truppen waren. Wir stießen lange auf keinen
Widerstand. Erst langsam setzte die französische Artillerie ein. Der Vormarsch ging vorerst
noch gut. Die sächsischen Regimenter waren mit jungem, frischen Blut aufgefüllt, die nach
Aussage eine sehr kurze Ausbildung hinter sich hatten.
Tagebuch Seite10
Die Jungen schienen das erste Mal im Feuer zu sein. Haufenweise ballten sie sich zusammen.
Dem Gegner ein gutes Ziel bietend. So kam es auch, dass ein Volltreffer in eine Gruppe von
acht Mann fuhr und ein grässliches Blutbad anrichtete.
Auf einer Höhe von Hamblein angekommen, erhielten wir das erste Mal Infanteriefeuer. Vom
Gegner sah man nichts. Schon gab es die ersten Verwundeten. Ein Kamerad hinter einem
Busch liegend, rief mich an. Er war verwundet. Ich schnitt ihm den Ärmel auf und verband
den Arm. Zum Dank durfte ich jetzt die halbe Feldflasche mit Schnaps austrinken. Durch den
Samariterdienst hatte ich mich etwas verspätet, sodass ich fast allein im Feuer auf der Höhe
war. Vor uns war nur ein Tal, das im sogenannten toten Winkel lag, das der Feind nicht
übersehen konnte. Dorthin waren meine Kameraden geeilt und die Truppe hat sich dort
© F. Schulz
8
wieder geordnet. Links am Abhang war ein kleines Wäldchen. Um dem Feind nicht als
Zielscheibe zu dienen, nahm ich mir vor durch das Wäldchen zu springen. Kaum hatte ich das
Wäldchen erreicht, stockte mein Schritt und mein Atem. 10 m vor mir entfernt standen, große
Messer im Munde, die zähnefletschenden Schwarzen.. Ich gab mich verloren, denn meine
Kameraden sahen mich nicht. Einen hätte ich ja erledigen können, aber die zwei Anderen. Ich
stand still. Gedanken hatte ich keine mehr. Über diese schwarzen Tiere sollte das Schicksal
bestimmen. Langsam kamen sie auf mich zu, mit vorgehaltenem Gewehr warte ich der Dinge,
die da kommen sollten. Immer heftiger klopfte mir das Herz. Abmurksen lassen wollte ich
aber doch nicht. Da kam mir Hilfe. Zwei zurückgebliebene Kameraden hatten mich
Tagebuch Seite 11
eingeholt und die Lage sofort erkannt. Mein Schuss galt dem ersten Teufel, während die
Kameraden fast gleichzeitig die 2 anderen zur Strecke brachten. 3 Schreie und schwer fielen
die Körper zur Erde. Ein leichtes Rollen ihrer Augen noch und weiß hatte gegen schwarz
gesiegt. Ein kurzer Lauf durch den Wald und wir hatten die Unseren wieder erreicht.
Das aber erkannten wir auch, dass wir nach links keinen Anschluss mehr hatten. Die Sachsen
waren zurückgeblieben. Langsam ging die Sonne unter. Der Vormarsch ging weiter, aber
nicht mehr lange. Unsere Lage war ernst. In der Nacht erreichten wir einen Laufgraben, der
nicht besetzt war. Er sollte unsere Stellung geben. Hungrig und abgekämpft legten wir uns im
Graben nieder. Unser guter Zugführer, Leutnant Tosenhans bewies hier als Führer, was gute
Kameradschaft ist. Er war sorgend und arbeitend um uns bemüht. Leider sollte er so bald von
uns gerissen werden. Die Nacht war kühl. Wir wussten nichts vom Gegner. Vorne links ganz
abgeschnitten, rechts wurde der Anschluss mit den braven Bayern hergestellt. Bald graute der
Tag und wir konnten vor uns wieder die Schwarzen ungeniert hantieren sehen. Unser linker
Flügel hatte Anschluss an die große Allee, die nach Arvas führt. Vor uns eine Höhe, die
berühmte Lorrettohöhe mit ihrem Kapellchen. An der Allee war nur ein einzelnes Haus, wo
die Schwarzen ein- und ausgingen, wie sie wollten. Links über die Straße eine kleine Anhöhe;
unser Graben war kerzengerade ohne Schießscharten und Unterstände und konnte gut
eingesehen und beschossen werden. Wir mussten uns daher Nischen eingraben, denn die
Schwarzen konnten uns im Graben über den Haufen schießen.
Tagebuch Seite 12
© F. Schulz
9
Im Laufe des Tages mussten wir eine andere Wahrnehmung machen. Die Schwarzen fingen
an, uns auf dem linken Flügel, wo ja keine Truppen mehr waren, einzukreisen und von hinten
zu beschießen. Die Lage wurde immer ernster. Auch hatten wir seit bald 3 Tagen nichts mehr
zu essen. Immer wieder gab es Tote und Verwundete. Die Stimmung wurde immer
gedrückter. Wir schienen ganz verlassen zu sein. Da am 12. Mai kam der erste Befehl. Abend
6 Uhr sollten wir angreifen, um uns aus dieser Lage zu befreien. Reservetruppen schienen
keine da zu sein. Der Angriff schien von vorneherein ein sinnloses Blutvergießen zu sein und
sollte es auch werden. Punkt 6 Uhr erfolgte das Zeichen. Unser Kompanie-Führer, ein
Hauptmann stieg als Erster aus dem Kragen (?). Kaum stand er hoch, fiel er auch schon
tödlich getroffen in den Graben zurück. Keiner von denen, die den Graben verließen, kam
gesund wieder zurück. Tote und Verwundete lagen vor dem Graben. Auch unser guter
Leutnant Tosenhans traf sofort das tödliche Blei. Von drei Seiten beschossen, musste der
Angriff scheitern. Ich kam schon 10 Schritte, da fühlte ich einen Schlag an der rechten Hand.
Das Gewehr fiel in 2 Teilen zu Boden. Drei Finger waren mir durchschossen. Ein zurück war
unmöglich. So legte ich mich flach auf den Boden und grub den Kopf in die Erde. Die Kugeln
pfiffen nur so vorbei. Manchmal schlug eine durchs Kochgeschirr. So lag ich drei Stunden,
bis es dunkel war und ich es erwägen konnte, in den Graben zurück zu kriechen.
Tagebuch Seite 13
Im Graben erhielt ich dann den ersten Verband. Nun rannte ich zurück nach Hamblain
(Anm.:Hamblain-les-Prés, Frankreich), wo in einem Keller der Verbandsplatz war. Überall
standen und lagen Verwundete. Schmerzen hatte ich keine, meine rechte Hand war leblos.
Zum ersten Mal nach drei Tagen etwas zu essen, der Arzt gab mir ein Teller mit Reissuppe,
ein fürstliches Essen nach all den Entbehrungen. Nachts ein Uhr trat ich den Marsch zurück
an. Um 4 Uhr kam ich dann nach Haus zur Verwundeten–Sammelstelle. Aber welch ein Bild.
Keinen Platz mehr zum Liegen. Wieder eine Reissuppe. Auf den Treppenstufen saßen wir und
schliefen. Um acht Uhr morgens wurden wir gesondert und zum Bahnhof gebracht. Alles war
transportfähig war wurde mit Lazarettzügen abgeschoben. Wir fuhren um 9 Uhr ab, kamen
nach Lille. Dort waren alle Krankenhäuser und Lazarette überfüllt, so dass wir auf Matratzen
und am Boden die Nacht verbringen mussten.. Die Verpflegung war reichlich und gut. Um ein
Uhr Mittag wurden wieder die transportfähigen gesammelt und zum Bahnhof geführt. Unsere
stille Hoffnung sollte sich bestätigen, wir fuhren der Heimat zu. Die Bahnfahrt auf deutschem
Gebiete glich einer Triumphfahrt. Überall Liebesgaben und ein tiefes echtes Mitleid für uns
© F. Schulz
10
Verwundete. Immer weiter gings das Rheinland hinab. Überall wurden Verwundete abgesetzt.
Wir, als die Letzten kamen nach Essen. Ein Teil in die Kruppsche Villa. Wir kamen nach
Essen West in St. Aunheim. Etwa 30 Mann lagen wir dort in einer Kleinkinderschule, betreut
von katholischer Schwester, behandelt von einem sehr tüchtigen Arzt mit seiner überaus
liebenswürdigen Assistentin.
Tagebuch Seite 14
Acht Tage seit meiner Verwundung. Meine rechte Hand war noch immer ganz eingebunden.
Die Wunde fing an zu heilen. Noch wussten die Lieben daheim noch nichts von meiner
Verwundung. Ich konnte nicht schreiben. Ein Kamerad meines Regiments, der mich am Tage
nach dem Angriff der Kompanie aufsuchen wollte, und mich nicht mehr fand, glaubte mich
gefallen, und schrieb das nach Hause zu meinem Vater. Ihn selber traf am gleichen Tage,
nachdem die Schwarzen angegriffen hatten, das tödliche Blei. So mag wohl in der Heimat
Trauer geherrscht haben über mich. So ließ ich denn durch die Pflegeschwester vom Lazarett
die meinen benachrichtigen, dass ich verwundet sei und in einem Lazarett liege. Die Freude
mag wohl auf die erste Trauernachricht hin gewiss groß gewesen sein. Nach 4 wöchentlicher
Behandlung war meine Hand soweit geheilt, dass ich entlassen werden konnte und die Fahrt
zu meinen Lieben daheim antrat. Zuvor aber möchte ich noch derer gedenken, die mich
gepflegt und behandelt haben und in inniger Dankbarkeit schied ich von dem mir lieben
Essen, das mir fast wie eine Heimat anmutete. Viele Blätter wären notwendig wollte man all
die Wohltäter und die Liebesgaben aufzählen, die uns alle bitteren Stunden vergessen ließen.
Trotz des Verbotes waren die privaten Einladungen so zahlreich, dass man nicht immer
Gebrauch davon machen konnte, wenn auch die Polizei oft zwei Augen zudrückte. So fiel mir
eigentlich der Abschied schwer, doch je näher ich der Heimat kam, je schneller klopfte mir
das Herz in Erwartung auf ein Wiedersehen mit meinen Lieben. Meine Freude mag groß
gewesen sein, aber die Sorgen in Vaters Augen schienen noch nicht
Tagebuch Seite 15
verflogen zu sein. Doch darauf folgende Urlaub verscheuchte alle trüben Gedanken. Im
Ersatz-Bataillon in der Bergkaserne fanden sich denn langsam wieder die Kameraden, die
draußen Schulter an Schulter gekämpft. Aber manchen deckt auch die Erde der Lorettohöhe
für immer.
© F. Schulz
11
Der Dienst im Ersatz-Bataillon war für uns, die wir schon im Felde waren, nicht besonders
streng. Wir hießen ja Gennsommkompanie (?). Es gab auch reichlich Urlaub. Durch einen
früheren Geschäftskollegen lernte ich dessen Schwester kennen. Ich weiß nicht, war es nur
Zuneigung zu einer Freundschaft, oder regten sich tief in mir die ersten Triebe zur Liebe.
Liebe war für mich damals noch ein fremder Begriff. Noch jung und frei von aller Belastung
liebte ich eigentlich nur den Vater und meine Geschwister. Trotzdem glaubte ich
festzustellen, dass Klara mir mehr sein wollte, als Kamerad. Meine Umgebung trug auch dazu
bei, dass ich mich gegen früher etwas mehr mit dem Problem „Mann und Frau“ beschäftigte,
ohne mich aber damit zu belasten. Was nützte es mir, die Heimat forderte mehr als Tränen, sie
forderte Kampf und das Leben. So blieben mir die Begriffe Liebe und Liebesleid noch fremd.
Und das war gut so. Es wurde September und mit ihm der Abschied von der Heimat, von
Vater und Schwestern, (der Bruder war auch im Feld.) Es war schwer. Warum wusste ich
eigentlich selber nicht.
Trotzdem marschierten wir frohgelaunt von der Kaserne zum Bahnhof. Blumen schmückten
Brust und Gewehr. Klara gab mir das Geleite bis zum Bahnhof, Tränen rollten über ihre
Wangen. Am Bahnhof vor allen
Tagebuch Seite 16
bat sie um den Abschiedskuss. Ich gab ihn, es sollte auch der letzte gewesen sein.
Wir sollten dem Füselierregiment 122 zugeteilt werden. Die Fahrt war eine sehr lange, dafür
aber interessante. Durch Böhmen, Österreich. Nach 5 tägiger Fahrt wurden wir Karschets(?),
nahe der serbischen Grenze ausgeladen. Nach eintägigem Marsch kamen wir zur
Zigeunerinsel zwischen Save und Donau. Die hier herrschenden Landessitten waren uns
etwas neues. Die Orignale waren der Schweinehirt und die pfeifenrauchende Frau. Auch
konnten wir schon Feststellungen machen über die Fähigkeiten der österreichischen Soldaten.
das Urteil fiel nicht besonders günstig aus. Brot gab es zur Verpflegung sehr wenig., dafür
entschädigte uns die Jagd auf Schweine und Hühner.
Ein ideales Kriegerleben. Wir biwakierten im Walde. Das Wetter war schön und warm. Nur
durften wir uns nicht sehen lassen, denn die Offensive stand bevor. Von der Heimat waren wir
ganz abgeschnitten. So lagen wir einige Wochen bis der Aufmarsch beendet war. Am 9.
Oktober kam der Befehl zur Offensive. Nachmittags drei Uhr begannen die Pioniere, die
Pontons in die Save(?) zu setzen. Wir gleich hinein, immer so 20 Mann. Dann gings auf
Leben und Tod über den breiten Fluss. Die Serben waren jedenfalls sehr überrascht. Die
© F. Schulz
12
ersten Granaten jaulten daher. Wir hatten Glück. Unsere K???, als eine von den ersten landete
am jenseitigen Ufer. Kein Gegner. 100 m vor uns eine Ortschaft. Hinter derselben ein
einzelner Berg, wie zur Festung ausgebaut. Mann sah den Graben und auch die ersten Serben.
Um uns war es so ruhig, dass wir fast
Tagebuch Seite 17
misstrauisch wurden. Jeden Baum als Deckung benutzend, gingen wir durch das Ufergelände
bis 50 m vor die Ortschaft heran, immer noch kein Feind. Wir gruben uns notdürftig ein und
warteten, was da kommen sollte. Wir erfuhren auch, dass die Übersetzung seine Opfer
forderte. Mancher Bonton mit Besatzung wurde ein Opfer der Granaten und ertranken. Die
Pioniere mussten Heldenarbeit verrichten. Wo die Pioniere abgeschossen wurden, musste die
Truppe sich selbst ans Ufer rudern. Es war bei uns eine Ungewissheit vor einem solchen
Wagnis. Wenn die Serben Schneid gehabt hätten, so würden sie uns in den Fluss gejagt
haben. Der Lage vollständig fremd, hatten wir keinen weiteren Befehl. So kam die Nacht. Die
Ortschaft war mit einer Mauer umgeben, sodass wir nur die oberen Fenster der Häuser
beobachten konnten. Aus diesen fielen auch die ersten Schüsse. Wir hatten die ersten
Verluste. So kam die Nacht. Wir lagen in unseren Erdlöchern. Die Hälfte schlief, die anderen
hielten Wache. Ich war mit einem Kameraden auf Vorposten, nahe der Mauer. Auch wir
wechselten ab im Schlafen und Wachen, denn wir waren so erschöpft, dass uns fast allen die
Augen zufielen.. Da plötzlich hörte ich ein Geräusch. Nahende Tritte verrieten uns den
Gegner. Ich weckte meinen Kameraden und wir sprangen zurück zu den Unseren. Aber schon
setzte ein Feuer von unserer Seite ein, dass wir Gefahr liefen, von den Eigenen erschossen zu
werden. Langsam ließ das Feuer nach. Es war auch höchste Zeit, denn wir hatten nur noch
wenige Schuss Munition und hatten auch keine Verbindung nach rückwärts über den Fluss.
So verlief die Nacht ohne weitere Störung.
Tagebuch Seite 18
Gegen Morgen kam dann auch neue Munition. Bei Tag konnten wir uns mit der Umgebung
befassen. Unser Hauptaugenmerk galt den Fenstern. Von dem hinter der Ortschaft
aufragendem Berg erhielten wir nun auch Feuer. Er schien uneinnehmbar zu sein. Mit
Freuden vernahmen wir die Botschaft, dass von Stechern die österreichischen Motorenmörser
den Berg beschießen würden. Wir konnten die Zeit kaum erwarten. Punkt ein Uhr kam die
© F. Schulz
13
erste Granate. Sie ging etwas zu weit. Aber die zweite saß. Erdsäulen stoben gegen den
Himmel. Menschenleiber flogen durch die Lüfte. Was sich dort oben noch rettete, wurde für
uns zur Zielscheibe. Manches Händepaar streckte sich zum Himmel, ein Zeichen, dass wir gut
getroffen hatten. Über zwei Stunden dauerte die Beschießung. Dann setzten wir zum
Vormarsch an. Die Serben hatten sich zurückgezogen. Wir stießen auf keinen Widerstand.
Die Zivilbevölkerung hatte weiße Tücher aus den Fenstern hängen. Es sollte aber nur zum
Schein dienen. Denn oft wurden wir hinterrücks beschossen, selbst von den kleinsten Buben.
Einzeln durften wir uns nie in der Ortschaft bewegen. Selbst die Misthaufen wurden lebendig,
wenn man mit dem Seitengewehr hineinstach. Selbst dort hatten sich die Kerls versteckt.
Feigheit und Hinterlist waren ihre Tugenden. So konnte man den Befehl verstehen, der
ausgegeben wurde, weder Frau noch Kind zu schonen. Die Zivilbevölkerung wurde in
Sammellager abgeschoben. Immer weiter ging der Vormarsch. Die Serben zogen sich zurück,
um immer wieder von der nächsten Höhe uns zu beschießen. Erreichten wir dieselbe, war
alles ausgeflogen. Bei Nacht verschanzten wir uns immer auf einer Höhe, um am andern Tag
Tagebuch Seite 19
den Vormarsch fortzusetzen. Eine Patrouille mit einem Offizier und 20 Mann, die
ausgeschickt wurde, um die nächste Ortschaft auszukundschaften, kam nicht wieder. Beim
Vormarsch trafen wir einige tot auf der Straße mit ausgestochenen Augen oder mit einem
Seitengewehr durchbohrt auf der Straße festgenagelt. Zurückgehende Verwundete wurden
umgebracht. Ein Kamerad, der zwei Gefangene zurücktransportierte, wurde von einem
Serben, der ein Beil unter dem Umhang versteckt hatte, der Schädel gespalten. Es war so
begreiflich, dass wir keine Schonung mehr kannten. Einzelne gefangene Serben wurden
einfach in ein Maisfeld gestellt und über den Haufen geknallt. Wir wollten keine mehr
transportieren. Eine schöne Serbin, die uns Wein reichen wollte, wurde gezwungen, zuerst zu
trinken. Nach kurzen Krämpfen fiel sie zu Boden und war tot. Vergiftet! Die
Zivilbevölkerung wurde nun gesammelt und nach rückwärts in ein Sammellager gebracht. Bei
Tag waren wir immer im Vormarsch, während wir bei Nacht uns auf einer Höhe eingruben.
Die dritte Nacht lagen wir auf einem höheren Berg. Es war die Zeit, wo die Regenperiode
beginnt. Wir hatten uns Löcher gegraben und schliefen darin. Schon begann es zu regnen.
Unsere Müdigkeit war aber so groß, dass wir die Nässe nicht mehr spürten und mit dem
ganzen Körper im Wasser lagen. Die Straßen waren unbefahrbar. Mancher Wagen musste
ausgegraben werden. Zuletzt mussten wir sie doch noch zurücklassen. Zu essen gab es nichts
© F. Schulz
14
mehr, als was(?) wir uns selber holten. Trauben und Fleisch war jetzt unsere Nahrung. So
standen wir kurz vor Przarewick(?). Auf der Höhe hatten sich die Serben verschanzt und
beschossen uns. Wir drangen durch mannshohe Maisfelder vor. Schon gab es die ersten
Verluste.
Tagebuch Seite 20
Lauter Kopfschüsse. Ich fühlte einen Schlag in meinem Gesicht, war auch getroffen. Langsam
schwand mir der Boden unter den Füssen. Ich glaubte mein Ende nahen. Nahm im Geiste
Abschied von allen in der Heimat, die mir lieb und teuer waren, besonders von meinem Vater,
der zwei Feldzüge (1866 und 1870) mitgemacht, und ich als junger Bursche sollte schon
sterben. Ein Blick ins Jenseits und mit einem stillen Gebet schwanden mir die Sinne. Ich war
bewusstlos. Niemand hatte mich im hohen Maisfeld fallen sehen. Niemand vermisste mich,
wo kaum einer den Anderen sah, nur hörte. So muss ich Stunden gelegen haben.. Bis ich
entdeckt wurde. Am andern Morgen 8 Uhr wachte ich auf der Tragbahre im VerwundetenSammellager. Der Arzt fragte mich, wie es mir gehe. Ich wollte mich aufrichten, aber der
Kopf war doch so schwer. Kein Laut kam aus meinem Munde. Der Oberkiefer war
zerschossen. Der Arzt nickte stumm. Schmerzen hatte ich keine, alles war tot an mir. Aber
Hunger hatte ich und konnte nichts essen. Nur die Gedanken waren klar, und langsam kam
mir die Erinnerung von meiner Verwundung und von dem Abschied vom Leben. Gleichzeitig
aber wusste ich auch, dass nur diesmal das Leben erhalten blieb. Und so ließ ich selbst mit
mir geschehen. Der Trotz zum Leben war erwacht. Ich wollte die Heimat noch einmal sehen.
So stimmte ich auch zu, als der Arzt fragte, ob ich eine mehrstündige Fahrt aushalten würde,
nicht ahnend, welcher Leidensweg es sein sollte. Ein Bauernwagen wurde bis oben mit Heu
gefüllt, und ich ganz sorgsam hineingelegt und los ging die Fahrt. 8 Stunden auf Straßen voll
Löchern und Steinen. Jede Bewegung war ein Stich durch den Kopf. Ich war zu kraftlos, um
mich zu halten. So stieß ich selbst oft den Kopf an den Wagen, wenn es über einen Graben
ging.
Tagebuch Seite 21
Ich glaube, der Fuhrmann, ein Sanitäter, fühlte und litt mit mir, denn sein trauriger Blick sagte
mir alles. So kamen wir in einer Ortschaft zur Sanitätskollrun(?). Dort wurde ich in ein Auto
umgeladen, und weiter gings. Hier waren die Straßen auch schon besser. Man spürte mehr
© F. Schulz
15
Zivilisation. In dem schönen deutschen Städtchen Weißkirchen hielten wir vor einem
Lazarett. Was ich vor Stunden hätte noch können, nun ging es nicht mehr. Man musste mich
hineintragen. Ich war durch Blutverlust und durch die Fahrt zu schwach geworden.
Freundliche Schwestern nahmen mich meiner an und reinigten mich von Schmutz und Blut,
und ich kam in ein feines, weiches Bett. Der Schlaf hatte mich aber so übermannt, dass selbst
ein neuer Verband noch etwas auf später verschoben werden musste. Nach einigen Stunden
wachte ich auf. Ich hatte das Gefühl, als läge ich nur auf dem Kopf. Alles drehte sich herum.
Ein Schwindelanfall. Ich verlangte nach dem Arzt. Sofort kam ich auf den Operationstisch.
Staunend besahen sich die Ärzte die Wunden. Der Einschuss an der Nase schien nicht
schlimm, aber der Ausschuss durch einen Querschläger veranlasst schier Faustgröße zu
haben. Nun begann die Behandlung. Eine Unmenge von Knochensplittern musste tief
herausgeholt werden.. Die Ärzte frugen mich, ob die Verwundung von einem Dum-DumGeschoß herrühre. Ich konnte es nicht sagen, und war froh, als sie mir den Verband anlegten
und zurückbrachten. Ich konnte nicht liegen, da mich immer Schwindelanfälle befielen. Jeden
Tag die gleiche Behandlung. Jede Nacht eine Ewigkeit, und eine Qual. Immer musste eine
Schwester bei mir wachen. Rasende Schmerzen setzten nun ein. Fieberschreie hallten durch
den Raum. Oft, wenn keine Schwester da war, stand ich auf, obwohl es streng
Tagebuch Seite 22
verboten war, nur um ich zu vergessen. Mit Sehnsucht erwartete man den Tag. Im Bett neben
mir lag ein Pfälzer, mit einem Beinschuss. Nach langem Zögern musste der Arzt ihm doch die
Mitteilung machen, dass der Fuß abgenommen werden musste. Traurig und voll Verzweiflung
nahm er die Botschaft auf, im Hinblick auf die immer wieder Sterbenden, denen nicht
geholfen werden konnte. Für mich selbst begann nun die Behandlung. Drei Professoren sind
für die Wunde, ein anderer für das durchschossene Ohr und wieder ein anderer für Kiefer und
Zähne. Die Kiefer und Zahnbehandlung war die schwierigste und schmerzhafteste. Ein kleiner
Trost war, dass die Assistentin des Arztes eine Schwäbin war, ich selbst auch der einzige
Schwabe im Saal. Sie war es auch, die mich in den schmerzvollen Nächten tröstete und
beruhigte. . Liebesgaben gab es in Hülle und Fülle. Hauptsächlich Trauben und Rauchwaren.
H???rin d?? machten Besuche. Es war ein Trost in unserem stillen Heldentum, wenn Gruß
von der Heimat kam. Wussten wir ja nicht, ob uns die Heimat uns je wieder sah. Langsam
ließen die Schmerzen nach, nur die Schwindelanfälle plagten mich noch. Auch als ich endlich
aufstehen durfte, machte sich der große Blutverlust durch große körperliche Schwäche
© F. Schulz
16
bemerkbar. So wurde ich transportfähig. Nach 3 Wochen trat ich im Lazarettzug die Fahrt in
die Heimat an. Ich war immer noch ans Bett gebunden, trotzdem war die Fahrt eine der
schönsten in meinem Leben. So kam ich nach Sachsen in ein Lazarett. Zeitheim(?) war ein
Truppenübungsplatz. In sauberen Baracken mitten im Tannenwald waren wir untergebracht.
Dort wurde die Heilbehandlung dann fortgesetzt wie seither. So kam Weihnachten heran. Ein
Fest, wo wir gerne Zuhause gewesen wären.
Tagebuch Seite 23
Doch war auch hier Weihnachten, mitten im Walde, in winterlicher Landschaft schön und
reich an Liebesgaben. Auch stand meine Entlassung in den nächsten Tagen fest. Endlich am
31. Dezember kam die Stunde der Abfahrt in die Heimat. War es eine Freude oder sollte es
Enttäuschung sein. Wie musste mein entstelltes Gesicht wirken, blieben doch im Lazarett die
Grüße von Klara ganz aus, sodass ich bei deren Herrschaft nach ihrem Ergehen anfragen
musste. Das Eine war gewiss, das Vaterhaus würde mich mit offenen Armen aufnehmen. Und
das andere? Eine stille Sehnsucht, vielleicht war es auch der erste Begriff von Liebe, hatte in
mir Wurzel gefasst. Aber der Krieg und seine Folgen, die lange Abwesenheit, die
Versuchungen, die Ungewissheit der Wiederkehr, sie hatten in manchem Frauenherz den
Begriff der Treue schwinden lassen, und mancher junger Krieger, der erst im Begriff stand,
Liebe und Frau kum(?) zu lernen, erhielt den ersten Dolchstoß von denen, für für die er sein
Blut vergoss, für er gekämpft, gelitten, aber auch gesiegt hat. Es ist ein ungelöstes Rätsel,
wenn 2 Menschen auseinandergerissen werden, nur weil der Krieg ein Mal ins
Menschengesicht gezeichnet hat. Der Abschiedskuss war also ein Zuckerkuss gewesen. Wir
Soldaten haben im Kriege die Frauenehre rein gehalten, warum sollte die Soldatenehre denn
mit Füßen getreten werden? Um den Naturtrieb zu bannen, hatten wir oft Gelegenheit. So
groß das Opfer der Entsagung war, so groß war auch unsere Liebe zur Heimat. Die Frau ist
groß und erhaben, aber die Hingabe fürs Vaterland ist noch größer, edler und
Tagebuch Seite 24
beständiger, denn sie klammert sich nicht an den Einzelnen, sondern ihr Wert verankert sich
im ganzen Volke und seiner Heimat, das sie schützt. In solchen Stunden der Enttäuschung bot
mir denn das Elternhaus wieder eine Stätte, wo Friede und Freude ausging und mich
vergessen lies, dass unser Leben auch so reich an Bitterkeiten ist.
© F. Schulz
17
Rasch vergingen die Tage des Urlaubs. Im Ersatz-Bataillion in Heilbronn mussten wir als
dienstuntauglich weitere Weisungen abwarten. Die ärztliche Untersuchung bestätigte den
Befund und ich wurde in die Heimat entlassen. Vor unserer Abreise wurden mir und noch
einigen Kameraden das Eiserne Kreuz II. Klasse überreicht. Wieder gings der Heimat zu.
Nach weiteren 4 Wochen wurde ich ganz vom Militärdient entlassen. Mit 30% Rente trat ich
nun wieder ins Zivilleben ein.
In Union Verlagsgesellschaft erhielt ich eine Stellung als Buchbinder. Mein Bruder, ebenfalls
schwer verletzt, war noch vom Militärdienst entlassen, und hatte auswärts eine Stellung
angetreten. Mit Vater und Schwester zusammen lebten wir in friedlicher Gemeinschaft, ohne
aber vergessen zu können, die Helden der Front, den Krieg mit seiner Not, seinen Opfern und
seinen Tränen. So kamen aber auch Stunden und Tage, wo die Gedanken dem Menschen
erfassen und fragen, was ist deine Zukunft, wo steht dein Herz, was weißt du, trotz bitterer
Erfahrung, von Liebe und Frau? Ist dein ganzes Sein nur auf den Krieg gerichtet. Schlägt in
des Mannes Brust nicht auch ein Herz, warm und weich wie das eines Kindes. Bist du nicht
schon aus Dankbarkeit verpflichtet. Wieviel Liebe wurde auch schon mir entgegengebracht.
Und langsam schmolz das Eis der Enttäuschung, hin und wieder getrübt durch die
Leidenschaft einzelner. Doch auch wieder aufgemuntert durch das Heldentum so vieler
Frauen, die ihre Ehre rein hielten.
Tagebuch Seite 25
Tage, Wochen, Monate vergingen, vor uns schützend, das feldgraue Heer, hinter uns die
Heimat, beide rgfwed(?), leidend, liebend, trotz steigender Not und Entbehrungen. Im Januar
erging an mich wiederum der Ruf des Heeres, auszumarschieren. Noch garnisonsdienstfähig
kam ich zur Truppe. (7.R.121) wo ich als Essenträger zur vordersten Linie verwendet wurde.
Bei anbrechender Dunkelheit begann unser Dienst. Das Essen war in großen Kannen, das Brot
in Säcke verstaut, den ersten Teil des Weges, der noch befahrbar war, wurde mit dem
Fuhrwerk zurückgelegt. Dann begann der Marsch. Stundenlang, den Esskessel oder einen
Sack Brot auf dem Rücken, vorbei an zahllosen mit Wasser gefüllten Granattrichtern, waren
wir dem Granatfeuer ausgesetzt, sodass wir täglich Verluste hatten, während die Kampftruppe
vergebens auf Essen wartete. Beim Morgengrauen kehrten wir dann todmüde zurück. Oftmals
hatten wir auch einen toten Kameraden zurückgetragen. Unser Weg war ein fortgesetzter
Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner, oft hatten wir den Wunsch, mit den Kameraden
vorn am Graben tauschen zu dürfen. Endlich wurden wir abgelöst. Der Stellungskrieg nahm
© F. Schulz
18
uns wieder auf mit all seiner Wucht, seinen Leiden, bis wir ganz abgelöst ins Elsass in
??stellung kamen. Unsere weitere Verwendung war noch in Dunkel gehüllt. Eine
Neueinkleidung für Gebirgstruppen ließ uns ahnen, dass ein neuer Kriegsschauplatz unser
wartete. Heimatliche Flüsse, deutsche Leute, freudige Begrüßung auf der Fahrt, waren für uns
dankbare Gaben, die die Heimat uns gab. Wie nahe waren wir dem Elternhaus und doch
mussten wir vorbei, vorbei vielleicht für immer. Die Fahrt ging durch Bayern, Salzburg,
Kärnten nach dem Süden. Italien sollte unser Gegner werden. In Karfreit (heute Kobarit)
wurden wir ausgeladen. Es folgten lange, schwierige Märsche durch die Julischen Alpen.
Tolmein, St. Lucia waren die ersten Zeugen furchtbaren Ringens; Monte Inoca (1150m) und
Monte Kum (1070 m) waren das erste Angriffsziel unserer Truppe. Wenige Tage noch, wir
hatten das Hochgebirge überschritten und kamen in die oberitalienische Tiefebene.
Zueidele(?) war die erste Stadt, die wir erreichten, Brennende Häuser und Fabriken
beleuchteten die Nacht, Tage schon hatten wir nichts mehr gegessen. Da die Maultiere mit
Lebensmitteln nicht nachkommen konnten. Eilmarsch mit 60 km liessen für den Italiener
nichts Gutes ahnen. Die Gefangenen wurden immer zahlreicher. Die Strassen waren
vollgestopft mit Wagen und Viehherden. Unermessliche Werte wurden erbeutet. Unsere
Ernährung war soweit sicher gestellt, Wein wurde getrunken wie Wasser.
Tagebuch Seite 26
Verluste hatten wir in den ersten Wochen überhaupt keine. Udine wurde im Handstreich
eingenommen. Zum ersten mal nach Monaten kamen wir in ein gutes weiches Bett. Weiter
gings dem Tagliamento (Anm.: Fluss, Friaul, Oberitalien) entgegen. Der Übergang über die
Brücke des 1800 m breiten Flusses war nicht möglich, Reserven hatten wir keine, es wäre ein
Risiko gewesen, uns blindlings dem Gegner am anderen Ufer in die Arme zu werfen. Die
Brücke war geladen und wurde auch gesprengt, Die Straßen waren auf Stunden mit Beute
zurückgelassen, die Italiener waren feige. Tausende von Gefangenen fielen in unsere Hände,
ohne Widerstand zu leisten. Unser gewaltiger Vormarsch hatte zur Folge, dass ganze
Armeekorps ein- und abgeschlossen wurden und sich ergaben. Kraft und Ausdauer mit kluger
Strategie verbunden, haben hier die größten Triumphe gefeiert. Unsere Pioniere brachten die
Leistung fertig, trotz Artilleriefeuer in 7 Tagen eine befahrbare Brücke über den Tagliamento
zu schlagen. Cotroigo (Bottrigo?), wo die Grenadiere kämpften gingen es heißer und nicht
ohne Verluste ab, der Marsch über den Strom verlief ohne Störung. Das nächste Ziel war die
Pinon (?), hier wurde uns dann ein Halt geboten. Die Offensive schien beendet zu sein.. Wir
© F. Schulz
19
wurden zurückgezogen und kamen in Ruhe. 3 Wochen lagen wir in Simmette(?). Unsere
Aufgabe war gelöst. Wir wurden wieder herausgezogen. Österreicher nahmen unsere Stellung
ein. Der Rückmarsch war weniger eilig. Die Versorgung wurde spärlicher. Unsere Verluste,
zum Teil durch Unvorsichtigkeit verschuldet, waren während der ganzen Offensive gering. (1
Toter, 6 Verwundete) Am 24. Oktober 1917 erhielt ich in Italien noch die silberne M.Verd.M.
In San Daniele, nahe der Alpen, einem wunderschönen Städtchen kamen wir nochmals in
Ruhe, daselbst feierten wir unser 4. Weihnachten. Mit diesem Fest machte sich auch wieder
das Heimweh bemerkbar. Stunden des Friedens sind auch immer Stunden der Einkehr. Der
Wunsch nach Frieden ist dem Weihnachtsfeste so nah, dass es wie ein Hohn klingt,
Weihnachten im Feindesland zu feiern. Und wie sehr sehnte man sich doch nach der Heimat.
Und wie bitterhart war die Enttäuschung. Kein Gruß, kein Wort, das Heimatluft atmete. Am
Weihnachtsfest im fremden Land vergessen zu sein, das ist ein hartes Los. Bitterer Schmerz
liegt auf der Seele. Der Gedanke an Undankbarkeit schwebt uns vor den Augen. Wäre die
Liebe nicht stärker, sie würde der Verzweiflung, ja des Hasses Raum geben und Weihnachten
wäre nur ein Traum.
Tagebuch Seite 27
Neujahr wurde dann wieder in gehobener Stimmung gefeiert. Wein und Gesang waren die
Brücken ins Neue Jahr. Wie viele Hoffnungen wurden aber auch in dieses Jahr gesetzt. Sollte
es den Frieden bringen? Am 5. Januar wurde der Rückmarsch angetreten. Er sollte wieder
dem Westen zu gehen. In St. Lucia (Santa Lucia, Verona) wurden wir verladen. Eisige Kälte,
offene Viehwagen waren kein besonderer Reiz dieser Fahrt. In Salzburg war die Bahnstrecke
zugeschneit, sodass wir 3 Tage Aufenthalt nehmen mussten. Herrliche Gebirgs- und
Schneelandschaften zogen an unserem Auge vorüber. Deutsche Laute tönten an unsere Ohren.
Freudig grüßende Menschen ließen unsere Herzen höher schlagen. Immer näher gings der
Heimat zu. Wieder war es Angst, als wir unsere Stuttgarter Berge grüßten und mit ihnen
unsere schlafenden Angehörigen, die es nicht ahnten, wie nahe wir ihnen waren. Einzelne
hatten das Glück, mit ihren schon seit Stunden wartenden Angehörigen einige Worte zu
sprechen. Unsere Fahrt endete im Elsass, in der Nähe von Straßburg. Dingolsheim, eine kleine
Ortschaft, war unser Ruhequartier. Die Einwohner waren zum Teil gut deutsch, aber auch
französisch gesinnt. Junge Mädchen sah man am Anfang überhaupt keine. Der Soldatenhumor
sagte, sie seien im Keller eingesperrt. Tatsächlich hatte der Dorfpfarrer vor den deutschen
Soldaten gewarnt. Trotzdem tauchten so allmählich die Dorfschönheiten auf, und stille Wege
© F. Schulz
20
und Winkel hüten das Geheimnis einer Liebe, dem eine ganze Welt von Feinden nichts
anhaben kann. Trotz Deutschenhass und christlicher Moralpredigten wurde das gute
Verhältnis mit dem größten Teil der Einwohner ein sehr gutes. Manchen Feldgrauen sah man
in Haus und Hof wirken und arbeiten, wo der Mann im Felde stand und die Hausfrau allein
die Arbeit kaum bewältigen konnte. Und dankbar
Tagebuch Seite 28
glänzte eine Träne im Auge eines alten Mütterleins, wenn wir Brot und essen mit ihren
Enkelkindern teilten.
Gänzlich unerwartet erhielt ich die Nachricht, in Urlaub fahren zu dürfen. Groß war die
Freude. Die Stunde der Abfahrt schien nicht mehr kommen zu wollen. Voll Erwartung, was
auch die Lieben in der Heimat machen werden, denn sie konnten nicht mehr vom Kommen
benachrichtigt werden. In 12 Stunden Fahrt mit 3 Haltestationen. Der Zug war übervoll, lauter
Urlauber, langte ich nachts 2 Uhr im Bahnhof Stuttgart an. Nach 13 Monaten wieder daheim.
Alles war Ruhe und Frieden. Nichts erinnerte an den Krieg. Die Heimat war verschont
geblieben. Tiefernste Gedanken waren meine Begleiter auf dem Wege ins Elternhaus. Ist noch
alles gesund, was macht die Braut. Vielleicht hat ein Traum ihr meine Ankunft angezeigt.
Schon streift mein Auge ihr Kammerfenster. Wenn du ahnen könntest. Nacht war es hinter
den Vorhängen. Sollte ich sie wecken? Fast war die Sehnsucht stärker, als die Müdigkeit. So
lenkte ich meine Schritte weiter dem Vaterhaus zu. Ein leises Klopfen am Fenster. Der
Schwester verschlafene Stimme „Wer ist draußen? Ein zitterndes Grüß Gott aus übervollem
Herzen. Fast glaubte ich, das Herz wollte mir zerspringen beim Anblick des durchfurchten,
von Sorgen und Entbehrungen gezeichnetes und doch voll väterlichen Stolzes und unsagbarer
liebe kündendes Gesicht des Vaters, während bei der Schwester durch diese Überraschung das
Stimmwerk versagte. Die Freude wollte kein Ende nehmen. Die Nacht wurde ein Opfer dieses
Wiedersehens. Während am Morgen Vater und Schwester ihren täglichen Pflichten
nachgingen, legte ich mich zur Ruhe nieder. Ein tiefer Schlaf stärkte mich und lies alles
vergessen, was im Laufe der Zeit Schreckliches ich erlebt. Stundenlanges Erzählen machte
auch dann in der Heimat die Schrecken des Krieges klar und die Opfer wurden verständlich,
die wir für die Heimat gebracht. Dankbar neigten sich die Häupter ob dem Heldentum der
Frontsoldaten.
Tagebuch Seite 29
© F. Schulz
21
Die erste Begegnung mit der Braut war ein stilles , fast ernstes Verstehen für den Augenblick.
War es doch nur eine Frist von 14 Tagen, die uns gegeben war. Und schon mit den nächsten
Tagen drängte sich der Gedanke des Abschiedes in unsere Reden, in unser Handeln und in
unsere ferne Zukunft. Es schien, als ob die Liebe in diesen wenigen Tagen kein Anrecht hätte.
Wohl erlebte ich schöne Stunden in dem Familienkreis meiner Braut. Besonders deren Mutter
zeigte eine Hingabe, die mich manche schwere Stunde vergessen lies. Aber der heilige Wert
der Liebe schien ein fremder Begriff zu sein. Vielleicht war das Feuer der Verbundenheit
schon im Ausgehen. Wir kamen wie zwei Fremdkörper, die bestimmt sind , sich zu ergänzen,
aber nie zur Einheit verschmelzen. Eines blieb uns vorbehalten. Unsere Ehre war rein
geblieben. Nichts konnte uns erschüttern, der Leidenschaft sich zu ergeben. Es war das
Geheimnis einer nie zu ergründenden Macht, weiches(?) Schicksal der Liebe. Je beständiger
und öfter die Aussprache, je fremder wurden einander unsere Herzen. Vielleicht gerade
deshalb, weil der starke Trieb zur Liebe sich nicht auswirken konnte, bevor die
Zukunftsfragen nicht gelöst sind. ??? und ??? hat der Krieg ohnehin schon reichlich
hinterlassen. Bittende Kinderarme greifen schwer ans Herz, wenn eine schwache Stunde ihr
Erzeuger war. Auch der religiöse Bekenntnishintergrund schien noch keine regelung zu
finden. So war die Zukunft noch voller Probleme, die einer ernsten Prüfung unterzogen
werden müssten. Tage der Ruhe und des Friedens wollte ich erleben, aber dieser Ansturm, er
müsste zermürben, das auch das Elternhaus seine Anrechte hatte und geltend machte. Es zog
mich daher immer mehr ins traute Heim meines alten Vaters, wo ich immer mehr zur
Erkenntnis kam, die Zukunft erst muss Rat schaffen. Meine einzige große Liebe, sie sollte
sich entscheiden im Glutfeuer der Granaten und die Liebe meiner Braut, sie musste sich
entscheiden in der Entsagung, im Opfer und in der Treue. So kam der Tag des Abschiedes.
Schwer war er vom Vaterhaus. Die Braut aber konnte meine Standhaftigkeit nicht verstehen
und warf mir Lieblosigkeit vor. Hier wurde der Abschied für mich eine Erlösung. Die Eltern
taten mir leid.
Tagebuch Seite 30
Ich wünschte es wäre mein letzter Gang gewesen.
Rasch gings wieder dem Elsass entgegen zum Truppenteil.
Einige Wochen und wir wurden wieder an die Westfront verladen. Flandern, Somme waren
unsere Kampfgebiete. Schauplätze, wo viel Blut vergossen und manches junge Herz zum
© F. Schulz
22
letzten Mal schlug, vielleicht noch mit einem letzten Gruß auf den Lippen, der den Lieben in
der Heimat galt. Dort verlor ich auch einen guten Freund, den ein Volltreffer zerriss, und wir
nur noch einige Fleischklumpen zur Bestattung zurücktrugen. Er war ein ruhiger Mann. Tags
zuvor noch trug einer dem andern auf, im Ernstfalle die Heimat zu benachrichtigen. Mir sollte
es bestimmt sein, seine Braut vom Heldentod Nachricht zu geben. Ich glaube, ich wäre lieber
für ihn gegangen, Hoschlich hieß er. Seine Braut muss nach seiner Aussage eine
Heldengestalt im Leben gewesen sein. Diese Nachricht mag sie aber doch gewaltig erschüttert
haben. Wir kamen nach Reims, wo ein Großangriff geplant war. Der Hochberg war unser
Ziel. Starke Befestigungen schienen kaum einnehmbar zu sein. In der vordersten Linie fanden
wir keine Truppen mehr an. Unser Vormarsch wurde stark durch Artilleriefeuer gestört.
Wiederum gab es Verluste. Am Abend hatten wir die Stellung am Fuße des Hochberges
bezogen. Anderntags sollte der Angriff erfolgen. Unsere Artillerie hatte mit allen Kalibern die
Stellung auf dem Hochberg sturmreif gemacht; wir konnten den Hochberg mühelos erreichen.
Rasch gings den rückwärtigen Hang hinab. Dort aber empfing uns der Gegner von der Allee
nach Reims her mit Maschinengewehrfeuer und Gasgranaten. Der Angriff kam ins Stehen.
Wir mussten Stellung beziehen. Dort auch fiel unser geliebter Bataillionsführer, Hauptmann
Schenoy. Ich selbst wurde durch viele Meldegänge zur Nachbardivision, wo ich fortwährend
einen Talkessel durchqueren musste, der dauernd mit Gas beschossen wurde, gas krank und
kam zurück ins Gaslazarett nach Ponte-on-fergen. Nach 10 Tagen war ich wieder geheilt und
kam wieder zur Truppe.
Tagebuch Seite 31
Die Grüße von daheim wurden immer spärlicher. Ein ernster Briefwechsel mit der Braut
brachten mir wiederholt die Bestätigung, dass der vermeintliche Gedanke den Helden da
draußen gegenüber nur in langweiligen Stunden, wo Feldpostbriefe geschrieben wurden,
bestand. Diese Erkenntnis, den auch zur Loslösung führte, hatte tiefe Wunden in mein Herz
geschlagen. Ich hoffte vergl. Noch durch eine spätere Aussprache eine für beide Teile gütliche
Lösung. Aber ihr Wille dazu war auf der anderen Seite nicht mehr vorhanden. So blieb es bei
der Trennung. Ein Trost waren mir die Worte meines Bruders. „Vergessen und vergeben, das
ist der Liebe Losungswort“.
So suchte ich zu vergessen. Immer wieder kamen mir aber meine Urlaubstage in den Sinn.
Was ich da ahnte, war zur Gewissheit geworden. Tief will ich begraben dieses Geheimnis der
enttäuschten Liebe, trotzdem mit dem Wunsche, möge ihr Leben immer glücklich sein.
© F. Schulz
23

Tagebuch Seite 32
Für die nächste Zeit gab es dauernd Märsche der Front entlang, da wir in Reserve der obersten
Heeresleitung waren. Bis wir zuletzt wieder am Chenin des danns(?) Fuß fassten und Stellung
bezogen. Hier wurde die große Reservestellung, Siegfried, angelegt. Langsam wurde der
Rückmarsch vorbereitet. Die Frontlinie sollte verkürzt werden. Eines Tages kam der
Rückmarschbefehl. Bei Tag wurde marschiert, bei Nacht hatten wir Ruhe. Immer aber
mussten wir durch Nachhutgefechte mit dem Feind in Berührung bleiben. Ein Glück war, dass
die Franzosen langsam und vorsichtig nachrückten. Es waren aufregende Stunden, wenn
französische Kavallerie anrückte und wir 70 Mann uns tapfer zu wehren hatten. Meistens
zogen sie sich dann zurück, um bei Nacht dann ungestört uns zu folgen. Brückenübergänge
und Strassenkreuzungen wurden gesprengt, um auch so den Vormarsch des feindes
aufzuhalten. Die französische Bevölkerung sah mit Freude und Hass zugleich uns immer
weiter zurückgehen. Schon tauchten Gerüchte auf von einem nahen Waffenstillstand. Aber
wir konnten noch nicht recht daran glauben. Dass bald eine Änderung kommen muste ahnten
wir ja auch. Man sprach ja schon von Meuterei. Offen gestanden, wir hatten auch genug, aber
Feigheit kannten wir nicht und Meuterei war uns fremd. Die letzten Marschtage nahten, wir
hatten nochmals Stellung bezogen. Uns eingegraben und die Maschinengewehre eingebaut.
Am 7. November vormittags 11 Uhr, wir sahen die Franzosen schon auf einer Höhe
anmarschieren. Der letzte
Tagebuch Seite 33
Artillerieschuss hallte durchs Tal. Wir hatten uns einen Hafen Kartoffel gesotten, da ertönte
das Ganze halt. Still und stumm war es bei Freund und Feind. Wir mussten antreten. Die
Friedensbedingungen wurden bekanntgegeben. Der Krieg war aus, aber die Bedingungen
unmenschlich und eine Schande für den deutschen Soldaten. Innerhalb 30 Tagen mussten wir
die deutsche Grenze überschritten haben, andernfalls uns Gefangenschaft drohte. Hier zeigte
sich nun in der Organisation des Rückmarsches wieder die Größe unseres Feldherrn
Hindenburg, während der Kaiser nach Holland floh, marschierten wir Hunderte von km durch
Frankreich, Belgien Luxemburg an den deutschen Rhein.
Eine Neuerscheinung trat nun auf. Die Bildung von Soldatenräten. Ein Erzeugnis der
Revolution. Mag die Heimat diese Schande unterstützt haben. Wir Feldsoldaten mit unseren
© F. Schulz
24
Soldatenräten, wir wussten immer noch, was wir den Offizieren schuldig waren. Und wenn
uns unser Oberst bat, (v. Brandenstein) er möchte mit uns in Ludwigsburg, der Garnison,
einmarschieren, so waren wir Soldat genug, um freudig zuzustimmen. So kamen wir nach
Kirchheim (Hessen), wo wir zwei Wochen lagen, bis der gute Soldatenrat in Deutschland uns
Transportmöglichkeit genehmigte. Die Fahrt von Kirchheim bis nach Kornwestheim dauerte
auch einige Tage, bis den lieben Soldatenräten die Schmiergelder hoch genug waren. In
Ludwigsburg war der Soldatenrat so einsichtsvoll, uns den Einmarsch ohne Störung zu
garantieren, von ??? dann wenige Tage vor Weihnachten erfolgte.
2 Bataillone hatten sich im Kornwestheim aufgestellt.
Tagebuch Seite 34
Das Letzte fuhr gerade im Bahnhof ein. Der Einmarsch nach Ludwigsburg begann. Wer
beschreibt den Jubel und die Freude. Den ganzen Weg bis nach Ludwigsburg waren beide
Straßenseiten von Menschen belagert, die uns mit Blumen begrüßten. Da freute sich auch
wieder das Soldatenherz und das Pflaster von Ludwigsburg erdröhnte im letzten Paradeschritt
der Frontsoldaten. Der Empfang war so herzlich, dass wir selbst zum Teil beschämt, alle aber
gerührt waren, ob der liebe und Begeisterung, die alle mitriss und uns wieder vergessen ließ,
was die Heimat uns angetan. Zum ersten mal feierten wir dann wohl in Not und Elend, aber
im Frieden wieder Weihnachten daheim.
© F. Schulz
25
Herunterladen