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Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und
Eheberatung e.V.
Jahrestagung 2009
Saalfeld, 22.05.2009
Depression – Krankheit des 21. Jahrhunderts
Dr. Dipl.-Psych. David Althaus, Dachau
1. Epidemiologie und gesundheitspolitische Bedeutung
2. Depression in der Theorie: Symptome, Verlauf,
Diagnostik
3. Depression in der Praxis: Ein Irrgarten?
4. Ursachen depressiver Erkrankungen
5. Die Behandlung der Depression: die Theorie
6. Die Behandlung der Depression: die Praxis
7. Suizidalität
8. Die Situation der Angehörigen
1. Depressive Störungen:
Epidemiologie und
gesundheitspolitische
Relevanz
Mit Beeinträchtigung gelebte
Lebensjahre (in Mio.), YLD
Belastung durch Krankheiten in den
entwickelten Ländern - 2001
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
8,39
6,33
5,39
3,77
3,77
3,46
2,86
2,25
1,68
1,53
Lopez A. et al., 2006
Epidemiologie in Deutschland
ca.
5%
•
Rund 5% der Bevölkerung leiden
gegenwärtig unter einer
depressiven Erkrankung
•
Frauen doppelt so häufig betroffen
wie Männer
•
Erkrankung betrifft alle
Gesellschafts- und Altersgruppen
Ca. jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken im Laufe des
Lebens an einer Depression.
Der Großteil der Erkrankten bleibt ohne
ausreichende Behandlung
Depression bleibt oft unerkannt:

Viele Betroffene erkennen die eigene Depression nicht

Körperliche Symptomatik überdeckt häufig die Depression
Beschwerdeprofil von Depressionspatienten
in der Hausarztpraxis
31%
andere
69%
körperliche
Beschwerden
Kopfschmerz
Rückenschmerz
69% der Patienten mit Depression
suchen ihren Hausarzt ausschließlich aufgrund von körperlichen
Beschwerden im Rahmen der
Depression auf
Erschöpfung
Herzklopfen
Nackenverspannungen
Beklemmungen in der Brust
Abdominelle Beschwerden
Magenbeschwerden
Schwindel
Simon et al. (1999): Studie an 1146 Patienten
Der Grossteil der Erkrankten bleibt ohne
ausreichende Behandlung
Depression bleibt oft unerkannt

Viele Betroffene erkennen die eigene Depression nicht

Körperliche Symptomatik überdeckt häufig die Depression
Depression wird unzureichend behandelt

Viele Betroffene haben Angst, sich in psychiatrische Behandlung zu
begeben (vor allem Vorbehalte gegen Psychopharmaka)

Auch bei Durchführung einer Behandlung viele Anwendungsfehler:

Z.B. unzureichende Aufklärung
Psyche statt Herz:
Ursachen für Berufsunfähigkeit
100%
90%
17%
9%
70%
8%
28%
32%
6%
50%
40%
37%
Psychische
Erkrankungen
Neubildungen
14%
30%
15%
5%
13%
4%
11%
20%
10%
21%
Sonstiges
80%
60%
18%
23%
22%
1983
2002
Stoffwechsel/Verdauung
Herz/Kreislauferkrankungen
Skelett/Muskeln/Bindegewebe
17%
0%
Alte Länder
2006
Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund 2007, S. 74f
Arbeitsunfähigkeit
ICD10-Diagnosen
Fälle
Tage
je Fall
Tage
Anteil
Tage
M54 Rückenschmerzen
138.723
12,3
1.699.421
5,60%
J06 Akute Infektionen an mehreren oder 245.762
nicht näher bezeichneten Lokalisationen
der oberen Atemwege
5,4
1.319.140
4,34%
F32 Depressive Episode
27.274
48,0
1.308.623
4,31%
M51 Sonstige Bandscheibenschäden
17.186
46,3
795.473
2,62%
J20 Akute Bronchitis
89.070
6,7
594.450
1,96%
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen
und Anpassungsstörungen
22.619
25,3
572.502
1,89%
K52 Sonstige nicht infektiöse
Gastroenteritis und Kolitis
112.687
4,5
509.321
1,68%
6,5
492.613
1,62%
J40 Bronchitis, nicht
chronisch bezeichnet
als
akut
oder 76.227
T14 Verletzungen an einer nicht näher
bezeichneten Körperregion
34.993
12,9
452.399
1,49%
M23 Binnenschädigung des Kniegelenks
16.710
26,3
439.726
1,45%
Quelle: Gesundheitsreport Techniker Krankenkasse 2008, S. 132
Todesursachen im Vergleich: BRD 2007
Suizid
9.402
Drogen
1.394
Verkehr
Mord /
Totschlag
Aids
5.011
734
461
(Daten des Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes)
Ergebnisse psychologischer
Autopsiestudien aus Skandinavien
Suizid ereignet sich fast immer vor dem
Hintergrund psychischer Erkrankung!
Häufigste Störungen:
•
Depressive Erkrankungen
•
Suchterkrankungen
•
Psychosen
2. Depression in der Theorie:
Symptome,
Verlauf, Diagnosik
Die verschiedenen Ebenen der Depression
Psyche
Körper
Verhalten
Merkmale einer Depression:
Psychische Symptome
Denken, Fühlen, Motivation sind beeinträchtigt

Niedergeschlagenheit

Gefühl der Sinnlosigkeit

Interesselosigkeit

Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit

Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen

Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit

Gefühl der Gefühllosigkeit

Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven

Suizidgedanken
Merkmale einer Depression:
Körperliche Symptome

Gewichtsabnahme, verminderter Appetit

Schlafstörungen: Durchschlafstörungen, Morgentief

Druck- und Engegefühl im Hals und über der Brust

Schweißausbrüche, Herzklopfen,

rheuma-ähnliche chronische Schmerzzustände

Sexuelle Lustlosigkeit

Kraftlosigkeit und fehlende Frische, rasche Erschöpfbarkeit
Merkmale einer Depression:
Verändertes Verhalten

Sozialer Rückzug

Psychomotorische Hemmung / Agitiertheit

Veränderte (Körper) - Sprache

Antriebslosigkeit / Apathie

Suizid, Suizidversuche, Suizidankündigungen
Beschreibung: Arten und Verlauf
Einzelne depressive Episode (knapp die Hälfte der
Betroffenen erlebt nur eine einzelne depressive Phase)
Zeit
dauerhaft beschwerdefrei
Verschiedene Erscheinungsbilder möglich:
z.b. gehemmt, agitiert, somatisiert oder wahnhaft
Beschreibung: Arten und Verlauf
Schwere Depression (phasisch, unipolar, Major Depression)
Dysthymie („neurotische Depression“)
Beschreibung: Arten und Verlauf
Manisch Depressive Erkrankung (Bipolare affektive Störung):
Neben depressiven Phasen treten Zustände von übermäßiger
Aktivität, gehobener Stimmung und allgemeiner Angetriebenheit,
manchmal auch Gereiztheit auf.
Bipolare Störungen erfordern DRINGEND medikamentöse Behandlung.
Haupt- und Nebenkriterien nach ICD-10
Suizidgedanken /
Suizidale
Handlungen
Negative und
pessimistische
Zukunftsperspektiven
Verlust von
Interesse u.
Freude
Depressive
Stimmung
Gefühl von
Schuld und
Wertlosigkeit
Verminderter
Antrieb
Schlafstörungen
Vermindertes
Selbstwertgefühl
und Selbstvertrauen
Appetitminderung
Verminderte
Konzentration und
Aufmerksamkeit
Diagnoseziffern nach ICD-10
F31
Depressive Phase im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung
(manisch/depressiv)
F32
Depressive Phase, monophasisch (unipolare Depression)
F32.0
Leicht: 2 Haupt-Symptome + 2 Zusatz-Symptome länger als 2 Wochen
F32.1 Mittelgradig: 2 Haupt-Symptome + 3-4 Zusatz-Symptome länger als 2 Wochen
F32.2
Schwer: 3 Haupt-Symptome + 4 Zusatz-Symptome länger als 2 Wochen
F33
Depressive Phase, rezidivierend (unipolare Depression)
Schweregrad wie F32: (F33.0-F33.2); wiederkehrende Phasen
F34
Dysthymie
F06.32
Organische depressive Störung
milde (nicht rezidivierende), im jungen Erwachsenenalter
beginnende, über mindestens 2 Jahre anhaltende
depressive Verstimmung
Differentialdiagnose
Ausschluss körperlicher Ursachen:
 endokrine / hormonelle Störungen
(z.B. Schilddrüsenfunktionsstörung)
 neurologische Erkrankungen
 Viruserkrankungen
 Tumore
 Autoimmunerkrankungen
 medikamentöse Ursachen
Daher: ärztliche Untersuchung unverzichtbar!
3. Depression in der Praxis:
Ein Irrgarten?
Angststörungen
Anpassungsstörung,
Belastungsreaktionen
Leichte
Dysthymie/
Mittelschwere
Depression
atypische
Depression,
Neurasthenie,
Depression,
larvierte
Sissi-Syndrom male depression
Depression
Somatisierungsstörungen
Schwere
Depression,
Bipolar 1
Bipolar 2,
Bipolar 3
Bipolar 4
In der Praxis hohe Komorbidität
•
Häufig Somatisierungsstörungen (z.B. chronischer Schmerz)
•
Häufig ähnliche Symptome wie bei Angsterkrankungen (vor allem
GAS)
•
Unscharfe Abgrenzung zwischen den verschiedenen Subgruppen
•
Depressive Symptome auch im Rahmen von
Persönlichkeitsstörungen
•
Depressive Syndrome auch bei Schizophrenien und anderen
psychotischen Störungen
•
Beispiel: 31 jähriger Patient mit depressiver Störung (mittelgradige
Episode), Somatisierungsstörung und dependenter
Persönlichkeitsstörung: was steckt dahinter?
„Eine der verbreitetsten
Krankheit ist die Diagnose“
Karl Kraus
Depressionsformen: ein Wollpertinger?
•
genauer Ursprung
unklar
•
Tierpräparatoren
begannen, Präparate
aus Körperteilen von
unterschiedlichen
Tierarten
zusammenzusetzen
•
Wurden an
leichtgläubige
Touristen zu verkauft
Kritik an der ICD Diagnostik

dichotomes Schema „krank-gesund“ entspricht nicht der
Lebenswirklichkeit

„Krankheit“ als Problem des Einzelnen ohne Berücksichtigung
sozialer und systemischer Aspekte

Reine Defizitorientierung ohne Einbeziehung von Ressourcen

Erzeugung einer Scheinwirklichkeit (Krankheiten als nosologische
Entitäten ähnlich wie die Beschreibung von Tiergattungen)

ICD 10 als rein deskriptives Klassifikationsmodell unter Verzicht auf
die Einbeziehung ätiologischer Aspekte kann zu Pathologisierung
normaler Reaktionen führen (z.B. Trauer nach Verlust)
Trauer oder Depression?
Bei Frau M. (50 Jahre) zeigen sich seit dem tragischen Unfalltod ihres
Mannes vor 3 Monaten folgende Veränderungen:

sie fühlt sich niedergeschlagen und traurig

sie schläft schlecht und wenig

sie kann sich ein Leben ohne den Mann einfach nicht vorstellen

das „normale Leben“ (Fernsehen, Zeitungen, Tratsch) interessiert sie
nicht mehr

oft wäre sie einfach auch gerne tot und wünscht sich nicht mehr
aufzuwachen

In ihre Arbeit (Grundschullehrerin) geht es ihr vergleichsweise gut;
Hat Frau M. eine Depression?
Was müsste man noch erfragen?
Wie kann man ihr helfen?
Depression ist nicht einfach Trauer

Die Veränderungen sind nicht nur eine nachvollziehbare
vorübergehende Reaktion auf eine äußere Belastung (z.B.
Verlustsituation)

Die Beschwerden bestehen über Wochen und Monate, ohne
dass es zu einer „Anpassung“ an die Situation kommt

Der äußere Anlass allein erklärt nicht die depressive
Symptomatik (häufig reichen „kleine“ Auslöser und es
finden sich keine traumatische Ereignisse)
Tod kann auch Auslöser einer Depression sein
Für die depressive Erkrankung spricht:

Affektstarre und mangelnde Schwingungsfähigkeit (meist
spürbar im direkten Kontakt)

Gefühl der Gefühllosigkeit

Trauer steht nicht in Vordergrund

Schuldgefühle und Ausmaß an Hoffnungslosigkeit

keine Ablenkbarkeit

Suizidalität

Wahnsymptomatik (Versündigung, Verarmung)

Verlauf (gab es bereits früher depressive Episoden?)
Sichere Diagnosestellung nur durch Fachkraft möglich (PsychiaterIn
oder PsychologIn)!
Notwendigkeit der Diagnostik

Diagnostik ist „Mensch gemacht“ und damit nie eine überdauernder
objektiver Maßstab

Die Vorstellung, allein die genaue Klassifikakation der Symptomatik
führe zu einer guten Behandlung ist irrig

Dennoch: in Diagnostische Modelle fließt klinisches
Erfahrungswissen und wissenschaftliche Evidenz

Diagnostik für intra- und interdisziplinäre Verständigung dringend
notwendig

Wir können nicht bei jedem Patienten die Behandlung bei „null“
beginnen

Klassifikation als hilfreiche Krücke, um das Phänomen zu
beschreiben und erprobte Wege der Behandlung einzuschlagen
Beispiel: Depression beim Mann
Herbert Grönemeyer - Männer
Männer haben Muskeln,
Männer sind furchtbar stark,
Männer können alles,
Männer kriegen 'nen Herzinfakt,
ohh Männer sind einsame Streiter
müssen durch jede Wand, müssen immer weiter.
Refrain:
Männer habens schwer, nehmens leicht
außen hart und innen ganz weich
werden als Kind schon auf Mann geeicht.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann???
Charakteristika der Depression beim Mann
• Reizbarkeit und Verstimmung
• Niedrige Impulskontrolle (schnelles Aufbrausen)
• Wutanfälle, unbändiger Ärger
• Neigung zu Vorwürfen und nachtragendem Verhalten
• Geringe Stresstoleranz
• Hohe Risikobereitschaft
• Sozial unangepasstes Verhalten
• Höhere Bereitschaft, eine Straftat zu begehen
• Höherer Gebrauch von Suchtmitteln (Alkohol und Nikotin)
• Generelle Unzufriedenheit mit sich selbst und anderen
• Erhöhtes Suizidrisiko
Charakteristika der Depression beim Mann
• Wer um diese spezifische Ausprägung männlicher Depression
weiß, erkennt leichter, dass hinter der reizbaren Fassade des
Gegenübers etwas ganz anderes steckt.
• Der depressive Mann lädt ein zu bagatellisieren. Wissen um
männliche Depression kann helfen, wachsam zu sein
• Bei männlicher Depression können Scham und Kränkung eine
zentrale Bedeutung haben
• Die Möglichkeit gerade diese Themen behutsam anzugehen,
kann ein wesentlicher Entlastungsfaktor für den Pat. sein
4.
Ursachen depressiver
Erkrankungen
Psychische und biologische Ursachen: Bei jedem
Patienten gibt es 2 Seiten „EINER Medaille“
Psychosoziale Aspekte
Vulnerabilität z. B. negative Lebenserfahrungen, Kindheit,
Persönlichkeit
Auslöser
akute Belastungen,
Verluste Stress,
Beförderung,
Beziehungskrisen
Depressiver
Zustand
depressive Symptomatik im Erleben und
Verhalten
Neurobiologische Aspekte
genetische Faktoren
(Hinweise durch Zwillingsund Adoptionsstudien)
z. B. Überaktivität der
Stresshormonachse
z. B. Dysfunktionen der
Neurotransmitter
Serotonin / Noradrenalin
Genetische Faktoren von Depression

Erkrankungsrisiko um das Dreifache erhöht, wenn ein Elternteil
oder Geschwister depressiv erkrankt ist.

Zwillingsuntersuchungen:
Eineiige Zwillinge: Konkordanz = 35-42%
Zweieiige Zwillinge: Konkordanz = 15-20%

bipolare Störung zeigt eine noch größere Heredität

Kein einzelnes Hauptgen für Depression verantwortlich

Die Genetik ist allerdings nicht das einzige entscheidende
Kriterium (auch bei eineiigen Zwillingen erkrankt nur in 58-65%
der Fälle nur einer der beiden)
Serotonerges Neurotransmitter-System:
Ursprungsorte und Zielgebiete
Zusammenfassung I
• Depression kann jeden treffen
• Depression hat viele Gesichter
• Diagnostik ist notwendig, hat aber seine Tücken!
• Die Ursachen von Depression sind immer komplex
5. Behandlung depressiver
Störungen: Die Theorie
Die Behandlung der Depression
Zentrale Behandlungssäulen:
•
Eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung
•
Medikamentöse Behandlung (v.a. Antidepressiva)
•
Psychotherapie
•
Psychoedukation und Einbindung Angehöriger
Weitere Behandlungsverfahren (im Einzelfall indiziert)
•
•
•
•
•
•
Lichttherapie
Wachtherapie
EKT
Soziotherapie
Eheberatung
Sport
Wirkung nur bei saisonaler Depression belegt
meist nur im Rahmen stationärer Therapie mögl.
bei schwerer therapieresistenter Depression
z.B. bei Wiedereingliederungsmaßnahmen
Wenn Paarkonflikt wichtig für Depression
kann für einen Teil der Patienten hilfreich sein
Die Behandlung der Depression
Mit Hilfe von Medikamenten, Psychotherapie kann
man heute den allermeisten depressiv erkrankten
Menschen gut helfen.
wichtig ist:
a) die Ängste vor der Behandlung zu nehmen
b) Behandlungsfehler zu vermeiden
6. Behandlung depressiver
Störungen: Die Praxis
Die Kunst des Arztes ist es,
den Patienten solange zu
amüsieren, bis die Natur
ihn heilt.
Voltaire
1694 - 1778
Die Behandlung der Depression
•
Jede Depression hört irgendwann auf (aber wann?)
•
Die Behandlung ist oft mühsam und anstrengend; Menschen in
Depression sind anstrengend!
•
Der durchschnittliche Wirkungsgrad der Medikamente ist leider nur
mittelmäßig
•
welches Medikament im Einzelfall hilft, weiß man vorher nicht
•
Psychotherapie kann helfen, aber leider nicht immer
•
Einige Patienten sind gar nicht in der Lage in einer PT aktiv
mitzuarbeiten
•
ERGO: für einen erheblichen Teil der Pat. gibt es noch immer nicht
den einen goldenen Weg aus der Depression
Die Behandlung der Depression
•
Rund 50% der Patienten kann man mit Medikamenten und
Psychotherapie relativ schnell und effizient helfen
•
Innerhalb von 2-4 Monaten wird eine Vollremission erreicht
(vollständiges Abklingen der depressiven Symptome)
•
Bei einem weiteren Anteil von 20-30% erreicht man relativ rasch
eine Teilremission
•
Dem Pat. geht es besser, aber einige depressive Symptome
persitieren
•
Bei 10-20% der Erkrankten erreicht man auch nach monatelanger
Behandlung so gut wie keine Besserung (Therapieresistenz)
•
Gerade hier ist besondere Geduld von Seiten der Behandler
notwendig
Vorurteile und Ängste
bezüglich Antidepressiva
Bei einer repräsentativen Befragung von 1426 Personen glaubten
69%
80%
Zudem:
dass Antidepressiva die Persönlichkeit verändern
dass Antidepressiva abhängig machen
Obwohl Antidepressiva in den meisten Fällen gut
verträglich sind, glauben 71% der Befragten, sie hätten
starke Nebenwirkungen!!
Befragte verwechseln Antidepressiva, Beruhigungsmittel
und Neuroleptika!
Wichtigste Medikamente in der Psychiatrie
1. Beruhigungsmittel / Tranquilizer:
 wirken sehr schnell / wichtig für akute Krisen
 dämpfen und machen schläfrig
 Gewöhnungseffekt und bei längerer Anwendung Suchtgefahr
 bei Depression höchstens kurzfristig sinnvoll
2. Neuroleptika:
 Bei Psychosen unverzichtbar!
 ältere Präparate haben unangenehme Nebenwirkungen
 zur Depressionsbehandlung meist nicht notwendig
 Neuere Substanzen bei vielen Psychiatern z.Z. sehr „en vogue“
3. Antidepressiva:
 keine Veränderung der Persönlichkeit
 leichte bis mittlere Nebenwirkungen
 keine Dosissteigerung notwendig / keine Suchtgefahr
Antidepressiva

Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA): z.B.
Amitriptylin (Saroten), Clomipramin (Anafranil), Doxepin
(Aponal)

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI):
z.B. Paroxetin, Sertraline, Citalopram, Fluoxetin

Neue Substanzen (z.B. NARI; SSNRI): z.B. Reboxitin,
Venlavaxin (Trevilor), Duloxetin

MAO-Hemmer

Johanniskrautpräparate (wirksam nur als hochdosierte
Extrakte

Phasenprophylaktika: (z.B. Lithium und Antiepileptika)
Nebenwirkungen der am häufigsten
eingesetzte Antidepressiva
TZA (Tri- und tetrazyklische Antidepressiva)
 mögl. z.B. Nebenwirkungen: Blasenentleerungsstörungen,
Mundtrockenheit, kognitive Störungen, sexuelle
Funktionsstörungen
 häufigere Nebenwirkungen zu Beginn der Behandlung, mit der
Zeit jedoch abnehmend; bei anhaltenden Beschwerden
Umstellung auf verträglicheres Medikament üblich
SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)
 mögl. z.B. Nebenwirkungen: Übelkeit, innere Unruhe,
Schlafstörungen, Kopfschmerzen, sexuelle Funktionsstörungen
 Nebenwirkungen seltener und schwächer als bei TZA;
Medikamente jedoch wesentlich teurer
Unterscheidung verschiedener
Therapiephasen

Akuttherapie (Initial bis zum Eintreten der Remission; 4-8
Wochen)

Erhaltungstherapie (Fortführung der Medikation über
weitere 6 Monate; ansonsten große Rückfallgefahr)

Rückfallprophylaxe (bei wiederkehrenden Depressionen
ohne Phasenprophylaxe: Wiedererkrankungsrisiko drastisch
erhöht; 80% statt 20%)
Drei kritische Zeitpunkte für Therapieabbrüche
Einsetzen der
Medikation
Remission
Rückfall
Wiedererkrankung
Krankheit
Gesundheit
Remission
2
3
Ansprechen
1
unbehandelt
4-8 Wochen
Akuttherapie
4-6 Monate
Erhaltungstherapie
Monate – Jahre
Langzeittherapie
Genaue Aufklärung des Patienten über die Medikation und die
einzelnen Therapiephasen ist Voraussetzung für erfolgreiche
Behandlung!
Psychotherapie
 Richtlinienpsychotherapie (von Krankenkasse erstattet):
Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologisch fundierte Therapie,
Psychoanalyse
 Systemische Therapie konnte ihre Effizienz wissenschaftlich
nachweisen und wird voraussichtlich zukünftig ebenfalls zu den
Richtlinienverfahren gehören
 Für alle anderen Psychotherapieverfahren liegt derzeit noch
nicht ausreichend „Evidenz“ der Wirksamkeit vor
 Viele Verfahren werden dennoch inoffiziell „über Kasse“
praktiziert, z.B. weil Behandler formal zwar richtlinientherapie
durchführt, praktisch jedoch andere Verfahren integriert (z.B.
Hypnotherapie)
Kognitive Verhaltenstherapie
 Als wirksamstes und am besten validiertes
Psychotherapieverfahren bei der Behandlung von
Depression gilt die kognitive Verhaltenstherapie
Vorgehen innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie:
 Aufbau angenehmer Aktivitäten
 Abbau von Belastungen
 Tagesstrukturierung
 Korrektur fehlerhafter Überzeugungen
 Verbesserung des Sozial- und Kommunikationsverhaltens
 Problemlösetraining
Interpersonelle Psychotherapie
Indikation:
Patienten in
• aktuellen Konflikten mit anderen Personen
• veränderten Lebenssituationen oder Rollen
Zielbereiche:
Bearbeitung von Konflikten in interpersonellen Beziehungen, v.a.:
• Trennung, Trauer
• interpersonelle Auseinandersetzungen
• soziale Rollenkonflikte und –veränderungen
• interpersonelle Defizite
Tiefenpsychologisch fundierte
Kurzzeittherapie
Indikation:
Patienten mit
• chronischen Selbstwert- und Sinnproblemen
• einer Kindheitsgeschichte mit Missbrauch, Verlusten und
Trennungen
Zielbereiche:
• Bearbeitung intrapsychischer Konflikte, die durch
gegenwärtige Auslöser reaktiviert wurden
• Aufdeckung und Bewältigung des unbewussten Konfliktes
• Bearbeitung von Übertragungs- und GegenübertragungsMechanismen im Rahmen der therapeutischen Beziehung
Cognitive-Behavioral Analysis System of
Psychotherapy: CBASP (McCullough)
•
Hypothese: Chronische Depression als Entwicklungsstörung im
interpersonalen Bereich. Denken, Sprechen und Verhalten der P.
wie bei 4 –6-jährige Kindern
•
Zustand der Inkohärenz (keine Verbindung/Kontakt mit der
Außenwelt). P. auf Stufe des „Präoperationalen Denkens“.
Gefangen in seiner Weltsicht
•
Chronisch depressive Menschen fühlen sich somit oft als
einflussloses Opfer
•
Therapie zielt darauf ab, dem P. zu vermitteln, wie er sein eigenes
Leiden selbst immer wieder erzeugt (spezifische Folgen eigenen
Verhaltens erkennen)
•
Immer wieder sehr präzise Situationsanalysen mit dem Patienten
und deutliches interpersonelles Feedback
•
Entwicklung und Training erfolgreicher und angemessener
Verhaltensweisen
7.
Suizidalität
Depression und Suizidalität
10-15 %
mit rezidivierender Depression versterben durch Suizid
20-60 %
weisen einen Suizidversuch auf
40-70 %
leiden an Suizidideen
bei 90 %
der Suizidenten psychiatrische Erkrankung im
Vorfeld, am häufigsten Depression (40-70 %)
Wenn eine Depression vorliegt, dann sollte die Suizidalität
immer aktiv erfragt werden!
1
1- Jah
5 r
5- Jah
10 re
10 Ja
-1 hr
5 e
15 Ja
-2 hr
0 e
20 Ja
-2 hr
5 e
25 Ja
-3 hr
0 e
30 Ja
-3 hr
5 e
35 Ja
-4 hr
0 e
40 Ja
-4 hr
5 e
45 Ja
-5 hr
0 e
50 Ja
-5 hr
5 e
55 Ja
-6 hr
0 e
60 Ja
-6 hr
5 e
65 Ja
-7 hr
0 e
70 Ja
-7 hr
5 e
75 Ja
-8 hr
0 e
80 Ja
-8 hr
5 e
85 Ja
-9 hr
0 e
90 Jah
Ja re
hr
e
+
<
Anzahl der Suizide pro 100.000
Suizidraten in Deutschland 2007
80
70
Männlich
60
Weiblich
50
40
30
20
10
0
Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt
Akute Suizidalität: Risikogruppen
•
für Suizid: ältere Männer
•
für Suizidversuch: junge Frauen (14-24 Jahre)
•
Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen (Depression
Suchterkrankungen, Psychosen)
•
akute krisenhafte Ereignisse (z.B. Arbeitslosigkeit, Schulden,
Scheidung, Inhaftierung, Verlusterlebnisse, Traumatisierung)
•
Mangelnde Unterstützung durch Angehörige oder Freunde. Keine
Einbindung in feste Strukturen, soziale Isolierung
•
Zeit nach der Entlassung aus stationär psychiatrischer Behandlung
•
Chronische körperliche Erkrankungen
•
Suizidversuche in der Vorgeschichte oder in der Familiegeschichte
•
Hohe narzisstische Kränkbarkeit
•
starke Verleugnungstendenz und mangelndes Hilfesuchverhalten („mir
geht es gut; ich brauche keine Hilfe..“)
Indikatoren für akute Suizidgefahr

Drängende Suizidgedanken

Große Hoffnungslosigkeit und starke Schuldgefühle

Starker Handlungsdruck („ich halte das nicht länger aus!“)

Massive narzistische Kränkung

starke Impulsivität (erhöhte Gefahr bei Drogen- oder Alkoholkonsum)

Zunehmender sozialer Rückzug

Verabschiedung von Menschen, Verschenken von Wertgegenständen
Regelung letzter Dinge (Testament, Versicherungen, Papiere)

Offene und verdeckte Ankündigung von Suizid („es wird aufhören, so
oder so...“)

Patient reagiert gereizt, aggressiv oder ist agitiert

Konkrete Suizidpläne oder Vorbereitung suizidaler Handlungen
Stadien der Suizidalität
Anzahl betroffener Menschen
Mäßige
Suizidgefahr
Passive
Todeswünsche
Erwägung
Hohe
Suizidgefahr
Suizidgedanken
Suizidideen
Suizidpläne
Vorbereitungen
Ambivalenz
Suizidale
Handlungen
Entschluss
Abklärung von Suizidalität: Formulierungshilfen

„Gibt es in ihrer derzeitigen schwierigen Situation auch Gedanken
an den Tod?“

„Was genau meinen Sie damit, dass Todsein besser wäre?“

„Denken Sie dabei auch an Suizid?“

„An was denken Sie genau, wenn Sie sagen, sie könnten sich
umbringen?“

„Haben Sie sich die ... (z.B. Medikamente) schon besorgt?“

„Wie oft und wie lange kommen die Gedanken an Suizid?“

„Haben Sie darüber schon mit jemandem gesprochen?“

„Haben Sie schon einmal versucht sich das Leben zu nehmen?“

„Gibt es denn auch Dinge, die Sie noch am Leben halten?“
Mögliche Schritte bei akuter Suizidalität

Suizidalität offen ansprechen, keine Wertung vornehmen

Beziehung herstellen, Suizidalität als Ausdruck der Krise
akzeptieren

Sich viel zeit nehmen, um Zeit zu gewinnen

Antisuizidpakt schließen (können Sie dem Pat. glauben)

Notfallplan erarbeiten bei weiterer Verschlechterung

Hilfe hinzuziehen (Facharzt, Klinik, Angehörige…)
hinzuziehen

Bei erheblicher Suizidgefahr und mangelnder Kooperation:
notfalls Polizei verständigen (Einweisung gegen den Willen
des Pat.)

Verantwortlichkeit liegt nun bei der Polizei und bei den
Klinikärzten
8. Die Situation der
Angehörigen
Die Situation der Angehörigen: lange Tradition
falscher Schuldzuschreibungen
•
Angehörige werden in der Gesellschaft, aber auch innerhalb der
Medizin noch immer als maßgebliche Verursacher psychischer
Krankheit gesehen
•
„….wenn die ihr Kind besser erzogen hätten, ………“
•
„….schau Dir die Eltern an, dann wird Dir klar, …….…“
•
„… wenn sie meine Frau wäre,………………...“
•
Historisch besonders prominentes Beispiel:
die „schizophrenogene Mutter“
Die Angehörigen fühlen sich oft schlecht
behandelt
• Aussage von Angehörigen: „Wir kennen unser Kind und wollten es
immer so gut wie möglich unterstützen…“
• Eigene Erfahrungen:
– „Niemand hat mit uns gesprochen…“
– „Wir haben keine präzisen Informationen erhalten…“
– „Uns wurde immer das Gefühl vermittelt, lästig zu sein…“
– „Keiner hat nach unseren Beobachtungen oder Ansichten
gefragt…“
– „Niemand hat die Behandlung mit uns abgesprochen…“
– „Nach der Entlassung haben wir ihn dann einfach
zurückbekommen und den Ärzten war es doch scheißegal, wie
wir mit der Situation zurechtkommen…“
Die vielfältigen Rollen der Angehörigen
• Unterstützer der Behandlung
– Wichtige Informationsquelle (externe Anamnese)
– Cotherapeuten in der Behandlung: Helfen bei Aktivierung,
Strukturierung, achten auf Medikamenteneinnahme
• „Gegenspieler“
– die „Mitverursacher“ einer Störung
– wesentlicher Faktor für Aufrechterhaltung der Störung
– Gegenspieler und Saboteure der Behandlung
• Selbst Betroffene
– Oft selbst erheblicher Leidensdruck
– manchmal selbst hilfebedürftig
Argumente für die Einbeziehung von
Angehörigen
•
Psychische Krankheit immer multikausal determiniert
•
Neben biologischen Faktoren spielen persönlichkeitsspezifische und systemische Faktoren eine bedeutsame Rolle
•
Je nach Erkrankung sind Interventionen auf unterschiedlichen
Ebenen notwendig (z.B. medikamentöse Behandlung +
Psychotherapie + Familientherapie)
•
Je nach Erkrankung und Einzelfall sind familiäre Faktoren
unterschiedlich bedeutsam
•
Die Einbeziehung der Angehörigen ist oftmals notwendig, um
den Stellenwert der Familie für das Krankheitsgeschehen
überhaupt einschätzen zu können
Zusammenfassung
•
Depressive Erkrankungen sind sehr häufig und haben
schwerwiegende Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft
•
Depressionen müssen zunächst erkannt werden, damit
überhaupt eine zielführende Therapie eingeleitet werden kann
•
Depressionen sind i.d.R. gut behandelbar. Die Therapie erfordert
allerdings viel Kraft und Geduld
•
Suizidalität ist ein häufiger Begleiter der Depression. Es gilt,
immer wieder aktiv nach Todeswünschen nachzufragen, um
gegebenenfalls weitere Hilfe hinzuziehen zu können
•
Die Angehörigen leiden mit! Sie nicht in die Behandlung
einzubeziehen ist in vielen Fällen falsch. Damit wird eine
wesentliche Ressource für Therapieerfolg vertan.
Literatur:

Hegerl U., Althaus D., Reiners H. (2005) Das Rätsel Depression – Eine
Krankheit wird entschlüsselt. Beck Verlag, München

Wolfersdorf M. (2000). Der suizidale Patient in Klinik und Praxis. Suizidalität
und Suizidprävention. WVG: Stuttgart.

Möller H.-J. et al (2000). Psychopharmakotherapie: Ein Leitfaden für Klinik und
Praxis. Kohlhammer Stuttgart
Für Betroffene:.

Althaus, Hegerl, Reiners (2006) Depressiv? Die 111 wichtigsten Fragen und
Antworten zu Depression. Köselverlag München

Solomon A. (2001). Saturns Schatten. Die dunklen Welten der Depression.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main

Homepage des Bündnisses geg. Depression: www.buendnis-depression.de
Für Angehörige:

Rosen L.E., Amador X.F. (2002). Wenn der Mensch, den du liebst, depressiv
ist. Wie man Angehörigen oder Freunden hilft. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek.
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