Entwicklungspsychologie für Lehrer Geschichte, Gegenstand und Theorien Entwicklungspsychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie sie wird mit der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie als DIFFERNTZIELLE PSYCHOLOGIE bezeichnet Differentzielle Psychologie = befasst sich mit Unterschieden psychischer Eigenschaften Grundannahmen Entwicklung als lebenslanger Prozess Entwicklung als Gewinn und Verlust Entwicklung = nicht nur ein Zuwachs an Kapazität, sondern auch Verluste & Abbauprozesse Grundannahmen Plastizität Entwicklung ist durch eine hohe intraindividuelle Plastizität gekennzeichnet = Veränderbarkeit innerhalb einer Person Geschichtliche Einbettung = Einfluss der geschichtlichen Ära Grundannahmen Kontextualismus: Entwicklungsverläufe unterliegen kontextuellen Einflüssen = biologische Reifung / altersgestufte Sozialisationsereignisse / geschichtlich bedingte Einflüsse Multidisziplinarität: zur Aufklärung der Entwicklung werden auch andere Disziplinen herangezogen z. B. Anthropologie, Biologie & Soziologie Gegenstand der Entwicklungspsychologie Entwicklungspsychologie handelt von der menschlichen Entwicklung = Untersuchung psychischer Veränderungen eines Individuums im Laufe seiner Entwicklung Veränderungen werden betrachtet & einem zeitlichen Kontinuum zugeordnet Allgemeine Aufgaben der Entwicklungspsychologie Beschreibung und Erklärung von Konstanz & Veränderung Erforschung dieser Veränderungen sowie deren Einflussgrößen Ableitung von Prognosen der künftigen Entwicklung Begriffsbestimmung Entwicklung Grundlegendes Kennzeichen aller Lebewesen fortwährende, beobachtbare Veränderungen im Erleben und Verhalten Geschichte der Entwicklungspsychologie Ältere Ansätze Auseinadersetzung mit der menschlichen Entwicklung erfolgt bereits in der Antike: Platon unterscheidet 4 Stufen menschlicher Entwicklung Aristoteles geht von einem inneren Plan (Entelechie) der Entwicklung aus Geschichte der Entwicklungspsychologie Philosophen der Aufklärung z. B. John Locke „Kinder sind keine kleinen Erwachsen“ = Formbarkeit des Kindes wird betont Mensch kommt als „tabula rasa“ auf die Welt, wird erst durch die Erfahrungen geformt Geschichte der Entwicklungspsychologie Rousseau (1712-1778): in den natürlichen Entwicklungsverlauf soll nicht eingegriffen werden pädagogische Einflussnahme schadet der Entwicklung Geschichte der Entwicklungspsychologie Tiedemann (dt. Philosoph 1748-1803): erste grundlegende Beobachtung der Verhaltensentwicklung kleiner Kinder veröffentlicht 1787: „Beobachtungen über die Entwicklung der Seelenfähigkeit bei Kindern“ Geschichte der Entwicklungspsychologie Spencer, Darwin (1809-1882): Vergleich der Entwicklung verschiedener Völker, Tierarten & Menschen Darwin veröffentlicht 1877 seine Aufzeichnung über die Entwicklung seines ersten Kindes Die Entwicklungspsychologie als Fachwissenschaft im 20. Jahrhundert Ende 19. bis Beginn 20. Jh.: die Psychologie etabliert sich als eigenständige wissenschaftliche Disziplin an europäischen & amerikanischen Universitäten Gründung von Lehrstühlen für Entwicklungspsychologie Forschungsrichtungen der Entwicklungspsychologie Unterscheidung nach: Fragestellung, Grundannahmen & Methoden: Deskriptiv-normative Entwicklungspsychologie Experimentelle Kinderpsychologie Sozialisationsforschung & Entwicklungsauswirkungen von Interventionen & Ereignissen Wie entwickelt sich der Mensch? Parallel laufende Entwicklungstendenzen: Differenzierungsprozess = Differenzierung in der Wahrnehmung Zentralisationsprozess (Integrationsprozess) = zunehmende Steigerung und Integration des Verhaltens Kanalisationsprozess = Entwicklung wird in eine bestimmte Bahn gelenkt Wie entwickelt sich der Mensch? Entwicklungsvorgänge: zwei grundlegende Prozesse lassen sich unterscheiden: - Reifung - Lernen / Anpassung Wie entwickelt sich der Mensch? Reifung: vererbte Anlage wird von selbst wirksam Entfaltung in vorprogrammierter Weise = von innen gesteuert, unabhängig von äußeren Einflüssen Wie entwickelt sich der Mensch? Anpassung: Veränderungen im Verhalten, die durch äußere Einflüsse hervorgerufen werden Anpassung an spezifische Umweltbedingungen & der Erwerb ihrer Inhalte können als Lernprozess verstanden werden Erklärungsmodelle menschlicher Entwicklung - Endogenetische Theorie - Exogenetische Theorie - Konstruktivistische Stadientheorie - Interaktion zwischen Person- und Umweltveränderungen Erklärungsmodelle menschlicher Entwicklung Endogenetische Theorie: Entwicklung wird auf Anlagen als endogene (genetische) Faktoren zurückgeführt = Reifung Umwelt & Individuum sind passiv Analyse von Gemeinsamkeiten einer Altersstufe Vertreter = z. B. Rousseau, Montessori, Freud, Lorenz Erklärungsmodelle menschlicher Entwicklung Exogenetische Theorie • Entwicklung wird auf die Umwelt, exogene Faktoren zurückgeführt oder auf eine Interaktion von Anlage bzw. Person & Umwelt • Umwelt aktiv, Individuum passiv • Analyse von Unterschieden des Entwicklungsstands einer Altersgruppe Vertreter = z. B. Locke, Skinner, Bandura Erklärungsmodelle menschlicher Entwicklung Konstruktivistische Stadientheorie: Mensch befindet sich in einem aktiven Austausch mit der Umwelt er wirkt handelnd auf die Umwelt ein, erkennt & interpretiert sie Umwelt passiv, Individuum aktiv Vertreter: Piaget Erklärungsmodelle menschlicher Entwicklung Interaktionistische Position Interaktion zwischen Mensch & Umwelt wechselseitiger Einfluss ist nicht eindeutig determiniert Individuum & Umwelt aktiv transaktionale, relationale Modelle Erklärungsmodelle menschlicher Entwicklung Umwelt passiv passiv aktiv endogenetisch exogenetisch Konstruktivistisch Interaktionistisch Person aktiv Einflussfaktoren auf die menschliche Entwicklung Die psychische Entwicklung unterliegt der steten Beeinflussung durch: körperliche Vorgänge gesellschaftlich kulturelle Einflüsse Eigenaktivität und Selbststeuerung des Individuums Einflussfaktoren auf die menschliche Entwicklung wechselseitige Umweltreize, Erfahrung & Übung als notwendige Kriterien für die Entwicklung Theoriebildung in der Entwicklungspsychologie Ziele und Aufgaben: Aufdeckung von Gesetzmäßigkeiten im Laufe der Entwicklung Auffinden von Einflussfaktoren menschlicher Entwicklung Erklärung interindividueller Unterschiede im Entwicklungsstand Gleichaltriger Theoriebildung in der Entwicklungspsychologie Zwei Haupttheorien: Entwicklung als Stufengang Entwicklung als kontinuierlicher Prozess Theoriebildung in der Entwicklungspsychologie Stufentheorie: Entwicklung erfolgt in Schüben, die durch innere Gesetzmäßigkeiten (Reifungsprozesse) ausgelöst werden Aufeinanderfolge der Stufen ist festgelegt Reihenfolge der Stufen ist nicht umkehrbar Theoriebildung in der Entwicklungspsychologie Kritik an der Stufentheorie: Umwelteinflüssen wird kaum eine Bedeutung beigemessen Ähnlichkeit zwischen den Individuen einer Altersstufe wird zu sehr betont Theoriebildung in der Entwicklungspsychologie Entwicklung als kontinuierlicher Prozess: - - Entwicklung verläuft asynchron Entwicklungsverlauf erfolgt durch Reifungs- und Lernprozesse Kritik: Umwelteinflüssen wird eine zu große Bedeutung beigemessen Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklungsförderung nach der Stufentheorie: Entwicklungsfortschritte erfolgen durch Reifungsschübe - Zeitpunkt & Abfolge der Reifungsschübe sind biologisch verankert Fördernde Maßnahmen sind erst in der „richtigen Phase“ (Sensiblen Periode) einzusetzten vorzeitige Förderung kann sich schädlich erweisen & die Gesamtentwicklung stören Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklungsförderung nach der Theorie des kontinuierlichen Prozesses: Entwicklungsschritte vollziehen sich unter wesentlicher Beteiligung von Lernerfahrungen Entwicklungsförderung wirkt sich positiv auf den Entwicklungsverlauf aus ohne Entwicklungsförderung keine volle Entfaltung der Anlage möglich Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklungsförderung Daraus ergibt sich die Erkenntnis: Entwicklungsförderung erzielt dann den größten Erfolg, wenn sie im Verhältnis zum Entwicklungsstand ein mittleres Maß an Anforderungen an das Kind Stellt Methoden der Entwicklungspsychologie Entwicklungspsychologie gewinnt ihre Hypothesen & Theorien aus der Erfahrung & anhand von empirischen, intersubjektiv überprüfbaren Daten Gegenstand der Datenerhebung = menschliches Verhalten & Erleben (motorische, kognitive, verbale, nonverbale, physiologische Aspekte) Methoden der Entwicklungspsychologie Ältere Methoden - anekdotische Methode (Zufallsbeobachtungen) Biographische Methode (Kindertagebücher) Methoden der Entwicklungspsychologie Mängel älterer Methoden - wenig objektiv & zuverlässig (Reliabilität) eingeschränkte Gültigkeit (Validität) eingeschränkte Generalisierbarkeit Methoden der Entwicklungspsychologie Neuere Methoden systematische Beobachtung Experiment Analyse von Gestaltungen (Kinderzeichnungen) klinische Fallstudien Fragebogenerhebung Methoden der Entwicklungspsychologie Systematische Beobachtung eine der wichtigsten Datenquellen der Entwicklungspsychologie (besonders bei Kindern) Beobachtung nach einem festgelegten Schema, zu festgelegter Zeit Beobachter beobachtet nur einen Teilaspekt des Verhaltens Methoden der Entwicklungspsychologie Beobachtet wird in: natürlichen Situationen unter kontrollierten Bedingungen Beobachtungstechniken: systematische Dauerbeobachtung Time/sampling (=zufällige Zeitauswahl) teilnehmende Beobachtung Methoden der Entwicklungspsychologie Das Experiment: stellt eine Sonderform der kontrollierten Beobachtung dar Beobachtung erfolgt unter planmäßig variierten, wiederholbaren Bedingungen Methoden der Entwicklungspsychologie Das Experiment kommt zum Einsatz wenn: die Wirkung spezifischer Faktoren auf das Entwicklungsgeschehen festegestellt werden soll beeinflussende Faktoren aufgedeckt werden sollen Überprüfung von Ursache-Wirkungsbeziehungen Kategorisierung nach der Vorgehensweise bei der Abbildung von Alterseffekten Querschnittstudien: Erhebung an mehreren Altersgruppen von Probanden zum gleichen Messzeitpunkt wird in entwicklungspsychologischen Studien häufig angewendet Kritik: keine Informationen über intraindividuelle Unterschiede werden gewonnen Kategorisierung nach der Vorgehensweise bei der Abbildung von Alterseffekten Längsschnittstudien: Erhebung wird bei einer Gruppe von Kindern von einem bestimmten Alter an laufend über Jahre durchgeführt Kritik: - Studien dieser Art sind zeitaufwendiger - Gefahr, dass die Stichprobe aufgrund von Ausfällen verschiedenster Art über die Jahre hinweg immer kleiner wird