plus-minus 1650 I. 1650 11. Februar: Tod von René Descartes 4. November: Geburt von Wilhelm III., König von England, Schottland und Irland René Descartes 1596-1650 Thomas Hobbes 1588-1679 Erfahrung der englischen Bürgerkriege Ablehnung der Schulphilosophie und der aristotelischen Logik und Staatstheorie Bekanntschaft mit Francis Bacon Galileo Galilei René Descartes Marin Mersenne Pierre Gassendi Francis Bacon 1561-1626 Galileo Galilei 1564-1642 Pierre Gassendi 1592-1655 Marin Mersenne 1588-1648 Hauptwerk: Leviathan (1651, 1670 lat.) Vier Teile Die ersten beiden Teile: 1. Of Man 2. Of Commonwealth ordnen sich einer Systematik ein: Trilogie der Elementa Philosophiae De Corpore (1655) De homine (1658) De Cive (1642) Grundgedanke 1. Mensch im Naturzustand „bellum omnium contra omnes“ „homo homini lupus“ (De cive) < Plautus, Asinaria: „lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit.“ 2. Übertragung aller Gewalt auf den Souverän Erfahrung der Bürgerkriege in England Bürgerkriege im England des 17. Jahrhunderts Kontrahenten König – Parlament Faktoren institutionell König von Gottes Gnaden konfessionell anglikanisch – katholisch puritanisch – presbyterianisch außenpolitisch Rivalität mit Frankreich und Spanien König – Parlament James I (1566-1625) Charles I (1600-1649, reg. ab 1625) Beide waren Vertreter der Auffassung vom Gottesgnadentum der Herrscher Divine right of kings 1625 1628 Erste Auflösung des Parlaments wieder einberufen und bis 1640 aufgelöst 1641 Forderung nach parlamentarischer Kontrolle der Regierung zwei Bürgerkriege 1642-1648 Oliver Cromwell (1599-1658) Puritaner Kampf um Gewährung politischer Freiheiten Sieg über die königlichen Truppen Gefangennahme und Anklage des Königs wegen Hochverrats Hinrichtung von Charles I am 30. Januar 1649 Cromwell als Staatsoberhaupt des Commonwealth bis 1653 ab 1653 1658 1660 1685 1688 1689 Staatsform Republik Titel eines Lordprotektors (erblich) schrittweise Annäherung an eine Militärdiktatur Tod Cromwells Parlament verleiht Charles II die Königswürde Restauration der Monarchie (1660-1685) Tod von Charles II, sein Bruder James II wird König und betreibt als Katholik eine profranzösische Politik Wilhelm von Oranien, Schwiegersohn von James II, bittet das Parlament, ihm die Befugnis zur Machtübernahme zu erteilen „Glorious Revolution“: wird als William III König Bill of Rights – Ende des Absolutismus in England Unsicherheit – Die Grundstimmung einer Epoche Charles I Anthony Van Dyck (1635) „Und ich will solange weiter vordringen, bis ich irgend etwas Gewisses, oder, wenn nichts anderes, so doch wenigstens das für gewiß erkenne, daß es nichts Gewisses gibt.“ (Descartes, Meditationes, 1641) Johannes Gumpp, Selbstbildnis, 1646 David Bailly, Selbstbildnis mit Vanitasstillleben, 1651 Diego Velázquez, Las Meninas, 1656 Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens Abraham Bosse (1604-1676) Horst Bredekamp Thomas Hobbes – Der Leviathan: Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder, Berlin 2001 „Kannst du den Leviathan ziehen mit dem Haken und seine Zunge mit einer Schnur fassen? […] Wenn du deine Hand an ihn legst, so gedenke, daß es ein Streit ist, den du nicht ausführen wirst. […] Niemand ist so kühn, daß er ihn reizen darf; […] Wer kann ihm sein Kleid aufdecken? und wer darf es wagen, ihm zwischen die Zähne zu greifen? […] Seine stolzen Schuppen sind wie feste Schilde, fest und eng ineinander. […] Aus seinem Munde fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus. […] Die Gliedmaßen seines Fleisches hangen aneinander und halten hart an ihm, dass er nicht zerfallen kann. Sein Herz ist so hart wie ein Stein […] Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken […] Wenn man zu ihm will mit dem Schwert, so regt er sich nicht […] Er macht, daß der tiefe See siedet wie ein Topf […] Auf Erden ist seinesgleichen niemand; […].“ Luther-Bibel, 1534 William Blake, Behemoth and Leviathan, ca. 1805-1810 Thomas Hobbes: Leviathan Einleitung Erster Teil: Vom Menschen Zweiter Teil: Vom Gemeinwesen Dritter Teil: Von einem christlichen Gemeinwesen Vierter Teil: Vom Königreich der Finsternis EINFÜHRUNG Die Natur oder die Weisheit, welche Gott in der Hervorbringung und Erhaltung der Welt darlegt, ahmt die menschliche Kunst so erfolgreich nach, daß sie unter anderen Werken auch ein solches liefern kann, welches ein künstliches Tier genannt werden muß. Denn da Leben doch nichts anderes ist als eine solche Bewegung der Glieder, die sich innerlich auf irgend einen vorzüglichen Teil im Körper gründet, warum sollte man nicht sagen können, daß alle Automaten oder Maschinen, welche wie z. B. die Uhren durch Federn oder durch ein im Innern angebrachtes Räderwerk in Bewegung gesetzt werden, gleichfalls ein künstliches Leben haben? Ist das Herz nicht als Springfeder anzusehen? Sind nicht die Nerven ein Netzwerk und der Gliederbau eine Menge von Rädern, die im Körper diejenigen Bewegungen hervorbringen, welche der Künstler beabsichtigte? Doch die Kunst schränkt sich nicht nur auf die Nachahmung der eigentlichen Tiere ein, auch das edelste darunter, den Menschen, bildet sie nach. Der große Leviathan (so nennen wir den Staat) ist ein Kunstwerk oder ein künstlicher Mensch, — obgleich an Umfang und Kraft weit größer als der natürliche Mensch, welcher dadurch geschützt und glücklich gemacht werden soll. Bei dem Leviathan ist derjenige, welcher die höchste Gewalt besitzt, gleichsam die Seele, welche den ganzen Körper belebt und in Bewegung setzt; die Obrigkeiten und Beamten stellen die künstlichen Glieder vor; die von der höchsten Gewalt abhängenden Belohnungen und Bestrafungen, wodurch jeder einzelne zur Erfüllung seiner Obliegenheiten angehalten wird, vertreten die Stelle der Nerven; das Vermögen einzelner Personen ist hier die Kraft, so wie das Glück des Volkes das allgemeine Geschäft; die Staatsmänner, von welchen die nötigen Kenntnisse erwartet werden, sind das Gedächtnis; Billigkeit und Recht eine künstliche Vernunft; Einigkeit ist gesunder, Aufruhr hingegen kranker Zustand und Bürgerkrieg der Tod. Die Verträge endlich, welche die Teile dieses Staatskörpers verbinden, sind jenem bei Erschaffung der Welt von Gott gebrauchtem Machtworte gleich: Es werde oder laßt uns Menschen machen. Um die Natur dieses künstlichen Menschen näher zu beschreiben, muß betrachtet werden: 1) Der natürliche Mensch, der dessen Inhalt und Künstler zugleich ist. 2) Wie und durch welche Verträge jener entstanden, welche Rechte, welche Gewalt und Macht er habe, und wem die höchste Gewalt zukomme. 3) Was ein christlicher Staat sei. 4) Und schließlich: Was das Reich der Finsternis genannt werden müsse. Im Betreff des Ersteren behaupten zwar viele, man könne die Weisheit nicht sowohl aus Büchern als aus dem Umgang mit dem Menschen selbst erlangen; und natürlich pflichten dieser Meinung diejenigen bei, die von ihrer Weisheit leider keinen anderen Beweis geben können, als daß sie mit vielem Selbstbehagen durch lieblose Urteile über ihre Mitmenschen sichtbar machen, wie wenig sie aus diesem Umgang gelernt haben. Es gibt aber eine andere bewährtere Anweisung, die sie, wenn sie wollten, zu einer gründlicheren Kenntnis anderer Menschen führen könnte; und diese liegt in den Worten: Lerne dich selbst kennen. Γνῶθι σεαυτόν Heraklit: „Allen Menschen ist zuteil, sich selbst zu erkennen und verständig zu denken.“[ Die hierin enthaltene Lehre spricht dem übermütigen Stolz Höherer gegen Geringere, der der ungesitteten Frechheit Geringerer gegen Höhere ganz und gar nicht, wie einige wähnen, das Wort, sondern sie will sagen: die Gesinnungen und Leidenschaften der Menschen, so verschieden sie auch immer sein mögen, haben dennoch eine so große Ähnlichkeit untereinander, daß, sobald jeder über sich nachdenkt und findet, wie und aus welchen Gründen er selbst handelt, wenn er denkt, urteilt, schließt, hofft, fürchtet usw., er auch eben dadurch aller anderen Menschen Gesinnungen und Leidenschaften, die aus ähnlichen Quellen entstehen, deutlich kennen lernt; ähnliche Leidenschaften also, nicht aber ähnliche Gegenstände der Leidenschaften; denn diese sind, wegen der innerlichen Beschaffenheit und der Erziehung einzelner Menschen so mannigfaltig und versteckt, daß der wahre Zustand ihres Herzens, welcher durch Verstellung und Irrtümer einem unleserlichen und verworrenen schriftlichen Aufsatz ähnlich geworden ist, nur dem Herzenskundigen allein verständlich bleibt. Wenn wir auch zuweilen aus den Handlungen der Menschen ihre wahren Gedanken zu erraten im Stand sind, so ist dies doch sehr schwer, wenn wir, teils nicht dabei zugleich auf das achten, was in uns selbst vorgeht, teils nicht auf die verschiedenen Nebenumstände Rücksicht nehmen, welche eine Sache sehr verändern können. Kann wohl jemand einen fremden Aufsatz in unbekannten Chiffren lesen, wenn er den Schlüssel dazu nicht hat? Gerade so werden wir auch entweder aus Leichtgläubigkeit oder aus übertriebenem Mißtrauen, je nachdem wir gut oder schlechtdenkend sind, andere falsch beurteilen. Auch der Hellsehendste kann nur seine vertrauten Freunde, deren es immer nur wenige gibt, recht kennenlernen. Wer hingegen eine ganze Nation leiten will, der muß aus sich selbst, nicht diesen und jenen Menschen, sondern die ganze Menschheit kennenlernen. Freilich ist dies schwer, schwerer als die Erlernung einer neuen Sprache oder jeder anderen Wissenschaft; gelingt es mir aber, meine Gedanken hierüber geordnet und deutlich auseinanderzusetzen, so wird es anderen desto leichter werden: da sie nur bloß prüfen dürfen, ob das, was ich sage, ihren Gedanken entspreche. Denn auf keine andere Weise ist hierin eine überzeugende Erkenntnis möglich. Erster Teil Erstes Kapitel VON DEN SINNEN Zuerst wollen wir die Gedanken der Menschen einzeln betrachten, dann in Verbindung unter sich und wie sie auseinander entstehen. Denken wir uns irgendeine Eigenschaft oder sonst etwas an einem sichtbaren Körper, welches man gewöhnlich Gegenstand nennt, so ist das eine Erscheinung oder Vorstellung. Dieser Gegenstand, welcher auf die Werkzeuge unserer Sinne, z. B. Augen, Ohren usw. wirkt, bringt, nach Verschiedenheit seiner Wirkungsart, auch verschiedene Erscheinungen hervor. Der Ursprung von dem allen heißt Sinn. Denn wir können uns nichts denken, wenn es nicht zuvor ganz oder zum Teil in einem unserer Sinne erzeugt war. Von diesen ersten Eindrücken aber hängen alle nachherigen ab. […] Eine jede Empfindung setzt einen äußeren Körper oder Gegenstand voraus, der sich unserem jedesmaligen Sinn aufdrängt, entweder unmittelbar wie bei Gefühl oder Geschmack, oder mittelbar, wie beim Gesicht, Gehör und Geruch. Und dieser Druck wirkt vermittels der Nerven und Fasern sofort innerlich auf das Gehirn und von da aufs Herz. Von hier aus entsteht ein Widerstand und Gegendruck (άντιτυπία) oder ein Streben (conatus) des Herzens, sich durch eine entgegengesetzte Bewegung von diesem Druck zu befreien, und diese wird sichtbar. Diese Erscheinung heißt Empfindung. Licht und Farbe haben Bezug aufs Auge, der Schall aufs Ohr, der Geruch auf die Nase, der Geschmack auf den Gaumen; Wärme, Kälte, was hart und weich ist, und alles andere, was zum Gefühl gehört, auf den ganzen übrigen Körper. Dies alles nennt man empfindbar und ist im Grund genommen nichts anderes als eine Bewegung der Materie im Gegenstand, durch welche er auf die Sinneswerkzeuge mannigfaltig wirkt. Etwas anderes aber als verschiedene Bewegungen läßt sich darin nicht auffinden, weil Bewegung nur Bewegung hervorbringt, und jene Erscheinungen sowohl im Schlaf als beim Wachen bloße Vorstellungen sind. Wie überdies beim Druck des Gefühls ein Reiben, bei einem Schlag ins Auge ein Lichtschimmer und beim Druck des Ohrs ein Schall entsteht, ebenso wirken auch alle Dinge, die wir im übrigen sehen und hören: sie erzeugen eine Vorstellung durch einen wiewohl nur sehr unmerklichen Druck. Denn wenn die Farben und der Schall sich in dem Gegenstand selbst befanden, waren sie auch davon unzertrennlich; aber sie werden davon allerdings getrennt, was aus dem Zurückwerfen der Bilder in Spiegeln und des Schalls in Gebirgen erhellt. Es bleibt ausgemacht, das ein sichtbarer Körper nur an einem Ort, aber die Beobachtung seines Daseins an mehreren Orten sein kann. Obgleich nun auch oft in geringer Entfernung der eigentliche Gegenstand selbst in seiner eigentlichen Hülle gesehen wird, so ist dem ungeachtet der Gegenstand jedesmal etwas ganz anderes als seine Hülle. Folglich sind Empfindungen und ursprüngliche Vorstellungen ein- und dasselbe; sie entstanden, wie schon gesagt, durch den Druck eines äußeren Gegenstands auf das Auge oder auf sonst ein Sinnesorgan. Die Scholastiker aber erklären dies wegen einiger Stellen bei Aristoteles anders. Sie sagen: die sichtbaren Dinge (d. h. Erscheinungen), welche die Gegenstände auf unsere Augen werfen, bewirken das Sehen; die hörbaren Dinge (d. h. Erscheinungen), welche die Gegenstande auf unsere Ohren werfen, bringen das Hören hervor; endlich liege der Grund des Erkennens in gewissen zu erkennenden Dingen (d. h. Erscheinungen), die von der zu erkennenden Sache ausgehen. Ich erwähne dies nicht in der Absicht, als wollte ich die philosophischen Schulen für völlig verwerflich erklären; vielmehr werde ich weiterhin von dem Bedürfnis derselben für den Staat reden und da hielt ich es für nötig, hier wenigstens beiläufig dies zu bemerken; indem ich an gegebenem Ort bei mehreren Anlässen zeigen werde, welcher Verbesserungen sie bedürfen, wozu insbesondere gehört: daß ihre Lehrsatze oft gar nichts sagen.