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Allgemeines zum Leviathan:
Das Titelblatt der Erstausgabe des „Leviathan" von 1651 ist ein Meisterwerk, zu dem es die verschiedensten Interpretationen
gibt. Seine untere Hälfte ist dreigeteilt. Links und rechts stehen zwei Säulen aus je fünf einander genau zugeordneten Feldern,
sie zeigen die Kämpfe. Waffen und Symbole weltlicher und geistlicher Gewalt. Die linke Säule stellt das weltliche
Gewaltmilieu dar, den Krieg mit den Schwertern": oben eine sich mit rauchenden Geschützen verteidigende Festung;
darunter eine Krone, dann eine Kanone. dann Fahnen, Musketen, Degen und eine Trommel; und im untersten Feld Kavallerie
und Infanterie im Kriegsgetümmel. Die rechte Säule hingegen repräsentiert das geistliche Gewaltmilieu, den „Krieg mit den
Federn": oben eine Kirche, eine Bischofsmütze, dann, den weltlichen Geschützen korrespondierend, die geistlichen
Geschütze, die Bannstrahlen und Exkommunikationen; ebenfalls in der Form von Waffen dargestellt dann das logische
Disputationsbesteck der Philosophen und Scholastiker, mit dem man den Gegner im Streit der Worte besiegen möchte, sowie
das zweihörnige Dilemma, mit dem man den Opponenten aufspießt, den Dreizack des Syllogismus, der mit zwingenden
Schlußfolgerungen den Gegner festnagelt, die Gabeln und Forken der Unterscheidungskunst der scholastischen Logik, mit
denen man sich dem gegnerischen Zugriff entwindet, und unten , schließlich ein geistliches Konzil. Zwischen den beiden
Säulen steht der Titel des Buches.
Genau über dem Titel findet sich die berühmte Symbolgestalt des Leviathan abgebildet: eine gigantische menschliche
Gestalt, die sich hinter einer friedlichen Landschaft erhebt und bis in den Himmel hinaufragt. Auf dem Kopf trägt dieser
makros anthropos eine Krone, in der Linken, genau oberhalb der Säule der weltlichen Friedlosigkeit, hält er ein Schwert, das
Symbol der weltlichen Macht, und in der Rechten, genau oberhalb der Säule der geistlichen Friedlosigkeit. das Symbol der
geistlichen Macht, den Bischofsstab. Schwert und Bischofsstab erscheinen wie die Seiten eines Daches, unter dessen Schutz
das Land in Frieden und Gerechtigkeit blüht.
Der Körper der riesigen Fürstengestalt ist aus Menschen gebildet, die alle ihr Gesicht in die Richtung seines Hauptes wenden
so wie Sonnenblumen ihre Köpfe immer in die Sonne drehen. Sie schützen den Leib des Leviathan wie ein Schuppenpanzer:
und sie sind zugleich dieser Leib selbst, der von dem Willen des Fürsten ohne alles Widerstreben regiert wird. Der
friedbringende Schatten der Herrschaft des Leviathan ruht auf der ganzen Landschaft. Der Leviathan kann darum der
weltlichen und geistlichen Friedlosigkeit ein Ende bereiten und dem entzweiten Land den Frieden bringen, weil er im Besitz
aller Macht und unwiderstehlich ist. „Non est potestas Super Terram quae Comparetur ei. lob. 41.24." steht auf der obersten
Bildkante, ein Zitat aus dem Buch Hiob: „Es gibt keine Gewalt auf Erden, die der seinen vergleichbar wäre."
Das Titelbild des „Leviathan" hat eine verbindlichkeitstheoretische Pointe, die für die praktische Philosophie von großem
systematischen Interesse ist. Es gibt in größter emblematischer Verdichtung eine Antwort auf die Frage nach der Herkunft
normativer Verbindlichkeit in einer gottleeren Welt. Mit dem Verblassen des theologischen Absolutismus und beginnender
humaner Selbstbehauptung zum einen und der Ablösung des Ideologischen Naturkonzepts durch den Naturbegriff der neuen
Wissenschaften zum anderen hatte die kulturelle Rechtfertigungspraxis die traditionellen Geltungsgründe verloren. Daher
mußte Verbindlichkeit neu konzipiert, neu erfunden werden.
Man muß schon zu Hobbes selbst zurückgehen, um die philosophische Dramatik eines Unternehmens zu spüren, das den
Versuch unternimmt, in eine gottentleerte, auf naturwissenschaftlich beschreibbare Tatsächlichkeit reduzierte Wirklichkeit
Verbindlichkeit zu bringen. Man denke etwa an die großartige Einleitung in den „Leviathan", in der die Anatomie des
künstlichen Menschen beschrieben wird, der dann schließlich durch das schöpfungsimitierende und gottgleiche „Fiat" der
Menschen, durch ihr „Laßt uns einen künstlichen Menschen, einen Staat machen" ins Leben gebracht wird. Normativität
entstammt einer verbindlichkeitstheoretischen creatio ex nihilo.
Die verbindlichkeitstheoretische Urhandlung, die der Kausalität der natürlichen Welt die Normativität der künstlichen Welt
hinzugesellt, ist die in der Fähigkeit kluger Zukunftsverfügung gründende Selbstbindung, die nur im Medium der
Vertragsund Versprechenssprache Bedeutung gewinnen kann.
In der Forschung wird die traditionsstürzende Modernität Hobbes' teils mit methodologischen, teils mit
rationalitätstheoretischen Grundannahmen des Philosophen in Verbindung gebracht. Die einen sehen Hobbes' politische
Philosophie wesentlich durch die mathematische Methode der frühneuzeitlichen Naturwissenschaften bestimmt und erblicken
in ihm einen Galilei der Staatsphilosophie. Die anderen hingegen erklären individualistische Sozialphilosophie und
Entscheidungstheorie zur Grundlage der Hobbesschen Staatsphilosophie. Der Naturzustand ist für sie teils eine Abbreviatur
der frühkapitalistischen Gesellschaft, deren Koordinationsprobleme nach einem starken Staat rufen, teils ein dem
Gefangenendilemma ähnelndes spieltheoretisches Szenario, mit dessen Hilfe staatliche Herrschaft als allseits vorteilhafte
Rahmenbedingung individueller Interessenverfolgung begründet werden kann.
Bernd Ludwig weist in seiner philosophiegeschichtlichen Habilitationsschrift beide Thesen entschieden zurück. Nicht die
resolutiv-kompositiven Methodenkonzepte der Paduaner Schule, sondern die methodologischen und erkenntnistheoretischen
Vorstellungen von Aristoteles einerseits und Mersenne und Gassendi andererseits hätten die politische Philosophie des
Leviathans geprägt. Nicht mit einem aus der Zerlegung staatlichen Lebens zu gewinnendem Abstraktionsresultat, sondern mit
den Ergebnissen unvermittelter menschlicher Selbstbeobachtung sei der Anfang der Staatsphilosophie zu machen.
Kersting, W. FAZ 1/1999
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