plus-minus 1650 Thomas Hobbes V. Das Naturrecht ist die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig anwenden und folglich alles, was dazu etwas beizutragen scheint, in Anwendung bringen kann. Im Naturzustand besitzen alle ein Recht auf alles, die Menschen selbst nicht ausgenommen. Freiheit begreift ihrer ursprünglichen Bedeutung nach die Abwesenheit aller äußerlichen Hindernisse in sich. Das natürliche Gesetz aber ist eine Vorschrift oder allgemeine Regel, welche die Vernunft lehrt, nach welcher keiner dasjenige unternehmen darf, welches er als schädlich für sich selbst anerkennt. Das erste natürliche Gesetz: suche Frieden und jage ihm nach; jeder ist befugt, sich durch Mittel und Wege aller Art, selbst zu verteidigen (Inbegriff des Naturrechts). Das zweite natürliche Gesetz: Sobald Ruhe und Selbsterhaltung gesichert sind, muss auch jeder von seinem Recht auf alles — vorausgesetzt, dass andere dazu auch bereit sind — abgehen, und mit der Freiheit zufrieden sein, die er den übrigen eingeräumt wissen will. Zwanzigstes Kapitel VÄTERLICHE UND DESPOTISCHE HERRSCHAFT Ein Eroberungsstaat ist ein solcher, in dem die Oberherrschaft gewaltsamerweise so erworben ist, dass entweder einzelne oder alle durch Mehrheit der Stimmen sich aus Furcht vor Banden und Tod bereit erklärt haben, einer Person zu gehorchen. Ein solcher Staat unterscheidet sich von einem institutionellen (durch Vertrag errichteten Staat) nur dadurch, dass die Bürger in diesem aus gegenseitiger Furcht, die Bürger in jenem aber sich aus Furcht vor einem einzigen unterworfen haben. Bei beiden liegt also Furcht zugrunde. Dies müssen sich die merken, welche allgemein behaupten: die aus Furcht geschlossenen Vertrage wären ungültig. […] Die Rechte und Folgen der höchsten Gewalt in einem Eroberungsstaat sind mit denen in einem errichteten Staat einerlei, und können gegen den Willen des Oberherrn weder aufgehoben noch auf jemand übertragen werden. Er kann daher ebenso wenig mit Recht bestraft als für schuldig erkannt werden. Er entscheidet über Krieg und Frieden, über die öffentlich vorzutragenden Lehren und über alle Rechtshändel. Er allein ernennt Obrigkeiten, Rate in Friedens- und Heerführer in Kriegszeiten und alle Diener des Staats. Von ihm hängen Belohnungen, Strafen, Ehre und Rang ab. Kurz, er ist aus den im vorigen Kapitel angeführten Gründen der alleinige Gesetzgeber. […] Hier hängt daher das Recht der Oberherrschaft nicht vom Sieg, sondern vom Vertrag ab, den der Besiegte schloss; und er wird nicht dadurch verbindlich gemacht, dass er unterlag, sondern dass er sich dem Willen seines Überwinders selbst unterwarf. […] […] Überall, wo die Staaten lange bestanden und nur durch einen auswärtigen Krieg zugrunde gingen, haben die Untertanen niemals die höchste Gewalt ihren Oberherren streitig gemacht; und gesetzt, die Menschen waren mit der jedesmaligen Regierung nicht zufrieden, so beweist dies so viel wie nichts, da nur wenige mit der eigentlichen Beschaffenheit einer Staatsverfassung bekannt sind. Wenn auch einer oder der andere sein Haus auf den bloßen Sand baut, so kann doch daraus nicht folgen, das es so sein müsse. Die Wissenschaft, wie Staaten gegründet und erhalten werden müssen, hat ebenso gewisse und ausgemachte Regeln wie die Arithmetik und Geometrie; und der Gebrauch macht also dabei nicht die einzige Richtschnur aus. Leuten aus dem niedrigsten Stand fehlt es an Zeit, über diese Regeln nachzudenken, und die, welche auch Zeit und Willen dazu haben, wissen doch nicht, wie es anzufangen sei. Einundzwanzigstes Kapitel VON DER FREIHEIT DER STAATSBÜRGER Freiheit bedeutet eigentlich eine Abwesenheit äußerlicher Hindernisse bei einer Bewegung, und wird von unvernünftigen oder leblosen Dingen ebenso gut gebraucht wie von vernünftigen. Denn was gebunden oder eingeschlossen ist, so dass es sich nur innerhalb eines Raums, der von äußerlichen Körpern beschrankt wird, bewegen kann, von dem sagt man: es fehlt ihm die Freiheit, weiter zu kommen. So fehlt den Tieren, welche eingesperrt und angelegt sind, die Freiheit, dahin zu gehen, wo sie sonst hingehen wurden. Ist aber das Hindernis kein äußerliches, sondern ein innerliches, so fehlt es nicht an Freiheit, sondern an Vermögen (Potentia), so sagt man von dem, der auf dem Krankenbett liegt, nicht: er hat nicht die Freiheit zu gehen, sondern: er hat nicht das Vermögen dazu. Bei ein und derselben Handlung können Furcht und Freiheit zugleich sich finden; wenn z. B. jemand aus Furcht vor einem Schiffbruch alles, was er hat, ins Meer wirft. Er tut es aus eigener Entschließung und hätte, wenn er gewollt, es unterlassen können. Er handelte also frei. Ebenso handelt derjenige frei, welcher, um nicht ins Gefängnis gesetzt zu werden, seine Schuld bezahlt, weil es nur bei ihm stand, ob er bezahlen wollte oder nicht. So sind auch die Handlungen der Bürger, die aus Furcht vor den Gesetzen geschehen, wenn sie dieselben ebenso gut unterlassen konnten, sämtlich frei zu nennen. […] Ein Staat wird durch Verträge, die ein jeder mit einem jeden macht, errichtet; folglich behält der Bürger seine Freiheit in Ansehung alles dessen, was er weder durch einen Vertrag einem andern übertragen noch dem er selbst entsagen kann. […] Wenn der Oberherr befiehlt, dass ein Bürger, wäre er auch durch Urteil und Recht zum Tod verurteilt, sich selbst umbringen, verstümmeln oder verwunden oder sich einem gewaltsamen Angriff nicht widersetzen oder sich der Nahrungsmittel, der Arznei, der Luft und dessen, was sonst zur Erhaltung des Lebens nötig ist, enthalten soll, so steht es dem Bürger frei, sich dessen zu weigern. […] Sechsundzwanzigstes Kapitel VON DEN BÜRGERLICHEN GESETZEN […] Ein Gesetz ist offenbar kein Rat, sondern ein Befehl, welcher vom Rat ganz verschieden ist. Bürgerliches Gesetz ist eine Regel, welche der Staat mündlich oder schriftlich oder sonst auf eine verständliche Weise jedem Bürger gibt, um daraus das Richtige und Falsche zu erkennen und danach zu handeln. Diese Definition bedarf keiner weiteren Erläuterung. Einige Gesetze gehen alle und jeden Bürger an, andere gewisse Provinzen, andere gewisse besondere Stände und noch andere zuweilen nur einzelne Personen. Für den aber hat das Gesetz eine verbindliche Kraft, dem dasselbe gegeben wird; und wer das ihm gegebene Gesetz nicht übertritt, der handelt nicht unrecht. Was von dieser Definition durch notwendige Folgerung abgeleitet werden kann, sollte daher als Wahrheit anerkannt werden. Es folgt hieraus zuerst: Der Gesetzgeber im Staat ist der alleinige Inhaber der höchsten Gewalt. Denn nur der Staat darf den Bürgern Gesetze vorschreiben, und dies kann allein, es sei mündlich oder schriftlich, durch dessen Stellvertreter geschehen. Folglich ist er auch der alleinige Gesetzgeber. Aus eben der Ursache kann er auch allein ein bisheriges Gesetz aufheben; weil solche Aufhebung nur durch ein neues Gesetz geschehen kann. Zweitens: Der Souverän ist den bürgerlichen Gesetzen nicht unterworfen; denn da er nach Gutdünken Gesetze gibt und aufhebt, so kann er sich auch nach Gefallen von der lästigen Unterwerfung gegen dieselben losmachen. So war er also von den Gesetzen schon vorher frei, da derjenige frei zu nennen ist, der es sein kann, sobald er es will. Auch kann kein Landesherr sich eine Verbindlichkeit gegen sich selbst auflegen, weil eben der auch das Recht hat, sich davon wieder zu befreien. Viertens sind die natürlichen und bürgerlichen Gesetze gegenseitig ineinander enthalten und folglich auf das Genaueste miteinander verbunden. Alle natürlichen Gesetze schreiben zwar etwas Sittliches vor, wie Billigkeit, Gerechtigkeit, Dankbarkeit; diese sind keine eigentlichen Gesetze, sondern nur eine Belehrung, werden aber zu Gesetzen und zwar bürgerlichen, wenn der Staat, sie zu beobachten, gebietet. Folglich sind die natürlichen Gesetze in den bürgerlichen enthalten; das aber auch diese in jenen enthalten sind, erhellt dadurch, das die Verletzung eines Vertrages und folglich die Übertretung eines bürgerlichen Gesetzes auch zugleich Übertretung eines natürlichen Gesetzes ist. Ferner: Gehorsam gegen bürgerliche Gesetze befiehlt selbst das natürliche Gesetz. Folglich sind natürliche und bürgerliche Gesetze nicht wesentlich, sondern nur in gewisser Hinsicht voneinander unterschieden; da die letzteren aufgeschrieben worden sind, jene ersteren aber nicht. Aus dem Grund werden von den bürgerlichen Gesetzen niemals die natürlichen Gesetze [Law of Nature / Naturall Laws] geändert oder eingeschränkt, sondern nur allein das Naturrecht [Right of Nature]. Denn so lange dieses, oder mit andern Worten, das Recht aller auf alles herrschte, konnte kein Frieden stattfinden; und darum war die Einschränkung desselben der Hauptzweck der bürgerlichen Gesetze. […] Die Obliegenheiten des Oberherrn, er sei eine einzige Person oder eine Gesellschaft, erhellen deutlich aus dem Zweck, zu welchem jeder Staat errichtet wird, welcher kein anderer als das Wohl des Volks ist. Dieses nach Möglichkeit zu befordern, macht ihm das Gesetz der Natur zur Pflicht, und hierüber hat er nur Gott allein Rechenschaft abzulegen. […] Die Grundlagen dieser Rechte müssen den Bürgern um so mehr bekannt gemacht werden, weil sie zum Natur- nicht aber zum bürgerlichen Recht gehören; und weil die Verletzung derselben nicht als eine Übertretung der bürgerlichen Gesetze bestraft, sondern als feindselige Handlung gerächt werden muss. Denn sie fassen eine Empörung, d. i. eine Übertretung oder vielmehr eine Verwerfung aller bürgerlichen Gesetze in sich und können daher durch diese nicht verboten werden. Einunddreißigstes Kapitel VOM NATÜRLICHEN REICH GOTTES Dass des Menschen bloßer Naturzustand oder die völlige Freiheit, wie sie bei denen ist, welche weder selbst herrschen, noch beherrscht werden, ein gesetzloser Zustand und Krieg sei; das die Vorschriften, wie man einem solchen Zustand entgehen könne, Gesetze der Natur sind; das ein Staat ohne höchste Gewalt, sie sei nun in den Händen eines Einzigen oder einer Gesellschaft, unmöglich sei; und das endlich der Bürger seinem Oberherrn einen unbedingten Gehorsam erweisen müsse, nur in dem nicht, was den göttlichen Gesetzen entgegen ist — dies alles ist bisher hinreichend erwiesen worden. Soll aber der Unterricht von den Pflichten der Bürger vollständig werden, so müssen wir noch untersuchen, was göttliche Gesetze sind; so lange man diese noch nicht kennt, bleibt man auch ungewiss, ob die Befehle des Oberherrn jenen gemäß sind oder nicht, und die Bürger sind der Gefahr ausgesetzt, entweder aus gar zu strengem Gehorsam gegen den Staat sich an Gott zu versündigen oder aus Furcht vor Versündigung gegen Gott die Gesetze des Staats zu übertreten.[…] Die Menschen stehen unter Gott, sie mögen wollen oder nicht. […] Nur die also, welche glauben, das ein Gott sei, der für die Menschen sorge, und welche Gottes Gebote anerkennen, sind Burger des Reichs Gottes; alle übrigen aber werden als Feinde angesehen. […] Bei den göttlichen Gesetzen findet aber eine dreifache Art der Bekanntmachung statt: nämlich, durch bloße Vernunft, durch Offenbarung oder vermittelst eines solchen Menschen, den Gott durch Wunderwerke als glaubwürdig den übrigen bestätigt hat. Man konnte folglich fast sagen: es gibt ein dreifaches Wort Gottes; nämlich ein vernünftiges, ein sinnliches und ein prophetisches Wort, womit auch die dreifache Art, Gott zu vernehmen, übereinstimmt, wie gesunde Vernunft, Sinn für das Übernatürliche und der Glaube. Da aber der Sinn für das Übernatürliche in einer Offenbarung besteht, welche einem Einzelnen widerfuhr, so ist sie auch nur für einen solchen verbindlich. […] Drittes Buch XLII Verfechtung der höchsten Macht christlicher Souveräne Anfechtung der Gültigkeit dieser Macht durch den Papst von Rom XLIII [492 f.] Der häufigste Vorwand für Aufruhr und Bürgerkrieg in christlichen Gemeinwesen ist lange Zeit einer noch nicht hinreichend gelösten Schwierigkeit entsprungen, zugleich Gott und dem Menschen dann zu gehorchen, wenn ihre Befehle einander entgegengesetzt sind. Es ist offensichtlich genug, dass ein Mensch, wenn er zwei entgegengesetzte Befehle erhält und weiß, dass einer von ihnen der Befehl Gottes ist, diesem gehorchen sollte, und nicht den anderen, selbst wenn es der Befehl seines gesetzlichen Souveräns (ob Monarch oder souveräne Versammlung) oder der Befehl seines Vaters ist. Die Schwierigkeit besteht deshalb darin, dass die Menschen, wenn ihnen etwas im Namen Gottes befohlen wird, in verschiedenen Fällen nicht wissen, ob der Befehl von Gott kommt oder ob der Befehlende den Namen Gottes zu irgendwelchen privaten eigenen Zwecken missbraucht. […] Aber diese Schwierigkeit, sowohl Gott wie dem staatlichen Souverän auf Erden zu gehorchen, ist nicht von Belang für Menschen, die unterscheiden können, was für ihre Aufnahme in das Königreich Gottes notwendig und nicht notwendig ist. […] [494] Alles für das Heil Notwendige ist in zwei Tugenden enthalten, im Glauben an Christus und im Gehorsam gegen die Gesetze Die letztere von beiden, wenn sie vollkommen wäre, wäre genug für uns. Gehorsam gegen Gott mit Gehorsam gegen den Souverän in Einklang bringen: [506] Wenn der Souverän ein Christ ist, gestattet er den Glauben an diesen Artikel, dass Jesus der Christus ist, und an alle anderen Artikel, die darin enthalten sind oder durch einleuchtende Folgerung davon abgeleitet werden: und das ist der ganze Glaube, der für das Heil notwendig ist. [507] Wenn der staatliche Souverän ein Ungläubiger ist, sündigt jeder seiner Untertanen, der ihm Widerstand leistet, gegen Gottes Gesetze (insoweit sie Naturgesetze sind). [512] Gemäß diesem Irrtum, dass die gegenwärtige Kirche das Königreich Christi sei, sollte es einen einzelnen Menschen oder eine Versammlung geben, durch deren Mund unser Heiland (der jetzt im Himmel ist) spricht, Gesetze erlässt und die seine Person für alle Christen repräsentiert, oder verschiedene Menschen oder verschiedene Versammlungen, die das gleiche für verschiedene Teile der Christenheit tun. Diese königliche Macht unter Christus, die allgemein der Papst und in einzelnen Gemeinwesen die Hirten beanspruchen (wo doch die Schrift sie niemandem als den staatlichen Souveränen gibt), ist jetzt so heftig umstritten, dass sie das Licht der Natur auslöscht und solch eine Finsternis im Verstand des Menschen bewirkt, dass sie nicht sehen, wer es ist, dem sie Gehorsam gelobt haben. A. Der neue Gott: sterblich, aber technisch Der Kampf gegen das von der römischen Papstkirche erstrebte „Reich der Finsternis“, die Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit, ist, wie Leo Strauß feststellt, der eigentliche Sinn der politischen Theorie des Hobbes.“ (21) So hat Hobbes „gegen die politische Theologie in jeder Form seinen großen zeitgeschichtlichen Kampf“ geführt. (Helmut Schelsky) (22) Der Staat ist nach Hobbes nur der mit großer Macht fortwährend verhinderte Bürgerkrieg. … Der staatliche Absolutismus ist demnach der Unterdrücker eines im Kern, nämlich in den Individuen, ununterdrückbaren Chaos.“ (34) (48 f.) Der neue Gott: deus mortalis - Mythisches Bild des Leviathan - Die souveräne Person - Der ‚große Mensch‘: Staat als eine von der souveränrepräsentativen Person beseelte Maschine GOTT TIER MENSCH MENSCH Wer das Recht des Staates gegen die auf Gott sich berufenden Ansprüche des Papstes, der Presbyterianer und der Puritaner verteidigt, kann die Göttlichkeit nicht einfach seinen Gegnern und der Kirche überlassen. (49) Der Souverän ist nicht Defensor Pacis eines auf Gott zurückgehenden Friedens; er ist Schöpfer eines nichts als irdischen Friedens, Creator Pacis. Die Begründung verläuft also umgekehrt wie in den Gedankengängen „göttlichen“ Rechts: weil die Staatsgewalt allmächtig ist, hat sie göttlichen Charakter. Ihre Allmacht aber ist ganz anderer als göttlicher Herkunft: sie ist Menschenwerk und kommt durch einen von Menschen eingegangenen „Vertrag“ zustande. (50 f.) Staat: nicht ein von Gott geschaffenes Gemeinwesen, sondern Ergebnis des menschlichen Verstandes, entstanden durch Vertrag Souverän ist transzendent: er ist unverhältnismäßig mehr als die Summe aller Einzelwillen (52) Entscheidend ist aber nicht die Repräsentation durch seine Person, Sondern die Garantie wirklichen Schutzes: Maschine als Befehlsmechanismus (53) Dieser Staat ist das erste Produkt des technischen Zeitalters. Mit ihm ist nicht nur eine wesentliche geistesgeschichtliche oder soziologische Voraussetzung für das folgende technisch-industrielle Zeitalter geschaffen, er selbst ist bereits ein typisches, sogar ein prototypisches Werk der neuen, technischen Zeit. (53) Hobbes hat den Gedanken eines durch den Verstand menschlicher Individuen bewirkten Staatswesens mit bewunderungswürdiger Klarheit bereits im 127. Jahrhundert zu Ende gedacht. (58) Die erste metaphysische Entscheidung fiel allerdings bei Descartes, in dem Augenblick, in dem der menschliche Körper als Maschine und der aus Leib und Seele bestehende Mensch im ganzen als Intellekt auf einer Maschine gedacht wurde. Die Übertragung dieser Vorstellung auf den „großen Menschen“, den „Staat“ lag nahe. Sie wurde durch Hobbes vollzogen. Aber sie führte … dazu, daß sich nun auch die Seele des großen Menschen in einen Maschinenteil verwandelte. … rst die Mechanisierung der Staatsvorstellung hat die Mechanisierung des anthropologischen Bildes vom Menschen vollendet. (59 f.) B. Neutralisierung des Staatlichen Der Staat wird zu einem technisch-neutralen Instrument (62) Das Ergebnis ist, daß diese Maschine, wie die gesamte Technik, von jedem Inhalt politischer Ziele und Überzeugungen unabhängig wird und die Wert- und Wahrheitsneutralität eines technischen Instruments erhält. (63 f.) Schon im römischen Reich: Neutralität gegenüber religiösen Meinungen entspricht technischer Vervollkommnung (67) Ein derartig technisch-neutraler Staat kann sowohl tolerant wie intolerant sein; er bleibt in beiden Fällen in gleicher Weise neutral. Er hat seinen Wert, seine Wahrheit und seine Gerechtigkeit in seiner technischen Vollkommenheit. (69) Frieden nicht durch die Behauptung, Recht zu haben, sondern durch sicher funktionierendes, gesetzliches Zwangsystem. (69) Damit ist ein neuer Boden rechtlichen und staatstheoretischen Denkens gewonnen, nämlich der des juristischen Positivismus. (70) Mittelalterliches Gemeinwesen: Recht zum Widerstand Absoluter Staat: widersinnig gegenüber dem Leviathan als Einem übermächtigen, jeden Widerstand vernichtenden, technisch vollendeten Befehlsmechanismus (71) Völkerrecht Völkerrecht wird zu einem nur zwischen Staaten möglichen Recht. (72) Kriege: reine Staatenkriege – weder gerecht noch ungerecht (73) > Staaten stehen „im Naturzustand“ einander gegenüber. (75) > Der Staat absorbiert in sich alle Rationalität und alle Legalität. (75) Denn erst der gerechte Krieg ist der wirklich „totale“ Krieg. (75) Hier erreicht das Bild vom Leviathan in seiner Mischung von großem Tier und großer Maschine den höchsten Grad mythischer Wirkungskraft. Es trifft den Rückgriff auf das Elementare, der in den Beziehungen zwischen Großmächten unzerstörbar ist. (76) C. Schaffung einer Differenz von innen und außen Wunderheilungen J. Browne: Charisma Basilikon, 1684 Karl II. als Heiler Wunder = woran die souveräne Staatsmacht zu glauben befiehlt (82) Auf dem Höhepunkt der die Einheit von Religion und Politik bewirkenden souveränen Macht zeigt sich die Bruchstelle in der sonst so geschlossenen, unwiderstehlichen Einheit. (84) Differenzierung von innen und außen: Innerlicher Glaube versus äußerem Bekenntnis (85) Hobbes: Frage der Wunder als Angelegenheit der „öffentlichen“ im Gegensatz zur „privaten“ Vernunft (85) Hier liegt, verfassungsgeschichtlich gesehen, ein doppelter Ansatz: der juristisch (nicht theologisch) konstruierte Beginn der modernen individualistischen Gedanken- und Gewissensfreiheit und damit der für die Struktur des liberalen Verfassungssystems kennzeichnenden Freiheitsrechte des Einzelnen; und zweitens der Ursprung des Staates als einer aus der Unerkennbarkeit substanzieller Wahrheit gerechtfertigten, äußerlichen Macht. (85 f.) Der Vorbehalt der inneren, privaten Gedanken- und Glaubensfreiheit wurde in das politische System aufgenommen: Todeskeim, der den mächtigen Leviathan von innen her zerstört und den sterblichen Gott zur Strecke gebracht hat. (86) Spinoza hat die Umkehrung in dem berühmten Kapitel 19 seines 1670 erschienenen Tractatus theologico-politicus vollbracht. (86 f.) „Ich spreche ausdrücklich“, sagt Spinoza, „nur vom äußeren Kult, nicht von der Frömmigkeit selbst und nicht von der inneren Verehrung Gottes.“ Innere Überzeugung und die „Frömmigkeit selbst“ gehören zur Rechtssphäre des Einzelnen. „Internus enim cultus et ipsa pietas uniuscujusque juris.“ (87) Ich will zeigen, dass die Religion die Kraft eines Gesetzes nur durch den Beschluss der Inhaber der Staatsgewalt erlangen kann, und dass Gott keine besondere Herrschaft über die Menschen führt, sondern dies nur durch Die thut, welche die Staatsgewalt haben; ferner, dass der Gottesdienst und die Uebung der Frömmigkeit sich dem Frieden und Nutzen des Staats unterordnen muss und deshalb nur von der Staatsgewalt eingerichtet worden soll, die deshalb auch die Erklärer derselben sein muss. Ich spreche ausdrücklich von der Uebung der Frömmigkeit und von dem äusseren Gottesdienst, nicht von der Frömmigkeit selbst und von dem inneren Gottesdienst, oder von den Mitteln, wodurch die Seele innerlich bestimmt wird, Gott mit voller Seele zu verehren. Dieser innere Gottesdienst und diese Frömmigkeit gehört zu den besonderen Rechten jedes Einzelnen, die … auf einen Anderen nicht übertragen werden können. Spinoza, Kapitel 19, Tractatus theologico-politicus Der Staat wird wesentlich Polizei; diese aber ist auf die „öffentliche“ Ruhe, Sicherheit und Ordnung beschränkt. (90) Wesentlich ist, daß jener Keim, der bei Hobbes mit seiner Unterscheidung von innerem Glauben und äußerem Beknntnis gelegt war, sich unwiderstehlich entfakltet und zur alles beherrschenden Überzdeugung wird. (91) Der Leviathan wird zu einer äußerlich allmächtigen, innerlich ohnmächtigen Machtkonzentration, die nur „Zwangspflichten aus der Verbindlichkeit der Furcht“ begründen kann. (93 f.) In dem Augenblick, in dem die Unterscheidung von Innen und Außen anerkannt wird, ist die Überlegenheit des Innerlichen über das Äußerliche und damit die des Privaten über das Öffentliche im Kern bereits entschiedene Sache. (94) Der Leviathan wird zu einer unmenschlichen und untermenschlichen Angelegenheit; wobei es, als eine durchaus sekundäre Frage, dahingestellt bleiben kann, ob die Un- und Untermenschlichkeit als Organismus oder als Mechanismus, als ein Tier oder ein Apparat aufgefaßt wird. (97) Der Leviathan ist als magnus homo, als gottähnliche souveräne Person des Staates, im 18. Jahrhundert von innen heraus zerstört worden. … Sein Werk aber, der Staat, überlebte ihn als eine gut organisierte Exekutive, Armee und Polizei, mit einem Verwaltungs- und Justizapparat und einer gut arbeitenden, fachlich gebildeten Bürokratie. In zunehmendem Maße erscheint der Staat nunmehr im Bild des Mechanismus und der Maschine. … Indem der Staat des absoluten Fürsten durch das Gesetz rechtlich gebunden und aus einem Macht- und Polizeistaat in einen „Rechtsstaat“ verwandelt werden sollte, verwandelte sich auch das Gesetz und wurde ein technisches Mittel, den Leviathan zu bändigen, … ein technisches Instrument, das die Handhabung der staatlichen Macht berechenbar zu machen bestimmt war. Die allgemeine Vergesetzlichung ist der Grundzug dieser Entwicklung. Der Staat selbst aber verwandelt sich in ein positivistisches Legalitätssystem. … (99 f.) Unter dem Namen „Rechtsstaat“ verbirgt sich hier ein mit geschriebenen Gesetzen, besonders mit Gesetzeskodifikationen arbeitendes, auf einer von Menschen gemachten „Konstitution“ begründetes Legalitätssystem. (100 f.) Max Weber hatte schon davon gesprochen, daß im rationalisierten Betrieb des modernen Staates „die Legalität als Legitimität gelten kann“. (101) – ( Weber: Legalität und Legitimität, München 1932) Hobbes ist in doppelter Hinsicht ein geistiger Ahne des bürgerlichen Rechts- und Verfassungsstaates, der im 19. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent zur Herrschaft gelangte: - Ende eines „göttlichen Rechts der Könige“ - Ende aller bisherigen substanzhaft gefaßten Begriffe von Recht und Verfassung (103) Die technisierende Neutralisierung, die in der allgemeinen, zur Neutralität drängenden Staatskonstruktion liegt, enthält bereits die Technisierung und Neutralisierung des Rechts zum Gesetz und der Verfassung zum Verfassungsgesetz (105) Diese Formalisierung und Neutralisierung des Begriffes „Rechtsstaat“ zu einem ohne Rücksicht auf inhaltliche Ziele oder inhaltliche Wahrheit und Gerechtigkeit berechenbar funktionierenden, staatlichen Legalitätssystem ist unter dem Namen „Gesetzespositivismus“ während des 19. Jahrhunderts zur allgemein herrschenden juristischen Lehre geworden (106) Hans Kelsen (1881-1973) „Reine Rechtslehre“ Recht als ein vom Menschen erzeugtes Phänomen. Wissenschaftsideal von Objektivität und Exaktheit, Klarheit und Eindeutigkeit: Erkenntnisgegenstand des Rechts soll nicht vom Werturteil des erkennenden Subjektes beeinflusst werden. Carl Schmitt (1888-1985) „Der Führer schützt das Recht“ (1934) Bestimmung des Souveräns „Politische Theologie“ (1922) “Der Souverän ist derjenige, der über den Ausnahmezustand entscheidet.” “Der Souverän steht außerhalb der Rechtsordnung … und gehört zugleich zu ihr, da er für die Entscheidung zuständig ist, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann.” - Außerhalb der Rechtsordnung (wie der Normbrecher) - zugleich zu ihr gehörig (anders als der Normbrecher) < Voraussetzen einer sich selbst legitimierenden Totalität Entsprechend 1950: „nomos“ qua „Ur-Maß“ „Legitimität vor Legalität“ anstatt „Legalität als Legitimität“ Souverän / nomos Ansetzen eines Elements, das - unabhängig und allein-ursächlich, - willkürlich / egoistisch (Souverän) bzw. in sich geschlossen (nomos) - und zugleich alleinige Bedingung für Recht ist wobei nomizein = lediglich Glaube an die eigene Identität Carl Schmitt: „Nomos“ „Jedes dieser Reiche betrachtet - sich selbst als die Welt - oder als die Mitte der Welt - als den Kosmos - das Haus und hielt den außerhalb dieser Welt vorhandenen Teil der Erde für einen offenen, „freien“ und herrenlosen Raum für Eroberungen, Gebietserwerb und Kolonisierung.“ Der Souverän – ein Egoist? Maß-Gabe = egoistische Maß-Gabe < dieser Egoismus nicht ein moralisches Problem, sondern ein Struktur-Phänomen Was ist sein Ursprung, seine Genealogie? > Nomos ein Dafürhalten? Glaube – Imagination Walther Prellwitz Etymologisches Wörterbuch der griechischen Sprache Göttingen 1892