Thomas Hobbes - Wulf D. Hund

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UHH – FB Sozialökonomie – Wulf D. Hund – Politische Soziologie 1 – SoSe 2011 – Hobbes 1
Die Stunde des Leviathans:
Thomas Hobbes
Thomas Hobbes, geb. am 5.4.1588 in Westport in der Familie eines Landgeistlichen; ab
1596 Lateinschule, ab 1603 Studium in Oxford, 1607 Baccalaureus Artium; ab 1608 zunächst
Privatlehrer und dann Sekretär des Grafen von Devonshire und später dessen Sohnes;
Reise durch Frankreich und Italien; 1620/26 im Kreis um Francis Bacon; ab 1634 erneute
Reise nach Frankreich und Italien, Kontakt zu Mersenne in Paris und Galilei in Florenz; nach
Auflösung des short parliament 1640: ›Elements of Law natural and politic‹, Verdächtigung
als Royalist, Flucht nach Frankreich; 1642/47: ›De Cive‹; 1648 Treffen mit Deseartes; 1651:
›Leviathan‹, nach Verdächtigung durch die Exilanten als Antiroyalist Flucht nach England;
Wertschätzung durch Cromwell; 1655: ›De Corpore‹; 1658: ›De Homine‹; erhält 1660 nach
Wiederherstellung der Monarchie von Charles II. eine Pension ausgesetzt; 1668:
›Behemoth‹; gest. am 4. 12. 1679 in Hardwick.
Literatur:
[Na] Th. Hobbes: Naturrecht und allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen. Darmstadt
1976 (Nachdruck der Ausg. Berlin 1926).
Th. Hobbes: Vom Körper. (Elemente der Philosophie I). Hamburg 1967.
[M] Th. Hobbes: Vom Menschen - Vom Bürger. (Elemente der Philosophie II/III). Hamburg
1977.
[L1] Th. Hobbes: Leviathan. Hrsg. v. P. C. Mayer-Tasch. Reinbek bei Hamburg 1965.
[L2] Th. Hobbes: Leviathan. Hrsg. u. eingel. v. I. Fetscher. Darmstadt, Neuwied 1966
(Nachdruck Frankfurt, Berlin, Wien 1976).
Th. Hobbes: Behemoth (Anhang zu J. Lips: Die Stellung des Thomas Hobbes zu den
politischen Parteien der großen englischen Revolution. Leipzig 1927 (Nachdruck
Darmstadt 1970), S.101-288.
W. Kersting: Thomas Hobbes zur Einführung. 2., überarb. Aufl. Hamburg 2002.
P. Springborg: The Cambridge Companion to Hobbes’s Leviathan. Cambridge 2007.
L. Strauss: Hobbes politische Wissenschaft. Neuwied, Berlin 1965.
H. Thornton: State of Nature or Eden? Thomas Hobbes and his Contemporaries on the Natural Condition of Human Beings. Rochester 2005.
Zwei Äußerungen, die erste von 1640 und die zweite von 1651, von
gleichem Gehalt und im identischen theoretischen Kontext entwickelt,
zwingen ihren Verfasser beide Male zur Fluch – einmal wird er als Royalist,
einmal als Antiroyalist verdächtigt:
[1]
»Die() vollziehende Gewalt besteht ... darin, daß jedermann sein Recht auf
Widerstand gegen denjenigen, dem er die vollziehende Gewalt übertragen
hat, aufgibt. Es folgt daher, daß niemand in irgendeinem Gemeinwesen das
Recht hat, dem oder denen zu widerstehen, an die sie ... das Schwert der
Gerechtigkeit() abgetreten habe« (Na 135).
»Errichtung einer ... allgemeinen Gewalt ... bedeutet, daß jedermann ... den
eigenen Willen und das eigene Urteil ... unterwirft ...
Niemand hat die Freiheit, dem staatlichen Schwert Widerstand zu leisten
..., denn diese Freiheit beraubt den Souverän der Mittel zu unserem Schutz
und zerstört deshalb das eigentliche Wesen der Regierung« (L2 134,169).
1
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Tatsächlich geht es Thomas Hobbes bei aller Bevorzugung der Monarchie
aber überhaupt nicht vorrangig um die Frage der Staatsformen. Er will
vielmehr begründen, wie allein sich ein gesichertes bürgerliches Leben
führen läßt. Darin liegt das oberste Ziel seiner Konstruktion des Staates:
[2]
»Alle Pflichten der Herrschenden lassen sich in den einem Satz
zusammenfassen, daß das Wohl des Volkes das höchste Gesetz ist ... Der
Staat ist nämlich nicht seinetwegen, sondern der Bürger wegen eingerichtet
worden ...
Die Vorteile der Untertanen lassen sich ... in vier Arten einteilen: 1. daß
man gegen äußere Feinde verteidigt wird; 2. daß der innere Frieden erhalten
wird; 3. daß man sein Vermögen, soweit es sich mit der öffentlichen
Sicherheit verträgt, vermehren kann; 4. daß man seine Freiheit so weit
genießt, als kein Schaden daraus entsteht. Denn die Herrscher können für
das Glück innerhalb des Staates nicht mehr tun, als daß die Bürger vor
äußern und innern Kriegen gesichert werden und dadurch ihr durch eigenen
Fleiß erworbenes Vermögen genießen können« (M 205ff.).
Daß solcher Genuß ohne Staat nicht möglich ist, liege in der menschlichen
Natur. Sie lasse die Menschen nicht, wie etwa Bienen und Ameisen, friedlich
miteinander in Gemeinschaft leben:
»Erstens einmal trachten die Menschen - nicht aber diese Tiere - stets
danach, einander an Ansehen und Würde zu übertreffen. Jene Tiere wissen
nicht einmal, was das ist. Bei den Menschen gründet sich darauf Neid und
Haß und zuletzt Krieg ...
Zweitens ist bei diesen Tieren das private Eigentum gleichzeitig Eigentum
aller. Geht also jedes seinen natürlichen Zielen nach, so sorgt es zugleich für
das Wohl aller. Der Mensch aber, der nur danach strebt, mit seinen
Mitmenschen zu wetteifern, genießt allein das richtig, was ihn von den
anderen abhebt« (L1 135).
Auf der Grundlage solcher Psychologisierung von Grundelementen
bürgerlicher Ökonomie (Privateigentum und Konkurrenz) entwickelt Hobbes
seine Vorstellung vom Naturzustand:
[3]
»Die Menschen sind von Natur aus gleich, sowohl in ihren körperlichen als
auch in den geistigen Anlagen ...1
1
Ungleichheit unter den Menschen ist mit dieser Theorie als soziale Erscheinung begriffen.
Das gilt für die Ungleichheit der Klassen wie für die Ungleichheit von Mann und Frau.
Hinsichtlich der Ungleichheit der Klassen schreibt Hobbes: »Die Frage, wer von zwei
Menschen der würdigere sei, gehört nicht in den Naturzustand, sondern in den bürgerlichen
Zustand ... (D)a() von Natur alle Menschen gleich sind ... (,) kommt die jetzige Ungleichheit in
bezug auf Reichtum, Macht, Adel usw. von den Staatsgesetzen. Ich weiß, daß Aristoteles im
ersten Buche seiner ›Politik‹ es gleichsam als eine Grundlage aller politischen Wissenschaft
aufstellt, daß von Natur einige Menschen zum Befehlen und andere zum Dienen geschaffen
seien; als ob die Unterschiede zwischen Herren und Sklaven nicht auf dem Übereinkommen
der Menschen, sondern auf Begabung, d.h. auf natürlichem Wissen oder natürlicher
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Dieser Gleichheit der Fähigkeiten entspringen die gleichen Hoffnungen,
ein Ziel zu erreichen. So werden zwei Menschen zu Feinden, wenn beide zu
erlangen versuchen, was nur einem von ihnen zukommen kann. Um ihr Ziel
zu erreichen..., trachten sie danach, den anderen zu vernichten oder ihn sich
untertan zu machen ...
Das Zusammenleben ist den Menschen also kein Vergnügen, sondern
schafft ihnen im Gegenteil viel Kummer, solange es keine übergeordnete
Macht gibt, die sie alle im Zaum hält ...
Und hieraus folgt, daß Krieg herrscht, solange die Menschen miteinander
leben ohne eine oberste Gewalt, die in der Lage ist, die Ordnung zu
bewahren. Und es ist ein Krieg, den jeder Einzelne gegen jeden führt ...
Wenn ein jeder gegen jeden Krieg führt, so kann auch nichts als unerlaubt
gelten. Für die Begriffe Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und
Ungerechtigkeit bleibt kein Raum. Wo es keine Herrschaft gibt, gibt es auch
kein Gesetz. Wo es kein Gesetz gibt, kann es auch kein Unrecht geben. List
und Gewalt sind die einzigen Tugenden. Denn weder Gerechtigkeit noch
Ungerechtigkeit sind Naturanlagen des Menschen ... Es kennt sie ... nur der
Mensch in der Gesellschaft ... Aus demselben Grunde auch gibt es keinen
Besitz, kein Eigentum, überhaupt keine Vorstellung von mein und dein.
Vielmehr kann sich jeder alles aneignen...« (L1 96ff.).
In diesem Zusammenhang macht Hobbes deutlich, daß seine Überlegungen
sich einerseits prinzipiell auf einen hypothetischen Zustand beziehen, mit
dessen Hilfe er die Notwendigkeit staatlichen Zusammenlebens erläutern
will, während er aber andererseits durchaus bereit ist, solches Denkmodell
als reale Lebensweise wilder Menschen zu betrachten:
[4]
»Vielleicht kann man die Ansicht vertreten, daß es eine solche Zeit und
einen Kriegszustand wie den beschriebenen niemals gab, und ich glaube,
daß er so niemals allgemein auf der ganzen Welt bestand. Aber es gibt viele
Gebiete, wo man jetzt noch so lebt. Denn die wilden Völker verschiedener
Gebiete Amerikas besitzen überhaupt keine Regierung ... (Sie leben) bis
zum heutigen Tag auf jene tierische Weise ..., die ich oben beschrieben
habe ... (d. h. ihr) Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz« ( L2
97, 96).
Unwissenheit beruhten. Allein diese Grundlegung verstößt nicht nur gegen die Vernunft ...
sondern auch gegen die Erfahrung« (M 104f.).
Hinsichtlich der Ungleichheit der Geschlechter schreibt Hobbes: »(I)m Naturzustande (sc.
wird) jede Frau, welche ein Kind gebiert, zugleich Mutter und Eigentümerin desselben. Wenn
aber andere meinen, daß in diesem Falle nicht die Mutter, sondern der Überlegenheit des
Geschlechts wegen der Vater der Eigentümer werde, so ist dies unbegründet. Die Vernunft
erweist vielmehr das Gegenteil; denn die Ungleichheit der natürlichen Kräfte ist nicht so groß,
daß der Mann ohne Krieg die Gewalt über die Frau erlangen könnte... Dazu kommt, daß man
im Naturzustande nur durch die Mutter wissen kann, wer der Vater des Kindes sei ... Das
ursprüngliche Eigentumsrecht über die Kinder gebührt daher der Mutter ... Dagegen gehören
im Staate, wenn ein Übereinkommen zwischen Mann und Frau in bezug auf das
Zusammenleben besteht, die Kinder dem Vater; weil in allen Staaten, die ja von den Vätern,
nicht von den Müttern begründet worden sind, das häusliche Regiment dem Manne
gebührt« (M 166ff.).
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Um den Unbilden des Naturzustandes zu entgehen, bleibt den Menschen
nur der Weg der Staatsgründung:
[5]
»Die letzte Ursache und der Hauptzweck des Zusammenlebens der
Menschen in einem Staat ... ist sein Selbsterhaltungstrieb und sein Wunsch
nach einem gesicherten Leben. Damit ist gemeint: der Wunsch, jenem
elenden Zustand des Krieges aller gegen alle zu entrinnen ...
Die einzige Möglichkeit, eine Gewalt zu schaffen, die in der Lage… ist, die
Menschen ohne Furcht vor feindlichen Einfällen oder den Übergriffen ihrer
Mitmenschen ihres Fleißes und des Bodens Früchte genießen und friedlich
für ihren Unterhalt sorgen zu lassen, liegt darin, daß alle Macht einem
Einzigen übertragen wird oder aber einer Versammlung, in der durch
Abstimmung der Wille aller zu einem gemeinsamen Willen vereinigt wird ...
Jeder Einzelne sagt gleichsam:
Ich gebe mein Recht, über mich selbst zu bestimmen, auf und übertrage
es diesem anderen Menschen oder dieser Versammlung - unter der
alleinigen Bedingung, daß auch du ihm deine Rechte überantwortest und ihn
ebenfalls zu seinen Handlungen ermächtigst.
Wenn sich Menschen so zu einer Person vereinigen, bilden sie einen
STAAT... Dies ist die Geburt des Großen LEVIATHAN 2 ... Durch die ...
Autorität und die ihm übertragene Macht ist er ... in der Lage, alle Bürger
zum Frieden und zu gegenseitiger Hilfe gegen auswärtige Feinde zu
zwingen. Er macht das Wesen des Staates aus, den man definieren kann
als eine Person, deren Handlungen eine große Menge durch Vertrag eines
Jeden mit einem Jeden als die ihren anerkannt, auf daß sie diese
einheitliche Gewalt nach ihrem Gutdünken zum Frieden und zur Verteidigung
aller gebrauche.
Und er, der diese Person trägt, wird SOUVERÄN genannt. Man sagt, er
habe souveräne Gewalt. Und alle übrigen nennt man UNTERTANEN« (L1
133ff.).
Das Wesen der Souveränität wird von Hobbes im weiteren durch eine
Aufzählung der Rechte des Herrschers geklärt:
[6]
»In dieser Staatsgründung wurzeln alle Rechte und alle Macht jenes
Herrschers oder jener Versammlung, denen auf Beschluß des versammelten
Volkes die oberste Gewalt übertragen wurde.
Zum ersten dürfen diejenigen, die das Abkommen treffen, ohne die
Erlaubnis des Herrschers auf legale Weise keinen neuen Vertrag
untereinander schließen, durch den sie sich dazu verpflichten, irgend
jemandem sonst in irgendeiner Angelegenheit Gehorsam zu leisten ...
2
Diese Namensgebung erläutert Hobbes folgendermaßen: »Ich habe... von der großen
Gewalt desjenigen gesprochen, der den Staat regiert und habe ihn dem Leviathan
verglichen. Ich habe den Vergleich den letzten beiden Versen des 41. Kapitels im Buch Hiob
entnommen. Gott sprach zu Hiob von der gewaltigen Macht des Leviathan ... : Auf Erden ist
seinesgleichen niemand; er ist gemacht, ohne Furcht zu sein ... Dennoch ist der Leviathan
sterblich und gleich allen irdischen Geschöpfen der Vergänglichkeit unterworfen« (L1 247f.,
ohne Hervorhebungen).
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Zum zweiten kann der Vorwurf eines Vertragsbruches niemals den
Herrscher treffen. Da ihm das Recht, die Person des Volkes darzustellen,
auf Grund eines Abkommens eines jeden mit jedem zukam, ohne daß er
selbst mit irgendeinem von ihnen ein Abkommen getroffen hätte, kann keiner
seiner Untertanen unter Berufung auf Verwirkung der herrscherlichen Rechte
von seiner Herrschaft befreit werden ...
Zum dritten muß sich ein jeder bei der Wahl des Souveräns dem Urteil der
Mehrheit fügen. Er muß alle seine Handlungen anerkennen, oder seine
Mitmenschen haben das Recht, ihn zu vernichten ...
Zum vierten kann die Handlung des Herrschers einem Untertan
gegenüber kein Unrecht sein, und er kann keines Vergehens beschuldigt
werden, denn durch die Staatsgründung ist ein jeder der Urheber aller
herrscherlichen Taten und Beschlüsse ...3
Zum fünften ... kann ein Herrscher niemals von seinen Untertanen
rechtmäßig zum Tode verurteilt oder mit sonst einer Strafe verfolgt werden ...
Zum sechsten liegt es ... im Machtbereich eines Herrschers, zu
entscheiden, welche Meinungen oder Lehrsätze dem Frieden dienen. Er hat
zu entscheiden, bei welcher Gelegenheit und wie weit man das Volk
belehren darf, er hat über die Art der Lehren und über die Lehrer zu
bestimmen und er muß diejenigen auswählen, die über Schriften und Lehren
eine Zensur ausüben sollen ...
Zum siebten ist mit der souveränen Macht die Gesetzgebung verbunden:
Ein jeder muß wissen, was ihm gehört und was er tun darf, ohne von seinem
Nächsten belästigt zu werden. Dann nämlich kann man von Eigentum
sprechen ...
Zum achten liegt die Rechtsprechung in der herrscherlichen Gewalt ...
Zum neunten entscheidet der Souverän über Krieg und Frieden mit
anderen Völkern und Staaten ...
Zum zehnten muß der Souverän alle Ratgeber, Staatsdiener und Beamte
sowohl für den Krieg wie für den Frieden bestimmen ...
Dies sind die Rechte, die das Wesen der souveränen Gewalt ausmachen
... Sie sind unveräußerlich und unteilbar« (L1 138ff.).
Solche Absolutheit der Souveränität soll allein dem Schutz und dem Wohl
der Bürger dienen. Unter ihrer Obhut sollen die bürgerlichen Geschäfte
gedeihen. Kann der Souverän deren Schutz nicht mehr garantieren, sind die
Untertanen ihres Gehorsams entledigt:
[7]
»Wie man zur Wahrung von Frieden und Sicherheit einen künstlichen
Menschen schuf, nämlich den Staat, so hat man auch künstliche Ketten
3
Gegen Verständnisschwierigkeiten seiner Form der Volkssouveränität hat Hobbes an
anderer Stelle vorgesorgt: »(sc. Es ist) für den Staat ... von größtem Nachteil, daß man nicht
genügend das Volk von der bloßen Menge unterscheidet. Das Volk ist eine Einheit mit einem
Willen und ist einer Handlung fähig; all das kann von einer Menge nicht gesagt werden. Das
Volk herrscht in jedem Staate, selbst in der Monarchie; denn da äußert das Volk seinen
Willen durch den eines Menschen. Die Menge besteht dagegen aus den Bürgern, d.h. aus
den Untertanen. In der Demokratie und Aristokratie sind die Bürger die Menge, und die
Versammlung ist das Volk; in der Monarchie sind die Untertanen die Menge, und (wenn dies
auch paradox ist) der König ist das Volk« (M 198f.).
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geschaffen, welche man die bürgerlichen Gesetze nennt... Von der Freiheit
den Untertanen will ich nur innerhalb dieser Bande sprechen... Die Freiheit
der Untertanen liegt also einzig in dem, was der Souverän bei der Regelung
ihrer Handlungen übergangen hat. Sie haben z.B. die Freiheit, zu kaufen und
zu verkaufen und miteinander Handel zu treiben, ihre Wohnung, Nahrung
und ihren Lebenserwerb selbst zu wählen, ihre Kinder nach eigenem
Ermessen zu erziehen, u.s.f. ...
Freiheit liegt dort, wo das Gesetz schweigt. Wo immer kein Gesetz des
Herrschers spricht, steht es dem Untertan frei, zu tun und zu lassen, was ihm
beliebt ...
Die Untertanen sind dem Herrscher nur so lange verpflichtet, wie der
Herrscher die Macht hat, sie zu beschützen. Das natürliche Recht der
Menschen, sich selbst zu verteidigen, wenn niemand anders sie zu
verteidigen vermag, kann durch keinen Vertrag aufgehoben werden ... Das
Ziel allen Gehorsams ist der Schutz. Ob er durch das eigene Schwert oder
das Schwert eines anderen gewährt wird, man wird entweder dem anderen
Gehorsam schulden oder sich mit den eigenen Kräften verteidigen müssen.
Wenn die Menschen auch wünschen, einen Staat zu schaffen, der
unsterblich wäre, so ist doch jeder Staat nicht allein von seiner Natur her
leicht einem gewaltsamen Tod durch einen Krieg mit auswärtigen Feinden
unterworfen, sondern er trägt auch von der Stunde seiner Geburt an viele
Keime eines natürlichen Todes durch die innere Uneinigkeit der Bürger in
sich« (L1 166f., 172f.).
Obwohl Hobbes den Bürgerkrieg zutiefst verabscheut, 4 kann er auf diesem
Wege die Revolution in seine Theorie der Herrschaft integrieren. Dabei fügt
sich, daß der Versuch zur Revolution wie deren Anzettelung unerlaubt sind
und die Revolution erst durch ihren Erfolg legitimiert wird:
[8]
»(D)a ich aus verschiedenen, neulich gedruckten englischen Büchern
ersehe, daß die Bürgerkriege den Menschen noch nicht genügend gelehrt
haben, zu welchem Zeitpunkt ein Untertan einem Eroberer verpflichtet ist,
noch, was Eroberung ist, noch, wie es dazu kommt, daß die Menschen
dadurch verpflichtet werden, seinen Gesetzen zu gehorchen, so sage ich,
um die letzten diesbezüglichen Zweifel auszuräumen: Ein Mensch ist einem
Eroberer zu dem Zeitpunkt unterworfen, an dem er, wenn er die Freiheit hat,
sich ihm zu unterwerfen, entweder durch ausdrückliche Worte oder durch
andere ausreichende Zeichen einwilligt, sein Untertan zu sein. Wann ein
Mensch die Freiheit hat, sich zu unterwerfen, habe ich ... gezeigt, nämlich,
daß sie für denjenigen, der seinem früheren Souverän gegenüber nur die
Verpflichtung eines gewöhnlichen Untertanen hat, dann gegeben ist, wenn
4
»Selbst die größte Not eines Volkes in welchem Staat es auch sei ist nicht zu vergleichen
mit dem qualvollen und schmerzensreichen Dornenweg eines Bürgerkrieges oder mit dem
unsicheren Zustand der Herrenlosigkeit, in dem es keine Gesetze gibt und keine Gewalt, die
schützt vor Raub oder Rachsucht« (L1 145). Nicht zuletzt ist laut Hobbes der Bürgerkrieg
auch deswegen zu verwerfen, weil dadurch auch andere auf den Weg der Revolution
gebracht werden könnten: »Man mag nun wirklich manchmal durch einen Aufstand zur
Herrschaft gelangen mit aller Vernunft darauf zählen kann man nicht. Man muß sogar eher
mit dem Gegenteil rechnen. Und wenn der Versuch gelingt, zeigt man nur anderen, wie auch
sie ihn wagen können« (L1 117).
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sich die Mittel, die er zum Leben benötigt, in der Hand des Feindes befinden.
Denn alsdann wird er nicht länger von ihm geschützt, sondern von der
gegnerischen Partei« (L2 536f.).
Im Eroberungsstaat steht der Souverän an Rechten dem des institutionellen
Staates nicht nach:
»In einem Eroberungsstaat ist die oberste Macht gewaltsam errungen ...
Diese Art der Herrschaft oder diese Staatsform unterscheidet sich von dem
institutionellen Staat allein dadurch, daß der Herrscher im institutionellen
Staat aus der Furcht der Menschen voreinander ... gewählt wird. Im
Eroberungsstaat unterwerfen sie sich dem, den sie fürchten. In beiden Fällen
ist die Ursache die Furcht. Und dies muß gerade von denen erkannt werden,
die alle Verträge für nichtig erklären, welche aus Furcht vor dem Tode oder
vor Gewaltanwendung entstanden sind. Bestünde diese Ansicht zu Recht, so
wäre niemand in irgendeinem Staat zum Gehorsam verpflichtet ...
Die Rechte und alle Macht des Souveräns sind in beiden Staatsformen
gleich. Seine Gewalt kann ohne seine Zustimmung keinem anderen
übertragen werden, er kann sie nicht verspielen, er kann von keinem
Untertan eines Unrechts angeklagt werden, und er kann niemals bestraft
werden. Er entscheidet über Krieg und Frieden. Und er ist der Richter über
alle Lehren. Er ist der einzige Gesetzgeber, und er ist der oberste Richter in
allen Streitfällen ... Er ernennt ... jede Art von Beamten und Staatsdienern«
(L1 156f.).
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