Verschlechterung motorischer Funktionen bei Zerebralparesen – Differenzialdiagnose Functional deterioration in adults with cerebral palsies – the differential diagnosis Europäische Fachtagung „Zerebralparesen im Erwachsenenalter“ European Conference on Cerebral Palsies in Adolescence and Adulthood Potsdam 21. und 22. September 2007 P. Martin Séguin-Klinik Epilepsiezentrum Kork Cerebralparesen Definition: • anhaltende Störung der Entwicklung von Bewegung und Haltung • mit der Folge einer Aktivitätseinschränkung • klar charakterisierbar ist als Spastik, Dyskinesie oder Ataxie • Entstehung während der fetalen oder frühen postnatalen Gehirnentwicklung • fehlende Progredienz des zugrundeliegenden Prozesses • aber in der Gestalt nicht unveränderliche motorische Störung • häufig assoziierte zusätzliche Störungen wie Lernbehinderung, geistige Behinderung, Sehstörung oder Epilepsie Rosenbaum P et al (2007) Dev Med Child Neurol 49 (Suppl 109):8-11; Cans C et al (2007) Dev Med Child Neurol 49 (Suppl 109):35-38; Krägeloh-Mann I, Klassifikation, Epidemiologie, Pathogenese und Klinik. In: Heinen F, Bartens W (Hrsg). Das Kind und die Spastik 2001;37-48 spastisch Tetraparese bilaterale Formen spastisch Diparese spastisch Hemiparese dyskinetische Cerebralparese dyston - athetotisch Cerebralparesen (CP) Ursachen • bilateral spastische CP – bei Reifgeborenen • 15% Gehirnentwicklungsstörungen, „genetische Formen“ • 40% frühes 3. Trimenon; periventrkuläre Leukomalazien - d.h. intrauterin entstandene Schädigung • 30% spätes 3. Trimenon; subkortikale Leukomalazien d.h. peri-/neonatal entstandene Schädigung (Schock, Asphyxie) – bei Frühgeborenen • > 90% periventrikuläre Leukomalazien Krägeloh-Mann I, Klassifikation, Epidemiologie, Pathogenese und Klinik. In: Heinen F, Bartens W (Hrsg). Das Kind und die Spastik 2001;37-48 periventrikuläre Leukomalazien – Beginn 3. Trimenon subkortikale Leukomalazien und Ulegyrien – Ende 3. Trimenon Cerebralparesen (CP) Ursachen • spastische Hemiparese – bei Reifgeborenen • ca. 30% Gehirnentwicklungsstörungen, „genetische Formen“ (z.B. unilaterale Polymikrogyrien, Hemimegalencephalie) • ca. 30% Infarkt im Stromgebiet der A.cerebri media (intrauterin, perinatal) • ca. 30% periventrikuläre Leukomalazien (intrauterin) – bei Frühgeborenen • > 90% periventrikuläre Leukomalazien (unilateral / asymmetrisch) - (perinatal) Krägeloh-Mann I, Klassifikation, Epidemiologie, Pathogenese und Klinik. In: Heinen F, Bartens W (Hrsg). Das Kind und die Spastik 2001;37-48 perinatal entstandener Mediainfarkt Cerebralparesen (CP) Ursachen • dyskinetische CP – überwiegend peri- / neonatal; übertragene Neugeborene • hypoxisch- ischämisch (Status marmoratus) • Kernikterus • ataktische CP – sehr heterogen – Bildgebung in > 50% unauffällig – 30 - 40 % Kleinhirnhypoplasie - mit der klinischen Schwere nicht korrelierend – selten läsionell – genetische / familiäre Formen in 25% Krägeloh-Mann I, Klassifikation, Epidemiologie, Pathogenese und Klinik. In: Heinen F, Bartens W (Hrsg). Das Kind und die Spastik 2001;37-48 Status marmoratus Kernikterus Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Ursachen der Verschlechterung: • in unmittelbarem Zusammenhang mit der Cerebralparese – Ermüdung – Schmerzen – mangelnde Übung – Verlaufscharakteristik der Cerebralparese (late onset dystonia, zunehmende Spastik) • sekundäre neuroorthopädische Probleme – Skoliose – degenerative Veränderungen von Hüft- und Kniegelenken – Fußdeformitäten Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Ursachen der Verschlechterung: • sekundäre Erkrankungen in Zusammenhang mit einer zugrunde liegenden (syndromalen) Ursache (z.B. kardiovaskuläre Fehlbildung) • Folgen von komorbid auftretenden Störungen/Erkrankungen und deren Therapie (z.B. Epilepsie) • nicht erkannte neurodegenerative/neurometabolische Erkrankungen als eigentliche Ursache der „Cerebralparese“ • unabhängige neurologische Erkrankungen Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Ursachen der Verschlechterung: topologisch • Myopathie • Neuropathie • spinale Läsion / Myelopathie • zerebelläre Läsion/Degeneration • Läsion/Degeneration im Bereich von Hirnstamm und Basalganglien; Läsionen der corticospinalen Bahnen • Hydrocephalus • Großhirn (weiße Substanz) • Großhirn (Rinde - corticale Läsion/Degeneration) Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Diagnostische Schritte: Anamnese • stimmt die Diagnose einer Cerebralparese? – typische prä-/perinatale Risikofaktoren (pro) – Familienanamnese (contra) – Entwicklung der motorischen Funktionen im Gesamtverlauf (Knick?) • Anamnese • Fotos • Filme – gehirnstrukturelle Befunde • • • • • zusätzliche Erkrankungen (z.B. Epilepsie; Stürze, Frakturen, Depression) Medikamente Gewichtzunahme äußere Faktoren (z.B. Wohnungswechsel, Begleitpersonen) Schmerzen Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Diagnostische Schritte: Untersuchung: • klinisch – auf der Grundlage von Vorbefunden – orthopädisch – neurologisch – Besonderheiten bei Cerebralparesen (und geistiger Behinderung) • fehlende charakteristische Reflexbefunde aufgrund von Kontrakturen/Fehlstellungen (z.B. Pseudo-A-/ Hyporeflexie bei Kontrakturen oder fehlendes Babinski Zeichen; „Pseudobabinski“ bei Basalganglienstörungen) • Muskelatrophien bei z.B. atropher Muskulatur i.R. einer schweren Tetraspastik schwer zu erfassen (>gezielt nach einer Veränderung fragen!) • sensible Funktionen oft schwer zu erfassen (Reaktionen früher?) • Koordinationsprüfung überwiegend auf der Grundlage der Beobachtung von Spontanbewegungen • fehlende typische zerebelläre Okulomotorik bei vorbestehendem Strabismus / Nystagmus (bei hochgradiger Sehbehinderung) • auf trophische Störungen achten! Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Diagnostische Schritte: Untersuchung: • klinisch – ophthalmologisch • Cornea (Kayser-Fleischer Ring) • Iris (z.B. Lisch-Knötchen) • Augenhintergrund (z.B. kirschroter Fleck, Retinitis pigmentosa, Hamartome/Astrozytome; Opticusatrophie) – dermatologisch (>neurokutane Syndrome) – internistisch (>Herzvitien, Gefässerkrankungen, Hepatosplenomegalie, Coeliakie, Nierenveränderungen) Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Untersuchung: • Zusatzuntersuchungen – MRI – EEG – EMG – NLG – (VEP, SSEP) – Liquor – Biochemie – Molekulargenetik Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter MRI • typische Befunde von periventrikulären / subcorticalen Leukomalazien ? – vorhanden => Diagnose CP wahrscheinlich richtig – nicht vorhanden => Diagnose CP anzuzweifeln • Atrophie? – supratentoriell / kortikal – zerebellär • Hydrocephalus? wichtig: Vergleich mit Voruntersuchungen! • Leukodystrophie? • Läsionen / Strukturauffälligkeiten der Basalganglien • spinale / medulläre Läsionen • Muskulatur Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Liquor: • ZNS-Proteine im Liquor Proteine, die aus Zellen des Hirnparenchyms (Neuronen, Gliazellen) stammen und vorwiegend in den ventrikulären Liquor freigesetzt werden: – Tau-Protein – S 100 – NSE • biochemische Marker • Entzündungsparameter Tumani H, Brettschneider J, 2005 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Verschlechterung im „Spontanverlauf“ der Cerebralparese: Verlust der (unabhängigen) Gehfähigkeit oder freien Sitzfähigkeit • Ursachen – Erschöpfbarkeit – Schmerzen – mangelnde Übung (Angst zu Stürzen – nach Anfällen /Frakturen) • Häufigkeit – ca. 40% • Zeitraum / Alter: – 15 -35 J Jahnsen R. Med Menschen Geist Mehrf Behind 2006; 8-20; Andersson und Mattsson, 2001; Ando und Ueda. Clin Rehabil 2000; 14: 300-306 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Verschlechterung aufgrund von neuroorthopädischen Ursachen • Skoliosen • Hüftgelenks(sub-) luxationen / Arthrosen • Fußdeformitäten auf Druckstellen achten! Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Syndrom assoziierte internistische Störungen / Erkrankungen, die zu neurologischen Symptomen führen - Beispiele: • Herzvitien > Thromboembolien, Gehirninfarkte • Zöliakie (Trisomie 21) > Myopathie, Neuropathie, Ataxie • Moya-Moya Erkrankung (Trisomie 21) > Beeinträchtigung der cerebralen Blutversorgung • degenerative HWS-Veränderungen (dyston-dyskinetische Cerebralparese; Trisomie 21) • Schilddrüsendysfunktion >Myopathien Uibo et al. World J Gastroenterol 2006; 12: 1430-1434; Cohen WI. Am J Med Genet C Semin Med Genet 2006; 142: 141-148; Jea A et al. Pediatrics 2005;116:e694-701; Pajkrt et al. Prenat Diagnos 2004; 24:1104-1115;; Hernandez Lund GreenPH; Cur Gastroenterol Rep 2006; 8:383-389; Wong et al. Ann Rheum Dis 2002;61:87-88 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Trisomie 21 - Abnormitäten der Halswirbelsäule • atlantoaxiale Instabilität 10 - 20 (-60)% (atlantoaxiale Subluxation, hypoplastischer C1 Wirbelbogen) • cervicale Spondylose - 40% – Spinalkanalstenose – cervicale Myelopathie Frost M et al.. Clin Neuropathol 1999; 18:250-259 Ali FE et al.. Int Orthop 2006; 7 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Trisomie 21 - Abnormitäten der Halswirbelsäule atlantoaxiale Instabilität (AI) • in 1-2% der Fälle symptomatisch • u.U. nach leichten / minimalen Traumen • schwere Tetraparesen • tödliche Verläufe (Ateminsuffizienz) • bei Gangstörungen immer an AI denken!! • frühe Diagnose kann Morbidität und Mortalität reduzieren • evtl. Routinediagnostik bei Trisomie 21 Briggs RG et al.. S D J Med 1992; 45:279-282 Pueschel SM. Arch Pediatr Adolesc Med 1998; 152:119-122 Briem D et al.. Unfallchirurg 2001; 104:687-691 Dandy-Walker Malformation Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Medikamentös bedingte neurologische Störungen: • Antikonvulsiva: – funktionelle Ataxie (Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenytoin, Lamotrigin, Gabapentin, Pregabalin, Levetiracetam etc.) – Kleinhirnatrophie (wahrscheinlich Phenytoin) – allgemeine motorische Verlangsamung (z.B. Phenobarbital, Primidon, Valproat, Cabamazepin, Topiramat) – Dyskinesien / Dystonien (Phenytoin, Lamotrigin, Gabapentin, Valproat) Schneble H. Vademecum Antiepilepticum 2005/2006; Martin P und Guth C. Z Epileptologie 2007; 20 Im Druck; Armon C et al. Neurology 1996; 47:626-635 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Medikamentös bedingte neurologische Störungen: • Antikonvulsiva: – Parkinson Syndrom (chronische Valproat-Encephalopathie) – Tremor (v.a. Valproat, (und) Lamotrigin) – zunehmende Spastik (Lamotrigin?) – periphere Polyneuropathie (Phenytoin, Phenobarbital, Levetriacetam, Gabapentin) – Myopathie ( Benzodiazepine,Phenytoin, Gabapentin, Valproinsäure) Armon C et al. Neurology 1996; 47:626-635; Bono A et al. Epilepsia 1993;34:323-331; Gould HJ. Pain; 74:341-343;Toth C und Kotecha SA. J Peripher Nev Syst 2004; 9:198-199. Kapoor et al. Elektromyogr Clin Neurophysiol 2005; 45:15-17; Finsterer J. Nervenarzt 2006; 77:682693. Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Immer zu berücksichtigen, ob unter Medikation oder „spontan“: Vitamin D-Mangel → Myopathien, muskuloskeletale Schmerzen Glerup H et al. Calcif Tissue Int 2000;66:419-424 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Medikamentös bedingte neurologische Störungen: • Neuroleptica: – medikamentös induziertes Parkinson Syndrom – Tremor – Myoklonien – Frühdyskinesien – tardive Dyskinesie/Dystonie – Pisa-Syndrom Cerebralparesen, die keine sind – Hinweise auf eine progrediente/prozesshafte Erkrankung • • • • • • • • • fehlende Hinweise auf: – prä-/perinatale hypoxisch-/ischämische Gehirnschädigung – prä-/perinatale intracerebrale Blutung – Gehirnfehlbildung – entzündliche Erkrankung familiäre Häufung von „CP“ Hinweise auf Funktionsstörungen/Schädigungen mehrerer Organsysteme Verschlechterung der motorischen Funktionen im Zusammenhang mit akuten (fieberhaften) Erkrankungen zusätzliche progressive Störung der kognitiv-mnestischen- und/oder der Sinnesfunktionen neu aufgetretene oder deutlich zunehmende Muskelatrophien, Paresen, Dystonien, Ataxien oder Sensibilitätsstörungen Hautveränderungen, die auf des Vorliegen einer neurokutanen Erkrankung Hinweisen körperliche Befunde eines sog Dysmorphie-/Retardierungssyndromes familiäre Häufung eines sog Dysmorphie-/Retardeirungssyndromes Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Cerebralparesen, die keine sind Differentialdiagnosen: • bei Muskelschwäche – Duchenne Muskeldystrophie – mitochondriale Zytopathie • bei ausgeprägter Dystonie / Dyskinese – – – – – – – – – Dopa responsive Dystonie primäre Dystonie (DYT1; 9q32-34) Glutarazidurie Typ I juvenile neuronale Ceroidlipofuszinose Pelizaeus-Merzbacher Erkrankung Pyruvatdehydrogenase-Mangel andere mitochondriale Zytopathien Morbus Wilson Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn Uc EY, Rodnitzky RL. Seminars Ped Neurology 2003; 10: 52-61. Hoffmann GF und Grau AJ (Hrsg). Stoffwechselerkrankungen in der Neurologie. Thieme 2004. Lin J-J et al. Pediatr Neurol 2006; 35: 284-286; Hickman SJ et al. Acta Neurol Scand 2001; 103: 201-203; Jan MMS. Pediatr Neurol 2004;31:298-303 Schiller A et al. Neurology 2004;63:1524-1526; Bandmann O und Wood NW. Neuropediatrics 2002;33:1-5 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Cerebralparesen, die keine sind - Differentialdiagnosen: • bei ausgeprägter Ataxie: – GM1 Gangliosidose – mitochondriale Zytopathien – Morbus Niemann-Pick – autosomal rezessive zerebelläre Ataxien – X chromosomale spinozerebelläre Ataxien – Morbus Krabbe – Morbus Pelizaeus-Merzbacher Uc EY, Rodnitzky RL. Seminars Ped Neurology 2003; 10: 52-61; Hoffmann GF und Grau AJ (Hrsg). Stoffwechselerkrankungen in der Neurologie. Thieme 2004; Klockgether T. Nervenarzt 2005; 1275-1283 Klockgether T. Nervenarzt 2005; 76:1275-1283 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Cerebralparesen, die keine sind - Differentialdiagnosen: • bei im Vordergrund stehender Diplegie (Tetraplegie): – Adrenoleukodystrophy/Adrenomyeloneuropathie – Arginasemangel – Holocarboxylase Synthetase Defekt – hereditäre spastische Paraparese (komplizierte Form) – metachromatische Leukodystrophie – Dopa responsive Dystonie – Metachromatische Leukodystrophie – Rett-Syndrom bzw. MECP2-Mutation Uc EY, Rodnitzky RL. Seminars Ped Neurology 2003; 10: 52-61; Jan MMS. Pediatr Neurol 2004;31:298-303 Schiller A et al. Neurology 2004;63:1524-1526; Bandmann O und Wood NW. Neuropediatrics 2002;33:1-5; Hoffmann GF und Grau AJ (Hrsg). Stoffwechselerkrankungen in der Neurologie. Thieme 2004 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Morbus Wilson (MW) • therapierbare Erkrankung! • Prävalenz 1:30000 • autosomal rezessiv; Mutation des ATP7B (Adenosintriphosphat)Gens; Chromosom 13 (13q14-q21) • Störung des Kupfermetabolismus – verminderte Bindung von Kupfer an Coeruloplasmin (wird vermehrt metabolisiert) – verminderte biliäre Kupferausscheidung – Ablagerung von Kupfer in verschiedenen Organen (Leber, Gehirn, Nieren, Augen, Knochen Muskeln) Merle U et al. Gut 2007; 56: 115-120; ElYoussef M. Mayo Clinic Proc 2003; 78: 1126-1136 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Morbus Wilson (MW) • neuropathologische Veränderungen: – – – – – Striatum (Schwerpunkt) Thalamus Hirnstamm Kleinhirn Großhirnrinde • neurologische Störungen: – – – – – – – Dystonien Dysarthrie / Dysphagie Tremor Rigor Spastik Ataxien epileptische Anfälle Merle U et al. Gut 2007; 56: 115-120; ElYoussef M. Mayo Clin Proc 2003; 78:1126-1136 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Morbus Wilson (MW) • psychische Störungen: – – – – Verhaltens- / Persönlichkeitsstörungen Demenzen affektive Störungen schizophrenieartige Psychosen • als Differenzialdiagnose der Cerebralparese – in der Regel manisfestiert sich die Erkrankung nicht vor dem Alter von vier Jahren – meist gehen bei frühem Krankheitsbeginn hepatische Störungen der Neuropsychiatrischen voraus – Fälle mit in der Kindheit einsetzender Bewegungsstörung, insbesondere Dystonie und kognitiver Beeinträchtigung sind durchaus denkbar und in der Literatur beschrieben Lin J-J et al. Pediatr Neurol 2006; 35: 284-286 ; Merle U et al. Gut 2007; 56: 115-120; ElYoussef M. Mayo Clin Proc 2003; 78:1126-1136 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Morbus Wilson (MW) • Diagnostik (keine der aufgeführten diagnostische Methode ist für sich allein genügend spezifisch): – MRI: symmetrische Hyperintensität der Putamina oder gemischte Intensität (hyperintenser ring um das Putamen) in T2-gewichteten Sequenzen (auch Globus pallidus, Nucleus caudatus und Thalamus) – Spaltlampenuntersuchung: Kayser-Fleischer Ring in 85-98% bei neurologischer Symptomatik – Kupfer im Serum – beim MW erhöht – Coeruloplasmin im Serum – beim MW erniedrigt aber: Akutphaseprotein) – Kupferausscheidung im 24 Stdunden-Urin – beim MW erhöht – Bestimmung der Kupferkonzentration im Lebergewebe – beim MW erhöht Osborn, 2004; Merle U et al. Gut 2007; 56: 115-120; ElYoussef M. Mayo Clin Proc 2003; 78:1126-1136 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn • Gruppe von Erkrankungen bei denen es zu im MRI nachweisbaren Eisenablagerungen im den Basalganglien (Globus pallidus / Substantia nigra) kommt • In vielen Fällen Störung der mitochondrialen Pantothenat-Kinase (PANK2) –für die Coenzym A-Biosynthese essenziell • PANK2-Gen Mutationen auf dem Chromosom 20 (20p12.3-13) Gregory A und Hayflick SJ. Folia Neuropathol 2005; 43: 286-296; Hartig MB et al. Ann Neurol 2006; 59: 248-256 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn • Einteilung nach dem Erkrankungsbeginn: – Kindeslater (häufiger) – Jugendalter – Erwachsenenalter Erkrankungsalter korreliert mit der Restaktivität der PANK2 • neuropsychiatrische Symptomatik – – – – – Dystonien / Choreaathetosen (bei frühem Erkrankungsbeginn) Rigor, Tremor (bei spätem Erkrankungsbeginn) Pyramidenbahnzeichen / Spastik epileptische Anfälle statomotorische und psychointellektuelle Entwicklungsretardierung • Augensymptome – Retinitis pigmentosa – Optikusatrophie Hartig MB et al. Ann Neurol 2006; 59: 248-256; Thomas M et al. Mov Disord 2004; 19: 36-42 Hickman SJ et al. Acta Neurol Scand 2001; 103: 201-203 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn • Verläufe mit früh einsetzender Symptomatik und verzögerter motorischer und sprachlich-kognitiver Entwicklung im Verlauf des ersten Lebensjahres, anschließender langsamer Progression neuropsychiatrischer Symptomatik bzw. längerer Plateauphase, der eine Verschlechterung folgt sind möglich und in Einzelfällen beschrieben • wahrscheinlich liegt solchen Fällen keine PANK2-Mutation zugrunde Hickman SJ et al. Acta Neurol Scand 2001; 103: 201-203; Hayflick, persönliche Mitteilung Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn Diagnostik • MRI: – in T2-gewichteten Sequenzen Hypointensität und zentrale Hyperintensität des Globus pallidus (Tigeraugenphänomen) – vermutlich häufiger bei PANK2Mutation – Hypointensität der substantia nigra (T2) – Kleinhirn- und Großhirnatrophie (bei Fällen ohne PANK2Mutation) • Ophthalmoskopie: Retinitis pigmentosa häufig Hayflick SJ et al. AJNR 2006; 27: 1230-1233 Patientenbeispiel: R.S. * 28.05.1973 Krankheitsentwicklung: • Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung im 1. LJ unauffällig (anamnestisch) • hochfieberhafter Infekt im 13 Monat (Mittelohrentzündung); erstmalig Anfälle („BNS-Anfälle“) • sehr aktive Epilepsie mit tonischen- gen. tonisch-klonischen und komplex-partiellen Anfällen • leichte, beinbetonte Tetraspastik nicht progredient • mittelschwere Intelligenzminderung Patientenbeispiel: R.S. * 28.05.197 Krankheitsentwicklung: • seit ca. 20.LJ zunehmende Steigerung des Muskeltonus / Verlangsamung der Bewegungsabläufe; • gehunfähig mit 30 Jahren • Verschlechterung des Gedächtnisses; spricht weniger Patientenbeispiel: R.S. * 28.05.1973 Befunde: • klinisch: – Hypomimie, Salbengesicht, OOR erschöpflich – Rigor der Rumpf- und Extremitätenmuskulatur bei zusätzlicher Tetraspastik • MRI: – vermindertes Gehirnvolumen, erweiterter Subarachnoidalraum über den Grosshirnhemisphären, ausgeprägte Signalverminderung der Substantia nigra. – verwaschene Rinden-Mark-Granze temporopolar bds.. Hippocampussklerose li. • Liquor: – ZZ, Eiw. unauffällig. – Tau-Protein deutlich erhöht Patientenbeispiel: R.S. * 28.05.1973 Diagnose: vermutlich Neurodegeneration mit Eisenakkumulation - ohne PANK-2-Mutation Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter L-Dopa responsive Dystonie (DRD) • heterogene Gruppe von Bewegungsstörungen, die letztlich auf eine gestörte Dopamin-Synthese zurückgeht • Mutation des Guanosin-Triphosphat (GTP)-Cyclohydrolase-Gens auf dem Chromosom 14 (14q22.1-22.2); autosomal dominant – am häufigsten / Segawa Syndrom Schrittmacherenzym in der Biosynthese von Tetrahydrobiopterin (aus GTP) = Cofaktor der Thyrosin-Hydroxylase (TH) = Schrittmacherenzym der Dopamin-Synthese • TH-Defekt; autosomal rezessiv • DYT14-Gen-Mutation auf dem Chromosom 14 (14q13) Bandmann O und Wood NW. Neuropediatrics 2002;33:1-5; Mink JW. Curr Treatment Opin Neurology 2003;5:279-282; Furukawa Y et al. Neurology 2001; 56: 260-263 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter L-Dopa responsive Dystonie (DRD) klassisches klinisches Bild (Segawa Syndrom): • Symptombeginn im Kindesalter • Dystonie der unteren Extremitäten > Ausbreitung auf den gesamten Körper • Verschlechterung der Symptomatik bei Belastung / in der 2. Tageshälfte • rasches und anhaltendes Ansprechen auf geringe Mengen von L-Dopa ohne motorische Nebenwirkungen, wie sie unter L-Dopa beim Morbus Parkinson auftreten Bandmann O und Wood NW. Neuropediatrics 2002;33:1-5; Mink JW. Curr Treatment Opon Neurology 2003;5:279-282 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter L-Dopa responsive Dystonie (DRD) starke Variabilität des klinischen Phänotyps • keines der klassischen Kriterien ist „obligatorisch“ • Dystonien der oberen Extremitäten; fokale Dystonien; myoklonische Dystonie • Rigor • Tremor • zerebelläre Zeichen • Hypersalivation • Ptosis • Beeinträchtigungen durch die Bewegungsstörung können eine Intelligenzminderung vortäuschen • vor allem bei durch TH-Defekt: – Bild einer diparetischen Cerebralparese (hereditären spastischen Paraperese) – gesteigerte Eigenreflexe; bewegungsinduzeirte Dorsalextension der Großzehe - „striatale Großzehe“(<-> Babinski Zeichen) Jan MMS. Pediatr Neurol 2004;31:298-303 Schiller A et al. Neurology 2004;63:1524-1526; Bandmann O und Wood NW. Neuropediatrics 2002;33:1-5 Cerebralparesen – Verschlechterung motorischer Funktionen im Erwachsenenalter L-Dopa responsive Dystonie (DRD) Diagnostik • Verabreichung von L-Dopa (initial ca 1mg/kg KG) – bei fehlendem Effekt unter ≥ 600 mg/d über 1-4 Wochen hinweg ist die Diagnose unwahrscheinlich • Phenylalanin-Belastungstest • Bestimmung von Biopterin und Neopterin und/oder 5-HydroxyIndolessigsäure im Liquor – bei DRD erniedrigt • Bestimmung der Neopterin-Konzentration in Lymphozyten – bei DRD erniedrigt • Molekulargenetik: GCH1-, TH- (DYT14) Gen Goertz M. Der Phenylalanin-Belastungstest in der Differenzialdiagnose verschiedener Dystonie-Formen; Dissertation Marburg, 2003; Bandmann O und Wood NW. Neuropediatrics 2002;33:1-5; Furukawa Y et al. Neurology 2001; 56: 260-263