Krieg als Problem der Politikwissenschaft

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Krieg als Problem
der Politikwissenschaft
Der Wandel des Kriegsbildes vom
klassischen (symmetrischen) Krieg zwischen
Staaten (Staatenkrieg) zu den
asymmetrischen Neuen Kriegen und zu
hybriden Kriegsformen
# eine Schnellübersicht #
Prof.em. Dr. Dr.h.c.mult. Reinhard Meyers
WWU Münster
Lebenslauf – Kurzfassung
Reinhard Meyers, Jahrgang 1947, studierte
Politikwissenschaft, Anglistik, und Geschichte an der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität 1966 – 1970 mit
dem Abschluß Magister Artium. Forschungsstipendiat der
Wiener Library, London, an der Graduate School of
Contemporary European Studies, University of Reading
1970 – 1972 mit dem Abschluß Master of Philosophy.
Wissenschaftlicher Assistent bei Hans-Adolf Jacobsen und KarlDietrich Bracher am Seminar für Politikwissenschaft der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität 1972 – 1984. Promotion
zum Dr.phil. 1974; Habilitation im Fach Politikwissenschaft 1986;
seit 1987 Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der
Westfälischen Wilhelms – Universität, emeritiert Ende Juli 2012.
Die Forschungsinteressen galten ursprünglich der
Geschichte der internationalen Beziehungen und der
Sicherheitspolitik im 20. Jahrhundert; daneben trat aber
schon vor der Habilitation die Wissenschaftsgeschichte
der Lehre von den Internationalen Beziehungen sowie
deren Epistemologie, Methodologie und Theorie. Seit
den achtziger Jahren wird dieser Schwerpunkt ergänzt
durch Arbeiten zur Friedens- und Konfliktforschung, seit
den neunziger Jahren auch zur Europapolitik.
Seit 1991 mehrfach Prodekan und Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität; 1996 – 2008
Programmbeauftragter für die internationalen Doppeldiplomstudiengänge
mit dem IEP Lille, der BBU Klausenburg (RO) und der Universiteit Twente in
Enschede (NL), seit Oktober 1997 Ehrendoktor der Fakultät für
Europastudien der Babes-Bolyai Universität Klausenburg und seit Mai 2007
der Universität Novi Sad; Mitgründer und 1993 - 2010 Mitherausgeber der
Zeitschrift für Internationale Beziehungen, emeritiert seit 1.08.2012.
Hobbies: Industriearchäologie des Transportwesens, italienische Küche
• Email:
• [email protected]
• Homepage:
• http://reinhardmeyers.uni-muenster.de
KRIEG
a) Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen
b) Erweiterter Zweikampf mit dem Zweck [durch Gewalt], den Gegner
niederzuwerfen und dadurch zu jedem ferneren Widerstand unfähig zu
machen.
Carl von Clausewitz : Hinterlassenes Werk vom Kriege, S. 191ff
Versuch von Staaten oder gesellschaftlichen Großgruppen,
machtpolitische, wirtschaftliche oder weltanschauliche
Ziele mittels Anwendung organisierter bewaffneter Gewalt
durchzusetzen
Seit der Ausbildung des souveränen (Territorial-) Staats und des internationalen
Systems (17. Jh.) gilt eine gewaltsame Auseinandersetzung nur dann als Krieg,
• wenn daran geschlossene Gruppen regulärer Streitkräfte beteiligt sind
• wenn die Tätigkeit dieser Gruppen sich in organisierter, zentral gelenkter Form
entfaltet
• wenn diese Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg unter regelmäßiger,
strategischer Leitung anhält
Politikwiss. Teilbereich Friedens- und
Konfliktforschung
Prämisse:
Ziel:
Krieg als Teilmenge der Gesamtmenge sozialer
Konflikte
Vergleichend-kontrastierende Untersuchungen der
Entstehungsmomente und –ursachen
Verlaufsformen
Verhaltensweisen der Konfliktparteien
Ergebnisse
Wirkungen
von gesellschaftlich-kollektiven Konflikten
1 Dezember 2005
Prof. Dr. Dr. h.c Reinhard Meyers
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zunehmende
Machtrivalität
KRIEG
Konflikt
aktuelle Gewalt
strukturelle Gewalt
Umschlagspunkt :
Zivilisierung des Konflikts
Gewaltfreiheit/Gewaltlosigkeit
Kooperation
zunehmende
Interdependenz
Integration
FRIEDEN
Internationale Beziehungen als Nullsummenspiel
KRIEG
• gewaltsame Interessendurchsetzung
KONFLIKT
• Rüstung/Rüstungswettläufe
• Sicherheitsdilemma
Zivilisierung des
Konfliktaustrags
durch seine
Verrechtlichung
INTERNATIONALE ANARCHIE
• Gleichgewichtspolitik
• Kollektive Verteidigung
• Rüstungskontrolle
• kollektive Sicherheit
Überlagerung internationaler
Konfliktformationen durch
multi- und transnationale
(Interessen-) Verflechtungsund Entscheidungsprozesse
KOOPERATION
• Peace Enforcement/Peace
Keeping/Peace Building
• (sozioökonomische) Dependenz und
Verteilungsungerechtigkeit/Marginalis
ierung
• (negative) Interdependenz als
Beschränkung von
Handlungsoptionen
INTERNATIONALE GESELLSCHAFT
Gewaltsame Regulierung von Beziehungen
• Abschreckung
• Abhängigkeit durch (Fremd-)
Herrschaft
FRIEDEN
Verregelung von Beziehungen
• Integration
• (Kon-) Föderation
• positive Interdependenz :
(friedens-)stabilisierende
Wirkungen von
Interessenverflechtungen
• funktionale spill-over-effekte
Internationale Beziehungen als positives Summenspiel
FRIEDENS- UND KONFLIKTZYKLUS
ZUSTAND
EINGESETZTE MITTEL
KRIEG
Intervention
(intervention)
Friedenserzwingung
(peace enforcement)
Militärische
Mittel
KRISE
Krisenmanagement
(crisis management)
INSTABILE
ORDNUNG
STABILE
ORDNUNG
Friedenserhaltung
(peace keeping)
Präventivdiplomatie
(preventive diplomacy)
Reguläre
Beziehungen
Friedensaufbau
(peace building)
Zivile
Mittel
Konfliktbearbeitung : Ansatzpunkte
Intensität
i
MANAGEMENT
Gewaltschwelle
Zeitablauf
t
KRIEGE ZWISCHEN STAATEN
Territorialansprüche
Konkurrenz um
Grenzen und Gebiete
Machtkonkurrenz
Kampf um
Vormachtstellungen in der
Region
Herrschaftssicherung
Furcht vor einer
Bedrohung von aussen
Rohstoffbedarf
Konkurrenz um knappe
Ressourcen
Ablenkung
Ablenkung von Konflikten
innerhalb des Staates
Herrschaftsinteressen
Durchsetzung politischer und
ökonomischer Interessen durch
Eliten
Ethnisch-kulturelle
Heterogenität
Kein Interessensausgleich
angesichts unterschiedlicher
Bevölkerungsgruppen, die keine
„ einheitliche Nation“ bilden
WARUM KRIEG ?
Interner Kolonialismus
Ökonomische Ausbeutung
und politische
Unterdrückung von
Bevölkerungsgruppen und
Regionen
Fehlwahrnehmung
Falsche Beurteilung der
Stärke und Absichten
anderer Staaten
Sozio-ökonomische Heterogenität
Auf krasser sozialer
Ungerechtigkeit beruhende
Gesellschaftssysteme
KRIEGE INNERHALB VON STAATEN
Three Images
Kenneth Waltz. 1954. Man, the State, and War.
Frage: What are the causes of war?
Third Image: The International System
Second Image: The State
First Image: Human nature
ANSATZEBENEN DER TYPOLOGIE VON KRIEGSURSACHEN NACH WALTZ
1. Natur des Menschen
Die Gewalt liegt in den Akteuren – oder: Kriege entstehen in den Köpfen
der Menschen als Folge von Dummheit, Selbstsucht oder fehlgeleiteten
aggressiven Impulsen
2. Wesen der menschlichen Gesellschaft
Die Gewalt liegt in der Organisation und Struktur der Akteure – oder:
Kriege sind das Ergebnis despotischer Herrschaft, mangelnder
rechtsstaatlicher Verfassung der Staaten und ungerechter Verteilung
sozioökonomischer Werte in einer Gesellschaft
3. Struktur des internationalen Systems
Die Gewalt liegt im (Staaten-) System – oder: Kriege sind das notwendige
Korrelat eines anarchischen internationalen Naturzustandes souveräner
Akteure, die im Innern über das Monopol legitimer physischer
Gewaltanwendung verfügen und im Aussenverhältnis keiner höheren
Macht unterworfen sind
Grundzüge des klassischen Kriegsbildes
Krieg
• Wendung des staatlichen Gewaltmonopols nach aussen
• Fortsetzung des politischen (Staaten-) Verkehrs unter Einmischung anderer Mittel
Primat der Politik
Prinzip von Befehl
und Gehorsam
Zentrale politische
Kontrolle durch legitimierte
Entscheidungsträger
Auseinandersetzung zwischen
militärischen Grossverbänden
Zentrale Gesamtleitung nach
rationalen strategischen
Prinzipien
Die Innenwendung des Krieges…
Auflösung des klassischen Kriegsbildes
• Wendung militärischer Gewaltanwendung in die Innensphäre zerfallender einzelstaatlicher
Subjekte (Failing States als Katalysatoren militärischer Auseinandersetzungen)
• Zweck: innergesellschaftlicher Machterhalt von Interessengruppen, Clans, Warlords,
Sicherung von Beute , schnellem Profit und persönlichen Abhängigkeiten
Primat der
(ethnonationalen)
Gruppeninteressen
Aufhebung des Prinzips
von Befehl und Gehorsam
Aufhebung der
zentralen politischen
Kontrolle und
rationalen
strategischen
Gesamtleitung
Auseinandersetzung
zwischen bewaffneten
Volksgruppen, Milizen,
Privatarmeen,
Partisanenverbänden,
marodierenden Gangs
und Banden unabhängig
operierender
Heckenschützen usw.
Weitere Informationen
• HEIDELBERGER INSTITUT FÜR
• INTERNATIONALE KONFLIKTFORSCHUNG e.V.
• am Institut für Politische Wissenschaft der
Universität Heidelberg
• KONFLIKTBAROMETER 1992ff jährlich
• Krisen . Kriege . Putsche
• Verhandlungen . Vermittlungen . Friedensschlüsse
• http://hiik.de/de/konfliktbarometer/index.html
Literaturtip
Edgar Wolfrum: Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom
Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003.
Jeremy Black (Hrsg.): Die Kriege des 20. Jahrhunderts. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010
Viel mehr Literatur in meinem Artikel: Krieg und Frieden, in: W.
Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch Internationale Politik. 12.
Auflage Opladen 2011, S. 302 – 323 [ auch bei Bundeszentrale
für polit. Bildung ]
Hew Strachan/Sibylle Scheipers (Hrsg.): The Changing Character
of War. Oxford: OUP repr.2013
Vom gerechten Krieg zum Gewaltverbot:
Mittelalter – frühe Neuzeit: Lehre vom bellum justum (gerechten Krieg)
• gerechter Grund (iusta causa)
• rechte Absicht (intentio recta)
• Machtbefugnis des Herrschers (auctoritas principis)
Zeitalter des klassischen Völkerrechts (1648 – 1919): ius ad bellum
•
•
Souveräne Staaten besitzen das Recht zum Krieg
„Krieg als Fortsetzung der Politik unter Einmischung anderer Mittel“
(Clausewitz)
Nach 1919: ius contra bellum (Gewaltverbot)
• Völkerbund: partielles Kriegsverbot, Bedingung der Ausschöpfung
der vorgesehenen Mechanismen der Streitbeilegung
• Briand-Kellog-Pakt (1928): generelles Kriegsverbot,
Sanktionsmechanismen fehlen, Beschränkung auf „erklärten“ Krieg
• Vereinte Nationen (1945): Art. 2 Ziff. 4 SVN normiert Gewaltverbot
„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen
jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische
Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen
der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung
von Gewalt.“
Veränderungen der Randbedingungen der Kriegführung
Annahme I:
Der klassische Krieg ist der Krieg zwischen Staaten – im Sinne des Generals v.Clausewitz
die Fortsetzung des diplomatischen Verkehrs unter Einmischung anderer Mittel, geführt um
der Durchsetzung staatlicher Territorial- und/oder Machtansprüche willen, gipfelnd in der
Entscheidungsschlacht, gestützt durch eine Produzenten und Produktivkräfte
mobilisierende, allumfassende Kriegswirtschaft.
Der klassische Friede ist ein völkerrechtlich garantierter Zustand des Nicht-Kriegs; das
Gewaltverbot des Art.2(4) Uno-Charta ist eine Fundamentalnorm des Völker- [oder präziser:
des zwischenstaatlichen] Rechts.
Krieg und Frieden sind Ergebnisse des politischen
Handelns staatlicher Akteure in der Staatenwelt
Annahme II:
Die überkommenen staatenweltlichen Randbedingungen des Handelns nationaler Akteure in
Sachen Krieg und Frieden werden verändert durch die Phänomene der
• funktionalen Interdependenz staatlicher und nichtstaatlicher internationaler Akteure
• transnationalen Vernetzung gesellschaftlicher Akteure in einer Vielzahl von
Gesellschaften
• Globalisierung der Ökonomie, Politik, Kommunikation, Kultur, materiellen
Erwartungen ...
Beeinträchtigung der Handlungsund Durchsetzungsfähigkeit
nationaler Akteure in der
Staatenwelt
Infragestellung des durch
den nationalen Akteur
(typischerweise des
modernen Wohlfahrts/Daseinsvorsorgestaats)
seinen Bürgern gegebenen
Schutzversprechens
Allmählicher Wandel der
Staatenwelt zur Gesellschaftswelt
Reduzierung der Bedeutung
des nationalen Akteur
gegenüber einer kontinuierlich
wachsenden Zahl von globalgovernance-Akteuren
Legitimationsproblem
des nationalen Akteurs
Als alleiniger, auf das Gewaltanwendungsmonopol gestützter Führer von Krieg wie alleiniger
Garant von Frieden dankt der nationale Akteur klassischer Prägung ab. Aber es entsteht ein
gravierendes Problem: werden seine Schutz- und Ordnungsaufgaben teilweise durch andere
Akteure übernommen, oder bildet sich in seiner alten Kompetenzsphäre ein Macht- und
Handlungsvakuum, das andere gesellschaftliche Kräfte besetzen ?
Sicherheitspolitische Trends seit
den 1990er Jahren
Zerfall von Sowjetunion und WP
Globalisierung
1. Friedensdividende: Abbau von
Erweiterung des Sicherheitsbegriffs
Militärhaushalten (zeitweise)
2. Abrüstung: SALT, MBFR usw.
(jetzt teilweise gestoppt)
3. Staatszerfall im Ostblock:
1. Freisetzung von Waffen
2. Ethno-nationalistische Konflikte
4. Failing/Failed States in anderen
Teilen der (insbes. Dritten) Welt
1. Privatisierung des Gewaltmonopols
2. Ethno-nationalistische Konflikte
3. Wiederaufleben von Religionskriegen
durch:
1. intensivierte/beschleunigte globale
Austauschbeziehungen (Sieg der Zeit
über den Raum)
2. Technologische Fähigkeitsrevolution
(weltumspannende Handlungsoptionen in
Echtzeit)
3. Kommunikations(netz)revolution:
Information overload im Global Village
4. Umfassende Konzepte menschlicher
Sicherheit (Human Security)
5. Mentalisierung/Virtualisierung von
Sicherheitsvorstellungen
Konsequenz I: Aufhebung der
klassischen Trennung von Innen
und Außen (-Politik)
Konsequenz II: Aufhebung
des klassischen
Interventionsverbots
Subsystemische
gesellschaftliche
Akteure werden auf der systemaren
Ebene unmittelbar handlungsrelevant,
externe Konflikte/Konfliktgründe werden
internalisiert, nationale gesellschaftliche
Akteure externalisieren sich und/oder
treten in Interessenkoalitionen mit
vergleichbaren Akteuren in anderen
Gesellschaften. Das überkommene stateas-gatekeeper-Prinzip wird ausgehebelt;
der einzelstaatliche Rückfall in den
Naturzustand
unterfüttert
und
durchdringt die internationale Anarchie.
Der Schutz der Souveränität der
Akteure durch das Prinzip der
Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten
war
eine
existenznotwendige Bedingung des
naturzuständlichen Staatensystems;
seine Ausserkraftsetzung durch das
Prinzip der humanitären Intervention
ebenso wie durch ethnopolitische
Unterstützung von Volks- oder
Glaubensgenossen bedeutet einen
erheblichen Schritt vorwärts in
Richtung auf weltgesellschaftliche
Organisationsformen
Konsequenz III: Auflösung des klassischen Kriegsbildes in
asymmetrischen Neuen Kriegen
Auflösung des klassischen Kriegsbildes (Wiederholung)
• Wendung militärischer Gewaltanwendung in die Innensphäre zerfallender einzelstaatlicher
Subjekte (Failing States als Katalysatoren militärischer Auseinandersetzungen)
• Zweck: innergesellschaftlicher Machterhalt von Interessengruppen, Clans, Warlords,
Sicherung von Beute , schnellem Profit und persönlichen Abhängigkeiten
Primat der
(ethnonationalen)
Gruppeninteressen
Aufhebung des Prinzips
von Befehl und Gehorsam
Aufhebung der
zentralen politischen
Kontrolle und
rationalen
strategischen
Gesamtleitung
Auseinandersetzung
zwischen bewaffneten
Volksgruppen, Milizen,
Privatarmeen,
Partisanenverbänden,
marodierenden Gangs
und Banden unabhängig
operierender
Heckenschützen usw.
Veränderungen der Randbedingungen der Kriegführung (2)
Annahme III:
Mit der Abdankung des nationalen Akteurs als klassischer Kriegführungsmacht wird auch der
zwischenstaatliche Krieg zunehmend zum Anachronismus: die seit 1945 geführten über 25o Kriege
entpuppen sich überwiegend als inner- oder zwischengesellschaftliche gewaltsame
Auseinandersetzungen, an denen öffentliche und private, internationale und nationale, regionale
und lokale Kriegsparteien gleicherweise teilnehmen. An die Stelle organisierter zwischenstaatlicher
Gewaltanwendung tritt ein neuer Kriegstyp, in dem sich Momente des klassischen Krieges, des
organisierten Verbrechens und der weitreichenden Verletzung der Menschenrechte miteinander
verbinden. Augenfällige Charakteristika der Neuen Kriege sind
• die Verwicklung der Staaten in unkonventionelle Prozesse und Formen der Kriegführung
zwischen staatlichen und sub- oder nichtstaatlichen Akteuren,
• die Vergesellschaftung des Gewaltmonopols,
• die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Armee und Zivilbevölkerung, die Zivilisten
übergangslos zu Kombattanten werden, Wohnviertel und Schlachtfeld in eins fallen lässt,
• die die Brutalität der eingesetzten Mittel steigernde quantitative wie qualitative, zeitliche wie
räumliche Entgrenzung eines Konflikts zwischen sich gegenseitig als illegitim bezeichnenden
Einheiten,
• schliesslich die Abwanderung all dieser Auseinandersetzungen aus der Zuständigkeit des
Völker- oder besser: zwischenstaatlichen Rechts in die normative Grauzone zwischen
1 Dezember
2005
Prof. Dr. Dr. h.cRecht
Reinhard Meyers
25
innerstaatlichem
und zwischenstaatlichem
Dieser Kriegstypus ist kein blosser ethnonationalistischer Bürgerkrieg, gekennzeichnet durch die
Privatisierung der Gewaltanwendung durch vorgeblich ethnische Ziele verfolgende
gesellschaftliche Gruppen, sondern durchaus auch ein politisches Phänomen, an dem
regierungsamtliche wie nichtregierungsamtliche Akteure gleicherweise teilhaben.
In ihm geht es weniger um klassische machtpolitische und/oder territoriale Ziele, sondern um
(auch gewaltsame) Identitätsstiftung , d.h. er wird einerseits genutzt von herrschenden Eliten
(„Ethnokraten“), um ihre materielle und ideelle (gruppenpsychologische) Machtausübung zu
verteidigen, zu erweitern, zu legitimieren, andererseits instrumentalisiert von Führungsmitgliedern
politisch und/oder sozioökonomisch ehedem benachteiligter Gruppen, um die Chance zur
Erringung von Macht, Herrschaft und Beute in einem beschreibbaren territorialen Zusammenhang
überhaupt erst zu realisieren.
Dazu dienen Taktiken des Terrors und der Destabilisierung, die das moderne Kriegsvölkerrecht
längst geächtet hat (Genocide, ethnische Säuberungen, (Massen)Vergewaltigungen usw.). Getragen
werden diese bewaffneten Auseinandersetzungen nicht länger von herkömmlichen, dem Primat der
Politik unterstellten und dem Prinzip von strategischer Rationalität, einheitlicher Führung, Befehl
und Gehorsam verpflichteten militärischen Großverbänden. An ihre Stelle treten die Privatarmeen
ethnisch-nationaler Gruppen, Partisanenverbände, unabhängig operierende Heckenschützen,
marodierende Banden, Mafiagangs: „What are called armies are often horizontal coalitions of local
militia, breakaway units from disintegrating states, paramilitary and organized crime groups“
(Kaldor 1997: 16). Dabei schwindet nicht nur die klassische Unterscheidung von Kombattanten und
Zivilisten – die Schlachtfelder des Neuen Krieges werden bevölkert von Figuren, die Europa seit
dem Absolutismus aus der Kriegführung verbannt hatte:
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dem Warlord, einem lokalen oder regionalen Kriegsherrn, der seine
Anhängerschaft unmittelbar aus dem Krieg , der Kriegsbeute und den
Einkünften des von ihm eroberten Territoriums finanziert (Rich 1999);
dem Söldner, einem Glücksritter, der in möglichst kurzer Zeit mit
möglichst geringem Einsatz möglichst viel Geld zu verdienen trachtet;
dem Kindersoldaten, dessen Beeinflussbarkeit und Folgebereitschaft
ihn zu einem gefügigen Instrument des bewaffneten Terrors macht
Dem Solbel [aus Soldier und Rebel] einem Angehörigen der
Regierungstruppen, der nach Sonnenuntergang – oder sonst je nach Zeit
und Umständen – vorübergehend auf die Seite der irregulären Einheiten
wechselt, weil er dort seine materiellen Bedürfnisse besser befriedigen
kann.
27
Gestützt und finanziert werden solche bewaffneten Auseinandersetzungen durch
eine demobilisierende, parasitäre, globalisierte Mafiaökonomie, die die
Produktion, d.h. die Erzeugung von Mehrwert, zum Erliegen bringt, den Krieg aus
Überweisungen, Diaspora-Spenden, Subsidien dritter Regierungen, Schwarzmarktund Schmuggelgeschäften und Expropriation humanitärer Hilfe und/oder Helfer
finanziert, nicht nur die eigene Kriegszone beschädigt, sondern auch die
Volkswirtschaften benachbarter Regionen.
Damit aber verändert sich auch die Ökonomie des Krieges: rekurrierte der
klassische Staatenkrieg noch auf die Ressourcenmobilisierung durch den Staat
(Steuern, Anleihen, Subsidien, totale Kriegswirtschaft), passte er die Wirtschaft als
Kriegswirtschaft an den Ausnahmezustand an, so finanzieren sich die Guerrilla- und
low intensity-warfare- Konflikte der Gegenwart aus Kriegsökonomien, in denen die
illegale Aneignung von Gold und Edelsteinen, der Menschen- und Rauschgifthandel,
der Zigaretten- und Treibstoffschmuggel Hochkonjunktur haben – und das nicht nur
während der Phase militärischer Auseinandersetzungen, sondern gerade auch in
den Zwischenzeiten, in denen Fronten begradigt, Kräfte gesammelt, Waffenarsenale
neu aufgefüllt werden.
28
Die politische Ökonomie dieser Konflikte ist nicht mehr staatszentriert: - die
Staaten werden zu Schatten ihrer selbst, während die Kriegsökonomien in
regionale
und
globale,
sich
der
staatlichen
Kontrolle
entziehende
Transaktionsnetze eingebunden werden. „Bürgerkriegsökonomien sind wie
schwärende Wunden an den weichen Stellen von Friedensökonomien, die sie mit
illegalen Gütern, wie Rauschgift und zur Prostitution gezwungenen Frauen, aber
auch durch erzwungene Fluchtbewegungen infiltrieren und zur Finanzierungsquelle
des Bürgerkriegs machen...“ (Münkler 2001).
Das
die
(Bürger-)
Kriegsökonomie kennzeichnende Moment ist das der
Deinvestitionsspirale: je länger die Kampfhandlungen dauern, desto mehr
schrumpft die Zukunftsperspektive, desto eher verliert die zivile Wirtschaftsweise
an Bedeutung, desto schneller gerät die Deinvestitionsspirale in Abwärtsdrehung:
„Die unmittelbar verfügbaren Ressourcen werden hemmungslos ausgeplündert,
und Investitionen kommen nicht mehr zustande. Am Ende ist im Grunde jeder
Einzelne auf Gewaltanwendung angewiesen, um Nahrung und Wohnung zu
sichern...“(Münkler 2001). Diese Art Ökonomien hinterlassen schließlich eine
räuberische Gesellschaft, die sich von der des Hobbes’schen Naturzustandes nur
noch wenig unterscheidet.
29
Schließlich: wie erfolgreiche transnationale Konzerne geben die Akteure des Neuen
Krieges in ihrer Organisationsstruktur das herkömmliche Prinzip einer pyramidalvertikalen Kommandohierarchie auf, nähern sich den komplexen horizontalen
Netzwerken und flachen Hierarchien, die die Führungsstrukturen moderner
Wirtschaftsunternehmen kennzeichnen. Zu einem Gutteil ist selbst ihre Kriegführung
transnational: sie werden finanziert durch Spenden oder „Abgaben“ in der Diaspora
lebender Volksangehöriger oder ihren Zielen geneigter Drittstaaten; sie greifen
logistisch auf einen globalisierten Waffenmarkt zu; sie rekrutieren ihre Kämpfer aus
Angehörigen
(fundamentalistisch-)
weltanschaulich
gleichgerichteter
Drittgesellschaften; sie nutzen die Dienste weltweit operierender kommerzieller
Anbieter militärischer Beratungs-, Trainings- und Kampfleistungen; und sie
beschränken ihre Aktionen nicht auf das angestammte Territorium oder regionale
Kriegsschauplätze, sondern tragen ihren Kampf mittels spektakulär-terroristischer
Akte an solche Orte, an denen ihnen die Aufmerksamkeit einer multimedial rund um
den Globus vernetzten Weltöffentlichkeit sicher sein kann.
Über Zeit führen die – eher camouflierend als „ethnopolitisch“ bezeichneten Auseinandersetzungen zur Auflösung der staatlichen Handlungssubjekte und ~Strukturen und zur Delegitimierung jeglicher im Namen usurpierter staatlicher
Autorität umgesetzten Politik.
30
Literaturtip
• Mary Kaldor: Neue und alte Kriege. Organisierte
Gewalt im Zeitalter der Globalisierung. Frankfurt/M.
2000
• Christopher Daase: Kleine Kriege – Große Wirkung.
Wie unkonventionelle Kriegführung die internationale
Politik verändert. Baden-Baden 1999
• Die neuen Kriege. Der Bürger im Staat. Hg.
Landeszentrale für politische Bildung BadenWürttemberg. 54.Jg., Heft 4 2004
http://www.buergerimstaat.de/4_04/neu_krieg.htm
• Übersicht auch in meinem Artikel: Krieg und
Kriegsentwicklung in der wissenschaftlichen
Diskussion, in: politische bildung, 47.Jg., Heft 1
(2014), S. 32 - 52
Konsequenz IV: Hybride Kriegführung (I)
• Aktionen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, die
die Drohung mit und/oder den offenen oder verdeckten
Einsatz eines ganzen Spektrums traditioneller militärischer und unkonventioneller Gewaltmittel auf
taktischer Ebene verschmelzen:
• Z.B.: Partisanen & Söldner, Terroristen & organisierte Kriminalität,
Hochtechnologie & BC-Massenvernichtungswaffen, Cyberangriffe,
Störungen der Energieversorgung, Wirtschaftliche Kriegführung,
Propaganda- und Demoralisierungskampagnen, Desinformation
• Erwartbare Ziele hybrider Kriegführung sind vor allem
kritische Infrastrukturen und Schwachstellen
• Z.B.: Flugplätze & Luftverkehr, Hafenanlagen & Seehandelswege,
Massentransportmittel, Energieerzeugung & ~transport, Nachrichten- und Kommunikationsnetze, alle Arten von Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen & bei Veranstaltungen
Konsequenz IV: Hybride Kriegführung (II)
• Erwartbare Folgen hybrider Kriegführung:
• Massenpanik, Fluchtbewegungen, massive Störung/
Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, vielfältige Beeinträchtigung der menschlichen Sicherheit
• Prinzip: Bedrohungswirkung liegt im
erwartbaren Schadeneffekt
• Bereits kleinere, räumlich begrenzte Sicherheitsvorfälle können unmittelbar regionale/globale und
zeitlich wie wirtschaftlich/finanziell einschneidende
Folgeprozesse in Gang setzen
• Normative Schranken: völkerrechtlich keine !
Maskirovka – oder: kleine grüne Männchen
• Waleri Wassiljewitsch Gerassimow [Armeegeneral, derzeit
russ. Generalstabschef]
• The Value of Science in Prediction, in: Military Industrial
Courier, Februar 2013, behandelt die Nutzung politischer,
ökonomischer, informationeller, humanitärer und anderer nichtmilitärischer Maßnahmen als Konfliktmethoden
• - Verwischung der Trennlinien zwischen Krieg und Frieden
• - Wachsende Rolle von nichtmilitärischen Mitteln zur
Erreichung politischer und strategischer Ziele. In many cases,
they have exceeded the power of force of weapons in their
effectiveness .
• The open use of forces, often under the guise of peacekeeping
and crisis regulation – is resorted to only at a certain stage,
primarily for the achievement of final success in the conflict.
Kleine grüne Männchen…
Konsequenz IV: Hybride Kriegführung (III)
Cyber Warfare
• Vorläufer der 90er Jahre: RMA – Revolution in Military Affairs – statt
des aus der Zeit des Kalten Krieges überkommenen Zusammenspiels
von mechanisierten Großverbänden und Luftstreitkräften verschiebt
sich der Akzent auf relativ kleine, schlagkräftige, luftverschiebbare &
elektronisch vernetzte Verbände, die zu überraschend schnellen
Offensivbewegungen fähig sind und weniger schematisch
strukturiert, sondern flexibel & modular organisiert sind [Beispiel
Golfkrieg 2003]
• Problem: Krieg spielt sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts
immer weniger auf weiten Schlachtfeldern und immer mehr in
besiedelten Lebensräumen ab [Gaza, Mossul, Kabul, Syrien] – RMAVerbände sind zwar interventionsfähig, haben aber Probleme,
eingenommene Gebiete langfristig gegen asymmetrische Abnutzungsstrategien zu halten
• Cyber Warfare als Mittel, die Asymmetrien konventioneller Kriegführung aufzuheben [Stuxnet 2010] - Komplexitätsproblem
Konsequenz IV: Hybride Kriegführung (III)
Cyber Warfare (2)
 Frage nach (noch oder schon wieder) einem Paradigmawechsel in
der Kriegführung ?? Der Verweis auf eine vierte Dimension à la Star
Wars greift zu kurz
 Möglicher Prinzipienwechsel: in der RMA war die Elektronik eine
Hilfsgrösse des Waffeneinsatzes (Vernetzung, Echtzeitkommunikation, IT-gestützte Lageanalyse- und Führungsmöglichkeiten);
im Cyberwar wird Information(sverarbeitung) selbst zur Waffe [von
facilitator of weapons zu weapon itself]
 Krieg klassisch Versuch von Staaten oder gesellschaftlichen
Großgruppen, machtpolitische, wirtschaftliche oder weltanschauliche Ziele mittels Anwendung organisierter bewaffneter Gewalt
durchzusetzen
 CyberWarfare eröffnet die Möglichkeit, Agenda und Präferenzen des
Gegners zu bestimmen, ohne ihn direktem physischen Zwang [von
aussen] auszusetzen
 Neues Gefechtsfeld Internet [und dessen physische Struktur !!]
Literaturtip
• Sicherheit und Frieden. 32. Jg. Heft 1 (2014)
• Julia Linzen: Cyberwar und Cyberwarfare. CGS
Discussion Paper 14, Dezember 2014, im Netz unter
http://www.cgs-bonn.de/pdf/14%20_%20Linzen%20%20CGS%20Discussion%20Paper.pdf
• Paul J. Springer: Cyber Watfare. A reference
handbook. Santa Barbara: ABC Clio 2015
Das neue Gesicht des Krieges –
oder immer noch das alte ??
Danke fürs Zuhören…
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