Indirekter Minderheitseinfluss als Folge einer impliziten sozialen

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Universität Bielefeld
Institut für Psychologie - AE Sozialpsychologie
Indirekter Minderheitseinfluss als Folge einer impliziten
sozialen Vereinbarung:
Das "leniency contract model"
Referat im Rahmen des Seminars
Sozialer Einfluss durch Minderheiten und Mehrheiten
Prof. Dr. Gerd Bohner
WS 2004/05
Referenten: Johannes Engemann, André Pittig & Olga Salewski
Literatur
Alvaro, E. M., & Crano, W. D. (1997). Indirect minority influence: Evidence for leniency in source
evaluation and counterargumentation. Journal of Personality and Social Psychology, 72, 949-964.
Crano, W. D., & Chen, X. (1998). The leniency contract and persistence of majority and minority
influence. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1437-1450.
*Crano, W. D. (2001). Social influence, social identity, and ingroup leniency. In N. K. De Vries & C. K.
W. De Dreu (Eds.), Group consensus and minority influence: Implications for innovation (pp. 122143). Oxford, UK: Blackwell.
Drei Ansätze in der Sozialpsychologie, die
Crano zu einer Theorie zusammenfasst:
1. Zwei-Prozess-Modelle der Persuasion
2. Theorie der sozialen Identität
3. Mehrheiten- und Minderheiteneinfluss
Zwei-Prozess-Modelle der Persuasion
•
Gebiet der Persuasionsforschung:
Einstellungsänderung als Folge von
Informationsverarbeitung
• Zwei alternative Modelle:
1. Modell der Elaborationswahrscheinlichkeit
(ELM) (Petty und Cacioppo)
2. Heuristisch-Systematisches Modell (HSM)
(Chaiken et al.)
•
Ähnlich wie ELM, hier nicht erläutert, da für Theorie
irrelevant
Das Modell der
Elaborationswahrscheinlichkeit (ELM)
Zwei prototypische Prozesse
• Periphere Route: einfache Hinweisreize bestimmen die Einstellung
• Zentrale Route: Qualität der Argumente bestimmt die Einstellung
Motivation und Aufnahmefähigkeit (Kapazität) einer Person,
vorgegebene Botschaft zu verarbeiten, bestimmen die
„Elaborationswahrscheinlichkeit“
Je größer die Elaborationswahrscheinlichkeit, desto größer
ist die Verarbeitungswahrscheinlichkeit über die zentrale Route
Vermittlung über kognitive Reaktionen
Messmethode:
Gedankenauflistung, Aufteilung in positive, negative und neutrale
Gedanken
Theorie der sozialen Identität
• Positives Selbstkonzept des Menschen ist ausschlaggebend für
positive Beurteilung der Eigengruppe (der eigenen Person
ähnlicher)
• Eigenidentität durch Gruppenmitgliedschaft
• Wert und Prestige der EG wird durch den Vergleich mit anderen
Gruppen gemessen (sozialer Wettbewerb)
• Unterscheidung in EG und FG („wir“ vs. „die“)
• Starke Beziehung zur EG wird durch bestimmte Meinung sichtbar
• Je größer die Bindung, desto größer die Verteidigungsbereitschaft
• Abweichende subjektive Meinungen werden akzeptiert, solange sie
für den Gruppenfrieden keine Bedrohung darstellen
• Die Meinungsfreiheit variiert mit dem Status und Dauer der
Mitgliedschaft in der Gruppe
Theorie der sozialen Identität
Wahrnehmen der Fremdgruppe:
• Unterstellung einer simplen Struktur
 Schwarz / Weiß Denken
• Stereotype Vorstellung
 erspart aufwändiges Denken
Moscovicis Theorie
• Einfluss der Minderheit wird in deren
Verhaltensstil begründet
• Wichtiges Element: Konsistenz
1. diachrone Konsistenz
2. synchrone Konsistenz
• Nur wenn die Minderheit ihre Position
stabil und langanhaltend verteidigt, kann
sie Einfluss ausüben.
Das leniency-contract Modell
• Unterschied zwischen Eigengruppe
(Gruppe, der sich P zugehörig fühlt;
selbstrelevant) und Fremdgruppe
• Davon unabhängiger Unterschied
zwischen Mehrheit und Minderheit
Das leniency-contract Modell
Mehrheitseinfluss
• Mehrheit muss selbstrelevant sein
• Mehrheit muss als kompetent angesehen
werden, ansonsten Abwertung der
Mehrheit
 Elaboration der Botschaft
• Schwache Argumente  direkter Einfluss durch
Gruppendruck, aber von kurzer Dauer
• Starke Argumente  direkter Einfluss auch durch
Botschaft, langanhaltend
Das leniency-contract Modell
Minderheitseinfluss
• Minderheit muss zur Eigengruppe gehören
– Minderheitsposition als neu und unerwartet betrachtet
• Minderheitsposition darf nicht als Bedrohung für
Existenz der Gruppe betrachtet werden,
ansonsten Ausschluss
 „milde Behandlung“ (leniency) der Minderheit,
um Gruppenstabilität zu erhalten
Das leniency-contract Modell
• „Milde Behandlung“ umfasst:
– Minderheit darf Meinung äußern
– Keine Abwertung oder Ausschluss der
Minderheit
– Wenig Gegenargumentation der Mehrheit
• im Gegenzug verzichtet Minderheit auf
direkten Einfluss
Das leniency-contract Modell
• Minderheitseinfluss durch Ungleichgewicht in
Einstellungssystem (kognitive Dissonanz)
– Einfluss auf kognitiv verwandte Themen (indirekte
Einstellungsobjekte)
• Durch indirekte Einstellungsänderung kann
wiederum direkte Einstellung verzögert
beeinflusst werden, da ansonsten wieder
Ungleichgewicht im Einstellungssystem
Das leniency-contract Modell
• Elaboration der Botschaft bestimmt Art des
Einflusses
– Schwache Argumente  indirekter Einfluss
möglich; kein verzögerter, direkter Einfluss
– Starke Argumente  indirekter Einfluss
• Falls indirekter Einfluss stark, dann auch
verzögerter direkter Einfluss
Alvaro & Crano (1997)
•
•
Ziel: Umstände aufzeigen, in denen
indirekte Einstellungsänderung auftritt
3 Bedingungen:
1. Themen müssen signifikant korrelieren
2. Beziehung sollte nicht auf einer logischen
Basis notwendig erscheinen
3. Zu untersuchende Einstellungen nicht als
verbunden oder voneinander abhängig
wahrnehmbar
Alvaro & Crano (1997)
Vorstudie 1:
Bestimmung von Themen, die voneinander unabhängig sind, aber
empirisch zusammenhängen
Vorgegebene Themen:
• Waffenkontrolle
• Homosexuelle im Militär
• Euthanasie
• Erhöhung der Studiengebühren an der University of Arizona
Ergebnis:
Waffenkontrolle und Homosexuelle im Militär (r = .42); Themen sind
offensichtlich nicht auf logischer Basis verbunden
Alvaro & Crano (1997)
Vorstudie 2:
Beide Einstellungsobjekte sollen kognitiv
verknüpft sein.
Untersuchung von sechs Objekten:
• Studiengebühren
• Homosexuelle im Militär
• Euthanasie
• Waffenkontrolle
• Abtreibung
• Geburtenkontrolle
Alvaro & Crano (1997)
• Zwischen den zu untersuchenden Einstellungen keine
große Beziehung erwartet
• Kognitiv verknüpft
• Somit alle drei Voraussetzungen erfüllt!
Alvaro & Crano (1997)
Studie 1:
Teilnehmern wurde eine überzeugende Argumentation präsentiert, die
sich gegen homosexuelle Soldaten aussprach
Hypothesen:
• Wenn überhaupt, wenig direkte Einstellungsänderung, diese in
Mehrheitsbedingung
• Indirekte Einstellungsänderung („gun control“) in der EGMinderheitsbedingung
•
Drei Faktoren:
1. Quelle (EG-Minderheit vs. FG-Minderheit vs. Mehrheit)
2. Aufgabe (objektiv vs. subjektiv)
3. Anfängliche Meinung
Alvaro & Crano (1997)
Ergebnisse:
Keine Einstellungsänderung bei
„Homosexuellen im Militär“
Waffenkontrolle:
• Kein Unterschied zwischen Gruppen im Vortest
• Haupteffekt von anfänglicher Meinung: VPn, die
eher gegen Homosexuelle im Militär waren,
waren weniger für Waffenkontrolle
• Interaktionseffekt Quelle*Aufgabe*Messung
Alvaro & Crano (1997)
• Indirekte Einstellungsänderung, wenn subjektive Aufgabe und
Eigengruppenminderheit
• Änderung der indirekten Einstellung zu Waffenkontrolle in Richtung
konservativer Botschaft über Homosexuelle im Militar
Alvaro & Crano (1997)
Weitere Ergebnisse:
• VPn in EG-Minderheitsbedingung weniger
negative Gedanken
• EG-Minderheit positiver bewertet
• Mehrheit schlechter als in Kontrollgruppe
bewertet
Alvaro & Crano (1997)
Diskussion:
•
Mehrheit herabgesetzt  kein Einfluss
•
Milde (leniency) gegenüber EG-Minderheit erkennbar
1.
Quelle nicht herabgesetzt, da keine Bedrohung, sondern positiver
bewertet
2.
Wenige negative Gedanken  wenige internale Gegenargumente
 keine systematische Elaboration
•
Kein direkter Einfluss durch EG- Minderheit, aufgrund leniencycontract
•
Aber: Aufnahme einer Botschaft ohne Gegenargumentation,
Herabsetzen oder direkte Einstellungsänderung führt zu
Ungleichgewicht in Einstellungssystem (kognitive Dissonanz)
•
Lösung: Änderung in verwandten Einstellungen, also
Waffenkontrolle
Alvaro & Crano (1997)
Studie 2:
Aufbau ähnlich wie Studie 1, nur diesmal
Waffenkontrolle direkte Einstellung und
„Homosexuelle im Militär“ indirekte
Einstellung
Alvaro & Crano (1997)
Ergebnisse:
• ähnlich wie Studie 1
• Einstellungsänderung bei EG-Minderheit
nur, wenn Botschaft gegen anfängliche
Einstellung der VP
• keine Verminderung positiver Gedanken
bei EG-Minderheit im Gegensatz zu
Mehrheit
Alvaro & Crano (1997)
Alvaro & Crano (1997)
Diskussion:
• theoriekonforme Ergebnisse auch bei
Umkehrung der Einstellungsobjekte
• Botschaft muss anfänglicher Meinung
widersprechen, damit Ungleichgewicht
entsteht (Studie 1?)
• Milde gegenüber EG-Minderheit durch
kognitive Reaktionen erkennbar
Crano & Chen (1998)
Vorstudie 1:
• Ähnlich Vorstudie 1 im Experiment von 1997,
Einstellungen zu elf Vorschlägen neuer
Universitätsbestimmungen wurden getestet (z.B.
Pflichtkrankenversicherung, Gebührenerhöhung,
Pflichtkurse)
Ergebnisse:
• Direkte Einstellung zu einem UniServiceprogramm, indirekte Einstellung zur
Erhöhung der Studiengebühren
Crano & Chen (1998)
Vorstudie 2:
• Starke und schwache Argumente wurden
getestet
• signifikanter Unterschied wurde
festgestellt
Crano & Chen (1998)
Studie 3:
• Teilnehmer wurden unterrichtet, Untersuchung sei zur
Einstellungserforschung gegenüber verschiedenen
Vorschlägen neuer Universitätsbestimmungen
• Untersuchung sei besonders wichtig, da
Bestimmungen eventuell bald eingeführt werden
• Vortest, sofortiger Nachtest und späterer Nachtest
• Faktoren:
1. Qualität der Argumente
2. Relevanz (Zeitpunkt)
3. Quelle (Mehrheit vs. Minderheit)
Crano & Chen (1998)
Ergebnisse:
• direktes Einstellungsobjekt
(Uni-Serviceprogramm) : sofortiger Nachtest
– Effekt von Quelle und Argumentqualität
– Mehrheit größeren Einfluss als Minderheit
 positivere Einstellung zu UniServiceprogramm
– Starke Argumente größeren Einfluss als schwache
Crano & Chen (1998)
Crano & Chen (1998)
• Direktes Einstellungsobjekt: Vergleich
sofortiger mit späterem Nachtest
– Effekt von Quelle
– Mehrheitseinfluss bleibt positiver, während
Minderheitseinfluss absinkt
Crano & Chen (1998)
• Indirektes Einstellungsobjekt (Erhöhung
der Studiengebühren): sofortiger Nachtest
– Effekt von Argumentqualität und Quelle
– Starke Argumente zu Serviceprogramm
haben größeren Einfluss auf Einstellung zu
Erhöhung der Studiengebühren
– Minderheitsbotschaft zu Serviceprogramm hat
größeren Einfluss auf Einstellung zu
Erhöhung der Studiengebühren
Crano & Chen (1998)
Crano & Chen (1998)
• Indirektes Einstellungsobjekt: Vergleich
sofortiger mit späterem Nachtest
– Kein signifikanter Effekt
– Annahme: großer Minderheitseinfluss bei indirektem
Einstellungsobjekt von Vor- zu sofortigem Nachtest
sorgt nach gewisser Zeit für Einfluss auf direktes
Einstellungsobjekt
• Test ergab Interaktionseffekt Argumentqualität *
Größe der Änderung
• Großer Minderheitseinfluss durch starke
Argumente sorgt für großen Einfluss auf direktes
Einstellungsobjekt
Crano & Chen (1998)
• Kognitive Reaktionen
– Effekt von Argumentqualität
– Bei schwachen Argumenten 88% aller Gedanken
negativ, bei starken nur 59%
– Relativer Anteil an positiven Gedanken korreliert in
der Mehrheitsbedingung mit der Stärke der
Einstellungsänderung bei der direkten Einstellung und
in der Minderheitsbedingung mit der Stäke der
Einstellungsänderung bei der indirekten Einstellung
Crano & Chen (1998)
Diskussion:
• Mehrheitseinfluss
– Nach Modell führt Mehrheit, wenn selbstrelevant, zu
Elaboration der Botschaft
– Achtung: hier Elaboration = Auffinden von
Diskrepanzen zwischen Selbst und Mehrheit
– Starke Argumente informativer über Diskrepanzen
– Also: starke Argumente sollten größere,
überdauernde Einstellungsänderung bewirken
– Kein Einfluss auf indirekte Einstellung, da sozialer
Vergleichsprozess
– Empirische Befunde sind hypothesenkonform
Crano & Chen (1998)
• Minderheitseinfluss
– Nach leniency-contract keine direkte
Einstellungsänderung
– Durch Ungleichgewicht indirekte
Einstellungsänderung, wenn Minderheit in
Eigengruppe und Botschaft keine Bedrohung darstellt
– Starke Argumente sorgen für größeres
Ungleichgewicht  größerer Einfluss
– Bleibender Minderheitseinfluss nicht auf indirekte
Einstellung beschränkt, sondern Rückwirkung auf
direktes, ansonsten Diskrepanz zwischen
Einstellungen gegenüber verwandten Themen
– Empirische Befunde hypothesenkonform
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