Vergänglichkeit als Kulisse

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Vergänglichkeit als Kulisse
Architektur und Pseudopatina
Gabriele Kaiser
Natürlich patiniertes Kupferdach in Berchtesgaden
Foto: Gabriele Kaiser
Industriell patiniertes Kupferblech
Bei einem Besuch der Dekorationswerkstätten der Österreichischen Bundestheater kann man den Experten der Wunschpatina bei der Arbeit zusehen:
nagelneue Türen und Kastenfenster mit aufgeplatztem und blätterndem Lack
sehen aus, als hätten ihnen Wind und Wetter jahrzehntelang zugesetzt. Eine
soeben zusammengeschraubte Straßenlaterne ist von Rost zerfressen, Polstermöbel mit abgewetzter Stoffbespannung erhalten den letzten Touch gewünschter
Zerschlissenheit. Offensichtlich ist im Umkreis von Anton Tschechows Drei
Schwestern der Glanz des Neuen nicht gefragt, alles soll möglichst abgewohnt
und verbraucht aussehen, so als wären all diese Dinge Zeugnisse eines gelebten Lebens, von dem sie – als Requisiten eines Bühnenstücks – naturgemäß
abgeschnitten sind.
Dem Phänomen der Pseudopatina begegnet man nicht nur am Theater,
sondern tagtäglich, etwa beim Kauf einer Hose: Jeans werden mit bleichenden
Substanzen behandelt und mit Steinen gewaschen, stonewashed, manchmal
auch unverwüstlich verwüstet (mit Rissen veredelt) – damit sie möglichst
abgetragen aussehen. Chemisch oder mechanisch vorpatinierte Produkte sind
allgegenwärtig, die pseudoantiken, mit der berühmten Holzwurmlochmaschine bearbeiteten „Stilmöbel“ seien hier nur stellvertretend genannt. Laminate
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können in ihrer kalkulierten Unregelmäßigkeit einem ausgewaschenen Dielenboden zum Verwechseln ähnlich sehen, sofern man sie nicht berührt oder
betritt. Der ästhetische Genuss an neuen, antik aussehenden Dingen ist merkantil offenbar so gut verwertbar, dass sich nicht nur die Imitation, sondern
auch das künstliche Vorantreiben des Alterungsprozesses von Werkstoffen
lohnt. Schon im Altertum wusste man Bronzefiguren mit entsprechender
Behandlung pfleglich alt aussehen zu lassen. „Wollte man z. B. Kupfer färben,
so mischte man den Ölen oder Harzen Bitumen bei, sodass man der Farbvielfalt gealterter Bronzeskulpturen nacheifern konnte. Seit alters her standen
darüber hinaus Wachse und Öle zur Oberflächenveredelung zur Verfügung,
die man für transparente, oberflächliche Lacke und Tönungen auf Metallen
verwendete.“1 Derartige Verfahren der forcierten Alterung von Materialoberflächen waren mit unterschiedlichen Konjunkturphasen in allen kulturgeschichtlichen Perioden gebräuchlich. Nachdem das Patinabewusstsein in der
Klassischen Moderne mit ihrer Forderung nach Materialgerechtigkeit kurzfristig
seine gesellschaftliche Akzeptanz eingebüßt hatte, erfreuen sich patinaanfällige oder entsprechend vorbehandelte Materialien in der zeitgenössischen
Architektur wieder großer Beliebtheit.2 Es ist, als ob man Bauwerke damit zusätzlich in der Wirklichkeit verankern könnte, als ob ein soeben fertig gestelltes Haus bloß eine zweifelhafte geisterhafte Erscheinung sei, die man mit
einer Geste des Gebrauchtseins zu bannen hofft.
Man kann Patina künstlich herbeiführen, ohne Zutun entstehen lassen
und sich eine Weile daran erfreuen. Die Faszination an den harmlosen Verschleißerscheinungen eines Bauwerks ist dabei wohl immer nostalgischer
Ausdruck einer Sehnsucht nach der Rückversicherung eines Werks in der
Zeit. Ein Gebäude, das durch Bewitterung und Gebrauch schon ein wenig den
Makel der Makellosigkeit losgeworden ist, zeugt von Reife, es kann auf eine
Geschichte zurückblicken, es hat als Zeitmaschine schon Werte angehäuft, die
in der Regel nicht planbar sind, aber die Bedeutung eines Bauwerks steigern
können. Das Alter ist kein primärer, sondern ein sekundärer Aspekt, keine
Qualität an sich. Alter vor Schönheit – in der Architektur erscheint diese Höflichkeit zweifelhaft. Schon Le Corbusier fasste Architektur als etwas auf, „das
eine schöne Ruine zurücklässt“ (L’architecture c’est ce que donne une belle
ruine) und sprach damit belangloseren Bauwerken gleichsam die Fähigkeit ab,
in Würde zu altern.
Den Charme ausgetretener Treppenstufen oder bemooster Dachschindeln
weiß jeder zu schätzen, doch so reizvoll Gebrauchsspuren und der Einfluss
von Witterung und Atmosphäre auf die wahrnehmbaren Eigenschaften von
Materialien auch sein mögen, die Grenzen zwischen akzeptierter Patina und
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Rostiger Hochofen im „Weltkulturerbe Völklinger Hütte“
Detail einer Architektur-Fassade aus Corten-Stahl
Schadensfall sind unscharf. Zugunsten des Bauwerks arbeitet die Zeit nur bis
zu einer bestimmten Dimension der Werkstoffveränderung, rasch kann sie in
Zerstörung umschlagen, mit deren Konsequenzen sich später Eigentümer,
Nutzer und Denkmalpfleger auseinandersetzen müssen. Es ist die Spielverderberin Zeit, die es mit der Vergänglichkeit alles Physischen allzu ernst
meint. Mit Materialien wie unbehandeltem Holz, Corten-Stahl oder vorpatinierten Kupferblechen lässt sich dieses Spiel mit der forcierten Alterung eines
Gebäudes zumindest eine Weile treiben, ohne dessen physische Präsenz für
einen bloß ästhetischen Reiz zu opfern. Die Alterserscheinungen eines Bauwerks werden künstlich vorangetrieben, als positive Veränderungen goutiert,
solange sie an der Oberfläche bleiben und keinen Komfortverlust bedingen.
Mit besonders witterungsbeständigen Stahllegierungen hat Rost als Gestaltungselement Einzug in die Architektur gehalten. Die Oberfläche von CortenStählen ist mit einer dichten Eisenoxidschicht überzogen, die für die hohe
Rostbeständigkeit verantwortlich ist: Sie fungiert als Sperrschicht, die einen
Zutritt feuchter Umgebungsluft verhindert und damit einen weiteren Rostangriff vermindert. Es handelt sich dabei nicht um natürliche Rostschichten, die
mit der Zeit das Eisengefüge auflösen, sondern um jene Art von Edelrost, der
auf der Oberfläche von Eisen produziert werden kann, ohne die Eisenstruktur
zu zerstören. Diese Adhoc-Patina lässt sich nicht mehr über das Alter definieren, sondern nur noch über die samtige Tönung einer Werkstoff-Oberfläche.
Eine ähnliche Art der Veredelung durch Vorpatinierung ist auch bei Kupferund Titanzinkblechen gebräuchlich. In einem speziell entwickelten mecha-
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nisch-chemisch-thermischen Verfahren werden dabei Kupfertafeln industriell
einseitig grün patiniert. So wird eine Oxidschicht aus dem Kupfer heraus
erzeugt – ein Prozess, wie er auch bei der Bildung der natürlichen Patina
infolge atmosphärischer Einflüsse über lange Zeiträume abläuft. Allerdings
lassen diese vorpatinierten Bleche jenes Maß an farblicher Inhomogenität vermissen, das man an alten Kupferdächern und an natürlicher Patina generell
zu schätzen weiß.
Wer die Flucht nach vorn in die Verschleißformen eines Bauwerks antritt,
kennt die Alterungsphasen eines Materials in der Regel genau. Unbehandelte
Holzfassaden erreichen ihren optischen Idealzustand oft erst nach Jahren der
Bewitterung und Vergrauung. Die Veränderung der äußeren Zellschicht wird
dabei nicht nur als unvermeidlicher foto- und biochemischer Abbauprozess
in Kauf genommen, sondern bereits im Entwurfsprozess antizipiert und bewusst angestrebt. „Unbehandelte Fassaden, die gleichmäßig bewittert werden,
sind in jeder Phase schön. Da gibt es keine Fleckigkeit, es ist ein kontinuierlicher Prozess, in dem das Holz ganz gleichmäßig von Braun ins leicht Grauschimmernde, ins Hellgrau bis ins Dunkelgrau übergeht.“3
Anonyme Efeuarchitektur
Kalkuliertes Grün an der Fassade
des Musée du Quai Branly in Paris
von Jean Nouvel
Foto: Gabriele Kaiser
Der offensive Einsatz von vegetativen Elementen in der Fassadengestaltung lässt sich mit dem Phänomen der Wunschpatina ebenfalls in Beziehung
setzen. In einer fassadenfüllenden Begrünung klingt nicht nur das Bildrepertoire einer nostalgischen Ruinenästhetik an, sondern auch der Wunsch, einem
Gebäude in der zunehmenden Überwucherung eine zweite Wirklichkeit angedeihen zu lassen. Dass diese zweite Wirklichkeit die darunter liegende Struktur zumindest visuell temporär oder dauerhaft überlagert, scheint den kalkuliert-verwilderten Häusern ihren besonderen Reiz zu verleihen. Doch in der
offensichtlichen Planmäßigkeit ihres Zuwucherns strahlt auch ein solches
Bauwerk etwas Kulissenhaftes aus. Nicht als Manifestation verstrichener Zeit
nimmt man es dann wahr, sondern als hübsches Requisit einer allenfalls geistreichen Inszenierung.
1 Mila Schrader, Vom Reiz der Patina, Edition anderweit, Suderburg-Hösseringen 2003, S. 28.
2 Weiterführende Informationen in: Hans Weidinger, Patina. Neue Ästhetik in der zeitgenössischen
Architektur, DVA, München 2003.
3 Hermann Kaufmann, Hineinwittern in die Landschaft, in: Zuschnitt 4, Wien 2001, S. 19.
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