1 Die Bra-Ket-Schreibweise in der Quantenmechanik Der Hilbertraum Die Wellenfunktionen in der Quantenmechanik sind Elemente eines sogenannten Hilbertraums H . Dabei handelt es sich um den komplexen Vektorraum (über dem Körper K der komplexen Zahlen C) der quadratintegrablen Funktionen mit Skalarprodukt. Dass die Wellenfunktionen Elemente eines Vektorraums sind, folgt aus der Linearität der Schrödingergleichung. Sind zwei Wellenfunktionen ψ1 und ψ2 Lösung der Schrödingergleichung, dann auch ihre Linearkombination aψ1 + bψ2 mit a, b ∈ C oder cψ1 bzw. dψ2 mit c, d ∈ C, was gerade die Vektorraumeigenschaft ist. Im Folgenden soll der Einfachheit halber der eindimensionale Fall betrachtet werden. Das Ganze lässt sich problemlos auf mehrere Dimensionen erweitern. Das Skalarprodukt zweier Wellenfunktionen auf diesem Vektorraum ist gerade das bekannte Integral +∞ Z (ψ1 , ψ2 ) = ψ1∗ (x)ψ2 (x) dx , (1.1) −∞ das die Eigenschaften eines Skalarprodukts aufweist: • Antilinearität (entspricht der Linearität im Reellen): +∞ Z (ψ1 , ψ2 + ψ3 ) = ψ1∗ (x){ψ2 (x) + ψ3 (x)} dx = −∞ +∞ Z +∞ Z ψ1∗ (x)ψ2 (x) dx + ψ1∗ (x)ψ3 (x) dx = = −∞ −∞ = (ψ1 , ψ2 ) + (ψ1 , ψ3 ) , (1.2) +∞ +∞ Z Z ∗ (ψ1 , cψ2 ) = ψ1 (x)cψ2 (x) dx = c ψ1∗ (x)ψ2 (x) dx = c(ψ1 , ψ2 ) , −∞ (1.3) −∞ bzw. +∞ +∞ Z Z ∗ ∗ (cψ1 , ψ2 ) = (cψ1 (x)) ψ2 (x) dx = c ψ1∗ (x)ψ2 (x) dx = c∗ (ψ1 , ψ2 ) . (1.4) −∞ −∞ 2 • Hermitizität (entspricht der Symmetrie im Reellen): +∞ +∞ Z Z ∗ (ψ2 , ψ1 ) = ψ2 (x)ψ1 (x) dx = (ψ1∗ (x)ψ2 (x))∗ dx = −∞ −∞ +∞ ∗ Z = ψ ∗ (x)ψ2 (x) dx = (ψ1 , ψ2 )∗ . (1.5) −∞ • Positive Definitheit: Dies bedeutet, dass das Skalarprodukt einer Wellenfunktion mit sich selbst stets ≥ 0 ist. Es ist genau dann gleich Null, wenn ψ(x) ≡ 0 ist. +∞ +∞ Z Z ∗ (ψ1 , ψ1 ) = ψ1 (x)ψ1 (x) dx = |ψ1 (x)|2 dx > 0 , −∞ (1.6) −∞ wegen |ψ1 (x)|2 > 0. (ψ1 , ψ1 ) = 0 ist äquivalent zu ψ1 (x) ≡ 0. Die Quadratintegrabilität ist genau die Eigenschaft, dass das Integral über das Betragsquadrat |ψ(x)|2 endlich sein muss. Ansonsten wäre die Wellenfunktion nicht normierbar, was zu Problemen mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff führt. (Die Wahrscheinlichkeit sollte auf Eins normiert sein. Unendlich große Wahrscheinlichkeiten sind unsinnig.) Einführung einer alternativen Schreibweise Wir haben gesehen, dass die quantenmechanischen Wellenfunktionen Teil eines Vektorraums sind, also Vektoren. Wäre es dann nicht sinnvoll, diese in der Schreibweise als Vektoren darzustellen, so wie wir es schon seit eh und je mit den Vektoren des dreidimensionalen Anschauungsraumes getan haben? Gesagt . . . getan: ψ(x) 7→ |ψi , (1.7) wobei |ψi die Schreibweise eines Vektors (also einer Funktion) im Hilbertraum ist. |ψi sind also Elemente des Hilbertraums; man bezeichnet diese als Kets“. Das Skalarprodukt ” (1.1) zweier Wellenfunktionen ψ1 (x) und ψ2 (x) schreiben wir dann in der Form +∞ Z ψ1 (x)ψ2 (x) dx 7→ hψ1 |ψ2 i . (1.8) −∞ Hierbei sind hψ1 | – die sogenannten Bras – Elemente des dualen Hilbertraums H⊥ . Unter einem dualen Raum in der linearen Algebra versteht man folgendes: Ist V ein Vektorraum über einem Körper K (beispielsweise der R3 über dem Körper der komplexen Zahlen C), 3 so ist der zugehörige Dualraum V ∗ die Menge aller linearen Abbildungen von V nach K. Genau das leisten die Bras aus dem dualen Hilbertraum. Sie überführen die Kets aus dem Hilbertraum durch Anwendung des Skalarprodukts in komplexe Zahlen: hψ1 |ψ2 i ∈ C . (1.9) Jeder Bra-Vektor ha| kann als Funktional F = ha|•i auf dem Hilbertraum H über dem Körper der komplexen Zahlen C aufgefasst werden: F : H → C , |ϕi 7→ ha|ϕi (1.10) bzw. +∞ Z F [ϕ] := ha|ϕi ≡ a∗ (x)ϕ(x) dx . (1.11) −∞ Ein anderer Dualraum, der uns wohlbekannt sein sollte, ist der Dualraum (M4 )⊥ zum vierdimensionalen Minkowski-Raum M4 über dem Körper der reellen Zahlen R aus der speziellen Relativitätstheorie, dessen Elemente die kontravarianten Vektoren µ 0¶ x µ x = , (1.12) x sind. Der Dualraum besteht aus den kovarianten Vektoren µ 0¶ x xµ = . −x (1.13) Kovariante Vektoren überführen kontravariante Vektoren über das Vierer-Skalarprodukt in reelle Zahlen: F : M4 → R , xµ 7→ xµ xµ = x20 − x2 (1.14) bzw. µ ¶ µ ¶ x0 x0 F [x ] := xµ x = · = (x0 )2 − x2 ∈ R . x −x µ µ (1.15) Darstellung einer Wellenfunktion b kann man durch LöBei jedem quantenmechanischen System mit Hamiltonoperator H sung der zeitunabhängigen Schrödingergleichung (die ja nichts anderes als eine Eigen- 4 wertgleichung der Energie ist) b k = Ek ψk , Hψ (1.16) die Eigenfunktionen ψk (zu den Energieeigenwerten Ek ) bestimmen. Die Eigenfunktionen ψk sind gerade die Wellenfunktionen, in denen sich das System aufhalten kann. Beim Hamiltonoperator sind die Eigenfunktionen zu verschiedenen Energieeigenwerten orthogonal. (Die gilt allgemein für Observablen (also beobachtbare Größen), die sich durch hermitesche Operatoren darstellen lassen.) Die bilden ein vollständiges Orthonormalsystem, denn normieren lassen sie sich immer über das Gram-Schmidtsche Orthonormalisierungsverfahren): +∞ Z ψi∗ (x)ψj (x) dx = δij . (1.17) −∞ Im Allgemeinen wird es sich jedoch in keinem Eigenzustand befinden, sondern in einer Überlagerung (Superposition) aus beliebigen Eigenzuständen ψn X Cn ψn (x) . (1.18) Ψ(x) = n mit Entwicklungskoeffizienten Cn . Die Entwicklungskoeffizienten lassen sich durch Projektion auf Eigenfunktionen und Ausnutzung von (1.17) bestimmen. Projizieren wir also auf eine Eigenfunktion ψm 6= ψn : +∞ +∞ +∞ Z Z Z X X ∗ ∗ ∗ ψm (x)Ψ(x) dx = ψm (x)ψn (x) dx = Cn ψm (x)ψn (x) dx = Cn −∞ −∞ = X n Cn δnm = Cm . n −∞ (1.19) n Dies lässt sich nun mittels der Bra-Ket-Schreibweise viel eleganter schreiben. Da sehen wir ψ(x) als Elemente des Hilbertraums (als Kets |ψi) und ψ ∗ (x) als Elemente des dualen Hilbertraums (als Bras hψ|). Dann lässt sich Gleichung (1.17) schreiben als: hψi |ψj i = δij . (1.20) Die Entwicklung einer Wellenfunktion lässt sich dann als Zerlegung eines Ket-Vektors in die jeweiligen Basiskets (das sind die Eigenfunktionen) darstellen: X X |Ψi = Cn |ψn i ≡ Cn |ni . (1.21) n n Hier ist {|ni} der vollständige Satz von Basisvektoren des Hilbertraums zu einem gegebenen quantenmechanischen System. Der Bra-Vektor folgt durch hermitesche Konjugation 5 (komplexe Konjugation plus Transposition) aus dem Ket-Vektor. (Dies ist eine Folge der Selbstdualität des Hilbertraums, was bedeutet, dass es einen Operator T gibt, der durch Anwendung die Elemente aus dem Raum in den dualen Raum überführt und umgekehrt, so dass die Norm erhalten bleibt.) Für das Skalarprodukt von hΨ| mit |Ψi gilt nun: !Ã ! Ã X X X hΨ|Ψi = Cn∗ hn| Cm |mi = Cn∗ Cm hn|mi = n = X Cn∗ Cm δmn m,n m = X m,n Cn∗ Cn n Wählt man die Darstellung 1 0 1 0 |1i = 0 , |2i = 0 , ... ... = X |Cn |2 . (1.22) n ... so lässt sich |Ψi in der Form C1 C2 .. |Ψi = . , Ck .. . (1.23) (1.24) schreiben. Es gilt nun: |ψi† = (|ψi∗ )| = hψ| , hψ| = (hψ|∗ )| = |ψi . (1.25) Man sieht dies nun besonders gut in der Komponentenschreibweise für Vektoren. Schreiben wir beispielsweise C1 C2 .. |Ψi = (1.26) . , Ck .. . so gilt ¡ ¢ hΨ| = (|Ψi∗ )| = C1∗ C2∗ . . . Ck∗ . . . , (1.27) 6 und damit: ¡ hΨ|Ψi = C1∗ C2∗ . . . Ck∗ C1 C2 ¢ .. ... · . = Ck .. . = C1∗ C1 + C2∗ C2 + . . . + Ck∗ Ck + . . . = |C1 |2 + |C2 |2 + . . . + |Ck |2 + . . . . (1.28) Analogie zur gewöhnlichen Vektorrechnung Diese Gleichung erinnert ja einfach an die Darstellung eines Vektors im dreidimensionalen Anschauungsraum R3 . Verwenden wir da die orthogonale euklidische Standardbasis 1 0 0 e1 = 0 , e2 = 1 , e3 = 0 . (1.29) 0 0 1 Der Vektor 1 a = 2 , 3 (1.30) besitzt in der Basis {e1 , e2 , e3 } die Darstellung a = e1 + 2e2 + 3e3 , (1.31) wobei 1, 2 und 3 gerade die Komponenten dieses Vektors bezüglich der Basis {e1 , e2 , e3 } ist. Man kann a jedoch auch in einer anderen Basis darstellen. Sicher ist auch 1 0 0 1 1 e01 = 0 , e02 = √ 1 , e03 = √ 1 , (1.32) 2 2 0 1 −1 eine vollständige Orthonormalbasis des R3 . Wir wollen a nun in der Basis {e01 , e02 , e03 } darstellen: a = C10 e01 + C20 e02 + C30 e03 . (1.33) 7 Die Entwicklungskoeffizienten C10 , C20 und C30 lassen sich hierbei über das Skalarprodukt und Ausnutzung der Orthonormalität e0i · e0j = δij bestimmen: 1 1 C10 = e01 · a = 0 · 2 = 1 , 0 3 (1.34) 0 1 1 5 0 0 √ 1 · 2 =√ , C2 = e2 · a = 2 1 2 3 (1.35) und 0 1 1 1 C30 = e03 · a = √ 1 · 2 = − √ . 2 −1 2 3 Es lässt sich leicht nachprüfen, dass 1√ 5 1 a = e01 + √ e02 − √ e03 = 5/ √2 2 2 −1/ 2 (1.36) , (1.37) {e01 ,e02 ,e03 } gilt, wobei man in der letzteren Darstellung die Basis kenntlich machen sollte. (Wird die Standardbasis verwendet, tut man dies gewöhnlicherweise nicht.)