Pathobiologie/Pathobiochemie Teil 1 Lektion 1 20.09.10 Einführung und Grundlagen Lektion 2 27.09.10 Gedächtnisstörungen Pathobiologie der Sucht Lektion 3 4.10.10 Lektion 4 11.10.10 Pathobiologie der Sinnesorgane Augenkrankheiten [ Lektion 5 18.10.10 Herz-Kreislaufkrankheiten ] Lektion 6 25.10.10 Pathobiologie des Schmerzes Lektion 7 1.11.10 Neurodegenerative Erkrankungen und andere Erkrankungen des Nervensystems (Selbststudium) Hautkrankheiten 1 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 1 Stoff aus dem Lehrbuch zu Lektion 4 G. Thews, E. Mutschler, P. Vaupel Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen (6. Auflage) Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 2007. Grundlagen aus der Anatomie/Physiologie: Kapitel 19 (Sinnesorgane): Seiten 694-771 Pathophysiologie der Sinnesorgane: Kapitel 19: Seite 724 (Störungen des Geschmackssinns) Seite 728 (Störungen des Geruchssinns) Seiten 736-737 (Hörstörungen) Seiten 741-742 (Störungen des Gleichgewichtssinns) Seiten 770-771 (Erkrankungen der Retina) 2 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 2 Krankheiten der Sinnesorgane Allgemeine Sinnesphysiologie Störungen des somatosensorischen Systems Hörstörungen Gleichgewichtsstörungen Geschmacksstörungen Geruchsstörungen Augenkrankheiten 3 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 3 Rekapitulation Allgemeine Sinnesphysiologie Die Sinnesphysiologie hat zwei Dimensionen: Objektive Sinnesphysiologie Kette physikochemischer Ereignisse, die von der Aufnahme der Sinnesreize bis zur Verarbeitung in den sensorischen Gehirnzentren durchschritten werden Wahrnehmumgspsychologie subjektive Empfindungen des Patienten, früher als subjektive Sinnesphysiologie bezeichnet Die aufgenommenen Sinnesreize induzieren subjektive Sinneseindrücke, die wir als Empfingungen bezeichnen. Wahrnehmumgen beruhen auf diesen Empfindungen, sie werden aber durch Erfahrungen geprägt und modifiziert. 4 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 4 * Einteilung der Sinne 5 klassische Sinne In der klassischen Medizin des Altertums und der frühen Neuzeit wurden 5 Sinne unterschieden: • Sehen • Hören • Schmecken • Riechen • Fühlen Der “6. Sinn” Amerikanische Forscher haben im Gehirn das Frühwarnsystem vor Risiken und Gefahren lokalisiert. Der sog. Anterior Cingulate Cortex (ACC) am oberen Ende des Frontallappens puzzelt Umwelteindrücke und vergangene Erfahrungen zusammen und vermittelt ein Gefühl für bevorstehende Schwierigkeiten. (Science 307:1118-1121, 2005) Weitere Sinne • Gleichgewicht • Temperatur • Tiefensensibilität • Schmerz 5 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 5 Rekapitulation Informationsvermittlung in Sensoren Damit die Information über einen Reiz bis ins ZNS übermittelt werden kann, muss dieser zweimal “übersetzt” werden: Transduktion Die Reize werden von speziellen Abschnitten der Zellmembran, den Sensoren, aufgenommen und in eine nervöse Erregung übersetzt. Das so entstehende Potential nennt sich Sensorpotential und bildet die Reizgrösse durch seine Amplitude ab. Transformation Damit dieses Potential über die afferenten Neuronen weitergeleitet werden kann, muss es in eine Folge von Aktionspotentialen umcodiert werden. Die Amplitude des Sensorpotentials wird dabei durch die Frequenz der Aktionspotentiale abgebildet. A. Haarzelle aus der Kochlea oder dem Vestibularorgan B. Muskelspindel des Frosches C. Pacini-Körperchen 6 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 6 (*) Molekulare Mechanismen der Transduktion Bei den Transduktionsprozessen kann man grob die Transduktion chemischer, thermischer und mechanischer Reize unterscheiden. Chemische Reize reagieren in vielen Fällen mit spezifischen Rezeptoren, die G-Protein-gekoppelt sind. Durch die Aktivierung der G-Proteine kommt es zur Aktivierung einer Second-Messenger-Kaskade, die eine Erhöhung der Leitfähigkeit von Kationenkanälen bewirkt, so dass das Generatorpotential entsteht. Chemosensoren - Sinneszellen der Riechschleimhaut - Geschmackszellen Bei der Transduktion thermischer Reize entsteht das Sensorpotential durch Konfigurationsänderungen der Rezeptor-Kanalkomplexe, die auch deren Leitfähigkeit für einen Kationenstrom verändert. Thermosensoren - Kaltsensoren: CMR1-Rezeptor - Warmsensoren: VR1-Rezeptor (TRP-Rezeptormoleküle) Mechanische Reize bewirken ebenfalls eine Permeabilitätsänderung der Rezeptormoleküle in den Sensormembranen, die mit Membrankanälen verbunden sind. Mechanosensoren - Vater-Pacini-Körperchen Bei den meisten Sensoren sind die Membrankanäle, welche für Sensorpotentiale verantwortlich sind, nichtselektive Kationenkanäle. Sie sind nicht identisch mit den spannungsabhängigen Membrankanälen, von denen die Aktionspotentialbildung abhängt. 7 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 7 (*) Somatoviszerales sensorisches System Das somatoviszerale System umfasst die Wahrnehmungsfunktionen der Haut, der inneren Organe und des Bewegungssystems. Die Qualitäten dieses Sinnessystems sind die folgenden: • Druck/Berührung: • Wärme/Kälte: • Schmerz: • Eingeweidegefühl: • Lagesinn: Mechanorezeption Thermorezeption Nozizeption Viszerozeption Propriozeption Die peripheren somatoviszeralen Nerven durchziehen mit ihren feinen Verästelungen alle Regionen und Organe des Körpers wie ein Flechtwerk (A-Fasern und C-Fasern). Es gibt zwei dominierende aufsteigende Bahnsysteme des somatoviszeralen Systems: das Hinterstrangsystem (Mechanorezeption der Haut, Propiozeption) und das Vorderstrangsystem (Thermorezeption, Nozizeption, Viszerozeption). Sie sind in Rückenmark, Hirnstamm, Thalamus und Kortex lokalisiert. Funktionell-anatomische Übersicht des somatosensorischen Systems. Rot: Bahnen und Kerne des Hinterstrangsystems. Blau: Bahnen und Kerne des Vorderstrangsystems. Rote Pfeile: Somatotopie=räumlich geordnete Beziehung zwischen peripherer Sinnesflächen und dem jeweiligen Gebiet im Zentralnervensystem. 8 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 8 (*) Mechanorezeption (Tastsinn) Der Tastsinn wird durch niederschwellige Mechanosensoren der Haut vermittelt (SA-, RA- und PC-Sensoren). Sie adaptieren unterschiedlich schnell auf mechanische Reize. SA = “slowly adapting” = langsam adaptierende Mechanosensoren, die bei langdauernden Hautreiz ständig Aktionspotentiale erzeugen (z.B. Körpergewicht auf Fusssohlen). RA = “rapidly adapting” = schnell adaptierender Mechanosensor, der nur bei bewegten mechanischen Hautreizen antwortet. (Druck) (Spannung) (Berührung) PC = “Pacinian Corpuscle” = sehr schnell adaptierender Mechanosensor, der vor allem auf Vibrationsreize anspricht. Die klassischen psychophysiologischen Qualitäten Druck, Spannung, Berührung und Vibration des Tastsinns können diesen Sensoren zugeordnet werden. (Vibration) 9 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 9 (*) Mechanosensoren der Haut unbehaarte Haut Meissner-Körperchen Merkel-Zellen Ruffini-Körperchen Pacini-Körperchen behaarte Haut Haarfollikel-Sensoren Tastscheiben Ruffini-Körperchen Pacini-Körperchen Freie Nervenendigungen vermitteln Schmerz- und Kitzelempfindungen. 10 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 10 (*) Mechanosensoren der Haut Diversity of somatosensenory neurons in the skin. The skin is innervated by somatosensory neurons that project to the spinal cord. Aβ-fibres, such as those that innervate Merkel cells and those around hair shafts, are thought to be touch receptors. Aδ-fibres and C-fibres include thermoreceptors and nociceptors. Aδ-fibres terminate in the dermis. Peptidergic and non-peptidergic C-fibres terminate in different epidermal layers59 and have different projection patterns to the spinal cord. Lumpkin & Caterina, Nature 445:858-865, 2007 11 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 11 (*) Störungen des somatosensorischen Systems 1. Ausfall von Rezeptoren, welche die verschiedenen Reize in der Peripherie in neuronale Aktivität umwandeln, führen zu völligem oder teilweisem Ausfall der Sinneswahrnehmung (Anästhesie, Hypästhesie), verstärkte Wahrnehmung (Hyperästhesie), Sinneswahrnehmungen ohne adäquaten Reiz (Parästhesien, Dysästhesien). 2. Läsionen in peripheren Nerven können auch An-, Hyp-, Hyper-, Para- und Dysästhesien hervorrufen, beeinträchtigen jedoch gleichzeitig Tiefensensibilität und Motorik. 3. Brown-Séquard-Syndrom (Halbseitenquerschnitt): dissoziierte Empfindungsstörung. 4. Unterbrechung der Hinterstrangbahnen unterbindet die adäquate Vibrationsempfindung und mindert die Fähigkeit, mechanische Reize räumlich und zeitlich exakt zu definieren und ihre Intensität richtig einzuschätzen. Tiefensensibilität: Kontrolle der Muskeltätigkeit gestört (Ataxie). 5. Läsion im Vorderseitenstrang beeinträchtigt Druck-, Schmerz- und Temperaturempfindung. Es können An-, Hyp-, Hyper-, Para- und Dysästhesien auftreten. 6. Bei Läsionen im somatosensorischen Kortex sind häufig räumliches und zeitliches Auflösungsvermögen von Empfindungen sowie Stellungs- und Bewegungssinn aufgehoben. Einschätzung der Intensität des Reizes ist beeinträchtigt. 7. Läsionen in assoziativen Bahnen oder Rindenabschnitten: ge- störte Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen. Folgen sind Astereognosie (Unfähigkeit, Gegenstände durch Betasten zu erkennen), Topagnosie (Verlust räumlicher Wahrnehmung), Störungen des Körperschemas und des Lagesinns, Auslöschphänomene (Ignoranz von Reizen), Hemineglekt (Ignoranz der kolateralen Körperhälfte). 12 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 12 Rekapitulation Hörsinn Das Ohr ist das empfindlichste Sinnesorgan des Menschen und verarbeitet Schallwellen, also Kompressionswellen oder Druckschwankungen der Luft. Diese Druckschwankungen werden durch Schalldruck und Frequenz beschrieben. Zunehmender Schalldruck führt zu zunehmender Lautstärkeempfindung; eine Zunahme der Frequenz wird als zunehmende Tonhöhe wahrgenommen. Schematische Darstellung des Ohres Schema von Mittelohr und Kochlea Das Ohr des Menschen besteht aus dem äusseren Ohr, durch das der Schall per Luftleitung zum Trommelfell gelangt, dem Mittelohr, in dem der Schall über die Gehörknöchelchen weitergeleitet wird und dem Innenohr, in dem das Hörsinnesorgan liegt. Trommelfell und Gehörknöchelchen sind für die Impedanzanpassung verantwortlich. Das Innenohr kann auch ohne Luftschall über die Schädelkalotte angeregt werden. 13 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 13 (*) Schalltransduktion im Innenohr Kochlea Corti-Organ In der Kochlea löst das Schallsignal wellenförmige Auf- und Abwärtsbewegungen der kochleären Strukturen aus. Diese sog. Wanderwelle hat in Abhängigkeit von der jeweiligen Reizfrequenz an einem bestimmten Ort entlang des Corti-Organs ihr Maximum. Über den Haarzellen befindet sich eine gelatinöse Masse, die Tektorialmembran. Durch die schallinduzierte Auf- und Abwärtsbewegung kommt es im Bereich des Wanderwellen-Maximums zu einer Relativbewegung (Scherbewegung) zwischen Tektorialmembran und Corti-Organ, die zu Auslenkungen der Stereozilien führt - dem adäquaten Reiz der Sinneszellen. Es öffnen sich Transduktionskanäle in den Stereozilien. Dadurch treten K+Ionen aus der Endolymphe in die Haarzellen ein. Sie lösen das Rezeptorpotential aus. Dies führt zur Freisetzung von Glutamat aus inneren Haarzellen. 14 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 14 Schalltransduktion im Innenohr The Cochlea The cochlear duct is embedded in the perilymph. It is filled with endolymph and contains the organ of Corti between the tectorial and the basilar membranes. The relative movement of the two membranes leads to the deflection of the stereocilia of the inner hair cells (one row) and the outer hair cells (three rows), which generates the influx of potassium ions through channels at the tip links of the stereocilia. Mutations in the α-tectorin gene probably impair the function of the tectorial membranes as a resonator. The hair cell is the mechanoelectrical transducer that produces an electrical signal that is transmitted through nerve fibres and the spinal ganglion to the cochlear nerve and the auditory cortex of the brain. The influx of potassium ions from the endolymph activates the hair cells, which leads to stimulation of the underlying nerve cells that convey the auditory signal to the auditory cortex. The potassium ions probably leave the hair cells at their basolateral side through potassium channels formed by the KCNQ4 gene product and enter the supporting cells. The potassium ions then flow through these cells and the cochlear fibrocytes to the stria vascularis by means of connexins. There they are secreted back into the endolymph through another potassium channel formed by the KCNQ1 and KCNE1 gene products. Epithelial supporting cells that express connexin 26 are shown in red. Willems, New Engl J Med, 2000 15 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 15 Schalltransduktion im Innenohr An Outer Hair Cell Crowned with an Array of Stereocilia Connected by Tip Links The vibrations of the basilar membrane caused by the oscillations of the perilymph induce shearing of the tectorial membrane. This leads to bending of the stereocilia, which stretches the filaments that link neighboring stereocilia, thereby opening unidentified potassium channels in the membrane of the stereocilia through the action of myosin. Myosin 7A and myosin 15 are probably involved in the movement of these stereocilia. The protein diaphanous is also expressed in hair cells, in which it recruits actin-binding proteins to the cell membrane, thereby regulating actin dynamics. The myosindiaphanous-actin cytoskeleton is responsible for the structural integrity and dynamics of the hair cells. Otoferlin may be involved in the transport of synaptic vesicles to the plasma membrane. The potassium channels formed by the KCNQ4 protein (yellow) and by the connexins (red) allow recirculation of the potassium ions from the hair cells to the stria vascularis and the endolymph. Connexin channels are shown in red. Willems, New Engl J Med, 2000 16 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 16 Schalltransduktion im Innenohr Sound waves induce vibrations at the basilar membrane. Since the hair cells are connected, via their stereocilia, with the tectorial membrane, oscillations of the basilar membrane lead to deflections of the stereocilia, which in turn triggers the activation of the transduction channels. 17 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 17 (*) Hörstörungen Schallleitungsschwerhörigkeit (Lufftleitung eingeschränkt, Knochenleitung normal) Die Schallleitung über den äusseren Gehörgang, das Trommelfell und die Kette der Gehörknöchelchen bis zum ovalen Fenster kann an verschiedenen Stationen beeinträchtigt sein: Ohrschmalzpropf, Perforation des Trommelfells, Flüssigkeitsansammlungen in den Paukenhöhlen (z.B. nach Mittelohrentzündung). Wird die Schallübertragung durch die Gehörknöchelchen vollständig unterbrochen, kann nur noch etwa 2% der Schallenergie das Innenohr erreichen. Dieser Zustand tritt ein bei Läsionen infolge einer Fraktur an der seitlichen Schädelbasis, bei Ankylose (Versteifung der Gehörknöchelchen), Otosklerose (Erkrankung der knöchernen Labyrinthkapsel, was zu Unbeweglichkeit der Steigbügelplatte führt). 18 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 18 (*) Hörstörungen Innenohrschwerhörigkeit (Luft- und Knochenleitung gleichermassen beeinträchtigt) wird v.a. durch eine Schädigung der Haarzellen oder durch eine Störung in der Zusammensetzung der Endolymphe verursacht. Dabei kommt es zu einem graduellen Hörverlust (insbesondere für hohe Töne). Die Ursachen für die genannten Schädigungen sind vielfältig: Die Haarzellen können durch Schallbelastung, Ischämie, seltene genetische Defekte oder Toxine geschädigt werden (1). Eine Versteifung der Basilarmembran stört die Mikromechanik und trägt so wahrscheinlich zur Altersschwerhörigkeit bei (1). Gestörte Endolymphsekretion (3) Gestörte Endolymphresorption: Der Endolymphraum wird ausgebuchtet und die Beziehung von Haarzellen und Tektorialmembran verzerrt (6). Seltene genetische Kanaldefekte (3) Erhöhte Permeabilität zwischen Endo- und Perilymphraum: Morbus Menière (Anfälle von Schwerhörigkeit und Schwindel) (7) 19 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 19 Rekapitulation Gleichgewichtssinn Die Endorgane des Bewegungs- und Raumorientierungssinnes liegen im Labyrinth des Innenohres und bilden das Vestibularorgan. Die Informationen dieses Sinnessystems, die zu Bewegungs- und Lageempfindungen führen, werden durch das visuelle und das propiozeptive System ergänzt. Der Vestibularapparat besteht aus beidseitig jeweils • 2 Makulaorganen und • 3 Bogengangsorganen Alle fünf Sinnesorgane besitzen Sinnesepithelien, deren Sinneszellen als Haarzellen bezeichnet werden. Diese ragen in eine gallertige Masse, die in den Bogengangsorganen als Cupula und in den Makulaorganen, aufgrund kleiner Calciumkristalle, als Otolithenmembran bezeichnet wird. Das Labyrinth des Innenohrs im Schema. Endolymphe (hell) und Perilymphe (dunkel) des Labyrinths und der Kochlea stehen miteinander in Verbindung. 20 11/10/10 Mechano-elektrische Transduktion. Die Reizung der Haarzellen erfolgt durch eine Deflektion ihrer Stereocilien. Durch die Abscherung der Stereozilien kommt es zu einer Änderung des elektrischen Potentials der Haarzelle (Rezeptorpotential) und in der Folge zu einer Freisetzung des Transmitters Glutamat am unteren Ende der Haarzelle. Glutamat gibt das Signal biochemisch von der Haarzelle zur afferenten Nervenfaser weiter. Die Information wird vom Labyrinth über den Nervus vestibularis und seinen Kerngebieten im Hirnstamm zu den Augenmuskeln übertragen. → Stabilisierung des Blickfeldes bei Kopf- und Körperbewegungen Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 20 (*) Gleichgewichtsstörungen - Schwindel Vestibulärer (systematischer) Schwindel • Periphere vestibuläre Funktionsstörung Funktionsstörung des peripheren sensorischen Systems (Auge, Vestibularorgan, propriozeptives System) − Drehschwindel, Liftschwindel; Störung der Wahrnehmung im Raum, der sich zu bewegen scheint • Kinetosen bei unphysiologischen und ungewohnten Erregungen des Vestibularapparates (z.B. im Auto, Flugzeug oder Schiff) kann es zu Unwohlsein, Schwindel, Schweissausbrüchen und Erbrechen kommen • Nystagmen reflektorische Einstellbewegungen der Augen, die durch das Zusammenspiel von Vestibularapparat und Kernen von Hirnnerven für die äusseren Augenmuskeln bewirkt werden Gleichgewichtskontrolle: Durch das Zusammenspiel von optischen, propriozeptiven und vestibulären Informationen kann das ZNS einen Gleichgewichtszustand herstellen. Bei widersprüchlichen Wahrnehmumgen der einzelnen Systeme kommt es zu Schwindel. Schwindel äussert sich als Verlust der Körpersicherheit im Raum (Störung der Raumorientierung). Er lässt sich nicht als einheitliches Symptom definieren → subjektives Missempfinden eintreffender, meist widersprüchlicher sensorischer Reize. Nicht-vestibulärer (unsystematischer) Schwindel • Zentrale nicht-vestibuläre Funktionsstörung Störung der zentralen Verarbeitung auf Höhe des Hirnstamms oder des Kleinhirns − Schwankschwindel, Unsicherheit, Bewusstseinstrübung. Der unsystematische Schwindel ist meist Folge von Durchblutungsstörungen im Gehirn (Ursachen: Epilepsien, Lähmungen der Augenmuskeln, psychiatrische Erkrankungen) 21 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 21 (*) Vestibulärer und nicht-vestibulärer Schwindel Ursachen peripherer vestibulärer Funktionsstörungen Ursachen zentraler nicht-vestibulärer Funktionsstörungen Benigner paroxysomaler Lagerungsschwindel Durch Änderungen der Kopfhaltung ausgelöst, bei Rotation und Extension, Dauer: 20−30 Sek.,, Kristallablagerungen (Otholithen) in den Bogengängen Morbus Menière Einige Minuten bis Stunden dauernde Anfälle von Rotationsschwindel, Hörverminderung und Tinnitus, starke Übelkeit, Erbrechen - Ursache meist vaskulärer Natur - Schwindel intermittierend oder konstant - weitere neurologische Symptome kommen dazu - selten Tumor als Ursache - selten Entzündung (Multiple Sklerose) als Ursache - parainfektiöses Geschehen (Syphilis, Varizellen) - bei Migräne (Basilarismigräne) - bei epileptischen Anfällen 22 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 22 (*) Gleichgewichtsstörungen 23 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 23 Rekapitulation Geschmackssinn Die Trägerstrukturen für die Geschmackssinneszellen sind die Geschmacksknospen, die wiederum in den Wänden und Gräben der Geschmackspapillen liegen. Es gibt verschiedene Typen von Papillen auf der Zunge: • Pilzpapillen • Blätterpapillen • Wallpapillen • Fadenpapillen (nur taktile Funktion) Vier Grundqualitäten des Geschmacks Geschmackssinneszellen sind sekundäre Sinneszellen, d.h. sie selber haben keinen Nervenfortsatz. Sie werden von afferenten Hirnnervenfasern (Nervus facilis, glossopharyngeus, vagus) versorgt, die die Informationen zum Nucleus solitarius der Medulla oblongata leiten. Von dort ziehen Fasern zum Gyrus postzentralis und zum Hypothalamus, wo sie gemeinsame Projektionsgebiete mit olfaktorischen Eingängen haben. 24 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 24 Geschmackssinn Chandrashekar et al., Nature 444:288-294, 2006 25 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 25 Signaltransduktion in Geschackssinneszellen Den vier Grundqualitäten lassen sich spezifische Rezeptoren zuordnen, die durch Reizsubstanzen definierter molekularer Struktur aktiviert werden. In den meisten Geschmackssinneszellen sind Rezeptortypen für mehrere Qualitäten representiert. Die molekularen Signaltransduktionsmechanismen sind für jede Geschmacksqualität spezifisch: • Sauer und salzig werden durch einen einfachen, selektiv permeablen Kationenkanal geregelt. • Für süss und bitter existieren spezifische Rezeptormoleküle, die über Botenstoffe an Ionenkanäle gekoppelt sind. 26 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 26 (*) Geschmacksstörungen Die Geschmacksrezeptoren können genetisch defekt sein sowie durch Bestrahlung und einige Pharmaka geschädigt werden. Hypothyreose mindert ihre Empfindlichkeit. Bei Diabetes mellitus ist die Süssempfindung, bei Aldosteronmangel die Salzigempfindung herabgesetzt. Die Weiterleitung in den Nerven kann durch Traumen, Tumoren und Entzündungen unterbrochen werden. Die zentrale Weiterleitung und Verarbeitung kann durch Tumoren, Ischämie und Epilepsie gestört sein. Man teilt Geschmacksstörungen in verschiedene Schweregrade ein: • Totale Ageusie (Empfindung für alle Qualitäten verloren) • Partielle Ageusie (Empfindung nur für eine oder mehrere Qualitäten fehlend) • Dysgeusien (unangenehme Geschmacksempfindungen) • Hypogeusie (pathologisch verminderte Geschmacksempfindung) 27 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 27 Rekapitulation Geruchssinn Das Riechepithel besteht aus drei Zelltypen: • Stützzellen • Basalzellen • Riechzellen Die Riechzellen sind primäre, bipolare Sinneszellen, die am apikalen Teil dünne Sinneshaare (Zilien) und am anderen Ende einen Nervenfortsatz (Axon) tragen. Zu tausenden gebündelt laufen die Axone der Riechzellen durch die Siebbeinplatte, um zusammen als Nervus olfactorius direkt zum Bulbus olfactorius zu ziehen, der als vorgelagerter Hirnteil zu betrachten ist. Bulbus olfactorius Die Axone der Riechzellen endigen in den Glomeruli. Hier kommt es zu einer deutlichen Reduktion der Duftinformationskanäle (Konvergenz). Die Mitralzellen ziehen direkt zum Limbischen System und weiter zu vegetativen Kernen des Hypothalamus und der Formatio reticularis sowie zu Projektionsgebieten im Neokortex. (hemmende Interneurone) Schema der Transduktionskaskade in Riechzellen 28 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 28 (*) Störungen des Geruchssinns Quantitative Störungen Hyposmie = verminderte Geruchsempfindlichkeit. Beim Erwachsenen erhöht sich bei zunehmendem Alter aufgrund einer Atrophie des Riechepithels die Schwelle für Geruchsempfindung (Presbyosmie). Bei Frauen kann Östrogen-bedingt eine gesteigerte Geruchsempfindung (Hyperosmie) während der Menstruation und Schwangerschaft auftreten. Anosmie ist der vollständige Ausfall der Geruchsempfindung, z.B. bei Schnupfen, toxischen Schädigungen, Pharmaka/Anästhetika, Schädel-Hirn-Traumen etc. Qualitative Störungen (Störungen bei der zentralnervösen Verarbeitung) Parosmie (falsche Geruchsempfindung), Kakosmie (üble Geruchsempfindung) bei Tumorerkrankungen oder Schizophrenie. Phantosomien = Geruchshalluzinationen, z.B. bei Migräne, epileptischen Anfällen, Schizophrenie. 29 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 29 * Augenkrankheiten ICD-10 (Internationale Klassifikation der Augenkrankheiten), 2007 Affektionen des Augenlids, des Tränenapparates und der Orbita Affektionen der Konjunktiva Affektionen der Sklera, der Hornhaut, der Iris und des Ziliarkörpers Affektionen der Linse Affektionen der Aderhaut und der Netzhaut Glaukom Affektionen des Glaskörpers und des Augapfels Affektionen des Nervus opticus und der Sehbahn Affektionen der Augenmuskeln, Störungen der Blickbewegungen sowie Akkomodationsstörungen und Refraktionsfehler Sehstörungen und Blindheit Sonstige Affektionen des Auges und der Augenanhangsgebilde 30 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 30 Rekapitulation Auge und optische Abbildung Äussere Augenhaut (Cornea + Sklera) Mittlere Augenhaut = Uvea (Iris + Ziliarkörper + Chorioidea) Innere Augenhaut (Retina) (Cornea) (Netzhaut) (Aderhaut) (Lederhaut) 31 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 31 Rekapitulation Augenmuskeln und Augenhintergrund Augenhintergrund eines rechten Auges (im umgekehrten Spiegelbild) Nerven und Muskeln der Orbita (Augenhöhle) links: Papilla nervi optici (Papille); Arterien hellrot, Venen dunkelrot; rechts: Macula lutea mit Fovea centralis 32 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 32 Rekapitulation Aufbau der Netzhaut photopisches Sehen skotopisches Sehen 33 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 33 Rekapitulation Sehprozess B A. Schematischer Aufbau eines Stäbchens der Netzhaut und einer Zelle des Pigmentepithels. B. Schema eines Rhodopsinmoleküls und Struktur von 11-cis-Retinal. 11-cis-Retinal ist über Lysin an den Proteinteil des Rhodopsins gebunden. Nach Photonenabsorption tritt eine Photoisomeration am am C-Atom 11 ein (rot). 34 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 34 Rekapitulation Rhodopsin - Metarhodopsin II - Zyklus Phototransduktion Metarhodopsin II - Transducin - Zyklus Steuerung des cGMP und des Ca2+ Zyklus durch Tα-aktivierte Phosphodiesterase (1. Verstärkung > 1 : 1000) (2. Verstärkung ∼ 1 : 1000) Beim Transduktionsprozess des Sehens sind 4 biochemische Regelkreise beteiligt: Nach Absorption eines Lichtquants entsteht durch Isomerisation des Rhodopsins (R) über mehrere Zwischenstufen Metarhodopsin II (R*). Durch Bindung des G-Protein-GDP-Komplexes an R* und Energieaufnahme entsteht ein tα GTPKomplex, der Phosphodiesterase (PDE) bindet. Der tα GTP PDE-Komplex bewirkt eine Inaktivierung von cGMP und dadurch eine Schliessung der Na+/Ca2+-Kanäle und damit eine Hyperpolarisation (Rezeptorpotential der Photorezeptoren). Nimmt der intrazelluläre Ca2+-Gehalt ab, kommt es zu einer Aktivierung der Guanylylzyklase. Bei der Dunkelreaktion regeneriert sich das System wieder (Depolarisation). 35 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 35 (*) Refraktionsanomalien Refraktionsanomalien sind Brechungsfehler des Auges, die Abweichungen von der Normalsichtigkeit (Emmetropie) bedingen. Sie können durch Brillen oder Kontaktlinsen korrigiert werden. Die Einstellung der Sehschärfe beim Sehen naher und ferner Objekte erfolgt durch Änderung der Linsenform (Akkommodation). Myopie (Kurzsichtigkeit) Ist der Bulbus länger als normal, so können ferne Gegenstände nicht mehr scharf gesehen werden, da die Bildebene vor der Fovea liegt. Hypermetropie (Weitsichtigkeit) Der Bulbus ist im Verhältnis zur Brechkraft des dioptrischen Apparates zu kurz. Astigmatismus (Stabsichtigkeit) Die Hornhautoberfläche ist nicht dieal rotationssymmetrisch, sondern meist in vertikaler Richtung gekrümmt. 36 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 36 Krankheiten des äusseren Auges Erkrankungen der Lider Erkrankungen der Tränenorgane Erkrankungen der Orbita Entzündungen der Bindehaut (Konjunktivitis) Entzündungen der Hornhaut (Keratitis) Degenerationen und Dystrophien der Hornhaut 37 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 37 (*) Erkrankungen der Lider Entzündungen der Lider - Entzündungen der Lidhaut (1) - Entzündungen des Lidrands - Entzündungen der Liddrüsen (2,3) 1 2 Zoster ophthalmicus 3 Hordeolum externum Chalazion Lidfehlstellungen 4 6 5 Entropium mit Hornhautulkus Ptosis (links) Ektropium Ptosis Herabhängen eines oder beider Oberlider Entropium Einwärtskippung des Lids (häufiger am Unterlid als am Oberlid) Entropium senile: Erschlaffung des Aufhängeapparats des Unterlids, erhöhter Tonus der lidrandnahen Fasern des M. orbicularis oculi Ektropium Auswärtskippung fast ausschliesslich des Unterlids Ektropium senile: Erschlaffung des Unterlids und der Lidbändchen 38 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 7 Noduläres Basaliom 38 (*) Erkrankungen der Tränenorgane Zu den Tränenorganen zählen die Tränendrüse und die ableitenden Tränenwege. Erkrankungen äussern sich in einem Zuviel oder Zuwenig an Produktion bzw. Abfluss der Tränen. Das trockene Auge (Keratoconjunctivitis sicca) Benetzungsstörung von Horn- und Bindehaut mit dadurch bedingter Reizung des Auges Das tränende Auge (Epiphora) Hypersekretion der Tränendrüse oder Tränenabflussstörung - Angeborene oder erworbene Stenosen der abführenden Tränenwege - Canaliculitis (Entzündung der Tränenkanälchen durch Infektion mit Pilzen, Bakterien oder Viren) - Dacryocystitis acuta (Entzündung des Tränensacks durch Pneumokokken) 39 11/10/10 Canaliculitis Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 Akute Dakryozystitis 39 (*) Erkrankungen der Orbita Vaskuläre Orbitaveränderungen Exophthalmus (Hervortreten des Bulbus aus der Augenhöhle) Entzündliche Orbitaveränderungen Orbitaphlegmone (Entzündung des orbitalen Weichteilgewebes) Endokrine Orbitopathie Im Rahmen der Hyperthyreose bei Morbus Basedow kann es durch einen Autoimmunprozess zu entzündlichen Veränderungen und zur Fibrose des Orbitainhalts und der Lider kommen. Verletzungen der Orbita (z.B. Bruch des Orbitabodens) Tumoren der Orbita Hämangiom, Rhabdomyosarkom (geht von den äusseren Augenmuskeln aus) 40 11/10/10 Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel mit gestauten Bindehaut- und episkleralen Venen Endokrine Orbitopathie (Exophthalmus) Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 Orbitaphlegmone 40 (*) Konjunktivitis Infektiöse Konjunktivitis (bakteriell, viral, mykotisch) Leitsymptome - rotes Auge (verstärkte Durchblutung) - Sekretion (wässrig, schleimig, eitrig) - Bindehautschwellung (Chemosis) - Follikel (Lymphozytenansammlungen) - Papillen - Lichtscheu - verstärkter Tränenfluss (Epiphora) - krampfhafter Lidschluss (Blepharospasmus) Bindehautfollikel Chlamydienkonjunktivitis (Erreger: Chlamydia trachomatis) - Einschlusskörperchenkonjunktivitis (Serotypen D-K) (Abb. 1) okulogenitale Infektion, Erreger beim Geschlechtsverkehr übertragen, gelangen über die Hände ins Auge - Trachom (Serotypen A-C) (Abb. 2) durch Fliegen übertragen, die sich in den Lidwinkel von Kindern setzen, „ägyptische Körnerkrankheit“ 1 Bindehautpapillen 2 Nichtinfektiöse Konjunktivitis (Allergische Konjunktivitis) Riesenpapillen 41 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 41 (*) Keratitis Entzündungen der Hornhaut Infektiöse Keratitis - Bakterielle Keratitis (Staphylokokken, Pneumokokken) Über 90% aller Keratitiden sind bakteriell bedingt. Häufig bei Trägern von Kontaktlinsen und bei geschwächter Abwehr des Auges. Verletzung des Epithels als Eintrittspforte für Keime. Eiteransammlungen in der Vorderkammer (Hypopyon). - Virale Keratitis (Herpes-simlex-V., Varizella-zoster-V., Adenoviren) Hypopyon bei bakterieller Keratitis - Akanthamöben-Keratitis vor allem bei Kontaktlinsenträgern, hartnäckige Infektion des Hornhautstromas, kleine fleckige anteriore Stromainfiltrate Nichtinfektiöse Keratitis Störungen des Tränenfilms führen oft zu Keratitiden im Sinne einer Keratitis superficialis punctata bzw. bei stärkerer Ausprägung zu einer Keratitis filiformis. Akanthamöben-Keratitis mit anterioren Stromainfiltraten 42 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 42 (*) Degenerationen und Dystrophien der Hornhaut Hornhautdegenerationen Degeneration tritt durch Schädigung primär gesunden Gewebes ein (Alterungsprozess eingeschlossen) und muss nicht beidseitig sein. Pterygium Gefässhaltige Bindehaut wächst vom Limbus ausgehend dreieckförmig auf die Hornhaut im Lidspaltenbereich ein. Ursache: limbaler Barrieredefekt aufgrund von Stammzellinsuffizienz der BowmanMembran oder des Hornhautepithels. Chronische äussere Reize wie UV-Strahlenexposition oder Staubexposition. Pterygium Arcus lipoides Ringförmige Ablagerung von Lipoproteinen am Rand der Hornhaut, die durch eine schmale Zone vom Limbus getrennt ist. Bei Auftreten nach dem 50. Lebensjahr: Fettstoffwecheselstörung möglich. Keine Beschwerden, keine Therapie nötig. Hornhautdystrophien Arcus lipoides Dystrophien sind erblich bedingte, immer beidseitige Störungen des Hornhautstoffwechsels. Keratokonus Kegelförmige Vorwölbung der Hornhautmitte mit Verdünnung der Kegelspitze und Trübung des Hornhautepithels. Anlagebedingte Veränderung, die meist schon im Jugendalter auftritt, häufiger bei Frauen. Oft in Kombination mit allergischen Erkrankungen. Keratokonus 43 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 43 Krankheiten des inneren Auges Uveitis anterior (Iritis, Zyklitis), Uveitis posterior (Chorioiditis) Erkrankungen der Linse (Katarakt) Diabetische Retinopathie Retinale Gefässverschlüsse Makuladegeneration Hereditäre Erkrankungen der Netzhaut (Retinopathia pigmentosa) Netzhautablösung Glaukom 44 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 44 (*) Uveitis (Iritis, Zyklitis) Iritis (anteriore Uveitis) Oft beidseitig auftretende Entzündung der Iris. Häufigste Uveitis-Form. Hyperämische, wegen Stromaschwellung verwachsene Iris mit verengter Pupille. Zyklitis (intermediäre Uveitis) Entzündung des Ziliarkörpers, meist mit einer Iritis kombiniert. Pigmentabdruck auf der Linse nach der Lösung von hinteren Synechien Mögliche Ursachen einer Uveitis Komplikationen einer chronischen Iridozyklitis 45 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 45 (*) Uveitis (Chorioiditis) Die Chorioiditis (hintere Uveitis) ist eine Entzündung der Aderhaut, die aufgrund der engen Beziehung zur Netzhaut meist eine Retinitis nach sich zieht (Chorioretinitis). Geht die Entzündung primär von der Netzhaut aus (Toxoplasmose, Sporotrichose) spricht man von Retinochorioiditis. Die Chorioiditis verläuft schmerzfrei. Eine Retinochorioiditis zieht immer Nevenfaserausfälle nach sich, bei einer Chorioretinitis kann die Nervenfaserschicht unversehrt bleiben. Von der Lokalisation der Entzündungsherde hängt ab, ob und wie ausgeprägt Sehstörungen auftreten. Glaskörpertrübungen sehen die Patienten als Schleier. In der Fundoskopie finden sich Entzündungsherde am Augenhintergrund. Fundoskopische Befunde bei einer Chorioiditis Akute multifokale Chorioiditis 46 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 46 (*) A Erkrankungen der Linse: Katarakt (1) Trübungen der Linse werden als Katarakt (grauer Star) bzeichnet. In 90% der Fälle ist die Veränderung altersbedingt (Cataracta senilis). Symptome und Therapie Die Patienten sehen unscharf und werden leicht geblendet. Farben verlieren an Intensität. Durch die Trübungen verändert sich die Brechkraft der Linse, was zu Kurzsichtigkeit führen kann. Es kann zu einer verzerrten Abbildung kommen; Doppel- und Mehrfachbilder. B C Ursachen Genetische Disposition, exogene Einflüsse (UV-Licht, Mangel an essentiellen Aminosäuren, Diabetes mellitus, Rauchen, Alkoholismus. Einteilung A. Cataracta corticalis (Rindestar) Flüssigkeitsgefüllte Vakuolen zwischen den zerfallenden Faserbündeln der Linsenrinde (Wasserspalten). Im weiteren Verlauf speichenförmige gräulich-weisse Trübungen der Linse. B. Cataracta subcapsularis posterior Trübung sitzt direkt der hinteren Linsenkapsel auf und schreitet schnell fort. Frühe Sehstörungen. C. Cataracta nuclearis (Kernstar) Sehr langsam fortschreitende bräunliche Trübung und Brechkraftzunahme des Linsenkerns. 47 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 47 (*) Katarakt (2) Diagnose Spaltlampenuntersuchung, womit eine mikroskopische Betrachtung des äusseren Auges möglich ist und ein optischer Schnitt durch das Auge gelegt werden kann. Bei reifem oder überreifem Katarakt kann die Pupille weiß erscheinen. Therapie • keine gesicherte medikamentöse Therapie • Entfernen der eingetrübten Linse unter örtlicher Betäubung (1) Intrakapsulär (Die Linse wird komplett mitsamt ihrer Kapsel aus dem Auge entfernt - nur noch selten angewandt.) (2) Extrakapsulär (Die vordere Linsenkapsel wird eröffnet, um anschließend das Innere der Linse zu entfernen, während die hintere Kapselwand bestehen bleibt. Die natürliche Barriere zwischen hinterem und vorderem Augenabschnitt bleibt dadurch erhalten. Die modernste und gebräuchlichste Form der extrakapsulären Operationstechnik ist die Phakoemulsifikation. Der Linsenkern wird durch Ultraschall zerkleinert und anschließend abgesaugt.) • Korrekturmöglichkeiten: Starbrille, Kontaktlinse, intraokulare Linse 48 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 48 (*) Diabetische Retinopathie Netzhautveränderungen in Folge einer Mikroangiopathie bei Diabetes mellitus werden als diabetische Retinopathie bezeichnet. Hierbei entstehen durch Veränderungen der Gefässwände Mikroaneurysmen. Die Schädigung des Gefässendothels führt zu einem Zusammenbruch der Blut-Retina-Schranke im Bereich dieser Mikroaneurysmen, wodurch Serum und Liporoteine in das Netzhautgewebe austreten (diabetisches Makulaödem). 49 11/10/10 Veränderungen bei diabetischer Retinopathie Netzhautveränderungen Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 49 (*) Retinale Gefässverschlüsse Retinale Venenverschlüsse Zentralvenenverschlüsse zählen zu den häufigsten Erblindungsursachen ältere Menschen und stellen somit neben der diabetischen Retinopathie die wichtigste Gefässerkrankung der Netzhaut dar. Die meisten Betroffenen sind über 50 Jahre alt. Bei hohem Blutdruck und Augeninnendruck treten Venenverschlüsse gehäuft auf. Der Venenverschluss ist schmerzlos. Makula- oder Papillenödem: plötzliche Sehverschlechterung (“Schleier vor dem Auge”). Fundoskopie: prall gefüllte und gestaute Netzhautvenen und streifige Blutungen über den ganzen Fundus. Nevenfaserinfarkte (Cotton-wool-Herde). Retinale Arterienverschlüsse Selten, vorwiegend bei älteren Patienten. Verschluss der Zentralarterie oder eines Zentralarterienasts ist meist durch eine Embolie bedingt. Plötzliche schmerzlose Erblindung des betroffenen Auges. 50 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 50 (*) Weitere Retinopathien Hypertensive Retinopathie I Verengung der Arteriolen in der Retina II Fokale Arterienverengungen III Hämorrhagien (flammenförmig); cotton-wool spots; harte, wachsige Exudate; Makulastern Arteriosklerotische Retinopathie I Hyalin-Ablagerung; verdickte Media der Arteriolen; Lichtreflex an den Arteriolen II Zunahme des Lichtreflexes. Ausbildung einer gemeinsamen Adventitia von Arteriole und Venole an den Kreuzungspunkten III Zusätzlich Ausbildung von “Kupferdraht”-Arteriolen und vermehrte Hyalinabscheidung IV Sklerotische Veränderungen in den Arteriolen-Wänden (“Silberdraht”-Arteriolen). 51 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 51 (*) Makuladegeneration (1) Es gibt verschiedene erworbene und erbliche Makulaerkrankungen. Sie alle führen zu einer irreversiblen Störung der zentralen Sehschärfe. Die häufigste Form ist die altersbedingte Makuladegeneration (AMD). Ursache der AMD ist eine Funktionsstörung des retinalen Pigmentepithels (RPE). Die Pigmentepithelzellen kommen ihrer Transportfunktion nicht mehr nach, so dass sich Stoffwechselprodukte anhäufen, welche sich in Form von sog. Drusen zwischen RPE und Bruchmembran ablagern. Die Pigmentepithelzellen gehen zugrunde, in der Bruchmembran entstehen Lücken. Es kommt zum Zusammenbruch der äusseren BlutRetina-Schranke und Blutgefässe der Chorioidea sprossen ein. 52 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 52 Makuladegeneration (2) Man unterscheidet zwei Formen der AMD: Trockene Makuladegeneration - häufigste Form (90% der Fälle) - Atrophie des Pigmentepithels und der sensorischen Netzhaut - Verschlechterung der zentralen Sehschärfe (grauer Schatten immer da, wo man gerade hinblickt) - meist beide Augen betroffen, häufig aber in unterschiedliche fortgeschrittenem Stadium - scharf umschriebene atrophische Areale des retinalen Pigmentepithels und der Choriokapillaris - keine kausale Therapie, sondern nur unterstützende Massnahmen (Lupenbrille) Feuchte Makuladegeneration - geschädigte Bruchmembran, subretinale Exsudate aus der Chorioidea - Einwachsen pathologischer Blutgefässe durch das Pigmentepithel unter die Netzhaut (chorioidale Neovaskularisation, CNV) - Sehverschlechterung verläuft schneller als bei der trockenen Form - plötzliche Verzerrung der fixierten Objekte (Metamorphosie) durch zentrales Ödem der Netzhaut - gleichzeitige Abnahme der Sehschärfe - Blutungen aus neu gebildeten Gefässen führen zu einer rapiden und ausgeprägten Sehverschlechterung - unbehandelt kommt es häufig zu Komplikationen der CNV (Blutgefässrupturen, Pigmentepithelabhebungen) - Lasertherapie (nur wenn CNV noch nicht geblutet hat, 15% der Fälle, hohe Rezidivrate) - photodynamische Therapie (Verödung der CNV durch Verteporfin, Stabilisierung der Sehschärfe 50%) 53 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 53 Retinopathia pigmentosa Unter der Bezeichnung wird eine Gruppe von Krankheiten zusammengefasst, die alle durch eine Verminderung der Anzahl von Photorezeptoren und durch eine Funktionsstörung des retinalen Pigmentepithels (RPE) gekennzeichnet sind. Man unterscheidet eine primäre und eine sekundäre Form. Die primäre Form wird als Einzelerkrankung vererbt, die sekundäre tritt im Symptomenkomplex bei generalisierten Stoffwechselerkrankungen auf. Ursache: Gendefekt auf dem Opsingen, wodurch vermutlich das pathologische Rhodopsin vermehrt in die Zellen des Pigmentepithels aufgenommen wird und dort für die vermehrte Pigmentablagerung und Degeneration verantwortlich ist. Verlauf: Zuerst sind nur die Stäbchen betroffen, sodass vielfach bereits in der Kindheit Störungen im Dämmerungssehen auftreten. Erst viel später verschlechert sich das Sehen durch die fortschreitende Degeneration, die allmählich auf zentralere Bereiche der Retina übergreift. In einem engen zentralen Bereich bleibt das Sehen bestehen, führt jedoch trotzdem praktisch zu Blindheit wegen Orientierungsschwierigkeiten. Knochenbälkchen-Pigmentierung Therapie: Eine kausale Therapie ist nicht möglich. Der Nutzen von Vitamin-A-Einnahme ist nicht gesichert. Die sich entwickelnde Katarakt schränkt das Sehen zusätzlich ein und wird operiert. 54 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 54 (*) Netzhautablösung (1) Als Netzhautablösung wird die Abhebung der neurosensorischen Netzhaut vom Pigmentepithel bezeichnet. Nach der Entstehungsursache lassen sich drei Formen von Netzhautablösung unterscheiden. 1. Rhegmatogene Netzhautablösung Netzhautriss, bedingt durch das Zusammentreffen einer anlagebedingten Verdünnung der peripheren Netzhaut mit einem Zug des Glaskörpers an der Netzhaut. Risikofaktoren: Alter, hohe Myopie, Aphakie, Bulbustraumen. 1. 3. 2. Traktionsablatio Kontraktion von Glaskörper-Netzhautmembranen, welche die Netzhaut von ihrer Unterlage abziehen. Membranbildung z.B. bei diabetischer Retinopathie. 2. Ursachen für eine Netzhautablösung 3. Exudative Netzhautablösung Flüssigkeitsaustritt aus der Chorioidea unter die Netzhaut in Folge eines geschädigten Pigmentepithels. Kommt u.a. vor bei Aderhautmelanomen, Morbus Harada. 55 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 55 (*) Netzhautablösung (2) Symptome - Lichtblitze (bei rhegmatogener und Transaktionsablatio) - Russregen (bei rhegmatogener und Transaktionsablatio) - periphere Gesichtsfelddefekte in Form von Schatten Therapie und Prognose 1. Netzhautrisse (ohne Ablösung) werden verschweisst. Bei Ablösung werden Netzhaut und RPE durch das Aufnähen einer eindellenden Silikonplombe wieder zusammengebracht. Bei Netzhautlöchern Vitrektomie und Auffüllen des Bulbus mit Silikonöl oder Gas. Prognose hängt von Dauer und Lokalisation der Netzhautablösung ab. Wiederanlegen gelingt in 90% der Fälle bei unkomplizierter Netzhautablösung. 2. Therapie wie oben. Prognose ist jedoch ungünstiger. Ablösungsprozess lässt sich nicht immer stoppen. 3. Es muss die Grunderkrankung therapiert werden, von der auch die Prognose abhängt. Therapie der Netzhautablösung 56 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 56 (*) Glaukom (1) Unter Glaukom (grüner Star) versteht man eine Sehnervschädigung infolge eines Missverständnisses zwischen Augeninnendruck (erhöht) und Perfusionsdruck der Papille (arterieller Druck). Der Augeninnendruck übersteigt den mittleren Blutdruck der Gefässe der Sehnervenpapille und die Papille wird komprimiert. Bei niedrigem Blutdruck kann ein Glaukom schon bei normalem Augeninnendruck entstehen (Normaldruckglaukom). Wenn ein erhöhter Augeninnendruck keinerlei Schäden verursacht, weil der Blutdruck in den Gefässen ausreichend hoch ist, bezeichnet man das als okulare Hypertension. Das Glaukom zählt zu den häufigsten Erblindungsursachen. Ein erhöhter Druck im Glaskörperraum drückt auf den Sehnerv im Bereich der Papille. Durch den Druck werden die feinen Nervenfasern zusammengequetscht und können absterben. 57 11/10/10 Augenhintergrund: Im gesunden Auge (oben) ist die Papille rund und flach. Die Druckschädigung des Sehnervs ist an einer Aushöhlung erkennbar. Die Augenkammern sind mit Kammerwasser gefüllt, das im Ziliarkörper produziert wird, an dem auch die Linse befestigt ist. Durch eine Lücke zwischen Linse und Iris gelangt es von der hinteren in die vordere Augenkammer. Im Kammerwinkel wird das Kammerwasser durch winzige Spalten in einen kleinen Kanal aufgenommen und in das Blut abgegeben. Ist dieser Abfluss behindert, steigt der Innendruck. Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 57 (*) Glaukom (2) Klassifikation der Glaukome A Weitwinkelglaukom Häufigste Glaukomform des Erwachsenen. Das Kammerwasser kann das Trabekelmaschenwerk durch den Kammerwinkel ungehindert erreichen, kann jedoch wegen strukturellen Veränderungen schwer hindurchtretetn. Weitere Hindernisse sind ein erhöhter Widerstand im Schlemmkanal und eine Drucksteigerung in den das Kammerwasser ableitenden Venen. B Engwinkelglaukom Drucksteigerung wird durch den engen Kammerwinkel verursacht, was zu einem erschwerten Abfluss führt. Bei vollständiger Verlegung des Abflusses kommt es zu einem akuten Winkelblockglaukom mit Druckwerten von 60-80 mm Hg, extrem starken Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen (akuter Glaukomanfall). Die Schädigung des Sehnervs durch einen erhöhten Augeninnendruck führt dazu, dass die Wahrnehmumg des Patienten zunächst in kleinen Bereichen zwischen Zentrum und Peripherie des Gesichtsfeldes beeinträchtigt ist. A. Normales Gesichtsfeld eines rechten Auges eines gesunden Menschen. B. Gesichtsfeld eines rechten Auges bei einem Glaukom-Patienten. 58 11/10/10 Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 4 58