Organische Chemie für Bioinformatiker Dozentin: Dr. Stefanie Kellner Email: [email protected] 3. Stock BioSysM: Raum 03.037F 1 BioSysM 2 Vorlesungsplan • Reaktionen in der organischen Chemie • Elektrophile Addition • Nukleophile Substitution • Eliminierung • Wichtige Stoffklassen • Oxidation und Reduktion • Aromaten • Heterocyclen 3 Lehrbücher 4 Gliederung der Organischen Chemie in vier Reaktionstypen ADDITION Hinzufügen weiterer Atome / Atomgruppen; nur an ungesättigten funktionellen Gruppen möglich (A) ELIMINIERUNG (E) SUBSTITUTION (S) UMLAGERUNG Abspaltung von Molekülen es entstehen ungesättigte Strukturelemente Austausch eines Atoms / einer Atomgruppe Addition + Eliminierung = Substitution Verschieben von Atomen / Atomgruppen innerhalb des Kohlenstoffgerüstes 5 Kohlenwasserstoffe (griech: aleiphar = fettig) aliphatisch aromatisch acyclisch gesättigt ungesättigt cyclisch gesättigt ungesättigt 6 ALKANE gesättigte Kohlenwasserstoffe oder Paraffine parum affinis = wenig reaktionsfähig Kennzeichen: CC-Einfachbindung Endung: -an allgemeine Summenformel: CnH2n+2 keine polaren Gruppen vorhanden unlöslich in Wasser: lipophil oder hydrophob Beispiele: Petrolether (niedrig siedende Benzin-Fraktion, hauptsächlich Gemisch aus Pentan und Hexan) Vaseline (Wasser und griech. elaion = Öl) halbfestes Paraffin, Schmelzbereich ~ 35-55°C, 8 komplexes Kohlenwasserstoff-Gemisch ALKENE ungesättigte Kohlenwasserstoffe oder Olefine (gaz oléfiant = Öl bildendes Gas) Kennzeichen: C=C-Doppelbindung Endung: -en allgemeine Summenformel: CnH2n Beispiele H H C H C H Ethen H H 1 2 C C H H 1 C CH3 Propen H 2 H H3C C CH2 CH3 1-Buten 2 H C C H Konstitutionsisomere 3 CH3 2-Buten 9 Alkene: zur zentralen s-Bindung gesellt sich ein zusätzliche p-Bindung Bruice: „Org. Chemie“, Pearson-Verlag CH-Bindungen: s-Bindungen durch C-sp2H-s-Überlappung der C-Atome „innere“, stabile CC-Bindung: s-Bindung durch zentrale sp2-sp2-Überlappung der C-Atome „äußere“, weniger stabile CC-Bindung: p-Bindung durch seitliche p-p-Überlappung der C-Atome keine freie Drehbarkeit um Doppelbindung 10 11 Elektrophile Addition Entfärbung von Bromwasser Bromoniumion, ein gespannter Dreiring p-Komplex 12 13 Pfeile der organischen Chemie 14 Elektrophile Addition Addition von Halogenwasserstoff H2C CH2 + H H2C CH2 + Br H H2C CH2 H Br Addition von Wasser CH3 H3C C + H CH3 H3C C CH2 H CH2 CH3 H3C CH tertiäres Carbenium-Ion + H2O -H CH3 H2C C OH H CH3 tert. -Butanol CH2 primäres Carbenium-Ion stabiler als 15 Stabilisierung von Carbeniumionen durch Alkylgruppen. Je mehr Alkylgruppen an ein positiv geladenes C-Atom gebunden sind, umso stabiler ist das Kation, da Alkylgruppen elektronenschiebende Eigenschaften aufweisen. Die Elektronenlücke im Methylkation (starke Blaufärbung) ist daher größer als im tert-Butylkation (geringere Blaufärbung). (aus Schmuck, Schirmeister: „Chemie für Mediziner“) 16 ORIENTIERUNG der elektrophilen Addition ! MARKOWNIKOW Produkt Anti-MARKOWNIKOW Produkt MARKOWNIKOW -Produkt: Das H+-Ion bzw. das Elektrophil addiert an das wasserstoffreichere C-Atom regiospezifisch gilt für elektrophile Additionen (AE -Rkt.) nicht für nucleophile oder radikalische Reaktionen 17 2-Chlorpropan sek. Carbenium-Ion stabiler wegen des positiv induktiver Effektes der Alkylgruppen Propen 1-Chlorpropan entsteht nicht ! Carboxylgruppe ist elektronenziehend macht pos. Ladung noch positiver energetisch ungünstig Acrylsäure sek. Carbenium-Ion anti - MARKOWNIKOW hier: prim. Carbenium-Ion stabiler 3-Chlorpropionsäure 18 H2C CH CF3 + H H2C CH CF3 O Acrolein H2C CH CF3 H Trifluor-2-propen H2C CH C + Br Br H O + H H H2C CH H O + Br H2C CH H H Br H Ausnahme H2C CH Cl + H Vinylchlorid H2C CH Cl H + Br H2C CH Cl H Br MARKOWNIKOWChlor: I, aber auch +M-Effekt; stabilisiert durch freies Elektronenpaar H2C CH Cl H Produkt 19 Stereochemie syn anti Nicht verwechseln mit anti-Markownikow (Begriff aus der Regiochemie) 20 ALKYLHALOGENIDE / HALOGENALKANE Substitution (Austausch) eines oder mehrerer Wasserstoffatome durch Halogen (Fluor, Chlor, Brom, Iod) Unterscheidung nach Alkylierungsgrad des halogenierten C-Atoms Beispiele: primär H3C CH2 Eigenschaften wasserunlöslich: lipophil/hydrophob Siede-oder Kochpunkte (KP): > Alkane < Alkohole Ethylbromid Br sekundär H3C H CH3 C Isopropylchlorid Cl C3H7 tertiär H3C C H5C2 3-Iod-3-methylhexan I 21 Siedepunkte und Kochpunkte Ethylchlorid Ethanol Cl 12 °C Bei Raumtemperatur gas gas gas gas flüssig Campus Großhadern gas gas gas flüssig flüssig 22 wird nucleophil angegriffen Folge: heterolytische CX-Bindungsspaltung 23 Nucleophile Substitutionen am gesättigten, sp3-hybridisierten ! C-Atom Substitution = Austausch Nucleophil d Nu oder Nu Neutralmolekül (z.B. NH3) oder Anion (z.B. OH) „kernliebendes“ Teilchen weist eine erhöhte Elektronendichte auf besitzt freies/nichtbindendes Elektronenpaar - diese haben eine hohe Energie - oder leicht verschiebbare p-Bindung reagiert mit Teilchen, die selbst ein Elektronendefizit besitzen polare Reaktion Bindungen werden heterolytisch gebildet und gespalten Abgangsgruppe Nucleophil 24 Nucleophilie Definition: Fähigkeit, Elektronenpaar für die Bindung an ein positiv polarisiertes Atom (zumeist Kohlenstoff/C) bereitzustellen; charakterisierbar durch den Vergleich verschiedener Reaktionsgeschwindigkeiten kinetischer Vorgang bestimmt durch: ● Basizität: Reaktion mit einem Proton, Gleichgewichtskonstante mit Wasser thermodynamischer Vorgang ● Polarisierbarkeit: „Deformierbarkeit“ der Elektronenhülle vereinfacht: Basenstärke Nucleophilie 25 Beispiele C2H5O OH C6H5O H3CCOO H2O NO3 I Br Cl F OH basischer als SH; SH aber nucleophiler RS ArS I CN OH N3 Br ArO Cl AcO H2O Phenolat O S Thiophenolat 26 (Bruice: „Organische 27Chemie“, Pearson-Verlag) Lösungsmittel Beim Lösen eines Stoffes: intermolekulare (bei Salzen interionische) Kräfte, die ihn zusammenhalten, werden durch intermolekulare Wechselwirkungen zwischen den Molekülen und dem Lösungsmittel ersetzt. Wir sprechen von Solvatation. Hülle von Solvensmolekülen schirmen ab Vollhardt: „Organsiche Chemie“, Wiley-VCH kleines Fluorid wird gut solvatisiert großes Iodid wird schlecht solvatisiert Je besser ein Ion solvatisiert wird, um so schwächer ist seine Nucleophilie 28 protische Lösungsmittel Wasser 78 dipolar-aprotische Lösungsmittel H3C H2O CH3 C H3C C O Methanol 33 S O 25 Dimethylsulfoxid (DMSO) O H3C H3C Ethanol 20 H3C S Aceton O H3C H3COH CH3 47 H5C2OH H3C C N H3C C Acetonitril N 37 Ameisensäure HCOOH 58 O H3C N C O H3C H CH3 H CH3 Formamid 109 N C Dimethylformamid (DMF) 37 O O2N CH3 N O CH3 Nitromethan *Dielektrizitätskonstante er () [ unpolare Lösungsmittel sind z.B. n-Hexan (1.9) Toluol (2.4) Diethylether (4.2) 37 29 Chloroform Die Nucleophilie ist vom Lösungsmittel abhängig! Aprotische Lösungsmittel verringern den Solvatationseffekt die Reaktivität des Nucleophils steigt Lösungsmittel Methanol Aceton Geschwindigkeitskonstante k=1 k = 500 zunehmende Nucleophilie in einem protischen LM zunehmende Nucleophilie in einem aprotischen LM zunehmende Basizität zunehmende Größe Die Nucleophilie kleiner Anionen nimmt beim Wechsel von einem protischen zu einem aprotischen Lösungsmittel stärker zu als die der großen Anionen. 30 Abgangsgruppe (oder Nucleofug) Konjugierte Säure HI HBr HCl pKa Abgangsgruppe H3CSO3 Eignung als Abgangsgruppe gut gut gut gut -10 -9 I Br Cl H3CSO3H -8 -1.2 HF 3.2 F schlecht H3CCO2H H3COH 4.7 15.5 H3CCO2 H3CO schlecht schlecht H2O 15.7 HO schlecht (Methansulfonsäure) (Mesylat) (Methylat, Methanolat, Methoxid) schwache Basen sind gute Abgangsgruppen starke Basen sind schlechte Abgangsgruppen 31 Häufig vorkommende sind: Iodid, Bromid, Tosylat, Mesylat, Chlorid Substituierbarkeit schlecht F hoch Cl Br gut I Halogen-Kohlenstoff-Bindungsenergie Basizität niedrig pKa-Wert: quantifiziert die Stabilität des Anions relativ zu seiner Säure niedriger/negativer pKa-Wert bedeutet starke Säure bzw. stabiles Anion und schlechte Abgangsgruppe schwächere Basen sind gute Abgangsgruppen Iodid und Bromid sind gute Abgangsgruppen, Chlorid ist weniger gut und Fluorid ist schlecht gute Abgangsgruppe, wenn geringe CHal-Bindungsenergie niedriger/negativer pKa-Wert der korrespondierenden Säure, was geringe Basizität des Anions bedeutet 32 Ambidente Nucleophile zwei reaktive Zentren ambi: zweifach dent: Zahn Bsp. Nitrit O: höhere Elektronendichte, weil größere Elektronegativität harte Base N: höhere Nucleophilie, geringere Elektronendichte weiche Base Angriff des elektronegativeren Sauerstoffs ↓ SN 1 sek-Butylnitrit SN 2 2-Nitrobutan ↑ Angriff des nucleophileren Stickstoffs 33 SN1 - Reaktion CH3 H3C C CH3 CH3 CH3 Br - Br H3C C Carbenium-Ion ! H3C C OH CH3 als Zwischenprodukt CH3 OH Energiediagramm einer exothermen SN1-Reaktion 34 Substitution nucleophil mono(1)molekular Reaktionsgeschwindigkeit nur vom Ausgangsstoff abhängig, nicht vom Nucleophil OH: NUCLEOPHIL Br: ABGANGSGRUPPE (Nucleofug) (dicht gepackte bzw. solvatisierte) Ionenpaare Carbenium-Ion Nebenreaktion: durch Konzentrationszunahme der Abgangsgruppe (hier Br) gegen Ende der Reaktion Rückreaktion in Abhängigkeit von der Stabilität des Carbenium-Ions Racemisierung: Angriff von beiden Seiten möglich 35 36 EINFLUSSFAKTOREN SN1 - Reaktionen begünstigt durch polare Lösungsmittel: Wasser, Methanol, Ethanol LEWIS-SÄUREN (AlCl3, BF3, Ag+) koordinieren Anion erleichtern Dissoziation Stabilität des Carbenium-Ions tertiär sekundär primär Methyl 37 (R) -Enantiomer HO C6H5 H C C6H5 Cl CH3 - Cl H C CH3 OH H OH C6H5 C OH H3C CH3 OH C6H5 H C CH3 H C6H5 H5C6 OH H CH3 (S) -Enantiomer nur bei ausreichender Stabilität des Carbenium-Ions ist vollständige Racemisierung zu erwarten 38 SN2 - Reaktion ! Energiediagramm einer exothermen SN2-Reaktion H H C Br H + OH H HO H C H Br H HO C H - Br H 39 Substitution nucleophil bi(2)molekular Reaktionsgeschwindigkeit abhängig von Ausgangsstoff und Nucleophil Für das praktische Arbeiten gilt demzufolge: Beide Reaktanden im Reaktionsansatz in möglichst hoher Konzentration vorliegen über planares bzw. pentakoordiniertes C-Atom ein Reaktionsschritt konzertiert stereospezifische Konfigurationsumkehr / WALDEN-Umkehr / Inversion an asymmetrisch substituierten C-Atomen 40 41 2-Brombutan S-konfiguriert Konfigurationsinversion sek.-Butanol R-konfiguriert Bruice: “Organische Chemie“, Pearson-Verlag + Nucleophil + Abgangsgruppe = 5! 42 SN2-Reaktionen - Einflußfaktoren Reste im aktivierten Komplex: Wechselwirkungen der Reste mit Nucleophil und Abgangsgruppe: 90° R R 90° R R Y C X 109° C X R R H3C H3C H3C X H5C2 X 90° CH X H3C H3C C X H3C große Reste stören SN2 sterische Hinderung Kleine Reste begünstigen SN2 43 raumerfüllende Substituenten Substituenten im Carbenium-Ion 120° anstelle 109° Große Reste begünstigen SN1-Reaktionen sterische Beschleunigung tri-tert- Butylchlormethan Reaktionsgeschwindigkeitskonstante 40.000 mal höher als bei tert- Butylchlorid tert- Butanol 44 SN - Reaktionen können reversibel sein (Cl), Br und I sind sowohl gute Nucleophile als auch gute Abgangsgruppen • SN2 bei primären Halogenalkanen Gleichgewicht auf Seite der Chloralkane (infolge der relativen Bindungsstärken von Ausgangsmaterial und Produkt) Löslichkeit in Aceton: Lithiumhalogenide allesamt gut Natriumhalogenide: NaI NaBr NaCl FINKELSTEIN-REAKTION Nucleophil Abgangsgruppe 45 Zusammenfassung SN1 SN2 zweistufig über Carbenium-Ion einstufig/konzertiert sterische Beschleunigung sterische Hinderung an tertiären C-Atomen an primären C-Atomen Racemisierung Konfigurationsinversion polare Lösungsmittel dipolar-aprotische Lösungsmittel monomolekular: Reaktionsgeschwindigkeit vom Edukt abhängig bimolekular: Reaktionsgeschwindigkeit von Edukt und Nucleophil abhängig 46 Bspe. nucleophiler Substitutionen am gesättigten Kohlenstoffatom ROH + HBr RI + R´OH Veresterung von Alkoholen mit Halogenwasserstoffsäuren Hydrolyse von Alkylhalogeniden saure Veretherung RBr + H2O ROR´ + HI Etherspaltung RBr + RBr + HS- RS- Synthese von Thiolen Synthese von Sulfiden RSH + Br- RSR + Br47 Nucleophile Substitutionen Einfluss des Elektrophils: SN1 oder SN2? Einfluss des Nukleophils: SN1 oder SN2? Einfluss des Nukleofugs: Bennen/Markieren Sie die Abgangsgruppe? 48 Nucleophile Substitutionen SN1 oder SN2? 49 Elektrophile Addition Welches Reaktionsprodukt wird gebildet bei Addition von HCl Welches Reaktionsprodukt wird gebildet bei Addition von HBr Welches Reaktionsprodukt wird gebildet bei Addition von HCl Zeichnen Sie alle möglichen Produkte bei Addition von Brom 50