Medizin | Reproduktionsmedizin heute | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 Reproduktionsmedizin heute fotolia/Nagel's Blickwinkel PD Dr. med. Hans-Ulrich Pauer, Kinderwunschzentrum an der Oper, München Schätzungen aus dem Jahr 2002 zufolge waren weltweit 186 Millionen Frauen unfruchtbar bzw. hatten Probleme, ihren Kinderwunsch erfolgreich umzusetzen. In Europa liegt die Prävalenz der Infertilität je nach Studie zwischen 7 % und 32 %. 1 National wie global ist die Tendenz steigend.1 Die Gründe dafür liegen in der abnehmenden Spermienqualität, der geringeren Ovarfunktion bei spätem Kinderwunsch2,3 sowie in der Zunahme sexuell übertragener Erkrankungen (STD). Die steigende Infertilität stellt einerseits Medizin und Gesellschaft vor neue Herausforderungen, andererseits hält die Reproduktionsmedizin heute vielfältige erfolgreiche Behandlungsoptionen parat. Auf Basis einer ausführlichen und sorgfältigen Diagnostik lässt sich für jedes Paar mit unerfülltem Kinderwunsch individuell die jeweils bestmögliche Therapie ableiten. Unfruchtbarkeit kann einen oder auch beide Partner treffen. Unerfüllter Kinderwunsch lässt sich zu je etwa einem Drittel auf die Frau bzw. den Mann zurückführen. Bei dem verbleibenden Drittel sind beide Partner betroffen bzw. bleibt der Infertilitätsgrund im Dunkeln (idiopathische Infertilität). 12 Sorgfältige Diagnostik als Basis Die Ursachen der männlichen und weiblichen Infertilität sind vielfältig (Tab. 1, 2) – sie können körperlicher und/oder psychischer Natur sein. Sie reichen von Störungen in der Keimzellproduktion und dem Keimzelltransport bis hin zu verschiedenen Problemen, den Beischlaf auszuüben. Daher ist auch die Therapie eines unerfüllten Kinderwunsches komplex und bedarf häufig der interdisziplinären Zusammenarbeit von Reproduktionsmedizinern, Andrologen, Genetikern und Psychologen. Ausgangspunkte jeder Therapieempfehlung müssen stets die ausführliche Anamnese und die darauf aufbauende, sorgfältige Diagnostik sein. Zur Abklärung der männlichen und weiblichen Fertilität stehen vielfältige Parameter zur Verfügung, die teilweise in Form einer Stufendiagnostik zur Anwendung kommen (Tab. 3). Der Reproduktionsmediziner bzw. die Kinderwunschklinik fungiert als zentrale Schaltstelle, wo in der Regel nach abgeschlossener Diagnostik alle Befunde zusammenlaufen. Erst auf dieser Basis folgt mit jedem Paar die individuelle Entscheidung über die jeweils adäquate Behandlungsmethode. In den vergangenen 40 Jahren hat die Reproduktionsmedizin weltweit unzähligen Paaren ihren – auf natürlichem Wege unerreichbaren – Kinderwunsch erfüllt. Heute stehen unterschiedliche Therapieansätze zur Verfügung: OHormonelle Unterstützung der Follikelreifung und Überwachung des Zyklus bei allen Formen der gestörten Follikelreifung (Tab. 2) OIn-vitro-Fertilisation (IVF) bei Tubenverschluss OIntrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) bei hochgradig eingeschränkter männlicher Fertilität, wenn zu wenig und/oder zu wenig progressiv motile Spermien vorhanden sind. IVF Bei der IVF werden nach hormoneller Stimulation Eizellen über eine ultraschallgesteuerte transvaginale Punktion gewonnen und in einem Kulturmedium mit von Seminalflüssigkeit getrennten, beweglichen Spermien zusammengebracht. Diese durchdringen die Zona pellucida, die Befruchtung findet somit extrakorporal statt. Die IVF erfolgt bei Frauen, deren Eileiter nicht funktionstüchtig sind, wodurch die Eizellen die Gebärmutter nicht erreichen können. Das erste „Reagenzglas-Baby“, Louise Brown, geboren 1978 in England, löste eine große Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 | Reproduktionsmedizin heute | Medizin Ursachen und Diagnostik der Infertilität Ursache bedingt durch… Quantitativ bzw. qualitativ gestörte Spermienproduktion genetische Ursachen (Chromosomen, Azoospermiefaktor*), Hodenhochstand, Hitze, Hodentorsion, Infektionen (Mumpsorchitis), Varikozele, Chemotherapie Gestörter Spermientransport Infektionen, Prostatitis, Vasektomie, congenitale Aplasie der Vasa deferentia (genetisch: Abortivform der zystischen Fibrose) Sexuelle Probleme frühzeitige Ejakulation, retrograde Ejakulation (Harnblase), erektile Dysfunktion, Paarkonflikte Tab. 1: Ursachen männlicher Infertilität Ursache bedingt durch… Follikelreifungsstörungen Zyklusunregelmäßigkeiten (z. B. Syndrom der polyzystischen Ovarien**), hypothalamisch-hypophysäre Gonadeninsuffizienz (z. B. bei Hochleistungssportlern, Essstörungen) Gestörter Keimzelltransport Verschluss der Eileiter (z. B. nach Eileiterentzündung durch STD wie Chlamydieninfektion), Endometriose, Adhäsionen Primäre Ovarialinsuffizienz (POF) frühen Eintritt der Menopause (< 40 Jahre ca. 1 %, < 30 Jahre ca. 1 ‰ aller Frauen), genetische Ursachen (Chromosomen, Prämutationen im FMR-1-Gen), Chemotherapie, Umweltgifte (z. B. Nikotin) Andere Hormonstörungen Hyperprolaktinämie (Prolaktinom, Medikamente), Schilddrüsenfunktionsstörungen Sexuelle Probleme Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr), Paarkonflikte Tab. 2: Ursachen weiblicher Infertilität Ursache bedingt durch… Abklärung der männlichen Fertilität Basisdiagnostik: Status Sexualhormone, Spermiogramm Weiterführende Diagnostik: weitere Hormonparameter, Ultraschall, genetische Untersuchungen Abklärung der weiblichen Fertilität Basisdiagnostik: Zyklusanamnese und -monitoring (LH, FSH, Östradiol, Progesteron), Status Sexualhormone (Basis + Androgene), Ultraschall Weiterführende Diagnostik: Überprüfung der Eileiterdurchgängigkeit mit Ultraschall (Hysterokontrastsonografie), weitere Hormonparameter (z. B. AMH, Schilddrüse), Bauch-Gebärmutterspiegelung (nur noch selten indiziert), Thrombophilieparameter, genetische Untersuchungen Tab. 3: Gängige diagnostische Methoden und Parameter zur Abklärung der Fertilität gesellschaftliche Kontroverse über die moralischen Aspekte der damals revolutionären IVF aus. Die Reaktionen reichten von Euphorie bis Entsetzen. So protestierten die Kirchen beispielsweise massiv gegen das künstliche Eingreifen in den Zeugungsprozess. Aber auch von Seiten der Ärzteschaft her gab es Befürchtungen – etwa, dass die so gezeugten Kinder unter gesundheitlichen Schäden und Fehlbildungen leiden könnten. So kam das erste amerikanische IVF-Baby erst 1981 zur Welt. In den nachfolgenden zwanzig Jahren lösten sich die anfänglichen medizinischen und vielfach auch die moralischen Bedenken auf – die IVF ist heute weitverbreitet akzeptiert und gilt als sehr sicher. In Dänemark werden bereits mehr als 4 % aller Kinder mittels einer IVF bzw. ICSI gezeugt. ICSI und PICSI® Im Gegensatz zur IVF wird bei der ICSI ein vitales Spermium im Labor direkt in die Oozyte injiziert. Das Verfahren kommt immer dann zum Einsatz, wenn entweder zu wenige Spermien vorhanden sind, um die Eizelle per IVF zu befruchten oder wenn die Progressivmotilität der Spermien nicht ausreicht. Da die ICSI mit 75–80 % Fertilisationsrate der IVF überlegen ist, eignet sie sich darüber hinaus auch, wenn sich z. B. aufgrund einer eingeschränkten Ovarialreserve nicht ausreichend Eizellen gewinnen lassen. Im Behandlungsablauf selbst besteht für das Paar kein Unterschied zwischen IVF und ICSI. Im Gegensatz zu früher misst man seit einigen Jahren bei IVF-Behandlungen auch dem Reifegrad von Spermien eine wichtige Bedeutung bei. PICSI® (physiologic ICSI) z. B. ist ein neues nicht-invasives Verfahren, das im Rahmen einer ICSI-Therapie zur Spermienselektion verwendet wird. Die Köpfe reifer Spermien tragen einen spezifischen Rezep- tor für Hyaluronsäure (Hyaluronan), einer wesentlichen Komponente der Zona pellucida, welches die Oozyte umgibt. PICSI® ist ein Hyaluron-Bindungstest, der diese Tatsache nutzt. Weil unreife Spermien noch nicht über diesen Rezeptor verfügen, lassen sich auf diese Weise Spermien nach ihrem Reifestadium selektieren. Nach der PICSI® werden die Spermien zusätzlich noch bezüglich ihrer Morphologie und Beweglichkeit bewertet.4 Klinische Tests mittels PICSI® deuten darauf hin, dass so selektierte Spermien weniger Chromosomenaberrationen und DNA-Fragmentierungen aufwiesen. In der Untersuchung von Jakab et al.5 war die Fehlverteilung von Chromosomen bei Spermien, die aufgrund ihrer guten Hyaluron-Bindungsfähigkeit ausgewählt wurden, um das 5,4fache geringer. Andere Studien der letzten Jahre kommen zu ähnlichen Ergebnissen und weisen auf eine deutliche Verbesserung 13 Medizin | Reproduktionsmedizin heute | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 „Drauflos therapieren ist meist wenig sinnvoll!“ Dr. Hans-Ulrich Pauer ist einer von vier Chefärzten im Kinderwunsch-Zentrum an der Oper in München. Die Praxisklinik bietet individuelle Betreuung, modernste Therapiemethoden, hohe Sicherheitsstandards und umfangreiche Diagnostik aus einer Hand. Die zuverlässige Diagnostik ist das Fundament, um die Ursachen der Infertilität zu ermitteln und daraus die weitere Behandlung abzuleiten. Denn: „Drauflos therapieren und probieren ist meistens wenig sinnvoll!“ Herr Dr. Pauer, wie hat sich die Erfolgsrate in der Kinderwunschbehandlung seit den Anfängen 1978 entwickelt? Dr. Pauer: Seit 1978, der Geburt von Louise Brown, haben zahlreiche, rasante Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin die Erfolgsrate der Kinderwunschbehandlung geprägt und vorangetrieben. Die Präimplantationsdiagnostik beispielsweise ist so ein Motor: 1990 durch Geschlechtsbestimmung des Embryos zum Ausschluss X-chromosomal rezessiv vererbter Erkrankungen erstmals durchgeführt, ist sie heute – dort wo erlaubt – ein Standardverfahren auch zur Verbesserung der Schwangerschaftsraten nach ART. Die 1992 eingeführte ISCI gehört ebenfalls zu den Pionieren der Reproduktionsmedizin, denn erst dadurch ließ sich auch die männlich bedingte Infertilität erfolgreich behandeln. Und last but not least war die Vitrifikation ein Meilenstein. Sie ist Basis für den Fertilitätserhalt bei Frauen und das „Social Freezing“. Heute werden in Deutschland ca. 3–4 % der Kinder nach einer ART-Behandlung geboren. In den skandinavischen Ländern ist dieser Anteil bereits deutlich höher. Wie kann man sich den Ablauf vorstellen, wenn ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch zu Ihnen kommt und worauf legen Sie besonderen Wert? Dr. Pauer: In einem Erstgespräch erheben wir eine ausführliche Anamnese, auf deren Basis sich die Untersuchungen zur Abklärung der männlichen und weiblichen Fertilität anschließen. Die Diagnostik von Fruchtbarkeitsstörungen beruht auf drei Grundpfeilern: Untersuchung der Hormone bei Mann und Frau, Untersuchung der Zeugungsfähigkeit des Mannes sowie Untersuchung der Funktionsfähigkeit der Eileiter bei der Frau. Im Rahmen der ggf. umfangreichen (Stufen)-Diagnostik fungieren wir als "Schaltzentrale", die alle spezifischen Untersuchungen selber durchführt bzw. veranlasst und bei der alle Befunde zusammenlaufen. In einem zweiten Schritt erklären wir dem Paar ausführlich die Befunde und die von uns empfohlene Behandlung. 14 PD Dr. Hans-Ulrich Pauer Bei der Diagnostik steht die Sorgfalt für uns ganz oben, heißt z. B. die kompetente Auswahl aller sinnvollen Verfahren und deren Durchführung mit zuverlässigen Methoden. Im Umgang mit unseren Patienten legen wir auf Offenheit und Transparenz besonderen Wert. Die Paare müssen verstehen können, warum wir eine bestimmte Behandlungsform in ihrem Falle für indiziert halten. Was sind aus Ihrer Sicht entscheidende Erfolgskriterien für ein Kinderwunschzentrum? Dr. Pauer: Erfahrung, Erfahrung, Erfahrung und natürlich Vertrautheit mit den neuesten Technologien in der Reproduktionsmedizin. Unsere Praxis kombiniert beides. Sie hat über 20 Jahre Erfahrung mit der Kinderwunschbehandlung und gehörte zu den ersten privaten Zentren, die erfolgreich eine IVF durchgeführt haben. Mit uns, den nachfolgenden jüngeren Ärzten und Biologen, die fast alle an renommierten Zentren in den USA tätig waren (Harvard Medical School in Boston oder Columbia University New York) kam auch die technische Innovation hinzu. Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass unsere Einrichtung eines der modernsten Kinderwunschzentren in Deutschland ist. Sie bieten in Ihrer Praxis auch eine umfangreiche Diagnostik einschließlich der Hormonanalytik selbst an. Welche Gründe sprechen dafür und wie profitieren Ihre Patienten davon? Dr. Pauer: Stimmt, wir machen die gesamte Hormonanalytik selbst und fungieren darüber hinaus auch als ein deutschlandweites Hormon-Einsendelabor. Das ist der Grund für unsere sicherlich einzigartige Expertise in der Beurteilung endokrinologischer Befunde, was wiederum unseren Kinderwunschpatienten zugute kommt. Die endokrinologische Abklärung beider Partner und gegebenenfalls die optimale Hormoneinstellung stehen immer am Anfang einer Kinderwunschbehandlung. Wir sind nicht auf die Analyse eines Fremdlabors angewiesen und bekommen unsere Befunde unmittelbar. Somit können wir unseren Patienten häufig schon beim Erstgespräch eine Einschätzung geben. Auch unter einem weiteren Aspekt spielt die zügige Hormonanalytik eine wichtige Rolle. In der Stimulation von Patienten sind wir auf ein schnelles Ergebnis angewiesen, um unsere ärztlichen Entscheidungen treffen zu können. Die Vorteile für die Patienten liegen auf der Hand: eindeutige Therapieentscheidungen und ein wesentlich geringerer Zeitaufwand. Bei uns heißt es nicht: „Bitte machen Sie einen neuen Termin in zwei Tagen aus, damit wir Ihre Blutwerte besprechen können". Seit 2013 bearbeiten Sie ein breites Spektrum an Hormonparametern mit den Tests und Systemen von Roche. Wie unterstützt dieses Konzept Ihre Ansprüche? Dr. Pauer: Wie bereits erwähnt, spielt die sichere Hormonanalytik in der Kinderwunschbehandlung eine zentrale Rolle und Roche bietet uns das. Dementsprechend umfangreich fällt unser Parameterspektrum aus. Es umfasst als diagnostische Basis alle Sexualsteroide und das AMH. Ferner sind die komplette Schilddrüsendiagnostik inklusive Antikörper, Prolaktin und SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin), die Nebennierenrindenhormone sowie die wichtigsten Tumormarker für Mann und Frau auf unseren cobas e 601 Systemen konsolidiert. Sowohl die Analysesysteme als auch die Tests erweisen sich als extrem zuverlässig. Da die Hormonbestimmungen auf Quantifizierung von Antigen-Antikörperreaktionen beruhen, ist die qualitativ hochwertige Antikörperherstellung ein wesentlicher Aspekt. Wir bestehen die externen Qualitätskontrollen zu den einzelnen Hormonparametern regelmäßig ohne Probleme – für uns als Hormon-Einsendelabor ein absolutes Muss! Die vollautomatische Durchführung an den cobas-Geräten liefert darüber hinaus die Schnelligkeit, mit der wir unsere Ergebnisse brauchen. Auf einen Nenner gebracht: Mit unserer Entscheidung von vor zwei Jahren sind wir sehr zufrieden! Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 | Reproduktionsmedizin heute | Medizin fotolia/Sebastian Kaulitzki Kinderwunschzentrum München ICSI (links): Ein vitales Spermium wird im Labor direkt in die Oozyte injiziert. der Befruchtungs- beziehungsweise Einnistungsrate nach einer PICSI® hin. Eine strikte Richtlinie, wann dieses Verfahren im Rahmen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung zum Zuge kommt, gibt es nicht.4,5 Blastozystenkultur und Vitrifikation Unter einer Blastozystenkultur versteht man die Kultivierung der Embryonen bis Tag 4 (Morula) bzw. Tag 5 (Blastozyste). Es ist das höchste Entwicklungsstadium des Embryos vor der Nidation. Der entscheidende Unterschied zum jüngeren Embryo ist die an Tag 3 einsetzende Aktivierung (Transkription und Translation) des embryonalen Genoms, ohne die der Embryo nicht überlebensfähig ist. Der Blastozystentransfer führt daher meist zu einer höheren Implantations- und Schwangerschaftsrate.6–8 Neueste Studien zeigen, dass die Schwangerschaftsraten darüber hinaus nach einem Kryotransfer von Blastozysten (Einfrieren von Blastozysten und anschließendem Auftauen) deutlich höher sein können als nach einem Frischtransfer. Voraussetzung dafür ist jedoch das ultraschnelle Einfrieren der Blastozysten auf -196 °C, die sogenannte Vitrifikation. Das verringert – im Gegensatz zum „Slow Freezing“ – die Wahrscheinlichkeit intrazellulärer Eiskristallbildung und sichert die Überlebensrate der eingefrorenen Zellen. In der „Finnish Cohort Study“ von 1995–2006 lag die Schwangerschaftsrate nach Kryotransfer bei 35,8 % im Vergleich zu 27,6 % nach Frischtransfer.9 Für die höhere Schwangerschaftsrate gibt es verschiedene Gründe. Zum einen ist die Kryokonservierung für die Embryonen eine Art zusätzliche Selektion: Embryonen, welche intakt sind und sich gut teilen, entwickeln sich auch nach dem Auftauen optimal weiter. Zum anderen trägt wohl auch das Endometrium zum Erfolg bei. Die Embryonen werden im Kryozyklus ohne vorherige hochdosierte Hormonstimulation zurückgesetzt. Dies entspricht eher den natürlichen Schleimhautverhältnissen als in einem stimulierten Zyklus mit unphysiologisch hohen Östrogenspiegeln. Eine zusätzliche Beobachtung machten sowohl eine schwedische als auch eine dänische Arbeitsgruppe: Das Geburtsgewicht nach einem Kryotransfer war höher als nach einem Frischtransfer.9–11 Erfolgschancen und Fehlbildungen Ob es nach IVF zu einer Schwangerschaft kommt, hängt in erster Linie vom Alter der Frau (sukzessive Abnahme der ovariellen Funktionsreserve) und den Ursachen der Kinderlosigkeit ab.2 Die Erfolgschancen pro Transfer liegen durchschnittlich bei etwa 30–40 %. Diese Zahlen werden in Deutschland von allen großen Kinderwunschzentren erreicht, auf den Internetseiten vieler IVF-Zentren stehen jedoch höhere Schwangerschaftsraten. Entscheidend bei diesen „Zahlenspielen“ ist, welche Altersgruppen der Statistik zugrunde Blastocyste (rechts): höchstes Entwicklungsstadium des Embryos vor der Nidation (Tag 5 nach Befruchtung) liegen, insbesondere ob auch Frauen über 40 Jahren behandelt werden. Viele Zentren lehnen nämlich die Behandlung dieser Frauen ab, was sich in der Erfolgsstatistik niederschlägt (Abb. 1). Das Fehlbildungsrisiko in der Allgemeinbevölkerung beträgt 2–4 %. Nach der aktuellen Studienlage sehen wir bei ART-Paaren (ART: assisted reproductive technology) einen Anstieg in der Fehlbildungsrate von ca. 30 %. Dieses Phänomen findet sich jedoch auch bei infertilen Paaren, die schließlich doch spontan schwanger werden. Daher scheinen die biologischen Gründe, die der Infertilität zugrunde liegen, für die Zunahme der Fehlbildungen verantwortlich zu sein und nicht die ART selbst.12 Fertilitätsprotektion Das erfolgreiche Einfrieren menschlicher Zellen mittels Vitrifikation ist einer der bedeutsamstem Meilensteine der Reproduktionsmedizin, denn die so gewonnenen Eizellen lassen sich langfristig aufbewahren. Dies sichert die Fertilität der Frau, die dann zu einem späteren Zeitpunkt schwanger werden kann. Die „Verschiebung“ eines Kinderwunsches kann aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein, etwa bei einer bevorstehenden Chemotherapie oder einer beginnenden vorzeitigen Erschöpfung der Ovarialreserve. Aber auch das sogenannte „Social Freezing“ gewinnt an Aktualität. Dahinter verbergen sich persönliche und soziale Motive, etwa eine noch nicht abgeschlossene Berufsausbildung oder ein 15 Die Vitrifikation sichert die Fertilität der Frau, die dann, z. B. aus beruflichen Gründen, später schwanger werden kann ("Social Freezing"). fehlender Partner, mit dem man sich gemeinsame Kinder vorstellen kann.2 PID derkehrende Rückschläge, wie das Ausbleiben einer Schwangerschaft nach Behandlung oder einen Abort nach eingetretener Schwangerschaft. Dabei bleibt unseres Erachtens unberücksichtigt, dass die Sterilitätsbehandlung für die meisten Paare eine schwerwiegende physische und psychische Belastung bedeutet. Fast 40 Jahre Erfahrung zur extrakorporalen Befruchtung liegen hinter uns. In dieser Zeit hat die Reproduktionsmedizin weltweit unzähligen Paaren ihren – auf natürlichem Wege unerreichbaren – Kinderwunsch erfüllt. In dieser Zeit haben sich Behandlungsoptionen und Diagnostik kontinuierlich weiter entwickelt und zu steigenden *Azoospermiefaktor: Bezeichnet zusammenfassend drei definierte Genregionen. Mutationen dort führen zu einer quantitativ gestörten Spermatogenese **Polyzystisches Ovar-Syndrom: Ca. 10 % aller Frauen betroffen, häufigste Endokrinopathie. Pathogenese ist unklar. Literatur 1Bhattacharya et al: Hum Reprod (2009); 24:3096–3107 2Cobo A et al: Fertil Steril. (2013) May; 99(6):1485–1495 3Johnson SL et al: Ageing Res Rev. (2015) Jan;19C: 22–33 4Worrilow KC et al: Fertil Steril (2007) Sept; 88:37 5Jakab A et al: Fertil Steril (2005) Dec; 84(6):1665–1673 6Glujovsky D et al: Cochrane Database Syst Rev. (2012) Jul;11:7 7Balaban et al: Fertility Steril (2000); 74(2):282–287 8Khurram et al: Fertility Steril (2007); 87(5):1041–1052 9Pelkonen S et al.: Human Reproduction (2010) Apr; 25(4):914–923 10Evans J et al: Hum Reprod Update (2014) Nov–Dec; 20(6):808–821 11Pinborg A et al: Fertility and Sterility (2010) Sep; 94(4):1320–1317 12Simpson JL: Semin Fetal Neonatal Med. (2014) Jun; 19(3):177–182 Korrespondenzadresse Alter Abb. 1: Schwangerschaftsrate in Abhängigkeit vom Alter der Frau. Quelle: Kinderwunschzentrum 16 Erfolgschancen der IVF geführt. Das Social Freezing wird die Notwendigkeit einer (hierzulande verbotenen) Eizellspende und die damit verbundene Abwanderung in das benachbarte Ausland verringern. Die Präimplantationsdiagnostik – sollte sie um das Aneuploidie-Screening erweitert werden – wird die „Baby-take-home-Rate“ weiter signifikant verbessern. Fazit und Ausblick Schwangerschaftsrate Die Präimplantationsdiagnostik (PID) mittels zellbiologischer und molekulargenetischer Methoden dient der Entscheidung, ob sich ein in vitro gezeugter Embryo zum Transfer eignet. Sie ist in Deutschland seit 2011 eingeschränkt erlaubt. Die definierten Ausnahmefälle sind im Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) geregelt und unterliegen strengen Auflagen. Ein Aneuploidie-Screening im Rahmen der ART, bei dem chromosomal auffällige, potenziell nicht lebensfähige Embryonen vom Transfer ausgeschlossen würden, ist z. B. nicht vorgesehen. Das begünstigt wie- fotolila/weseetheworld Medizin | Reproduktionsmedizin heute | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 PD Dr. med. Hans-Ulrich Pauer Chefarzt & Partner im Kinderwunschzentrum an der Oper Maximilianstr. 2a 80539 München [email protected]