Reproduktionsmedizin heute

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Medizin | Reproduktionsmedizin heute | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015
Reproduktionsmedizin heute
fotolia/Nagel's Blickwinkel
PD Dr. med. Hans-Ulrich Pauer, Kinderwunschzentrum an der Oper, München
Schätzungen aus dem Jahr 2002 zufolge
waren weltweit 186 Millionen Frauen
unfruchtbar bzw. hatten Probleme, ihren
Kinderwunsch erfolgreich umzusetzen. In
Europa liegt die Prävalenz der Infertilität je
nach Studie zwischen 7 % und 32 %. 1 National wie global ist die Tendenz steigend.1
Die Gründe dafür liegen in der abnehmenden Spermienqualität, der geringeren
Ovarfunktion bei spätem Kinderwunsch2,3
sowie in der Zunahme sexuell übertragener Erkrankungen (STD). Die steigende
Infertilität stellt einerseits Medizin und
Gesellschaft vor neue Herausforderungen,
andererseits hält die Reproduktionsmedizin
heute vielfältige erfolgreiche Behandlungsoptionen parat. Auf Basis einer ausführlichen und sorgfältigen Diagnostik lässt sich
für jedes Paar mit unerfülltem Kinderwunsch individuell die jeweils bestmögliche
Therapie ableiten.
Unfruchtbarkeit kann einen oder auch beide
Partner treffen. Unerfüllter Kinderwunsch
lässt sich zu je etwa einem Drittel auf die
Frau bzw. den Mann zurückführen. Bei dem
verbleibenden Drittel sind beide Partner
betroffen bzw. bleibt der Infertilitätsgrund
im Dunkeln (idiopathische Infertilität).
12
Sorgfältige Diagnostik als Basis
Die Ursachen der männlichen und weiblichen Infertilität sind vielfältig (Tab. 1, 2)
– sie können körperlicher und/oder psychischer Natur sein. Sie reichen von Störungen
in der Keimzellproduktion und dem Keimzelltransport bis hin zu verschiedenen Problemen, den Beischlaf auszuüben. Daher ist
auch die Therapie eines unerfüllten Kinderwunsches komplex und bedarf häufig der
interdisziplinären Zusammenarbeit von
Reproduktionsmedizinern, Andrologen,
Genetikern und Psychologen.
Ausgangspunkte jeder Therapieempfehlung
müssen stets die ausführliche Anamnese
und die darauf aufbauende, sorgfältige Diagnostik sein. Zur Abklärung der männlichen
und weiblichen Fertilität stehen vielfältige
Parameter zur Verfügung, die teilweise in
Form einer Stufendiagnostik zur Anwendung kommen (Tab. 3). Der Reproduktionsmediziner bzw. die Kinderwunschklinik
fungiert als zentrale Schaltstelle, wo in der
Regel nach abgeschlossener Diagnostik alle
Befunde zusammenlaufen. Erst auf dieser
Basis folgt mit jedem Paar die individuelle
Entscheidung über die jeweils adäquate
Behandlungsmethode.
In den vergangenen
40 Jahren hat die Reproduktionsmedizin weltweit unzähligen Paaren
ihren – auf natürlichem
Wege unerreichbaren –
Kinderwunsch erfüllt.
Heute stehen unterschiedliche Therapieansätze zur Verfügung:
OHormonelle Unterstützung der Follikelreifung und Überwachung des Zyklus
bei allen Formen der gestörten Follikelreifung (Tab. 2)
OIn-vitro-Fertilisation (IVF) bei Tubenverschluss
OIntrazytoplasmatische Spermieninjektion
(ICSI) bei hochgradig eingeschränkter
männlicher Fertilität, wenn zu wenig
und/oder zu wenig progressiv motile
Spermien vorhanden sind.
IVF
Bei der IVF werden nach hormoneller Stimulation Eizellen über eine ultraschallgesteuerte
transvaginale Punktion gewonnen und in
einem Kulturmedium mit von Seminalflüssigkeit getrennten, beweglichen Spermien
zusammengebracht. Diese durchdringen die
Zona pellucida, die Befruchtung findet somit
extrakorporal statt. Die IVF erfolgt bei Frauen,
deren Eileiter nicht funktionstüchtig sind,
wodurch die Eizellen die Gebärmutter nicht
erreichen können.
Das erste „Reagenzglas-Baby“, Louise Brown,
geboren 1978 in England, löste eine große
Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 | Reproduktionsmedizin heute | Medizin
Ursachen und Diagnostik der Infertilität
Ursache
bedingt durch…
Quantitativ bzw. qualitativ gestörte
Spermienproduktion
genetische Ursachen (Chromosomen, Azoospermiefaktor*), Hodenhochstand, Hitze, Hodentorsion, Infektionen (Mumpsorchitis), Varikozele, Chemotherapie
Gestörter Spermientransport
Infektionen, Prostatitis, Vasektomie, congenitale Aplasie der Vasa deferentia (genetisch: Abortivform der zystischen Fibrose)
Sexuelle Probleme
frühzeitige Ejakulation, retrograde Ejakulation (Harnblase), erektile Dysfunktion, Paarkonflikte
Tab. 1: Ursachen männlicher Infertilität
Ursache
bedingt durch…
Follikelreifungsstörungen
Zyklusunregelmäßigkeiten (z. B. Syndrom der polyzystischen Ovarien**), hypothalamisch-hypophysäre Gonadeninsuffizienz
(z. B. bei Hochleistungssportlern, Essstörungen)
Gestörter Keimzelltransport
Verschluss der Eileiter (z. B. nach Eileiterentzündung durch STD wie Chlamydieninfektion), Endometriose, Adhäsionen
Primäre Ovarialinsuffizienz (POF)
frühen Eintritt der Menopause (< 40 Jahre ca. 1 %, < 30 Jahre ca. 1 ‰ aller Frauen), genetische Ursachen (Chromosomen,
Prämutationen im FMR-1-Gen), Chemotherapie, Umweltgifte (z. B. Nikotin)
Andere Hormonstörungen
Hyperprolaktinämie (Prolaktinom, Medikamente), Schilddrüsenfunktionsstörungen
Sexuelle Probleme
Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr), Paarkonflikte
Tab. 2: Ursachen weiblicher Infertilität
Ursache
bedingt durch…
Abklärung der männlichen Fertilität
Basisdiagnostik: Status Sexualhormone, Spermiogramm
Weiterführende Diagnostik: weitere Hormonparameter, Ultraschall, genetische Untersuchungen
Abklärung der weiblichen Fertilität
Basisdiagnostik: Zyklusanamnese und -monitoring (LH, FSH, Östradiol, Progesteron), Status Sexualhormone (Basis +
Androgene), Ultraschall
Weiterführende Diagnostik: Überprüfung der Eileiterdurchgängigkeit mit Ultraschall (Hysterokontrastsonografie),
weitere Hormonparameter (z. B. AMH, Schilddrüse), Bauch-Gebärmutterspiegelung (nur noch selten indiziert), Thrombophilieparameter, genetische Untersuchungen
Tab. 3: Gängige diagnostische Methoden und Parameter zur Abklärung der Fertilität
gesellschaftliche Kontroverse über die moralischen Aspekte der damals revolutionären IVF
aus. Die Reaktionen reichten von Euphorie
bis Entsetzen. So protestierten die Kirchen
beispielsweise massiv gegen das künstliche
Eingreifen in den Zeugungsprozess. Aber
auch von Seiten der Ärzteschaft her gab es
Befürchtungen – etwa, dass die so gezeugten
Kinder unter gesundheitlichen Schäden und
Fehlbildungen leiden könnten. So kam das
erste amerikanische IVF-Baby erst 1981 zur
Welt. In den nachfolgenden zwanzig Jahren
lösten sich die anfänglichen medizinischen
und vielfach auch die moralischen Bedenken
auf – die IVF ist heute weitverbreitet akzeptiert und gilt als sehr sicher. In Dänemark
werden bereits mehr als 4 % aller Kinder
mittels einer IVF bzw. ICSI gezeugt.
ICSI und PICSI®
Im Gegensatz zur IVF wird bei der ICSI
ein vitales Spermium im Labor direkt in
die Oozyte injiziert. Das Verfahren kommt
immer dann zum Einsatz, wenn entweder
zu wenige Spermien vorhanden sind, um
die Eizelle per IVF zu befruchten oder wenn
die Progressivmotilität der Spermien nicht
ausreicht. Da die ICSI mit 75–80 % Fertilisationsrate der IVF überlegen ist, eignet sie
sich darüber hinaus auch, wenn sich z. B.
aufgrund einer eingeschränkten Ovarialreserve nicht ausreichend Eizellen gewinnen
lassen. Im Behandlungsablauf selbst besteht
für das Paar kein Unterschied zwischen IVF
und ICSI.
Im Gegensatz zu früher misst man seit einigen Jahren bei IVF-Behandlungen auch dem
Reifegrad von Spermien eine wichtige Bedeutung bei. PICSI® (physiologic ICSI) z. B. ist
ein neues nicht-invasives Verfahren, das im
Rahmen einer ICSI-Therapie zur Spermienselektion verwendet wird. Die Köpfe reifer
Spermien tragen einen spezifischen Rezep-
tor für Hyaluronsäure (Hyaluronan), einer
wesentlichen Komponente der Zona pellucida, welches die Oozyte umgibt. PICSI® ist
ein Hyaluron-Bindungstest, der diese Tatsache nutzt. Weil unreife Spermien noch nicht
über diesen Rezeptor verfügen, lassen sich auf
diese Weise Spermien nach ihrem Reifestadium selektieren. Nach der PICSI® werden
die Spermien zusätzlich noch bezüglich ihrer
Morphologie und Beweglichkeit bewertet.4
Klinische Tests mittels PICSI® deuten
darauf hin, dass so selektierte Spermien
weniger Chromosomenaberrationen und
DNA-Fragmentierungen aufwiesen. In der
Untersuchung von Jakab et al.5 war die Fehlverteilung von Chromosomen bei Spermien,
die aufgrund ihrer guten Hyaluron-Bindungsfähigkeit ausgewählt wurden, um das
5,4fache geringer. Andere Studien der letzten Jahre kommen zu ähnlichen Ergebnissen
und weisen auf eine deutliche Verbesserung
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„Drauflos therapieren ist meist wenig sinnvoll!“
Dr. Hans-Ulrich Pauer ist einer von vier Chefärzten im Kinderwunsch-Zentrum an der Oper
in München. Die Praxisklinik bietet individuelle
Betreuung, modernste Therapiemethoden, hohe
Sicherheitsstandards und umfangreiche Diagnostik aus einer Hand. Die zuverlässige Diagnostik ist
das Fundament, um die Ursachen der Infertilität
zu ermitteln und daraus die weitere Behandlung
abzuleiten. Denn: „Drauflos therapieren und probieren ist meistens wenig sinnvoll!“
Herr Dr. Pauer, wie hat sich die Erfolgsrate in
der Kinderwunschbehandlung seit den Anfängen 1978 entwickelt?
Dr. Pauer: Seit 1978, der Geburt von Louise
Brown, haben zahlreiche, rasante Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin die Erfolgsrate der Kinderwunschbehandlung geprägt und
vorangetrieben. Die Präimplantationsdiagnostik beispielsweise ist so ein Motor: 1990 durch
Geschlechtsbestimmung des Embryos zum Ausschluss X-chromosomal rezessiv vererbter Erkrankungen erstmals durchgeführt, ist sie heute – dort
wo erlaubt – ein Standardverfahren auch zur Verbesserung der Schwangerschaftsraten nach ART.
Die 1992 eingeführte ISCI gehört ebenfalls zu den
Pionieren der Reproduktionsmedizin, denn erst
dadurch ließ sich auch die männlich bedingte Infertilität erfolgreich behandeln. Und last but not least
war die Vitrifikation ein Meilenstein. Sie ist Basis
für den Fertilitätserhalt bei Frauen und das „Social
Freezing“. Heute werden in Deutschland ca. 3–4 %
der Kinder nach einer ART-Behandlung geboren.
In den skandinavischen Ländern ist dieser Anteil
bereits deutlich höher.
Wie kann man sich den Ablauf vorstellen, wenn
ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch zu Ihnen
kommt und worauf legen Sie besonderen Wert?
Dr. Pauer: In einem Erstgespräch erheben wir eine
ausführliche Anamnese, auf deren Basis sich die
Untersuchungen zur Abklärung der männlichen
und weiblichen Fertilität anschließen. Die Diagnostik von Fruchtbarkeitsstörungen beruht auf
drei Grundpfeilern: Untersuchung der Hormone
bei Mann und Frau, Untersuchung der Zeugungsfähigkeit des Mannes sowie Untersuchung der
Funktionsfähigkeit der Eileiter bei der Frau. Im
Rahmen der ggf. umfangreichen (Stufen)-Diagnostik fungieren wir als "Schaltzentrale", die alle
spezifischen Untersuchungen selber durchführt
bzw. veranlasst und bei der alle Befunde zusammenlaufen. In einem zweiten Schritt erklären wir
dem Paar ausführlich die Befunde und die von uns
empfohlene Behandlung.
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PD Dr. Hans-Ulrich Pauer
Bei der Diagnostik steht die Sorgfalt für uns ganz
oben, heißt z. B. die kompetente Auswahl aller
sinnvollen Verfahren und deren Durchführung
mit zuverlässigen Methoden. Im Umgang mit
unseren Patienten legen wir auf Offenheit und
Transparenz besonderen Wert. Die Paare müssen
verstehen können, warum wir eine bestimmte
Behandlungsform in ihrem Falle für indiziert
halten.
Was sind aus Ihrer Sicht entscheidende Erfolgskriterien für ein Kinderwunschzentrum?
Dr. Pauer: Erfahrung, Erfahrung, Erfahrung und
natürlich Vertrautheit mit den neuesten Technologien in der Reproduktionsmedizin. Unsere
Praxis kombiniert beides. Sie hat über 20 Jahre
Erfahrung mit der Kinderwunschbehandlung und
gehörte zu den ersten privaten Zentren, die erfolgreich eine IVF durchgeführt haben. Mit uns, den
nachfolgenden jüngeren Ärzten und Biologen, die
fast alle an renommierten Zentren in den USA
tätig waren (Harvard Medical School in Boston
oder Columbia University New York) kam auch
die technische Innovation hinzu. Ich glaube, es ist
nicht übertrieben zu sagen, dass unsere Einrichtung eines der modernsten Kinderwunschzentren
in Deutschland ist.
Sie bieten in Ihrer Praxis auch eine umfangreiche Diagnostik einschließlich der Hormonanalytik
selbst an. Welche Gründe sprechen dafür und wie
profitieren Ihre Patienten davon?
Dr. Pauer: Stimmt, wir machen die gesamte Hormonanalytik selbst und fungieren darüber hinaus
auch als ein deutschlandweites Hormon-Einsendelabor. Das ist der Grund für unsere sicherlich
einzigartige Expertise in der Beurteilung endokrinologischer Befunde, was wiederum unseren
Kinderwunschpatienten zugute kommt. Die
endokrinologische Abklärung beider Partner und
gegebenenfalls die optimale Hormoneinstellung
stehen immer am Anfang einer Kinderwunschbehandlung. Wir sind nicht auf die Analyse eines
Fremdlabors angewiesen und bekommen unsere
Befunde unmittelbar. Somit können wir unseren
Patienten häufig schon beim Erstgespräch eine
Einschätzung geben. Auch unter einem weiteren
Aspekt spielt die zügige Hormonanalytik eine
wichtige Rolle. In der Stimulation von Patienten
sind wir auf ein schnelles Ergebnis angewiesen,
um unsere ärztlichen Entscheidungen treffen zu
können. Die Vorteile für die Patienten liegen auf
der Hand: eindeutige Therapieentscheidungen
und ein wesentlich geringerer Zeitaufwand. Bei
uns heißt es nicht: „Bitte machen Sie einen neuen
Termin in zwei Tagen aus, damit wir Ihre Blutwerte besprechen können".
Seit 2013 bearbeiten Sie ein breites Spektrum an
Hormonparametern mit den Tests und Systemen
von Roche. Wie unterstützt dieses Konzept Ihre
Ansprüche?
Dr. Pauer: Wie bereits erwähnt, spielt die sichere
Hormonanalytik in der Kinderwunschbehandlung eine zentrale Rolle und Roche bietet uns das.
Dementsprechend umfangreich fällt unser Parameterspektrum aus. Es umfasst als diagnostische
Basis alle Sexualsteroide und das AMH. Ferner
sind die komplette Schilddrüsendiagnostik inklusive Antikörper, Prolaktin und SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin), die Nebennierenrindenhormone sowie die wichtigsten Tumormarker
für Mann und Frau auf unseren cobas e 601 Systemen konsolidiert.
Sowohl die Analysesysteme als auch die Tests
erweisen sich als extrem zuverlässig. Da die
Hormonbestimmungen auf Quantifizierung
von Antigen-Antikörperreaktionen beruhen, ist
die qualitativ hochwertige Antikörperherstellung ein wesentlicher Aspekt. Wir bestehen die
externen Qualitätskontrollen zu den einzelnen
Hormonparametern regelmäßig ohne Probleme
– für uns als Hormon-Einsendelabor ein absolutes Muss! Die vollautomatische Durchführung
an den cobas-Geräten liefert darüber hinaus
die Schnelligkeit, mit der wir unsere Ergebnisse
brauchen. Auf einen Nenner gebracht: Mit unserer Entscheidung von vor zwei Jahren sind wir
sehr zufrieden!
Diagnostik im Dialog • Ausgabe 46 • 04/2015 | Reproduktionsmedizin heute | Medizin
fotolia/Sebastian Kaulitzki
Kinderwunschzentrum München
ICSI (links): Ein vitales
Spermium wird im Labor
direkt in die Oozyte injiziert.
der Befruchtungs- beziehungsweise Einnistungsrate nach einer PICSI® hin. Eine strikte
Richtlinie, wann dieses Verfahren im Rahmen
einer reproduktionsmedizinischen Behandlung zum Zuge kommt, gibt es nicht.4,5
Blastozystenkultur und Vitrifikation
Unter einer Blastozystenkultur versteht man
die Kultivierung der Embryonen bis Tag 4
(Morula) bzw. Tag 5 (Blastozyste). Es ist das
höchste Entwicklungsstadium des Embryos
vor der Nidation. Der entscheidende Unterschied zum jüngeren Embryo ist die an Tag 3
einsetzende Aktivierung (Transkription und
Translation) des embryonalen Genoms,
ohne die der Embryo nicht überlebensfähig ist. Der Blastozystentransfer führt daher
meist zu einer höheren Implantations- und
Schwangerschaftsrate.6–8
Neueste Studien zeigen, dass die Schwangerschaftsraten darüber hinaus nach einem
Kryotransfer von Blastozysten (Einfrieren
von Blastozysten und anschließendem Auftauen) deutlich höher sein können als nach
einem Frischtransfer. Voraussetzung dafür
ist jedoch das ultraschnelle Einfrieren der
Blastozysten auf -196 °C, die sogenannte
Vitrifikation. Das verringert – im Gegensatz
zum „Slow Freezing“ – die Wahrscheinlichkeit intrazellulärer Eiskristallbildung und
sichert die Überlebensrate der eingefrorenen Zellen. In der „Finnish Cohort Study“
von 1995–2006 lag die Schwangerschaftsrate
nach Kryotransfer bei 35,8 % im Vergleich
zu 27,6 % nach Frischtransfer.9
Für die höhere Schwangerschaftsrate gibt
es verschiedene Gründe. Zum einen ist die
Kryokonservierung für die Embryonen eine
Art zusätzliche Selektion: Embryonen, welche intakt sind und sich gut teilen, entwickeln sich auch nach dem Auftauen optimal
weiter. Zum anderen trägt wohl auch das
Endometrium zum Erfolg bei. Die Embryonen werden im Kryozyklus ohne vorherige
hochdosierte Hormonstimulation zurückgesetzt. Dies entspricht eher den natürlichen Schleimhautverhältnissen als in einem
stimulierten Zyklus mit unphysiologisch
hohen Östrogenspiegeln.
Eine zusätzliche Beobachtung machten
sowohl eine schwedische als auch eine dänische Arbeitsgruppe: Das Geburtsgewicht
nach einem Kryotransfer war höher als nach
einem Frischtransfer.9–11
Erfolgschancen und Fehlbildungen
Ob es nach IVF zu einer Schwangerschaft
kommt, hängt in erster Linie vom Alter der
Frau (sukzessive Abnahme der ovariellen
Funktionsreserve) und den Ursachen der
Kinderlosigkeit ab.2
Die Erfolgschancen pro Transfer liegen
durchschnittlich bei etwa 30–40 %. Diese
Zahlen werden in Deutschland von allen
großen Kinderwunschzentren erreicht, auf
den Internetseiten vieler IVF-Zentren stehen jedoch höhere Schwangerschaftsraten.
Entscheidend bei diesen „Zahlenspielen“ ist,
welche Altersgruppen der Statistik zugrunde
Blastocyste (rechts): höchstes
Entwicklungsstadium des
Embryos vor der Nidation
(Tag 5 nach Befruchtung)
liegen, insbesondere ob auch Frauen über
40 Jahren behandelt werden. Viele Zentren lehnen nämlich die Behandlung dieser
Frauen ab, was sich in der Erfolgsstatistik
niederschlägt (Abb. 1).
Das Fehlbildungsrisiko in der Allgemeinbevölkerung beträgt 2–4 %. Nach der aktuellen
Studienlage sehen wir bei ART-Paaren (ART:
assisted reproductive technology) einen
Anstieg in der Fehlbildungsrate von ca. 30 %.
Dieses Phänomen findet sich jedoch auch
bei infertilen Paaren, die schließlich doch
spontan schwanger werden. Daher scheinen
die biologischen Gründe, die der Infertilität
zugrunde liegen, für die Zunahme der Fehlbildungen verantwortlich zu sein und nicht
die ART selbst.12
Fertilitätsprotektion
Das erfolgreiche Einfrieren menschlicher Zellen mittels Vitrifikation ist einer der bedeutsamstem Meilensteine der Reproduktionsmedizin, denn die so gewonnenen Eizellen lassen
sich langfristig aufbewahren. Dies sichert die
Fertilität der Frau, die dann zu einem späteren Zeitpunkt schwanger werden kann. Die
„Verschiebung“ eines Kinderwunsches kann
aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein,
etwa bei einer bevorstehenden Chemotherapie oder einer beginnenden vorzeitigen
Erschöpfung der Ovarialreserve. Aber auch
das sogenannte „Social Freezing“ gewinnt an
Aktualität. Dahinter verbergen sich persönliche und soziale Motive, etwa eine noch nicht
abgeschlossene Berufsausbildung oder ein
15
Die Vitrifikation sichert
die Fertilität der Frau,
die dann, z. B. aus beruflichen Gründen, später
schwanger werden kann
("Social Freezing").
fehlender Partner, mit dem man sich gemeinsame Kinder vorstellen kann.2
PID
derkehrende Rückschläge, wie das Ausbleiben einer Schwangerschaft nach Behandlung oder einen Abort nach eingetretener
Schwangerschaft. Dabei bleibt unseres
Erachtens unberücksichtigt, dass die Sterilitätsbehandlung für die meisten Paare eine
schwerwiegende physische und psychische
Belastung bedeutet.
Fast 40 Jahre Erfahrung zur extrakorporalen Befruchtung liegen hinter uns. In dieser
Zeit hat die Reproduktionsmedizin weltweit
unzähligen Paaren ihren – auf natürlichem
Wege unerreichbaren – Kinderwunsch
erfüllt. In dieser Zeit haben sich Behandlungsoptionen und Diagnostik kontinuierlich weiter entwickelt und zu steigenden
*Azoospermiefaktor: Bezeichnet zusammenfassend drei definierte Genregionen. Mutationen
dort führen zu einer quantitativ gestörten Spermatogenese
**Polyzystisches Ovar-Syndrom: Ca. 10 %
aller Frauen betroffen, häufigste Endokrinopathie. Pathogenese ist unklar.
Literatur
1Bhattacharya et al: Hum Reprod (2009); 24:3096–3107
2Cobo A et al: Fertil Steril. (2013) May; 99(6):1485–1495
3Johnson SL et al: Ageing Res Rev. (2015) Jan;19C: 22–33
4Worrilow KC et al: Fertil Steril (2007) Sept; 88:37
5Jakab A et al: Fertil Steril (2005) Dec; 84(6):1665–1673
6Glujovsky D et al: Cochrane Database Syst Rev. (2012)
Jul;11:7
7Balaban et al: Fertility Steril (2000); 74(2):282–287
8Khurram et al: Fertility Steril (2007); 87(5):1041–1052
9Pelkonen S et al.: Human Reproduction (2010) Apr;
25(4):914–923
10Evans J et al: Hum Reprod Update (2014) Nov–Dec;
20(6):808–821
11Pinborg A et al: Fertility and Sterility (2010) Sep;
94(4):1320–1317
12Simpson JL: Semin Fetal Neonatal Med. (2014) Jun;
19(3):177–182
Korrespondenzadresse
Alter
Abb. 1: Schwangerschaftsrate in Abhängigkeit vom Alter der Frau. Quelle: Kinderwunschzentrum
16
Erfolgschancen der IVF geführt. Das Social
Freezing wird die Notwendigkeit einer (hierzulande verbotenen) Eizellspende und die
damit verbundene Abwanderung in das
benachbarte Ausland verringern. Die Präimplantationsdiagnostik – sollte sie um das
Aneuploidie-Screening erweitert werden
– wird die „Baby-take-home-Rate“ weiter
signifikant verbessern.
Fazit und Ausblick
Schwangerschaftsrate
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) mittels zellbiologischer und molekulargenetischer Methoden dient der Entscheidung,
ob sich ein in vitro gezeugter Embryo zum
Transfer eignet. Sie ist in Deutschland seit
2011 eingeschränkt erlaubt. Die definierten Ausnahmefälle sind im Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) geregelt
und unterliegen strengen Auflagen. Ein
Aneuploidie-Screening im Rahmen der
ART, bei dem chromosomal auffällige,
potenziell nicht lebensfähige Embryonen
vom Transfer ausgeschlossen würden, ist
z. B. nicht vorgesehen. Das begünstigt wie-
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PD Dr. med. Hans-Ulrich Pauer
Chefarzt & Partner im
Kinderwunschzentrum an der Oper
Maximilianstr. 2a
80539 München
[email protected]
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