Günter Bentele Artikel Günter Bentele Was ist eigentlich PR?

Werbung
In: Widerspruch Nr. 28 Public Relations (1995), S. 11-26
Autor: Günter Bentele
Artikel
Günter Bentele
Was ist eigentlich PR?
Eine Positionsbestimmung und einige
Thesen
1. Heimliche Verführer?
Public Relation gewinnt sowohl in der Öffentlichkeit als auch in unterschiedlichen Fachdisziplinen zunehmend an Aufmerksamkeit. Steigende
Aufmerksamkeit heißt aber noch nicht, daß überall auch ein adäquates
Verständnis von PR vorherrschend ist, adäquat im Sinne einer historisch
richtigen und empirisch möglichst präzisen Beschreibung. Häufig wird
zwar dem Phänomen Public Relations nachgespürt, gleichzeitig aber
rasten alte Urteile und Vorurteile ein, so beispielsweise das der Gleichsetzung von Public Relations und Werbung. Diese beiden Typen öffentlicher Kommunikation (so können sie heute adäquat verortet werden)
werden populärwissenschaftlich häufig als "heimliche Verführer" apostrophiert. In unterschiedlichen "Scientific Communities" wird zwar erstaunt zur Kenntnis genommen, daß die Akzeptanz von Werbung oder
PR und deren vermeintlich wachsende Bedeutung in der Gesellschaft
akzeptiert wird, die Entwicklung ist sogar latent faszinierend. Nichtsdestoweniger scheint das Verständnis dieser Phänomene in einer breiteren
Öffentlichkeit nur sehr rudimentär entwickelt zu sein. Um gleich vorweg
einige Positionen zu markieren: PR ist nicht mit Werbung identisch, PR
hat sich auch nicht aus der Werbung entwickelt und stellt somit keine
raffiniertere Form der Werbung dar. PR ist auch nicht mit Marketing,
mit Propaganda oder mit Journalismus zu verwechseln. Der Begriff "Öffentlichkeitsarbeit" ist als synonym mit dem Begriff "Public Relations" zu
verstehen: Albert Oeckl, einer der deutschen Nestoren der PR, hat diesen deutschen Begriff im Jahr 1950 nach eigenen Angaben aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzt.
2. Wurzeln und Definitionen von Public Relations
PR stellt eine mittlerweile eigenständige und ausdifferenzierte Form
öffentlicher Kommunikation dar, die verschiedene Wurzeln seit Beginn
des Industriezeitalters hat. In den USA haben sich PR vor allem seit
Anfang dieses Jahrhunderts rapide entwickelt. In Deutschland ist zwar
die industrielle PR in breiter Form erst nach dem Zweiten Weltkrieg
entstanden, sowohl in der nationalen wie regionalen (länderbezogenen)
Politik, aber auch auf kommunaler Ebene gibt es Öffentlichkeitsarbeit
spätestens seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Auch im
Kulturbereich sowie bei Verbänden, Nonprofit-Organisationen, etc. hat
PR ältere Wurzeln. Dies ist nur auf den ersten Blick verwunderlich, ist
doch schon in der interpersonalen Kommunikation die Dimension der
Selbstdarstellung - neben anderen Dimensionen - eine unauflöslich mit
jeder kommunikativen Handlung verbundene Dimension. Jeder Person
und jeder Institution ist es unmöglich, sich nicht zu verhalten, bzw. ist es
unmöglich, durch die bloße Existenz nicht zumindest als passive Informationsquelle zu fungieren (Watzlawick drückt dies durch den Satz aus,
daß man nicht nicht kommunizieren könne). Insofern ist es nur eine
Frage der Intelligenz, in welchem Grad Personen und Institutionen auch
aktiv Selbstdarstellung betreiben.
Die Definitionen von Public Relations sind - wie die Definitionen von
"Philosophie", "Kommunikation" oder "Soziologie" - Legion. In Anlehnung an andere Definitionen habe ich Öffentlichkeitsarbeit/Public Relations wie folgt definiert: "Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations sind
das Management von Informations- und Kommunikationsprozessen
zwischen Organisationen einerseits und ihren internen oder externen
Umwelten (Teilöffentlichkeiten) andererseits. Funktionen von Public
Relations sind Information, Kommunikation, Persuasion, Imagegestaltung, kontinuierlicher Vertrauenserwerb, Konfliktmanagement und das
Herstellen von gesellschaftlichem Konsens."1
Zur Öffentlichkeitsarbeit/PR gehört heute die Pressemitteilung eines
mittelständischen Unternehmens ebenso wie die Pressekonferenz eines
Ministers oder eines Professors auf einer Konferenz, die AIDSKampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder eine
Nicht-Raucher-Kampagne ebenso wie der Anhänger an der Weinflasche
aus der Herzogowina, der über das Anbaugebiet des Weines informiert,
der Beipackzettel in der Schachtel Kopfwehtabletten ebenso wie die
Werkszeitung bei Daimler-Benz oder oder die Bäckerblume., die Imagekampagne der chemischen Industrie ebenso wie die Informationsbroschüre eines Ministeriums, der Jubiläumsfilm einer Universität ebenso
wie der Film eines Basketballclubs, der mit Hilfe dieses Films Sponsoren
finden will oder die Festschrift eines großen Unternehmens zum 100jährigen Bestehen. Dazu gehört aber auch die Aktion von Greenpeace
oder einer kleinen Bürgerinitiative ebenso wie die Pressearbeit eines
studentischen Radiosenders.
1 Zwei weitere Definitionen seien hier erwähnt. Rex Harlow hat schon Mitte der
siebziger Jahre 472 verschiedene PR-Definitionen gesammelt und versucht, eine
Synthese der essentiellen Elemente aus all diesen Definitionen vorzunehmen. Hier
das Ergebnis: "Public Relations is the distinctive management function which helps
establish and maintain mutual lines of communication, acceptance and cooperation
between an organization and its public; involves the management of problems or
issues; helps management to keep informed on and responsive to public opinion;
defines and emphasizes the responsibility of management to serve the public interest;
helps management keep abreast of and effectively utilize change, serving as an early
warning system to help anticipate trends; and uses research and sound and ethical
communication techniques as its principal tools." Vgl. Harlow (1976, 36). Eine heute
international sehr geläufige, akzeptierte und vor allem sehr griffige Definition haben
Grunig/Hunt 1984 geliefert: "Public relations is part of the management of communication between an organization and its publics." Vgl. Grunig/Hunt (1984, 6).
3. Abgrenzungen
Public Relations läßt sich einerseits von Journalismus dadurch abgrenzen, daß PR prinzipiell interessebezogene öffentliche Kommunikation
betreiben. Im Rahmen von pluralistisch organisierten Gesellschaften ist
PR hingegen legitime und notwendige Selbstdarstellung für bzw. im
Auftrag einer Institution, Journalismus ist Fremddarstellung von Ereignissen, Handlungen und Institutionen. Dies heißt natürlich nicht, daß
Journalismus nicht auch interessebezogen (z.B. auf die verlegerische
Linie der Zeitung oder der Rundfunkanstalt bezogen) sein mag. In der
Regel berichtet und erörtert Journalismus jedoch Themen, die anderen
Interessensbereichen als derjenigen des eigenen Hauses entstammen.
Wenn es allerdings um Berichterstattung über das eigene Haus geht
(beispielsweise bei Jubiläen von Zeitungen), dann haben wir in der Regel
dasselbe Phänomen, das wir auch in der PR-Kommunikation als Grundtatbestand beobachten können: eine Art von Kritikarmut. Nach "außen"
werden kritische Aspekte - die eigene Organisation betreffend - nur an
sehr untergeordneter Stelle thematisiert, wohingegen eine Kritikfunktion
der PR nach innen auch faktisch (allerdings häufig unzureichend) vorhanden ist. Journalismus und PR sind gezwungen, kontinuierlich zusammenzuwirken: Journalismus wäre heute ohne PR nicht überlebensfähig, andererseits wäre PR ohne Journalismus nicht nur um den kritischen
Gegenpart ärmer, sondern auch großer Verbreitungsmöglichkeiten beraubt.
Von Marketing als "marktorientiertem Verhalten von Unternehmen" läßt
sich Public Relations insofern abgrenzen, als wir es bei Marketing immer
mit Kommunikationsformen zu tun haben, die als primäres Ziel den
Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen haben. PR hingegen ist
nur in Grenzfällen (z.B. Produkt-PR) auf das Produkt, primär aber auf
das Image des Unternehmens bzw. der jeweiligen Organisation bezogen.
PR hat zwar auch ökonomische Ziele - zumindest bezogen auf privatwirtschaftliche Unternehmen - jedoch erst an dritter, vierter oder zehnter
Stelle. Wo wir es mit Kommunikation von Organisationen zu tun haben,
deren zentrales Ziel es nicht ist, "Produkte" oder "Dienstleistungen" zu
verkaufen (z.B. Kirchen, Gewerkschaften, Universitäten, Vereine, NonProfit-Organisationen) haben wir es immer noch mit Öffentlichkeitsarbeit, nicht aber mit Marketing zu tun, jedenfalls nicht in einem einigermaßen sinnvollen Verständnis. Von dort ausgehend unterscheiden sich
auch die eingesetzten Kommunikationsmethoden zentral von denen des
Marketing bzw. denen der Werbung als Teilbereich des Marketing. Das
Standardinstrument der Werbung ist die bezahlte Anzeige. In der PR
werden zwar auch gelegentlich Anzeigen (z.B. Imageanzeigen von großen Unternehmen oder Branchenverbänden) eingesetzt, dies ist jedoch
nur ein Mittel unter vielen und beileibe nicht das wichtigste. Während die
Form der Werbung immer die Form der Einwegkommunikation bzw.
Einweginformation aufweist, ist PR zumindest in vielen Fällen dialogisch
strukturiert. Werbung ist in jedem Fall (so witzig sie seit einigen Jahren
sein mag) einseitige Information, um Kaufhandlungen auszulösen. Werbung zielt auch stärker auf die Gefühle und Emotionen der jeweiligen
Zielgruppen, während PR deutlich sachlicher angelegt und auf kognitive
Wirkungen aus ist.
Von Propaganda läßt sich PR recht leicht dadurch abgrenzen, als diese
Form in der Regel nicht nur ebenfalls die Form der Einweginformation
besitzt, darüberhinaus der Kategorie "Wahrheit" keine große Bedeutung
beimißt. Propaganda ist in der Regel mit dem Willen gekoppelt, Massen
zu mobilisieren, sie auf die Seite der propagierenden Partei zu ziehen und
dies meist unter gesellschaftlichen Bedingungen, die eine offene und
pluralistische Kommunikation und Auseinandersetzung nicht zulassen.
Insofern ist Propaganda - im Gegensatz zu Public Relations - empirisch
durchweg mit dem Phänomen der "Manipulation" gekoppelt.
4. Instrumente und Methoden
Zentrale Instrumente der PR sind heute die klassischen Mittel der Presse- bzw. Medienarbeit: die Presseeinladung, die Presseinformation, die
Presseerklärung, das Interview, die Pressekonferenz, die Pressemappe,
das Presseseminar oder die Pressereise, etc. Weitere Instrumente sind mit
dem Geschäftsbericht, der Mitarbeiter- oder Verbandszeitschrift, dem
Pressespiegel, dem Film, dem Computerspiel, mittlerweise auch der
Mailbox, etc. angesprochen. Daneben werden häufig Methoden der direkten und persönlichen Kommunikation eingesetzt, sei es dazu, Entscheidungsträger nach Möglichkeit (innerhalb des legalen Rahmens) zu
beeinflussen, d.h. sie zu überzeugen (Lobbying), sei es, um einfach mit
bestimmten Teilöffentlichkeiten zu kommunizieren, einen in der Regel
sehr offenen Dialog zu führen. Das Ziel von PR ist es insofern, Verstehen und Verstandenwerden, und Akzeptanz durch dialogische Maßnahmen zu erreichen. Schleichwerbung und Product Placement zählen nicht
zur PR, während Sponsoring, also eine vertraglich fixierte Form des
Gebens und Nehmens (der Sponsor gibt Geld, das der Gesponsorte
meist dringend braucht, um dem Sponsor dadurch die Hoffnung auf eine
Imagevorteil bzw. Imagetransfer geben) durchaus als Form der PR gelten
kann.
Die Erstellung bzw. das gelegentliche Verändern des Corporate Designs
ist ebenso eine fundamentale Notwendigkeit und Aufgabe von PR wie
das Erstellen und das Umsetzen von strategischen PR-Konzeptionen:
Hier wird in einem systematischen Viererschritt von der Ausgangsanalyse über die Strategieentwicklung, die Umsetzung der Strategie bis zur
Evaluation/Erfolgskontrolle Kommunikation systematisch geplant und
betrieben.
5. Forschung und Theorien in der PR
Eine ernstzunehmende systematische PR-Forschung existiert eigentlich
erst seit etwa Mitte der siebziger Jahre, also seit etwa zwanzig Jahren. Sie
ist in Deutschland und den USA vor allem im Bereich der Kommunikationswissenschaften, nicht bei den Wirtschaftswissenschaften oder anderen Disziplinen angesiedelt. Den Beginn dieser systematischen For-
schung markiert die amerikanischen Vierteljahres-Zeitschrift "Public
Relations Quarterly", die seit 1975 existiert. Eine Reihe von empirischen
Studien wurden in diesen zwanzig Jahren durchgeführt und im Rahmen
dieser Forschung haben sich auch einige theoretische Ansätze bzw. Teiltheorien entwickelt, die empirisch prüfbar sind. Nach dem Kriterium der
Reichweite von Theorienreichweite lassen sich Theorien mittlerer
Reichweite von Theorien großer bzw. globaler Reichweite unterscheiden.
Zu der ersten Kategorie läßt sich beispielsweise das Vier-Typenmodell
von Grunig/Hunt (1984) zählen, die situative Theorie von Teilöffentlichkeiten, ebenfalls von James Grunig entwickelt, die sogenannte "Determinationshypothese" oder der Ansatz des "Agenda-Building". Zu der
zweiten Kategorie läßt sich der Ansatz von Ronneberger/Rühl (1992)
zählen, der den Anspruch erhebt, eine allgemeine Theorie der Public
Relations zumindest in Grundsätzen zu entwickeln.
6. Das Vier-Typen-Modell der PR von Grunig/Hunt
Dieses Modell zeichnet einerseits eine historische Entwicklung der Public Relations von Publicity-Modell bis zum Modell der symmetrischen
Kommunikation nach. Andererseits stellt es einen aktuell-systematische
und an konkreten Kriterien festgemachtes Modell dar, das u. a. den Vorteil bietet, die seit Jahrzehnten geführten Diskussionen um das "Wesen
der Public Relations" zu beenden bzw. diese Diskussion zumindest zu
differenzieren. Auch durch dieses Modell wird im übrigen deutlich, daß
ein Identisch-Setzen von Public Relations und Propaganda in die Irre
führt.
Beim Publicity-Modell geht es in erster Linie darum, Publizität zu bekommen, Organisationen oder Produkte dieser Organisation ins Licht
der Öffentlichkeit zu rücken. Die Wahrheit dessen, worüber und womit
kommuniziert wird, ist nicht zentral wichtig. Angefangen vom Kartenverkauf für ein kulturelles Ereignis über die personale Publicity bestimm-
ter Schauspieler, die Talkshow-Strategien verwenden oder Bücher mit
provozierenden Buchtitel schreiben, um ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu kommen bis zum aufmerksamkeitsheischenden Event von
Greenpeace: All dies dient dazu, Aufmerksamkeit für ökonomische
und/oder ideologische, in Teilen durchaus auch breit konsentierte Interessen der jeweiligen Personen oder Organisationen zu erzeugen. Dies
geschieht heute in der Regel dadurch, daß Medienaufmerksamkeit erzeugt wird, d.h. daß sich Personen und Organisationen an den Nachrichtenfaktoren der Medien (= Medienlogik) orientieren (z.B. Aktualität,
Relevanz, Negativität, Prominenz, etc.) und so Berichterstattung induzieren. Auch Non-Profit-Organisationen, Umweltorganisationen bedienen
sich dieser Strategie. Gelegentlich, beispielsweise anläßlich der (auch
philosophisch inspirierten Diskussionen um den Golfkrieg) hat man den
Eindruck, daß auch manche philosophische Position oder zumindest
Formulierung sich auf diese Strategien einläßt.
Das Modell der "Informationstätigkeit" wird am besten durch die Tätigkeit von Organisations-"Sprechern" charakterisiert: Der Regierungssprecher, der Sprecher eines Unternehmens, eines Verbandes etc. teilt der
Öffentlichkeit mit, wie sich die Organisation entschieden hat, warum sie
dies getan hat, etc. gerade im Bereich der staatlichen PR und der Mittel
der Informationsbroschüren wird vor allem dieses Modell gewählt.
Häufig geht das Modell der Informationstätigkeit in das dritte Modell der
"asymmetrischen Kommunikation" über, bei dem es darum geht, auch
Feedback von seiten der Teilöffentlichkeiten zu bekommen. Dieses
Feedback wird aber vor allem dazu benutzt, die entsprechenden Strategien bzw. Ziele, die hinter den Strategien stehen, zu optimieren. Wenn
beispielsweise im Rahmen der AIDS-Kampagne der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BzGA) regelmäßig Meinungsumfragen über
die Wirkung der Kommunikation eingeholt werden, so entspricht dies
diesem Modell der asymmetrischen Kommunikation.
Beim Modell der "symmetrischen Kommunikation" muß davon ausgegangen werden, daß die beiden Kommunikationspartner zumindest
kommunikativ gleichberechtigt sind. Es geht darum, Verhandlungs- und
Konfliktlösungsstrategien einzusetzen, um Veränderungen in den Einstellungen und Verhaltensweisen sowohl der Organisation wie auch der
Teilöffentlichkeiten herbeizuführen. In der Regel sind dies Veränderungen, die für beide Kommunikationspartner Vorteile bieten. Wenn PRVerbände vor allem vom Dialog-Modell sprechen und Dialog nicht nur
als eine Strategie eingesetzt wird, ein für alle mal feststehende und nur
intern diskutierte Organisationsziele zu optimieren, sondern auch im
Dialog mit den entsprechenden Teilöffentlichkeiten (z. B. Bürgerinitiativen) Ziele, Mittel, Methoden, Kommunikation und Produktion in Frage
stellen zu lassen, so entspricht dies diesem Typ der symmetrischen
Kommunikation. Auch das Modell der "verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit" von Roland Burkart, der diesen Denkansatz auf Basis
der Überlegungen von Jürgen Habermas (Theorie des kommunikativen
Handelns) entwickelt hat, gehört in diesen Kontext (vgl. Bentele/Liebert
(1995)).
7. Situative Theorie der Teilöffentlichkeiten (Grunig)
Der Begriff "Teilöffentlichkeit" muß als ein PR-theoretischer Begriff
betrachtet werden, während der Begriff "Zielgruppe" primär als ein marketingtheoretischer Begriff verstanden werden muß. Während eine Ziel-
gruppe eine Gruppe von Menschen aus der Perspektive des Markthandelns von Organisationen definiert wird, wird der Begriff Teilöffentlichkeit zumindest vollständig nur im Rahmen einer gesellschaftsorientierten
Sichtweise deutlich. Es ist nicht nur möglich, sondern häufig schon eingetreten, daß sich Teilöffentlichkeiten in der Umgebung von Organisationen gebildet haben, deren Existenz überhaupt nicht im Kalkül der entsprechenden Organisation aufgetaucht ist. Beispielsweise hat das multinationale Unternehmen Shell nicht vorhergesehen, daß sich - vor allem
durch die Aktivitäten einer aktivistischen Teilöffentlichkeit (Greenpeace)
- viele Teilöffentlichkeiten, darunter auch ein relevanter Teil der ShellTankstellenkunden gegen das Unternehmen wandten.
Eine Teilöffentlichkeit wird nach Grunig/Hunt als eine Gruppe von
Menschen definiert, die a) einem ähnlichen Problem gegenüberstehen, b)
erkennen, daß dieses Problem besteht und sich c) organisieren, um mit
diesem Problem umzugehen. Auf Basis dieser Konzeption können folgende vier Typen von Teilöffentlichkeiten unterschieden werden. Erstens die Nicht-Teilöffentlichkeit: Es besteht kein Problem, a) bis c) in
der Liste treffen nicht zu. Zweitens die latente Teilöffentlichkeit: Das
Problem wird noch nicht erkannt, ist aber schon vorhanden, nur a) trifft
zu. Drittens die bewußte Teilöffentlichkeit: Das Problem wird als solches
erkannt, a) und b) treffen zu. Viertens die aktive Teilöffentlichkeit: Man
beginnt, sich zu organisieren um mit dem Problem umzugehen, a), b)
und c) treffen zu. Ein fünfter Typ, derjenige der aktivistischen Teilöffentlichkeit hat in den achtziger Jahre verstärkt Aufmerksamkeit erfahren. Aktivistische Teilöffentlichkeiten spielen eine besonders einflußreiche Rolle bei der Aktivierung der bewußten und der aktiven Teilöffentlichkeiten. Wir können vermutlich davon ausgehen, daß es sich bei
Greenpeace und ähnlichen Organisationen um einen neuartigen Organisationstyp handelt, dessen primäres Ziel ist, Medien-Öffentlichkeit und
damit für bestimmte (in diesem Fall umweltbezogene) Zielsetzungen
herzustellen und damit weitere Teilöffentlichkeiten zu erreichen und vor
allem teilweise zu mobilisieren.
8. Determinationshypothese
Verschiedene empirische Studien in den USA und Deutschland2 haben
eindeutig gezeigt, daß Journalismus ganz wesentlich von den Informationsleistungen der PR profitiert und ohne diese nicht denkbar wäre: In
vielen Berichterstattungsbereichen ist es so, daß etwa zwei Drittel des
redaktionellen Stoffes der Medienberichterstattung auf Quellen der PR
zurückgehen. Dies gilt auch für Nachrichtenagenturen. Journalisten ist
dieser Sachverhalt häufig nicht bewußt, da sie als Quelle häufig nur die
Informationen der Nachrichtenagenturen zur Kenntnis nehmen, deren
Quellen aber wiederum stark von den Informationsaktivitäten von PRAbteilungen, PR-Agenturen, Pressestellen, etc. "gefüttert" werden. Auch
die in Deutschland durchgeführten Studien können als Studien zur Untersuchung der "Determinationshypothese" interpretiert werden. Diese
Hypothese besagt kurz, daß Public Relations die Themen und das Timing der Berichterstattung bestimmen (determinieren), während Journalismus durch die Leistungen der Selektion, der Plazierung und der
sprachlichen Feinstrukturierung und zwar ebenfalls eine öffentliche
Kommunikationsleistung erbringt, die aber von der Kommunikationsleistung der Public Relations dominiert wird (vgl. Baerns 1985). Der
Begriff "Determination" ist in diesem Zusammenhang allerdings mißverständlich: Einmal gibt es keine "totale" Determination: Journalismus
könnte in diesem Fall keine eigenen Informationsleistungen aufweisen.
Aber auch eine Art "moderate Determination" kann mißverständlich
sein. Es ist sicher - und empirisch gut untersucht - ein thematischer und
auf die Zeitdimension bezogener Einfluß von PR-Seite auf das System
der Berichterstattung vorhanden. Dieser variiert von Situation zu Situation, von Thema zu Thema, von Medium zu Medium, bleibt aber als allgemeiner Einfluß erhalten. Gleichzeitig aber existieren Einflußbereiche,
die von den Medien, deren Logik -(Medienlogik) ausgehen und auf die
PR-Kommunikation wirken. Beispielsweise müssen sich PR2
Vgl. ursprünglich u.a. Baerns (1985); zu einem neueren Überblick vgl. Saffarnia
(1993)
Kommunikatoren an den journalistischen Nachrichtenwerten und Organisationsroutinen orientieren, um Erfolg haben zu können. Etwas differenziertere Interdependenz-Modelle wären also eher angebracht, die
Komplexität der tatsächlich ablaufenden öffentlichen Kommunikation in
diesem Bereich theoretisch zu rekonstruieren.
Das Modell der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit (Bentele/Liebert 1995) stellt ein auf Überlegungen von Habermas basierendes,
normatives Modell von Roland Burkart dar, das viel mit dem Typ der
symmetrischen Kommunikation von Grunig zu tun hat. Durch die Systematisierung, die auch eine Phaseneinteilung enthält, kann dieses Modell
Anhaltspunkte und Indikatoren für gelungene öffentliche Kommunikation, u.a. auf Krisensituationen bezogen, bereitstellen.
Daß es auch historisch von Beginn an ein wichtiges Ziel von Public
Relations war, Vertrauen zu schaffen, zu stabilisieren oder wiederherzustellen, kann auch in älteren Schriften zur PR nachgelesen werden. Nicht
nur in der Philosophie, sondern auch in den Sozialwissenschaften (z.B.
Soziologie, Psychologie, Kommunikationswissenschaft, Politische Wissenschaft) haben sich viele Autoren mit dem Phänomen Vertrauen befaßt. Für die PR-Forschung sind diejenigen Strukturen und Regeln öffentlichen Vertrauens wichtig, die Vertrauenskrisen, Vertrauensverluste,
aber auch Vertrauenswiederherstellung beschreiben und erklären können. Der Autor dieses Beitrag hat - vor allem aufbauend auf den Vertrauenstheorien von Niklas Luhmann und James E. Coleman - den Ansatz einer Theorie öffentlichen Vertrauens skizziert, der auch empirisch
umsetzbar scheint. Als wichtigster Erklärungsansatz für Vertrauenskrisen
und Vertrauensverluste spielt die "Diskrepanzhypothese" eine wichtige
Rolle: Überall dort, wo kommunikative Diskrepanzen innerhalb der
öffentlichen Kommunikation wahrnehmbar werden, ist die Wahrscheinlichkeit von Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlusten groß (vgl. Bentele 1992). In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Beispielen: Die
Affäre Barschel im politischen Bereich, Hoechst im Bereich der chemischen Industrie, Shell im Bereich der Mineralölindustrie. Überall spielten
kaum Probleme der zugeschriebenen Fachkompetenz eine Rolle, son-
dern diskrepantes Kommunikationsverhalten oder zumindest die Wahrnehmung solchen Verhaltens.
9. Gesellschaftliche Funktionen von Public Relations
Die beiden wichtigsten unmittelbaren PR-Funktionen auf der makrogesellschaftlichen Ebene sind die Information und die Persuasion. Was die
Informationsfunktion anbelangt, so läßt sich diese weiter ausdifferenzieren: dazu gehört zentral die Thematisierungsfunktion (PR generiert gesamtgesellschaftlich gesehen - Themen), die Verzeitlichungsfunktion
(Timingsfunktion) sowie die Funktion der Interpretation und Bewertung.
Ohne die Informationsleistungen des PR-Systems einer Gesellschaft
könnte Journalismus seine Informationsleistungen nicht erbringen. Insofern muß die Informationsfunktion der Public Relations heute als ähnlich fundamental wie die des Journalismus gesehen werden. Diese Funktion läßt sich demokratietheoretisch und damit normativ herleiten und
zusätzlich empirisch bestätigen. Bezüglich der normativen Herleitung
dieser Funktion kann auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1977
zur staatlichen Öffentlichkeitsarbeit verwiesen werden, in dem u.a. dargelegt wird, daß Öffentlichkeitsarbeit notwendig ist und dies u.a. mit der
Notwendigkeit der genügenden Informiertheit der Bürger begründet, die
vorhanden sein muß, um an der politischen Willensbildung verantwortlich teilzuhaben.
Die Persuasionsfunktion der PR ist einerseits normativ durch Artikel 5
GG gedeckt, andererseits empirisch durch eine Vielzahl von Daten, die
Kommunikationserfolge beispielsweise von Kampagnen ausweisen,
nachgewiesen. Es sind insbesondere die Akzeptanz bestimmter Positionen, Meinungen, Einstellungen, Wertvorstellungen und Verhalten, die
sich durch Öffentlichkeitsarbeit ändern lassen. Obwohl sich empirisch
Kommunikationserfolge zuhauf nachweisen lassen, gibt es keinen hundertprozentig vorhersagbaren Erfolgsmechanismus der Kommunikation.
In der Kommunikationswissenschaft sind die Kommunikationsmodelle,
die mit einfachen Ursache-Wirkungs- (Stimulus-Response)-mustern
arbeiten, längst überholt bzw. differenziert. Persuasion ist - innerhalb
einer pluralistisch-gesellschaftlichen Ordnung - ein legitimer Versuch
(keine Garantie!!) Partikularinteressen zu verbreiten, darüber zu informieren und zu kommunizieren. Freilich gilt dies für die Bundesregierung
und das Bundesverteidigungsministerium genauso wie für Greenpeace,
den Bäckereiverband, die Hochschulrektorenkonferenz oder die PDS.
Die wichtigsten mittelbaren Funktionen, die sich aus den unmittelbaren
Funktionen ergeben lassen sich u.a. mit Herstellung von Öffentlichkeit,
Herstellung öffentlichen Vertrauens, gesellschaftlicher Verständigung
und der Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses auflisten.
10. Die Moral in und die Zukunft für die PR
Auch für die makrogesellschaftliche Ebene gelten bestimmte professionelle (insbesondere moralische) Standards, die zwar Normcharakter
haben, d.h. in der beruflichen Realität nicht überall und häufig auch gar
nicht anzutreffen sind, die aber die das Erreichen der mittelbaren Funktionen begünstigen bzw. optimieren können. Dazu zählen: Wahrheit und
Objektivität der Darstellung, der PR-Information; Kompetenz und instrumentelle Professionalität, Offenheit in der Kommunikationshaltung,
Transparenz (ein bestimmter Typ von Offenheit), etc. Solche moralischen Normen sind in schriftlich fixierten Berufskodizes niedergelegt,
die allerdings erst ansatzweise kontrolliert werden. Die Fortentwicklung
dieser moralischen Standards, die Entwicklung von Berufsethiken und
der Kontrolle macht ein Element im Prozeß der beruflichen Professionalisierung aus.
Durch Prozesse des gesellschaftlichen Wertewandels, durch den Strukturwandel unserer Gesellschaften von industriellen Gesellschaften in
Informations- und - weitergehend - Kommunikationsgesellschaften gewinnt Public Relations wichtige gesellschaftliche Funktionen, die heute
schon teilweise realisiert sind. PR wird nicht nur als notwendiger Informationsvermittler und Themengenerator dienen, sondern auch als Frühwarnsystem und - makrogesellschaftlich betrachtet - als Konfliktregler,
als Instrument, wichtige gesellschaftliche Konflikte auszutragen und soweit möglich - kommunikativ zu lösen. Dies wird gleichzeitig auch die
heutige PR-Praxis verändern.
Wenn diese innere Veränderung zumindest in einem großen Teil des PRBerufsfeldes verwirklicht sein wird, sollte niemand mehr auf den Gedanken kommen, PR umstandslos mit Werbung zu identifizieren oder von
den "neuen geheimen Verführern PR" zu sprechen (Ruß-Mohl 1992,
121). Wenn Bezeichnung und Verständnis von Public Relations als
"Fünfter Gewalt" nicht mehr als Bedrohung erscheinen wird, sondern als
neutrale Beschreibung ihrer tatsächlichen Funktionen, dann wird dieser
Veränderungsprozeß vorläufig abgeschlossen sein. Nicht das Horrorszenario der "Auflösung von Öffentlichkeit in PR" (vgl. Ludes 1993) beschreibt die Zukunft der PR, sondern die Perspektive "PR als konstitutiver Faktor im Prozeß der öffentlichen Kommunikation". PR wird - im
Wechselspiel mit den Medien - ein konstitutiver Faktor zur Herstellung
von Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften sein.
Literatur:
Avenarius, Horst (1995), Public Relations. Die Grundform der gesellschaftlichen Kommunikation. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Baerns, Barbara (1985), Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus. Zum
Einfluß im Mediensystem. Köln: Wissenschaft und Politik.
Bentele, Günter (1991 a), "Ethik der Public Relations als wissenschaftliche
Herausforderung."
In:
AVENARIUS,
Horst/Wolfgang
ALBRECHT (Hrsg.)(1991), Ist Public Relations eine Wissenschaft?
Grundlagen und interdisziplinäre Ansätze. Band 1. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 151-170.
Bentele, Günter (1994): Öffentliches Vertrauen - normative und soziale
Grundlage für Public Relations. In: Armbrecht, Wolfgang/Ulf Zabel
(Hrsg.)(1994), Normative Aspekte der Public Relations. Grundlagen und
Perspektiven. Eine Einführung. Opladen, S. 131-158.
Bentele, Günter/Tobias Liebert (Hrsg.)(1995), Verständigungsorientierte
Öffentlichkeitsarbeit. Darstellung und Diskussion des Ansatzes von
Roland Burkart. Leipziger Skripten für Public Relations und Kommunikationsmanagement, Nr. 1 (1995). Leipzig: Inst. für Kommunikationsund Medienwissenschaft.
Grunig, James E./Todd Hunt (1984): Managing Public Relations. New
York, etc.
Harlow, Rex (1976), "Building a Public Relations Definition." In: Public
Relations Review, Winter 1976, 2.
Kunczik, Michael (1993): Public Relations. Konzepte und Theorien.
Köln.
Lieb, Jutta (1991), P.R. Bibliographischer Überblick über Themenbereiche der Öffentlichkeitsarbeit. Bardowick: Wissenschaftler Verlag.
Ludes, Peter (1993): Auf dem Weg zu einer 'fünften Gewalt'. Die Auflösung von Öffentlichkeit in Public Relations. In: medium 2/93, S. 8-11.
Ronneberger, Franz/Manfred Rühl (1992): Theorie der Public Relations.
Ein Entwurf. Opladen.
Ruß-Mohl, Stephan (1992): Gefährdete Autonomie? Zur Außen- und
Selbststeuerung von Public Relations. In: Avenarius, Horst/Wolfgang
Armbrecht (Hrsg.)(1992), Ist Public Relations eine Wissenschaft? Opladen, S. 311-324.
Saffarnia, Pierre, A. (1993), Determiniert Öffentlichkeitsarbeit tatsächlich
den Journalismus? Empirische Belege und theoretische Überlegungen
gegen die Determinierungsannahme. In: Publizistik, 38,3, S. 412-425.
Signitzer, Benno (1988), "Public Relations-Forschung im Überblick." In:
Publizistik, Jg.33, Heft 1, S.92-116.
Schulze-Fürstenow, Günther/Bernd-Jürgen Martini (1994 ff.), Handbuch PR. Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaft, Verbänden, Behörden.
Neuwied: Luchterhand.
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