Sontag, Henriette (Friedrich Zelter, in: Heinrich Stümcke. Henriette Sontag. Ein Lebens- und Zeitbild, Berlin, Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1913, S. 84 f.) Profil Henriette Sontag wirkte bis zu ihrem 24. Lebensjahr an den großen Opernhäusern Europas. Ihr Bühnendebüt gab sie am Prager Nationaltheater, dem sich weitere Engagements in Wien, Berlin, Paris und London anschlossen. Die Sängerin war besonders berühmt als Darstellerin der Susanna aus Mozarts „Le Nozze di Figaro“ und sang vor allem Rollen des leichten, brillanten Fachs wie die Titelpartie aus Rossinis „Semiramide“ oder die Amina aus Bellinis „La Sonnambula“; sie gilt als bedeutendste Koloratursopranistin ihrer Epoche. Nach ihrer Heirat mit dem Diplomaten Graf Carlo Rossi, nahm sie Abschied von der Bühne und widmete sich nur mehr ihrem Mann und ihren Kindern. Erst in den Revolutionsjahren 1848/49, als sich die finanzielle Situation der Familie verschlechtert hatte, kehrte Henriette Sontag auf die Bühne Henriette Sontag. Lithographie von Emma Mathieu. Henriette Sontag Ehename: Henriette Gertrude Rossi Varianten: Henriette Rossi, Henriette Sontag-Rossi, Henriette Gertrude Walpurga Sontag, Henriette Gertrude Walpurga Rossi, Henriette Gertrude Walpurga Sontag-Rossi * 3. Januar 1806 in Koblenz, Deutschland † 17. Juni 1854 in Mexiko Stadt, Nordamerika Opernsängerin, Sopranistin zurück. Obwohl sie schon 43 Jahre alt war, konnte sie mühelos an ihre Karriere anknüpfen und feierte auch in Amerika große Erfolge. Orte und Länder Henriette Sontag wirkte bis 1830 an allen großen Bühnen Zentraleuropas. Ihre Karriere begann in Prag und setzte sich in Wien, Berlin, Paris und London fort. Nach ihrer Heirat mit dem Diplomaten Graf Carlo Rossi gab sie nur noch vereinzelt und in privatem Rahmen Konzerte. Die Familie Rossi lebte zunächst in Den Haag und Franfurt/Main. Aus beruflichen Gründen folgte der Umzug nach St. Petersburg und schließlich nach Berlin. Im Jahr 1849 nahm Henriette Sontag ihre Karriere wieder auf, sang in England und Schottland (Manchester, Birming- „Wenn ich keine einzelne besondere Eigenschaft an ihr herauszuheben wüsste, so ist ihr ganzes Wesen eine erfreuliche Erscheinung auf den Brettern. Sie weiß ihre niedliche Person als dritte, vierte und fünfte usw. unter so vielem Ungewohnten auf einem größern Theater immer glücklich aufzustellen, und da sie vollkommen vokalisiert und artikuliert, leuchtet ihr Stimme auch unter den viel stärkern wie ein klares Gestirn herab. Ihr Gesicht geht gleichsam parallel mit der Melodie und so auch Arme und Hände, und das alles wiederholt sich nicht, es bleibt das Nämliche und ist doch neu.“ ham, Southampton, Wright, Brighton, Liverpool, Edinburgh, Glasgow, York, Bristol, Exeter), trat in London und Paris auf und schloss eine Tournee durch die wichtigsten Städte Deutschlands an. Im August 1852 reiste sie nach Amerika. Dort sang sie in New York und gab Gastspiele in Philadelphia, Boston, Baltimore, Louisville, New Orleans, Cincinnati und Buffalo. Zuletzt lebte sie in Mexiko Stadt. Biografie Henriette Sontag war die Tochter des Schauspielerehepaares Franziska und Franz Sontag. Noch vor ihrer Ges- –1– Sontag, Henriette angsausbildung am Prager Konservatorium von 1817 bis rin der Altistin Anna Czegka-Aurhammer. Einen ersten 1821 wirkte sie schon im Alter von fünf Jahren bei Thea- großen Erfolge erzielte Henriette Sontag, als sie im Jahr teraufführungen mit. 1819 am Nationaltheater in Prag als Prinzessin von Na- Ihr Debüt als Opernsängerin erfolgte 1819 am Prager varra in François Adrien Boieldieus Oper „Jean de Paris“ Ständetheater als Prinzessin von Navarra in François Ad- für eine erkrankte Sängerin einsprang. Bald wurden ihr rien Boieldieus „Jean de Paris“. Ab 1822 folgten Gastspie- am Prager Nationaltheater größere Rollen übertragen: le in Wien, zuerst im Theater an der Wien und dann im Clorinde in Nicolas Isouards „Cendrillon“, Myrrha in Pe- Hoftheater am Kärntnertor, wo Carl Maria von Weber ter von Winters „Das unterbrochene Opferfest“, Margue- auf sie aufmerksam wurde und ihr die Titelrolle seiner rite in André-Ernest-Modeste Grétrys „Richard Coeur de neuen Oper „Euryanthe“ zur Uraufführung anbot. 1825 Lion“, Sophie in Ferdinando Paers „Sargino“, Amenaide verabschiedete sie sich, als mittlerweile arrivierte Ges- in Rossinis „Tancredi“, Rosina in Rossinis „Il barbiere di angskünstlerin, von Wien und reiste über Leipzig nach Siviglia“, Giulietta in Niccolò Antonio Zingarellis „Ro- Berlin, wo sie zunächst am Königstädter Theater und meo e Giulietta“, Zerlina in Wolfgang Amadeus Mozarts dann an der Hofoper für Furore sorgte und von den Berli- „Don Giovanni“, Agathe in Webers „Der Freischütz“). nern vergöttert wurde („Sontag-Fieber“). 1826 holte Nun wurde man auch in Wien auf sie aufmerksam, und Gioacchino Rossini sie nach Paris, wo er seit 1824 Direk- am 22. Juli 1822 gab sie ihr Debüt im Theater an der Wi- tor am Théâtre Italien war. 1828 stellte sie sich dem Lon- en als Prinzessin von Navarra. Auch als Agathe und im doner Publikum vor. Nach ihrer Vermählung mit dem Hoftheater am Kärntnertor als Rosina begeisterte die sardischen Diplomaten Carlo Graf Rossi im Jahr 1827 Sechzehnjährige das Wiener Publikum. Eine großzügige gab sie ihre Karriere im Alter von 24 Jahren auf dem Hö- Gage und das Mitengagement ihrer Mutter sollte den hepunkt ihres Erfolges zu Gunsten ihrer Ehe auf, die für neuen Liebling der Wiener in der Stadt halten, und so ihren Mann, den Grafen Rossi, als nicht standesgemäß trat sie am 4. April 1823 ihr Engagement mit der Rolle betrachtet wurde. Henriette Sontag trat sang auch weiter- der Donna Anna aus Mozarts „Don Giovanni“ an. Da in hin, jedoch vor allem in privaten Kreisen. Wien zu jener Zeit der so genannte „Opernkrieg“ zwi- Nach dem finanziellen Ruin ihres Mannes während der schen den Anhängern der deutschen und der italieni- Märzrevolution 1848, nahm sie ihre Opernlaufbahn im schen Musik herrschte, galt es nicht nur die deutschen Alter von 43 Jahren wieder auf. Sie konnte an ihre einsti- Anhänger mit ihrer Donna Anna zu überzeugen, sondern gen Erfolge anknüpfen und sie sogar noch ausbauen, wo- auch sich im italienischen Fach zu beweisen. Der Trium- bei sie nun auch dramatische Partien wie Bellinis „Nor- ph erfolgte im August 1823 in der Rolle der Elena aus ma“ in ihr Repertoire aufnahm. Um die Familie finanzi- Rossinis „La donna del Lago“, womit sie die italienische ell abzusichern, begab sie sich 1852 auf eine Tournee Partei auf ihre Seite zog und auch Carl Maria von Weber durch Amerika, die sie schließlich auch nach Mexiko begeisterte, der sie gleich aufsuchte, um ihr persönlich führte. Dort starb Henriette Sontag 1854 an der Cholera. seine neue Oper „Euryanthe“ vorzustellen und ihr die Mehr zu Biografie Hauptrolle anzubieten. „Euryanthe“ wurde dank Henriette Sontags Mitwirkung nach der Premiere noch 20 Mal Henriette Sontag kam am 3. Januar 1806 in Koblenz zur gespielt, bevor sie vom Spielplan verschwand. Die gro- Welt. Ihre Eltern waren die Schauspielerin Franziska ßen Erfolge der jungen Sopranistin waren auch Ludwig Sontag, geborene Marckloff, und der Schauspieler und van Beethoven bekannt geworden, der sie für den Sopran- Sänger Franz Anton Sontag. part der Uraufführung seiner „Missa Solemnis“ und der Erste Erwähnung fand Henriettes Name auf einem Darm- Symphonie Nr. 9 am 7. Mai 1824 verpflichtete. städter Theaterzettel, wo sie schon als Fünfjährige in Au- Mit zunehmender Verschlechterung der finanziellen La- gust von Kotzebues Einakter „Die Beichte“ mitspielte. ge der Wiener Oper, begann sich Franziska Sontag nach Bald wurden dem Mädchen größere Rollen anvertraut. besseren Engagements für ihre Tochter Henriette umzu- Nach der Trennung von ihrem Mann nahm Franziska sehen, immer unter der Bedingung, deren dreizehnjähri- Sontag ein Engagement in Prag an und zog mit ihren bei- ge Schwester Nina und sich selbst mitzuengagieren. In den Kindern Henriette und der jüngeren Anna, genannt Leipzig, wo die Sontags zur Erstaufführung von Webers Nina, in die böhmische Hauptstadt. Hier begann Henriet- „Euryanthe“ gastierten, wurden sie mit Angeboten von te Sontags musikalische Ausbildung: Am 1. Juli 1817 trat Berliner Theatern überschüttet. Nach langen Verhand- sie in das Musikkonservatorium in Prag ein, als Schüle- lungen mit der Mutter Sontag wurde ein Vertrag für die –2– Sontag, Henriette drei Sontags mit dem Berliner Königstädter Theater un- vataudienz bei Königin Victoria erhielt. Die Rivalitäten terzeichnet. Um Abwechslung zu den bisher herausge- zwischen den Primadonnen Maria Malibran und Henriet- brachten Lokalpossen, Vaudevilles und älteren Wiener te Sontag konnten während eines kleinen Konzertes in Komödien zu schaffen, wollte man am neueröffneten Kö- privatem Rahmen beendet werden, so dass die beiden nigstädter Theater mit der italienischen komischen Oper Sängerinnen später sogar voll Verehrung füreinander ge- neues Publikum anlocken. Henriette Sontags erster Auft- meinsam auftraten. ritt in Berlin fand am 3. August 1825, dem Geburtstag 1830 wurde ihre bereits zwei Jahre zuvor heimlich gesch- des Königs Friedrich Wilhelm III., in der Rolle der Isabel- lossene Ehe mit dem Grafen Carlo Rossi, einem sardi- la in Rossinis „L' Italiana in Algeri“ statt. Dieser Abend schen Diplomaten, bekannt. Die Verbindung war geheim löste in und um Berlin das „Sontag-Fieber“ aus und legte geblieben, um Rossis Stellung am sardischen Hof nicht den Grundstein zu ihrem internationalen Erfolg. Im Mai zu gefährden, wo eine Ehe mit einer Theaterdame nicht 1826 folgte die Auszeichnung zur königlich preußischen gebilligt worden wäre. Bereits im Dezember 1828 hatte Kammersängerin durch König Friedrich Wilhelm III. Henriette ihre Tochter Jettchen geboren, die jedoch schon bald darauf gestorben war. Damit Henriette Son- Paris und London tag der Stellung einer Diplomatenfrau gerecht werden Ein lukrativer Gastvertrag, den ihr Gioacchino Rossini, konnte, forderte der Turiner Hof von ihr, die Bühne für damals Direktor des Théâtre Italien, angeboten hatte, immer zu verlassen. Es wurde ihr allerdings gestattet – führte Henriette Sontag nach Paris. Zuvor musste sie je- wie vereinbart zwischen den Höfen von Berlin und Turin doch noch vom Berliner Publikum Abschied nehmen, – noch 14 Mal aufzutreten. Mit Rossinis Oper „Semirami- das sie noch einmal feierte und danach in der „Sontag- de“ feierte die Sängerin am 22. Mai 1830 ihren Abschied Trauer“ versank. Ihr Gastspiel in Paris dauerte vom 15. von der Bühne. Zur Besänftigung des sardischen Adels Juni bis 23. Juli 1826; danach verließ sie Frankreich als hob der Preußenkönig die vermählte Gräfin Rossi am 22. Weltberühmtheit. August in den Adelsstand unter dem Namen von Lauen- Auf ihrem Rückweg nach Berlin machte Henriette Son- stein. Bis dem Ehepaar gestattet wurde, die Verbindung tag am 4. September 1826 Halt in Weimar und gab dort publik zu machen, war es der Sängerin erlaubt in Konzer- ein Gastspiel. In Johann Wolfgang von Goethes Tage- ten aufzutreten. Diese Zeit nutzte sie für eine Konzertrei- buch war ihr Name bereits am 3. Juni 1826 zum ersten se, die sie bis nach Russland führte. Mal aufgetaucht; seitdem hatte der Dichter großes Interesse am Wirken der Sängerin gezeigt und sich darum be- Gräfin Henriette Rossi müht, sie für ein Gastspiel in Weimar zu gewinnen. Als Ab Oktober 1831 lebte Henriette Sontag als Frau des Ge- sie nun Station in Weimar machte, sang sie im Hofthea- sandten Graf Rossi in Den Haag und kümmerte sich ter die Rosina in Rossinis „Barbier von Sevilla“ und traf hauptsächlich um ihre Kinder Alexander, Camillo und sich anschließend mit Goethe (vgl. Kühner, Große Sänge- Maria. Alexandrine und Luigi kamen später in St. Peters- rinnen, S. 93). burg zur Welt und ein siebtes Kind in Berlin (vgl. Stüm- Zurück in Berlin brach nach ihrem ersten Auftritt am 11. cke, Sontag, S. 164, 170 u. 172). Nach vier Jahren wurde September erneut der „Sontag-Wahn“ aus. Auch der Kö- ihr Mann als bevollmächtigter Minister in den Bundes- nig zeigte sich begeistert; er bot ihr ein Engagement an tag nach Frankfurt/Main berufen. Nach drei Jahren folg- der Hofoper an und ließ ihr die Freiheit, sich ihre Rollen te die Versetzung nach St. Petersburg als sardinischer selbst auszusuchen. Dennoch nahm sie nur einen Gast- Botschafter. Zar Nikolaus I. ließ sofort nach Turin mel- vertrag für 15 Rollen an, den sie am 29. September als den, dass er die berühmte Sängerin zu hören wünsche. Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ antrat. Am 5. Sie trat dann in der St. Petersburger Hofoper u.a. in „La November nahm sie erneut von Berlin Abschied und be- Sonnambula“ von Vincenzo Bellini und in „Lucia di Lam- gab sich über Weimar, Frankfurt/Main, Göttingen, mermoor“ von Gaetano Donizetti auf. Auf Grund der ho- Darmstadt und Den Haag wieder auf den Weg nach Pa- hen Lebenshaltungskosten schwanden die Ersparnisse ris, wo sie diesmal Bekanntschaft mit Eugène Scribe, der Rossis während der Petersburger Zeit. 1841 zog die Théophile Gautier und Daniel-François-Esprit Auber Familie wieder nach Berlin. Hier eröffnete Henriette Son- machte. tag einen Salon der rasch zum Mittelpunkt der Musik Im April 1828 trat sie erstmals in London auf, wo sie und Kunst liebenden Gesellschaft wurde (vgl. Kühner, ebenfalls große Erfolge verbuchen konnte und eine Pri- Große Sängerinnen, 123). –3– Sontag, Henriette Während all der Jahre hatte Henriette Sontag die Musik nichts von ihrer wunderbaren, sie einst charakterisieren- nie ganz aufgegeben und sang immer wieder in Konzer- den Geschmeidigkeit verloren, und ohne die Einbildung ten oder zu wohltätigen Zwecken. Von den sieben Kin- sehr bemühen zu müssen, findet man heute in Mme. Son- dern, die die Gräfin im Laufe der Jahre geboren hatte, tag die Vollkommenheit, den Zauber, den maßvoll-ge- überlebten nur vier. Doch das Einkommen ihres Mannes dämpften Ausdruck wieder, der sie unter die prominen- reichte nicht für die Familie, und die Geldsorgen versch- ten Sängerinnen einreiht, welche Europa seit einem hal- limmerten sich stetig, zumal das Ehepaar während der ben Jahrhundert in Staunen setzen.“ Siehe Stümcke, Son- Märzrevolution in Berlin 1848 hohe Verluste bei seinen tag, S. 211) Wertpapieren hinnehmen musste. Dazu kam noch, dass Anschließend reiste Henriette Sontag zurück nach Lon- es in Italien zum Sturz König Karl Alberts, dem Freund don, wo sie im Rahmen der Weltausstellung 1851 in Giu- und Förderer des Grafen Rossi, gekommen war, und so- lio Eugenio Abramo Alarys „Le tre nozze“ auftrat, löste si- mit die Stellung des Grafen Rossi ins Wanken geriet. Als ch jedoch danach von ihrem Agenten Lumley, mit dem ihm abermals die Trennung von seiner Frau nahegelegt es zu finanziellen Unstimmigkeiten gekommen war, und wurde, quittierte er umgehend seinen Dienst und wurde kehrte zurück nach Deutschland. Hier feierte sie große in den Ruhestand versetzt. Erfolge auf Tourneen durch viele deutsche Städte. Um den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern, entschloss sich Henriette Sontag, an die Bühne zurückzukeh- Amerika ren. Benjamin Lumley, der frühere Impresario der Sänge- Um ihre Kinder finanziell abzusichern, entschied sie si- rin Jenny Lind, leitete jetzt in London Her Majesty's ch, dem Beispiel der Sängerin Jenny Lind zu folgen, die Theatre (das ehemalige King's Theatre) und ermöglichte in Amerika ein Vermögen verdient hatte. Begleitet von ih- Henriette Sontag die Rückkehr auf die Bühne (Pirchan, rem Ehemann und einem kleinen Gefolge ging sie am 25. Sontag, S. 146). Am 28. Juni 1849 verließ die Sängerin August 1852 in Liverpool an Bord. Die Kinder blieben in Berlin und trat am 7. Juli ihr Engagement am Londoner Europa zurück. Nach der 12tägigen Reise begann für Her Majesty’s Theatre in der Titelrolle von Donizettis Henriette Sontag in Amerika ein arbeitsreiches Leben. In „Linda von Chamounix“ an. Im Anschluss an die Londo- New York gab sie zuerst 23 Konzerte und trat dann in ner Saison unternahm sie eine Tournee durch Großbri- der Oper auf. Sie hatte für New York drei neue Rollen in tannien und Schottland, gefolgt von einem Gastspiel von ihr Repertoire aufgenommen, und zwar aus Donizettis Her Majesty's Theatre 1851 in Paris. Trotz 20jähriger „L'elisir d'amore“, „Maria di Rohan“ und „Lucrezia Bor- Bühnenpause überzeugte sie nach wie vor, schien sogar gia“. Das begeisterte New Yorker Publikum verlieh ihr noch besser geworden zu sein. Die „Revue des deux mon- den Namen „Queen of Song“ (Pirchan, Sontag, S. 182). des“ schrieb: Aber nicht nur in New York trat sie auf, auch in Buffalo, „La voix de Mdme. Sontag est assez bien conservée. Si les Cleveland, St. Louis, Louisville, Cincinnati, Washington cordes inférieures ont perdu de leur plénitude et se sont und New Orleans. alourdies un peu sous la main du temps, comme cela ar- Schließlich konnte sie mit dem Direktor des St. Anna- rive toujours aux voix soprano, les notes supérieures Theaters in Mexiko, dem Franzosen René Masson, einen sont encore pleines de rondeur et de charme. Son talent Vertrag schließen, dessen Honorar alle bisherigen Ange- est presque aussi exquis qu'il était il y a vingt ans, sa voca- bote überstieg. Von New Orleans schiffte sie am 1. April lisation n'a rien perdu de la merveilleuse flexibilité qui la 1854 nach Vera Cruz ein – die überfahrt dauerte vier Ta- caractérisait autrefois , et sans beaucoup d'efforts d'ima- ge – und reiste von dort mit dem Postwagen weiter. Ihr gination, on retrouve aujourd'hui dans Mdme. Sontag le Debüt am St. Anna-Theater gab Henriette Sontag am 21. fini, le charme, l'expression temperée et sourdine, qui la April 1854 in Bellinis „La Sonnambula“ Das mexikani- distinguaient parmi les cantatrices éminentes qui ont sche Klima bekam ihr gut, und sowohl ihre Stimme als émerveillé l'Europe depuis un demi-siècle.“ („Die Stim- auch ihre Gesundheit profitierten von den gleichmäßigen me der Mme. Sontag hat sich gut erhalten. Wenn die tie- Temperaturen. Trotz großer Triumphe plante Henriette feren Töne auch an Fülle verloren haben und im Lauf der Sontag schon bald ihre Rückkehr. Jahre schwerer geworden sind, wie es bei Sopranistin- Ihre plötzliche Cholera-Erkrankung am 11. Juni machten nen immer geschieht, so sind die höheren Noten voll zau- die Pläne jedoch zunichte. Henriette Sontag starb am 17. berhafter Abgerundetheit. Ihr Talent ist so ausgezeich- Juni 1854 in Mexiko. Zwei Tage später fanden ein feierli- net, wie es vor zwanzig Jahren war, ihre Vokalisation hat cher Trauerzug und eine provisorische Beisetzung in der –4– Sontag, Henriette Klosterkirche San Fernando statt. Die Überführung in le premier.“ („Sie ist die erste Sängerin ihres Fachs, aber die Heimat erfolgte erst nach der Regenzeit, am 28. No- ihr Fach ist nicht das erste.“ Vgl. Stümcke, Sontag, S. 89) vember 1854. Am 3. Mai des darauffolgenden Jahres wur- Bei Recherchen zu Henriette Sontag fällt außerdem auf, de sie im Kloster Marienthal in der Lausitz, in das Henri- dass amerikanische Bibliotheken mehr Sekundärlitera- ette Sontags Schwester Nina schließlich eingetreten war, tur über die Künstlerin bereithalten als deutsche. Es wä- beigesetzt. re zu untersuchen, ob Henriette Sontag in den USA einen höheren Bekanntheitsgrad genießt als in Deutsch- Würdigung land. Henriette Sontag feierte zu ihren Lebzeiten außergewöhnliche sängerische Erfolge. Zentrum ihres künstlerischen Repertoire Schaffens bildete dabei hauptsächlich die Oper. In dieser Opernrollen Gattung galt sie als bedeutendste Gesangskünstlerin ih- (Komponist, Oper, Rolle) rer Epoche. Ihre glockenreine, in allen Lagen ausgeglichene, überaus Domenico Cimarosa: „Il matrimonio segreto“, Carolina bewegliche Stimme traf den Geschmack ihrer Zeit, und Niccolò Antonio Zingarelli: „Romeo e Giulietta”, Giuliet- durch ihre mädchenhafte Gestalt konnte sie auch darstel- ta lerisch überzeugen (Stümcke, Sontag S. 42 f.). Peter von Winter: „Das unterbrochene Opferfest“, Myrr- Henriette Sontags Erfolge waren denen einer Maria Mali- ha bran oder Giuditta Pasta ebenbürtig. Nach ihrer länge- Wolfgang Amadeus Mozart: „Le nozze di Figaro“, Susan- ren sängerischen Schaffenspause erweiterte sie ihr Reper- na toire an Partien des leichten Fachs durch dramatische Wolfgang Amadeus Mozart: „Don Giovanni“, Zerlina, Rollen, u.a. mit Vincenzo Bellinis „Norma“. Donna Anna Ferdinando Paër: „Sargines“, Sophie Rezeption Anton Fürst von Radziwill: „Faust“, Gretchen Henriette Sontag wurde von ihren Anhängern enthusias- François Adrien Boieldieu: „Jean de Paris“, Prinzessin tisch verehrt. Höhepunkt ihrer Karriere war ihre Verpf- von Navarra lichtung in Berlin an der Hofoper 1825/26. Durch das En- Daniel-François-Esprit Auber: „La neige“, Berthe gagement der berühmten Sängerin versprach sich die Daniel-François-Esprit Auber: „L' ambassadrice“, Gräfin Theaterleitung wieder steigende Besucherzahlen. Westerburg Das große Interesse, das ihr daraufhin von den Berlinern ent- Daniel-François-Esprit Auber: „L' enfant prodigue“ gegengebracht wurde, betraf nicht nur ihr künstlerisches Carl Maria von Weber: „Der Freischütz“, Agathe Schaffen, sondern auch ihr Privatleben. Die besondere Carl Maria von Weber: „Euryanthe“, Euryanthe Verehrung, die ihr zu Teil wurde, bezeichnete man schon Gioacchino Rossini: „L' Italiana in Algeri“, Isabella zu Zeiten ihres Berlinaufenthalts als „Sontag-Fieber“ Gioacchino Rossini: „Tancredi“, Amenaide (Stümcke, Sontag, S. 48-51) und schlug sich in zahlrei- Gioacchino Rossini: „Il barbiere di Siviglia“, Rosina chen Liedern, Gedichten und Artikeln – von genervten Gioacchino Rossini: „Otello“, Desdemona Sontag-Gegnern auch in satirischer oder parodistischer Gioacchino Rossini: „La Cenerentola“, Angelina Form – nieder. Der Theologe und Theatergegner Gottget- Gioacchino Rossini: „La donna del Lago“, Elena reu Tholuck verfasste beispielsweise die Verse (nach Gaetano Donizetti: „L'Elisir d'amore“, Adina Stümcke, Sontag, S. 87): Gaetano Donizetti: „Lucrezia Borgia“, Lucrezia „Wie preißt man sie nicht als der Oper Zierde, Gaetano Donizetti: „Lucia di Lammermoor“, Lucia Und sie vergöttert mancher gute Christ. Gaetano Donizetti: „La Fille du Régiment“, Marie O, daß d e r Sonntag so gefeiert würde, Gaetano Donizetti: „Linda di Chamounix“, Linda Wie es d i e Sontag ist.“ Gaetano Donizetti: „Maria di Rohan“, Maria Heute wird die Sängerin Henriette Sontag kaum noch als Jacques Fromental Halévy: „La Tempesta“, Miranda ebenbürtig mit Maria Malibran oder Angelica Catalani er- Vincenzo Bellini: „La Sonnambula“, Amina achtet. Möglicherweise traf Angelica Catalani mit ihrer Aussage über Henriette Sontag einen der Gründe: „Elle est la première dans son genre, mais son genre n'est pas Konzerte –5– Sontag, Henriette (Auswahl) dermeier“, Wien, Wilhelm Frick Verlag, 1946 Giovanni Battista Pergolesi: „Stabat mater“ Russel, Frank. „Queen of Song. The life of Henrietta Son- Wolfgang Amadeus Mozart: „Magnificat“, KV 193 tag“, New York, Exposition Press, 1964 Ludwig van Beethoven: Missa Solemnis, Symphonie Nr. 9 Quellen Primärliteratur Stümcke, Heinrich. „Henriette Sontag. Ein Lebens- und Zeitbild“, Berlin, Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1913 Forschung Gautier, Théophile. L' Ambassadrice. Biographie de la Es gibt zahlreiche Quellen und Dokumente (hauptsächli- Comtesse Rossi, Paris 1850 ch Briefe) bezüglich Henriette Sontag, die bislang kaum erforscht wurden und unveröffentlicht in verschiedenen Gundling, Julius. Henriette Sontag. Künstlerlebens An- Bibliotheken und Museen (z.B. in der Staatsbibliothek zu fänge in Federzeichnungen, Grunow, Leipzig, 1841 Berlin, in der Wiener Stadtbibliothek oder im Landesmuseum Prag) liegen. Auch zahlreiche Rezensionen und Zei- Rellstab, Ludwig. Henriette, oder die schöne Sängerin: tungsartikel über die Sängerin, die eine wichtige For- Eine Geschichte unserer Tage. (von Freimund Zuschau- schungsgrundlage für eine Rezeptionsgeschichte bilden, er), Herbig, Leipzig, 1826 sind bislang nicht hinreichend ausgewertet worden. Eine ausführliche bibliographische Auflistung (auch anony- Sontag, Carl. Vom Nachtwächter zum türkischen Kaiser! mer Zeitungsartikel) findet sich im Anhang bei Emil Pir- Bühnenerlebnisse aus dem Tagebuch eines Uninteressan- chan (siehe Literatur). ten, Hannover, Helwing, 1875 Bei der Stichwortsuche über den „Karlsruher Virtuellen Katalog“ (KVK) findet sich erstaunlicherweise mehr Sekundärliteratur in den USA (Library of Congress) als im Sekundärliteratur Becker, W.J. „Henriette Sontag“, in: für Heimatkunde europäischen Ausland. Forschungsbedarf des Regierungsbezirkes Coblenz und der angrenzenden Die aktuellsten und umfassendsten Publikationen über Gebiete von Hessen-Nassau, Koblenz 1921, Heft Nr.14, S. Henriette Sontag liegen bereits Jahrzehnte zurück, so 52-55 dass Bedarf an einer neuen wissenschaftlichen Studie über die Sängerin besteht. Insbesondere die Forschung Karrenbrock-Berger, Anneli. „ Henriette Sontag - eine eu- zu ihrem Opernrepertoire weist Lücken auf und müsste ropäische Nachtigall“, in: Karrenbrock-Berger, Anneli vervollständigt werden. Eine Untersuchung ihrer vielsei- (Hg.), „Mutter-Beethoven-Haus, Höfische Kultur und ge- tigen Konzerttätigkeit, gerade in den Jahren nach ihrer sellschaftliches Leben in Ehrenbreitstein“ (Mittelrhein- Heirat mit dem Grafen Rossi, steht ebenso noch aus. In Museum Koblenz), Kleine Reihe Bd. 6, Görres Verlag, diesem Zusammenhang wäre auch Henriette Sontags Koblenz, 2005, S. 60-64 Berliner Salon näher zu betrachten. Darüber hinaus wäre eine Sammlung und kritische Edition ihrer Korrespon- Kühner, Hans. „Große Sängerinnen der Klassik und Ro- denz als wichtige Grundlage zur Opern-, Gesangs- und mantik. Ihre Kunst – ihre Größe – ihre Tragik“, Victoria Genderforschung erstrebenswert. Verlag Martha Körner, Stuttgart, 1954, S. 75-139 Normdaten Michaud, Cécile (Hg.). „Die göttliche Jette. Ein Weltstar Virtual International Authority File (VIAF): aus Koblenz. Der Sängerin Henriette Sontag zum 200. http://viaf.org/viaf/69198419 Geburstag.“ Mittelrhein-Museum Koblenz, Kleine Reihe Deutsche Nationalbibliothek (GND): Bd. 8, M. Kramp, Koblenz, 2006 http://d-nb.info/gnd/118797999 Library of Congress (LCCN): Pirchan, Emil. „Henriette Sontag. Die Sängerin des Bie- http://lccn.loc.gov/n90600136 –6– Sontag, Henriette Autor/innen Amélie Pauli, 26. November 2008 Bearbeitungsstand Redaktion: Regina Back Zuerst eingegeben am 05.04.2009 Zuletzt bearbeitet am 11.08.2014 mugi.hfmt-hamburg.de Forschungsprojekt an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Projektleitung: Prof. Dr. Beatrix Borchard Harvestehuder Weg 12 D – 20148 Hamburg –7– Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)