Das römische Auspizienwesen

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UNIVERSITÄT TÜBINGEN
ABTEILUNG FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFT
Seminar: Das römische Auspizienwesen
Leitung: Prof. Dr. B. Gladigow
Referent: MF
Benutzte Literatur:
- Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. I, 31887 Leipzig. - [Mom]
- Theodor Mommsen, Römische Geschichte, Bd. I, 1854 Leipzig. - [MomRG]
- Paulys Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft, Stuttgart 1896 - [RE]
- Der kleine Pauly, Bd. I, Stuttgart 1964 - [KP]
- dtv-Atlas Weltgeschichte, Bd. 1, 311997 München - [dtvAWG]
- Jochen Bleicken, Lex publica / Gesetz und Recht in der röm. Republik, de Gruyter, Berlin 1975 -[JB]
Imperium auspiciumque: der staatsrechtliche Rahmen
1. Grundlegendes
1.1. Unterscheidung zwischen auguria impetrativa und auguria oblativa
In der römischen Republik vertraten Beamte als Vertreter der Gemeinde deren Geschäfte sowohl
gegenüber den Göttern wie gegenüber den Menschen; die Amtsgewalt des Beamten war also imperium auspiciumque.
Grundsätzlich galt, daß der Mensch auch von den Göttern nichts über seine Zukunft erfahren konnte. Die Götter billigten oder mißbilligten aber jede freie Handlung des Menschen und gaben dies
durch Zeichen bekannt [Mom 76; KP 734].
Man unterschied zwischen auguria impetrativa (das sind erbetene Zeichen) und auguria oblativa
(das sind zufällige Zeichen) [KP 735]. Zu den auguria impetrativa zählten Vögel-, Tier- und Himmelszeichen, die hauptsächlich im Stadtbereich Roms angewendet wurden und Hühnerzeichen, die
vor allem im Feldlager Anwendung fanden. Auguria oblativa waren allerlei warnende Zeichen
[Mom 77].
1.2. Auguria impetrativa
Da die auguria impetrativa erbetene Zeichen waren, ist klar, daß zunächst eine Frage formuliert
werden mußte. Sie waren also eine Antwort „auf die den Göttern in bestimmter Form (legum dictio) vorgelegte Frage.“[Mom 77; RE 2331] — Das heißt: „Die Sprache der römischen Götter beschränkte sich auf Ja
und Nein.“[MomRG 118]
1.2.1. Vogelzeichen (signa ex avibus)
Man beobachtete Stimme oder Flug der Vögel in einem bestimmten, abgesteckten Raum an einem
bestimmten Tag [RE 23332/2333]. Dies war die gewöhnliche Form der Auspizien (was wohl von avispicium kommt). Fand am Tag der Befragung allerdings ein Himmelszeichen statt, wurde das Vogelzeichen unnötig. Zu Ciceros (106 - 43) Zeit war die Praxis der Deutung von Vogelzeichen bereits
weitgehend verschwunden [Mom 78].
1.2.2. Tierzeichen (pedestria auspicia, ex quadrupedibus)
Man beobachtete den Lauf durch einen bestimmten Raum oder die Stimme. Zu sämtlichen vierfüßigen Tieren kommt noch die Schlange hinzu [nach Festus, Mom 79, A. 2]. Auch diese Zeichen waren zu
Ciceros Zeit mit den Vogelzeichen verschwunden [Mom 79].
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1.2.3. Himmelszeichen (caelestia auspicia)
Dazu zählte insbesondere Donner und Blitz, wobei der Blitz Jupiters als höchstes Zeichen überhaupt galt. Ein Blitz galt dann als günstiges Zeichen, wenn er von links nach rechts und aus heiterem Himmel fuhr. Außerdem galt jeder Blitz als Einspruch gegen eine Volksversammlung, die dann
auf einen anderen Tag verlegt werden mußte.
Der Blitz zählte - trotz seines sicherlich eher zufälligen Auftretens - zu den auguria impetrativa.
Das hatte seinen Grund darin, daß derjenige, der zur Ausschau nach Himmelszeichen befugt war,
für seine Beobachtung unkritischen Glauben fordern konnte. An sich gehört der Blitz zu den auguria oblativa; indem aber ein Beamter nach Blitzen aussah und für seine Meldung Glaubwürdigkeit
einfordern konnte, wurde der Blitz zum augurium impetrativum. Wenn ein Beamter angab, an einem bestimmten Tag nach Blitzen Ausschau zu halten, war der Erfolg also praktisch garantiert [JB
455]. Das machte die Handhabung dieses Zeichens recht einfach und so identifizierte es sich später
mit den auspicia impetrativa urbana. — Da ein Blitz beispielsweise die Volksversammlung unmöglich machte, konnte man später das Ausschauen nach Himmelszeichen an gewissen Tagen verbieten [Mom 79-83; RE 2333; JB 456, 458].
1.2.4. Hühnerfraß (auspicia ex tripudiis)
Man beobachtete das Freßverhalten der Hühner; dabei war es ein gutes Zeichen, wenn die Tiere so
gierig fraßen, daß ihnen etwas von der Speise aus dem Schnabel mit Geräusch auf den Boden fiel.
Da man dieses Zeichen leicht auch ohne einen Fachmann deuten und Hühner in Käfigen mit sich
führen konnte, fand dieses Zeichen vor allem im Lager von Feldherren Verwendung [Mom 84/85]. In
der Stadt selbst war es eher selten.
1.3. Auguria oblativa
Darunter fielen alle warnenden Zeichen (signa ex diris). Da völlige Stille grundlegende Voraussetzung für eine Auspikation war, wurden darunter zum Beispiel störende Geräusche, das Straucheln
des Auspikanten oder das falsche Aussprechen einer Formel verstanden [Mom 86]. Des weiteren hatte der Anfall eines Epileptikers das Auflösen der Volksversammlung zur notwendigen Folge [Mom
87]. Auch galt es als ungünstig, wenn einem beim Auszug Raben entgegenflogen. Kurz: In einem
bestimmten Rahmen erschienen die dirae als ein Einspruch der Gottheit.
Zur Deutung unbestimmter Warnzeichen wandte man sich an die pontifices. Es war im übrigen
durchaus zulässig, sich mit Absicht und entsprechenden Vorkehrungen (etwa einer geschlossenen
Sänfte) gegen die Wahrnehmung solcher Zeichen zu schützen [Mom 87; MomRG 114; RE 2335].
2. Der staatsrechtliche Rahmen der Auspizien
Neben der Magistratur gab es in Rom drei wichtige Priesterkollegien, die im folgenden kurz mit ihren hauptsächlichen Aufgabenbereichen vorgestellt werden sollen [MomRG 114/115]:
• Die Brückenbauer (fünf pontifices): Sie hatten ursprünglich die ebenso heilige wie politisch wichtige Aufgabe, den Bau und das Abbrechen der Tiberbrücke zu leiten (was aber als historisch nicht
ganz sicher gilt). Sie verstanden das Geheimnis der Zahlen und Maße und hatten daher auch die
Pflicht, den Kalender des Staates zu führen, also auch dafür Sorge zu tragen, daß jede wichtige
Handlung im sakralen, privaten, rechtlichen und im staatlichen Bereich, am rechten Tag vorgenommen wurde. Ihr Ältester war der pontifex maximus, der mit der Zeit die Oberaufsicht über den römischen Gottesdienst gewann.
• Die Vogelschauer (sechs augures): Sie verstanden die Sprache der Götter aus dem Vogelflug zu
deuten und brachten diese, sehr ernsthaft betriebene Auslegungskunst in ein gleichsam wissenschaftliches System. Das Amt der augures war lebenslänglich [RE 2319/2320; KP 736]. Außerdem hatte das Kollegium feste Einkünfte [RE 2321]. „Das besondere Abzeichen der Augurn war der Krummstab.“
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[RE 2322]
• Die ‹Orakelbewahrer› (zwei duoviri sacris faciundis): Sie erforschten in zweifelhaften Fällen den
Willen der Gottheit aus den Orakelbüchern [MomRG 115], vor allem aus den Sibyllinischen Büchern
[dtvAWG].
Ein vierter Priesterstand war derjenige der flamines - aber er war kein Kollegium, sondern seine
Vertreter waren jeweils einer ganz bestimmten Gottheit zugeordnet.
Auch gab es die vestales, die vor allem das heilige Feuer am Brennen zu erhalten hatten, 1 und die
haruspices, zuständig vor allem für die Eingeweide-, insbesondere die Leberschau [dtvAWG 87].
Zumindest die drei vornehmen Priesterkollegien bekamen vermutlich Gemeindesklaven zugeteilt,
wohl vor allem zur Vermittlung der Korrespondenz der Kollegiumsmitglieder [Mom 325], manchmal
auch als (unfreie) Schreiber [Mom 355].
2.1. Wer hatte das Recht auguria impetrativa zu veranstalten?
Auspizien vermittelten den Verkehr zwischen den Göttern und dem einzelnen Bürger sowie der Gemeinde. Es gab also auspicia privata und auspicia publica populi Romani [Mom 89]. Für die Betrachtung des staatsrechtlichen Rahmens sind also die letzteren von Interesse. Dabei erhebt sich aber
die Frage, wer diese Auspizien veranstalten, wer die Frage an die Götter richten und wer das
Ergebnis interpretieren durfte. Das waren zunächst natürlich (s. 1.1.) die Magistrate. Aber diese benötigten vor Amtsantritt und Geschäftsvollzug ein göttliches Zeichen: Eben die auspicia publica.
Daher fielen imperium und auspicium letztlich zusammen [Mom 90]. Aber genauer:
• auspicia patrum: Alle Zeichen wurden zurückgeführt auf die göttliche Ermächtigung an Romulus,
die Stadt Rom zu gründen [Mom 90].2
• auspicia publica waren die vor Amtsantritt eines jeden Beamten und vor einem Geschäftsvollzug
zu erbittenden Zeichen göttlichen Wohlgefallens. Nur die Patrizier hatten das Recht auf auspicia
publica [Mom 89-91].
• auspicia maxima kamen den Trägern der vollen Beamtengewalt oder des Imperium zu, also König, Zwischenkönig, Consul, Prätor, Diktator und jeder Beamte consularischer oder prätorischer
Gewalt [Mom 92]. Die Auspizien der Censoren wurden auch noch zu den auspicia maxima gezählt,
sie galten aber als qualitativ verschieden von den consularisch-prätorischen.
• auspicia minora kamen den minderen Beamten zu, wie Aedil und Quästor [Mom 92].
• Auspizien des pontifex maximus: Zwar kam den Priestern eigentlich kein Imperium, also auch kein
Auspizium zu, aber da der pontifex maximus und die Auguren auch gewisse Amtshandlungen
vorzunehmen hatten [nach RE 2336 standen sie dem Consul bei Ladung des Volkes und der Abstimmung zur Seite.
Nach Mom 204 hatte der Oberpontifex „das Recht zu edicieren“.], ist es wahrscheinlich, daß sie dafür eigene
Auspizien einholen konnten [Mom 93].
• auspicia aliena: Ein Beamter mit voller Amtsgewalt konnte sich durch einen anderen, von ihm be1 Die vestalischen Jungfrauen waren Dienerinnen der Göttin Vesta (Göttin des häuslichen Herdes und Herdfeuers,
Tochter des Kronos und der Rhea, Schwester Iuppiters); in ihrem Tempel an der Ostseite des Forums brannte das
heilige Feuer des Staatsherdes; ursprüngliche waren es vier, dann sechs vom pontifex maximus vor Vollendung des
zehnten Lebensjahres gewählte Jungfrauen, die dreißig Jahre im Tempeldienst verblieben und während dieser Zeit
Zeit zu strengster Keuschheit verpflichtet waren. Zur Strafe für Verletzung der Keuschheit oder Erlöschenlassen des
heiligen Feuers - das schlimmste Omen für den Staat - wurden sie lebendig begraben. [Aus:Der Kleine Stowasser,
München 1979, S. 494]
2 Als die Zwillingsbrüder Romulus und Remus beschlossen hatten, eine neue Stadt zu gründen, erhob sich die Frage,
wer von beiden diese beherschen und ihr den Namen geben durfte (was bei Zwillingen eben nicht ganz klar war); sie
wandten sich dazu, der Sage nach, an die Götter, mit folgendem Ergebnis: Remus erschienen zuerst sechs glückbringende Vögel (Geier), danach erst dem Romulus, aber bei ihm waren es zwölf. Es kam darauf zum handgreiflichen
Streit, den bekanntermaßen Romulus durch Brudermord für sich entschied - weswegen er später zur Sühne und um
Unheil von Rom abzuwenden, neben seinen Thron noch einen leeren Thron für Remus stellte, um seine Bereitschaft
zum Teilen der Herrschaft zu zeigen. [Aus: Richard Carstensen, Römische Sagen / den Quellen nacherzählt von,
1
1978, 21980, dtv München, S. 88-90]
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auftragten, vertreten lassen, wobei der Beauftragte dann auch die volle Amtsgewalt inne hatte; es ist
daher wahrscheinlich, daß dieser Vertreter auch das Recht auf Auspizien in dem Umfang hatte, wie
es dem eigentlichen Amtsträger zugekommen wäre. Rechtlich galt die Spectio nicht als die des
Vertreters, sondern als die des abwesenden Auftraggebers [Mom 94].
2.2. Kollision der Auspizien
Grundsätzlich galt, daß ein Zeichen entsprechend der magistratischen Kompetenz gewertet wurde,
also die Zeichen des höheren magistratischen Standes die des niederen schlugen.
Solange es keine gleichberechtigten Beamten nebeneinander gab, also zu Zeiten des Königtums,
war eine Kollision der Auspizien demnach nicht möglich. Auch innerhalb der gestaffelten Kompetenz der verschiedenen Beamtenstände gab es keine Kollision der Auspizien, sondern diese wurden
für jeden Stand besonders eingeholt und störten einander normalerweise nicht. Bei Ämterrotation
[siehe dazu Mom 37ff und 48] galt jeweils das Zeichen desjenigen, der am Tag des Zeichens die Amtsgewalt innehatte. Problematisch wurde der Fall, wenn zwei Beamte gleicher Kompetenz neben einander standen. Dann entschied entweder das stärkere Zeichen (so schlägt zum Beispiel der Blitz als
Zeichen dasjenige des Hühnerfraßes), oder die Zeichen haben sich einander gegenseitig aufgehoben
[Mom 94-96]. Die „Deutung oder gar die Entscheidung über sich widersprechende Zeichen beruht auf einer
komplizierten Lehre, deren Träger die augures sind. Das Kollegium besaß auch ein Archiv mit erteilten Gutachten.“ [KP 735]
2.3. Anwendungsfälle der Auspikation
Prinzipiell war es für den frommen Römer natürlich wünschenswert für alle wichtigen in Betracht
kommenden Fälle das Einverständnis der Götter einzuholen, beziehungsweise deren Mißbilligung
einer Handlung zu erfahren, um diese dann zu unterlassen [Mom 96; KP 734]. Aber es war dies nicht
zwingend. Wünschenswert war es zum Beispiel
- vor jeder öffentlichen Kriegs- und Friedenshandlung
- vor Senatssitzungen
- vor Auslosungen
- vor Entbietung des Heeres
- vor der Gründung von Kolonien
- im Krieg vor Flußüberquerungen und vor Beginn der Schlacht
Aber es bleibt fraglich, ob die Auspikation in diesen Fällen nur wünschenswert oder aber Pflicht
war [Mom 96/97]. Es gab aber drei Fälle, in denen die Auspizien nicht nur wünschenswert, sondern
auch verfassungsmäßig unerläßlich waren [Mom 97 und 609; RE 2330/2331]:
1. Vor der Ernennung eines Beamten
2. Vor der Abhaltung von Volksversammlungen
3. Vor dem Auszug des Feldherrn in den Krieg.
Ad 1. (Auspizien vor der Ernennung eines Beamten): Die Bestellung eines Beamten war nur gültig,
wenn vorher die Götter befragt wurden [Mom 97]. Besonders wichtig war dies, wenn die Gemeinde
nicht mitbestimmte, also beim Zwischenkönig und beim Diktator. Bei der Ernennung der anderen
Beamten fiel dieses Auspizium mit demjenigen zusammen, das vor Abhaltung der Volksversammlung ohnehin erforderlich war (s. u.).
Eine Ausnahme von dieser Regel war der jeweils erste Zwischenkönig (interrex), da dann niemand
da war, der ihn in sein Amt hätte einsetzen können; dies war also der einzige nicht auspicato eingesetzte römische Beamte [Mom 98, 213/214 und 647-661].
Ad 2. (Auspizien vor der Abhaltung von Volksversammlungen): Vor der Abhaltung einer beschlußfassenden Versammlung des ganzen Volkes waren „speciell zu diesem Zweck am Morgen des
betreffenden Tages angestellte Auspicien die Vorbedingung.“[Mom 98] Dies galt gleichmäßig für Kuriat-,
Zenturiat- und für partrizisch-plebejische Tributkomitien. „Für die nicht beschlussfassenden
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Volksversammlungen scheinen dagegen Auspicien nicht eingeholt worden zu sein.“[Mom 98]
Ad 3. (Auspizien vor dem Auszug des Feldherrn in den Krieg): Der Kriegsherr hatte am Morgen des
Tages, an dem er die Stadt verließ, die Auspizien auf dem Capitol in Rom einzuholen. Jedes militärische Imperium mußte also als städtisches Amt beginnen [Mom 99/100; KP 735].
Das war insbesondere dann äußerst unzweckmäßig, wenn der Feldherr - etwa in größerer Entfernung zu Rom stehend - eine Erneuerung der Auspizien benötigte (zum Beispiel nach Überschreitung eines Flusses, denn da wurde das Auspizium ungültig); daher wurde diese Regel später (sie hat
sich aber wirklich sehr lange gehalten) auch durch eine Rechtsfiktion unterlaufen: Ein beliebiger
Fleck Landes wurde als zur Stadt Rom gehörig - also als innerhalb des Pomeriums (der servianischen Mauer) [Mom 63] liegend - bestimmt, und auf diesem wurden die erforderlichen Auspizien angestellt. Damit wurde es dann möglich, auch die ersten Auspizien nicht mehr in Rom einzuholen
[Mom 101].
2.4. Die Auspikation
2.4.1. Zeit der Auspikation
Die Auspizien mußten an dem Tag vorgenommen werden, an dem die Handlung stattfand, auf die
sie sich bezogen. Da der Tag im rechtlichen Sinne nach Mitternacht begann, wurden die Auspizien
meist nach Mitternacht begonnen und vor Tagesanbruch beendigt [Mom 102]. Diese Zeitspanne einzuhalten ist aber kein Muß bei der Auspikation.
2.4.2. Ort der Auspikation
Auch hier galt: Die Auspizien sollten an dem Ort vorgenommen werden, wo die Handlung stattfinden sollte, auf die sie sich bezogen.3 Das heißt: Die Auspikation war im allgemeinen nicht an einen
bestimmten Ort gebunden (eine Ausnahme war der Auszug des Feldherrn in den Krieg, s. 2.3., ad 3.).
2.4.3. Verfahren der Auspikation
Wurde der Wille der Götter durch den Hühnerfraß erkundet, waren besondere Vorbereitungen nicht
vonnöten. Bei der Vogelschau und den Himmelszeichen aber war es wichtig, einen Beobachtungsraum abzugrenzen, in dem Ausschau nach entsprechenden Zeichen gehalten wurde: das templum. In
der Stadt bediente man sich dazu in der Regel der ein für allemal abgegrenzten templa (z. B. auf
dem Capitol); die Einrichtung und Handhabung derselben war eine wesentliche Aufgabe des Priesterkollegs der Auguren. Die Herrichtung eines solchen Platzes, seine inauguratio, ist eine wichtige
Vorbereitung für eine Auspikation [Mom 105; RE 2334].
2.5. Oblative Auspizien und deren Meldung (nuntiatio)
Die Götter konnten ja nach Meinung der Römer nicht nur erbetene Zeichen geben, sondern auch
ungefragt ihren Willen kundtun. Die Festlegung, daß ein solches ungefragtes Zeichen der Götter erfolgt war, stand dem Magistrat zu; dabei konnte ein Beamter selbst ein solches Zeichen gesehen haben, oder der Magistrat schenkte dem Bericht über ein solches Zeichen Glauben. Auch die Auslegung eines als erfolgt attestierten Zeichens war letztlich Sache des Magistrats, obgleich natürlich
hier der Rat eines Fachmannes, also des Auguren, eine ungleich wichtigere Rolle spielte, als bei den
göttlichen Zeichen, die auf eine ganz bestimmte Frage in einem fest bestimmten Rahmen erfolgt
waren [Mom 107]. Bei der Auslegung eines solchen oblativen Zeichens fällte also der Augur
praktisch die eigentliche Entscheidung. [Mom 312] — Mit der Zeit entwickelte sich die Meldung von
göttlichen Zeichen zu einem politischen Hebel [JB 154], abhängig vom Status und damit der Glaubwürdigkeit des Meldenden [Mom 108]. Als es gegen Ende der Republik immer mehr rechtliche Pro3 Beispiele [Mom 102]: Auspicien für Curiatskommitien innerhalb des Pomeriums, die für Centuriatskommitien
außerhalb desselben unmittelbar bei der Stadt, die für Senatssitzungen im Versammlungslokal, die für den Abzug
des Feldherrn in Rom und die für die Schlacht auf dem Schlachtfeld. — Ein weiteres Beispiel bietet Mom 615:
Amtsantritt eines neuen Consuls mit Auspication in dessen Wohnung (Ort!) am Morgen des ersten Amtstages (Zeit!).
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bleme mit der als politisches Mittel eingesetzten Obnuntiation (das ist „das magistratische Recht der
Ankündigung von Vorzeichen, die die Götter ungefragt von sich aus sandten“ [JB 454]) gab, zeigte es sich,
daß „die religiöse Scheu vor den Folgen einer Mißachtung der Obnuntiation bereits schwächer war als der
politische Wille, sich durchzusetzen.“ [JB 454] Dies führte dann konsequenterweise zu Änderungen und
teilweise sogar zur Beseitigung des Obnuntiationsrechts [JB 456/458].
2.6. Folgen des Versagens der Auspizien
War gegen eine geplante Handlung ein göttlicher Einspruch erfolgt, durfte diese am Tag des Zeichens nicht ausgeführt werden. Es stand aber dem erneuten Versuch ein positives göttliches Zeichen
an einem anderen Tag zu erbitten (repetitio) nichts im Weg [Mom 115].
Wurde aber, absichtlich oder unabsichtlich, trotz göttlichen Einspruchs die betreffende Handlung
vollzogen, wurde ihre Ausführung als mit einem Fehler (vitium) behaftet empfunden. Die Entscheidung darüber, ob ein vitium vorlag, war dem Kolleg der Auguren anheimgestellt; dieses hatte sich
über den Hergang der Sache zu informieren und entschied dann per Dekret [Mom 115; RE 2334]. „Dem
Senat sowohl wie den einzelnen Beamten steht das Recht zu ein solches Gutachten von dem Collegium
einzufordern; aber auch das Collegium selber hat nachweislich die Befugnis gehabt hierin die Initiative zu
ergreifen und von sich aus eine derartige Anzeige an den Senat zu erstatten.“ [Mom 115/116] Dies bedeutet
natürlich eine ziemliche Machtfülle des Kollegs der Auguren (obwohl der Grundsatz galt, daß im
Staat die Priesterschaft in völliger Machtlosigkeit zu verbleiben habe [MomRG 116]), denn von den
göttlichen Zeichen hingen letztlich wichtige staatsrechtliche Vorgänge und Kapitalklagen ab.
3. Zusammenfassung
Die staatsrechtliche Verquickung von auspicium und imperium im republikanischen Rom hat sich geradezu
erstaunlich lange gehalten - denn daß sie zumindest teilweise äußerst unpraktikabel war, zeigt sich deutlich
an ihren Auflösungserscheinungen gegen Ende der Republik, wo eben viele dieser Bräuche unterlaufen
wurden. Die andere Seite ist die, daß sich die republikanische Staatsform möglicherweise gerade durch diese
enge Verbindung von göttlicher und menschlicher Legitimation der Amtsführung so lange der Machtgelüste
einzelner erwehren konnte und dadurch in sich stabil blieb. Denn durch das Hasardspiel mit göttlichen
Zeichen konnte dem strebsamen Einzelnen immer der Riegel der angeblich göttlichen Verweigerung seiner
Zielsetzung vorgesetzt werden. So war, solange die Religiosität der Römer noch echt war, derjenige, dem es
nach Verantwortung im Staat gelüstete, immer von göttlichen Zeichen abhängig, die auch er selbst glaubte.
Das bedeutet, daß er selbst nicht uneingeschränkt über das Erreichen seiner Ambitionen verfügen konnte.
Waren die Götter dagegen, mußte er sich fügen.
Natürlich ist es naheliegend, daß die Zeichen der Götter irgendwann politisch mißbraucht 4 werden
würden. In diesem Moment aber, ist auch der Glaube an diese Zeichen und Götter schon im Schwinden; das
wiederum bedeutet, daß der Mensch die Fähigkeit erlangt, sich über diese Zeichen hinwegzusetzen, womit
aber der staatsrechtliche Rahmen des republikanischen Rom gesprengt wird, also auch anfällig für
hemmungslose (=gottlose) Machtgelüste einzelner wird.
Natürlich glaube ich nicht an göttliche Zeichen; anstelle von Himmelsbeobachtungen könnte man auch
das Würfelspiel oder den Münzwurf setzen. Solange ein jeder Beteiligter daran glaubt, daß dieses Spiel den
göttlichen Willen verrät, erfüllt es seinen prohibitiven Sinn, daß jeder sich diesen Spielregeln beugt und
keiner seinem eigenen Gelüst folgt, was womöglich der Gesellschaft als ganzer zuwiderlaufen könnte.
Allerdings wird dadurch natürlich auch per Zufall möglicherweise verhindert, daß besonders fähige Leute in
- ihrem Können gemäße - staatliche Positionen gelangen. In jedem Fall ist die grundlegende Voraussetzung
für das Funktionieren eines solchen, gleichsam vom Glücksspiel abhängigen Systems, daß die daran
Beteiligten an das System glauben. Tun sie es nicht, wird sich irgendwann Unruhe breitmachen.
4 Mißbrauch ist hier so zu verstehen, daß jemand ein angeblich göttliches Zeichen gesehen zu haben vorgibt, im sicheren Wissen, überhaupt kein Zeichen gesehen zu haben. Es geht also nicht darum, zwischen falschen und echten
göttlichen Zeichen zu unterscheiden, sondern um die absichtliche Falschmeldung irgendeines Zeichens.
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