„RP“ – mehr als nur eine einzige Erkrankung Es gibt über 100 Formen erblich bedingter Netzhautdegeneration. Die frühe und korrekte Diagnose ist das „Ticket fürs Leben“ und kann von großer Bedeutung sowohl für die medizinische Versorgung wie auch für Lebensqualität und Lebensentscheidungen sein. Oft wird sie jedoch sehr spät gestellt. Beispielsweise wird das behandelbare Refsum-Syndrom im Schnitt 11 Jahre nach dem ersten Besuch beim Augenarzt erkannt. Auch ist aus der korrekten Diagnose der „Prognosekorridor“ ableitbar, der für Entscheidungen zur Ausbildungs- und Berufswahl herangezogen wird. Ferner leiten sich aus ihr die Vererbungsform und, insbesondere bei syndromalen Formen, weitere wichtige Hinweise und Hilfen zur individuellen Krankheitsbewältigung ab. Um auf die Bedeutung der Differentialdiagnostik aufmerksam zu machen, widmen sich PRO RETINA Deutschland e.V. und die NCL-Stiftung diesem Thema in einem gemeinsamen Projekt. Auf diesem Poster werden einige erbliche Netzhautdegenerationen mit ihren Hauptsymptomen und ausgewählten Befunden beschrieben. PRO RETINA Deutschland e.V. T: +49 (241) 87 00 18 F: +49 (241) 87 39 61 Vaalser Str. 108 52074 Aachen [email protected] NCL-Stiftung T: +49 (40) 69 666 74 0 F: +49 (40) 69 666 74 69 Holstenwall 10 20355 Hamburg [email protected] Weiterführende Informationen finden Sie unter: www.pro-retina.de, www.ncl-stiftung.de, www.retinascience.de, www.retnet.org Autoren: Prof. Dr. med. Ulrich Kellner, AugenZentrum Siegburg, RetinaScience Prof. Dr. med. Klaus Rüther, Arbeitskreis Klinische Fragen der PRO RETINA Deutschland e.V. Dr. rer. nat. Frank Stehr, NCL-Stiftung Dr. med. Claus Gehrig, PRO RETINA Deutschland e.V. Dr. rer. medic. Frank Brunsmann, Charité Universitätsmedizin Berlin IHRE AUGEN SEHEN – IHRE DIAGNOSE HILFT! Makulaödem Refsum Syndrom Das Refsum Syndrom ist eine sehr seltene autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung assoziiert mit Mutationen im PEX1-, PEX7-, PHYH- oder PXMP3-Gen. Sie beginnt meist vor dem 20. Lebensjahr. Nachtsehstörungen können das Erstsymptom sein. Häufig sind aber auch neurologische Erkrankungen wie pe- Retinitis Pigmentosa riphere Neuropathien oder eine Ataxie vor den Augensymptomen vorhanden. Schwerhörigkeit und Herzrhythmusstörungen können auftreten. Der Augenhintergrund zeigt Veränderungen ähnlich einer Retinitis pigmentosa, hier sind verengte Gefäße und nach peripher Pigmentierungen erkennbar. Die Diagnose ergibt sich aus der Anamnese, dem Augenbefund, einer Phytansäurebestimmung im Blut sowie ggf. durch eine molekulargenetische Diagnostik. Therapeutisch kann eine spezielle Diät und ggf. eine Apherese-Behandlung den Verlauf positiv beeinflussen, weswegen eine frühzeitige Diagnose für die Betroffenen entscheidend ist. Neuronale Ceroid-Lipofuszinose Die Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen sind seltene autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen, die zu den lysosomalen Speicherkrankheiten gezählt werden. Die mit Sehstörungen beginnende juvenile Unterform ist assoziiert mit Mutationen im CLN3-Gen und beginnt in der Regel in der ersten Lebensdekade. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Entwicklungsstörung, später dann zu einer Entwicklungsrückbildung mit dem Verlust bereits erlernter Funktionen aufgrund des Absterbens von Nervenzellen und einem frühen Tod meist in der zweiten Lebensdekade. Der Augenhintergrund zeigt häufig Veränderungen ähnlich wie bei der Retinitis pigmentosa, zu Beginn ist jedoch auch oftmals eine Schießscheibenmakulopathie zu beobachten. Die häufig anzutreffende glitzernde Oberfläche der Netzhaut mit Falten tritt als Sekun- Die Retinitis pigmentosa umfasst eine Gruppe von mehr als 40 im Augenbefund ähnlichen, aber genetisch verschiedenen Erkrankungen mit unterschiedlichen Erbgängen. Ist diese Erkrankung mit einer Innenohrschwerhörigkeit gekoppelt, spricht man vom Usher-Syndrom, für das wiederum unterschiedliche Gene verantwortlich sind. Beginn und Verlauf der Retinitis pigmentosa und des Usher-Syndroms sind sehr variabel. Charakteristische Zeichen sind zunächst eine Nachtblindheit, dann eine fortschreitende Gesichtsfeldeinschränkung und spät ein zentraler Sehverlust. Der Augenhintergrund zeigt stark verengte Gefäße und nach außen Pigmentierungen. Die Fundusautofluoreszenz zeigt typischerweise einen hellen Ring erhöhter Intensität um die Stelle des schärfs- Atrophia Gyrata ten Sehens, der am Augenhintergrund und im Farbfoto nicht erkennbar ist. Dieser Ring entspricht dem äußeren Rand des Gesichtsfeldes. Im hochauflösenden OCT sind die Netzhautschichten nur in der Mitte gut erhalten und werden außerhalb des Zentrums rasch dünner. Für die Entscheidung, ob eine Retinitis pigmentosa oder ein Syndrom vorliegt, ist die Befragung nach anderen Symptomen wichtig und in manchen Fällen eine molekulargenetische Diagnostik notwendig. Eine kausale Therapie existiert derzeit nicht, Begleitveränderungen wie frühzeitige Kataraktbildung oder Makulaödem (s. OCT) können wie auch bei anderen Netzhautdystrophien behandelt werden. Choroideremie därveränderung bei vielen Netzhautdystrophien auf und ist nicht charakteristisch für eine bestimmte Erkrankung. Die Fundusautofluoreszenz zeigt einen Ring erhöhter Intensität wie bei Retinitis pigmentosa. Die Diagnose ergibt sich aus der Anamnese und dem Netzhautbefund sowie durch eine molekulargenetische Diagnostik. Übrigens sieht man auf einem Routine-Blutausstrich im Zyto- plasma vieler Lymphozyten zahlreiche große helle Vakuolen (s. kl. Foto, freundlicherweise von Dr. A. Schulz zur Verfügung gestellt). Eine kausale Therapie existiert derzeit nicht. Der Krankheitsverlauf stellt besonders hohe Anforderungen an die Eltern der betroffenen Kinder, weswegen eine frühzeitige Diagnose und Beratung wesentlich sind. Die Choroideremie ist eine x-chromosomal vererbte, mit Mutationen im CHM-Gen assoziierte, Erkrankung, sodass vorwiegend Männer betroffen sind. Frauen zeigen typischerweise Netzhautveränderungen, sehen aber in fast allen Fällen gut. Männer bemerken in der Jugend zunächst eine Nachtblindheit, dann eine fortschreitende Die Atrophia gyrata ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung und assoziiert mit Mutationen im OrnithinΔ-Aminotransferase (OAT)-Gen. Sie beginnt in der Jugend zunächst mit Nachtblindheit, zeigt dann eine fortschreitende Gesichtsfeldeinschränkung und spät einen zentralen Sehverlust. Der Augenhintergrund zeigt ähnlich wie bei der Choroideremie aufgrund des weitgehenden Verlusts der Aderhaut und des Pigments eine helle Farbe, aber die Grenzen zwischen normalem und erkranktem Gewebe sind wesentlich schärfer. Die Fundusautofluoreszenz zeigt scharf begrenzte dunkle Areale im Bereich völligen Aderhautverlusts sowie kaum Veränderungen in den noch funktionierenden Arealen. Im hochauflösenden OCT sind die Netzhautschichten in den Arealen mit Aderhautverlust aufgrund der fehlenden Versorgung verdünnt. Die Diagnose ergibt sich aus dem typischen Netzhautbefund, dem Nachweis eines erhöhten Ornithin-Spiegels im Blut sowie ggf. durch eine molekulargenetische Diagnostik. Bei der Atrophia gyrata ist eine diätetische Therapie zur Verminderung des Fortschreitens möglich, weswegen eine frühzeitige Diagnose für die Betroffenen entscheidend ist. Fundusautofluoreszenz und das hochauflösende OCT sind ebenfalls variabel. Die Diagnose ergibt sich aus der Anamnese mit weiteren Symptomen (möglich sind: Entwicklungsverzögerungen, Adipositas, Unterentwicklung der Geschlechtsorgane, Nierenveränderungen) sowie durch eine molekulargenetische Diagnostik. Eine kausale Therapie der Augenveränderungen ist nicht möglich, die anderen Organbeteiligungen erfordern je nach Ausprägung eine entsprechende Therapie, weswegen eine frühzeitige Diagnose für die Betroffenen entscheidend ist. Bardet-Biedl-Syndrom Gesichtsfeldeinschränkung und spät einen zentralen Sehverlust. Der Augenhintergrund zeigt aufgrund des weitgehenden Verlusts der Aderhaut und des Pigments eine helle Farbe, nur in den dunkleren Bereichen ist noch Funktion erhalten. Die Fundusautofluoreszenz zeigt scharf begrenzte dunkle Areale im Bereich völligen Aderhautverlusts sowie fleckförmige Veränderungen in den noch funktionierenden Arealen. Im hochauflösenden OCT sind die Netzhautschichten in den Arealen mit Aderhautverlust aufgrund der fehlenden Versorgung verdünnt. Die Diagnose ergibt sich aus dem typischen Netzhautbefund, dem Be- fund der Mütter sowie ggf. durch eine molekulargenetische Diagnostik. Eine kausale Therapie existiert derzeit nicht. Das Bardet-Biedl-Syndrom umfasst eine Gruppe von mindestens 12, im klinischen Befund ähnlichen, aber genetisch verschiedenen, Erkrankungen. Die Vererbung ist autosomal-rezessiv mit variabler Ausprägung der einzelnen Symptome. Die Ausprägung einer Netzhautbeteiligung ist variabel und kann ähnlich wie eine Retinitis pigmentosa, aber auch wie eine Zapfen-Stäbchendystrophie verlaufen. Häufiges Zeichen dieses Syndroms ist ein/e 6. Finger oder Zehe, der/die oft bereits nach der Geburt entfernt und dann bei der Anamnese vergessen wird. Der Augenhintergrund kann variable Veränderungen zeigen, hier verengte Gefäße wie bei Retinitis pigmentosa. Die