Vortrag Prof. Dr. Jürgen Margraf

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Versorgung psychisch kranker Menschen:
Impulse aus der Forschung
Prof. Dr. Jürgen Margraf, Fakultät für Psychologie
© J. Margraf, 2012, Folie 1
Keine modernen Leiden
48% 99%
© J. Margraf, 2012, Folie 2
10000
4000
Suizide
Verkehrstote
Gilgamesh-Epos: Mesopotamien, 3. Jahrtausend vor Chr.
Stigmatisierung
• Verknüpfung eines Personenmerkmals
(„psychisch krank“) mit einem negativen
sozialen Stereotyp oder Vorurteil („ist
gefährlich“)
• Statusverlust
• Diskriminierung
• Besonders stark bei psychischen
Krankheiten
• Weitreichende Skepsis ist selbst bei Ärzten
gut belegt (auch Psychiater, Psychologen)
• Selbststigmatisierung und -abwertung
Die Brandmarkung des
Geldfälscher Veit Stoss
(Nürnberg 1503)
Link & Phelan 2001, Gaebel et al. 2004
© J. Margraf, 2012, Folie 3
Stigmatisierung
• Zu den Grundrechten zählen u.a. wählen, heiraten,
Kinder haben
• USA 2002: Verlust von Grundrechten durch
„psychisch krank“ in den Gesetzen der Einzelstaaten
– Nicht wählen: 25 von 50 Staaten
– Kein Sorgerecht für Kinder: 23 Staaten
– Vergleich 1989-1999: Verschlechterung
• Als Basis ausreichend: Aussage eines Zeugen
(Experten)
© J. Margraf, 2012, Folie 4
Hemmens et al. 2002
Lieber über „Stress“ sprechen?
511‘100‘000
Internet-Einträge zum Stichwort „Stress“
(Google, 21.11.2011, 0.18 Sekunden)
4861 Jahre Lesezeit
(Annahme: 5 Minuten pro Eintrag)
...oder lieber „Burnout“?
56´500´000 Einträge
© J. Margraf, 2012, Folie 5
Überblick
• Bedeutung psychischer Störungen
• Was geschieht ohne (ausreichende)
Behandlung?
• Was leistet Psychotherapie?
• Stand der Versorgung
• Schlussfolgerungen
© J. Margraf, 2012, Folie 6
Die 5 weltweit wichtigsten Ursachen von
Beeinträchtigung und Tod (DALYs*)
1990: Krankheit oder Verletzung
2020: Krankheit oder Verletzung
1. Atemwegsinfektionen
1. Ischämische Herzerkrankungen
2. Durchfallerkrankungen
2. Unipolare Depression
3. Perinatal verursachte Schäden
3. Verkehrsunfälle
4. Unipolare Depression
Cerebrovaskuläre Krankheiten
5. Ischämische Herzerkrankungen
5. Chronisch obstruktive
Lungenkrankheit
*Disability Adjusted Life Years (DALY):
Anzahl “verlorener” Lebensjahre durch vorzeitige Mortalität
oder Leben mit starker Beeinträchtigung
© J. Margraf, 2012, Folie 7
Murray & Lopez (1996): The global burden of disease. (WHO + Weltbank)
Europäische Union:
Krankheitslasten durch körperliche/psychische Krankheiten
Anteile aller DALYs
Rest
Psychische
Krankheiten
Somatische
Krankheiten
© J. Margraf, 2012, Folie 8
Wittchen , H. U. & Jacobi, F. (2005). Size and burden of mental disorders in
Europe – a critical review and appraisal of 27 studies. European
Neuropsychopharmacology, 15, 357-376.
Deutschland:
Arbeitsunfähigkeit durch körperliche/psychische Krankheiten
Anzahl
Krankheiten
Körperlich
15.5
19.0
24.0
26.9
37.8
100%
Psychisch
14.6
0
25.6
1
2
40.5
3
56.8
≥4
79.8
0% 0%
100%
Anteil Personen mit Arbeitsunfähigkeitstagen
© J. Margraf, 2012, Folie 9
Bundesgesundheitssurvey 1998 (Wittchen et al. 1999, 2002)
Krankenkassen:
Starker Anstieg psychischer Störungen
• Fehlzeitenreport der AOK 2010
– Zunahme psychischer Erkrankungen
um 93% seit 1997
– Fehlzeiten dabei 22,7 Tage
(Atemwegserkrankung z.B. 6,5 Tage)
– Besonders betroffen:
Dienstleistungsgewerbe
• Ähnliche Trends publiziert von BKK,
BEK, GEK, TK, DAK
© J. Margraf, 2012, Folie 10
Aktuelle Trends in NRW (2000-2009):
Psychische Störungen
• Insgesamt deutliche Zunahme um 20-50%, v.a. ab 2006
– Abhängig von Datenquelle (Behandlungsfälle, Rehabilitation, AU, Frühberentung)
– Abhängig von Beobachtungszeitraum
– Abhängig von Diagnosen (bei emotionalen Störungen bis zu 20-50% pro Jahr)
• Gegensatz zum stabilen Trend bei anderen Krankheiten
• Bei Frühberentungen stehen psychische Störungen auf dem ersten
Platz (40%), bei Rehabilitation auf dem zweiten Platz (30%)
• Insgesamt häufiger bei Frauen, aber Männer holen bei den
häufigsten Diagnosen auf
• Noch steilerer Anstieg bei Kindern und Jugendlichen
• Ursachen für diesen starken Anstieg?
– Artefakte (z.B. veränderte Diagnostik, Stigmatisierung, Inanspruchnahme)
– Reale Veränderung der Morbidität
© J. Margraf, 2012, Folie 11
Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit des Landes des Landes Nordrhein-Westfalen,
Annuß & Zimmermann, August 2011.
Realer Angstanstieg und seine Ursachen
USA 1952-1993
Werte in psychometrischen Angstinventaren steigen an
Standardabweichungen
Standardabweichungen
170 Studien
99 Studien
40.192 Studenten
12.056 Schüler
Psychotherapie
Antidepressiva
Soziale Determinanten:
Verbundenheit (Singles, Scheidungsrate, Heiratsalter, Geburtsrate), Bedrohung, Ökonomie
© J. Margraf, 2012, Folie 12
Jean Twenge, JPSP 2000, 79, 1007-1021
Depression:
Mögliche soziale Ursachen
• Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (Dortmund):
– Studie an 517 Beschäftigten (Bank, Versicherung,
Gesundheitswesen, öffentlicher Dienst)
– Je höher die Belastung am Arbeitsplatz, desto häufiger
sind Depressionen oder depressive Verstimmungen
© J. Margraf, 2012, Folie 13
Zwischenfazit 1:
Bedeutung psychischer Störungen
• Psychische Störungen sind sehr häufig
– Angst, affektive Störungen und Sucht besonders häufig
• Sie beginnen früher und verlaufen chronischer als lange
angenommen
• Sie sind schwer beeinträchtigende Krankheitsbilder
– Hohes individuelles Leiden
– Geringe Arbeitsproduktivität
– Mangelnde Aufgabenerfüllung
– Hohe Kosten
• Komorbidität ist die Regel und nicht die Ausnahme
• Deutliche Anstiege bei kostenintensiven Störungen
Das Leiden der Betroffenen und ihrer Angehörigen
wird mit Zahlen nur unzureichend ausgedrückt!
© J. Margraf, 2012, Folie 14
Jacobi et al. 2004, Jané-Llopis & Anderson 2005, Margraf 2005, Michael & Margraf 2004, Murray &
Lopez 1996, Wittchen et al. 2000, WHO World Mental Health Survey Consortium 2004
Überblick
• Bedeutung psychischer Störungen
• Was geschieht ohne (ausreichende)
Behandlung?
• Was leistet Psychotherapie?
• Stand der Versorgung
• Schlussfolgerungen
© J. Margraf, 2012, Folie 15
Der Verlauf der depressiven Störung
Depressive
Episode
(1.Episode)
40 - 50%
gesund
45 - 55%
5-10 %
Depressive
Störung
(2. Episode)
70%
30%
gesund
Depressive
Störung
(3. Episode)
90%
Manische
Episode(n)
Bipolarer Verlauf
ca. 5%
© J. Margraf, 2012, Folie 16
Depressive
Störung
(weitere Episoden)
Langfristig episodischer
Verlauf
ca. 30 - 35%
10 %
gesund
Langfristig gesund
ca. 55 - 65%
PD Dr. E Hermann, Basel
Verlorene Lebensjahre weltweit:
Junge Menschen (10 – 24 Jahre)
Hauptursachen von YLD*s bei 10-24jährigen weltweit:
*YLD: Years lost due to disability
50%
45%
12%
10%
Unbeabsichtigte
Unfälle
Infektiöse und
parasitäre
Krankheiten
0%
Psychische
Störungen
© J. Margraf, 2012, Folie 17
Gore et al. (2011). Global burden of disease in young people
aged 10-24 years: a systematic analysis. The Lancet.
Dresden Predictor Study
• Prospektive Längsschnittstudie, zwei Wellen mit Abstand 1.5 Jahre
• Repräsentativ für junge Frauen (18-25) in Dresden
F-DIPS: Lebenszeit
7 Tage
F-DIPS: Intervall
7 Tage
Fragebogen + Ratingskalen
Fragebogen+Ratings
Baseline
N=1´881
Potentielle
Prädiktoren?
© J. Margraf, 2012, Folie 18
1
Protektive Faktoren
2
Stress
3
Coping
4
Kognitive Verzerr.
5
Psychopathologie
Follow-up
N=1´435
(76%)
Inzidenz
Remission
Psychological Medicine, 2002; Journal of Nervous and Mental Disease, 2003; European Psychiatry, 2007; British Journal
of Psychiatry, 2004; Journal of Anxiety Disorders, 2007; Social Psychiatry and Epidemiology, 2010.
Störungen im Kindesalter sind Prädiktoren für
Angststörungen im Erwachsenenalter
Prospektive Längsschnittstudie an jungen Frauen (N=1881)
Störung in der
Kindheit
Angststörungen
Andere Störungen
(u.a. affektive, Ess-,
somatoforme,
Substanzstörungen, Enuresis)
Störungen im
Erwachsenenalter
OR* 3-44
OR* 2-40
Angststörung
Angststörung
*OR: Odds Ratio (Chancenverhältnis)
© J. Margraf, 2012, Folie 19
Dresden Predictor Study, vgl. Trumpf et al., Social Psychiatry and Epidemiology, 2010.
Positive Faktoren:
Schutz vor Neuauftreten von Depressionen
Prospektive Längsschnittstudie an 1569 jungen Frauen:
Verringerung des Risikos für neue Depressionen (logist. Regression)
Durchschnittliches
Depressionsrisiko
Selbstkompetenz
LebensPsychische
zufriedenheit Gesundheit
Soziale
Unterstützung
-1
Verringerung
um das
n-fache
-2
-3
-4
- 2.5
- 3.3
- 3.3
-5
- 5.0
© J. Margraf, 2012, Folie 20
Dresden Predictor Study, vgl. Trumpf et al., Social Psychiatry and Epidemiology, 2010.
Prospektive Längsschnittstudie an
Hochrisikogruppe
(Kinder von Patienten, Dauer 6,7 Jahre)
Angststörungen im Kindesalter sagen
Störungen im Erwachsenenalter vorher
Störungen im
Erwachsenenalter
Störung in der Kindheit
(M=11.7 Jahre, SD=2.6)
Angststörung
Trennungsangst
OR* 3.6
OR* 8.4
(M=18.4 Jahre, SD=3.6)
Angststörung
Panik /
Agoraphobie
*OR: Odds Ratio (Chancenverhältnis)
© J. Margraf, 2012, Folie 21
Schneider & Nündel, European Neuropsychopharmacology, 2002
Brückl, Wittchen, Höfler, Pfister, Schneider & Lieb, Psychotherapy and Psychosomatics , 2007
Störungsentwicklung im Zeitverlauf
Angststörungen
Schrittmacherfunktion
von Angst,
Depressionen
Vermeidung und kognitiven
Somatische
Verzerrungen
Erkrankungen
© J. Margraf, 2012, Folie 22
Zwischenfazit 2:
Unbehandelter Verlauf
• Chronische Verläufe sind die Regel
– >50% aller psychischen Störungen beginnen vor dem
14. Lebensjahr
– Depressionen, Angst- + Essstörungen: 50 - >80% der
Fälle chronisch
• Zusätzlich Folgeprobleme
–
–
–
–
Ausgeprägtes Inanspruchnahmeverhalten
Psychische + somatische Komorbidität
Folgen unangemessener Lösungsversuche
Soziale und zwischenmenschliche Folgen, Suizidalität
© J. Margraf, 2012, Folie 23
Überblick
• Bedeutung psychischer Störungen
• Was geschieht ohne (ausreichende)
Behandlung?
• Was leistet Psychotherapie?
• Stand der Versorgung
• Schlussfolgerungen
© J. Margraf, 2012, Folie 24
Herr M. und Frau S.
Herr M., 22 Jahre
Agoraphobie, Panik,
Depression, multiple
frühere Behandlungen,
nach 5 Tagen Intensivtherapie frei von Vermeidung und Panik
Frau S., 18 Jahre Agoraphobie, Panik,
Depression, 2 Jahre komplett ans Haus
gebunden, nach 4 Tagen Intensivtherapie
frei von Vermeidung und Panikanfällen
© J. Margraf, 2012, Folie 25
Psychotherapieforschung:
„Vom Regen in die Traufe“
Früher viel zu wenig adäquate* Studien,
heute kaum überschaubare Vielzahl
*Keine Kontrollgruppen, Zufallszuweisung, objektiven Erfolgsmasse etc.
Anzahl kontrollierter Therapiestudien:
bis ca. 1950
4
bis ca. 1960
77
bis ca. 1970
220
bis ca. 1980
500
bis ca. 1990
3500?
heute
???
Allein zur Depression alle 5 Stunden 1 Artikel
© J. Margraf, 2012, Folie 26
Revenstorf 1984, Anderson et al. J Clin Psychol 2000, 56, 491-504
Wirksamkeitsforschung:
Vergleich mit medizinischen Therapien
Effektstärke
Effektstärke (behandelt
(behandelt vs.
vs. nicht
nicht behandelt)
behandelt)
Erfolgswahrscheinlichkeit
Erfolgswahrscheinlichkeit (behandelt
(behandelt vs.
vs. nicht
nicht behandelt)
behandelt)
0
.20
.40
.60
1.20
.80
.88
Psychotherapie
allgemein
.73
Herzchirurgie
(Bypass)
.80
.71
.61
Pharmakotherapie
bei Arthritis
© J. Margraf, 2012, Folie 27
1.00
1.21
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren
Aspirin zur Prävention
von Herzinfarkt
.80
.67
.07
.52
Grawe et al. (1994), Howard & Orlinski (1994), Lutz (2003)
„Meta-Meta-Analyse“: 46 Meta-Analysen
Ergebnisse der „Meta-Meta-Analyse“
im „Binomial Effect Size Display“
Durchschnittliches Erfolgsniveau
(Perzentile der Gesamtverteilung)
Effektstärke 0.75
Effektstärke 0.58
Effektstärke 0.23
© J. Margraf, 2012, Folie 28
Psychotherapie
67.5%
Kontrolle 32.5%
Psychotherapie 64%
Placebo 36%
Psychotherapie 56%
Psychotherapie
44%
R.J. Grissom, Journal of Consulting & Clinical Psychology, 1996, 64, 973-982.
Übertragbarkeit auf die Routinepraxis?
Ergebnisse der Dresdner Verhaltenstherapieambulanz
%
© J. Margraf, 2012, Folie 29
Dresdner Verhaltenstherapie-Ambulanz
Gute Übertragbarkeit auf Routinepraxis
• 28 von 29 Studien zur Wirksamkeit empirisch validierter
Therapien in der Routinepraxis zeigen positive
Ergebnisse (Angst- und Affektive Störungen, Chambless
2005)
• Eine neue Meta-Analyse von Öst (2012) belegt ebenfalls
vergleichbare Wirksamkeit bei Studien unter Routine(„Effectiveness“) und unter Forschungsbedingungen
(„Efficacy“)
© J. Margraf, 2012, Folie 30
Psychotherapie ist kosten-effektiv
100%
54 Studien seit 1995 (13‘225 Patienten aus Europa,
Nordamerika, Indien und Australien; Ø N = 245):
95%
0%
•
•
•
86%
76%
36/38
30/35
13/17
Cost
Offset
NettoEinsparung
PT>
Medikamente
Kurze Therapien, v.a. kognitive Verhaltenstherapie
Gruppentherapien kosten-effektiver als Einzeltherapien
Mehrere Studien unter klinischen Routinebedingungen (hohe externe
Validität gut generalisierbar)
© J. Margraf, 2012, Folie 31
J. Margraf (2009): Kosten und Nutzen der Psychotherapie. Berlin: Springer.
Mögliche Erklärung durch selektive
Publikation? („Schubladen-Effekt“)
• Hinweise auf Publikationsverzerrungen bei
– Psychotherapie (publizierte > unpublizierte Studien)
und
– Pharmakotherapie (5 von 6 SSRIs nicht wirksamer als
Plazebo)
© J. Margraf, 2012, Folie 32
Lipsey & Wilson 1993; Kirsch et al., Prevention and Treatment, 2002
Erklärung durch „Schubladen-Effekt“
extrem unwahrscheinlich
• Kontrollformel nach Rosenthal (1984)
• Anzahl unpublizierter Studien mit „Nullergebnis“,
die nötig wären, um die beobachteten
Ergebnisse mit dem „Schubladen-Effekt“ zu
erklären:
Stichprobengröße
Zufallsgrenzwert für Anzahl „Schubladen-Studien“: 265
N=60
5200
N=150
13000
0
2000
4000
6000
8000
10000
12000
14000
Erforderliche Anzahl unpublizierter Studien
© J. Margraf, 2012, Folie 33
J. Margraf (2009). Kosten und Nutzen der Psychotherapie. Berlin: Springer.
Dosis-Wirkungs-Kurve
bei verschiedenen Störungen
Angststörungen
100
90
Depressionen
80
Borderline
70
% Verbesserung
60
50
40
30
20
10
0
0
© J. Margraf, 2012, Folie 34
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55
Anzahl
Therapiesitzungen
Howard et al. (1986, 1999)
Langfristige Wirkung nach Remission:
Psychotherapie besser als Medikamente (Depression)
Psychotherapie (KVT, 3 Booster) vs. kontinuierlich SSRI oder Plazebo
% ohne Rückfall
100
Kognitive
Verhaltenstherapie
80
60
40
SSRI
20
Placeb
o
0
0
2
4
6
8
Monate nach Ende der
Therapie
© J. Margraf, 2012, Folie 35
10
12
24
Hollon et al. (2005)
Langfristige Stabilität der Ergebnisse
(Alle Studien 1995-2005, Ø Katamnese 3 Jahre, Range 1-14)
Studie
VerhaltensTherapie*
Biondi et al. 2003
VT*+Medikamente
(SSRI, BZ)
stabil
De Beurs et al. 1999
stabil
De Jong 2000
stabil
Dugas et al. 2003
stabil
Durham et al. 2003
stabil
Gilroy et al. 2003
stabil
Götestam 2002
stabil
Hahlweg et al. 2001
stabil
Hembree et al. 2003
stabil
Himle et al. 2001
stabil
King et al. 2001
stabil
instabil
stabil
stabil
instabil
stabil
instabil
*Kognitive Verhaltenstherapie
© J. Margraf, 2012, Folie 36
Medikamente allein
(SSRI, BZ)
Margraf 2009
Therapie der Eltern hat langfristige
Auswirkungen auf die Kinder
Prospektive Längsschnittstudie zu Kindern von Angstpatienten
Vergleich der Kinder von Eltern mit vs. ohne Therapie
(Beobachtungszeitraum: sieben Jahre, N=2x40)
Klein Mittel
0
Grosser Effekt
1
2
Effektstärke
(Cohen´s d)
Angstsensitivität
Depression
Agoraphobie
Selbstkompetenz
© J. Margraf, 2012, Folie 37
Kinder von Eltern mit erfolgreicher Behandlung (N= 33) >
Kinder von Eltern mit erfolgloser Behandlung (N=7)
Schneider, S., In-Albon, T., Nündel, B., Margraf, J. (submitted)
Zwischenfazit 3:
Kosten und Nutzen von Psychotherapie
•
•
Psychische Störungen gehören zu den größten Kostenverursachen
Psychotherapie hat insgesamt positives Kosten-Nutzen-Verhältnis
– Reduktion medizinischer Kosten
– Nettoeinsparungen nach 1-5 Jahren
– Psychotherapie kosten-effektiver als medikamentöse Therapie
•
Die Forschungsergebnisse sind gut verallgemeinerbar
– Mehrere Studien unter klinischen Routinebedingungen
– Nicht durch „Schubladen-Effekt“ erklärbar
– Psychotherapie wirkt dauerhafter als Medikamente
•
Kosteneinsparungen nur wenn Ausweichreaktionen verhindert werden
– Wer zuerst kommt, mahlt zuerst?
– Erst somatisch, dann psychisch?
– Wer am lautesten schreit, am besten organisiert ist, am frechsten auftritt?
Breite Diskussion aller Beteiligten als Basis für Konsens
© J. Margraf, 2012, Folie 38
Überblick
• Bedeutung psychischer Störungen
• Was geschieht ohne (ausreichende)
Behandlung?
• Was leistet Psychotherapie?
• Stand der Versorgung
• Schlussfolgerungen
© J. Margraf, 2012, Folie 39
Versorgung psychisch kranker Menschen
• Gravierende Wartezeiten für Psychotherapie
• Versorgungsgrad 100 Prozent = zw. 4,3 oder 38,8
Psychotherapeuten pro 100.000 Einwohner in einem
Planungsbereich
• Durch prozentuale Angaben zur Regel- bzw. Überversorgung
kein Rückschluss auf reale Versorgungssituation möglich (zu
hohe Spannbreite der absoluten Zahlen)
© J. Margraf, 2012, Folie 40
Quelle: Bundes Psychotherapeuten Kammer BPtK
Das Beispiel Angststörungen
Was Patienten berichten (Repräsentativstudie)
Behandlungsarten für klinisch relevante Angst in Deutschland
(Behandlungsrate insgesamt nur 40%, N=3000)
%
7,4% aller
aller
== 7,4%
Betroffenen
Betroffenen
© J. Margraf, 2012, Folie 41
Margraf & Poldrack, Z Klin Psychol 2000
Das Beispiel Depression
Patienten werden v.a. vom Hausarzt behandelt
• 50 Prozent: keine oder ausschließlich medikamentöse
Behandlung
• Nur jeder 25. Patient erhält Psychotherapie
• Erhebliche Fehl- und Unterversorgung
© J. Margraf, 2012, Folie 42
Quelle: R. Richter, BPtK 2009
Psychotherapeutische Versorgung NRW
Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner
in Wochen
Durchschnitt NRW: 13,8
Durchschnitt NRW: 26,4
Einwohner: 13,8 Mio. 4 Mio.
© J. Margraf, 2012, Folie 43
Einwohner: 13,8 Mio. 4 Mio.
Quelle: BPtK
Überblick
• Bedeutung psychischer Störungen
• Was geschieht ohne (ausreichende)
Behandlung?
• Was leistet Psychotherapie?
• Stand der Versorgung
• Schlussfolgerungen
© J. Margraf, 2012, Folie 44
Halb voll oder halb leer?
© J. Margraf, 2012, Folie 45
„Halb voll“: Viel erreicht
• PsychThG hatte positive Folgen
– Ausbildung, Berufs-/Sozialrecht, Versorgung
• Infrastruktur
– Vertragstherapeuten
– Hochschulambulanzen
– Forschungsverbünde
• Internationaler Vergleich
– Deutschland besser als andere europäische oder nord-amerikanische Länder
– Ausbildung, Sicherheit, Verfügbarkeit
© J. Margraf, 2012, Folie 46
„Halb leer“: Vieles steht aus
• Teilweise Unter- und Fehlversorgung
• Teilweise unsinnige Regelungen (z.B. Gruppentherapie)
• Strukturbildung (z.B. eigene Referate in
Ministerien, zentrales Forschungsinstitut)
• Machbares wird nicht immer gemacht (z.B. in
vivo Konfrontation)
• Diagnostik und Qualitätssicherung verbesserbar, Risiken und Nebenwirkungen angehen
• Ungenügende Verzahnung Forschung-Praxis
(z.B. zögerlicher Praxistransfer)
© J. Margraf, 2012, Folie 47
Schlussfolgerungen
• Psychische Störungen haben große Bedeutung –
individuell, sozial und ökonomisch
• Ohne angemessene Behandlung i.d.R. negative Verläufe
• Psychotherapie zeigt statistisch und klinisch bedeutsame
Wirkungen
– Gute Übertragbarkeit auf klinische Routinebedingungen
– Gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis
– Gute Langzeit-Wirksamkeit
• Die Versorgungssituation zeigt große Lücken
– Quantitativ: v.a. ländlich, verdichtete Kreise + Ruhrgebiet
– Qualitativ: Praxistransfer und Qualitätssicherung
– Teilweise unsachgemäße Regelungen
© J. Margraf, 2012, Folie 48
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Fakultät für Psychologie
Außenstelle
Stadtbadgalerie
© J. Margraf, 2012, Folie 49
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