Versorgung psychisch kranker Menschen: Impulse aus der Forschung Prof. Dr. Jürgen Margraf, Fakultät für Psychologie © J. Margraf, 2012, Folie 1 Keine modernen Leiden 48% 99% © J. Margraf, 2012, Folie 2 10000 4000 Suizide Verkehrstote Gilgamesh-Epos: Mesopotamien, 3. Jahrtausend vor Chr. Stigmatisierung • Verknüpfung eines Personenmerkmals („psychisch krank“) mit einem negativen sozialen Stereotyp oder Vorurteil („ist gefährlich“) • Statusverlust • Diskriminierung • Besonders stark bei psychischen Krankheiten • Weitreichende Skepsis ist selbst bei Ärzten gut belegt (auch Psychiater, Psychologen) • Selbststigmatisierung und -abwertung Die Brandmarkung des Geldfälscher Veit Stoss (Nürnberg 1503) Link & Phelan 2001, Gaebel et al. 2004 © J. Margraf, 2012, Folie 3 Stigmatisierung • Zu den Grundrechten zählen u.a. wählen, heiraten, Kinder haben • USA 2002: Verlust von Grundrechten durch „psychisch krank“ in den Gesetzen der Einzelstaaten – Nicht wählen: 25 von 50 Staaten – Kein Sorgerecht für Kinder: 23 Staaten – Vergleich 1989-1999: Verschlechterung • Als Basis ausreichend: Aussage eines Zeugen (Experten) © J. Margraf, 2012, Folie 4 Hemmens et al. 2002 Lieber über „Stress“ sprechen? 511‘100‘000 Internet-Einträge zum Stichwort „Stress“ (Google, 21.11.2011, 0.18 Sekunden) 4861 Jahre Lesezeit (Annahme: 5 Minuten pro Eintrag) ...oder lieber „Burnout“? 56´500´000 Einträge © J. Margraf, 2012, Folie 5 Überblick • Bedeutung psychischer Störungen • Was geschieht ohne (ausreichende) Behandlung? • Was leistet Psychotherapie? • Stand der Versorgung • Schlussfolgerungen © J. Margraf, 2012, Folie 6 Die 5 weltweit wichtigsten Ursachen von Beeinträchtigung und Tod (DALYs*) 1990: Krankheit oder Verletzung 2020: Krankheit oder Verletzung 1. Atemwegsinfektionen 1. Ischämische Herzerkrankungen 2. Durchfallerkrankungen 2. Unipolare Depression 3. Perinatal verursachte Schäden 3. Verkehrsunfälle 4. Unipolare Depression Cerebrovaskuläre Krankheiten 5. Ischämische Herzerkrankungen 5. Chronisch obstruktive Lungenkrankheit *Disability Adjusted Life Years (DALY): Anzahl “verlorener” Lebensjahre durch vorzeitige Mortalität oder Leben mit starker Beeinträchtigung © J. Margraf, 2012, Folie 7 Murray & Lopez (1996): The global burden of disease. (WHO + Weltbank) Europäische Union: Krankheitslasten durch körperliche/psychische Krankheiten Anteile aller DALYs Rest Psychische Krankheiten Somatische Krankheiten © J. Margraf, 2012, Folie 8 Wittchen , H. U. & Jacobi, F. (2005). Size and burden of mental disorders in Europe – a critical review and appraisal of 27 studies. European Neuropsychopharmacology, 15, 357-376. Deutschland: Arbeitsunfähigkeit durch körperliche/psychische Krankheiten Anzahl Krankheiten Körperlich 15.5 19.0 24.0 26.9 37.8 100% Psychisch 14.6 0 25.6 1 2 40.5 3 56.8 ≥4 79.8 0% 0% 100% Anteil Personen mit Arbeitsunfähigkeitstagen © J. Margraf, 2012, Folie 9 Bundesgesundheitssurvey 1998 (Wittchen et al. 1999, 2002) Krankenkassen: Starker Anstieg psychischer Störungen • Fehlzeitenreport der AOK 2010 – Zunahme psychischer Erkrankungen um 93% seit 1997 – Fehlzeiten dabei 22,7 Tage (Atemwegserkrankung z.B. 6,5 Tage) – Besonders betroffen: Dienstleistungsgewerbe • Ähnliche Trends publiziert von BKK, BEK, GEK, TK, DAK © J. Margraf, 2012, Folie 10 Aktuelle Trends in NRW (2000-2009): Psychische Störungen • Insgesamt deutliche Zunahme um 20-50%, v.a. ab 2006 – Abhängig von Datenquelle (Behandlungsfälle, Rehabilitation, AU, Frühberentung) – Abhängig von Beobachtungszeitraum – Abhängig von Diagnosen (bei emotionalen Störungen bis zu 20-50% pro Jahr) • Gegensatz zum stabilen Trend bei anderen Krankheiten • Bei Frühberentungen stehen psychische Störungen auf dem ersten Platz (40%), bei Rehabilitation auf dem zweiten Platz (30%) • Insgesamt häufiger bei Frauen, aber Männer holen bei den häufigsten Diagnosen auf • Noch steilerer Anstieg bei Kindern und Jugendlichen • Ursachen für diesen starken Anstieg? – Artefakte (z.B. veränderte Diagnostik, Stigmatisierung, Inanspruchnahme) – Reale Veränderung der Morbidität © J. Margraf, 2012, Folie 11 Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit des Landes des Landes Nordrhein-Westfalen, Annuß & Zimmermann, August 2011. Realer Angstanstieg und seine Ursachen USA 1952-1993 Werte in psychometrischen Angstinventaren steigen an Standardabweichungen Standardabweichungen 170 Studien 99 Studien 40.192 Studenten 12.056 Schüler Psychotherapie Antidepressiva Soziale Determinanten: Verbundenheit (Singles, Scheidungsrate, Heiratsalter, Geburtsrate), Bedrohung, Ökonomie © J. Margraf, 2012, Folie 12 Jean Twenge, JPSP 2000, 79, 1007-1021 Depression: Mögliche soziale Ursachen • Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Dortmund): – Studie an 517 Beschäftigten (Bank, Versicherung, Gesundheitswesen, öffentlicher Dienst) – Je höher die Belastung am Arbeitsplatz, desto häufiger sind Depressionen oder depressive Verstimmungen © J. Margraf, 2012, Folie 13 Zwischenfazit 1: Bedeutung psychischer Störungen • Psychische Störungen sind sehr häufig – Angst, affektive Störungen und Sucht besonders häufig • Sie beginnen früher und verlaufen chronischer als lange angenommen • Sie sind schwer beeinträchtigende Krankheitsbilder – Hohes individuelles Leiden – Geringe Arbeitsproduktivität – Mangelnde Aufgabenerfüllung – Hohe Kosten • Komorbidität ist die Regel und nicht die Ausnahme • Deutliche Anstiege bei kostenintensiven Störungen Das Leiden der Betroffenen und ihrer Angehörigen wird mit Zahlen nur unzureichend ausgedrückt! © J. Margraf, 2012, Folie 14 Jacobi et al. 2004, Jané-Llopis & Anderson 2005, Margraf 2005, Michael & Margraf 2004, Murray & Lopez 1996, Wittchen et al. 2000, WHO World Mental Health Survey Consortium 2004 Überblick • Bedeutung psychischer Störungen • Was geschieht ohne (ausreichende) Behandlung? • Was leistet Psychotherapie? • Stand der Versorgung • Schlussfolgerungen © J. Margraf, 2012, Folie 15 Der Verlauf der depressiven Störung Depressive Episode (1.Episode) 40 - 50% gesund 45 - 55% 5-10 % Depressive Störung (2. Episode) 70% 30% gesund Depressive Störung (3. Episode) 90% Manische Episode(n) Bipolarer Verlauf ca. 5% © J. Margraf, 2012, Folie 16 Depressive Störung (weitere Episoden) Langfristig episodischer Verlauf ca. 30 - 35% 10 % gesund Langfristig gesund ca. 55 - 65% PD Dr. E Hermann, Basel Verlorene Lebensjahre weltweit: Junge Menschen (10 – 24 Jahre) Hauptursachen von YLD*s bei 10-24jährigen weltweit: *YLD: Years lost due to disability 50% 45% 12% 10% Unbeabsichtigte Unfälle Infektiöse und parasitäre Krankheiten 0% Psychische Störungen © J. Margraf, 2012, Folie 17 Gore et al. (2011). Global burden of disease in young people aged 10-24 years: a systematic analysis. The Lancet. Dresden Predictor Study • Prospektive Längsschnittstudie, zwei Wellen mit Abstand 1.5 Jahre • Repräsentativ für junge Frauen (18-25) in Dresden F-DIPS: Lebenszeit 7 Tage F-DIPS: Intervall 7 Tage Fragebogen + Ratingskalen Fragebogen+Ratings Baseline N=1´881 Potentielle Prädiktoren? © J. Margraf, 2012, Folie 18 1 Protektive Faktoren 2 Stress 3 Coping 4 Kognitive Verzerr. 5 Psychopathologie Follow-up N=1´435 (76%) Inzidenz Remission Psychological Medicine, 2002; Journal of Nervous and Mental Disease, 2003; European Psychiatry, 2007; British Journal of Psychiatry, 2004; Journal of Anxiety Disorders, 2007; Social Psychiatry and Epidemiology, 2010. Störungen im Kindesalter sind Prädiktoren für Angststörungen im Erwachsenenalter Prospektive Längsschnittstudie an jungen Frauen (N=1881) Störung in der Kindheit Angststörungen Andere Störungen (u.a. affektive, Ess-, somatoforme, Substanzstörungen, Enuresis) Störungen im Erwachsenenalter OR* 3-44 OR* 2-40 Angststörung Angststörung *OR: Odds Ratio (Chancenverhältnis) © J. Margraf, 2012, Folie 19 Dresden Predictor Study, vgl. Trumpf et al., Social Psychiatry and Epidemiology, 2010. Positive Faktoren: Schutz vor Neuauftreten von Depressionen Prospektive Längsschnittstudie an 1569 jungen Frauen: Verringerung des Risikos für neue Depressionen (logist. Regression) Durchschnittliches Depressionsrisiko Selbstkompetenz LebensPsychische zufriedenheit Gesundheit Soziale Unterstützung -1 Verringerung um das n-fache -2 -3 -4 - 2.5 - 3.3 - 3.3 -5 - 5.0 © J. Margraf, 2012, Folie 20 Dresden Predictor Study, vgl. Trumpf et al., Social Psychiatry and Epidemiology, 2010. Prospektive Längsschnittstudie an Hochrisikogruppe (Kinder von Patienten, Dauer 6,7 Jahre) Angststörungen im Kindesalter sagen Störungen im Erwachsenenalter vorher Störungen im Erwachsenenalter Störung in der Kindheit (M=11.7 Jahre, SD=2.6) Angststörung Trennungsangst OR* 3.6 OR* 8.4 (M=18.4 Jahre, SD=3.6) Angststörung Panik / Agoraphobie *OR: Odds Ratio (Chancenverhältnis) © J. Margraf, 2012, Folie 21 Schneider & Nündel, European Neuropsychopharmacology, 2002 Brückl, Wittchen, Höfler, Pfister, Schneider & Lieb, Psychotherapy and Psychosomatics , 2007 Störungsentwicklung im Zeitverlauf Angststörungen Schrittmacherfunktion von Angst, Depressionen Vermeidung und kognitiven Somatische Verzerrungen Erkrankungen © J. Margraf, 2012, Folie 22 Zwischenfazit 2: Unbehandelter Verlauf • Chronische Verläufe sind die Regel – >50% aller psychischen Störungen beginnen vor dem 14. Lebensjahr – Depressionen, Angst- + Essstörungen: 50 - >80% der Fälle chronisch • Zusätzlich Folgeprobleme – – – – Ausgeprägtes Inanspruchnahmeverhalten Psychische + somatische Komorbidität Folgen unangemessener Lösungsversuche Soziale und zwischenmenschliche Folgen, Suizidalität © J. Margraf, 2012, Folie 23 Überblick • Bedeutung psychischer Störungen • Was geschieht ohne (ausreichende) Behandlung? • Was leistet Psychotherapie? • Stand der Versorgung • Schlussfolgerungen © J. Margraf, 2012, Folie 24 Herr M. und Frau S. Herr M., 22 Jahre Agoraphobie, Panik, Depression, multiple frühere Behandlungen, nach 5 Tagen Intensivtherapie frei von Vermeidung und Panik Frau S., 18 Jahre Agoraphobie, Panik, Depression, 2 Jahre komplett ans Haus gebunden, nach 4 Tagen Intensivtherapie frei von Vermeidung und Panikanfällen © J. Margraf, 2012, Folie 25 Psychotherapieforschung: „Vom Regen in die Traufe“ Früher viel zu wenig adäquate* Studien, heute kaum überschaubare Vielzahl *Keine Kontrollgruppen, Zufallszuweisung, objektiven Erfolgsmasse etc. Anzahl kontrollierter Therapiestudien: bis ca. 1950 4 bis ca. 1960 77 bis ca. 1970 220 bis ca. 1980 500 bis ca. 1990 3500? heute ??? Allein zur Depression alle 5 Stunden 1 Artikel © J. Margraf, 2012, Folie 26 Revenstorf 1984, Anderson et al. J Clin Psychol 2000, 56, 491-504 Wirksamkeitsforschung: Vergleich mit medizinischen Therapien Effektstärke Effektstärke (behandelt (behandelt vs. vs. nicht nicht behandelt) behandelt) Erfolgswahrscheinlichkeit Erfolgswahrscheinlichkeit (behandelt (behandelt vs. vs. nicht nicht behandelt) behandelt) 0 .20 .40 .60 1.20 .80 .88 Psychotherapie allgemein .73 Herzchirurgie (Bypass) .80 .71 .61 Pharmakotherapie bei Arthritis © J. Margraf, 2012, Folie 27 1.00 1.21 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren Aspirin zur Prävention von Herzinfarkt .80 .67 .07 .52 Grawe et al. (1994), Howard & Orlinski (1994), Lutz (2003) „Meta-Meta-Analyse“: 46 Meta-Analysen Ergebnisse der „Meta-Meta-Analyse“ im „Binomial Effect Size Display“ Durchschnittliches Erfolgsniveau (Perzentile der Gesamtverteilung) Effektstärke 0.75 Effektstärke 0.58 Effektstärke 0.23 © J. Margraf, 2012, Folie 28 Psychotherapie 67.5% Kontrolle 32.5% Psychotherapie 64% Placebo 36% Psychotherapie 56% Psychotherapie 44% R.J. Grissom, Journal of Consulting & Clinical Psychology, 1996, 64, 973-982. Übertragbarkeit auf die Routinepraxis? Ergebnisse der Dresdner Verhaltenstherapieambulanz % © J. Margraf, 2012, Folie 29 Dresdner Verhaltenstherapie-Ambulanz Gute Übertragbarkeit auf Routinepraxis • 28 von 29 Studien zur Wirksamkeit empirisch validierter Therapien in der Routinepraxis zeigen positive Ergebnisse (Angst- und Affektive Störungen, Chambless 2005) • Eine neue Meta-Analyse von Öst (2012) belegt ebenfalls vergleichbare Wirksamkeit bei Studien unter Routine(„Effectiveness“) und unter Forschungsbedingungen („Efficacy“) © J. Margraf, 2012, Folie 30 Psychotherapie ist kosten-effektiv 100% 54 Studien seit 1995 (13‘225 Patienten aus Europa, Nordamerika, Indien und Australien; Ø N = 245): 95% 0% • • • 86% 76% 36/38 30/35 13/17 Cost Offset NettoEinsparung PT> Medikamente Kurze Therapien, v.a. kognitive Verhaltenstherapie Gruppentherapien kosten-effektiver als Einzeltherapien Mehrere Studien unter klinischen Routinebedingungen (hohe externe Validität gut generalisierbar) © J. Margraf, 2012, Folie 31 J. Margraf (2009): Kosten und Nutzen der Psychotherapie. Berlin: Springer. Mögliche Erklärung durch selektive Publikation? („Schubladen-Effekt“) • Hinweise auf Publikationsverzerrungen bei – Psychotherapie (publizierte > unpublizierte Studien) und – Pharmakotherapie (5 von 6 SSRIs nicht wirksamer als Plazebo) © J. Margraf, 2012, Folie 32 Lipsey & Wilson 1993; Kirsch et al., Prevention and Treatment, 2002 Erklärung durch „Schubladen-Effekt“ extrem unwahrscheinlich • Kontrollformel nach Rosenthal (1984) • Anzahl unpublizierter Studien mit „Nullergebnis“, die nötig wären, um die beobachteten Ergebnisse mit dem „Schubladen-Effekt“ zu erklären: Stichprobengröße Zufallsgrenzwert für Anzahl „Schubladen-Studien“: 265 N=60 5200 N=150 13000 0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000 Erforderliche Anzahl unpublizierter Studien © J. Margraf, 2012, Folie 33 J. Margraf (2009). Kosten und Nutzen der Psychotherapie. Berlin: Springer. Dosis-Wirkungs-Kurve bei verschiedenen Störungen Angststörungen 100 90 Depressionen 80 Borderline 70 % Verbesserung 60 50 40 30 20 10 0 0 © J. Margraf, 2012, Folie 34 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Anzahl Therapiesitzungen Howard et al. (1986, 1999) Langfristige Wirkung nach Remission: Psychotherapie besser als Medikamente (Depression) Psychotherapie (KVT, 3 Booster) vs. kontinuierlich SSRI oder Plazebo % ohne Rückfall 100 Kognitive Verhaltenstherapie 80 60 40 SSRI 20 Placeb o 0 0 2 4 6 8 Monate nach Ende der Therapie © J. Margraf, 2012, Folie 35 10 12 24 Hollon et al. (2005) Langfristige Stabilität der Ergebnisse (Alle Studien 1995-2005, Ø Katamnese 3 Jahre, Range 1-14) Studie VerhaltensTherapie* Biondi et al. 2003 VT*+Medikamente (SSRI, BZ) stabil De Beurs et al. 1999 stabil De Jong 2000 stabil Dugas et al. 2003 stabil Durham et al. 2003 stabil Gilroy et al. 2003 stabil Götestam 2002 stabil Hahlweg et al. 2001 stabil Hembree et al. 2003 stabil Himle et al. 2001 stabil King et al. 2001 stabil instabil stabil stabil instabil stabil instabil *Kognitive Verhaltenstherapie © J. Margraf, 2012, Folie 36 Medikamente allein (SSRI, BZ) Margraf 2009 Therapie der Eltern hat langfristige Auswirkungen auf die Kinder Prospektive Längsschnittstudie zu Kindern von Angstpatienten Vergleich der Kinder von Eltern mit vs. ohne Therapie (Beobachtungszeitraum: sieben Jahre, N=2x40) Klein Mittel 0 Grosser Effekt 1 2 Effektstärke (Cohen´s d) Angstsensitivität Depression Agoraphobie Selbstkompetenz © J. Margraf, 2012, Folie 37 Kinder von Eltern mit erfolgreicher Behandlung (N= 33) > Kinder von Eltern mit erfolgloser Behandlung (N=7) Schneider, S., In-Albon, T., Nündel, B., Margraf, J. (submitted) Zwischenfazit 3: Kosten und Nutzen von Psychotherapie • • Psychische Störungen gehören zu den größten Kostenverursachen Psychotherapie hat insgesamt positives Kosten-Nutzen-Verhältnis – Reduktion medizinischer Kosten – Nettoeinsparungen nach 1-5 Jahren – Psychotherapie kosten-effektiver als medikamentöse Therapie • Die Forschungsergebnisse sind gut verallgemeinerbar – Mehrere Studien unter klinischen Routinebedingungen – Nicht durch „Schubladen-Effekt“ erklärbar – Psychotherapie wirkt dauerhafter als Medikamente • Kosteneinsparungen nur wenn Ausweichreaktionen verhindert werden – Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? – Erst somatisch, dann psychisch? – Wer am lautesten schreit, am besten organisiert ist, am frechsten auftritt? Breite Diskussion aller Beteiligten als Basis für Konsens © J. Margraf, 2012, Folie 38 Überblick • Bedeutung psychischer Störungen • Was geschieht ohne (ausreichende) Behandlung? • Was leistet Psychotherapie? • Stand der Versorgung • Schlussfolgerungen © J. Margraf, 2012, Folie 39 Versorgung psychisch kranker Menschen • Gravierende Wartezeiten für Psychotherapie • Versorgungsgrad 100 Prozent = zw. 4,3 oder 38,8 Psychotherapeuten pro 100.000 Einwohner in einem Planungsbereich • Durch prozentuale Angaben zur Regel- bzw. Überversorgung kein Rückschluss auf reale Versorgungssituation möglich (zu hohe Spannbreite der absoluten Zahlen) © J. Margraf, 2012, Folie 40 Quelle: Bundes Psychotherapeuten Kammer BPtK Das Beispiel Angststörungen Was Patienten berichten (Repräsentativstudie) Behandlungsarten für klinisch relevante Angst in Deutschland (Behandlungsrate insgesamt nur 40%, N=3000) % 7,4% aller aller == 7,4% Betroffenen Betroffenen © J. Margraf, 2012, Folie 41 Margraf & Poldrack, Z Klin Psychol 2000 Das Beispiel Depression Patienten werden v.a. vom Hausarzt behandelt • 50 Prozent: keine oder ausschließlich medikamentöse Behandlung • Nur jeder 25. Patient erhält Psychotherapie • Erhebliche Fehl- und Unterversorgung © J. Margraf, 2012, Folie 42 Quelle: R. Richter, BPtK 2009 Psychotherapeutische Versorgung NRW Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner in Wochen Durchschnitt NRW: 13,8 Durchschnitt NRW: 26,4 Einwohner: 13,8 Mio. 4 Mio. © J. Margraf, 2012, Folie 43 Einwohner: 13,8 Mio. 4 Mio. Quelle: BPtK Überblick • Bedeutung psychischer Störungen • Was geschieht ohne (ausreichende) Behandlung? • Was leistet Psychotherapie? • Stand der Versorgung • Schlussfolgerungen © J. Margraf, 2012, Folie 44 Halb voll oder halb leer? © J. Margraf, 2012, Folie 45 „Halb voll“: Viel erreicht • PsychThG hatte positive Folgen – Ausbildung, Berufs-/Sozialrecht, Versorgung • Infrastruktur – Vertragstherapeuten – Hochschulambulanzen – Forschungsverbünde • Internationaler Vergleich – Deutschland besser als andere europäische oder nord-amerikanische Länder – Ausbildung, Sicherheit, Verfügbarkeit © J. Margraf, 2012, Folie 46 „Halb leer“: Vieles steht aus • Teilweise Unter- und Fehlversorgung • Teilweise unsinnige Regelungen (z.B. Gruppentherapie) • Strukturbildung (z.B. eigene Referate in Ministerien, zentrales Forschungsinstitut) • Machbares wird nicht immer gemacht (z.B. in vivo Konfrontation) • Diagnostik und Qualitätssicherung verbesserbar, Risiken und Nebenwirkungen angehen • Ungenügende Verzahnung Forschung-Praxis (z.B. zögerlicher Praxistransfer) © J. Margraf, 2012, Folie 47 Schlussfolgerungen • Psychische Störungen haben große Bedeutung – individuell, sozial und ökonomisch • Ohne angemessene Behandlung i.d.R. negative Verläufe • Psychotherapie zeigt statistisch und klinisch bedeutsame Wirkungen – Gute Übertragbarkeit auf klinische Routinebedingungen – Gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis – Gute Langzeit-Wirksamkeit • Die Versorgungssituation zeigt große Lücken – Quantitativ: v.a. ländlich, verdichtete Kreise + Ruhrgebiet – Qualitativ: Praxistransfer und Qualitätssicherung – Teilweise unsachgemäße Regelungen © J. Margraf, 2012, Folie 48 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Fakultät für Psychologie Außenstelle Stadtbadgalerie © J. Margraf, 2012, Folie 49