Züchtungskunde, 78, (3) S. 184 – 194, 2006, ISSN 0044-5401 © Eugen Ulmer KG, Stuttgart Gesundheitsmerkmale in der Nachkommenprüfung auf Station bei Fleckviehbullen 2. Mitteilung: Schätzung genetischer Parameter Franziska Hilgenstock*, H. Hamann*, K.- U. Götz**, E. Rosenberger** und O. Distl* 1 Einleitung Respiratorische Erkrankungen sind ein häufiges Problem bei der Nachkommenprüfung auf Station. So musste eine große Anzahl der in Westerschondorf geprüften Deutschen Fleckviehbullen wegen Atemwegserkrankungen mehrmals behandelt werden. Die bei der Einstallung durchgeführten Prophylaxeprogramme und Hygienemaßnahmen waren nicht ausreichend, um die Tiere vor diesen Erkrankungen vollständig zu schützen (Hilgenstock et al., 2006). Um die Nutzbarkeit der Informationen über den Gesundheitsstatus der stationsgeprüften Tiere für züchterische Zwecke zu ermitteln, sollten die genetischen Parameter für die in der Nachkommenprüfung erhobenen Daten über tierärztliche Diagnosen und Behandlungen geschätzt werden. Zusätzlich sollte eine Zuchtwertschätzung für die Väter der geprüften Bullen vorgenommen werden, um die Selektionsmöglichkeiten darzustellen. Material und Methoden Das Datenmaterial umfasste die tierärztlichen Diagnosen und Behandlungen von 1775 Fleckviehbullen, die auf dem Staatlichen Versuchsgut Westerschondorf eine Nachkommenprüfung zwischen 1994 und 2001 absolvierten. Die Nachkommenprüfung erstreckte sich vom 112. bis zum 450. Lebenstag. Die Pedigreedaten reichten maximal bis zur 16. Generation und umfassten 8658 Tiere. Weitere Angaben über das Datenmaterial finden sich in der 1. Mitteilung (Hilgenstock et al., 2006). Statistische Methoden Die Varianzkomponentenschätzung erfolgte mittels Residual Maximum Likelihood (REML) unter Verwendung von VCE-5, Version 5.1.2 (Kovač et al., 2003). Ausgewertet wurden die Inzidenzen von Bronchopneumonie und anderen Erkrankungen sowie die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen. Für diese Merkmale wurden zunächst die additiv-genetischen und residualen Varianzen in linearen univariaten Tiermodellen geschätzt. Anschließend wurden multivariate Schätzmodelle verwendet, um auch die Kovarianzmatrizen schätzen zu können. Das Modell enthielt die folgenden Effekte: ** Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Bünteweg 17p, 30559 Hannover. E-mail: [email protected]. ** Institut für Tierzucht, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Prof.-DuerrwaechterPlatz 1, 85586 Poing/Grub. Nachkommenprüfung auf Station bei Fleckviehbullen – genetische Parameter 185 Modell zur Schätzung von genetischen Parametern für die Inzidenz und Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen bei Fleckviehbullen in der Nachkommenprüfung Yijklmnopq = + EAi + STj + Bk + ESl + Dm + GRn + EGo + ap + eijklmnopq Yijklmnopq = beobachtete Inzidenz von Bronchopneumonie oder anderer Erkrankungen oder Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie oder anderer Erkrankungen des jklmnopq-ten Tieres µ = Modellkonstante = fixer Effekt des Einstallungsalters (i = 1–5) EAi = fixer Effekt des Einstallungsstalles (j = 1–11) STj = fixer Effekt der Region, in denen die Herkunftsbetriebe der Prüftiere Bk lokalisiert waren (k = 1–13) = fixer Effekt der Saison, in der die Tiere eingestallt wurden (l = 1– 4) ESl = fixer Effekt der Diagnose einer Lungenerkrankung bei der Einstallung Dm (m = 1– 2) = fixer Effekt von Mastgruppe und Einstallungsjahr (n = 1– 51) GRn = fixer Effekt des Einstallungsgewichts (o = 1– 9) EGo = zufälliger additiv-genetischer Effekt des Tieres (p = 1– 8.658) ap eijklmnopq = zufälliger Restfehler Die Heritabilitäten (h2) der analysierten Merkmale wurden wie folgt geschätzt: h2 = a2 / (a2 + e2). Die Korrelationen ergaben sich aus folgenden Formeln: additiv-genetische Korrelation: rg = KOV(a1, a2)/ (a1 a2), residuale Korrelation: re = KOV (e1, e2)/ (e1 e2 ), wobei a2 = additiv-genetische Varianz, e2 = residuale Varianz und KOV = Kovarianz für die additiv-genetischen bzw. residualen Effekte. Die im linearen Modell geschätzten Heritabilitäten für die Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen wurden mittels der Transformation von Dempster und Lerner (1950) in das Schwellenmodell transformiert: ho2 = h2 [q (1-q)]/z2, ho2 = Heritabilität im Schwellenmodell, h2 = im linearen Modell geschätzte Heritabilität, q = Häufigkeit der Tiere mit Bronchopneumonie oder anderen Erkrankungen, z = Ordinate für den Schwellenwert bei einer Standardnormalverteilung. Die im linearen Modell geschätzte residuale Korrelation für die Inzidenz von Bronchopneumonie oder anderer Erkrankungen wurde mittels der Transformation von Vinson et al. (1976) an das Schwellenmodell angepasst: reo = re[(q1 (1-q1) (q2 (1-q2)0,5)]/ (z2), r eo = residuale Korrelation im Schwellenmodell, re = im linearen Modell geschätzte residuale Korrelation, q1 = Häufigkeit der Tiere mit einer Bronchopneumonie, q2 = Häufigkeit der Tiere mit anderen Erkrankungen. Unter Berücksichtigung der linear geschätzten genetischen Parameter wurden mit Hilfe von PEST, Version 3.1 (Groeneveld, 1990), die Zuchtwerte und deren Standardfehler multivariat für folgende Merkmale geschätzt: Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie, Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen, Inzidenz von Bronchopneumonie und Inzidenz anderer Erkrankungen. 186 Franziska Hilgenstock u. a. Ergebnisse 3.1 Genetische Parameter Die univariat geschätzte additiv-genetische Varianz lag für die Inzidenz von Bronchopneumonie bei a2 = 0,017 und für die Inzidenz anderer Erkrankungen bei a2 = 0,012. Die residuale Varianz betrug für die Inzidenz von Bronchopneumonie e2 = 0,152 und für die anderen Erkrankungen e2 = 0,107. Die daraus geschätzten Heritabilitäten für die Inzidenz von Bronchopneumonie und anderen Erkrankungen waren mit h2 = 0,10 niedrig (Tab. 1). Dagegen zeigte sich für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie eine geschätzte additiv-genetische Varianz von a2 = 5,330 und dementsprechend ein Heritabilitätsschätzwert von h2 = 0,28, für die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen lag die Heritabilität bei h2 = 0,10. Tab. 1. Univariat geschätzte Heritabilitäten einschließlich deren Standardfehler (h2 ± SE), additiv-genetische (a2) und residuale (e2) Varianzen der Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen, Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen Univariately estimated heritabilities with their standard errors (h2 ± SE), additive genetic (a2) and residual (e2) variances of the incidence of bronchopneumonia and other diseases and the number of treatments of bronchopneumonia and other diseases Merkmal Inzidenz von Bronchopneumonie Inzidenz anderer Erkrankungen Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie Anzahl Behandlungen anderer Erkrankungen a 2 e 2 h2 ± SE 0,017 0,012 5,330 0,047 0,152 0,107 2,028 0,446 0,098 ± 0,038 0,100 ± 0,052 0,276 ± 0,066 0,095 ± 0,049 Die multivariate Analyse für die Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen sowie die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen führte zu leicht höheren Heritabilitätsschätzwerten als in der univariaten Analyse. So ergaben sich Schätzwerte für die Inzidenz von Bronchopneumonie von h2 = 0,11 und für die Inzidenz anderer Erkrankungen von h2 = 0,13. Die Heritabilitätsschätzwerte im Schwellenmodell nach Dempster und Lerner (1950) ergaben einen Wert für die Inzidenz von Bronchopneumonie von h2 = 0,21 und für die Inzidenz anderer Erkrankungen von h2 = 0,29 (Tab. 2). Für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen lagen die geschätzten Heritabilitäten bei h2 = 0,28 bzw. bei h2 = 0,12. Die additiv-genetischen Korrelationen zwischen den analysierten Merkmalen waren positiv. Erwartungsgemäß waren die Inzidenzen der Erkrankungen mit der Anzahl Behandlungen mit rg = 0,99 und rg = 0,86 korreliert. Die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und die Inzidenz anderer Erkrankungen zeigten die geringsten additivgenetischen Korrelationen mit einem Wert nahe bei Null. Die Inzidenz von Bronchopneumonie und die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen korrelierten genetisch mit einem Wert von rg = 0,49. In fast ähnlicher Höhe bewegte sich die additivgenetische Korrelation zwischen der Inzidenz von anderen Erkrankungen und der Inzidenz von Bronchopneumonie mit rg = 0,40. Die residualen Korrelationen lagen ebenfalls alle im positiven Bereich. Die höchste residuale Korrelation zeigte sich zwischen der Inzidenz anderer Erkrankungen und der Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen mit einem Wert von re = 0,71. Die niedrigsten residualen Korrelationen wiesen die Inzidenz von Bronchopneumonie zu der Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen sowie die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie zu der Inzidenz von Bronchopneumonie mit Werten na- Nachkommenprüfung auf Station bei Fleckviehbullen – genetische Parameter 187 Tab. 2: Heritabilitäten einschließlich deren Standardfehler, additiv-genetische (unterhalb der Diagonalen) und residuale (oberhalb der Diagonalen) Korrelationen der Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen und Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen Heritabilities with their standard errors, additive genetic (below the diagonal) and residual (above the diagonal) correlations of the incidence of bronchopneumonia and other diseases and the number of treatments due to bronchopneumonia and other diseases Anzahl BronchoBehandlungen pneumonie wegen anderer Erkrankungen Inzidenz von Bronchopneumonie anderen Erkrankungen Anzahl Behandlungen wegen Inzidenz von Bronchopneumonie Bronchopneumonie anderer Erkrankungen anderen Erkrankungen 0,275 ± 0,055 0,022 ± 0,038 0,342 ± 0,033 0,270 ± 0,042 0,172 ± 0,198 0,117 ± 0,040 0,022 ± 0,030 0,706 ± 0,015 0,859 ± 0,082 0,493 ± 0,194 0,112 ± 0,031 0,042 ± 0,029 0,211 ± 0,058* 0,086± 0,059** 0,399 ± 0,194 0,130 ± 0,037 0,290 ± 0,082* 0,023 ± 0,199 0,986 ± 0,015 ** Transformation nach Dempster und Lerner (1950) ** Transformation nach Vinson et al. (1976) he bei Null auf. Die residuale Korrelation zwischen der Inzidenz von Bronchopneumonie und Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie war re = 0,34, zwischen der Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderen Erkrankungen betrug die residuale Korrelation re = 0,27. Die nach Vinson et al. (1976) in das Schwellenmodell transformierte residuale Korrelation zwischen der Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen betrug reo = 0,086. 3.2 Zuchtwertschätzung Die Zuchtwerte aller Väter mit Nachkommen in dem ausgewerteten Datensatz für die Inzidenz von Bronchopneumonie variierten zwischen ZWmin = –0,21 und ZWmax = 0,24 bei einem Mittelwert von Null und einer Standardabweichung von sZW = 0,065 (Abb. 1). Die Genauigkeiten der geschätzten Väterzuchtwerte lagen zwischen rAI = 0,27 und 0,81. Die Zuchtwerte für die Inzidenz anderer Erkrankungen variierten zwischen ZWmin= –0,11 und ZWmax= 0,18. Mittelwert und Standardabweichung waren bei = 0,014 ± 0,055. Die Genauigkeiten der geschätzten Zuchtwerte bewegten sich zwischen rAI = 0,24 und rAI = 0,78. Für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie nahmen die geschätzten Zuchtwerte Werte zwischen ZWmin = –1,937 und ZWmax = 3,322 an (Abb. 2). Die Genauigkeiten bewegten sich zwischen rAI = 0,31 und rAI = 0,86 (Abb. 3). Für die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen variierten die Zuchtwerte zwischen ZWmin = –0,236 und ZWmax = 0,348 bei einer Standardabweichung von sZW = 0,105 (Abb. 4). Die Genauigkeiten waren in einem Bereich von rAI = 0,23 bis rA1 = 0,77 (Tab. 3). 188 Franziska Hilgenstock u. a. Abb. 1. Verteilung der Zuchtwerte der nachkommengeprüften Väter für die Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen Distribution of breeding values of the progeny tested sires for the incidence of bronchopneumonia and other diseases Abb. 2. Verteilung der Zuchtwerte der nachkommengeprüften Väter für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie Distribution of breeding values of the progeny tested sires for the number of treatments due to bronchopneumonia Nachkommenprüfung auf Station bei Fleckviehbullen – genetische Parameter 189 Abb. 3. Verteilung der Genauigkeit der Zuchtwerte der nachkommengeprüften Väter für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie Distribution of the accuracies of the breeding values of the progeny tested sires for the number of treatments due to bronchopneumonia Abb. 4. Verteilung der Zuchtwerte nachkommengeprüfter Väter für die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen Distribution of breeding values of the progeny tested sires for the number of treatments due to other diseases 190 Franziska Hilgenstock u. a. Tab. 3. Verteilung der geschätzten Zuchtwerte der nachkommengeprüften Väter und deren Genauigkeiten für die Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen sowie die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen Distribution of the breeding values predicted for progeny tested sires and their accuracies for the incidence of bronchopneumonia and other diseases and the number of treatments due to bronchopneumonia and other diseases Merkmal Zuchtwerte der Väter (n = 310) Genauigkeit Inzidenz von Bronchopneumonie min –x ± s max Median – 0,213 – 0,006 ± 0,065 0,240 – 0,02 0,274 0,481 0,810 Inzidenz anderer Erkrankungen min –x ± s max Median – 0,111 0,014 ± 0,055 0,181 0,01 0,239 0,439 0,784 Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie min –x ± s max Median –1,937 – 0,157 ± 0,731 3,322 – 0,228 0,310 0,533 0,859 Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen min –x ± s max Median – 0,236 0,024 ± 0,105 0,348 0,00 0,232 0,425 0,772 min: Minimum; max: Maximum. 4 Diskussion 4.1 Genetische Parameter Ziel der Heritabilitätsschätzungen war es herauszufinden, ob in der untersuchten Population des Deutschen Fleckviehs eine für züchterische Zwecke ausreichend hohe additivgenetische Streuung der untersuchten Merkmale vorlag. Die Schätzung der Heritabilität kann durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst werden. Zunächst können dies die Methode der Schätzung und die dabei berücksichtigten genetischen Effekte sein. Hier kann das Tier selbst als genetischer Effekt eingehen, oder die verwandtschaftlichen Beziehungen können über die Vaterkomponente und somit über die Halbgeschwisterstruktur erfasst werden. Weiterhin üben Datenmenge und Datenstruktur einen erheblichen Einfluss auf das Schätzergebnis aus. Die Heritabilitäten lagen für die Inzidenz von Bronchopneumonie sowohl in der univariaten als auch in der multivariaten Schätzung bei h2 = 0,10. Diese Ergebnisse sind im Vergleich zu der Studie von Matthes und Herrendörfer (1991) niedriger. Die letztgenannten Autoren untersuchten eine ausschließlich männliche Population mit 23954 Probanden und schätzten für Pneumonie als binomiales Merkmal eine Heritabilität zwischen h2 = 0,13 ± 0,11 und h2 = 0,25 ± 0,15. Die Krankheitsaufzeichnungen für die Probanden reichten von der Geburt bis zum 140. Lebenstag und umfassten damit einen kürzeren und früheren Lebensabschnitt als in der vorliegenden Untersuchung. Die Tiere wurden auf einer LPG in der DDR in Anbindehaltung gehalten. Täglich wurden die Tränkeaufnahme und der Gesundheitsstatus der einzelnen Tiere aufgezeichnet. Dieses Verfahren ist mit dem auf dem Staatlichen Versuchsgut Westerschondorf zu vergleichen. Bei der Herde handelte es sich um eine Milchviehrasse, während es sich bei Fleckvieh um eine Zweinutzungsrasse handelt. Der Heritabi- Nachkommenprüfung auf Station bei Fleckviehbullen – genetische Parameter 191 litätsschätzwert nach Transformation in das Schwellenmodell nach Dempster und Lerner (1950) ergab einen Wert für die Inzidenz von Bronchopneumonie von h2 = 0,21, welcher in dem gleichen Bereich wie die Heritabilitätsschätzwerte von Matthes und Herrendörfer (1991) liegt. Da die letztgenannten Autoren weder Methode noch Art des Modells angeben, ist ein Vergleich der Schätzwerte schwierig. Auch Holmskov et al. (1998) und Jørgensen und Madsen (1997) schätzten für die Inzidenz respiratorischer Erkrankungen höhere Heritabilitäten mit h2 = 0,26. Holmskov et al. (1998) untersuchten 309 männliche und 260 weibliche Tiere, die auf Station geprüft wurden. Der Zeitraum der Datenerfassung reichte vom 42. bis zum 336. Lebenstag. Jørgensen und Madsen (1997) nahmen in ihre Auswertung 10913 Dänische Schwarzbunte Bullen aus der Stationsprüfung auf. In der dänischen Stationsprüfung werden die Tiere mit vier Wochen auf dem Prüfbetrieb eingestallt. Zweinutzungs- und Milchrassen werden zu Beginn der Prüfung in Einzelboxen in Quarantäne gehalten und später - abhängig von der Station - in Anbindehaltung oder Gruppen mit zwölf Tieren gehalten (Liboriussen et al., 1997). Auf dem Staatlichen Versuchsgut Westerschondorf wurden die Tiere gleich bei der Einstallung in Gruppen zu 24 Tieren aufgestallt, die Prüfung begann dagegen jedoch erst am 112. Tag. Für die Anzahl der Infektionen ergab sich bei Jørgensen und Madsen (1997) eine Heritabilität von h2 = 0,31. Dem gegenüber steht in der vorliegenden Studie die Untersuchung der Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie, für die sich eine Heritabilität von h2 = 0,28 ergab. Diese Werte liegen in einem ähnlichen Bereich, jedoch war es in der vorliegenden Untersuchung nicht möglich, die Anzahl der Infektionen an Hand der vorliegenden Daten zu definieren. Generell dürfte es schwierig sein, den Beginn und das Ende von Infektionskrankheiten festzustellen, da latent persistierende Keime nur mit großem Untersuchungsaufwand nachweisbar sind und Schädigungen von Organen durch Infektionserreger das Tier für wiederholte Infektionen anfälliger machen. In der Studie von Muggli-Cockett et al. (1992) war die geschätzte Heritabilität für Bronchopneumonie als binomiales Merkmal mit h2 = 0,10 in der Phase vor dem Absetzen in der gleichen Größenordnung wie bei dem Merkmal Inzidenz von Bronchopneumonie. Dagegen war in der zweiten Phase nach dem Absetzen die Heritabilität deutlich niedriger. Die Untersuchung umfasste 10142 Mastkälber mit neun unterschiedlichen Rassen. Die Tiere wurden in Mutterkuhhaltung aufgezogen und mit einem Alter von durchschnittlich 180 Tagen abgesetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Tiere zusammen mit ihren Müttern auf der Weide gehalten. Danach wurden sie in Feedlots gebracht. Diesbezüglich unterscheiden sich die Prüftiere aus Westerschondorf deutlich von diesen Tieren, da sie bereits mit 84 Tagen von der Milchaustauschertränke abgesetzt und ganzjährig im Stall gehalten wurden. Für die anderen Erkrankungen lagen die geschätzten Heritabilitäten bei h2 = 0,10 univariat und h2 = 0,13 multivariat geschätzt bzw. für die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen bei h2 = 0,10 (univariat) bzw. h2 = 0,12 (multivariat). Bei Matthes und Herrendörfer (1991) wurde eine Heritabilität von h2 = 0,08 ± 0,1 bzw. h2 = 0,1 ± 0,11 für das Auftreten von Durchfall geschätzt. Für diese Werte kann jedoch kein direkter Vergleich angestellt werden, da in der vorliegenden Untersuchung neben Durchfallerkrankungen auch noch weitere Erkrankungen unter dem Merkmal andere Erkrankungen zusammengefasst wurden. Die residuale Korrelation zwischen der Inzidenz von Bronchopneumonie und anderer Erkrankungen lag bei Null und die additiv-genetische Korrelation bei rg = 0,40. Demzufolge sind die beiden Merkmale nur über die genetischen Effekte miteinander korreliert. Der gefundene Schätzwert für die additiv-genetische Korrelation lässt auf einen genetischen Zusammenhang zwischen den für die Entstehung von Bronchopneumonien und anderen Erkrankungen verantwortlichen Faktoren schließen. Tiere, die für Bronchopneumonie anfällig sind, zeigen gleichzeitig eine höhere genetische Disposition für weitere in der Nachkommenprüfung auftretende Krankheiten. Dies waren vorwiegend Durchfallerkrankungen. Die Korrelationen zwischen der Inzidenz von Bronchopneumo- 192 Franziska Hilgenstock u. a. nie und der Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie machen deutlich, dass nach dem Auftreten einer Bronchopneumonieerkrankung der weitere Erkrankungsverlauf sowohl genetisch bedingt als auch durch die Umweltbedingungen wie z.B. das Management, den Erfolg der tierärztlichen Behandlungen und den Infektionsdruck, dem die Tiere ausgesetzt waren, beeinflusst wurden. Daraus folgt, dass die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie nach dem erstmaligen Auftreten einer Bronchopneumonie durch ein gutes Management und eine günstig gestaltete Umwelt verringert werden können. Tiere mit einer hohen genetisch bedingten Anfälligkeit für Bronchopneumonie dürften demnach auch schwerer und langwieriger erkrankt sein als Tiere mit einer hohen genetisch bedingten Widerstandskraft. Die Ursachen dafür könnten zum einen darin begründet sein, dass diese Tiere wenig Abwehrkräfte gegen Bronchopneumonie besitzen und somit die allgemeine und spezifische Immunantwort auf Bronchopneumonieerreger wenig effektiv ist oder zum anderen, dass die Bronchopneumonieerreger bei diesen Tieren schwere Organschäden verursachen und somit die Rekonvaleszenz länger dauert oder die Tiere deswegen für Neuinfektionen anfälliger werden. Die Inzidenz von Bronchopneumonie und die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen waren in mittlerer Höhe additiv-genetisch korreliert. Dies bedeutet, dass zum Beispiel in Nachkommengruppen mit einer hohen Inzidenz von Bronchopneumonie auch stets eine hohe Anzahl Behandlungen notwendig ist. Die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen und die Inzidenz anderer Erkrankungen sind sowohl additiv-genetisch als auch residual hoch korreliert. Demzufolge begünstigen sowohl Umweltfaktoren wie auch die genetische individuelle Disposition eine längere Krankheitsdauer mit wiederholten Behandlungen nach der Ersterkrankung. Die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und die Inzidenz anderer Erkrankungen sind additiv-genetisch, jedoch nicht über die Residualeffekte miteinander korreliert. 4.2 Zuchtwerte Die Genauigkeit und Streuung der Zuchtwerte der nachkommengeprüften Väter ist ausreichend hoch, um eine Selektion auf Widerstandsfähigkeit gegen Bronchopneumonie und andere Erkrankungen durchführen zu können. Da die Bronchopneumonie die größte Bedeutung von allen registrierten Krankheiten und die Anzahl der Behandlungen die höchste Heritabilität und additiv-genetische Varianz aufweist, empfiehlt sich auf jeden Fall eine Zuchtwertschätzung für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie. Auf Grund der geringen additiv-genetischen Korrelation zwischen der Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und der Inzidenz sowie Anzahl Behandlungen anderer Erkrankungen sollte dieses zweite Merkmal ebenfalls in der Zuchtwertschätzung berücksichtigt werden. Vor einer Umsetzung in die praktische Zuchtarbeit müssen jedoch die Zusammenhänge insbesondere zu der Mast- und Schlachtleistung und den übrigen Zuchtzielmerkmalen beim Deutschen Fleckvieh geklärt werden. Für die ökonomische Bewertung dieser Gesundheitsmerkmale im Relativzuchtwert Fleisch müssen die Grenzkosten infolge tierärztlicher Behandlungen und erhöhter Aufwendungen für Prophylaxeprogramme und muss die möglicherweise verminderte Schlachtkörperqualität berücksichtigt werden. Da der Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion zunehmend eingeschränkt wird bzw. die Wartezeiten erhöht wurden, sind auch züchterische Schritte für eine Verbesserung der Krankheitsabwehr bei landwirtschaftlichen Nutztieren notwendig. Da die Nachkommenprüfstationen eine vergleichbare Umwelt für die getesteten Tiere bieten, sind die erhobenen Gesundheitsmerkmale zwischen den Nachkommengruppen direkt vergleichbar und nicht durch Interaktionseffekte verzerrt. Weiterhin ermöglichen die Nachkommenteststationen detailliertere veterinärmedizinische Untersuchungen und die Probengewinnung für die Bestimmung von immunologischen Parametern. Somit könnten auch Informationen über die für die Krankheitsabwehr bestimmenden immunologischen Komponenten gewonnen und für die Zucht nutzbar gemacht werden. Nachkommenprüfung auf Station bei Fleckviehbullen – genetische Parameter 193 Zusammenfassung Ziel der vorliegenden Studie war es, den Einfluss genetischer Parameter auf die Gesundheitsmerkmale in der Nachkommenprüfung auf Fleischleistung von Deutschen Fleckviehbullen zu schätzen. Für die Analyse wurden die tierärztlichen Aufzeichnungen von 1775 männlichen Tieren im Alter vom 40. bis 450. Lebenstag aus den Jahren 1994 bis 2001 verwendet. Die genetischen Parameter wurden multivariat für die Inzidenz von Bronchopneumonie, Inzidenz anderer Erkrankungen, Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie und Anzahl Behandlungen anderer Erkrankungen in einem linearen Tiermodell geschätzt. Die Heritabilität für die Inzidenz von Bronchopneumonie lag bei h2 = 0,10, für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie bei h2 = 0,28. Die entsprechenden Schätzwerte für die anderen Erkrankungen wiesen Heritabilitäten von h2 = 0,13 und h2 = 0,12 auf. Die Transformation der Heritabilitäten für die Inzidenz von Bronchopneumonie und anderen Erkrankungen nach Dempster und Lerner (1950) ergab Schätzwerte von h2 = 0,21 bzw. h2 = 0,29. Die additiv-genetische Korrelation zwischen der Inzidenz von Bronchopneumonie und der Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie betrug rg = 0,86. Für die anderen Erkrankungen lag sie bei rg = 0,99. Dagegen waren die additiv-genetischen Korrelationen zwischen den übrigen Merkmalen für Bronchopneumonie und andere Erkrankungen mit rg = 0,02 bis rg = 0,49 deutlich geringer. Die Residualkorrelationen für die Gesundheitsmerkmale bewegten sich zwischen re = 0,02 bis re = 0,71. Die geschätzten Zuchtwerte der Väter variierten für die Inzidenz von Bronchopneumonie zwischen –0,21 und 0,24. Für die Inzidenz anderer Erkrankungen lag der geschätzte Zuchtwert zwischen –0,11 und 0,18. Die Zuchtwerte für die Anzahl Behandlungen wegen Bronchopneumonie zeigten mit einer Spannweite von zwischen –1,94 bis 3,32 eine größere Variation als die Zuchtwerte für die Inzidenz von Bronchopneumonie. Dementsprechend waren auch die Zuchtwerte für die Anzahl Behandlungen wegen anderer Erkrankungen in einem Wertebereich von –0,24 bis 0,35 verteilt. Die Streuung und Genauigkeit der Zuchtwerte der nachkommengeprüften Väter sind ausreichend hoch, um eine züchterisch bedeutsame Selektionsantwort zu erhalten. Schlüsselwörter: Deutsches Fleckvieh, Stationsprüfung, Bronchopneumonie, tierärztliche Behandlungen, Heritabilität Literatur Dempster, E. R. and I. M. Lerner (1950): Heritability of threshold characters. Genetics 35, 212-235. Groeneveld, E. (1990): PEST User’s Manual. Institute for Animal Science and Animal Husbandry, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Mariensee/Neustadt. Hilgenstock, Franziska, H. Hamann, K.-U. Götz, E. Rosenberger, W. Hollwich und O. 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The veterinary records of 1775 male calves in the age from 40 to 450 days could be included in the present analysis. The genetic parameters of the incidence of bronchopneumonia, the incidence of other diseases, the number of treatments due to bronchopneumonia and the number of treatments due to other diseases were estimated using a linear multivariate animal model. The heritability of the incidence of bronchopneumonia was h2 = 0.10 and h2 = 0.28 for the number of treatments of bronchopneumonia, respectively. The corresponding estimates of the other diseases were h2 = 0.13 and h2 = 0.12. The transformation of the heritability of the incidence of bronchopneumonia and other diseases by Dempster and Lerner (1950) resulted in estimates of h2 = 0.21 and h2 = 0.29. The additive genetic correlation between the incidence of bronchopneumonia and number of treatments due to bronchopneumonia were rg = 0.86 and rg = 0.99 for the other diseases, respectively. The additive genetic correlations among the other traits were much lower with values of rg = 0.02 to rg = 0.49. The residual correlations between the health traits ranged from re = 0.02 to re = 0.71. The breeding values of the sires for the incidence of bronchopneumonia varied from –0.21 to 0.24 and for the incidence of other diseases from –0.11 to 0.18. The breeding values for the number of treatments due to bronchopneumonia were between –1.94 and 3.32 and showed a larger range than the breeding values for the incidence of bronchopneumonia. Correspondingly, the breeding values for the number of treatments due to other diseases were between –0.24 and 0.35. The variation and accuracy of the breeding values of the progeny tested sires was sufficiently high to achieve a significant selection response. Keywords: German Fleckvieh, stationary test, bronchopneumonia, veterinary treatments, heritability