3. Struktur und Geometrie von Komplexverbindungen Koordinationszahl (KOZ, CN): Zahl der vom Zentralatom gebundenen Ligandenatome. Koordinationspolyeder: geometrische Figur, die die Ligandenatome um das Zentralatom bilden niedrigste CN 2, höchste CN 9 (12), wichtigste CN 6 (4) 3. Struktur und Geometrie von Komplexverbindungen CN wird bestimmt durch: die Größe des Zentralatoms sterische Wechselwirkungen zwischen den Liganden (Größe der Liganden ); sterisch anspruchsvolle Liganden begünstigen kleine Koordinationszahlen elektronische Wechselwirkungen zwischen Zentralatom und Ligand (Hybridisierungsmöglichkeiten am Zentralatom, LFSE-Ligandenfeldstabilisierung); höhere CN bei frühen und niedere CN bei späten ÜM Radienverhältnisse CN Kleinstes Radienverhältnis Metallion/Donoratom Koordinationspolyeder 4 0.225 Tetraeder 6 0.414 0.528 Oktaeder Trigonales Prisma 7 0.592 Oktaeder mit einem siebenten Liganden über einer Fläche 8 0.645 0.668 0.732 Quadratisches Antiprisma Dodekaeder (Bisdisphenoid) Würfel 9 0.732 Trigonales Prisma mit je einem Liganden über den drei Prismenflächen 10 0.902 1.000 Ikosaeder Kuboktaeder CN2: selten; nur mit den einwertigen Metallionen der ersten Nebengruppe und HgII (d10) oder mit sperrigen Liganden Komplexe sind weitgehend linear gebaut können mit weiteren Liganden reagieren und dabei höher koordinierte Komplexe bilden: [Ag( NH 3 ) 2 ] 2NH 3 [Ag( NH 3 ) 4 ] H3N─Ag─ NH3 [Ag(NH3)2]+ Cl─Cu─Cl [CuCl2]- NC─Au─CN [Au(CN)2]- Me3P─Au─PMe3 [Au(PMe3)2]+ [Mn{N(SiMePh2)2}2] [Pd{P(NC12H8)3}2] Bis{di(methyldiphenylsilyl)amido}mangan(II) Bis{tris(carbazolyl)phosphan}palladium(O) Für die Koordinationszahl 2 erwartet man eine lineare Geometrie, einfach auf der Grundlage elektrostatischer Abstoßung der Liganden oder der Valenzelektronen (es gibt jedoch Ausnahmen). Bei linearer Geometrie kann man dem Metall die Verwendung von sp-Hybridorbitalen zuschreiben. Wenn die Energie dieser ns- und np-Orbitale aber ähnlich der der (n-1) d-Orbitale ist, kann sich das d z 2 -Orbital an der Hybridisierung beteiligen und damit Elektronendichte von dem Liganden abziehen. Schematische Darstellung der Hybridorbitale aus einer besetzten 3 d z 2 und einer freien 4s-Bahnfunktion, und der Kombinationen y3 und y4, die aus y2 und einer freien 4pz-Funktion gebildet werden können. In jeder Darstellung ist die z-Achse senkrecht, und die tatsächliche Bahnfunktion ist durch die Drehung obiger Darstellung um die z-Achse erzeugte Figur charakterisiert: CN3: selten; nur mit sperrigen Liganden oder mit Metallzentren hoher Elektronenzahl Struktur trigonal planar, sp2- oder sd2-Hybridorbitale Tris(trimethylthiophosphoran)kupfer(I) [Cu(SPMe3)3]+ Chem. Commun. 1971, 105. Tris(t-buthylthiolato)mercurat(II) [Hg(StBu)3]J. Am. Chem. Soc. 1990, 119, 2824. CN4: Die Koordinationszahl 4 tritt häufig auf. Eine tetraedrische und eine quadratisch planare Koordinationsgeometrie sind möglich. Die tetraedrische Anordnung ist sterisch begünstigter als die quadratisch planare (geringere elektrostatische Abstoßung zwischen geladenen Liganden und van-der-Waals-Abstoßung zwischen großen Liganden). Aus der Ligandenfeld- und Molekülorbital-Theorie ergibt sich, dass tetraedrische Strukturen im allgemeinen nicht durch große Ligandenfeldstabilisierungsenergien (LFSE) begünstigt werden. Tetraedrische Komplexe werden bevorzugt gebildet, wenn folgende Bedingungen vorliegen: Große Liganden (wie Cl-, Br- oder I-) und kleine Metallionen CN4: Bei diesen sind drei verschiedene Arten zu unterscheiden: (1) Ionen mit Edelgaskonfiguration etwa Be2+ (ns0); (2) Ionen mit Pseudo-Edelgaskonfiguration, etwa Zn2+ oder Ga3+ [(n-1) d10 ns0 np0]; (3) Ionen von Übergangsmetallen, die nicht in der Lage sind, über Ligandenfeld-Stabilisierungsenergien andere Strukturen zu begünstigen, etwa Co2+ (d7) [NiIICl4]2Tetrachloridonickelat [Zn(NH3)2]2+ Tetraamminzink(II) Ni(CO)4 Tetracarbonylnickel(0) [CuBr4]2Tetrabromidocuprat(II) [Co(NCS)4]2Tetraisothiocynatocobaltat(II) Quadratisch-planare Komplexe sind sterisch ungünstiger als tetraedrische. Große Liganden verhindern durch ihren Raumbedarf die Entstehung dieser Geometrie. Quadratisch-planare Komplexe werden nur von wenigen Metallionen gebildet. Die bekanntesten sind die d8-Ionen Ni2+, Pd2+, Pt2+ und Au3+. Auch vom Cu2+ (d9), Co2+ (d7), Cr2+ (d4) und selbst vom Co3+ (d6) gibt es einige planar-quadratische Komplexe, aber dies sind eher Ausnahmen. Die Voraussetzung für die Stabilität dieser planar-quadratischen Komplexe ist das Vorhandensein starker, nicht zu sperriger Liganden, die eine ausreichend starke p-Bindung zum Metall eingehen. Ni2+ bildet beispielsweise mit Cyanidionen einen planar-quadratischen Komplex, während mit Ammoniak und Wasser oktaedrische und mit Chlorid, Bromid und Iodid tetraedrische Komplexe entstehen. Bei den großen 4d und 5d-Metallionen sind die sterischen Anordnungen nicht mehr so ausgeprägt und außerdem ist die effektive Feldstärke für alle Liganden größer. Unter diesen Bedingungen sind sogar die Anionen Tetrachloridopalladat(II), Tetrachloridoplatinat(II) und Tetrachloridoaurat(III) quadratisch planar. z.B. [AuCl4]-, [Ni(CN)4]-, [PtCl4]2-, [PtCl2(NH3)2], [Pt(NH3)4]2+ [PtCl4]2Tetrachloridoplatinat(II) [Pt(NH3)4]2+ Tetraamminplatin(II) cis-[PtCl2(NH3)2] cis-Diammindichloridoplatin(II) [Cd(OAr)2(THF)2]2+ Bis[2,6-di-(tert-butyl)phenoxido]-bis(tetrahydrofuran)cadmium(II) J. Am. Chem. Soc. 1990, 112. [AuCl4]Tetrachloridoaurat(III) CN5: Die Koordinationszahl 5 ist weniger häufig als 4, aber doch bedeutend. Allgemein ist die Stabilität von fünffach koordinierten Komplexen nicht sehr groß. Sie dismutieren leicht in vier- und sechsfach koordinierte Komplexe. Liegen tatsächlich monomere Komplexe vor, gibt es zwei reguläre Strukturtypen, die trigonale Bipyramide und die quadratische Pyramide. Man beobachtet jedoch viele Molekülgeometrien, die sich, durch mehr oder weniger starke Verzerrung, als eine der beiden Idealgeometrien verstehen lassen. [Cu(Cl)5]3Pentachloridocuprat(II) Inorg. Chem. 1968, 7, 1111. [Ni(CN)5]3Pentacyanonickelat(II) Inorg. Chem. 1968, 7, 1362. [CoBr(Me6tren)]Br Bromidotris(2-dimethylaminoethyl)ammincobalt(II)-bromid Inorg. Chem. 1967, 6, 955. [VO(acac)2] Bis(acetylacetonato)oxovanadium(IV) Berry-Pseudorotation Da beide Grenzstrukturen der CN 5 (trigonale Bipyramide und tetragonale Pyramide) fast die gleiche Energie besitzen, können sie sich über eine Pseudorotation (Berry-Mechanismus) in Lösung rasch ineinander umwandeln. trigonale Bipyramide quadratische Pyramide trigonale Bipyramide CN6: Die Koordinationszahl 6 ist die häufigste Koordinationszahl für die d-Block Metalle. Mit bestimmten Ionen wie z. B. CrIII und CoIII werden fast ausschließlich sechsfach koordinierte Komplexe gebildet. mögliche geometrische Anordnungen: Oktaeder (Symmetrie Oh) trigonales Prisma trigonales Antiprisma Das trigonale Antiprisma ist dabei eine trigonale Verzerrung des Oktaeders, d.h. die Metall-Ligand-Abstände werden entlang einer der dreizähligen Achsen gestaucht oder gestreckt. Trigonal, Oh D3h Tetragonale Verzerrung (Streckung und Stauchung) Tetragonal, Oh D4h trigonales Prisma: [Re(S2C2Ph2)3] Tris(cis-1,2-diphenylethen-1,2-dithiolato)rhenium(VI) J. Am. Chem. Soc. 1965, 87, 3776. Inorg. Chem. 1966, 5, 411. [W(CH3)6] Science 1996, 271, 626. CN7: Die Koordinationsgeometrie ist selten für 3d Metalle, häufiger für 4d und 5d Metalle und relativ instabil (Abstoßung der Liganden, allgemein reduzierte Ligandenfeld-Stabilisierungsenergie). mögliche geometrische Anordnungen: Pentagonale Bipyramide überkapptes Oktaeder überkapptes trigonales Prisma pentagonal bipyramidal: J. Am. Chem. Soc. 1967, 89, 720. überkappt trigonal prismatisch: [NbF7]2Heptafluoridoniobat(V) J. Am. Chem. Soc. 1939, 61, 1252. überkappt oktaedrisch: Aquatris(1,3-diphenyl-1,3-dionatopropan)holmium(III) Inorg. Chem. 1969, 8, 2680. CN8: Die Koordinationszahl 8 kommt nach 6 und 4 am häufigsten vor. Sie tritt meist bei großen Metallatomen (Metalle der zweiten und dritten Übergangsreihe, der Lanthanoiden und Actinoiden in höheren Oxidationszuständen; Zr, Hf, Nb, Ta, Mo, W) und mit Liganden, die kleine elektronegative Donoratome (F, N, O, C) besitzen auf. Die typischen Koodinationspolyeder sind: Würfel quadratisches Antiprisma trigonales Dodekaeder Quadratisches Antiprisma: [Zr(ox)4] Trigonales Dodekaeder: [Mo(CN)8]3- Würfel: CsCl [U(NCS)8]4- Holdt et al. Eur. J. Inorg. Chem. 2006, 12, 2377-2384. CN9: Die Koordinationszahl 9 tritt für große f-Block Elemente oder für Übergangsmetalle mit sehr kleinen Liganden auf. Es sind zwei Koordinationspolyeder bekannt: [ReH9]2Nonahydridorhenat(VII) Inorg. Chem. 1964, 3, 558. dreifach überkapptes trigonales Prisma Koordinationsgeometrie um das Lanthanoid-Ion {Ln[N(CH2CH2OH)3]2}3+ · THF [Ln(triethanolamin)2(THF)]3+ Chem. Ber. 1990, 123, 481. überkapptes quadratisches Antiprisma CN>9: Koordinationszahlen >9 sind für einzähnige Liganden nicht bekannt. Zum Aufbau derartiger Koordinationspolyeder werden große, hochgeladene Metallionen und bidentate Liganden mit kleinem "bite angle" benötigt. CN10: CN12: Pentanitratocerat(III)-Anion (PPh3Et)2[CeIII(NO3)5] J. Chem. Soc. Chem. Comm. 1970, 135. Hexanitratocerat(II)-Anion (NH4)2[CeIV(NO3)6] Inorg. Chem. 1968, 7, 715. Realisierung niedriger Koordinationszahlen: Weiche Donoratome (S, P, C) und Metalle in niedrigen Oxidationszahlen (p-Rückbindungen) große sperrige Liganden Gegenionen geringer Basizität (CF3SO3-, BF4-, PF6-) Realisierung hoher Koordinationszahlen: Zentralatom mit hoher Oxidationsstufe harte Donoratome (F, O, N...), geringer Raumbedarf große nicht-acide Kationen [As(Ph4)]+