Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze The emergence of new pathogens: insights from comparing genome sequences of plant pathogenic fungi Stukenbrock, Eva Holtgrew e Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Marburg Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Erforscht w ird, w ie neue Pathogene entstehen und w ie sie sich an neue Umgebungen und W irte anpassen. Untersucht w erden die evolutionären Prozesse im Verlauf der Artbildung mit Hilfe von Genom-Vergleichen verw andter, Gras-befallender pilzlicher Erreger. Im Gegensatz zu ihren w ild lebenden Verw andten, kommt es bei Nutzgräsern (Getreide) zu einer schnelleren Etablierung von für deren Pathogene vorteilhaften Mutationen. Die Analyse von über 9500 Genen führte zur Identifizierung derjenigen Merkmale, die für die W irtsspezialisierung von Pathogenen von entscheidender Rolle sein könnten. Summary The key question of our research is how do new pathogens emerge and how fast can they adapt to new environments and host species. We investigate evolutionary processes during pathogen speciation and host specialization by comparison of 12 genomes of closely related grass pathogens. Agriculture strongly affects the rate of pathogen adaptation as crop species more rapidly accumulate beneficial mutations compared to its w ild relatives. Analyses of more than 9500 genes facilitated the identification of candidate genes involved in speciation and host specialization of pathogens. Einleitung Krankheitserreger stellen für Landw irte eine Herausforderung dar, seit die ersten Nutzpflanzen w ährend des Übergangs zur Agrikultur, der w eltw eit vor 2.000 bis 12.000 Jahren stattfand, domestiziert w urden. Obw ohl krankheitserregende Organismen stets und immer w ährend eine beträchtliche Ausw irkung auf die Produktion und den Ernteertrag von Nutzpflanzen haben, w issen w ir nur sehr w enig über den Ursprung und die Evolution von Krankheitserregern bei Pflanzen. W ie kommt es zum Auftreten neuer Arten von Erregern, und w ie schnell können sie sich an eine neue Umgebung und neue beziehungsw eise neu gezüchtete Arten oder Sorten von W irtspflanzen anpassen? Im Vergleich zu den großen, vergangenen Zeiträumen, die die Evolution der biochemischen Maschinerie, die den Angriff der Erreger und die Verteidigung der Pflanze steuert, gebraucht hat, ist die durch den Menschen betriebene Landw irtschaft noch sehr jung. Die Domestikation von Pflanzen als © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/8 Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze Nahrungsgrundlage, zusammen mit der parallel erfolgenden Anpassung von deren Krankheitserregern, verläuft erst seit w enigen tausend Jahren. Die Genomsequenzierung und vergleichbare genetische Methoden bieten neue Werkzeuge für das Studium der evolutionären Genomsequenzen Prozesse nahe bei pflanzenpathogenen verw andter Arten, die Pilzen. Durch auf verschiedenen den Vergleich W irtspflanzen in vollständiger unterschiedlichen Umgebungen vorkommen, können Gene und Genabschnitte identifiziert w erden, die bei deren divergierenden Entw icklung eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Anw endung unterschiedlicher Untersuchungsmethoden auf einen Genomdatensatz erlaubt zusätzlich Schlussfolgerungen über die Evolution der jew eiligen kompletten Genome und des Phänotyps als Reaktion auf den Übergang zur Landw irtschaft. Der den Weizen befallende Pilzerreger My cosphaerella gram inicola als Modell für das Studium der Entstehung neuartiger Pflanzenkrankheiten Mycosphaerella graminicola ist ein häufig vorkommender und auf W eizen spezialisierter Erreger. Er trat w ährend der Domestikation der W irtspflanze vor rund 11.000 Jahren im Mittleren Osten auf [1]. Die Artbildung des Pilzes ging einher mit der Wandlung seiner W irtspflanze vom W ildgras zum Weizen, auf die eine schnelle Spezialisierung des Erregers folgte. Der Pilz hat sich seitdem w eltw eit überall dorthin verbreitet, w o Weizen angebaut w ird. Im Mittleren Osten kann man noch heute den dort heimischen Vorläufer von Mycosphaerella auf W ildgräsern finden. Die beiden am nächsten verw andten Arten w urden Septoria 1 (S1) und Septoria 2 (S2) genannt. Obw ohl die Aufspaltung dieser und der auf Weizen spezialisierten Arten erst vor kurzer Zeit erfolgte, haben sie sich infolge unterschiedlicher W irtspflanzenarten und Umw eltfaktoren seither deutlich auseinander entw ickelt (Abb. 1). Impfexperimente an unterschiedlichen Grasarten mit M. graminicola (S1 und S2) zeigen, dass der Pilz sich auf Weizen spezialisiert und sich außerdem, im Vergleich zu seinen Vorgängern, zu einem virulenteren Erreger entw ickelt hat. S1 und S2 sind w eniger aggressive Erreger, verfügen jedoch über ein breiteres W irtsspektrum. Diese phänotypischen Unterschiede spiegeln die selektiven Bedingungen w ider, unter denen sie sich entw ickelt haben. Für ein Pflanzenpathogen unterschieden sich nämlich die von einem landw irtschaftlichen Ökosystem für eine natürliche Auslese herrschenden Bedingungen sehr stark von denen eines naturbelassenen, w ilden Graslandes [2]. Ein Weizenfeld ist eine dichte Population von W irtsorganismen in Form von genetisch nahezu identischen Pflanzen, die eine schnelle Übertragung spezialisierter Erreger erlaubt. Ein Grasland besteht hingegen aus genetisch sehr unterschiedlichen Populationen verschiedener, zufällig verteilter W irtspflanzen,, die die Evolution w eniger spezialisierter Erreger begünstigen, sodass diese über die Fähigkeit verfügen, mehr als nur eine W irtspflanze zu infizieren. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/8 Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze A bb. 1: Ba um dia gra m m de r Arte n de s Erre ge rs Mycospha e re lla . De r ve rtik a le P fe il be schre ibt de n ze itliche n Ve rla uf de r Evolution (die Ge ge nwa rt e ntspricht de m unte re n P fe ile nde ). De r Artbildungsze itpunk t von M. gra m inicola vor 11000 Ja hre n ist durch de n grüne n P fe il m a rk ie rt. Fa rbige Kre ise m a rk ie re n die vollstä ndige n Ge nom se que nze n je de r e inze lne n Art, die de n popula tionsge nom ische n Ana lyse n zugrunde la ge n. Be i de r a uße rha lb de r Gruppe lie ge nde n P ilza rt Septoria passerinii ha nde lt e s sich um e in e ntfe rnte r ve rwa ndte s Ge rste npa thoge n. © MP I für te rre strische Mik robiologie und Bioinform a tics R e se a rch C e nte r, Aa rhus Unive rsity, Dä ne m a rk Analysen von Genomsequenzen erlauben Einblicke in die molekulare Basis der Spezialisierung des Erregers auf die jew eilige W irts- beziehungsw eise Nutzpflanze sow ie darüber, w ie diese Vorgänge durch natürliche Auslese vermittelt w urden. Durch den Vergleich der Genome der domestizierten und der w ilden Erreger ist es möglich, diejenigen spezifischen Gene und Genombereiche zu identifizieren, die bei der divergierenden Entw icklung der Arten eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Grund dafür ist, dass die natürliche Auslese die Genomsequenzen bei den verschiedenen Erregertypen und Arten so verändert hat, dass diese in ihren speziellen Umgebungen erfolgreicher gew orden sind; genau diese Unterschiede können in den Genomen festgestellt w erden. Eine w eitere interessante Frage, auf die anhand der gew onnenen Datensätze eingegangen w erden kann, lautet, ob bezüglich der „Evolutionsrate“ der pathogenen Erreger (das heißt der Häufigkeit, mit der sie neue Mutationen - seien sie begünstigend oder schädlich - akkumulieren) Unterschiede bestehen zw ischen landw irtschaftlichen Systemen und natürlichem Grasland. Dazu w urde die Hypothese formuliert, dass der starke gerichtete Selektionsdruck, den ein landw irtschaftliches System ausübt, die Evolutionsrate eines Erregers erhöht [2]. Für einen pathogenen Pilz w urde diese Vermutung bisher noch nicht getestet. Erstellen eines populationsgenetischen Datensatzes Zw ölf Isolate von Pilzen, die alle aus derselben Region im Norden Irans stammen, w urden für eine vollständige Genomsequenzierung ausgew ählt. Diese Isolate gehörten zu den folgenden drei verschiedenen Arten: M. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/8 Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze graminicola, gesammelt vom Weizen, und S1 und S2 von den drei Grasarten Lolium perenne, Dactylis glomerata und Elmys repens. Mithilfe neuester Sequenzierungstechnologie w urden die Genome der 12 Isolate insgesamt etw a 45-fach abgedeckt, dies bedeutet, dass jedes Basenpaar - etw a 35 Millionen je Genom - durchschnittlich 45-mal sequenziert w urde. Mithilfe umfangreicher bioinformatischer Algorhithmen w urden die 12 Genome anhand des Referenzgenoms von M. graminicola abgeglichen und analysiert. Etw a 10.500 Gene w urden so, auf 21 Chromosomen verteilt, definiert. Der vollständige Abgleich der 12 Genome umfasste etw a 9.000 Gene, deren Variation innerhalb und zw ischen den Arten verglichen w urde Genomplastizität – das Vorhandensein oder Fehlen kleiner Chromosomen A bb. 2. Sche m a tische Da rste llung de s Vorha nde nse ins/Fe hle n-P olym orphism us de r e ntbe hrliche n C hrom osom e n in de n zwölf P ilz-Isola te n. Um ihre Anza hl und Größe zu e rm itte ln, wa re n die C hrom osom e n e le k trophore tisch ge tre nnt worde n. Zusä tzlich wurde n zur De finition de r Ka ryotype n in de n e inze lne n P ilzorga nism e n Ge sa m tge nom a na lyse n und –ve rgle iche sowie um fa sse nde Se que nza na lyse n und –ve rgle iche e inge se tzt. © MP I für te rre strische Mik robiologie und Bioinform a tics R e se a rch C e nte r, Aa rhus Unive rsity Das „Kerngenom“ des Erregers Mycosphaerella besteht aus 13 Chromosomen, die sich in den drei Arten strukturell erhalten haben. Die Genome besitzen jedoch noch zusätzlich eine hohe Anzahl kleiner Chromosomen, die in den verschiedenen Isolaten vorhanden sind oder fehlen [3]. Das Vorhandensein der kleinen Chromosomen scheint sich auf den Phänotyp des Pilzes nicht auszuw irken, w enn er in einer axenischen Kultur, also in Abw esenheit anderer Organismen, w ächst. Es gibt sogar Isolate, die nur über die 13 unverzichtbaren und keines der entbehrlichen Chromosomen verfügen. Es w ar eine interessante Entdeckung, dass sechs beziehungsw eise vier dieser Chromosomen in S1 und S2 ebenfalls vorhanden sind (Abb. 2) und dass die kleinen Chromosomen in S1 und S2 ebenso entbehrlich sind, w as durch eine elektrophoretische Trennung der kleinen Chromosomen gezeigt w erden konnte [4]. Die kleinen Chromosomen sind in gew issem Umfang den entbehrlichen Chromosomen von M. graminicola homolog, jedoch hat eine umfangreiche Neuanordnung die DNA-Sequenzen auf den kleinen Chromosomen durcheinander gebracht (Abb. 3). Die Tatsache, dass S1 und S2 mehrere der kleinen Chromosomen behalten haben, belegt, dass es einen selektiven Druck für die Erhaltung der entbehrlichen Chromosomen gibt, obw ohl sie in einigen Individuen scheinbar leicht verloren gegangen sind. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/8 Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze A bb. 3. Da rste llung de s C hrom osom a bgle ichs de r R e fe re nzge nom se que nz von M. gra m inicola sowie re se que nzie rte r S1-Isola te . De r bla u ge fä rbte Te il ste llt die a bge gliche ne n Be re iche und de r we iße Te il die nichta bge gliche ne n Be re iche da r. Nicht-a bge gliche ne Be re iche sind m it re pe titive n Abschnitte n k orre lie rt. Auf de n e ntbe hrliche n C hrom osom e n ha t e in hohe s Ma ß a n Ne ua nordnunge n zur Ve rm ischung von DNA-Se que nze n ge führt. Die C hrom osom e n sind da he r nicht m e hr line a r, obwohl sie hom ologe Se que nze n e ntha lte n. © MP I für te rre strische Mik robiologie /Stuk e nbrock Zur Untersuchung des Ursprungs der entbehrlichen Chromosomen w urden verschiedene Evolutions-Modelle auf den Datensatz angew endet. Es gibt deutliche Hinw eise darauf, dass die kleinen Chromosomen keinen fremden Ursprung haben, w as bedeuten w ürde, dass sie in die Genome von Mycosphaerella nicht durch eine horizontale Übertragung von anderen Organismen eingefügt w urden. Andererseits sieht es so aus, als ob die entbehrlichen Chromosomen parallel zu den Kernchromosomen entstanden sind und daher in diesen Erregern schon sehr lange vorhanden w aren – zumindest, seitdem die gemeinsamen Vorläufer von M. graminicola sow ie von S1 und S2 entstanden sind. Doch w ie und w arum bleiben die kleinen Chromosomen in dieser Gruppe der Erreger erhalten? Eine kleine Anzahl von Genen auf den gemeinsamen entbehrlichen Chromosomen ist bei M. graminicola sow ie S1 und S2 erhalten geblieben, und die Rolle genau dieser Gene könnte die treibende Kraft zur Erhaltung dieser Chromosomen in den Genomen für eine lange Zeit sein, selbst über Artgrenzen hinw eg. Aktuelle Untersuchungen w idmen sich der Rolle und Expression von Genen auf den entbehrlichen Chromosomen. Es kann sein, dass der Mechanismus, aufgrund dessen die Chromosomen entw eder vorhanden sind oder fehlen, eine Selektion ausbalanciert: Eine balancierende, also ausgleichende Selektion tritt dann auf, w enn das Vorhandensein von Chromosomen (oder Genen) in bestimmten Situationen einen Vorteil und in anderen einen Nachteil für das Überleben bedeutet. Dieser Selektionstyp w ird als Motor der Evolution einer Reihe von Genen beschrieben, die mit Pathogenität in Zusammenhang stehen. Er veranschaulicht sehr eindrucksvoll den Wettlauf zw ischen Pflanzen und den sie befallenden Krankheitserregern [5]. Polymorphismen, die auf dem Vorhandensein oder Fehlen ganzer Chromosomen beruhen, sind aus anderen Pilzarten bekannt. Eine so große Anzahl von Chromosomen, w ie im Fall des Erregers Mycosphaerella, ist daran jedoch sonst nie beteiligt. Anhand dieser Untersuchungen der Sequenzevolution und der Funktion der Gene auf den kleinen Chromosomen w ird es möglich sein, die Rolle der Chromosomenplastizität bei Pilzerregern aufzuklären und darüber hinaus auch allgemeine Erkenntnisse über die Evolution der Genome bei Pilzen zu gew innen. Identifikation der an der Spezialisierung von Wirtspflanzen und der Artbildung der Erreger potenziell beteiligten Gene © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/8 Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze Es w aren vermutlich ganz bestimmte Gene, die die Anpassung der pilzlichen Erreger an die jew eilige Entstehung und durch den Menschen vorangetriebene Züchtung neuer W irtspflanzen vorangetrieben haben. Durch eine Akkumulation adaptiver Mutationen hat sich die natürliche Selektion auf diese Gene stärker ausgew irkt. Die adaptiven Mutationen können veränderte Proteinsequenzen zur Folge haben, und diese können dann neue Funktionen ausüben, w ie zum Beispiel eine veränderte Affinität zu den Genprodukten neuer oder neuartiger W irtspflanzen. Auf ähnliche Weise können auch solche Gene betroffen gew esen sein, die beim Übergang in eine landw irtschaftliche Umgebung oder am Prozess der Artbildung selbst beteiligt w aren. Um derartige positiv selektierte Gene zu identifizieren, konnte die Zahl der adaptiven Mutationen im Vergleich zu ihrer Gesamtzahl anhand verschiedener Teststatistiken und Modellierungen verglichen und analysiert w erden. Die drei Mycosphaerella-Erreger w eisen nur eine sehr kleine Anzahl von Genen (etw a 20) auf, die durch eine größere Akkumulation adaptiver Mutationen verändert w urden. Interessanterw eise haben sich mehrere derselben Gene mit positiv selektierten Mutationen in allen drei pathogenen Arten geändert. Dies deutet sehr darauf hin, dass diese kleine Anzahl von Genen tatsächlich an der Spezialisierung und der Artbildung beteiligt ist. Was ist die Funktion dieser Gene? Ausgehend von der Annotation des Genoms von Mycosphaerella graminicola, w urden die Gene lediglich als offene Leserahmen ohne Homologie zu anderen bekannten Genen verzeichnet. Die Gene sind w ahrscheinlich nur für diese Gruppe von Gras-Pathogenen spezifisch und sind entsprechend ihrer bestimmten Funktion im Verlauf der Interaktion zw ischen Erreger und W irtspflanze entstanden. Die Rolle dieser positiv selektierten Gene kann anhand infizierter Pflanzen charakterisiert w erden. Messungen von RNA-Gehalten mittels real time PCR, die w ährend verschiedener Stadien des Fortgangs der Erkrankung in infiziertem Gew ebe vorgenommen w urden, erbrachten den Nachw eis, dass drei der Kandidatengene in M. graminicola und S2 nur im Verlauf der Kolonisierung der W irtspflanzen zu Expression kommen. Darüber hinaus zeigte eines der drei analysierten Gene im Vergleich mit einer Infektion eines Grases der Gattung Lolium eine veränderte Expression nach der Infektion von Weizen, w as die Vermutung nahe legt, dass die Regulation dieses Gens von der Art der W irtspflanze abhängt. Die Kandidatengene w erden nun w eiter untersucht, indem Deletionsmutanten von ihnen erzeugt w erden. Mycosphaerella ist ein System, für das kürzlich brauchbare Ansätze der reversen Genetik entw ickelt w urden [6]. Sobald Mutanten zur Verfügung stehen, w ird deren Virulenz auf unterschiedlichen W irtspflanzen untersucht. Um die Rolle dieser Gene, die sie bei der Affinität zur W irtspflanze spielen, beurteilen zu können, w erden die Kandidatengene in S1 und S2 übertragen, um eventuelle Änderungen der W irtspflanzenkompatibilität zu beobachten. Diese Experimente sind noch nicht abgeschlossen. Adaption und Evolutionsrate pathogener Pilzarten Bekannt ist, dass domestizierte Pflanzenarten mehr unnützliche und sogar schädliche Mutationen enthalten und sich schneller verändern können als ihre undomestizierten Vorläufer [7]. Ähneln die hier vorgestellten Ergebnisse der „Ko-Domestizierung“ von M. graminicola denen von domestizierten Nutzpflanzen? Durch die Anw endung unterschiedlicher Evolutions-Modelle [8, 9] auf den Genomdatensatz von Mycosphaerella-Erregern w ar es möglich, den Anteil adaptiver Mutationen in den drei Arten im Verhältnis zum Anteil schädlicher Mutationen zu quantifizieren und die Evolutionsrate in den einzelnen Arten zu bestimmen. Ergebnis: Im Gegensatz zu dem sich für domestizierte Pflanzen abzeichnenden Muster w eisen die „ko-domestizierten“ Erreger keine übergroße Anzahl schädlicher Mutationen auf. M. graminicola zeigt, ganz im Gegenteil, im © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/8 Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze Vergleich zu seinen w ild lebenden Vorläufern ein Übermaß an vorteilhaften Mutationen. Eine Bew ertung des Umfangs der Selektion zeigt zusätzlich, dass M. graminicola bei der Eliminierung schädlicher Mutationen äußerst erfolgreich ist. Die evolutionären Eigenschaften der Erreger unterscheiden sich daher deutlich von denjenigen der domestizierten Pflanzenarten. W ährend der „Ko-Domestizierung“ von M. graminicola selektierte die landw irtschaftliche Umgebung somit einen hochgradig w irtsspezifischen Erreger mit der Fähigkeit, sich schnell an neue Bedingungen anzupassen, w ie zum Beispiel an neue Varianten und Sorten des Weizens oder sogar an Fungizide. Ausblick Zur w eiteren Charakterisierung der funktionalen Unterschiede zw ischen M. graminicola, S1 und S2 w ird eine vollständige Transkriptomdatenserie erstellt. Diese Daten erlauben die Untersuchung der Genexpression des Erregers im Verlauf der Infektion und gleichzeitig der Expression der Pflanzengene als Reaktion auf die unterschiedlichen Erreger. Dies erlaubt zum Beispiel die Erkennung derjenigen Gene, die im Weizen beispielsw eise durch M. graminicola, jedoch nicht durch S1 aktiviert w erden, sow ie die Beantw ortung der Frage, w elche Pathogenitätsfaktoren w ährend der Infektion eines W ildgrases in S2, jedoch nicht in M. graminicola aktiviert w erden. Die hier vorgestellten Studien fokussieren auf die evolutionären und funktionalen Eigenschaften der entbehrlichen Chromosomen. Jedoch ist ein Verständnis der molekularen Eigenschaften, die es überhaupt zulassen, dass diese Chromosomen w ährend der Meiose verloren gehen, ebenfalls und unbedingt erforderlich, um w eitere Grundlagen von Vererbungsmechanismen zu erkennen. Mithilfe von Hochdurchsatz- Sequenzierungstechnologien (Chip Sequencing) w ird nunmehr versucht, auf den entbehrlichen Chromosomen Zentromere zu identifizieren. Man vermutet, dass die kleinen Chromosomen vielleicht entw eder keine Zentromere besitzen oder dass ihre Zentromere nicht korrekt funktionieren. Die Zentromerbereiche eines Chromosoms sind bei der Zellteilung entscheidend an der korrekten Aufteilung der Chromosomen auf die Tochterzellen beteiligt. Mit der Chip-Sequencing-Methode w ird es möglich sein, die Bindungsproteine der Zentromere zu isolieren und die DNA-Sequenz zu entschlüsseln, an die sie sich binden. Die Charakterisierung dieser molekularen Eigenschaften ist für ein volles Verständnis des Verlorengehens oder Auftauchens dieser rätselhaften kleinen Chromosomen unerlässlich. [1] E. H. Stukenbrock, S. Banke, M. Javan-Nikkhah, B. A. McDonald: Origin and domestication of the fungal wheat pathogen Mycosphaerella graminicola via sympatric speciation. Molecular Biology and Evolution 24, 398 - 411 (2007). [2] E. H. Stukenbrock, B. A. McDonald: The origins of plant pathogens in agro-ecosystems. Annual Review of Phytopathology 46, 75 - 100 (2008). [3] A. H. J. Wittenberg, T. A. J. van der Lee, S. Ben M'Barek, S. B. Ware, S. B. Goodwin, A. Kilian, R. G. F. Visser, G. J. Kema, H. J. Schouten: Meiosis drives extraordinary genome plasticity in the haploid fungal plant pathogen Mycosphaerella graminicola. PLoS ONE 4, e5863 (2009). © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 7/8 Jahrbuch 2010/2011 | Stukenbrock, Eva Holtgrew e | Die Entstehung neuer Erreger: Erkenntnisse aus dem Vergleich der Genomsequenzen pflanzenpathogener Pilze [4] E. H. Stukenbrock, F. G. Jørgensen, M. Zala , T. T. Hansen, B. A. McDonald, M. H. Schierup: Whole genome and chromosome evolution associated with host adaptation and speciation of the wheat pathogen Mycosphaerella graminicola. PLoS Genetics 6, e1001189 (2010). [5] E. H. Stukenbrock, B. A. McDonald: Population genetics of fungal and oomycete effectors involved in gene-for-gene interactions. Molecular Plant-Microbe Interactions 22, 371 - 380 (2009). [6] J. Bowler, E. Scott , R. Tailor, G. Scalliet, J. Ray, M. Csukai: New capabilities for Mycosphaerella graminicola research. Molecular Plant Pathology 11, 691 - 704 (2009). [7] J. Lu, T. Tang, H. Tang, J. Huang, S. Shi S, C.-I. Wu: The accumulation of deleterious mutations in rice genomes: a hypothesis on the cost of domestication. Trends in Genetics 22, 126 - 131 (2006). [8] J. J. Welch: Estimating the genomewide rate of adaptive protein evolution in Drosophila. Genetics 173, 821 - 837 (2006). [9] Z. Y ang, R. Nielsen: Estimating synonymous and nonsynonymous substitution rates under realistic evolutionary models. Molecular Biology and Evolution 17, 32 - 43 (2000). © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 8/8