11.11.2014 www.neurologos.de Apraxien verstehen und behandeln Stefanie Schulz copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 1 Apraxien verstehen und behandeln Definition Apraxieformen Imitationsstörung Störung kommunikativer Gesten Störung von Objekt- und Werkzeuggebrauch buccofaziale Apraxien und Sprechapraxien Patientenbeispiel Diskussion copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 2 1 11.11.2014 Apraxien - Definition Definition der Apraxie griechisch Apraxia= Untätigkeit nach Lippert Anatomie: Handlungsunfähigkeit im motorischen Bereich wobei die Muskeln nicht gelähmt sind, sondern der Betroffene keine sinnvolle Bewegung mehr mit ihnen ausführen kann Poeck et al: Apraxie ist eine Störung der sequentiellen Anordnung von Einzelbewegungen zu Handlungsfolgen, während die elementare Beweglichkeit erhalten ist copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 3 Apraxien - Definition Im „Dschungel der Apraxie“ leider gibt es im Bereich der Apraxien eine Vielzahl von Definitionen und definierten Sonderformen wie Gangapraxie oder konstruktive Apraxie, ideokinetische, ideomotorische und ideatorische Apraxie diese Begriffe werden selbst in der Fachwelt nicht einheitlich benutzt gängig ist die Unterscheidung: ideomotorische (ideokinetisch) und ideatorische Apraxie mittlerweile durch neue Forschungen umstritten und in Fachkreisen heftig diskutiert copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 4 2 11.11.2014 Apraxien - Definition Definition der Apraxie dieser Einteilung zugrunde liegt die veraltete Modellvorstellung eines von im Gehirn von posterior (hinten) nach anterior (vorne) verlaufenden Stroms der Handlungskontrolle zugrunde. Je nachdem, wo dieser Fluss unterbrochen ist, wird von einer ideatorischen oder ideomotorischen Apraxie gesprochen Ideatorisch: Handlungsplan (Ideation= Bewegungsentwurf) nicht intakt aber Umsetzung in motorische Aktion möglich Ideomotorisch: Handlungsplan intakt aber Umsetzung motorische Aktion fehlerhaft copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 5 Apraxien - Definition Definition der Apraxie • alle Apraxieformen können logopädisch relevant sein • sinnvoll: Lokalisationsort der Symptomatik: Apraxien der Gliedmaßen (Arme und/ oder Beine) Apraxien des Rumpfes Apraxien der Gesichtsmuskulatur: buccofaziale Apraxien Apraxien der Sprechorgane: Sprechapraxien Folgen für den Patienten und die Therapie? copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 6 3 11.11.2014 Apraxien nach Goldenberg (aus „Apraxien Fortschritte der Neuropsychologie“, Hogrefe) Apraxie als… Störung des Imitierens copyright S.Schulz Störung bei der Ausführung kommunikativer Gesten Störung des Werkzeugs- und Objektgebrauches dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 7 Apraxien Alltagsrelevanz von Imitation spontanes Imitieren vs. bewusstes Imitieren spontanes Imitieren erfolgt ständig unbewusst im Alltag, wir ahmen z.B. den Gesichtsausdruck oder die Körperhaltung anderer Menschen nach und drücken somit Sympathie oder Zugehörigkeit aus bewusste Imitation ist ein wichtiges Lernprogramm, wir erwerben motorisches Wissen durch Imitation bewusste Imitation:“ sieh her und mach es nach“ copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 8 4 11.11.2014 Apraxien Störungsrelevanz im Alltag im Alltag fallen bei hirnorganisch betroffene Patienten kaum Beeinträchtigungen auf, da diese Prozesse ja unbewusst ablaufen aber: kennen Sie nicht alle die Patienten, bei denen Sie das Gefühl haben, sie sind nicht so richtig empathisch oder sie wirken häufig seltsam unbeteiligt oder haben ein irritierendes Verhalten in der Interaktion? könnte dies eine Form der fehlenden sozialen Imitation sein? copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 9 Apraxien Störungsrelevanz in der Therapie wir fordern und brauchen Imitation therapeutisch bei… aphasischen Patienten mit schlechtem Sprachverständnis: wir versuchen über Vor- und Nachmachen ein Aufgabenverständnis zu erreichen sprachlichen Gesten, welche sprachersetzend wirken sollen (Daumen hoch für „mir geht es gut“) sprachliche Gesten welche eine Handlungen darstellen wie z.B. mit Zeige- und Mittelfinger eine Schere imitieren für den Begriff „schneiden“ bei der Therapie von Fazialisparesen, wenn wir Patienten Übungen vormachen bei der Therapie von Sprechapraxien, wenn wir dem Patienten artikulatorische Bewegungen vormachen copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 10 5 11.11.2014 Apraxien Störungsrelevanz in der Therapie bei der Hälfte aller Patienten mit Aphasie ist initial das Imitieren gestört, bei 50% bildet sich dies in den ersten drei Monaten komplett zurück Testung ist wichtig: bessere Auswahl therapeutischer Hilfen wird Imitation therapeutisch gebraucht, muss dies evtl. explizit beübt werden(siehe Patientenbeispiel später) sie ist kurz und aussagekräftig: machen Sie 3 einfache Gesten und eine Gestenfolge und lassen Sie diese jeweils imitieren copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 11 Apraxien Relevanz kommunikativer Gesten in unserem Alltag Gestenformen: Lexikalisierte Gesten: funktionieren wie Wörter einer Lautsprache und stehen als Symbol für etwas z.B. Nicken für „ja“ und Kopfschütteln für „nein“, eine allgemeinbekannte Geste wird Emblem genannt Zeigegesten (Deixis) Ikonische Gesten: bilden die Wirklichkeit ab, indem sie z.B. den Umriss eines Objekts darstellen oder eine Handlung darstellen (Pantomime des Objektgebrauchs) copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 12 6 11.11.2014 Apraxien Störungsrelevanz für den Patienten im Alltag Patienten haben eine oftmals erhebliche Beeinträchtigung im Alltag, da sie den Gebrauch kommunikativer Gesten nicht nutzen können, um sprachliche Defizite auszugleichen betroffen sein können so z.B. der Gebrauch des Emblems „Nicken und Kopfschütteln“, die gestische Darstellung einer Handlung, das Zeigen auf ein Objekt wie ein Glas Gesten können fehlerhaft sein oder ergeben für das Gegenüber keinen eindeutigen Sinn copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 13 Apraxien Störungsrelevanz in der logopädischen Therapie in der Forschung wird meist nur die Störung der kommunikativen Gesten auf Aufforderung (verbal oder bildlich) erforscht, nicht die spontane Geste für die logopädische Therapie ist die Betrachtung von Störung der Imitation und Störungen des Abrufes kommunikativen Gesten auf Aufforderung gemeinsam sinnvoll, da sie sich in der Therapie meist überschneiden: gelingt es einem Patienten nicht die verbale oder bildliche Anweisung umzusetzen, behelfen wir uns meist mit dem Vormachen und sind somit bei der Imitation copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 14 7 11.11.2014 Apraxien Störungsrelevanz in der logopädischen Therapie die Pantomime des Objektgebrauches scheint häufig schwerer betroffen, dies muss beim Gestentraining unbedingt berücksichtigt werden Pantomime des Objektgebrauches ist bei > 50% der aphasischen Patienten betroffen Störungen des realen Objektgebrauches sind seltener als Störungen der darstellenden Pantomime: in der Therapie kann das genutzt werden, indem die pantomimische Darstellung zuerst als reale Bewegung geübt wird es zeigen sich bei einer Störung der Imitation und der kommunikativen Gesten signifikant weniger Spontanremissionen: erfordert dranbleiben!! copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 15 Apraxien Störungsrelevanz in der logopädischen Therapie Testung wichtig, denn therapeutisch genutzt wird häufig eine Mischung aus Imitation und kommunikativen Gesten auf Aufforderung z.B. beim sog. Gestentraining oder als Deblockierungshilfe in der Sprechapraxietherapie (Mediationstechnik= lautspezifische Gesten unterstützen den Abruf) Testung: verbale Aufforderung etwas gestisch darzustellen Zeigen Sie, wie Sie einen Nagel einschlagen Zeigen Sie, wie Sie den Hund streicheln Zeigen Sie, wie Sie eine Zigarette rauchen ergänzend mit Bild oder Schriftkarte bei Störung des SV beobachten in Sprechsituation da hier „echte“ Kommunikation dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 16 copyright S.Schulz 8 11.11.2014 Apraxien Störungsrelevanz im Alltag natürlich hoch: Objekt- und Werkzeuggebrauch prägen unseren Alltag: Zähne putzen: Gebrauch der Zahnbürste Essen und Trinken: Gebrauch von Esswerkzeug Messer, Gabel, Löffel und anderen Kaffee kochen: Gebrauch der Kaffeemaschine Kleidung anziehen usw. allerdings zeigen Studien, dass Patienten im häuslichen Umfeld Objekte oft besser gebrauchen als in der Klinik oder im Therapieumfeld copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 17 Apraxien Störungsrelevanz in der logopädischen Therapie Umgang mit Bildkarten, Schreiben und Legen von Buchstabenplättchen Umgang mit Mundspatel oder anderem Therapiematerial wie vibrotaktiles Stimulationsgerät in der Dysphagie- oder Paresentherapie (Fazialis- und Hypoglossusparesen) Umgang mit Besteck und Trinkwerkzeug in der Dysphagietherapie copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 18 9 11.11.2014 Apraxien Störung des Schreibens laut „Neurologie mit Repetitorium“ (De Gruyter Lehrbuch 1991, Hrsg. Walter Fröscher) unterscheidet man u.a. aphasische Agraphie: sprachsystematische Störung, agraphische Probleme sind mehr oder minder ein schriftliches Abbild der Aphasie apraktische Agraphie: Schreibgerät wird nicht richtig verwendet, Buchstabenform kann nicht konstruiert werden, mit Buchstabenplättchen können Wörter zusammengefügt werden, wenn der Umgang mit diesen nicht auch durch eine Apraxie beeinträchtigt ist! in der Praxis: Patienten mit schwerer Aphasie und Apraxie Mischform copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 19 Apraxien Störung des Schreibens Testung: kein beschriebener differenzialdiagnostischer Test bekannt ausprobieren: kann der Patient besser Legen als Schreiben? Symptomanalyse: weisen sie eher auf eine hohe apraktische Komponente, indem der Patient z.B . den Stift dreht und wendet und falsch aufsetzt? Beginnt er planlos eine „Form“ zu zeichnen, in der Hoffnung, dass ein erkennbarer Buchstabe herauskommt? macht der Patient eher klassisch aphasische Fehler wie Auslassungen oder Ersetzungen von Graphemen, die auf eine rein aphasische Agraphie hindeuten? copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 20 10 11.11.2014 Apraxien Störung des Schreibens Therapie bei apraktischer Komponente Schreiben zumindest bis Besserung der Störung erreicht ist nicht häufig nutzen, nicht zur Deblockierung geeignet zusätzlich Ergotherapie notwenig, welche hier speziell üben kann copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 21 Apraxien Buccofaziale Apraxie Definition: nonverbale Störung Störung der Imitation mimischer Bewegungen (Goldenberg) Programmierungsstörung orofazialer Bewegungen (Ziegler) tritt bei ca 80 % aller aphasischen Patienten zumindest initial auf zeigt sich fast nur bei Imitation, wenig im Alltag bildet sich meist rasch zurück copyrigbt S.Schulz dbl Lanesfortbildungstag Heidelberg 2014 22 11 11.11.2014 Apraxien Buccofaziale Apraxie Therapierelevanz gering, da kaum Alltagsbeeinträchtigung und meist rasche Rückbildung Testung einfach: Imitation von Gesichtsbewegungen nur therapierelevant bei der Behandlung von Fazialis- und Hypoglossusparesen bei buccofazialer Apraxie Bewegungen so anleiten, dass sie als möglichst spontane und natürliche Bewegung abgerufen werden können: gemeinsam Lachen sanftes Anpusten zum Augenschluss Ekelgesicht copyrigbt S.Schulz dbl Lanesfortbildungstag Heidelberg 2014 23 Sprechapraxien Lokalisation Sprechapraxie ohne Aphasie wird selten beschrieben, dies macht eine eindeutige Lokalisation schwierig, Wertz 1985: Sprechapraxie tritt nur in 10% isoliert auf Duffy 1995: ca. 60% aller Sprechapraxien entstehen durch zerebrovasculäre Ursachen (Apoplex) betroffenen Areale linkshemisphärisch: Frontal- und Parietallappen, Insel und Verbindungen zu den Basalganglien copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 24 12 11.11.2014 Sprechapraxien- Lokalisation Quelle: Lippert, Anatomie copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 25 Sprechapraxien- Lokalisation Quelle: Schulz-Kirchner, Ratgeber Aphasie copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 26 13 11.11.2014 Sprechapraxien- Theoretische Grundlagen Prävalenz Sprechapraxie und Aphasie treten meist gemeinsam auf (ca. 85%), häufig tritt eine Sprechapraxie in Kombination mit einer Broca-Aphasie auf (allerdings sind Angaben hierzu unsicher, da die Symptome der Broca-Aphasie der Sprechapraxie am nächsten kommen!!!) ca. 10.000- 20.000 Neuerkrankungen pro Jahr buccofaziale Apraxie tritt häufiger auf: 8 von 10 Patienten mit Aphasie sind zumindest initial betroffen copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 27 Sprechapraxien- Modellvorstellungen Sprachproduktionsmodell nach Huber copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 28 14 11.11.2014 Sprechapraxien Definition Zusammenfassung der Sprechapraxie liegt die Störung einer bestimmten Verarbeitungsstufe der Sprachproduktion zugrunde, so unterscheidet sie sich von einer Aphasie oder Dysarthrie Sprechapraxie ist eine Störung der Planung und Programmierung von Sprechbewegungen, dabei liegt keine Wahrnehmungsschwäche für die Sprachlaute vor (vgl. phonologische Störung bei Kindern) copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 29 Sprechapraxien Symptome Ebenenmodell nach Ziegler Segmentale Ebene Lautbildung / Artikulation Suprasegmentale Ebene Prosodie Sprechverhalten copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 30 15 11.11.2014 Sprechapraxien-Symptome 3 Ebenenmodell nach Ziegler: segmentale Ebene= Lautbildungsebene Lautentstellungen / phonetische Fehlleistungen Phonematische Fehler/ phonologische Fehlleistung Mischform Suprasegmentale Ebene= Ebene der Prosodie Akzentuierung und Redefluss Sprechverhalten Sprechanstrengung, Suchverhalten, Initiierungsstörung copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 31 Sprechapraxien-Symptome Segmentale Ebene = Lautbildungsebene Lautentstellungen / Artikulationsfehler: Ziellaut ist noch erkennbar aber klanglich verändert durch: unpassende Lautdehnung Vor- und Rückverlagerungen vor allem lingualer Konsonanten Nasalierung, Denasalierung Entstimmung unscharfe Frikativbildung usw. copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 32 16 11.11.2014 Sprechapraxien-Symptome Segmentale Ebene= Lautbildungsebene phonologische Fehler: 2 Kategorien: umgebungsunabhängig u. umgebungsabhängig umgebungsunabhängig: Beispiel Nase copyright S.Schulz 1. Addition Nadse 2. Substitution 3. Elision Lase dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 _ Ase 33 Sprechapraxien-Symptome umgebungsabhängige phonologische Fehler: Antizipation / regressive Assimilation (von rechts nach links) Nase-Sase progressive Assimilation (von links nach rechts) Nase-Nane Metathese / Lautumstellung Nase-Sane copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 34 17 11.11.2014 Sprechapraxien-Symptome Segmentale Ebene= Lautbildungsebene häufig Mischform von phonetischen und phonologischen Fehlleistungen phonetisch-phonologische Fehlleistungen häufigste Form bei der Sprechapraxie segmentale Fehler/Artikulationsfehler gelten als inkonstant und inkonsequent, doch verschiedene Autoren beschreiben eine Regelhaftigkeit Ziel- und Ersatzlaut haben häufig eine starke Ähnlichkeit copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 35 Sprechapraxien-Symptome Suprasegmentale Ebene= Prosodie Redefluss und Akzentuierung sind betroffen Redeflussstörungen: Hauptsymptom: silbische (skandierende) Sprechweise durch Pausen zwischen den Silben Pausen innerhalb der Silben insgesamt Sprechtempo reduziert unpassende häufige Sprechpausen Iteration (Wiederholung) von Lauten und Silben (klingt wie Stottern) vor allem initial Koartikulationsprobleme an Silbengrenzen copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 36 18 11.11.2014 Sprechapraxien-Symptome Suprasegmentale Ebene= Prosodie Akzentuierungsstörungen Überakzentuierung, verminderter Akzent alle Silben gleich akzentuiert /Akzentnivellierung Akzent wird verschoben, dh. es werden Silben akzentuiert, die sonst ohne Akzent sind copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 37 Sprechapraxien-Symptome Sprechverhalten Sprechanstrengung: gepresstes Sprechen, Reaktion auf die Anstrengung oft nonverbal sichtbar (Gesicht verzieht sich, Hände verkrampfen sich usw.) artikulatorisches Suchverhalten Korrekturversuche Mitbewegungen im Gesicht aber auch Körper Veränderung der Sprechstimmlage copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 38 19 11.11.2014 Sprechapraxie-Differentialdiagnostik 10 Punkte Checkliste (nach Liepold et. al) copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 39 Sprechapraxien-Differentialdiagnostik Aphasie oder Sprechapraxie? Das Wichtigste in Kürze: bei reiner Sprechapraxie außerhalb der Störung der Sprechprogrammierung keine weiteren Symptome auditives und Lesesinnverständnis, Schreiben usw. sind intakt bei Sprechapraxie: artikulatorisches Suchverhalten bei Sprechapraxie: typische skandierende verlangsamte Sprechweise copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 40 20 11.11.2014 T.: „Wie geht es Ihnen heute?“ P.: „Mein Podse tutelt vom Sitzen so wehelig!“ Aphasische phonematische Paraphasie oder sprechapraktisch bedingter phonologischer Fehler? bei der Einzelwortanalyse nicht zu 100% unterscheidbar aber: häufig besseres Fehlerbewusstsein bei Sprechapraxie mit angestrengten Korrekturversuchen, diese Korrekturversuche sind weniger erfolgreich als bei der Aphasie bei sprechapraktischer Fehlleistung: artikulatorisches Suchverhalten liegt noch eine Lautentstellung vor (phonetisch-phonologischer Fehler=Mischform) Sprechapraxie therapeutisches Bauchgefühl! copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 41 Sprechapraxien-Differentialdiagnostik Dysarthrie oder Sprechapraxie? Das Wichtigste in Kürze: die dysarthrische Störung tritt nicht bei der Sprechprogrammierung auf, sondern ist eine neuromuskuläre Störung, sie ist daher hypo- oder hypertoner Natur (ohne Sonderformen zu nennen) bei der Dysarthrie gibt es keine störungsfreien Inseln das Störungsbild der Dysarthrie ist konstant, auftretende Fehler sind vorhersehbar copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 42 21 11.11.2014 Patientenbeispiel Herr B. 72 Jahre alt, türkisch, sprach sehr gut deutsch vor Apoplex, lebt mit Frau und Familie medizinische Anamnese: sehr schwerer Mediainfarkt links, welchen der Patient knapp überlebte, Folgen: arm- und beinbetonter Hemiparese rechts (Patient sitzt im Rollstuhl, rechter Arm und Hand kann nicht für die logopädische Therapie genutzt werden, er ist Rechtshänder), Neglekt, fragliche Hemianopsie logopädische Übergabe-Diagnose: leichte Dysphagie, schwere flüssige Aphasie, schwere buccofaziale und Sprechapraxie, stark eingeschränkte Störungswahrnehmung, Sprechapraxie 2011 43 Patientenbeispiel Problem: Herr B. gilt als „Therapieverweigerer“, er führt ihm gegebene Aufgaben nicht aus, wirft das Therapiematerial herum, löst dann meist irgendwann unverständlich fluchend seine Rollstuhlbremse und fährt selbständig aus dem Therapiezimmer, dieses Verhalten tritt nur in der logopädischen Therapie auf. Zuerst wurde dies als Antipathie gegenüber der Logopädin interpretiert. Als es bei Therapeutenwechsel wieder auftrat, wurde es als Zeichen einer niederen Frustrationstoleranz gedeutet (eine durchaus gut mögliche Erklärung) und die Therapie irgendwann in Absprache mit den Angehörigen abgebrochen. Die Angehörigen bitten um einen letzten Therapieversuch, da sie ihren Mann/ Vater so nicht kennen. Sprechapraxie 2011 44 22 11.11.2014 Patientenbeispiel Diagnostik: buccofaziale Apraxie: nicht verbal möglich wegen schlechten ASV /LSV , Imitation gelingt nicht, dies scheint ihn mehr zu irritieren Herr B. wird mittels Bildkarten aufgefordert, die abgebildete Mund- und Gesichtsbewegung nachzumachen Herr B. soll pfeifen, spitzt die Lippen und macht ein Kußgeräusch in meine Richtung, lacht dann verlegen und macht „ohoh“ Herr B. soll den Mund öffnen und streckt dabei zusätzlich immer wieder die Zunge mit heraus und macht „äääh“ (wie beim Arzt) Herr B. soll die Augen schließen, er grimassiert angestrengt und nährt sich der Bewegung an copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 45 Patientenbeispiel Diagnostik: therapierelevanter Objektgebrauch: Herr B. bekommt einen Bleistift in die Hand, schaut ihn genau an, dreht und wendet ihn und beißt schließlich hinein, erschrickt und lacht verlegen und macht „ähh“ Therapiekarten: Herr B. kann mir keine Therapiekarte vom Tisch geben, er schiebt sie herum, wirft sie herunter und lacht dann verlegen oder hebt sie auf und beißt hinein, er versucht sich mit einer Bildkarte zu kämmen Buchstabenplättchen: auch hier beißt er hinein oder schiebt sie sinnlos auf dem Tisch herum die Angehörigen erzählen von fehlerhaftem Objektgebrauch im Alltag copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 46 23 11.11.2014 Patientenbeispiel Diagnostik: Störung bei der Ausführung kommunikativer Gesten Herr B. soll eine Zeigegeste (Deixis) ausführen, ich versuche ihm das über Imitation und drei Bildkarten zu verdeutlichen, von denen zwei identisch sind. Er soll die identischen zeigen, er schiebt die Karten umher, einmal gelingt ihm das Zeigen auf eine Karte (allerdings nicht die Korrekte) Herr B. soll eine Geste für Trinken machen, dies gelingt nicht, auch nicht mit Handführung copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 47 Patientenbeispiel Spontansprachanalyse zur Diagnostik der Sprechapraxie Spontansprache: völlig unverständliche Automatismen, flüssiger Jargon (nicht- türkisch sprachige Menschen denken, er spricht flüssig türkisch!!!) Prosodie: erhalten Sprechverhalten: eine Sprechanstrengung fällt nur beim Abruf auf Einzellautebene / Wortebene auf Fazit: ??? copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 48 24 11.11.2014 Patientenbeispiel Fazit: schwere Apraxie, welche die Arbeit an der Aphasie massiv behindert, da es für den Patienten erstens aufgrund seines schlechten SV kaum möglich ist, Anweisungen zu folgen und wenn er sich die Aufgabenstellung aus dem Kontext erschließt, steht ihm die Apraxie im Weg da flüssiger Jargon, vermutlich eher Aphasie im Vordergrund aber auffallende sprechapraktische Komponenten auf Laut- und Wortebene Therapie:??? copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 49 Patientenbeispiel Ziel: Herr B. muss für eine sinnvolle Aphasietherapie (und evtl. Sprechapraxietherapie) notwendige Aufgaben wie „Bildkarte zeigen“, „Buchstabenplättchen legen“, „Gesten imitieren“ lernen aufgrund der Schwere der Aphasie und Apraxie erscheint eine Abtrennung von der Sprache vorerst sinnvoll aus dem beobachteten nonverbalen Verhalten von Herrn B. lässt sich schließen, dass ihm seine Reaktionen peinlich sind. Die Töchter bestätigen dies, er war bisher stolzes Familienoberhaupt und sehr geschätzte Ratgeber in der türkischen Gemeinde- es ist also unbedingt notwendig, angemessenes therapeutisches Verhalten zu finden, um ihm Verständnis zu signalisieren copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 50 25 11.11.2014 Patientenbeispiel Therapeutische Umsetzung: mittels Farbkarten und Zahlenkarten (es zeigte sich eine gut erhaltene Zahlenverarbeitung), Puzzles, einfachen Steckaufgaben und Farbsteinen wurde konstant immer die gleiche Aufgabenstellung geübt: Imitation von Zeigen, Geben, Nehmen, Legen Herr B. liebt Spiele, er „freut sich diebisch“, wenn er gegen mich gewinnt (Interaktionsebene), zudem hat er einen starken Ordnungssinn und möchte leere Felder auf Spielfeldern stets ergänzen. Dies nutzen wir mit selbsterfundenen einfachen Ergänzungsspielen, wobei mittels Würfel die Zahl der ergänzenden Steine ermittelt wird (Üben der Handlungen Würfeln, Nehmen und Legen) copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 51 Patientenbeispiel Therapeutische Umsetzung: im nächsten Schritt wurde bei allen Aufgaben auf Ergänzung bzw. selbständige Ausführung übergegangen dies dauerte 1 Jahr allmählich wurden die Aufgaben durch Sprache ergänzt: Farbkarten mit Buchstaben, Zahlenkarten mit Zahlwörtern, Buchstabenpuzzle, Einführung von Bildkarten, Name legen, Name ergänzen usw. nun Arbeit am ASV LSV möglich Sprechapraxietraining mit einfachen Wörtern (Familiennamen, „Hallo“, „Allah“ usw.) mittels „touch cues“ copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 52 26 11.11.2014 Patientenbeispiel Erfolge und Grenzen der Therapie: ASV und LSV Training ist möglich, bisher aber nur auf Wortebene aber Angehörige berichten von einem deutlich verbessertem ASV im Alltag die Apraxie in Form der Störung des Objektgebrauches tritt im Alltag kaum mehr auf (Ausnahme Schreiben), in der Therapie nur nach langen Pausen Imitation ist adäquate Hilfe bei der Sprechapraxietherapie Pantomime des Objektgebrauchs gelang nicht der Wortabruf der 3 Wörter „Hava“ „ Hallo“ und „Allah“ mit therapeutischer Hilfe dauerte fast 2 Jahre! der Patient ruft selbständig bis heute nur sehr selten verständliches Wortmaterial ab aber: als Herr B. in Anwesenheit seiner Tochter Hava in der Therapie erstmals seit 2 Jahren wieder ihren Namen artikuliert, weint seine Tochter vor Freude und auch Herr B. freut sich sehr! copyright S.Schulz dbl Landesfortbildungstag Heidelberg 2014 53 27