Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant

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Vennland-Akademie für philosophische Erwachsenenbildung
Begründet von Univ. Prof. Dr. Vincent Berning
vertreten durch Dr. Hartmut Sommer
62. Wochenendtagung im Arnold Janssen-Kloster NL-6286 BA Wahlwiller
Vom 15. – 17. Januar 2010
Fragen zur Kosmologie, Ewigkeit oder Unendlichkeit der Welt
Leitung: Dr. Hartmut Sommer
Thema des Vortrags:
Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant
Referent: Dr. Andreas Krafczyk
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Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant
Anmerkung:
Bevor die zur Abhandlung stehende Thematik angegangen werden kann, ist es notwendig den
Begriff der Kontingenz hinsichtlich seines Umfangs und Inhalts aber auch bezüglich seines
weiteren Kontextes etwas näher zu beleuchten.
Wenn vom Bedingten die Rede ist, so muß auch der Gegenbegriff des Unbedingten zur
Sprache und Würdigung gelangen, nicht nur deshalb, weil das Bedingte ein Unbedingtes erfordert, um zumindest streng logisch betrachtet, dem fuzzylogischen „regressus ad infinitum“
den Boden zu entziehen.
Definitionen und Wesen der Kontingenz
Zieht man Definitionen der Kontingenz zu Rate, so erfährt man zunächst, daß sich Kontingenz vom lat. contingere, „sich ereignen“, bzw. „zukommen“ ableitet.
In der scholastischen Philosophie drückt der Terminus der Kontingenz vor allem die innere
Endlichkeit eines Seienden aus, die sich darin äußert, daß dieses Soseiende auch anders bzw.
überhaupt nicht sein könnte. Letztere Auffassungen machen unmittelbar plausibel, wieso
Kontingenz später, recht verengt, in der Psychologie gleichbedeutend mit „Beliebigkeit“ gesetzt wird. Kontingent bedeutet heutzutage mitunter neben „beliebig“ auch so viel wie „zufällig“. Im weiteren Sinne schließt Kontingenz die Möglichkeit des Nichtseins ein.
Eine Betrachtung der Tradition zeigt, daß nicht nur von kontingenten Sachverhalten, bzw.
Aussagen die Rede ist, sondern daß auch von kontingenten bzw. unwesentlichen und somit
akzidentellen Eigenschaften auszugehen ist, die Objekten zukommen können. Man spricht
daher fachterminologisch bezeichnend von ’Kontingenz de re’ (also auf ein Ding gerichtet,
der Sache nach) und einer ’Kontingenz de dicto’ (auf eine Aussage bezogen, somit der Aussage gemäß). Es gilt daher der Merksatz: „Die logische Kontingenz der Aussage ist Ausdruck
der ontischen Kontingenz des Sachverhalts.“
Abgrenzung der Kontingenz zur Notwendigkeit (necessitas) im Sinne von Modalitäten
Die Abgrenzung zwischen Kontingenz und necessitas unterscheidet bereits Aristoteles, indem
er von den notwendigen Eigenschaften eines Dinges, die sein Wesen bilden, und den zufälligen, akzidentellen Eigenschaften spricht.
Notwendig ist somit etwas, das so und nicht anders sein muß. Als Beispiele aus der Antike
lassen sich hierfür der Logos, das Sein, die Ideen und der unbewegte Beweger heranziehen. In
der christlichen Philosophie kommt allein Gott die absolute und alleinige Notwendigkeit zu.
Die Notwendigkeit im Sinne der absoluten, metaphysischen oder unbedingten Notwendigkeit
gefaßt, beruht auf einem Netzwerk aus Beziehungen von Wesenheiten, die sich gegenseitig
einfordern und einschließen.
Hinsichtlich der Notwendigkeit wird neben der absoluten Notwendigkeit noch die relative
oder bedingte Notwendigkeit unterschieden, da sie immer von einer Voraussetzung abhängt.
Ist diese beispielsweise von der Natur verursacht, so gelangt man zur naturgesetzlichen Notwendigkeit. Ferner existieren unter vielen anderen, um noch zwei weitere Beispiele anzufügen, die moralische Notwendigkeit mit der Voraussetzung freier Ursachen und einen großen
Schwerpunkt bildend, die logische Notwendigkeit.
Ebenso wie die Kontingenz gehört die Notwendigkeit zum Oberbegriff der Modalität d.h.
der Art und Weise, wie etwas da ist, geschieht oder gedacht wird. Demnach unterscheidet
man üblicherweise die vier Modalitäten: Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit und
Kontingenz. Vom ontologischen Standpunkt besehen meint Modalität die verschiedenen Arten des Bestehens von Sachverhalten, hingegen vom logischen Standpunkt betrachtet, die
Wahrheit von Aussagen bzw. Aussagesätzen.
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Ganz analog zur Kontingenz läßt sich auch von der „necessitas de re“ und der „necessitas de
dicto“ sprechen. Die necessitas de re ist auch als metaphysische Notwendigkeit von größter
Bedeutung, da hier eine Kette dergestalt gebildet wird, daß die Notwendigkeit eines Dinges
immer zugleich die Möglichkeit für wenigstens ein anderes Ding zu bewirken vermag. Im
Kontext beider Betrachtungen ist die Aussage, daß Gott wesentlich existiere, von unverzichtbarer Notwendigkeit. Der Kerngedanke, wieso Metaphysik sich nicht überlebt, sondern die
Philosophie immer wieder neu beschäftigt, liegt grundlegend im Umstand begründet, daß die
Metaphysik vom Interesse der Vernunft geleitet ist, zum Bedingten bzw. Kontingenten, das
Unbedingte aufzusuchen. Der Fortschritt der Wissenschaften bzw. der Erkenntnis führt diesem Interesse stets neue Nahrung zu.
Charakteristika der Philosophieansätze bei Thomas von Aquin
Hinsichtlich dieser Thematik läßt sich weit zurückgehen und zunächst die Grundsatzfrage
nach dem Beginn des Philosophierens in der Antike unterbringen. Die Antwort findet sich in
dem Befund: Den Beginn des traditionellen abendländischen Philosophierens bildet das Staunen. Neben vielen anderen Philosophen vertreten auch die größten ihrer Zunft, nämlich Platon, Aristoteles und Thomas diesen Ansatz. Thomas von Aquin, doctor communis und wirkmächtigster Philosoph des Mittelalters, führt hierzu aus: „Allen Menschen wohnt naturhaft
der Drang inne, die Gründe dessen, was erscheint, zu erkennen. Darum begannen die Menschen zunächst zu philosophieren aus Verwunderung über das, was aufschien, wovon jedoch
die Gründe verborgen waren. Erst mit dem Auffinden des Grundes kommt der Drang zur Ruhe. Das einmal begonnene Suchen hält jedoch nicht eher still, als bis es zum ersten Grunde
kommt. Darum glauben wir eine vollendete Erkenntnis erst dann zu haben, wenn wir den ersten Grund fassen. Der Mensch strebt also naturhaft danach, den ersten Grund zu erkennen,
gewissermaßen als sein letztes Ziel.“ (S.c.g. III 25). Dieses Streben ist dem Menschen in die
Wiege gelegt. Das Grundmotto der thomistischen Weltanschauung lautet: „alles ist geordnet
und die Ordnung hat einen göttlichen Ursprung“ und: „Der Weg zum Wissen führt über den
Glauben“, eine Position, die bereits Augustinus vertreten hatte.
Transzendenzphilosophie und Kontingenz
Für die Transzendenzphilosophie ist die Unterscheidung des absoluten und des kontingenten
Seins unverzichtbar. Die hier zugehörigen bipolaren Termini der unterscheidenden Abgrenzung lauten: „ens a se“ und „ens ab alio“, bzw. „ratio sufficiens“ für alles Seiende und die
Forderung eines obersten Weltgrundes, denn die Transzendenzphilosophie kommt zu dem
Schluß: Das endlich Seiende ist nicht notwendig, d.h. aus sich selbst (absolut), sondern letztlich ein Geschöpf. Es hat sein Sein von einem Anderen, dem Schöpfer.
Das Absolute ist hingegen ganz anders geartet: es ist durch sich selbst und steht darum jenseits allen Seins dieses an Macht und Würde überragend. Seit Platon wird der Gottesbegriff
auch mit dem „summum bonnum“ identifiziert. Die Auffassung Gottes gerät in der Transzendenzphilosophie folgerichtig zur „implicatio der Welt“ und diese als „explicatio Gottes“.
Die Kontingenzdeutung bei Thomas von Aquin in Bezug auf den dritten Weg
Für Thomas ist Kontingenz „das Nichtnotwendige im Dasein und in den Eigenschaften der
Welt“. Der Aquinate spricht oft von der Notwendigkeit der Natur insbesondere für die weltlichen Lebenserscheinungen, und der Ordnung der Natur als Quelle der Gotteserkenntnis, der
er die Freiheit des Willens gegenüberstellt. Diese interpretiert Thomas gleichwertig als Seinsund Wertbegriff. Die Kontingenz der Welt, auch insbesondere hinsichtlich ihres Anfangs,
sieht Thomas von Aquin in der Freiheit und Unabhängigkeit des Willens Gottes, der von
Ewigkeit ist und alles durchdringt. Die hier angeführten transzendenzphilosophischen Grundsätze finden sich detailliert ausgestaltet, wenn auch jeweils unterschiedlich tenorisiert und mit
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anderen thematischen Schwerpunkten versehen, in seinen berühmten „fünf Wegen zu Gott“
wieder, von denen der dritte Weg einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll.
Der dritte Beweisgang der quinquae viae des Thomas (ex possibili et necessario) seiner
Summa Theologiae operiert wie folgt mit dem Kontingenzbegriff:
Ausführungen zum Dritten Beweis von Thomas: Aus der Nichtnotwendigkeit (Kontingenz) des
Daseins der Dinge (Kontingenzbeweis).
Der dritte Beweis hat das bestehende Sein zum Bezugspunkt und kann daher, selbst in der
Mitte der fünf Beweise stehend, als Mittelpunkt der übrigen angesehen werden. Sein Gedankengang läßt sich durch folgende Überlegungen charakterisieren:
Es gibt Dinge, die nicht notwendig existieren, die also sein und nicht sein können, wie das
besonders klar ist bei den werdenden und vergänglichen Dingen; denn: Hier ist nichts notwendig und zudem ist alles auch noch mit Potentialität durchsetzt. Potentialität heißt, daß
mögliches Sein einmal auch nicht da war. Die Dinge haben den Grund ihres Daseins nicht in
sich, denn sonst müßten sie notwendig existieren. Gäbe es nur kontingentes Sein dann wäre
dies gleichbedeutend mit „es gäbe dann überhaupt nichts“; verdeutlicht heißt das: Ohne Gott
könnte die Welt, so wie sie durch ihre ganz zufälligen und ganz bedingten Beziehungen begründet ist, sehr unstimmig, allenfalls als ein Gefüge von Nichtigkeiten bestimmt werden.
Somit gilt die Folgerung: Was immer aber den Grund des Daseins nicht in sich trägt, muß
ihn in einem anderen haben. Also gibt es ein Seiendes, das notwendig ist; notwendig aus sich
oder von außen her. Ist dieses andere wieder so beschaffen, daß es sein und nicht sein kann,
so fordert auch das wieder ein anderes für sein Dasein. Eine endlose Reihe solcher bedingt
(kontingent) daseiender Dinge kann es aber nicht geben, weil sonst die ganze Reihe keine
hinreichende Ursache für das Dasein hätte. Es muß folglich ein erstes nicht kontingent, sondern aus sich notwendig daseiendes Wesen geben, von dem alle nicht notwendigen Dinge ihr
Dasein empfangen haben. Und dieses Wesen nennen wir Gott.
Es darf niemals vergessen werden, daß auch der hier herangezogene sog. „Dritte Gottesbeweis“ einen in enger Beziehung zu den vier anderen Wegen des Thomas zu Gott zu gehenden
Wege darstellt, der jedoch als zentral positionierter Weg nach allen Seiten besonders einlädt,
auch die anderen Wege zu Gott zu beschreiten.
Hinsichtlich der sog. „Gottesbeweise“ gilt: Eine rein empirische Begründung des Glaubens
ist für Thomas ebenso unmöglich wie eine rein empirische Wiederlegung. Mit dem Gefühl für
die Würde des Glaubens verbindet Thomas die Verpflichtung zur Sauberkeit des Denkens,
Dazu gehört auch, die große Weite und Strenge des aristotelischen logischen Denkens mitzubegreifen, damit jegliches fuzzylogisches Denken zum Ausschluß kommt. So sehr Thomas
auf selbständiges Denken in größtmöglicher Weite insistiert, so wenig darf in Vergessenheit
geraten, daß alles Seiende aus dem Willen Gottes und seiner Güte entspringt.
Die Antwort des modernen Positivismus
In der Neuzeit bricht eine solche weitausladend tragende und fundamentale Synthese als
Grundeinschätzung bezüglich der Kompetenzen von Glauben und Vernunft weitgehend zusammen, nicht ohne ganz gravierende Folgen zu hinterlassen.
Das ursprüngliche Weltvertrauen zeigt bis auf den heutigen Tag, aufgrund dieses gewaltigen
Zusamenbruchs beachtliche Verwerfungen bezüglich der alten Glaubensgewißheiten und tiefe
Zweifel hinsichtlich dem Stellenwert sinnlicher Erfahrungen, so daß bereits Descartes sich
genötigt sah Staunen und Zweifel nicht zu bestimmenden Antipoden werden zu lassen, indem
es galt über den von ihm instrumentalisierten methodischen Zweifel Gewißheit zu erlangen.
Befragt man einen der bedeutendsten Vertreter der Positivisten, August Compte, so hat die
geistige Entwicklung der Menschheit zwei Perioden durchlaufen: Das Kindesstadium der Religion, bzw. den Glauben an hintergründige Götter und später das Jugendstadium der Metaphysik als Jugendträumerei vom hintergründigen Wesen. Im angebrochenen Erwachsenen-
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stadium, das sich durch Reife und Kritik auszeichnet, gibt es keine wundersamen Rätsel mehr
vor deren Auswirkungen man in Glauben und Ehrfurcht geradezu erstarrt. Der nun endlich
durch das Wirken der modernen (Natur-) Wissenschaft reife Mensch begnügt sich, in der nun
erreichten positiven Periode, mit dem was aufscheint, vor allem in der Art und Weise so wie
es die Resultate der exakten Naturwissenschaften präsentieren.
Der wissenschaftlich-technische, zukunftsoptimistische Fortschritt, der noch weitestgehend
ohne ein rechtes Gefahrenbewußtsein stattgefunden hatte, machte ein staunendes Hinauslangen auf ein ’Dahinter’ überflüssig. Vielmehr ist es der Mensch selbst, der vermöge seines
machtvollen Wirkens zum eigentlichen Objekt und Rechtfertigung des Staunens geworden ist,
aber es sind nicht mehr die alten Rätsel des eigenen Seins und des Seins der Welt, die noch
verwundern, da sie nach und nach sicher eine wissenschaftliche Aufklärung erfahren werden.
Die Verhältnisse bei Kant
Ist Thomas zu seiner Zeit eine epochale, Antike und Mittelalter übergreifende Synthese aus
Glauben und Wissen bzw. Verstand und Vernunft gelungen, so zeichnet sich die Philosophie
Kants gespiegelt an dieser gewaltigen thomistischen Syntheseleistung durch eine erschrekkende Kargheit aus. Wirft man ein Schlaglicht auf die Philosophie Kants, so ist hier unübersehbar, daß Kants Philosophie vor allem Kritik ist. (Alle Hauptwerke Kants fangen mit „Kritik der..“ an). Die Kritik gewinnt bei Kant eine dermaßen überragende Bedeutung, weil sie in
den Rang der universalen Vernunfterhellung gehoben wird.
Gegensätze, die bei Thomas zur Synthese gebracht werden konnten, brechen bei Kant in
voller Schärfe bewußt auf, denn „krinein“ das im Begriff der Kritik enthalten ist, bedeutet nun
möglichst trennscharf, radikal und kompromißlos zu scheiden bzw. zu ent(d)scheiden. Dies
gilt auch in Bezug auf seine pedantisch-rigoros ausgelegte Erkenntnistheorie, seit der kopernikanischen Wende Kants für die Erkenntnis der Welt, da die Welterkenntnis zahlreichen Erschütterungen durch das Wirken moderner Wissenschaften ausgesetzt gewesen war.
Kants Anliegen war es daher, die Grenzen der menschlichen Erkenntnis festzustellen und
das Grundschema der Ordnung aller Erkenntnisse anzugeben und abzuleiten. Kant sah sich
durch den Umstand herausgefordert, daß sich Erfahrung und metaphysisches Denken wechselseitig beeinflußen. Diese Beeinflußung geht so weit, daß Schädigungen etwa durch Infektionen, Konfrontationen und Brüche auf beiden Seiten nie auszuschließen sind.
Für Kant sind es explizit der Skeptizismus und Dogmatismus an denen deutlich wird, daß
falsch geleitetes Erkennen sich selbst unfruchtbar macht. Kants Abwehr dagegen besteht darin, daß er einen transzendentalen Idealismus erschafft, den er vor allem in seinem Fundamentalwerk „Kritik der reinen Vernunft“ präsentiert. Der transzendentale Idealismus soll den Boden in der Weise bearbeiten, daß auf ihm Skeptizismus und Dogmatismus nicht mehr recht
gedeihen können und zugleich deren Wurzeln entlarven und beseitigen helfen.
War für die alte Transzendenzphilosophie die Welt noch als Inbegriff und in nichts anderes
mehr einzuordnende Einheit alles Seienden, so erhält die Welt nach der kopernikanischen
Wende in der Transzendentalphilosophie eine subjektive Schlagseite. Sie wird bei Kant zum
Inbegriff aller möglichen Erfahrung, damit zur transzendentalen Idee auf die alles Erfahrbare
hingeordnet wird. Die Welt verengt als „Totalität aller Erscheinungen“ ist nun nicht per se
und von vornherein vorhanden, sondern tritt durch Forschung, die allerdings nie an ein Ende
gelangt, nach und nach zu Tage.
Die Stellung der Metaphysik bei Kant
Bereits die wenigen Ausführungen zeigen deutlich: Was hier nach Kant so radikal geschieden
werden muß; es ist dies die Sichtweise der Welt wie sie die alte Transzendenzphilosophie
über viele Jahrhunderte verkündet hat gegenüber der neu angebrochenen Auffassung der Welt
durch die transzendentalphilosophische Interpretation Kants.
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Einen ganz wesentlichen Bestandteil der Transzendenezphilosophie bildet die Metaphysik.
Sie ist auch für Kant ein sehr ernstes Anliegen und keineswegs, wie Compte behauptet, eine
„Jugendträumerei vom hintergründigen Wissen“, Wie wichtig Metaphysik genommen werden
muß, die ja Kant neben dem Ruf eines „Alleszermalmers der Metaphysik“ (Moses Mendelssohn) letztlich auch noch die gegenteilige Einschätzung eines „verkappten Metaphysikers“
eingebracht hat, beweisen selbst indirekt und uneingestandenermaßen ihre ausgewiesenen
Kritiker mit der polemisch undifferenzierten und vergröbernden Behauptung, daß Philosophie
von ihren Anfängen her nichts anderes als Metaphysik sei.
Metaphysik als Wissenschaft
Das wichtige Anliegen der Metaphysik stellt sich daher für Kant in der Fragestellung: Wie
ist Metaphysik als Wissenschaft möglich? Seine Antwort hierzu findet sich aufkonzentriert in
den „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik“ (1783).
Die ins Detail gehende Antwort Kants, die Metaphysik betreffend, läßt sich innerhalb der
Kritik der reinen Vernunft in der transzendentalen Dialektik auffinden. Die transzendentale
Dialektik als Theorie der Vernunftideen hinsichtlich von Prinzipien der Vollständigkeit des
Erkennens will zugleich Kulminationspunkt und Vollendung der Theorie Kants über die Möglichkeit und Grenzen des menschlichen Erkennens verstanden sein. Darüber hinaus zeigt sich
hier auch seine „neue Metaphysik“, indem die Transzendentalphilosophie sowohl zur Erkenntnislehre als Lehre von den apriorischen und aposteriorischen Bestandteilen der Erfahrung und zur neuen Metaphysik als Lehre vom denkbaren und gedachten Sein überhaupt wird.
Hieraus resultiert die Hauptfrage der „neuen Metaphysik“ Kants: Was und wie viel kann Verstand und Vernunft frei von aller Erfahrung erkennen?
Vorweg bemerkt: die Antwort fällt sehr ernüchternd aus. Es ist wiederum die transzendentale
Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft, in welcher Kant erhellende Auskünfte erteilt. In
der transzendentalen Dialektik zeigt Kant, daß alle Versuche der reinen Vernunft, eine Welt
jenseits der Erscheinungen als das wahrhaft Seiende zu erkennen, unabwendbar mißlingen.
Das liegt darin begründet, daß die Gegenstände der äußeren Anschauung zwar als wirklich
anzusehen sind, im Gegensatz zur Transzendenzphilosophie richtet sich die Erkenntnis aber
nur auf Erscheinungen, weil der kritische Idealismus Kants die Dinge an sich nicht erreicht.
Das Nichterreichen liegt in der apriorischen Struktur der Erkenntnis begründet, die dem Subjekt entstammt. (Der hier erkennbar werdende Einfluß der Kopernikanischen Wende Kants
besagt bekanntlich unmißverständlich, daß sich die Dinge nach unserem Erkenntnisvermögen
zu richten haben (nicht aber umgekehrt)).
Die Positionierung des Bedingten und Unbedingten bei Kant
Das Bedingte, Unbedingte, die Möglichkeit und Wirklichkeit sind Für Kant Modalitätskategorien, die der Erkenntnis der Gegenstände vorausliegen und sie erst ermöglichen.
Der bei Kant transzendental angelegte Erkenntnisprozeß lautet grob skizziert: Es ist zunächst und grundlegend die Anschauung, welche der Erkenntnis einen noch unbestimmten
Stoff liefert. Hier setzt die Tätigkeit des Verstandes an, der mit Hilfe der Begriffe und Grundsätze der Transzendentalphilosophie dem Stoff die bestimmte Einheit verleiht; erst dann führt
die Vernunft, die begriffliche Erkenntnis zur höchsten Einheit.
Das Unbedingte als die schlechthin höchste Einheit
Das Unbedingte ist für Kant die transzendentale Idee. Sie bewirkt, daß der „Verstand mit sich
selbst in durchgängigen Zusammenhang gelangt.“ (B 362)
Das Unbedingte leistet die systematische Einheit der Erfahrung. Die Suche nach ihm erscheint
daher als selbstverständlich, ja sogar als unabweisbare Fortsetzung aller Erkenntnis denn die
Suche liegt im natürlichen Interesse der Vernunft.
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Die unbedingte Bedingung
Die höchstmögliche Einheit wird in der kantschen Transzendentalphilosophie mit einer Bedingung erreicht, die selbst nicht mehr bedingt ist; d.h. erst die unbedingte Bedingung ist für
Kant das Unbedingte. Kann jedoch eine Bedingung, die unbedingt ist, damit ihren Bedingungs- und Bedingtheitscharakter verliert, überhaupt noch Bedingung sein? Im hierarchischen
Denken wäre die unbedingte Bedingung nach oben hin frei von Bedingtheit auch, um im Einklang mit den Ansprüchen des „regressus ad infinitum“ zu stehen, sie wäre aber immer noch,
obwohl nach oben unbedingt, Bedingung für alles unter ihr Angeordnete.
Ein weiterer springender Punkt der transzendentalen Dialektik liegt in der Einsicht, daß die
Vernunft das Unbedingte zwar denken aber nicht erkennen kann. Wieso dem so ist findet sich
in der Feststellung Kants: Beim Unbedingten fehlen die beiden Bedingungen objektiver Erkenntnis, nämlich die sinnliche Anschauung und der Verstandesbegriff. (Die näheren Begründungen finden sich in der transzendentalen Ästhetik und der transzendentalen Analytik).
Folgerungen für die traditionelle Transzendenzphilosophie
Kant gibt in Anbetracht des großen Denkaufwands, welcher der alten Transzendenzphilosophie und Metaphysik nicht abgesprochen werden kann und darf, dennoch zu bedenken: Das
Vorhaben die Welt durch bloßes Denken zu erkennen und dabei die Anschauung außen vor zu
lassen verwickelt die Vernunft in Widersprüche. Um diese aufzulösen Bedarf es nach Kant
der Einsichten der transzendentalen Ästhetik und Analytik, die dazu führen, daß sich diese
Widersprüche auflösen lassen.
Stellenwert und Bedeutung der Gottesbeweise für Kant
Es ist nur folgerichtig, wenn für Kant die traditionelle Metaphysik scheitert, dann auch die
natürliche Theologie scheitern muß, weil diese die oberste Disziplin der überlieferten Metaphysik bildet. Da Gott der Grundbegriff des schlechthin höchsten Wesens darstellt, gebührt
die Frage nach Gott in allen metaphysischen Systemen der Vorrang. Für den Empiriker Kant
scheitern alle Gottesbeweise. Auch würdigt er unzureichend die Auffassung des Thomas hier
Wege zu sehen, die beschritten sein wollen, sowie den Anspruch, daß eine rein empirische
Begründung des Glaubens für Thomas ebenso unmöglich ist wie eine rein empirische Widerlegung. Die Forschung hat gezeigt, daß die Kritik Kants nicht in erster Linie die Gottesbeweise an sich in ihrer Existenzberechtigung betrifft, sondern ihre rationalistischen Auslegungen,
die Gott aus reinen Begriffen erschließen wollen. Trotz all seiner Bedenken gelangt Kant aber
nicht zur Erkenntnis, daß Gott nicht existiere, denn diese negative Behauptung läßt sich ebenso wenig beweisen wie die gegenteilige positive. Es ist daher für Kant notwendig nicht nur
die spekulative Theologie zu verwerfen, sondern auch den spekulativen Atheismus, der das
Nichtsein Gottes zu demonstrieren vorgibt.
Zusammenfassung und Würdigung
Der traditionelle Philosophieansatz, der in der Philosophie des Staunens gründet und der allzuoft seit der Aufklärung als naive Kinderei verunglimpft wird, ist der Garant dafür, daß nicht
von Vornhinein Bedingungen, Blockaden, Barrieren, Checkpoints und Eingangskontrollen
eingerichtet werden, die das Beschreiten, Vorankommen und die Orientierung auf dem zu
betretenden jeweiligen Neuland mit unnötigen Hindernissen von vornherein überfrachten.
Dieser Tradition sieht sich auch Thomas verpflichtet. Sein ganzes theologisches und philosophisches Werk atmet das Bestreben, die Wahrheitserkenntnis nach Kräften zu befördern
und dem Fortschritt des Denkens möglichst keine Hindernisse in den Weg zu legen. Dem widerspricht nicht, daß es für ihn immer auch unlösbare Fragen und Geheimnisse gibt.
Die moderne Fortschrittsideologie, die verbissen behauptet, daß alle Geheimnisse irgendwann einmal im Laufe der Zeit bzw. evolutionärer Entwicklungen aufgelöst und bewältigt
werden können, kann nichts mit der Einsicht anfangen, daß diese in ihrem Wesen als Geheim-
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nisse anerkannt, hinzunehmen, gewürdigt und gar zu bewundern sein sollten, außer sie als
kindlich und naiv anzuprangern.
Die Überwindung von Glauben durch Wissen, das vor allem mathematisch-naturgesetzlich
begründet ist, bzw. des ungeliebten Zufalls durch Gesetzmäßigkeit, soll den Menschen erwachsen werden lassen, indem er unnötigen Ballast abwirft und mit leichtem Gepäck immer
größere Höhen seines Menschseins erklimmt. Diesem ideologisch gefärbtem Treiben wird
jedoch immer wieder Einhalt geboten durch die ubiquitär aufscheinende und wirkmächtige
Kontingenz der Welt.
Die sich selbst beschränkende Vernunft
Als Folge der kopernikanischen Wende, der ein revolutionärer Impetus eignet, wird vom neuen philosophischen Denken gefordert, die Transzendenzphilosophie, weil sie als spekulativ
erachtet und verachtet wird, durch Transzendentalphilosophie abzulösen.
Hier erhält die Kontingenz der Welt beim Wechsel von der Transzendenzphilosophie zur
Transzendentalphilosophie Kants einen ganz anderen Stellenwert und andersgeartete Prioritätensetzungen. Vermittels der jeglicher Erkenntnis vorgeschalteten transzendentalen apriorischen Struktur der Erkenntnis, die dem Subjekt entstammt bzw. in ihm gründet und einem
kompliziert-komplexen strengen Regelwerk der Arbeits- und Funktionsweise gehorcht, gewinnt die Kontingenzproblematik eine sehr enge subjektphilosophische Eingangspforte und
Auslegung,
wonach sich die Gegenstände nach unserem Erkenntnisvermögen zu richten haben.
Eine solche Philosophie gerät sehr schnell in den Verdacht einer unauslöschlichen subjektivistischen Einfärbung im Sinne einer Weigerung, das Denken vom Denkenden zu trennen. Sie
gelangt damit nie mehr über die ganze Fülle an subjektiven Engen und Bedingtheiten hinaus,
die dem Denken geradezu eine Art Zwangsjacke verpassen, statt es frei leben und atmen zu
lassen.
Demzufolge nimmt es nicht wehr Wunder, daß der Ersatz der Transzendenzphilosophie
durch die Transzendentalphilosophie, gespiegelt am Wesen der ersteren, und in ihrem Licht
gesehen, wie die Vorgehensweise einer Vernunft erscheinen muß, die sich ohne Not selbst
beschränkt, indem sie in jedem Subjekt zahlreiche Hürden auftürmt, und ein Regelwerk einsetzen muß das festlegt, wie der Erkenntnisprozeß noch zu handhaben ist. So unterscheidet
Kant streng zwischen Verstand und Vernunft. Für ihn ist Vernunft anders als bei Thomas eine
dem Verstand untergeordnete Einheit, die die einheitsstiftenden Begriffe des Verstandes ihrerseits in eine sekundäre Einheit bringt. Da aber die sekundäre Einheit zur Konstitution des
Gegenstandes nicht notwendig ist, kann Vernunft die Erkenntnis nicht erweitern.
Aus der Sicht der Transzendenzphilosophie weist die Transzendentalphilosophie den weiteren schweren Mangel auf, daß sie dem vernunftgeläuterten Glauben (fides et ratio) nicht mehr
seinen ihm seit Urzeiten zugehörigen konstitutiven Stellenwert zuweist. Demgegenüber heißt
die Tradition der Transzendenzphilosophie den reflektierten Glauben willkommen und bereitet ihm Platz, um in seiner Obhut die größtmögliche Freiheit in allen Dimensionen zu gewinnen, statt zwischen Glauben und Wissen unaufhörlich antagonistische Gegensätze aufzubauen, an denen sich immer wieder neue Konflikte und Weltanschauungen entzünden können.
Literatur:
D. Sertillanges: Thomas von Aquin
Thomas von Aquin: S.Th I q. 86, a3 und I,q 2 a 3 co. Tertia via
Thomas von Aquin: S.c.g. III
Anton Anweiler: die Anfanglosigkeit der Welt nach Thomas von Aquin und Kant
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft
Otfried Höffe: Immanuel Kant
Bernhard Kälin: Lehrbuch der Philosophie, Band I
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Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Immanuel Kant (Übersicht)
Zusammenfassung der grundlegenden Aussagen zur Kontingenz der Welt
Formale Einteilungskriterien zur Kontingenz:
- Kontingenz ist Unterbegriff zur Modalität
Modalität (Oberbegriff)
- Es existieren vier Modalitäten: Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit und Kontingenz
Unterscheidungen der Kontingenz
Bedingtes – Unbedingtes (als Gegenbegriff) und spezifiziert: Kontingenz de re – Kontingenz de dicto
Transzendenzphilosophie und Kontingenz:
- Die Unterscheidung zwischen absoluten und kontingentem Sein ist für die Transzendenzphilosophie fundamental und absolut unverzichtbar im Sinne von: (ens a se – ens ab alio). Der 3.
Weg des Thomas schafft hier große Klarheit für das traditionelle Verständnis der Kontingenz.
Unterschiede zwischen Transzendenzphilosophie und Transzendentalphilosophie
- Die Transzendenzphilosophie berücksichtigt die metaphysische Tradition des Abendlandes.
- Bei Thomas vertritt sie eine Antike und Mittelalter übergreifende Synthese aus Glauben und
Wissen bzw. Verstand und Vernunft. Die Grundpositionen bei Thomas, die bereits Augustinus
vertreten hatte, lauten: „Alles ist geordnet und die Ordnung hat einen göttlichen Ursprung“
bzw. „Der Weg zum Wissen führt über den Glauben.“
Dagegen: Der Idealismus und die Transzendentalphilosophie Kants wollen die alten Anliegen und
(dogmatischen) Aussagen der Metaphysik, Ethik und Religion kritisch, radikal und neu verstehen.
Das Staunen ist Beginn des abendländischen Philosophierens. (Sichtweise der Antike und des Mittelalters)
Dagegen: Die moderne Philosophie sieht diesen Ansatz seit Comptes „Dreistadienlehre“ lediglich als
„Kindes- und Jugendstadium der geistigen Entwicklung der Menschheit“. Das neue Erwachsenenstadium der Philosophie zeichnet sich demnach durch Reife und Kritik aus. Auf Kant bezogen heißt das:
- Vollzug der kopernikanischen Wende mit dem Erwachen aus seinem „dogmatischen Schlummer“ und Beginn seiner kritischen Periode über den Eintritt in die Transzendentalphilosophie
vermittels der „Kritik der reinen Vernunft“.
Kant und die Neuzeit:
-
Die Wirklichkeit ist der Ordnung durch die Vernunft nicht mehr auf traditionelle Weise zugänglich. Fides et ratio haben kein symbiotisches, gegenseitig bereicherndes Verhältnis zueinander mehr, sondern werden zunehmend antagonistisch interpretiert. Es lauern daher überall
die Gefahren des Skeptizismus und Dogmatismus. Diese können jedoch nach Kant: durch Kritik und Aufklärung im Sinne und mit Hilfe der Transzendentalphilosophie behoben werden.
Folgerungen für die Kontingenz der Welt:
- Staunendes Hinauslangen auf ein Dahinter ist für Kant nicht überflüssig wie bei Compte aber:
- Der Wechsel von der Transzendenzphilosophie zur Transzendentalphilosophie läßt eine im
Subjekt angelegte Kontingenz für die Wahrnehmung der Erscheinungen aus der Welt erkennen, die erkenntnistheoretischen Vorrang hat vor allen anderen Wahrnehmungen ubiquitär anzutreffender Kontingenz d.h. „die Gegenstände haben sich nach unserem Erkenntnisvermögen
zu richten.“ Zudem gilt für die Vernunft: Sie kann Erkenntnis nicht erweitern, da sie nur die
einheitsstiftenden Begriffe des Verstandes sekundär in Einheit setzt.
- Dagegen: Aus der Sicht der Tradition ist eine solche kompliziert-komplexe, ins Subjekt eingepflanzte Kontingenz eine unzulässige und überflüssige „Selbstbeschränkung der Vernunft“,
die unnötigerweise weitaus mehr Probleme schafft als sie zu lösen vorgibt.
Einige der gravierendsten Folgen sind:
- Ablehnung von „Gottesbeweisen“ und natürlicher Theologie als Wegen zu Gott.
- Die Welt wird zur transzendentalen, anregenden und bewegenden Idee auf die alles Wissen
und Erfahrbare nach und nach durch den Fortschritt der Wissenschaften hingeordnet wird.
- Eine Synthese wie bei Thomas wird nicht mehr möglich; Gefahren des Kritizismus leben auf.
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Vennland-Akademie für philosophische Erwachsenenbildung
Begründet von Univ. Prof. Dr. Vincent Berning
vertreten durch Dr. Hartmut Sommer
62. Wochenendtagung im Arnold Janssen-Kloster NL-6286 BA Wahlwiller
Vom 15. – 17. Januar 2010
Fragen zur Kosmologie, Ewigkeit oder Unendlichkeit der Welt
Leitung: Dr. Hartmut Sommer
Thema des Vortrags:
Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant
Referent: Dr. Andreas Krafczyk
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Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant
Anmerkung:
Bevor die zur Abhandlung stehende Thematik angegangen werden kann, ist es
notwendig den Begriff der Kontingenz hinsichtlich seines Umfangs und Inhalts
aber auch bezüglich seines weiteren Kontextes etwas näher zu beleuchten.
Wenn vom Bedingten die Rede ist, so muß auch der Gegenbegriff des Unbedingten zur Sprache und Würdigung gelangen, nicht nur deshalb, weil das Bedingte ein Unbedingtes erfordert, um zumindest streng logisch betrachtet, dem
fuzzylogischen „regressus ad infinitum“ den Boden zu entziehen.
Definitionen und Wesen der Kontingenz
Zieht man Definitionen der Kontingenz zu Rate, so erfährt man zunächst, daß
sich Kontingenz vom lat. contingere, „sich ereignen“, bzw. „zukommen“ ableitet.
In der scholastischen Philosophie drückt der Terminus der Kontingenz vor allem die innere Endlichkeit eines Seienden aus, die sich darin äußert, daß dieses
Soseiende auch anders bzw. überhaupt nicht sein könnte. Letztere Auffassungen
machen unmittelbar plausibel, wieso Kontingenz später, recht verengt, in der
Psychologie gleichbedeutend mit „Beliebigkeit“ gesetzt wird. Kontingent bedeutet heutzutage mitunter neben „beliebig“ auch so viel wie „zufällig“. Im weiteren Sinne schließt Kontingenz die Möglichkeit des Nichtseins ein.
Eine Betrachtung der Tradition zeigt, daß nicht nur von kontingenten Sachverhalten, bzw. Aussagen die Rede ist, sondern daß auch von kontingenten bzw.
unwesentlichen und somit akzidentellen Eigenschaften auszugehen ist, die Objekten zukommen können. Man spricht daher fachterminologisch bezeichnend
von ’Kontingenz de re’ (also auf ein Ding gerichtet, der Sache nach) und einer
’Kontingenz de dicto’ (auf eine Aussage bezogen, somit der Aussage gemäß).
Es gilt daher der Merksatz: „Die logische Kontingenz der Aussage ist Ausdruck
der ontischen Kontingenz des Sachverhalts.“
Abgrenzung der Kontingenz zur Notwendigkeit (necessitas) im Sinne von Modalitäten
Die Abgrenzung zwischen Kontingenz und necessitas unterscheidet bereits Aristoteles, indem er von den notwendigen Eigenschaften eines Dinges, die sein
Wesen bilden, und den zufälligen, akzidentellen Eigenschaften spricht.
Notwendig ist somit etwas, das so und nicht anders sein muß. Als Beispiele
aus der Antike lassen sich hierfür der Logos, das Sein, die Ideen und der unbewegte Beweger heranziehen. In der christlichen Philosophie kommt allein Gott
die absolute und alleinige Notwendigkeit zu. Die Notwendigkeit im Sinne der
absoluten, metaphysischen oder unbedingten Notwendigkeit gefaßt, beruht auf
einem Netzwerk aus Beziehungen von Wesenheiten, die sich gegenseitig einfordern und einschließen.
12
Hinsichtlich der Notwendigkeit wird neben der absoluten Notwendigkeit noch
die relative oder bedingte Notwendigkeit unterschieden, da sie immer von einer
Voraussetzung abhängt. Ist diese beispielsweise von der Natur verursacht, so
gelangt man zur naturgesetzlichen Notwendigkeit. Ferner existieren unter vielen
anderen, um noch zwei weitere Beispiele anzufügen, die moralische Notwendigkeit mit der Voraussetzung freier Ursachen und einen großen Schwerpunkt
bildend, die logische Notwendigkeit.
Ebenso wie die Kontingenz gehört die Notwendigkeit zum Oberbegriff der
Modalität d.h. der Art und Weise, wie etwas da ist, geschieht oder gedacht wird.
Demnach unterscheidet man üblicherweise die vier Modalitäten: Notwendigkeit,
Möglichkeit, Unmöglichkeit und Kontingenz. Vom ontologischen Standpunkt
besehen meint Modalität die verschiedenen Arten des Bestehens von Sachverhalten, hingegen vom logischen Standpunkt betrachtet, die Wahrheit von Aussagen bzw. Aussagesätzen.
Ganz analog zur Kontingenz läßt sich auch von der „necessitas de re“ und der
„necessitas de dicto“ sprechen. Die necessitas de re ist auch als metaphysische
Notwendigkeit von größter Bedeutung, da hier eine Kette dergestalt gebildet
wird, daß die Notwendigkeit eines Dinges immer zugleich die Möglichkeit für
wenigstens ein anderes Ding zu bewirken vermag. Im Kontext beider Betrachtungen ist die Aussage, daß Gott wesentlich existiere, von unverzichtbarer Notwendigkeit. Der Kerngedanke, wieso Metaphysik sich nicht überlebt, sondern
die Philosophie immer wieder neu beschäftigt, liegt grundlegend im Umstand
begründet, daß die Metaphysik vom Interesse der Vernunft geleitet ist, zum Bedingten bzw. Kontingenten, das Unbedingte aufzusuchen. Der Fortschritt der
Wissenschaften bzw. der Erkenntnis führt diesem Interesse stets neue Nahrung
zu.
Charakteristika der Philosophieansätze bei Thomas von Aquin
Hinsichtlich dieser Thematik läßt sich weit zurückgehen und zunächst die
Grundsatzfrage nach dem Beginn des Philosophierens in der Antike unterbringen. Die Antwort findet sich in dem Befund: Den Beginn des traditionellen
abendländischen Philosophierens bildet das Staunen. Neben vielen anderen Philosophen vertreten auch die größten ihrer Zunft, nämlich Platon, Aristoteles und
Thomas diesen Ansatz. Thomas von Aquin, doctor communis und wirkmächtigster Philosoph des Mittelalters, führt hierzu aus: „Allen Menschen wohnt naturhaft der Drang inne, die Gründe dessen, was erscheint, zu erkennen. Darum
begannen die Menschen zunächst zu philosophieren aus Verwunderung über
das, was aufschien, wovon jedoch die Gründe verborgen waren. Erst mit dem
Auffinden des Grundes kommt der Drang zur Ruhe. Das einmal begonnene Suchen hält jedoch nicht eher still, als bis es zum ersten Grunde kommt. Darum
glauben wir eine vollendete Erkenntnis erst dann zu haben, wenn wir den ersten
Grund fassen. Der Mensch strebt also naturhaft danach, den ersten Grund zu
erkennen, gewissermaßen als sein letztes Ziel.“ (S.c.g. III 25). Dieses Streben ist
dem Menschen in die Wiege gelegt. Das Grundmotto der thomistischen Weltan-
13
schauung lautet: „alles ist geordnet und die Ordnung hat einen göttlichen Ursprung“ und: „Der Weg zum Wissen führt über den Glauben“, eine Position, die
bereits Augustinus vertreten hatte.
Transzendenzphilosophie und Kontingenz
Für die Transzendenzphilosophie ist die Unterscheidung des absoluten und des
kontingenten Seins unverzichtbar. Die hier zugehörigen bipolaren Termini der
unterscheidenden Abgrenzung lauten: „ens a se“ und „ens ab alio“, bzw. „ratio
sufficiens“ für alles Seiende und die Forderung eines obersten Weltgrundes,
denn die Transzendenzphilosophie kommt zu dem Schluß: Das endlich Seiende
ist nicht notwendig, d.h. aus sich selbst (absolut), sondern letztlich ein Geschöpf.
Es hat sein Sein von einem Anderen, dem Schöpfer.
Das Absolute ist hingegen ganz anders geartet: es ist durch sich selbst und
steht darum jenseits allen Seins dieses an Macht und Würde überragend. Seit
Platon wird der Gottesbegriff auch mit dem „summum bonnum“ identifiziert.
Die Auffassung Gottes gerät in der Transzendenzphilosophie folgerichtig zur
„implicatio der Welt“ und diese als „explicatio Gottes“.
Die Kontingenzdeutung bei Thomas von Aquin in Bezug auf den dritten Weg
Für Thomas ist Kontingenz „das Nichtnotwendige im Dasein und in den Eigenschaften der Welt“. Der Aquinate spricht oft von der Notwendigkeit der Natur
insbesondere für die weltlichen Lebenserscheinungen, und der Ordnung der Natur als Quelle der Gotteserkenntnis, der er die Freiheit des Willens gegenüberstellt. Diese interpretiert Thomas gleichwertig als Seins- und Wertbegriff. Die
Kontingenz der Welt, auch insbesondere hinsichtlich ihres Anfangs, sieht Thomas von Aquin in der Freiheit und Unabhängigkeit des Willens Gottes, der von
Ewigkeit ist und alles durchdringt. Die hier angeführten transzendenzphilosophischen Grundsätze finden sich detailliert ausgestaltet, wenn auch jeweils unterschiedlich tenorisiert und mit anderen thematischen Schwerpunkten versehen,
in seinen berühmten „fünf Wegen zu Gott“ wieder, von denen der dritte Weg
einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll.
Der dritte Beweisgang der quinquae viae des Thomas (ex possibili et
necessario) seiner Summa Theologiae operiert wie folgt mit dem Kontingenzbegriff:
Ausführungen zum Dritten Beweis von Thomas: Aus der Nichtnotwendigkeit
(Kontingenz) des Daseins der Dinge (Kontingenzbeweis).
Der dritte Beweis hat das bestehende Sein zum Bezugspunkt und kann daher,
selbst in der Mitte der fünf Beweise stehend, als Mittelpunkt der übrigen angesehen werden. Sein Gedankengang läßt sich durch folgende Überlegungen charakterisieren:
Es gibt Dinge, die nicht notwendig existieren, die also sein und nicht sein können, wie das besonders klar ist bei den werdenden und vergänglichen Dingen;
denn: Hier ist nichts not-wendig und zudem ist alles auch noch mit Potentialität
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durchsetzt. Potentialität heißt, daß mögliches Sein einmal auch nicht da war. Die
Dinge haben den Grund ihres Daseins nicht in sich, denn sonst müßten sie notwendig existieren. Gäbe es nur kontingentes Sein dann wäre dies gleichbedeutend mit „es gäbe dann überhaupt nichts“; verdeutlicht heißt das: Ohne Gott
könnte die Welt, so wie sie durch ihre ganz zufälligen und ganz bedingten Beziehungen begründet ist, sehr unstimmig, allenfalls als ein Gefüge von Nichtigkeiten bestimmt werden.
Somit gilt die Folgerung: Was immer aber den Grund des Daseins nicht in sich
trägt, muß ihn in einem anderen haben. Also gibt es ein Seiendes, das notwendig
ist; notwendig aus sich oder von außen her. Ist dieses andere wieder so beschaffen, daß es sein und nicht sein kann, so fordert auch das wieder ein anderes für
sein Dasein. Eine endlose Reihe solcher bedingt (kontingent) daseiender Dinge
kann es aber nicht geben, weil sonst die ganze Reihe keine hinreichende Ursache für das Dasein hätte. Es muß folglich ein erstes nicht kontingent, sondern
aus sich notwendig daseiendes Wesen geben, von dem alle nicht notwendigen
Dinge ihr Dasein empfangen haben. Und dieses Wesen nennen wir Gott.
Es darf niemals vergessen werden, daß auch der hier herangezogene sog.
„Dritte Gottesbeweis“ einen in enger Beziehung zu den vier anderen Wegen des
Thomas zu Gott zu gehenden Wege darstellt, der jedoch als zentral positionierter
Weg nach allen Seiten besonders einlädt, auch die anderen Wege zu Gott zu beschreiten.
Hinsichtlich der sog. „Gottesbeweise“ gilt: Eine rein empirische Begründung
des Glaubens ist für Thomas ebenso unmöglich wie eine rein empirische Wiederlegung. Mit dem Gefühl für die Würde des Glaubens verbindet Thomas die
Verpflichtung zur Sauberkeit des Denkens, Dazu gehört auch, die große Weite
und Strenge des aristotelischen logischen Denkens mitzubegreifen, damit jegliches fuzzylogisches Denken zum Ausschluß kommt. So sehr Thomas auf selbständiges Denken in größtmöglicher Weite insistiert, so wenig darf in Vergessenheit geraten, daß alles Seiende aus dem Willen Gottes und seiner Güte entspringt.
Die Antwort des modernen Positivismus
In der Neuzeit bricht eine solche weitausladend tragende und fundamentale Synthese als Grundeinschätzung bezüglich der Kompetenzen von Glauben und Vernunft weitgehend zusammen, nicht ohne ganz gravierende Folgen zu hinterlassen.
Das ursprüngliche Weltvertrauen zeigt bis auf den heutigen Tag, aufgrund dieses gewaltigen Zusamenbruchs beachtliche Verwerfungen bezüglich der alten
Glaubensgewißheiten und tiefe Zweifel hinsichtlich dem Stellenwert sinnlicher
Erfahrungen, so daß bereits Descartes sich genötigt sah Staunen und Zweifel
nicht zu bestimmenden Antipoden werden zu lassen, indem es galt über den von
ihm instrumentalisierten methodischen Zweifel Gewißheit zu erlangen.
Befragt man einen der bedeutendsten Vertreter der Positivisten, August
Compte, so hat die geistige Entwicklung der Menschheit zwei Perioden durch-
15
laufen: Das Kindesstadium der Religion, bzw. den Glauben an hintergründige
Götter und später das Jugendstadium der Metaphysik als Jugendträumerei vom
hintergründigen Wesen. Im angebrochenen Erwachsenenstadium, das sich durch
Reife und Kritik auszeichnet, gibt es keine wundersamen Rätsel mehr vor deren
Auswirkungen man in Glauben und Ehrfurcht geradezu erstarrt. Der nun endlich
durch das Wirken der modernen (Natur-) Wissenschaft reife Mensch begnügt
sich, in der nun erreichten positiven Periode, mit dem was aufscheint, vor allem
in der Art und Weise so wie es die Resultate der exakten Naturwissenschaften
präsentieren.
Der wissenschaftlich-technische, zukunftsoptimistische Fortschritt, der noch
weitestgehend ohne ein rechtes Gefahrenbewußtsein stattgefunden hatte, machte
ein staunendes Hinauslangen auf ein ’Dahinter’ überflüssig. Vielmehr ist es der
Mensch selbst, der vermöge seines machtvollen Wirkens zum eigentlichen Objekt und Rechtfertigung des Staunens geworden ist, aber es sind nicht mehr die
alten Rätsel des eigenen Seins und des Seins der Welt, die noch verwundern, da
sie nach und nach sicher eine wissenschaftliche Aufklärung erfahren werden.
Die Verhältnisse bei Kant
Ist Thomas zu seiner Zeit eine epochale, Antike und Mittelalter übergreifende
Synthese aus Glauben und Wissen bzw. Verstand und Vernunft gelungen, so
zeichnet sich die Philosophie Kants gespiegelt an dieser gewaltigen thomistischen Syntheseleistung durch eine erschreckende Kargheit aus. Wirft man ein
Schlaglicht auf die Philosophie Kants, so ist hier unübersehbar, daß Kants Philosophie vor allem Kritik ist. (Alle Hauptwerke Kants fangen mit „Kritik der..“
an). Die Kritik gewinnt bei Kant eine dermaßen überragende Bedeutung, weil
sie in den Rang der universalen Vernunfterhellung gehoben wird.
Gegensätze, die bei Thomas zur Synthese gebracht werden konnten, brechen
bei Kant in voller Schärfe bewußt auf, denn „krinein“ das im Begriff der Kritik
enthalten ist, bedeutet nun möglichst trennscharf, radikal und kompromißlos zu
scheiden bzw. zu ent(d)scheiden. Dies gilt auch in Bezug auf seine pedantischrigoros ausgelegte Erkenntnistheorie, seit der kopernikanischen Wende Kants
für die Erkenntnis der Welt, da die Welterkenntnis zahlreichen Erschütterungen
durch das Wirken moderner Wissenschaften ausgesetzt gewesen war.
Kants Anliegen war es daher, die Grenzen der menschlichen Erkenntnis festzustellen und das Grundschema der Ordnung aller Erkenntnisse anzugeben und
abzuleiten. Kant sah sich durch den Umstand herausgefordert, daß sich Erfahrung und metaphysisches Denken wechselseitig beeinflußen. Diese
Beeinflußung geht so weit, daß Schädigungen etwa durch Infektionen, Konfrontationen und Brüche auf beiden Seiten nie auszuschließen sind.
Für Kant sind es explizit der Skeptizismus und Dogmatismus an denen deutlich wird, daß falsch geleitetes Erkennen sich selbst unfruchtbar macht. Kants
Abwehr dagegen besteht darin, daß er einen transzendentalen Idealismus erschafft, den er vor allem in seinem Fundamentalwerk „Kritik der reinen Vernunft“ präsentiert. Der transzendentale Idealismus soll den Boden in der Weise
16
bearbeiten, daß auf ihm Skeptizismus und Dogmatismus nicht mehr recht gedeihen können und zugleich deren Wurzeln entlarven und beseitigen helfen.
War für die alte Transzendenzphilosophie die Welt noch als Inbegriff und in
nichts anderes mehr einzuordnende Einheit alles Seienden, so erhält die Welt
nach der kopernikanischen Wende in der Transzendentalphilosophie eine subjektive Schlagseite. Sie wird bei Kant zum Inbegriff aller möglichen Erfahrung,
damit zur transzendentalen Idee auf die alles Erfahrbare hingeordnet wird. Die
Welt verengt als „Totalität aller Erscheinungen“ ist nun nicht per se und von
vornherein vorhanden, sondern tritt durch Forschung, die allerdings nie an ein
Ende gelangt, nach und nach zu Tage.
Die Stellung der Metaphysik bei Kant
Bereits die wenigen Ausführungen zeigen deutlich: Was hier nach Kant so radikal geschieden werden muß; es ist dies die Sichtweise der Welt wie sie die alte
Transzendenzphilosophie über viele Jahrhunderte verkündet hat gegenüber der
neu angebrochenen Auffassung der Welt durch die transzendentalphilosophische
Interpretation Kants.
Einen ganz wesentlichen Bestandteil der Transzendenezphilosophie bildet die
Metaphysik. Sie ist auch für Kant ein sehr ernstes Anliegen und keineswegs, wie
Compte behauptet, eine „Jugendträumerei vom hintergründigen Wissen“, Wie
wichtig Metaphysik genommen werden muß, die ja Kant neben dem Ruf eines
„Alleszermalmers der Metaphysik“ (Moses Mendelssohn) letztlich auch noch
die gegenteilige Einschätzung eines „verkappten Metaphysikers“ eingebracht
hat, beweisen selbst indirekt und uneingestandenermaßen ihre ausgewiesenen
Kritiker mit der polemisch undifferenzierten und vergröbernden Behauptung,
daß Philosophie von ihren Anfängen her nichts anderes als Metaphysik sei.
Metaphysik als Wissenschaft
Das wichtige Anliegen der Metaphysik stellt sich daher für Kant in der Fragestellung: Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich? Seine Antwort hierzu
findet sich aufkonzentriert in den „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik“ (1783).
Die ins Detail gehende Antwort Kants, die Metaphysik betreffend, läßt sich
innerhalb der Kritik der reinen Vernunft in der transzendentalen Dialektik auffinden. Die transzendentale Dialektik als Theorie der Vernunftideen hinsichtlich
von Prinzipien der Vollständigkeit des Erkennens will zugleich Kulminationspunkt und Vollendung der Theorie Kants über die Möglichkeit und Grenzen des
menschlichen Erkennens verstanden sein. Darüber hinaus zeigt sich hier auch
seine „neue Metaphysik“, indem die Transzendentalphilosophie sowohl zur Erkenntnislehre als Lehre von den apriorischen und aposteriorischen Bestandteilen
der Erfahrung und zur neuen Metaphysik als Lehre vom denkbaren und gedachten Sein überhaupt wird.
Hieraus resultiert die Hauptfrage der „neuen Metaphysik“ Kants: Was und wie
viel kann Verstand und Vernunft frei von aller Erfahrung erkennen?
17
Vorweg bemerkt: die Antwort fällt sehr ernüchternd aus. Es ist wiederum die
transzendentale Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft, in welcher Kant erhellende Auskünfte erteilt. In der transzendentalen Dialektik zeigt Kant, daß alle
Versuche der reinen Vernunft, eine Welt jenseits der Erscheinungen als das
wahrhaft Seiende zu erkennen, unabwendbar mißlingen.
Das liegt darin begründet, daß die Gegenstände der äußeren Anschauung zwar
als wirklich anzusehen sind, im Gegensatz zur Transzendenzphilosophie richtet
sich die Erkenntnis aber nur auf Erscheinungen, weil der kritische Idealismus
Kants die Dinge an sich nicht erreicht. Das Nichterreichen liegt in der apriorischen Struktur der Erkenntnis begründet, die dem Subjekt entstammt. (Der hier
erkennbar werdende Einfluß der Kopernikanischen Wende Kants besagt bekanntlich unmißverständlich, daß sich die Dinge nach unserem Erkenntnisvermögen zu richten haben (nicht aber umgekehrt)).
Die Positionierung des Bedingten und Unbedingten bei Kant
Das Bedingte, Unbedingte, die Möglichkeit und Wirklichkeit sind Für Kant Modalitätskategorien, die der Erkenntnis der Gegenstände vorausliegen und sie erst
ermöglichen.
Der bei Kant transzendental angelegte Erkenntnisprozeß lautet grob skizziert:
Es ist zu-nächst und grundlegend die Anschauung, welche der Erkenntnis einen
noch unbestimmten Stoff liefert. Hier setzt die Tätigkeit des Verstandes an, der
mit Hilfe der Begriffe und Grundsätze der Transzendentalphilosophie dem Stoff
die bestimmte Einheit verleiht; erst dann führt die Vernunft, die begriffliche Erkenntnis zur höchsten Einheit.
Das Unbedingte als die schlechthin höchste Einheit
Das Unbedingte ist für Kant die transzendentale Idee. Sie bewirkt, daß der „Verstand mit sich selbst in durchgängigen Zusammenhang gelangt.“ (B 362)
Das Unbedingte leistet die systematische Einheit der Erfahrung. Die Suche nach
ihm erscheint daher als selbstverständlich, ja sogar als unabweisbare Fortsetzung
aller Erkenntnis denn die Suche liegt im natürlichen Interesse der Vernunft.
Die unbedingte Bedingung
Die höchstmögliche Einheit wird in der kantschen Transzendentalphilosophie
mit einer Bedingung erreicht, die selbst nicht mehr bedingt ist; d.h. erst die unbedingte Bedingung ist für Kant das Unbedingte. Kann jedoch eine Bedingung,
die unbedingt ist, damit ihren Bedingungs- und Bedingtheitscharakter verliert,
überhaupt noch Bedingung sein? Im hierarchischen Denken wäre die unbedingte
Bedingung nach oben hin frei von Bedingtheit auch, um im Einklang mit den
Ansprüchen des „regressus ad infinitum“ zu stehen, sie wäre aber immer noch,
obwohl nach oben unbedingt, Bedingung für alles unter ihr Angeordnete.
Ein weiterer springender Punkt der transzendentalen Dialektik liegt in der Einsicht, daß die Vernunft das Unbedingte zwar denken aber nicht erkennen kann.
Wieso dem so ist findet sich in der Feststellung Kants: Beim Unbedingten fehlen
die beiden Bedingungen objektiver Erkenntnis, nämlich die sinnliche Anschau-
18
ung und der Verstandesbegriff. (Die näheren Begründungen finden sich in der
transzendentalen Ästhetik und der transzendentalen Analytik).
Folgerungen für die traditionelle Transzendenzphilosophie
Kant gibt in Anbetracht des großen Denkaufwands, welcher der alten Transzendenzphilosophie und Metaphysik nicht abgesprochen werden kann und darf,
dennoch zu bedenken: Das Vorhaben die Welt durch bloßes Denken zu erkennen und dabei die Anschauung außen vor zu lassen verwickelt die Vernunft in
Widersprüche. Um diese aufzulösen Bedarf es nach Kant der Einsichten der
transzendentalen Ästhetik und Analytik, die dazu führen, daß sich diese Widersprüche auflösen lassen.
Stellenwert und Bedeutung der Gottesbeweise für Kant
Es ist nur folgerichtig, wenn für Kant die traditionelle Metaphysik scheitert,
dann auch die natürliche Theologie scheitern muß, weil diese die oberste Disziplin der überlieferten Metaphysik bildet. Da Gott der Grundbegriff des schlechthin höchsten Wesens darstellt, gebührt die Frage nach Gott in allen metaphysischen Systemen der Vorrang. Für den Empiriker Kant scheitern alle Gottesbeweise. Auch würdigt er unzureichend die Auffassung des Thomas hier Wege zu
sehen, die beschritten sein wollen, sowie den Anspruch, daß eine rein empirische Begründung des Glaubens für Thomas ebenso unmöglich ist wie eine rein
empirische Wider-legung. Die Forschung hat gezeigt, daß die Kritik Kants nicht
in erster Linie die Gottesbeweise an sich in ihrer Existenzberechtigung betrifft,
sondern ihre rationalistischen Auslegungen, die Gott aus reinen Begriffen erschließen wollen. Trotz all seiner Bedenken gelangt Kant aber nicht zur Erkenntnis, daß Gott nicht existiere, denn diese negative Behauptung läßt sich
ebenso wenig beweisen wie die gegenteilige positive. Es ist daher für Kant notwendig nicht nur die spekulative Theologie zu verwerfen, sondern auch den
spekulativen Atheismus, der das Nichtsein Gottes zu demonstrieren vorgibt.
Zusammenfassung und Würdigung
Der traditionelle Philosophieansatz, der in der Philosophie des Staunens gründet
und der allzuoft seit der Aufklärung als naive Kinderei verunglimpft wird, ist
der Garant dafür, daß nicht von Vornhinein Bedingungen, Blockaden, Barrieren,
Checkpoints und Eingangskontrollen eingerichtet werden, die das Beschreiten,
Vorankommen und die Orientierung auf dem zu betretenden jeweiligen Neuland
mit unnötigen Hindernissen von vornherein überfrachten.
Dieser Tradition sieht sich auch Thomas verpflichtet. Sein ganzes theologisches und philosophisches Werk atmet das Bestreben, die Wahrheitserkenntnis
nach Kräften zu befördern und dem Fortschritt des Denkens möglichst keine
Hindernisse in den Weg zu legen. Dem widerspricht nicht, daß es für ihn immer
auch unlösbare Fragen und Geheimnisse gibt.
Die moderne Fortschrittsideologie, die verbissen behauptet, daß alle Geheimnisse irgend-wann einmal im Laufe der Zeit bzw. evolutionärer Entwicklungen
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aufgelöst und bewältigt werden können, kann nichts mit der Einsicht anfangen,
daß diese in ihrem Wesen als Geheimnisse anerkannt, hinzunehmen, gewürdigt
und gar zu bewundern sein sollten, außer sie als kindlich und naiv anzuprangern.
Die Überwindung von Glauben durch Wissen, das vor allem mathematischnaturgesetzlich begründet ist, bzw. des ungeliebten Zufalls durch Gesetzmäßigkeit, soll den Menschen erwachsen werden lassen, indem er unnötigen Ballast
abwirft und mit leichtem Gepäck immer größere Höhen seines Menschseins erklimmt. Diesem ideologisch gefärbtem Treiben wird jedoch immer wieder Einhalt geboten durch die ubiquitär aufscheinende und wirkmächtige Kontingenz
der Welt.
Die sich selbst beschränkende Vernunft
Als Folge der kopernikanischen Wende, der ein revolutionärer Impetus eignet,
wird vom neuen philosophischen Denken gefordert, die Transzendenzphilosophie, weil sie als spekulativ erachtet und verachtet wird, durch Transzendentalphilosophie abzulösen.
Hier erhält die Kontingenz der Welt beim Wechsel von der Transzendenzphilosophie zur Transzendentalphilosophie Kants einen ganz anderen Stellenwert
und andersgeartete Prioritätensetzungen. Vermittels der jeglicher Erkenntnis
vorgeschalteten transzendentalen apriorischen Struktur der Erkenntnis, die dem
Subjekt entstammt bzw. in ihm gründet und einem kompliziert-komplexen
strengen Regelwerk der Arbeits- und Funktionsweise gehorcht, gewinnt die
Kontingenzproblematik eine sehr enge subjektphilosophische Eingangspforte
und Auslegung,
wonach sich die Gegenstände nach unserem Erkenntnisvermögen zu richten haben.
Eine solche Philosophie gerät sehr schnell in den Verdacht einer unauslöschlichen subjektivistischen Einfärbung im Sinne einer Weigerung, das Denken vom
Denkenden zu trennen. Sie gelangt damit nie mehr über die ganze Fülle an subjektiven Engen und Bedingtheiten hinaus, die dem Denken geradezu eine Art
Zwangsjacke verpassen, statt es frei leben und atmen zu lassen.
Demzufolge nimmt es nicht wehr Wunder, daß der Ersatz der Transzendenzphilosophie durch die Transzendentalphilosophie, gespiegelt am Wesen der ersteren, und in ihrem Licht gesehen, wie die Vorgehensweise einer Vernunft erscheinen muß, die sich ohne Not selbst beschränkt, indem sie in jedem Subjekt
zahlreiche Hürden auftürmt, und ein Regelwerk einsetzen muß das festlegt, wie
der Erkenntnisprozeß noch zu handhaben ist. So unterscheidet Kant streng zwischen Verstand und Vernunft. Für ihn ist Vernunft anders als bei Thomas eine
dem Verstand untergeordnete Einheit, die die einheitsstiftenden Begriffe des
Verstandes ihrerseits in eine sekundäre Einheit bringt. Da aber die sekundäre
Einheit zur Konstitution des Gegenstandes nicht notwendig ist, kann Vernunft
die Erkenntnis nicht erweitern.
Aus der Sicht der Transzendenzphilosophie weist die Transzendentalphilosophie den weiteren schweren Mangel auf, daß sie dem vernunftgeläuterten Glau-
20
ben (fides et ratio) nicht mehr seinen ihm seit Urzeiten zugehörigen konstitutiven Stellenwert zuweist. Demgegenüber heißt die Tradition der Transzendenzphilosophie den reflektierten Glauben willkommen und bereitet ihm Platz, um in
seiner Obhut die größtmögliche Freiheit in allen Dimensionen zu gewinnen, statt
zwischen Glauben und Wissen unaufhörlich antagonistische Gegensätze aufzubauen, an denen sich immer wieder neue Konflikte und Weltanschauungen entzünden können.
Literatur:
D. Sertillanges: Thomas von Aquin
Thomas von Aquin: S.Th I q. 86, a3 und I,q 2 a 3 co. Tertia via
Thomas von Aquin: S.c.g. III
Anton Anweiler: die Anfanglosigkeit der Welt nach Thomas von Aquin und
Kant
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft
Otfried Höffe: Immanuel Kant
Bernhard Kälin: Lehrbuch der Philosophie, Band I
21
Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Immanuel Kant (Übersicht)
Zusammenfassung der grundlegenden Aussagen zur Kontingenz der Welt
Formale Einteilungskriterien zur Kontingenz:
- Kontingenz ist Unterbegriff zur Modalität
Modalität (Oberbegriff)
- Es existieren vier Modalitäten: Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit und Kontingenz
Unterscheidungen der Kontingenz
Bedingtes – Unbedingtes (als Gegenbegriff) und spezifiziert: Kontingenz de re –
Kontingenz de dicto
Transzendenzphilosophie und Kontingenz:
- Die Unterscheidung zwischen absoluten und kontingentem Sein ist für die
Transzendenzphi-losophie fundamental und absolut unverzichtbar im Sinne von: (ens a se – ens ab alio). Der 3. Weg des Thomas schafft hier große
Klarheit für das traditionelle Verständnis der Kontingenz.
Unterschiede zwischen Transzendenzphilosophie und Transzendentalphilosophie
- Die Transzendenzphilosophie berücksichtigt die metaphysische Tradition
des Abendlandes.
- Bei Thomas vertritt sie eine Antike und Mittelalter übergreifende Synthese aus Glauben und Wissen bzw. Verstand und Vernunft. Die Grundpositionen bei Thomas, die bereits Augustinus vertreten hatte, lauten: „Alles
ist geordnet und die Ordnung hat einen göttlichen Ursprung“ bzw. „Der
Weg zum Wissen führt über den Glauben.“
Dagegen: Der Idealismus und die Transzendentalphilosophie Kants wollen die
alten Anliegen und (dogmatischen) Aussagen der Metaphysik, Ethik und Religion kritisch, radikal und neu verstehen.
Das Staunen ist Beginn des abendländischen Philosophierens. (Sichtweise der
Antike und des Mittelalters)
Dagegen: Die moderne Philosophie sieht diesen Ansatz seit Comptes
„Dreistadienlehre“ lediglich als „Kindes- und Jugendstadium der geistigen Entwicklung der Menschheit“. Das neue Erwachsenenstadium der Philosophie
zeichnet sich demnach durch Reife und Kritik aus. Auf Kant bezogen heißt das:
- Vollzug der kopernikanischen Wende mit dem Erwachen aus seinem
„dogmatischen Schlummer“ und Beginn seiner kritischen Periode über
den Eintritt in die Transzendentalphilosophie vermittels der „Kritik der
reinen Vernunft“.
22
Kant und die Neuzeit:
- Die Wirklichkeit ist der Ordnung durch die Vernunft nicht mehr auf traditionelle Weise zugänglich. Fides et ratio haben kein symbiotisches, gegenseitig bereicherndes Verhältnis zueinander mehr, sondern werden zunehmend antagonistisch interpretiert. Es lauern daher überall die Gefahren
des Skeptizismus und Dogmatismus. Diese können jedoch nach Kant:
durch Kritik und Aufklärung im Sinne und mit Hilfe der Transzendentalphilosophie behoben werden.
Folgerungen für die Kontingenz der Welt:
- Staunendes Hinauslangen auf ein Dahinter ist für Kant nicht überflüssig
wie bei Compte aber:
- Der Wechsel von der Transzendenzphilosophie zur Transzendentalphilosophie läßt eine im Subjekt angelegte Kontingenz für die Wahrnehmung
der Erscheinungen aus der Welt erkennen, die erkenntnistheoretischen
Vorrang hat vor allen anderen Wahrnehmungen ubiquitär anzutreffender
Kontingenz d.h. „die Gegenstände haben sich nach unserem Erkenntnisvermögen zu richten.“ Zudem gilt für die Vernunft: Sie kann Erkenntnis
nicht erweitern, da sie nur die einheitsstiftenden Begriffe des Verstandes
sekundär in Einheit setzt.
- Dagegen: Aus der Sicht der Tradition ist eine solche kompliziertkomplexe, ins Subjekt eingepflanzte Kontingenz eine unzulässige und
überflüssige „Selbstbeschränkung der Vernunft“, die unnötigerweise
weitaus mehr Probleme schafft als sie zu lösen vorgibt.
Einige der gravierendsten Folgen sind:
- Ablehnung von „Gottesbeweisen“ und natürlicher Theologie als Wegen
zu Gott.
- Die Welt wird zur transzendentalen, anregenden und bewegenden Idee auf
die alles Wissen und Erfahrbare nach und nach durch den Fortschritt der
Wissenschaften hingeordnet wird.
- Eine Synthese wie bei Thomas wird nicht mehr möglich; Gefahren des
Kritizismus leben auf.
23
Vennland-Akademie für philosophische Erwachsenenbildung
Begründet von Univ. Prof. Dr. Vincent Berning
vertreten durch Dr. Hartmut Sommer
62. Wochenendtagung im Arnold Janssen-Kloster NL-6286 BA
Wahlwiller
Vom 15. – 17. Januar 2010
Fragen zur Kosmologie, Ewigkeit oder Unendlichkeit der Welt
Leitung: Dr. Hartmut Sommer
Thema des Vortrags:
Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant
Referent: Dr. Andreas Krafczyk
24
Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant
Anmerkung:
Bevor die zur Abhandlung stehende Thematik angegangen werden
kann, ist es notwendig den Begriff der Kontingenz hinsichtlich seines
Umfangs und Inhalts aber auch bezüglich seines weiteren Kontextes
etwas näher zu beleuchten.
Wenn vom Bedingten die Rede ist, so muß auch der Gegenbegriff
des Unbedingten zur Sprache und Würdigung gelangen, nicht nur deshalb, weil das Bedingte ein Unbedingtes erfordert, um zumindest
streng logisch betrachtet, dem fuzzylogischen „regressus ad infinitum“
den Boden zu entziehen.
Definitionen und Wesen der Kontingenz
Zieht man Definitionen der Kontingenz zu Rate, so erfährt man zunächst, daß sich Kontingenz vom lat. contingere, „sich ereignen“,
bzw. „zukommen“ ableitet.
In der scholastischen Philosophie drückt der Terminus der Kontingenz vor allem die innere Endlichkeit eines Seienden aus, die sich darin äußert, daß dieses Soseiende auch anders bzw. überhaupt nicht sein
könnte. Letztere Auffassungen machen unmittelbar plausibel, wieso
Kontingenz später, recht verengt, in der Psychologie gleichbedeutend
mit „Beliebigkeit“ gesetzt wird. Kontingent bedeutet heutzutage mitunter neben „beliebig“ auch so viel wie „zufällig“. Im weiteren Sinne
schließt Kontingenz die Möglichkeit des Nichtseins ein.
Eine Betrachtung der Tradition zeigt, daß nicht nur von kontingenten Sachverhalten, bzw. Aussagen die Rede ist, sondern daß auch von
kontingenten bzw. unwesentlichen und somit akzidentellen Eigenschaften auszugehen ist, die Objekten zukommen können. Man spricht
daher fachterminologisch bezeichnend von ’Kontingenz de re’ (also
auf ein Ding gerichtet, der Sache nach) und einer ’Kontingenz de
dicto’ (auf eine Aussage bezogen, somit der Aussage gemäß). Es gilt
daher der Merksatz: „Die logische Kontingenz der Aussage ist Ausdruck der ontischen Kontingenz des Sachverhalts.“
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Abgrenzung der Kontingenz zur Notwendigkeit (necessitas) im Sinne
von Modalitäten
Die Abgrenzung zwischen Kontingenz und necessitas unterscheidet
bereits Aristoteles, indem er von den notwendigen Eigenschaften eines
Dinges, die sein Wesen bilden, und den zufälligen, akzidentellen Eigenschaften spricht.
Notwendig ist somit etwas, das so und nicht anders sein muß. Als
Beispiele aus der Antike lassen sich hierfür der Logos, das Sein, die
Ideen und der unbewegte Beweger heranziehen. In der christlichen
Philosophie kommt allein Gott die absolute und alleinige Notwendigkeit zu. Die Notwendigkeit im Sinne der absoluten, metaphysischen
oder unbedingten Notwendigkeit gefaßt, beruht auf einem Netzwerk
aus Beziehungen von Wesenheiten, die sich gegenseitig einfordern
und einschließen.
Hinsichtlich der Notwendigkeit wird neben der absoluten Notwendigkeit noch die relative oder bedingte Notwendigkeit unterschieden,
da sie immer von einer Voraussetzung abhängt. Ist diese beispielsweise von der Natur verursacht, so gelangt man zur naturgesetzlichen
Notwendigkeit. Ferner existieren unter vielen anderen, um noch zwei
weitere Beispiele anzufügen, die moralische Notwendigkeit mit der
Voraussetzung freier Ursachen und einen großen Schwerpunkt bildend, die logische Notwendigkeit.
Ebenso wie die Kontingenz gehört die Notwendigkeit zum Oberbegriff der Modalität d.h. der Art und Weise, wie etwas da ist, geschieht
oder gedacht wird. Demnach unterscheidet man üblicherweise die vier
Modalitäten: Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit und Kontingenz. Vom ontologischen Standpunkt besehen meint Modalität die
verschiedenen Arten des Bestehens von Sachverhalten, hingegen vom
logischen Standpunkt betrachtet, die Wahrheit von Aussagen bzw.
Aussagesätzen.
Ganz analog zur Kontingenz läßt sich auch von der „necessitas de
re“ und der „necessitas de dicto“ sprechen. Die necessitas de re ist
auch als metaphysische Notwendigkeit von größter Bedeutung, da hier
eine Kette dergestalt gebildet wird, daß die Notwendigkeit eines Dinges immer zugleich die Möglichkeit für wenigstens ein anderes Ding
zu bewirken vermag. Im Kontext beider Betrachtungen ist die Aussage, daß Gott wesentlich existiere, von unverzichtbarer Notwendigkeit.
Der Kerngedanke, wieso Metaphysik sich nicht überlebt, sondern die
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Philosophie immer wieder neu beschäftigt, liegt grundlegend im Umstand begründet, daß die Metaphysik vom Interesse der Vernunft geleitet ist, zum Bedingten bzw. Kontingenten, das Unbedingte aufzusuchen. Der Fortschritt der Wissenschaften bzw. der Erkenntnis führt
diesem Interesse stets neue Nahrung zu.
Charakteristika der Philosophieansätze bei Thomas von Aquin
Hinsichtlich dieser Thematik läßt sich weit zurückgehen und zunächst
die Grundsatzfrage nach dem Beginn des Philosophierens in der Antike unterbringen. Die Antwort findet sich in dem Befund: Den Beginn
des traditionellen abendländischen Philosophierens bildet das Staunen.
Neben vielen anderen Philosophen vertreten auch die größten ihrer
Zunft, nämlich Platon, Aristoteles und Thomas diesen Ansatz. Thomas von Aquin, doctor communis und wirkmächtigster Philosoph des
Mittelalters, führt hierzu aus: „Allen Menschen wohnt naturhaft der
Drang inne, die Gründe dessen, was erscheint, zu erkennen. Darum
begannen die Menschen zunächst zu philosophieren aus Verwunderung über das, was aufschien, wovon jedoch die Gründe verborgen
waren. Erst mit dem Auffinden des Grundes kommt der Drang zur Ruhe. Das einmal begonnene Suchen hält jedoch nicht eher still, als bis
es zum ersten Grunde kommt. Darum glauben wir eine vollendete Erkenntnis erst dann zu haben, wenn wir den ersten Grund fassen. Der
Mensch strebt also naturhaft danach, den ersten Grund zu erkennen,
gewissermaßen als sein letztes Ziel.“ (S.c.g. III 25). Dieses Streben ist
dem Menschen in die Wiege gelegt. Das Grundmotto der thomistischen Weltanschauung lautet: „alles ist geordnet und die Ordnung hat
einen göttlichen Ursprung“ und: „Der Weg zum Wissen führt über den
Glauben“, eine Position, die bereits Augustinus vertreten hatte.
Transzendenzphilosophie und Kontingenz
Für die Transzendenzphilosophie ist die Unterscheidung des absoluten
und des kontingenten Seins unverzichtbar. Die hier zugehörigen bipolaren Termini der unterscheidenden Abgrenzung lauten: „ens a se“
und „ens ab alio“, bzw. „ratio sufficiens“ für alles Seiende und die
Forderung eines obersten Weltgrundes, denn die Transzendenzphilosophie kommt zu dem Schluß: Das endlich Seiende ist nicht notwendig, d.h. aus sich selbst (absolut), sondern letztlich ein Geschöpf. Es
hat sein Sein von einem Anderen, dem Schöpfer.
27
Das Absolute ist hingegen ganz anders geartet: es ist durch sich
selbst und steht darum jenseits allen Seins dieses an Macht und Würde
überragend. Seit Platon wird der Gottesbegriff auch mit dem
„summum bonnum“ identifiziert. Die Auffassung Gottes gerät in der
Transzendenzphilosophie folgerichtig zur „implicatio der Welt“ und
diese als „explicatio Gottes“.
Die Kontingenzdeutung bei Thomas von Aquin in Bezug auf den dritten Weg
Für Thomas ist Kontingenz „das Nichtnotwendige im Dasein und in
den Eigenschaften der Welt“. Der Aquinate spricht oft von der Notwendigkeit der Natur insbesondere für die weltlichen Lebenserscheinungen, und der Ordnung der Natur als Quelle der Gotteserkenntnis,
der er die Freiheit des Willens gegenüberstellt. Diese interpretiert
Thomas gleichwertig als Seins- und Wertbegriff. Die Kontingenz der
Welt, auch insbesondere hinsichtlich ihres Anfangs, sieht Thomas von
Aquin in der Freiheit und Unabhängigkeit des Willens Gottes, der von
Ewigkeit ist und alles durchdringt. Die hier angeführten transzendenzphilosophischen Grundsätze finden sich detailliert ausgestaltet, wenn
auch jeweils unterschiedlich tenorisiert und mit anderen thematischen
Schwerpunkten versehen, in seinen berühmten „fünf Wegen zu Gott“
wieder, von denen der dritte Weg einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll.
Der dritte Beweisgang der quinquae viae des Thomas (ex possibili et
necessario) seiner Summa Theologiae operiert wie folgt mit dem Kontingenzbegriff:
Ausführungen zum Dritten Beweis von Thomas: Aus der Nichtnotwendigkeit (Kontingenz) des Daseins der Dinge (Kontingenzbeweis).
Der dritte Beweis hat das bestehende Sein zum Bezugspunkt und kann
daher, selbst in der Mitte der fünf Beweise stehend, als Mittelpunkt
der übrigen angesehen werden. Sein Gedankengang läßt sich durch
folgende Überlegungen charakterisieren:
Es gibt Dinge, die nicht notwendig existieren, die also sein und nicht
sein können, wie das besonders klar ist bei den werdenden und vergänglichen Dingen; denn: Hier ist nichts not-wendig und zudem ist
alles auch noch mit Potentialität durchsetzt. Potentialität heißt, daß
mögliches Sein einmal auch nicht da war. Die Dinge haben den Grund
28
ihres Daseins nicht in sich, denn sonst müßten sie notwendig existieren. Gäbe es nur kontingentes Sein dann wäre dies gleichbedeutend
mit „es gäbe dann überhaupt nichts“; verdeutlicht heißt das: Ohne
Gott könnte die Welt, so wie sie durch ihre ganz zufälligen und ganz
bedingten Beziehungen begründet ist, sehr unstimmig, allenfalls als
ein Gefüge von Nichtigkeiten bestimmt werden.
Somit gilt die Folgerung: Was immer aber den Grund des Daseins
nicht in sich trägt, muß ihn in einem anderen haben. Also gibt es ein
Seiendes, das notwendig ist; notwendig aus sich oder von außen her.
Ist dieses andere wieder so beschaffen, daß es sein und nicht sein
kann, so fordert auch das wieder ein anderes für sein Dasein. Eine
endlose Reihe solcher bedingt (kontingent) daseiender Dinge kann es
aber nicht geben, weil sonst die ganze Reihe keine hinreichende Ursache für das Dasein hätte. Es muß folglich ein erstes nicht kontingent,
sondern aus sich notwendig daseiendes Wesen geben, von dem alle
nicht notwendigen Dinge ihr Dasein empfangen haben. Und dieses
Wesen nennen wir Gott.
Es darf niemals vergessen werden, daß auch der hier herangezogene
sog. „Dritte Gottesbeweis“ einen in enger Beziehung zu den vier anderen Wegen des Thomas zu Gott zu gehenden Wege darstellt, der jedoch als zentral positionierter Weg nach allen Seiten besonders einlädt, auch die anderen Wege zu Gott zu beschreiten.
Hinsichtlich der sog. „Gottesbeweise“ gilt: Eine rein empirische Begründung des Glaubens ist für Thomas ebenso unmöglich wie eine
rein empirische Wiederlegung. Mit dem Gefühl für die Würde des
Glaubens verbindet Thomas die Verpflichtung zur Sauberkeit des
Denkens, Dazu gehört auch, die große Weite und Strenge des aristotelischen logischen Denkens mitzubegreifen, damit jegliches
fuzzylogisches Denken zum Ausschluß kommt. So sehr Thomas auf
selbständiges Denken in größtmöglicher Weite insistiert, so wenig
darf in Vergessenheit geraten, daß alles Seiende aus dem Willen Gottes und seiner Güte entspringt.
Die Antwort des modernen Positivismus
In der Neuzeit bricht eine solche weitausladend tragende und fundamentale Synthese als Grundeinschätzung bezüglich der Kompetenzen
von Glauben und Vernunft weitgehend zusammen, nicht ohne ganz
gravierende Folgen zu hinterlassen.
29
Das ursprüngliche Weltvertrauen zeigt bis auf den heutigen Tag,
aufgrund dieses gewaltigen Zusamenbruchs beachtliche Verwerfungen
bezüglich der alten Glaubensgewißheiten und tiefe Zweifel hinsichtlich dem Stellenwert sinnlicher Erfahrungen, so daß bereits Descartes
sich genötigt sah Staunen und Zweifel nicht zu bestimmenden Antipoden werden zu lassen, indem es galt über den von ihm instrumentalisierten methodischen Zweifel Gewißheit zu erlangen.
Befragt man einen der bedeutendsten Vertreter der Positivisten, August Compte, so hat die geistige Entwicklung der Menschheit zwei Perioden durchlaufen: Das Kindesstadium der Religion, bzw. den Glauben an hintergründige Götter und später das Jugendstadium der Metaphysik als Jugendträumerei vom hintergründigen Wesen. Im angebrochenen Erwachsenenstadium, das sich durch Reife und Kritik auszeichnet, gibt es keine wundersamen Rätsel mehr vor deren Auswirkungen man in Glauben und Ehrfurcht geradezu erstarrt. Der nun endlich durch das Wirken der modernen (Natur-) Wissenschaft reife
Mensch begnügt sich, in der nun erreichten positiven Periode, mit dem
was aufscheint, vor allem in der Art und Weise so wie es die Resultate
der exakten Naturwissenschaften präsentieren.
Der wissenschaftlich-technische, zukunftsoptimistische Fortschritt,
der noch weitestgehend ohne ein rechtes Gefahrenbewußtsein stattgefunden hatte, machte ein staunendes Hinauslangen auf ein ’Dahinter’
überflüssig. Vielmehr ist es der Mensch selbst, der vermöge seines
machtvollen Wirkens zum eigentlichen Objekt und Rechtfertigung des
Staunens geworden ist, aber es sind nicht mehr die alten Rätsel des eigenen Seins und des Seins der Welt, die noch verwundern, da sie nach
und nach sicher eine wissenschaftliche Aufklärung erfahren werden.
Die Verhältnisse bei Kant
Ist Thomas zu seiner Zeit eine epochale, Antike und Mittelalter übergreifende Synthese aus Glauben und Wissen bzw. Verstand und Vernunft gelungen, so zeichnet sich die Philosophie Kants gespiegelt an
dieser gewaltigen thomistischen Syntheseleistung durch eine erschreckende Kargheit aus. Wirft man ein Schlaglicht auf die Philosophie
Kants, so ist hier unübersehbar, daß Kants Philosophie vor allem Kritik ist. (Alle Hauptwerke Kants fangen mit „Kritik der..“ an). Die Kritik gewinnt bei Kant eine dermaßen überragende Bedeutung, weil sie
in den Rang der universalen Vernunfterhellung gehoben wird.
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Gegensätze, die bei Thomas zur Synthese gebracht werden konnten,
brechen bei Kant in voller Schärfe bewußt auf, denn „krinein“ das im
Begriff der Kritik enthalten ist, bedeutet nun möglichst trennscharf,
radikal und kompromißlos zu scheiden bzw. zu ent(d)scheiden. Dies
gilt auch in Bezug auf seine pedantisch-rigoros ausgelegte Erkenntnistheorie, seit der kopernikanischen Wende Kants für die Erkenntnis der
Welt, da die Welterkenntnis zahlreichen Erschütterungen durch das
Wirken moderner Wissenschaften ausgesetzt gewesen war.
Kants Anliegen war es daher, die Grenzen der menschlichen Erkenntnis festzustellen und das Grundschema der Ordnung aller Erkenntnisse anzugeben und abzuleiten. Kant sah sich durch den Umstand herausgefordert, daß sich Erfahrung und metaphysisches Denken wechselseitig beeinflußen. Diese Beeinflußung geht so weit, daß
Schädigungen etwa durch Infektionen, Konfrontationen und Brüche
auf beiden Seiten nie auszuschließen sind.
Für Kant sind es explizit der Skeptizismus und Dogmatismus an denen deutlich wird, daß falsch geleitetes Erkennen sich selbst unfruchtbar macht. Kants Abwehr dagegen besteht darin, daß er einen transzendentalen Idealismus erschafft, den er vor allem in seinem Fundamentalwerk „Kritik der reinen Vernunft“ präsentiert. Der transzendentale Idealismus soll den Boden in der Weise bearbeiten, daß auf ihm
Skeptizismus und Dogmatismus nicht mehr recht gedeihen können
und zugleich deren Wurzeln entlarven und beseitigen helfen.
War für die alte Transzendenzphilosophie die Welt noch als Inbegriff und in nichts anderes mehr einzuordnende Einheit alles Seienden,
so erhält die Welt nach der kopernikanischen Wende in der Transzendentalphilosophie eine subjektive Schlagseite. Sie wird bei Kant zum
Inbegriff aller möglichen Erfahrung, damit zur transzendentalen Idee
auf die alles Erfahrbare hingeordnet wird. Die Welt verengt als „Totalität aller Erscheinungen“ ist nun nicht per se und von vornherein vorhanden, sondern tritt durch Forschung, die allerdings nie an ein Ende
gelangt, nach und nach zu Tage.
Die Stellung der Metaphysik bei Kant
Bereits die wenigen Ausführungen zeigen deutlich: Was hier nach
Kant so radikal geschieden werden muß; es ist dies die Sichtweise der
Welt wie sie die alte Transzendenzphilosophie über viele Jahrhunderte
31
verkündet hat gegenüber der neu angebrochenen Auffassung der Welt
durch die transzendentalphilosophische Interpretation Kants.
Einen ganz wesentlichen Bestandteil der Transzendenezphilosophie
bildet die Metaphysik. Sie ist auch für Kant ein sehr ernstes Anliegen
und keineswegs, wie Compte behauptet, eine „Jugendträumerei vom
hintergründigen Wissen“, Wie wichtig Metaphysik genommen werden
muß, die ja Kant neben dem Ruf eines „Alleszermalmers der Metaphysik“ (Moses Mendelssohn) letztlich auch noch die gegenteilige
Einschätzung eines „verkappten Metaphysikers“ eingebracht hat, beweisen selbst indirekt und uneingestandenermaßen ihre ausgewiesenen Kritiker mit der polemisch undifferenzierten und vergröbernden
Behauptung, daß Philosophie von ihren Anfängen her nichts anderes
als Metaphysik sei.
Metaphysik als Wissenschaft
Das wichtige Anliegen der Metaphysik stellt sich daher für Kant in
der Fragestellung: Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich? Seine Antwort hierzu findet sich aufkonzentriert in den „Prolegomena zu
einer jeden künftigen Metaphysik“ (1783).
Die ins Detail gehende Antwort Kants, die Metaphysik betreffend,
läßt sich innerhalb der Kritik der reinen Vernunft in der transzendentalen Dialektik auffinden. Die transzendentale Dialektik als Theorie der
Vernunftideen hinsichtlich von Prinzipien der Vollständigkeit des Erkennens will zugleich Kulminationspunkt und Vollendung der Theorie
Kants über die Möglichkeit und Grenzen des menschlichen Erkennens
verstanden sein. Darüber hinaus zeigt sich hier auch seine „neue Metaphysik“, indem die Transzendentalphilosophie sowohl zur Erkenntnislehre als Lehre von den apriorischen und aposteriorischen Bestandteilen der Erfahrung und zur neuen Metaphysik als Lehre vom
denkbaren und gedachten Sein überhaupt wird.
Hieraus resultiert die Hauptfrage der „neuen Metaphysik“ Kants: Was
und wie viel kann Verstand und Vernunft frei von aller Erfahrung erkennen?
Vorweg bemerkt: die Antwort fällt sehr ernüchternd aus. Es ist wiederum die transzendentale Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft, in
welcher Kant erhellende Auskünfte erteilt. In der transzendentalen Dialektik zeigt Kant, daß alle Versuche der reinen Vernunft, eine Welt
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jenseits der Erscheinungen als das wahrhaft Seiende zu erkennen, unabwendbar mißlingen.
Das liegt darin begründet, daß die Gegenstände der äußeren Anschauung zwar als wirklich anzusehen sind, im Gegensatz zur Transzendenzphilosophie richtet sich die Erkenntnis aber nur auf Erscheinungen, weil der kritische Idealismus Kants die Dinge an sich nicht
erreicht. Das Nichterreichen liegt in der apriorischen Struktur der Erkenntnis begründet, die dem Subjekt entstammt. (Der hier erkennbar
werdende Einfluß der Kopernikanischen Wende Kants besagt bekanntlich unmißverständlich, daß sich die Dinge nach unserem Erkenntnisvermögen zu richten haben (nicht aber umgekehrt)).
Die Positionierung des Bedingten und Unbedingten bei Kant
Das Bedingte, Unbedingte, die Möglichkeit und Wirklichkeit sind Für
Kant Modalitätskategorien, die der Erkenntnis der Gegenstände vorausliegen und sie erst ermöglichen.
Der bei Kant transzendental angelegte Erkenntnisprozeß lautet grob
skizziert: Es ist zu-nächst und grundlegend die Anschauung, welche
der Erkenntnis einen noch unbestimmten Stoff liefert. Hier setzt die
Tätigkeit des Verstandes an, der mit Hilfe der Begriffe und Grundsätze der Transzendentalphilosophie dem Stoff die bestimmte Einheit
verleiht; erst dann führt die Vernunft, die begriffliche Erkenntnis zur
höchsten Einheit.
Das Unbedingte als die schlechthin höchste Einheit
Das Unbedingte ist für Kant die transzendentale Idee. Sie bewirkt, daß
der „Verstand mit sich selbst in durchgängigen Zusammenhang gelangt.“ (B 362)
Das Unbedingte leistet die systematische Einheit der Erfahrung. Die
Suche nach ihm erscheint daher als selbstverständlich, ja sogar als unabweisbare Fortsetzung aller Erkenntnis denn die Suche liegt im natürlichen Interesse der Vernunft.
Die unbedingte Bedingung
Die höchstmögliche Einheit wird in der kantschen Transzendentalphilosophie mit einer Bedingung erreicht, die selbst nicht mehr bedingt
ist; d.h. erst die unbedingte Bedingung ist für Kant das Unbedingte.
Kann jedoch eine Bedingung, die unbedingt ist, damit ihren Bedingungs- und Bedingtheitscharakter verliert, überhaupt noch Bedingung
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sein? Im hierarchischen Denken wäre die unbedingte Bedingung nach
oben hin frei von Bedingtheit auch, um im Einklang mit den Ansprüchen des „regressus ad infinitum“ zu stehen, sie wäre aber immer
noch, obwohl nach oben unbedingt, Bedingung für alles unter ihr Angeordnete.
Ein weiterer springender Punkt der transzendentalen Dialektik liegt
in der Einsicht, daß die Vernunft das Unbedingte zwar denken aber
nicht erkennen kann. Wieso dem so ist findet sich in der Feststellung
Kants: Beim Unbedingten fehlen die beiden Bedingungen objektiver
Erkenntnis, nämlich die sinnliche Anschauung und der Verstandesbegriff. (Die näheren Begründungen finden sich in der transzendentalen
Ästhetik und der transzendentalen Analytik).
Folgerungen für die traditionelle Transzendenzphilosophie
Kant gibt in Anbetracht des großen Denkaufwands, welcher der alten
Transzendenzphilosophie und Metaphysik nicht abgesprochen werden
kann und darf, dennoch zu bedenken: Das Vorhaben die Welt durch
bloßes Denken zu erkennen und dabei die Anschauung außen vor zu
lassen verwickelt die Vernunft in Widersprüche. Um diese aufzulösen
Bedarf es nach Kant der Einsichten der transzendentalen Ästhetik und
Analytik, die dazu führen, daß sich diese Widersprüche auflösen lassen.
Stellenwert und Bedeutung der Gottesbeweise für Kant
Es ist nur folgerichtig, wenn für Kant die traditionelle Metaphysik
scheitert, dann auch die natürliche Theologie scheitern muß, weil diese die oberste Disziplin der überlieferten Metaphysik bildet. Da Gott
der Grundbegriff des schlechthin höchsten Wesens darstellt, gebührt
die Frage nach Gott in allen metaphysischen Systemen der Vorrang.
Für den Empiriker Kant scheitern alle Gottesbeweise. Auch würdigt er
unzureichend die Auffassung des Thomas hier Wege zu sehen, die beschritten sein wollen, sowie den Anspruch, daß eine rein empirische
Begründung des Glaubens für Thomas ebenso unmöglich ist wie eine
rein empirische Widerlegung. Die Forschung hat gezeigt, daß die Kritik Kants nicht in erster Linie die Gottesbeweise an sich in ihrer Existenzberechtigung betrifft, sondern ihre rationalistischen Auslegungen,
die Gott aus reinen Begriffen erschließen wollen. Trotz all seiner Bedenken gelangt Kant aber nicht zur Erkenntnis, daß Gott nicht existie-
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re, denn diese negative Behauptung läßt sich ebenso wenig beweisen
wie die gegenteilige positive. Es ist daher für Kant notwendig nicht
nur die spekulative Theologie zu verwerfen, sondern auch den spekulativen Atheismus, der das Nichtsein Gottes zu demonstrieren vorgibt.
Zusammenfassung und Würdigung
Der traditionelle Philosophieansatz, der in der Philosophie des Staunens gründet und der allzuoft seit der Aufklärung als naive Kinderei
verunglimpft wird, ist der Garant dafür, daß nicht von Vornhinein Bedingungen, Blockaden, Barrieren, Checkpoints und Eingangskontrollen eingerichtet werden, die das Beschreiten, Vorankommen und die
Orientierung auf dem zu betretenden jeweiligen Neuland mit unnötigen Hindernissen von vornherein überfrachten.
Dieser Tradition sieht sich auch Thomas verpflichtet. Sein ganzes
theologisches und philosophisches Werk atmet das Bestreben, die
Wahrheitserkenntnis nach Kräften zu befördern und dem Fortschritt
des Denkens möglichst keine Hindernisse in den Weg zu legen. Dem
widerspricht nicht, daß es für ihn immer auch unlösbare Fragen und
Geheimnisse gibt.
Die moderne Fortschrittsideologie, die verbissen behauptet, daß alle
Geheimnisse irgend-wann einmal im Laufe der Zeit bzw. evolutionärer Entwicklungen aufgelöst und bewältigt werden können, kann
nichts mit der Einsicht anfangen, daß diese in ihrem Wesen als Geheimnisse anerkannt, hinzunehmen, gewürdigt und gar zu bewundern
sein sollten, außer sie als kindlich und naiv anzuprangern.
Die Überwindung von Glauben durch Wissen, das vor allem mathematisch-naturgesetzlich begründet ist, bzw. des ungeliebten Zufalls
durch Gesetzmäßigkeit, soll den Menschen erwachsen werden lassen,
indem er unnötigen Ballast abwirft und mit leichtem Gepäck immer
größere Höhen seines Menschseins erklimmt. Diesem ideologisch gefärbtem Treiben wird jedoch immer wieder Einhalt geboten durch die
ubiquitär aufscheinende und wirkmächtige Kontingenz der Welt.
Die sich selbst beschränkende Vernunft
Als Folge der kopernikanischen Wende, der ein revolutionärer Impetus eignet, wird vom neuen philosophischen Denken gefordert, die
Transzendenzphilosophie, weil sie als spekulativ erachtet und verachtet wird, durch Transzendentalphilosophie abzulösen.
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Hier erhält die Kontingenz der Welt beim Wechsel von der Transzendenzphilosophie zur Transzendentalphilosophie Kants einen ganz
anderen Stellenwert und andersgeartete Prioritätensetzungen. Vermittels der jeglicher Erkenntnis vorgeschalteten transzendentalen apriorischen Struktur der Erkenntnis, die dem Subjekt entstammt bzw. in ihm
gründet und einem kompliziert-komplexen strengen Regelwerk der
Arbeits- und Funktionsweise gehorcht, gewinnt die Kontingenzproblematik eine sehr enge subjektphilosophische Eingangspforte und
Auslegung,
wonach sich die Gegenstände nach unserem Erkenntnisvermögen zu
richten haben.
Eine solche Philosophie gerät sehr schnell in den Verdacht einer unauslöschlichen subjektivistischen Einfärbung im Sinne einer Weigerung, das Denken vom Denkenden zu trennen. Sie gelangt damit nie
mehr über die ganze Fülle an subjektiven Engen und Bedingtheiten
hinaus, die dem Denken geradezu eine Art Zwangsjacke verpassen,
statt es frei leben und atmen zu lassen.
Demzufolge nimmt es nicht wehr Wunder, daß der Ersatz der Transzendenzphilosophie durch die Transzendentalphilosophie, gespiegelt
am Wesen der ersteren, und in ihrem Licht gesehen, wie die Vorgehensweise einer Vernunft erscheinen muß, die sich ohne Not selbst
beschränkt, indem sie in jedem Subjekt zahlreiche Hürden auftürmt,
und ein Regelwerk einsetzen muß das festlegt, wie der Erkenntnisprozeß noch zu handhaben ist. So unterscheidet Kant streng zwischen
Verstand und Vernunft. Für ihn ist Vernunft anders als bei Thomas
eine dem Verstand untergeordnete Einheit, die die einheitsstiftenden
Begriffe des Verstandes ihrerseits in eine sekundäre Einheit bringt. Da
aber die sekundäre Einheit zur Konstitution des Gegenstandes nicht
notwendig ist, kann Vernunft die Erkenntnis nicht erweitern.
Aus der Sicht der Transzendenzphilosophie weist die Transzendentalphilosophie den weiteren schweren Mangel auf, daß sie dem vernunftgeläuterten Glauben (fides et ratio) nicht mehr seinen ihm seit
Urzeiten zugehörigen konstitutiven Stellenwert zuweist. Demgegenüber heißt die Tradition der Transzendenzphilosophie den reflektierten
Glauben willkommen und bereitet ihm Platz, um in seiner Obhut die
größtmögliche Freiheit in allen Dimensionen zu gewinnen, statt zwischen Glauben und Wissen unaufhörlich antagonistische Gegensätze
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aufzubauen, an denen sich immer wieder neue Konflikte und Weltanschauungen entzünden können.
Literatur:
D. Sertillanges: Thomas von Aquin
Thomas von Aquin: S.Th I q. 86, a3 und I,q 2 a 3 co. Tertia via
Thomas von Aquin: S.c.g. III
Anton Anweiler: die Anfanglosigkeit der Welt nach Thomas von
Aquin und Kant
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft
Otfried Höffe: Immanuel Kant
Bernhard Kälin: Lehrbuch der Philosophie, Band I
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Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Immanuel Kant
(Übersicht)
Zusammenfassung der grundlegenden Aussagen zur Kontingenz der
Welt
Formale Einteilungskriterien zur Kontingenz:
- Kontingenz ist Unterbegriff zur Modalität
Modalität (Oberbegriff)
- Es existieren vier Modalitäten: Notwendigkeit, Möglichkeit,
Unmöglichkeit und Kontingenz
Unterscheidungen der Kontingenz
Bedingtes – Unbedingtes (als Gegenbegriff) und spezifiziert: Kontingenz de re – Kontingenz de dicto
Transzendenzphilosophie und Kontingenz:
- Die Unterscheidung zwischen absoluten und kontingentem Sein
ist für die Transzendenzphi-losophie fundamental und absolut
unverzichtbar im Sinne von: (ens a se – ens ab alio). Der 3. Weg
des Thomas schafft hier große Klarheit für das traditionelle Verständnis der Kontingenz.
Unterschiede zwischen Transzendenzphilosophie und Transzendentalphilosophie
- Die Transzendenzphilosophie berücksichtigt die metaphysische
Tradition des Abendlandes.
- Bei Thomas vertritt sie eine Antike und Mittelalter übergreifende
Synthese aus Glauben und Wissen bzw. Verstand und Vernunft.
Die Grundpositionen bei Thomas, die bereits Augustinus vertreten hatte, lauten: „Alles ist geordnet und die Ordnung hat einen
göttlichen Ursprung“ bzw. „Der Weg zum Wissen führt über den
Glauben.“
Dagegen: Der Idealismus und die Transzendentalphilosophie Kants
wollen die alten Anliegen und (dogmatischen) Aussagen der Metaphysik, Ethik und Religion kritisch, radikal und neu verstehen.
Das Staunen ist Beginn des abendländischen Philosophierens.
(Sichtweise der Antike und des Mittelalters)
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Dagegen: Die moderne Philosophie sieht diesen Ansatz seit Comptes
„Dreistadienlehre“ lediglich als „Kindes- und Jugendstadium der geistigen Entwicklung der Menschheit“. Das neue Erwachsenenstadium
der Philosophie zeichnet sich demnach durch Reife und Kritik aus.
Auf Kant bezogen heißt das:
- Vollzug der kopernikanischen Wende mit dem Erwachen aus
seinem „dogmatischen Schlummer“ und Beginn seiner kritischen Periode über den Eintritt in die Transzendentalphilosophie
vermittels der „Kritik der reinen Vernunft“.
Kant und die Neuzeit:
- Die Wirklichkeit ist der Ordnung durch die Vernunft nicht mehr
auf traditionelle Weise zugänglich. Fides et ratio haben kein
symbiotisches, gegenseitig bereicherndes Verhältnis zueinander
mehr, sondern werden zunehmend antagonistisch interpretiert.
Es lauern daher überall die Gefahren des Skeptizismus und
Dogmatismus. Diese können jedoch nach Kant: durch Kritik und
Aufklärung im Sinne und mit Hilfe der Transzendentalphilosophie behoben werden.
Folgerungen für die Kontingenz der Welt:
- Staunendes Hinauslangen auf ein Dahinter ist für Kant nicht
überflüssig wie bei Compte aber:
- Der Wechsel von der Transzendenzphilosophie zur Transzendentalphilosophie läßt eine im Subjekt angelegte Kontingenz für
die Wahrnehmung der Erscheinungen aus der Welt erkennen, die
erkenntnistheoretischen Vorrang hat vor allen anderen Wahrnehmungen ubiquitär anzutreffender Kontingenz d.h. „die Gegenstände haben sich nach unserem Erkenntnisvermögen zu
richten.“ Zudem gilt für die Vernunft: Sie kann Erkenntnis nicht
erweitern, da sie nur die einheitsstiftenden Begriffe des Verstandes sekundär in Einheit setzt.
- Dagegen: Aus der Sicht der Tradition ist eine solche kompliziert-komplexe, ins Subjekt eingepflanzte Kontingenz eine unzulässige und überflüssige „Selbstbeschränkung der Vernunft“, die
unnötigerweise weitaus mehr Probleme schafft als sie zu lösen
vorgibt.
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Einige der gravierendsten Folgen sind:
- Ablehnung von „Gottesbeweisen“ und natürlicher Theologie als
Wegen zu Gott.
- Die Welt wird zur transzendentalen, anregenden und bewegenden Idee auf die alles Wissen und Erfahrbare nach und nach
durch den Fortschritt der Wissenschaften hingeordnet wird.
- Eine Synthese wie bei Thomas wird nicht mehr möglich; Gefahren des Kritizismus leben auf.
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STOFFSAMMLUNG ZUR Die Kontingenz der Welt bei Thomas von Aquin und Kant
Stoffsammlung
Kontingenz, die von lat. contingere = sich ereignen, zukommen), in der scholastischen
Philosophie, die innere Endlichkeit eines Seienden, die sich darin zeigt, dass dieses
So-Seiende auch anders od. überhaupt nicht sein könnte.
Das endlich Seiende ist nicht notwendig, d.h. aus sich selbst (absolut), sondern letztlich ein Geschöpf, begr. Von einem anderen, von dem es sein Sein „hat“ (dem Schöpfer). Aus der Kontingenz der Welt im Ganzen schließt so der Kontingenzbeweis auf
das Dasein Gottes.
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((Herders Kleines philosophisches Wörterbuch S. 89))
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Kontingenz (vom lat. contingere, „sich ereignen“), , Zufälligkeit als Gegensatz zur
Notwendigkeit. In der Scholastik die im Wesen des Endlichen begründete Nichtnotwendigkeit seiner Existenz, von der, wenn sie doch gegeben ist, der sog. Kontingenzbeweis zur notwendigen Existenz der Ursache des Kontingenten fortschreitet.
Von einer Kontingenz der Naturgesetze spricht_> Boutroux
In der Psychologie ist Kontingenz gleichbedeutend mit Beliebigkeit.
In der modernen Philosophie spricht man von der sich aufdrängenden Notwendigkeit
der Bewältigung der erlebten Schicksalskontingenz, die als Grund religiösen Glaubens
unverlierbar erscheint.
((Schischkoff, phil. Wörterbuch, S. 352)
J. Schmucker, Das Problem der Kontingenz der Welt, 1970.
Kontingent, zu lat. Contingere, zuteilwerden, widerfahren (bzw. zur impersonalen
Form contingit es ereignet sich, es geschieht, heute soviel wie zufällig.
Kontingenz. Zufälligkeit. Allgemein versteht man unter einem kontingenten Sachverhalt einen solchen, der weder notwendigerweise besteht noch notwendigerweise nicht
besteht, dessen Bestehen also in diesem Sinne von Zufall abhängt.
Ganz analog zum Notwendigkeitsbegriff kann man genauer zwischen verschiedenen
Arten von Kontingenz unterscheiden.
Im Falle von logischer Kontingenz spricht man auch von logischer Indeterminiertheit.
In der Tradition ist nicht nur die Rede von kontingenten Sachverhalten oder Aussagen,
sondern auch von von kontingenten oder unwesentlichen oder akzidentellen Eigenschaften, die Objekten zukommen können.
Man spricht von Kontingenz de re (lat. Auf ein Ding bezogen), der Sache nach, im
Unterschied zur Kontingenz de dicto (auf eine Aussage bezogen), der Aussage nach).
So gilt etwa die Eigenschaft ein Handwerker zu sein, in dem Sinne als kontingent, als
jemand, der faktisch ein Handwerker ist, auch etwas anders als Handwerker hätte sein
können.
Ein für die theologische Metaphysik wichtiger Gedanke war, dass Gott wesentlich
existiere, während allen geschaffenen Wesen nur kontingente Existenz zukomme.
Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Meiner Verlag, S. 358f.Kontingenz
ßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßßß
Kälin, Anmerkungen 102 (S. 89)
6. Da das Dasein für die geschaffenen Ding e ein logisch akzidentelles Prädikat ist, so
folgt, dass alle Urteile, die formell die geschöpfliche Daseinsordnung betreffen, nur
synthetische urteile sein können, nie analytische. ((Wie sind Synthetische Urteile a
priori möglich??? Bezug zu Kant)))
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Kontingenz bezeichnet in der Logik eine der Modalitäten der Aussage (logische K)
und zwar im weiteren Sinn die der Notwendigkeit kontradiktorisch entgegengesetzte
Modalität, also die Nicht-Notwendigkeit und damit die Möglichkeit des Nichtseins; so
verstanden, umfasst das Kontingente auch das Unmögliche.
Meist wird Kontingenz jedoch im engeren Sinne als der mittlere Bereich verstanden,
der sowohl Notwendigkeit wie Unmöglichkeit ausschließt, also die doppelte Möglichkeit, zu sein oder nicht zu sein, besagt; in diesem Sinne ist z.B. das Geschlossensein
der Tür kontingent.
Zuweilen wird für kontingent das Wort „zufällig“ verwendet; das Zufällige in diesem
Sinne darf aber nicht mit dem Zufall im eigentlichen Sinne verwechselt werden.
Die logische Kontingenz der Aussage ist Ausdruck der ontischen Kontingenz des
Sachverhalts. Dieser ist physisch kontingent, wenn er nicht naturgesetzlich notwendig
ist. (B: das freie Handeln), im weiteren Sinne auch dann, wenn er nicht auf einem
(selbst nicht naturgesetzlich bestimmten) zusammentreffen mehrerer naturgesetzlicher
Kausalreihen beruht (B: dass es jetzt hier regnet).
Alles physisch Kontingente, aber auch das naturgesetzlich Notwendige, ja alles endlich Seiende ist metaphysisch kontingent d.h. aus seinem Wesen zu Sein und Nichtsein
indifferent.
Diese Kontingenz ist allerdings nicht unmittelbar erfahrbar, sondern bedarf der Begründung durch unmittelbaren oder mittelbaren Schluß (unmittelbarer Schluß aus dem
Beginnen oder Aufhören zu sein)
Da nach dem metaphysischen Kausalprinzip alles kontingente Seiende als solches ein
wirkendes Prinzip voraussetzt, ist der Nachweis der Kontingenz der Welt der entscheidende Schritt in jedem Gottesbeweis, der auf Gott als den Urheber bzw. Schöpfer
des innerweltlichen Seienden schließt.
Diese metaphysische Kontingenz bedeutet nicht nur eine Abhängigkeit vom Schöpferwirken Gottes im beginn des Daseins der Welt; vielmehr zeigt sich, wenn der Gedanke der Kontingenz zu Ende gedacht wird, dass alles kontingente Seiende nur insoweit und so lange sein kann, als es von Gottes erhaltendem Schöpferwirken getragen
wird.
Der bei den scholastischen Autoren vorkommende Ausdruck „futurum contingens“
meist im Plural: futura contingentia) bedeutet das (wirklich) zukünftige freie handeln
des Menschen, nicht, wie man zuweilen meint, das bedingt zukünftige freie Handeln,
die sog. futurabilia.
Brugger, S. 201f.
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Kontingenz (von lat. contingere, sich ereignen, eintreten)
Allgemein Zufälligkeit (meist im Gegensatz zur Notwendigkeit). In der Scholastik ist
alles, was nicht aus eigenem Wesen notwenig entsteht, kontingent. In der Existenzphilosophie spricht man oft von der Kontingenz des Menschen, seiner Zufälligkeit,
Geworfenheit.
Ulfig, 232, Lexikon der phil. Begriffe
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KONTINGENZ
HIRSCBERGER, Bd. I
Paton: 105, 147
Ari.: 203f., 222f
Thomas: 494f, 497, 502, 504f.
Platon, 105
Idee der Ideen;
Wie die Sonne im reich des Sichtbaren allen Dingen Sein und leben und Erkennbarkeit
verleiht, so verleiht die Idee der Ideen im Reiche des Unsichtbaren auch allem Seienden Wesen und Erkennbarkeit. Sie selbst aber hängt von nichts mehr ab. Sie ist das
Absolute, seiner selbst Genugsame. Sie ist darum nicht mehr Sein im üblichen Sinne.
Für alles Sein bedarf es eines Grundes, das Absolute ist aber anderer Art, es ist durch
sich selbst und steht darum jenseits allen Seins, alles an macht und Würde überragend.
Damit sind wir wieder bei der Idee des an sich Guten angelangt, zu der wir schon aufgestiegen waren in der Verfolgung des ethischen Wertes.
Philosophiegeschichtliche Nachwirkungen
Mit diesem Gedanken befinden wir uns an dem ideengeschichtlichen Ursprung einer
reihe von Philosophemen, die sich durch die ganze Philosophiegeschichte hindurch
halten. Mehr oder weniger nahe hängen damit zusammen die Unterscheidung des absoluten und des kontingenten Seins, des ens a se und ens ab alio, der Begriff einer ratio sufficiens für alles Seiende und der Forderung eines obersten Weltgrundes, der
Gottesbeweis aus der Kausalität und Kontingenz, die Identifizierung des Gottesbegriffs mit dem Begriff des summum bonnum, die Auffassung Gottes als der implicatio
der Welt und der Welt als der explicatio Gottes, der Emanationsbegriff, der Gottesbeweis aus den Vollkommenheitsstufen, der Begriff des ens summe perfectum u.a.
Platon, 147
Der dialektische Weg zu Gott ist der Aufstieg von Hypothesis zu Hypothesis hin zum
Anhypotheon, dem letzten Grund des Seins, das aber selbst jenseits des Seins liegt, alles überragend an macht und Wert. Er bildet die ideengeschichtliche Vorstufe zum
späteren Gottesbeweis aus der Kausalität und Kontingenz. Eine parallele zum dialektischen Aufstieg zu Gott, der sich im Denken vollzieht, bildet den Weg über das
Schöne, den wir im Eros gehen.
Hirschberger, Kontingenz, ARISTOTELES, 222f.
Gott hat nicht das Sein, sondern ist das Sein. Das will heißen. Alles sein in dieser Welt
leitet sich aufgrund der Kausalität letztlich von Gott her, wie dies der beweis für das
dasein Gottes gezeigt hat. Es ist seinem Wesen nach immer kontingent, mit Möglichkeit vermischt und bedarf darum zu seiner Verwirklichung eines Früheren usw. bis wir
zu einem Seienden kommen das aus sich selbst ist, reine Wirklichkeit ist ohne jede Potentialität, das darum auch immer und notwendig ist. Die natur Gottes besteht sonach
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in der Aktualität, Energia, actus purus, der Aseität, der Ewigkeit und Notwendigkeit.
Ari fasst die Natur Gottes auch als reine Form
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Hirschberger, Kontingenz, Thomas v. Aquin S. 502
Der dritte Beweisgang (quinqe viae)
(ex possibili et necessario)
arbeitet mit dem Kontingenzbegriff. Er erklärt, dass alles Sein auch nicht sein könnte;
nichts ist notwendig; alles ist somit mit Potenzialität durchsetzt. Daraus folgt, dass
dieses nur mögliche Sein ein mal auch nicht war. Gäbe es darum nur kontingentes
Sein, dann wäre jetzt überhaupt nichts. Also gibt es auch ein Seiendes, das notwendig
ist.; notwendig entweder aus sich oder von außen her. Und da diese Abhängigkeit von
einem anderen auch wieder nicht in einer unendlichen Reihe liegen kann, kommen wir
neuerdings zu einem Seienden, das von sich aus notwendig ist.
Auch hier hat Thomas aus Aristoteles geschöpft, dazu noch aus Moses Maimonides.
Im Grunde bilden die drei genannten Beweisgänge nur einen Beweis. Seine beiden
entscheidenden Gedanken sind der Kausalsatz und der Satz von der Unmöglichkeit
des regressus ad infinitum.
Später heißt man diese Überlegungen den kosmologischen Beweis. (Dritter Beweis)
Die Argumente, die Thomas zugrunde legt, stehen im wesentlichen im siebten und
achten Buch der Physik des Aristoteles.
Durch den Nachweis, dass die darin vorgetragene Metaphysik von Materie und Form,
Akt und Potenz, dem Prinzip der Bewegung und die damit gegebene teleologische Naturerklärung „auf dem Boden der Akademie noch unter den Augen Platons entstanden
ist“ (Jaeger) und sonach aus der Spätzeit des Aristoteles in eine frühste Periode verlegt
werden muß, wo er noch Platoniker war, ist für eine kritische Würdigung des kosmologischen Beweises wenigstens bei Thomas (auch in Hinsicht auf die Kritik Kants) eine neue Situation geschaffen. Es zeigt sich also an dieser Stelle wieder der von uns
mehrfach herausgehobene platonische Hintergrund in der Philosophie des Aquinaten.
S. 505
Die Welt ist nicht nur anfänglich, sondern immer von Gott abhängig. Weil das geschaffene Sein seinem Wesen nach nur durch Teilhabe existiert, muß es eben wegen
dieser wesenhaften, also bleibenden Kontingenz seine Aktualität dauernd von der ewigen Fülle allen Seins erhalten.
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DIE PHILOSOPHISCHE HINTERTREPPE, THOMAS , KANT
Versuch einer neuen Grundlegung der christlichen Philosophie und Theologie Der getaufte Verstand (Weischedel, Die phil. Hintertreppe, S. 109)
Erhält später eine Autorität, wie sie fast ein jahrtausend zuvor, Augustinus erlangt hatte. die
(109 f.)
Die Epoche des Thomas ist eine Zeit schwerer Gefährdungen des Geistes, und zwar
gerade auf dem Felde der Theologie und Philosophie (Analogie bei Kant? Dogmatischer Schlummer für Schema?)
Es ist eine christliche Philosophie entstanden erwachsen aus der Berührung des griechischen Geistes mit der christlichen Grunderfahrung (110)
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Die christliche Philosophie beruht auf einer Synthese der natürlichen Vernunft und des
Glaubens, aber so, dass die Vernunft sich dem Glauben unterordnet, um dann freilich,
eben in dessen Dienst, sich voll entfalten zu können.
KANT
Der kühne Neurer (113) (beide: Thomas und Kant)
Kants Intention wird man am meisten gerecht, wenn man als sein eigentliches Interesse die Frage nach dem ansieht, was in der sichtbaren Wirklichkeit und hinter dieser
das eigentlich wirksame ist, nach dem Unbedingten in allem Bedingten und jenseits alles Bedingten.
=> Das aber besagt: Kants Denken richtet sich vorzüglich auf das, was seit alters her
als Metaphysik bezeichnet wird: hinauszufragen über das unmittelbar gegebene,
hinabzufragen in die ersten und letzten Gründe der Wirklichkeit.
Kant verdeutlicht die metaphysische Problematik in einer dreifachen Hinsicht: er fragt
nach dem Unbedingten im Menschen, nach dem unbedingten in der Welt und nach
dem Unbedingten schlechthin. (Hintertreppe, 221o.)
Gibt es etwas im Menschen, was sein bedingtes, endliches Sein überragt, so, dass es
auch das Sterben überdauern kann? => So kommt er zur frage nach der Unsterblichkeit der Seele.
Gibt es in der Welt nur die Kette der Bedingtheiten oder bietet sie auch Raum für unbedingtes Handeln? => So erhebt sich die Frage nach der Freiheit
Gibt es schließlich etwas, worin das gesamt alles bedingten, Welt und Mensch zumal,
letztlich gründet? => So stellt sich die Frage nach Gott.
Kant bezeichnet daher als die „unvermeidlichen Aufgaben“ des metaphysischen Denkens „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit.“ (221 m.). Darüber will kant zur Gewissheit
gelangen.
Es zeigt sich: Auf diesem Felde ist alles fragwürdig; in der langen Geschichte der Metaphysik läuft alles auf ein „bloßes Herumtappen“ hinaus.
Wenn dem so ist, dann kann man nicht mit unmittelbar mit metaphysischen Entwürfen
beginnen. Dann muß man vielmehr zuvor fragen, woher denn jene Fragwürdigkeit der
Metaphysik kommt und worin sie gründet. Problemabhandlung in der KdrV. Das eigentliche Thema dieses Buches ist das Drama der metaphysischen Erkenntnis des
menschlichen Geistes. Die Akteure sind die zentralen Fragen der Philosophie, und das
Spiel handelt von den unablässigen Versuchen, zur Gewissheit zu gelangen, und vom
ständigen ohnmächtigen Untergang all dieser Bemühungen. (221 ¾) (wie sieht das bei
Thomas aus??)
Schließlich entdeckt Kant, dass man zu keinen gesicherten Antworten gelangen kann,
liegt im Wesen der menschlichen Vernunft begründet. Diese ist nicht imstande, hinter
die sichtbare Wirklichkeit zurückzugehen und in deren Grund hinabzublicken.
Das zeigt sich etwa an der Frage nach der Freiheit. Man kann ebenso überzeugende
Gründe dafür beibringen, dass der Mensch frei ist, wie dafür, dass er nicht frei ist.
Ähnlich steht es mit den Fragen nach der Unsterblichkeit und nach Gott. Auch sie lassen sich mit Hilfe der theoretischen Vernunft nicht beantworten. (((die sich selbst beschränkende Vernunft; wie bei Thomas??))) (((dogmatischer Schlummer)))
Am Ende zeigt sich: das Fragen endet im Unwegsamen, in einem ewigen Zirkel von
Zweideutigkeiten und Widersprüchen, ja von einem wahren Abgrund der menschlichen Vernunft.
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Der Mensch geht also notwendig in die Irre, gerade da, wo es sich um die höchsten Interessen seines Geistes handelt: In den Fragen nach Gott, Freiheit und Unsterblichkeit.
Aber Kant überlässt sich nicht einer skeptischen Hoffnungslosigkeit. Er ist überzeugt,
dass eine neue Geburt der Metaphysik bevorstehe. Diese kann aber nur aus der Selbstbesinnung der menschlichen Vernunft erwachsen. (Fides et ratio). In einer solchen
Absicht prüft die KdrV das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis
(222 m.)
Kant zeigt, dass das Erkennen keineswegs richtig beschrieben wird, als bilde sich die
Wirklichkeit unmittelbar im menschlichen Geiste ab. Der Mensch bringt vielmehr von
sich aus Entscheidendes in den Erkenntnisprozeß mit hinein (222 ¾): Die Vorstellungen von Raum und Zeit und die Grundbegriffe des Verstandes. Indem der Erkennende
diese Vorstellungen und diese Begriffe auf die Empfindungen anwendet, die ihm die
Sinne vermitteln, entsteht ihm das Bild der Wirklichkeit. Das Erkennen besteht somit
zu einem wesentlichen Teil aus Zutaten des erkennenden Subjekts. (222 u.)
Die bedeutsame Folgerung, die Kant daraus zieht, ist: die Wirklichkeit zeigt sich dem
Menschen nicht so, wie sie an sich selber sein mag, sondern nur so, wie sie ihm aufgrund der besonderen Art seines Erkenntnisvermögens erscheint. Wir erfassen nicht
die Dinge an sich, sondern nur die Dinge als Erscheinungen. (223 o).
Jene metaphysischen Versuche aber zeigen sich von daher als Bemühungen, den dem
Menschen zugewiesenen und angemessenen Erkenntnisbereich zu übersteigen, darin
gründet letztlich ihr Scheitern ( 223, 1. Viertel o.)
Immer wieder strebt der Mensch danach, seine Erkenntnis über seine Grenzen hinaus
zu erweitern; immer wieder wird er im fehlschlagen solcher Bemühungen auf den alleinigen ort sicheren Wissens, die Erfahrung, zurückgetrieben.
Sieht man auf das Ergebnis der „Kritik der reinen Vernunft“, dann erhebet sich die
Frage, ob die darin geforderte Beschränkung auf das Feld der Erfahrung das letzte
Wort sein kann. (223 u). Weshalb aber drängt der Mensch über die ihm gesetzten
Grenzen beständig hinaus? Er wird vom Grunde seines Wesens dazu gedrängt; verzichtete er darauf, so Kant, so wäre er kein Mensch. (224 ¼)
Wie wenn das, was dem bloßen Denken verschlossen bleibt, sich da offenbarte, wo der
Mensch im Handeln steht und sich über dies sein Tun besinnt? Diese Sicht auf den
handelnden Menschen ist die entscheidende Wendung, die Kant der metaphysischen
Problematik gibt. ((224 m.)
Kant ist überzeugt, gerade im gebiet des praktischen das Unbedingte finden zu können, das er im Feld des Theoretischen vergebens sucht. Er meint, wenn der Mensch
ernstlich wissen wolle, wie er handeln solle, trete ihm ein unbedingtes Gebot, ein kategorischer Imperativ, entgegen, der ihn daran hindere, nach Willkür und Laune zu
verfahren.
Hier also zeigt sich inmitten des bedingten Daseins des Menschen ein Unbedingtes: Die Unbedingtheit des „Du sollst“.
Nachdem kant so den Überschritt in den bereich des Unbedingten grundsätzlich getan
hat, kann er nun auch jene im Felde des theoretischen Ergrübelns unlösbaren Fragen
nach Gott, Freiheit, und Unsterblichkeit beantworten. ( 224, letztes Viertel).
Wenn ein Gebot an den Menschen ergeht, so weiß er sich damit in die Situation der
Entscheidung versetzt; Entscheidung aber ist nur möglich, wenn es Freiheit gibt. So
wird der Mensch, indem er das unbedingte Gebot vernimmt, seiner Freiheit gewiß.
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Das hat gewichtige Konsequenzen für die Metaphysik. Im Hören des unbedingten Gebotes und in der Freiheit, die darin gewährleistet wird, entdeckt der Mensch, dass er,
mag er auch noch so sehr der Endlichkeit verhaftet sein, gleichwohl im Wesentlichen
seines Wesens einer anderen, übersinnlichen Ordnung angehört, und dass ihm dies
seine eigentümliche Würde gibt
Der Mensch ist für Kant ein Bürger zweier Welten. Von diesem Gedanken her versucht Kant dann auch die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes als notwendige Postulate der sittlichen Existenz zu erweisen.
Seine Argumente wird man allerdings schwerlich ohne weiteres übernehmen können.
Entscheidend ist jedoch, dass Kant in einer zeit der Verzweiflung an der Metaphysik
einen neuen Durchbruch wagt; einen neuen Versuch, den Ring der Endlichkeit zu
durchstoßen und zum Absoluten zu gelangen. (225 m)
(((Das Geheimnisvolle wartet darauf in Erkenntnis umgewandelt zu werden?????)))
KANT: „Daß der Geist des Menschen metaphysische Untersuchungen einmal gänzlich
aufgeben werde, ist eben so wenig zu erwarten, als das wir, um nicht immer unreine
Luft zu schöpfen, das Atemholen einmal lieber ganz und gar einstellen würden.“
Philosophieren heißt immer wieder neu die wesentlichen Fragen zu stellen.
Die große Synthese bei Thomas: Platon, Ari, Maimonides u.a. – Gegen Kant wie ist
Metaphysik möglich?
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Hirschberger, kleine Philosophiegeschichte, S. 136
Bei Kant:
Mit Kant und dem deutschen Idealismus wird die metaphysische Tradition des Abendlandes wieder aufgegriffen, jedoch verwandelt und überformt, weil man dem Ansturm
der Kritik und des neuzeitlichen Denkens, soweit es berechtigt ist, irgendwie Rechnung trägt und selbst an dieser Kritik wesentlich mitarbeitet, besonders von Seiten
Kants. Aber verglichen mit dem Sensualismus, Skeptizismus und plattem Utilitarismus der Empiristen ist diese Philosophie konservativ und sucht auf ihre Weise die alten Anliegen der alten Metaphysik, Ethik und Religion neu zu verstehen und zu sichern.
H A r A L D H O L Z: Einführung in die Transzendentalphilosophie (S.1)
Transzendentalphil. Erhebt den Anspruch, ihrem Selbstbegriff gemäß und in seiner
Konsequenz Fundamentalphilosophie zu sein; sie hat damit ihrem Anspruch nach das
Erbe der alten Metaphysik angetreten.
Sie hat damit natürlich auch die alte, systemtheoretische, Schwierigkeit des Verhältnisses zwischen einer philosophischen ‚Kern’-Wissenschaft und dem wohlartikulierten
Gesamtgebäude oder Gefüge von Philosophie im Ganzen als eines der ihr eigentümlichen Probleme übernommen.
S. 52
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Es geht um das Bezugssystem, aufgrund dessen allein Bewusstseinsgehalte insgesamt
allererst möglich sind.
Die Sicht, als ob unabhängig von unserem Denken (bzw. Bewußtsein) und vorgängig
dazu schon GEGENSTÄNDE usw. gegeben wären, die dann von unserem Erkennen
sich nur noch ‚anzuverwandeln’ wären, führt geradewegs von der transzendentalen
Fragestellung ab und entweder zur Absurdität eines empirischen Idealismus, als ob
Dinge, Sachverhalte usw. In ihrer empirischen, konkreten So-Bestimmtheit als je diese
durch unser Denken etwa ‚ursächlich’ gesetzt und bestimmt würden:
Das transzendentale Bewusstsein wäre als empirisches missverstanden – oder aberauf
die These eines bewußtseins-transzendenten (und gegenstandsüberschreitenden absoluten Verstandes.
Was für alle Gegenstandskonstitutionen zutrifft, gilt noch in sehr viel stärkerem Maß
für die eigentliche Geltung:
Auch der gesamte bereich, in dem geurteilt wird und der im vorigen skizziert wurde,
lässt die Frage zu nach den Bedingungen seiner Möglichkeit a priori.
S. 54
Begriff einer allgemeinen transzendentalen und darin unabhängigen SubsistenzStruktur
S. 57
Idealismus und Sein-an-sich-Problematik
Es ist demnach klar, dass der hier verwendete begriff von Sein, insgesamt nicht viel
mehr als analoge Denk-Unabhängigkeit (Bewusstseins-Unabhängigkeit) besagt.
S. 102
Ein Absolutes als solches kann sich nicht darin erschöpfen, lediglich in einem kontingenten Zusammenhang – der Zweifel-Gewißheit-Strategie – ein dienendes Moment zu
sein.
... Es wäre damit ein weiteres Mal die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit a
priori in äußerster Zuspitzug gestellt, formell und methodologisch, so dass dabei die
Möglichkeitsbedingungen unmittelbar zugleich ihren Notwendigkeitsgrund in sich
enthalten.
KÄLIN, S. 387
Der hl. Thomas von Aquin bringt fünf beweise für das Dasein Gottes. Der erste beweis
schließt vom Werden in der Welt auf einen ersten unbewegten Beweger, der zweite
von den tatsächlichen Wirkursachen auf die erste unverursachte Ursache, die dritte
vom nichtnotwendigen (=kontingenten) Dasein der Weltdinge auf eine notwendig seiende, unveränderliche Ursache, der vierte von den beschränkten Seinsstufen der Dinge
auf ein schlechthin vollkommenes Sein, und der fünfte von der tatsächlichen Naturordnung und Zweckmäßigkeit auf einen ordnenden, schöpferischen Geist.
§ 135 Dritter Beweis von Thomas: Aus der Nichtnotwendigkeit (Kontingenz) des Daseins der Dinge (Kontingenzbeweis)
Es gibt Dinge, die nicht notwendig existieren, die also sein und nicht sein können, wie
das besonders klar ist bei den werdenden und vergänglichen Dingen. Diese haben den
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Grund ihres Daseins nicht in sich, denn sonst müssten sie notwendig existieren. Was
immer aber den Grund des Daseins nicht in sich trägt, muß ihn in einem anderen haben. Ist dieses andere wieder so beschaffen, dass es sein und nicht sein kann, so fordert auch das wieder ein anderes für sein Dasein. Eine endlose Reihe solcher bedingt
(kontingent) daseiender Dinge kann es aber nicht geben, weil sonst die ganze Reihe
keine hinreichende Ursache für das Dasein hätte. Es muß folglich ein erstes nicht kontingent, sondern aus sich notwendig daseiendes Wesen geben, von dem alle nicht notwendigen Dinge ihr Dasein empfangen haben. Und dieses Wesen nennen wir Gott.
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Platon, Ari und Thomas setzen das Staunen als Beginn des Philosophierens (Siegmund, der Mensch) S. 87
Thomas von Aquin fasst die klassische Staunenslehre zusammen, wenn er sagt: „Allen
Menschen wohnt naturhaft der Drang inne, die Gründe dessen , was erscheint, zu erkennen. darum begannen die Menschen zunächst zu philosophieren aus Verwunderung über das, was aufschien, wovon jedoch die Gründe verborgen waren. Erst mit
dem Auffinden des Grundes kommt der Drang zur Ruhe. Das einmal begonnene Suchen hält nicht eher still, als bis es zum ersten Grunde kommt. Darum glauben wir eine vollendete Kenntnis erst dann zu haben, wenn wir den ersten Grund fassen. Der
Mensch strebt also naturhaft danach, den ersten Grund zu erkennen, gewissermaßen
als sein letztes Ziel.“ (S.c.g. III 25).
Erst das Vergessen und Verdrängendes menschlichen Uraffektes, wie ihn Platon, Ari
und Thomas kannten und als Beginn des Philosophierens beschrieben haben, haben
den Boden für den modernen Irrtum des Aktualismus und Phänomenalismus bereitet.
Verkrampft an seinen Selbst-Besitz will das bewusste Ich nicht mehr wahr haben, dass
es seinen Selbst-Besitz nicht einfach aus sich, sondern ihn zu seiner eigenen Überraschung erhalten hat. (Siegmund: Mensch.. S. 115)
Staunen als naive Kinderei verunglimpft.
In bezeichnendem Gegensatz zur Philosophie eines Platon, Ari oder Thomas hat die
moderne Philosophie den Zweifel an den Anfang gestellt und ihn zur philosophischen
Grundhaltung erhoben. Positivismus als extremste Antipode des natürlichen Staunens
( Siegmund: Mensch.. S. 119)
Der reife Mensch (im Sinne des Positivismus) begnügt sich grundsätzlich mit dem
Aufscheinenden, vor allem wie es sich in den Ergebnissen seiner exakten Wissenschaften darbietet. Er will nicht mehr, als die sich anhäufenden Ergebnisse der Wissenschaft ordnen, sie miteinander verbinden und sie zu einem praktisch brauchbaren
System zusammenfügen, um sie leicht für seine technischen zwecke auswerten zu
können. Dabei glaubt er grundsätzlich auf jedes staunende Hinauslangen, auf ein „Dahinter“ eines „Wesens“ hinter dem bloß aufscheinenden verzichten zu können, ja zu
sollen. An die Stelle des Staunens vor dem Rätsel der Welt, das als kindlich überlebt
gilt, tritt das Staunen vor den Ergebnissen der eigenen Wissenschaft, des eigenen
Tuns, der eigenen Erfolge und der eigenen Rekorde. (Siegmund, der Mensch... S. 120
m)
Trotz der großen Syntheseleistung des Thomas vertritt er kein geschlossenes Philosophiegebäude. Denn trotz aller Definitionen gilt: Multae differentiae rerum nobis sunt
ignotae. (S. Th. I 29, 1)
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„Selbst wenn der Unterschied bekannt wäre, wäre er doch sicherlich nicht völlig erkannt, und man glaube ja nicht, den Grund der Dinge zu besitzen. Mit Ari macht
Thomas gern hinter Definitionen Punkte, um anzuzeigen, dass das Wirkliche darüber
hinaus noch ein Unausgedrücktes und Unausdrückbare enthält. (Siegmund, Mensch...
S. 234).
Grundzüge der kantschen Philosophie
Hier können nur einige wenige Schlaglichter gesetzt werden.
Jasspers, S. 217, 221.
Kants Philosophie entwirft keine Vision der Welt. Sie schafft keine Symbole. Sie ist
von einer nicht zu überbietenden Kargheit.
Kants Philosophie gerät nie in die Nähe der Dichtung.
Kants Philosophie ist vor allem Kritik. Die Hauptwerke Kants fangen alle mit „Kritik
der.. „ an.
Kritik als universale Vernunfterhellung (Kantbefürworter)
Kritik heißt zu scheiden und Grenzen zu setzen.
Kritische Philosophie ist Transzendentalphilosophie nicht aber Philosophie der Transzendenz.
Der Unterschied zwischen Transzendenz und Transzendental ist elementar.
Sinn der transzendentalen Deduktion als Maßstab genommen: 217 d
So erfolgt alsbald eine zweifache Verengung: vom gegenständlichen Erkennen überhaupt zum naturwissenschaftlich Objektiven, von diesem zur mathematischen Naturwissenschaft.
218o
Kants Philosophie bleibt nicht nur Kritik, sondern ist bezogen auf eine in alle Daseinsbereiche vordringende Konstruktion des Wirklichen.
Hennen, S. 138
Das Allgemeine ist das Notwendige, deshalb das bestandhabende. Es gilt nicht nur für
den Einzelfall, sondern immer und überall.
Von kontingenten Dingen gibt es Wissenschaft nur insofern etwas Notwendiges in ihnen ist. Vom zufälligen, veränderlichen sein lässt sich keine Wissenschaft aufbauen.
Wissenschaft sucht nach Gründen.
Was einen Anfang hat, muß eine bewirkende Ursache haben...Was zufällig
(contingenter), d.h. nicht notwendig existiert, hat eine bewirkende Ursache, durch die
es existiert.“ (Lehnen)
Aus deem Kontingenten folgt unmöglich das Notwendige. (Hennen, 230)
Nach Ari gehört alles Seiende, das nicht den Grund seines Seins und Daseins in sich
selbst hat, nicht zum Notwendigen. Notwendiges Sein hat nach Ari nur der ‚erste Unbewegte Beweger’, Gott. Weil alles andere Sein vom Ersten Unbewegten Beweger
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abhängt (nach der christlichen Philosophie von Gott geschaffen wurde und von ihm im
Sein erhalten werden muß), ist alles dieses kontingent.
Das trifft zu für das geschaffene körperliche und auch für das geschaffene geistige
Sein, das einen Anfang und/oder ein Ende hat, z.B. für die Seele des Menschen. Steine, pflanzen, Tiere. Menschen haben ihr Sein nicht aus sich.
Für alles Sein (auch für das Göttliche) gilt: zwischen Sein und Nichtsein gibt es kein
Drittes.
(Hennen, S. 329). (werdendes Leben????)
Kontingenz / Bedingtheit
8. Die transzendentale Dialektik (S. 134-163)
HÖFFE // KANT
8.1 (134u.)
Es gibt mit Notwendigkeit Metaphysik. Ebenso notwendig erzeugt sie nur einen
Schein von Wahrheit.
Aufgaben der transzendentalen Dialektik. Notwendigkeit der Metaphysik darzustellen
und ihren Schein zu durchschauen.
In der transzendentalen Dialektik zeigt Kant, dass alle versuche der reinen Vernunft,
eine Welt jenseits der Erscheinungen als das wahrhaft Seiende zu erkennen, unabwendbar misslingen.
Alles bemühen der überlieferten Philosophie, auf dem Gebiet der (spekulativen) Metaphysik Erkenntnisse zu gewinnen, ist grundsätzlich zum Scheitern verurteilt.
Die Vernunft kann weder beweisen, dass die Seeleunsterblich und der Wille frei ist,
noch dass es Gott gibt.
Alles das, worum sich die traditionelle Metaphysik so leidenschaftlich bemüht hat,
verliert ihr philosophisches Fundament. 135o.
Aber, so tröstet kant, das Gegenteil, dass es keine unsterbliche Seele, keinen freien
Willen und keinen Gott gibt, lässt sich ebenso wenig beweisen. Zu diesen Themen
kann die (spekulative) Vernunft weder ablehnend noch zustimmend Stellung nehmen.
!!!!!! Metaphysik keine irrgeleitete vorübergehende Epoche des abendländischen Geistes, keine vorsätzliche Täuschung entspringt nicht willkürlichen Einfällen.
DIE MEETAPHYSIK GRÜNDET IM INTERESSE DER VERNUNFT, ZUM BEDINGTEN DAS UNBEDINGTE AUFZUSUCHEN.
Prozess:
Die Erkenntnis verdankt der Anschauung einen noch unbestimmten Stoff; der verstand
gibnt dem Stoff mit Hilfe der begriffe und Grundsätze die bestimmte Einheit; die Vernunft schließlich sucht die begriffliche Erkenntnis zur höchsten Einheit zu bringen.
DIE SCHLECHTHIN HÖCHSTE EINHEIT IST ABER ERST MIT EINER BEDINGUNG ERREICHT, DIE SELBST NICHT MEHR BEDINGT IST; DAS IST DAS
UNBEDINGTE.
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DURCH DAS UNBEDINGTE, DAS KANT AUCH (TRANSZENDENTALE IDEE
NENNT,
GELANGT DER „Verstand mit sich selbst in durchgängigen Zusammenhang“ (B
362)
Das Unbedingte leistet die systematische Einheit der Erfahrung. Die Suche nach ihm
erscheint daher als selbstverständlich, ja sogar als unabweisbare Fortsetzung aller Erkenntnis; die Such liegt im natürlichen Interesse der Vernunft. 138 ¾.
Der springende Punkt der transzendentalen Dialektik liegt in der Einsicht, dass die
Vernunft das Unbedingte zwar denken aber nicht erkennen kann.
Die transzendentalen Ideen betreffen „etwas, worunter alle Erfahrung gehört, welches
selbst aber niemals ein Gegenstand der Erfahrung ist“ (B 367)
Kant unterscheidet Verstand und Vernunft
Während der Verstand jene primäre Einheit vollbringt, ohne die aus der unbestimmten
Anschauungsmannigfaltigkeit kein objektiver Gegenstand wird, leistet die Vernunft
eine sekundäre Einheit; Sie bringt die einheitsstiftenden Begriffe des Verstandes ihrerseits in eine Einheit. Die sekundäre Einheit ist aber zur Konstitution des Gegenstandes
nicht notwendig; sie kann die Erkenntnis nicht erweitern.
Die Vernunft findet nicht nur eine transzendentale Idee, sondern entsprechend Wolffs
Einteilung der speziellen Metaphysik drei Ideen:
!!!!! Das Unbedingte als die absolute Einheit des denkenden Subjektes, den Gegenstand der rationalen Psychologie; das unbedingte als die Totalität der Dinge und Bedingungen in Raum und zeit, als Gegenstand der transzendentalen Kosmologie;
schließlich das Unbedingte als die absolute Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt, das ist ein schlechthin höchstes Wesen, Gott als Gegenstand der natürlichen Theologie. (136m) !!!
Doch bezahlt die Vernunft ihren Erfolg, dass sie Erkenntnisse vorgaukelt, wo es gar
keine gibt.
Beim Denken des absoluten Subjekts erliegt die reine Vernunft Fehlschlüsse (Paralogismen);
Bei der Totalität der Dinge und Bedingungen verwickelt sie sich in Widersprüche
(Antinomien) und mit Bezug auf Gott spricht sie von beweisen, die sich allesamt widerlegen lassen. So entpuppt sich die Erkenntnis des Unbedingten als vermeintliche,
aber nicht wahre Erkenntnis, sie ist nichts anderes als Schein. (136u)
Es handelt sich nicht um einen sophistischen, sondern um einen spekulativen Schein,
eine transzendentale Täuschung, um eine Zweideutigkeit des Denkens, die der natur
der Vernunft selbst entspringt, mit den apriorischen Bedingungen der Erkenntnis
selbst zusammenhängt und nur durch eine kritische Reflexion auf den Zusammenhang
von Vernunft und Erkenntnis eingesehen wird. (137o)
Der Philosoph kann den transzendentalen Schein ähnlich der optischen Täuschung
nicht zum Verschwinden bringen da das metaphysische Bedürfnis der Vernunft nach
dem Unbedingten bleibt. (137m)
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Beim Unbedingten fehlen die beiden Bedingungen objektiver Erkenntnis, die sinnliche
Anschauung und der Verstandesbegriff.
Die transzendentale Ästhetik und die transzendentale Analytik begründen diese beiden
Bedingungen. 137 3/4
Erst die transzendentale Kritik erlaubt es, den Anspruch der Metaphysik, das Unbedingte zu erkennen, als klare Anmaßung zu entlarven 138o
Das ganze ist uns nie gegeben, wohl aber aufgegeben.
Die Ideen von Gott, Freiheit, und Unsterblichkeit sind keine Erkenntnisse der theoretischen, sondern Postulate der praktischen Vernunft 139o
„Ich musste also das Wissen aufgeben, um zum Glauben Platz zu bekommen“ (Bxxx)
Wichtig!! Wobei Kant unter Glauben die Anerkennung der praktischen Vernunft versteht. Die reine praktische Vernunft ist aber die Moralität, die Kant in Begriffen von
Freiheit denkt. So weicht die überlieferte Metaphysik des Seins einer neuen Metaphysik der Freiheit. 139m
8.2.2 Die Kritik der tranzendentalen Kosmologie 143m
Der Versuch, die Fragmente menschlicher Erfahrung zu einer Totalität aller Erscheinungen zu extrapolieren und über die Totalität objektive Aussagen zu machen, zeigt
die ganze Hoffnungslosigkeit einer spekulativen Metaphysik. Die Vernunft verstrickt
sich nämlich in Antinomien. !!!!!! Wörtlich heißt Antinomie: Widerstreit der Gesetze
B 434 und meint bei Kant, dass die menschliche Vernunft unter zwei gegenläufigen
Gesetzen steht, dem Gesetz, alles Bedingte auf etwas Unbedingtes zurückzuführen,
und dem Gesetz, jedes Bedingte wiederum als bedingt anzusehen. !!!!!!!!!! Zweite
Bedeutung von Antinomien: Paare von Sätzen die sich widersprechen 143u. Kosmologie gr.; Lehre von der Welt.
Da die spekulative Kosmologie die absolute Totalität der Erscheinungen, also ein Unbedingtes untersucht, hilft die empirische Forschung nicht weiter. Die Naturwissenschaften können die Antinomien nicht auflösen, die Philosophie muß diese Aufgabe
übernehmen.
Kant findet: Es gibt nicht das entweder oder, die These und die Antithese. Die Voraussetzung, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, von denen die eine wahr sein muß trifft
nicht zu. Beispiel: Welt hat einen Anfang, Welt ist von Ewigkeit her, wie Ari gesagt
hat. Kant sagt es gibt eine dritte Möglichkeit: 147 1/3 Diese dritte Möglichkeit ist der
transzendentale oder formale Idealismus. !!!! Danach kann das Unbedingte zwar gedacht, aber nicht erkannt werden. Die Ideen der reinen Vernunft haben transzendentale
und nicht tranzendente Bedeutung; in der Form regulativer Prinzipien beziehen sie
sich auf die Erfahrung und sind keine an sich existierenden Objekte. Im Unterschied
zum materialen oder empirischen Idealismus erkennt der formale oder transzendentale
Idealismus die Gegenstände der äußeren Anschauung als wirklich an. 147m
Im Gegensatz zum tranzendenten Idealismus weiß er aber, dass die Erkenntnis sich nur
auf Erscheinungen, nicht auf die Dinge an sich richtet, da die apriorische Struktur der
Erkenntnis dem Subjekt entstammt. (Kopernikanische Wende Die Dinge sollen sich
nach unserem Erkenntnisvermögen richten). Dieses Wissen ist in der transzendentalen
Ästhetik und transzendentalen Analytik begründet worden. Der Versuch, ohne Anschauung durch bloßes Denken die Welt zu erkennen, verwickelt die Vernunft in Widersprüche, die Anerkennung der tranzendentalen Ästhetik und Analytik löst diese
Widersprüche auf. 147 ¾
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148 o: Die kosmologischen Ideen haben keine konstitutive, sondern nur eine regulative Bedeutung. Sie sagen nicht, wie die Welt als Ganzes aussieht, sondern geben eine
Regel an, wie die Naturforschung anzustellen ist, um zu einer umfassenden Erkenntnis
zu gelangen.
Die Welt als Totalität der Erscheinungen ist nicht an sich vorhanden, sondern tritt in
empirischen Forschungsprozessen nach und nach, allerdings nie vollständig zu Tage.
IDEE 150m
Sobald das Unbedingte außerhalb der Sinneswelt gesetzt wird, sind die Ideen transzendent.
Im Gegensatz zu ungerechtfertigten Verdinglichungen metaphysischer (rationalistischer) und positivistischer (empiristischer) Art sind die Ideen aber transzendentaler
Natur; sie haben eine Bedeutung für die Struktur aller objektiven Erkenntnis. Sie erinnern die Forschung, dass alles aktuelle Wissen, selbst der allerneuste und umfassendste Stand der Wissenschaft, immer Fragment, ein Torso bleibt.
Statt der Hypostatisierung der Welt zum Sein an sich bleibt die Idee der Welt als eines
ganzen von Erscheinungen, das die Naturwissenschaften zu einem nie abgeschlossenen Forschungsprozeß auffordert, denn die Totalität der Erscheinungen lässt sich nie
vollständig ausmessen. 150u
8.2.3 Kritik der natürlichen Theologie S. 151o
Die oberste Disziplin der überlieferten Metaphysik bildet die Theologie. Ihr Grundbegriff, Gott, stellt in seiner philosophischen Bestimmung als das schlechthin höchste
Wesen traditionell den Schlussstein und die Krönung menschlicher Erkenntnis dar;
unter allen metaphysischen Systemen gebührt die Frage nach dem Urwesen, nach
Gott, den Vorrang.
Kant verwirft die gesamte natürliche Theologie und ihre Versuche, Gott objektiv zu
erkennen, insbesondere sein Dasein zu beweisen. 151 ¾
In Übereinstimmung mit der Tradition erkennt Kant Gott als das höchste Ziel allen
Denkens an, bestreitet jedoch, dass das Ziel ein Gegenstand ist, dem sich Existenz zuoder absprechen lässt.
Zweitens tritt an die Stelle von Gott als einer transzendenten Idee das transzendentale
Ideal, das als Prinzip der Vollständigkeit der Erkenntnis die Metaphysik der Erfahrung
vollendet, mit einer religiösen Gottesvorstellung aber wenig zu tun hat.
3. Nicht mehr die theoretische, sondern die reine praktische, moralische Vernunft wird
der primäre Ort der legitimen Gottesfrage.
4. Deutung von Grundaussagen der jüdisch christlichen Offenbarung geschieht bei
Kant im Licht seines moralischen Gottesglaubens. 152 1/4
Zu Anfang hat Kant noch an der objektiven Realität Gottes festgehalten. In den 60er
Jahren beginnt er mit der Entobjektivierung Gottes, die in der ersten Kritik ihren
Höhepunkt erreicht. Gott ist das vernunftnotwendige Ideal objektiver Erkenntnis, aber
nicht eine objektiv erkannte Idee.
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Beweis Gottes aus der Zweckmäßigkeit der Natur (Physikotheologischer Beweis nach
Kant)
Gilt ihm als der älteste, klarste und „der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene“ (B651) 153o 5. Weg bei Thomas 153o
Weil Aristoteles’ Behauptung von der Ewigkeit der Welt der jüdisch-christlichen Vorstellung einer Welt widerspricht konnte der kosmologische Gottesbeweis im Mittelalter nur nach einer entsprechenden Umgestaltung anerkannt werden.
Bei Thomas (Summa Theologiae, Teil I, Frage 1, Art.3) haben von den fünf Gründen
(quinquae viae) die den Glauben an Gott vernünftig erscheinen lassen, die drei ersten
die Gestalt eines kosmologischen Arguments (vg. Summa contra gentiles, Buch I,
Kap. 13) 153u
Kant zeigt, dass die Gottesbeweise scheitern. Daraus leitet er jedoch nicht ab, dass
Gott nicht existiere. Die negative Behauptung, sagt kant, ist vielmehr genauso unmöglich zu beweisen wie die positive. So verwirft kant nicht nur die spekulative Theologie. Er grenzt sich ebenso scharf von dem spekulativen Atheismus ab, der das Nichtsein Gottes zu demonstrieren vorgibt.
Kants These lautet nicht: es gibt keinen Gott, sondern: Gott entzieht sich einer Vergegenständlichung. Für jede objektivierende rede ist er „der ganz Andere“, genauer: theoretisch lässt sich über Gott nichts sagen. 154m.
Kants radikalste Behauptung im Zusammenhang mit der natürlichen Theologie lautet
nicht: Gott lässt sich theoretisch nicht beweisen; sie heißt: die theoretische Vernunft
hat gar keine legitime Möglichkeit, nach dem Dasein Gottes auch nur zu fragen. Denn
„Dasein“ ist eine Kategorie, do dass die Frage nach dem Dasein Gottes voraussetzt,
Gott sei etwas das kategorial bestimmbar ist. So verwechselt die Frage eine transzendentale Idee mit einem transzendenten begriff; die für die reine Vernunft unentbehrliche Vorstellung einer absoluten Vollständigkeit des Wissens wird mit dem Begriff eines möglicherweise existierenden Gegenstandes vertauscht. 154u.
Nicht erst die einzelnen Beweisschritte, sondern schon der Titelbegriff „Dasein Gottes“ verstrickt die spekulative Theologie in den dialektischen Schein. 154u.
Die Metaphysik versagt, weil sie mehr will als sie kann; sie sucht eine Erkenntnis, die
alle Erfahrung überfliegt, was unmöglich ist.
Die Metaphysik will mehr, als sie kann, weil sie ihre Wünsche mit den tatsächlichen
Möglichkeiten verwechselt.
Worin besteht diese Verwechslung?? Transzendentale Ideen werden für transzendent
gehalten, regulative Prinzipien für konstitutiv. (Dialektikkapitel bei Kant)
Die Ideen der Vernunft; die Seele, die Welt, die Freiheit und Gott, sind zwar mögliche,
163u
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Sogar notwendige Vorstellungen, denn sie liegen in der Folgerichtigkeit des Denkens.
Folgerichtigkeit ist aber nicht ein eigener Gegenstand, sondern Forschungsprinzip der
wissenschaftlichen Erkenntnis.
Trennung von Verstand und Vernunft 166 u
Die dreifache Vollständigkeit, die Einheit, Vielfalt und Kontinuität der Erkenntnis wir
von der Vernunft gefordert, kann aber nur durch den Verstand verwirklicht werden.
Die Vernunftideen haben eine appellative und heuristische Bedeutung; sie geben dem
Verstand Impulse für den Fortschritt der Wissenschaften. 167o
Der Begriff der Kontingenz
Transzendent – Transzendental der Bedeutungsunterschied
Gründe der Bedingtheit bei Thomas
Gründe für die Bedingtheit bei Kant
Gründe der
. und als Stadium der Unreife in der Entwicklung der Philosophie
Die Philosophie des Staunens
Gefahren des Skeptizismus und Dogmatismus wie können diese gebannt werden? für Kant
Es ist geradezu unumgänglich zunächst den Zentralbegriff Kontingenz, der im Mittelpunkt
dieser Abhandlung steht, hinsichtlich seines Umfangs und Inhalts aber auch in seinem Kontext etwas näher zu beleuchten, zumal die Wissenschaft und die sich permanent auffächernden
einzelwissenschaftlichen Disziplinen die Tendenz aufweisen traditionelle Begriffe sich anzueignen bzw. auf solche zu rekurrieren, um sie dann angepaßt für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Eine weitere als bedenklich einzustufende Tendenz ist die der ubiquitär anzutreffenden
Orientierungsverallgemeinerung, die mit einer Aufweichung der Begriffsgenauigkeit bis hin
zur hieraus resultierenden Fuzzylogik der Aussage einhergeht.
Thomas von Aquin ist als einer der größten und bedeutendsten Philosophen des Mittelalters
bekannt, dessen Tragweite bis zur Gegenwart reicht. Seine Meisterschaft gründet sich in der
Versöhnung und Synthese von Glauben und Wissen, Verstand und Vernunft und der hierauf
beruhenden Philosophiegebäuden von der Antike bis zu seinen Lebzeiten. Als einer der bedeutendsten Kirchenväter ist Thomas sehr stark den Grundsätzen christlicher Philosophie verpflichtet. Charakteristisch ist hier seine feste Überzeugung, daß sich die Vernunft zwar aus
sehr guten Gründen und Einsicht dem reflektierten Glauben unterordnet, jedoch um in seinem
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Dienst und in seiner Obhut sich voll entfalten zu können. Diese Entfaltung ist für beide sehr
fruchtbringend und ganz das Gegenteil vieler moderner Auffassungen, die Glauben und Vernunft als Widersacher sehen bzw. vermeinen, daß beide miteinander nicht vereinbar wären
und daß Glaube, wo auch immer er auftritt, durch wissenschaftlich geleitete Vernunft und
fundiertes Wissen abzulösen sei. In diesem Kontext wird viel zu wenig gesehen, daß die Philosophie des Mittelalters aber auch schon die der Antike aufweisen konnte, daß eine gelungene, dauerhafte Entfaltung der engen wechselseitigen Beziehungen von Glauben und Wissen
die Philosophie aber auch die anderen Wissenschaften zur Hochblüte zu führen vermag.
Das neue Ringen um tragfesten Boden
Im scharfen Gegensatz zur Antiken und mittelalterlichen Philosophie hat die Philosophie der
beginnenden Neuzeit den Zweifel an den Anfang der Philosophie gestellt und ihn sogar zu
ihrer philosophischen Grundhaltung erhoben, um jedoch, wie es Descartes vorgeführt hat mit
Hilfe seines methodischen Zweifels sicheren Boden zu gewinnen. Das große Anliegen wie
sich angesichts widriger Umstände so z.B. den Brüchen und Umbrüchen seit dem Ende des
Mittelalters dennoch sicherer und tragfester Boden gewinnen läßt bleibt auch in der Neuzeit,
trotz des großen Auftritts von Descartes virulent und führt immer wieder zur Auseinandersetzung zwischen der alten Transzendenzphilosophie und der später neu aufgekommenen Transzendentalphilosophie.
Transzendenz- und Transzendentalphilosophie als Begriffsverwirrung ohne Ende
Beide Begriffe geraten auch heutzutage sehr leicht durcheinander, wenn man z.B. vielleicht
weil es imposanter bzw. werbewirksamer klingt, aber sicherlich nicht streng im kantschen
Sinne und seinen Intentionen entsprechend von „transzendentaler Meditation“ redet, jedoch
eigentlich den transzendenten Charakter dieser Meditation zum Ausdruck bringen möchte.
Will man jedoch philosophischen Ansprüchen genügen, so ist Transzendenzphilosophie und
Transzendentalphilosophie eindeutig voneinander zu trennen, weil hier die Unterscheidung
fundamental und elementar wird; wichtig ist daher festzuhalten: Die Transzendenzphilosophie
berücksichtigt die metaphysische Tradition des Abendlandes, wohingegen der Idealismus und
die Transzendentalphilosophie Kants die alten Anliegen der Metaphysik, Ethik und Religion
kritisch, radikal und neu zu verstehen sucht.
Der Kulminationspunkt für seine vielfältigen Stellungnahmen zur Kontingenzthematik bildet
sein dritter Weg zur Gott. Im Sinne der Quintessenz und Vorgehensweise läßt sich allgemein
über diesen Beweis aussagen: Aus der Kontingenz im Ganzen schließt der Kontingenzbeweis
des Thomas auf das Dasein Gottes. Der Gottesbeweis resultiert letztendlich aus der Kausalität
bzw. der Unmöglichkeit eines regressus ad infinitum und der Verknüpfung mit der Kontingenz, denn für alles Sein bedarf es eines Grundes. Detaillierter betrachtet läßt sich nun im
Grundsatz zur Kontingenz sagen:
Gründe für das Scheitern der alten Metaphysik
Folgerichtig und formallogisch konsequent resultiert hieraus, daß alles Jahrhunderte währende
Bemühen der überlieferten Philosophie, auf dem Gebiet der Metaphysik Erkenntnisse zu gewinnen, grundsätzlich zum Scheitern verurteilt war und ist. Wie sieht aber dieses Scheitern
aus? Für Kant kann die Vernunft nicht beweisen, daß die Seele unsterblich, der Wille frei, und
Gott existent ist. Aber ebenso gut kann sie auch nicht das Gegenteil hiervon beweisen. Wieso
ist dem so? Bei diesen hier beispielhaft angeführten Fällen wird die Vernunft spekulativ und
kann daher weder ablehnend noch zustimmend Stellung beziehen; es bleibt aber als Ausweg
aus der unbefriedigenden Indifferenz die vorgegebenen Wege im Sinne des transzendentalen
bzw. formalen Idealismus zu beschreiten.
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Nichtsdestotrotz ist Metaphysik an sich auch in diesem Lichte weder irregeleitet noch überholt, sondern notwendig, denn sie möchte zum Bedingten das Unbedingte aufzeigen, was ein
legitimes Anliegen der Vernunft sein muß, aber aufgrund der Fragwürdigkeit der Metaphysik
gilt es ihren Schein zu durchschauen, wonach sie lediglich einen Schein der Wahrheit hervorbringt.
Gründe für das Scheitern der alten Metaphysik
Folgerichtig und formallogisch konsequent resultiert hieraus, daß alles Jahrhunderte währende
Bemühen der überlieferten Philosophie, auf dem Gebiet der Metaphysik Erkenntnisse zu gewinnen, grundsätzlich zum Scheitern verurteilt war und ist. Wie sieht aber dieses Scheitern
aus? Für Kant kann die Vernunft nicht beweisen, daß die Seele unsterblich, der Wille frei, und
Gott existent ist. Aber ebenso gut kann sie auch nicht das Gegenteil hiervon beweisen. Wieso
ist dem so? Bei diesen hier beispielhaft angeführten Fällen wird die Vernunft spekulativ und
kann daher weder ablehnend noch zustimmend Stellung beziehen; es bleibt aber als Ausweg
aus der unbefriedigenden Indifferenz die vorgegebenen Wege im Sinne des transzendentalen
bzw. formalen Idealismus zu beschreiten.
Nichtsdestotrotz ist Metaphysik an sich auch in diesem Lichte weder irregeleitet noch überholt, sondern notwendig, denn sie möchte zum Bedingten das Unbedingte aufzeigen, was ein
legitimes Anliegen der Vernunft sein muß, aber aufgrund der Fragwürdigkeit der Metaphysik
gilt es ihren Schein zu durchschauen, wonach sie lediglich einen Schein der Wahrheit hervorbringt.
Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, gehört es in die große Tradition der Metaphysik, Bedingtes und Unbedingtes aufzuzeigen und ins rechte Verhältnis zu setzen. Hier ist
es nicht die Mannigfaltigkeit des bisweilen verschachtelt kompliziert-komplex bedingten
Seins, mit dem sich auch die einzelwissenschaftliche Forschung befaßt, das jetzt vorrangig im
Mittelpunkt zu stehen hätte. Vom philosophischen Standpunkt betrachtet ist es vielmehr das
Unbedingte und sein Zustandekommen, welches in diesem Kontext das Hauptaugenmerk beanspruchen muß, zumal die Metaphysik, wie bereits festgestellt, im Interesse der Vernunft
gründet, zum Bedingten das Unbedingte aufzusuchen.
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