3.2 Das physikalische Pendel (Körperpendel)

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3 Pendelschwingungen
3.2 Das physikalische Pendel (Körperpendel)
Ein starrer Körper (Masse m, Schwerpunkt S, Massenträgheitsmoment J0) ist um
eine horizontale Achse durch 0 frei drehbar gelagert (Bild 3.2).
Das dynamische Grundgesetz für die Drehbewegung lautet
M = J0 ϕ .
Aus Bild 3.2 entnimmt man für das Rückstellmoment
M = – FG e sin ϕ .
Damit erhält man
– FG e sin ϕ = J0 ϕ .
Bild 3.2
Körperpendel
Bei Beschränkung auf kleine Schwingungen kann man diese Differentialgleichung wieder linearisieren, indem man sin ϕ = ϕ setzt. Mit FG = m g für die Gewichtkraft gilt
– m g e ϕ = J0 ϕ
oder
ϕ +
mge
ϕ = 0.
J0
(3.5)
(3.5) ist wieder von der gleichen Form wie (2.10), d. h. auch die kleinen Pendelschwingungen eines Körpers sind harmonische Schwingungen. Dabei ist
mge
= ω2 .
J0
3.2 Das physikalische Pendel (Körperpendel)
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Die Schwingungsdauer lautet damit
J0
.
mge
T = 2π
(3.6)
Unter der reduzierten Pendellänge eines Körperpendels versteht man die Länge
des Fadenpendels, das die gleiche Schwingungsdauer hat wie das betrachtete
Körperpendel
TFadenpendel = TKörperpendel .
Mit
l
J0
2π red = 2π
g
mge
erhält man
lred =
2
J + m e2
J0
J
= S
=e+ S =e+i .
me
me
me
e
(3.7)
Dabei wird der Steiner-Huygenssche Satz benützt und JS = m i2 eingeführt, wobei i der Trägheitsradius ist.
Das Massenträgheitsmoment eines Körpers kann durch einen Pendelversuch
bestimmt werden, bei dem die Schwingungsdauer gemessen wird. (3.6) nach J0
aufgelöst ergibt
J0 =
T 2m g e
.
4 π2
Die Umrechnung auf die Schwerachse erfolgt mit dem Satz von Steiner:
JS = J0 – m e2 .
Beispiel 3.1: Pendellänge für kleinste Schwingungsdauer
In welchem Abstand vom Schwerpunkt muss man einen Körper drehbar aufhängen, damit die Schwingungsdauer der Pendelschwingungen möglichst klein
wird?
Die Schwingungsdauer wird zum Minimum, wenn die reduzierte Pendellänge
des Körpers ein Minimum ist, d. h. aus (3.7) folgt
2
d lred
= 1 − i 2 = 0 ⇒ e = ± i.
de
e
Der Abstand des Aufhängepunkts vom Schwerpunkt muss gleich dem Trägheitsradius sein. Die Schwingungsdauer ist dann
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3 Pendelschwingungen
T = 2π
m i2 + m i2
2i
J0
.
= 2π
= 2π
mgi
mgi
g
Beispiel 3.2: Ausschwingen einer hängenden Last
Die Laufkatze eines Krans bewegt sich mit einer Geschwindigkeit υKatze =
4 m/min. Mit derselben Geschwindigkeit υKatze bewegt sich die senkrecht darunter an zwei Seilen hängende Last (Bild 3.3). Durch Anfahren an eine Endbegrenzung wird die Katze plötzlich zum Stillstand gebracht.
a) Wie groß ist die Schwingungsdauer der auftretenden Pendelschwingung der
Last? Anmerkung: Das geringe Auf- bzw. Abwickeln der beiden Hubseile an
den Seiltrommeln beim Ausschwingen kann vernachlässigt werden.
b) Wie weit schwingt die Last aus?
Bild 3.3
Pendelschwingung einer Last
a) Die Last führt beim Pendeln eine reine Translationsbewegung aus (Parallelpendel); das System ist also praktisch ein mathematisches Pendel. Die Pendellänge ist dabei l = 6 m. Das Maß e ist ohne Einfluss! Daher gilt
T = 2π l = 4,91 s .
g
b) Das Drehwinkel-Zeit-Gesetz lautet
ϕ (t) = C1 cos ω t + C2 sin ω t, ω = 2π = 1,28 s–1 .
T
Die Anfangsbedingungen sind
ϕ (0) = 0 ,
Es folgt
ϕ (0) =
υKatze
l
=
4 m ⋅ 1min
= 0,01111 .
min⋅ 6 m ⋅ 60 s
s
3.2 Das physikalische Pendel (Körperpendel)
ϕ (0) = C1 · 1 + C2 · 0 = 0
ϕ (0) = C2 · ω · 1 =
υKatze
l
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⇒ C1 = 0,
⇒ C2 =
υKatze
= 0,00869.
lω
Damit gilt ϕ = 0,00869 sin (1,28 s–1 t)
ϕmax = 0,00869 = 0,50°,
xmax = l sin ϕmax = 0,052 m.
Beispiel 3.3: Rollpendel
Der in Bild 3.4 gezeichnete Körper (Masse m, Schwerpunkt S, Massenträgheitsmoment JS bezogen auf die Achse durch S senkrecht zur Zeichenebene) kann auf
der horizontalen x-Achse abrollen.
Für die kleinen Rollschwingungen um die Gleichgewichtslage ermittle man die
Kreisfrequenz. Der Rollwiderstand ist zu vernachlässigen.
Bild 3.4
Rollpendel
Bild 3.5
Kräfte und Momente am frei
gemachten Körper
In Bild 3.5 ist das Freikörperbild des Körpers in einer ausgelenkten Lage einschließlich der d’Alembert’schen Trägheitskräfte gezeichnet. Die Rollbedingung
lautet
xA = r ϕ .
Für die Koordinaten des Schwerpunkts liest man ab
xS = r ϕ – e sin ϕ,
yS = r – e cos ϕ .
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3 Pendelschwingungen
Geschwindigkeit und Beschleunigung des Schwerpunkts erhält man daraus zu
yS = e sin ϕ ⋅ ϕ ,
xS = r ϕ – e cos ϕ ⋅ ϕ ,
xS = r ϕ + e sin ϕ
⋅ ϕ 2 –
e cos ϕ ⋅ ϕ ,
yS = e cos ϕ ⋅ ϕ 2 + e sin ϕ ⋅ ϕ .
In Bild 3.5 sind außer den äußeren Kräften auch die Trägheitskräfte und die Momente aus der Trägheitswirkung eingetragen. Nach d’Alembert muss die Summe
aller Momente, bezogen z. B. auf den Berührpunkt B, gleich null sein:
∑ M (B) = −m g e sin ϕ − Js ϕ − m ys e sin ϕ − m xs (r − e cos ϕ ) = 0 .
Werden die obigen Beziehungen für xs und ys eingesetzt, so erhält man
– m g e sin ϕ – Js ϕ – m (e cos ϕ ⋅ ϕ 2 + e sin ϕ ⋅ ϕ ) e sin ϕ
– m (r ϕ + e sin ϕ ⋅ ϕ 2 – e cos ϕ ⋅ ϕ )(r – e cos ϕ) = 0.
Beschränkt man sich auf kleine Schwingungen, so kann man sin ϕ = ϕ, cos ϕ = 1
setzen und die Glieder mit ϕ 2 ⋅ ϕ und ϕ 2 ϕ weglassen, da sie von höherer Ordnung klein gegenüber den linearen Anteilen sind. Man erhält dann
– m g e ϕ – Js ϕ – m ϕ (r – e)2 = 0
oder
ϕ +
mge
ϕ = 0.
Js + m (r − e)2
Dies ist wieder die harmonische Schwingungen beschreibende Differentialgleichung. Die Kreisfrequenz der Rollpendelschwingungen beträgt
ω=
mge
.
Js + m (r − e)2
Beispiel 3.4: Zykloidenpendel
Ein Massenpunkt bewegt sich reibungsfrei auf einem in vertikaler Ebene liep , der durch Abrollen eines Kreises mit dem Radigenden Zykloidenbogen OQ
us r auf der x-Achse entsteht (Bild 3.6). Man untersuche die Bewegung des
Massenpunktes.
In Bild 3.6 ist die Masse m in einer ausgelenkten Lage gezeichnet. Auf m wirken
die Gewichtskraft FG und von der Führung her die Normalkraft FN. Die Rückstellkraft beträgt
FG sin ψ = m g sin ψ.
Aus der Geometrie ist bekannt, dass der Zykloidenbogen OA die Evolute des zu
ihm kongruenten Zykloidenbogens AG ist: Die Normalen von p
AG sind gleich-
3.2 Das physikalische Pendel (Körperpendel)
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p . Außerdem gilt, dass die Länge s des Zykloidenbogens
zeitig Tangenten von OA
p (Auslenkung von m aus des statischen Gleichgewichtslage) übereinstimmt
PA
mit der Länge PD auf der Tangenten:
s =p
PA = PD = 2 PC .
OA = OG = 4r .
Daraus folgt für P → O insbesondere p
y
B = Momentanpol
0
Q
x
Ψ
S
m
r
P
FN Ψ
s=0
A
C
FG
Zykloide (Evolute)
D
r
Evolvente
G
E
Bild 3.6
Zykloidenpendel
In der beliebigen Lage P gilt
sin ψ =
PC
s
=
2r
4r
und damit ergibt sich für die Rückstellkraft m g s .
4r
Nach Newton gilt
g
– m g s = m at = m s ⇒ s+
s = 0.
4r
4r
Die Bewegung des Massenpunkts ist eine harmonische Schwingung mit der
Schwingungsdauer
T = 2π
4r
= 4π r .
g
g
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3 Pendelschwingungen
Die lineare Differentialgleichung gilt hier exakt, nicht nur als Näherung für kleine Auslenkungen wie bei der Bewegung auf einem Kreisbogen. Anders als etwa
beim mathematischen Pendel bleibt die Schwingungsdauer also auch für große
Auslenkungen immer gleich.
3.3 Aufgaben
Aufgabe 3.1: Eine homogene Kugel (Masse m, Radius r) ist in einer zylindrischen Führung (Radius R) gelagert (Bild 3.7). Für die kleinen Rollschwingungen
der Kugel um die statische Gleichgewichtslage ermittle man die Kreisfrequenz
(ohne Rollwiderstand, reines Rollen).
Bild 3.7
Rollpendel
Bild 3.8
Schiefes Körperpendel
Aufgabe 3.2: Bei dem in Bild 3.8 dargestellten Körperpendel ist die Drehachse
gegenüber der Horizontalen um den Winkel γ geneigt. JA ist das Massenträgheitsmoment bezogen auf die Drehachse. Wie groß ist die Schwingungsdauer für
die kleinen Pendelschwingungen?
Aufgabe 3.3: Ein homogener, vollzylindrischer Körper ist um die Achse A–A
frei drehbar gelagert (Bild 3.9). Die Drehachse liegt horizontal und berührt den
Grundkreis des Zylinders.
Man berechne die Eigenschwingungsdauer für die kleinen Schwingungen um die
statische Gleichgewichtslage.
d = 120 mm, h = 200 mm, ρ = 7,85
kg
.
dm3
3.3 Aufgaben
Bild 3.9
Pendelschwingungen eines
Zylinders
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Bild 3.10 Metronom
Aufgabe 3.4: Man ermittle die Schwingungsdauer eines Metronoms. Dieses besteht aus dem um 0 drehbaren Pendelkörper 1 (Masse m1, Schwerpunkt S1, Massenträgheitsmoment J01 bezogen auf die Achse durch 0). Auf dem Pendelkörper
sitzt das verschiebbare Zusatzgewicht der Masse m2, das als Massenpunkt betrachtet werden kann (Bild 3.10).
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