TIERGESUNDHEIT Die Leptospirose kehrt zurück! In letzter Zeit treten wieder häufiger Spätaborte durch Leptospirose auf. Wie man vorbeugen und behandeln kann erläutert Dr. Katrin StrutzbergMinder, Hannover.* S eit Mitte letzten Jahres klagen Ferkelerzeuger und Tierärzte wieder vermehrt über Fruchtbarkeitsprobleme in den Sauenbeständen. Auffällig ist ein deutlicher Anstieg der Spätaborte. Die Sauen rauschen häufiger um, werden selbst nach wiederholtem Belegen nicht tragend oder gebären kleine Würfe und lebensschwache Ferkel. Der erste Verdacht fällt dabei häufig auf PRRS oder Parvovirose. Aktuelle Untersuchungen des IVD-Labors (Gesellschaft für Innovative Veterinärdiagnostik) Hannover deuten jedoch darauf hin, dass möglicherweise auch die Zahl der Leptospiren-Infektionen wieder ansteigt. Denn von Januar 2003 bis Juni 2004 wurden von der IVD GmbH insgesamt 3 810 Schweineblutproben auf Leptospiren untersucht. Knapp die Hälfte (47 %) der Verdachtsproben reagierte dabei positiv. Äußerlich sieht man den Sauen oft nichts an Leptospiren-Infektionen verlaufen in der Regel unspektakulär. Abgesehen von gelegentlichen, oft unbemerkten Fieberphasen und vorübergehender Appetitlosigkeit ist den Tieren äußerlich oftmals nichts anzusehen. Wenige Wochen bzw. Tage vor der Geburt kann es dann jedoch zu Leptospirose-typischen Spätaborten kommen. *) Gesellschaft für Innovative Veterinärdiagnostik (IVD-GmbH). S 26 top agrar 3/2005 Sind Leptospiren-Infektionen der Grund für die zunehmende Zahl von Spätaborten in der Ferkelerzeugung? Fotos: Dorsch, Heil, Nienhoff Denn der Erreger setzt sich in den Nieren und im Genitaltrakt der Sauen fest und infiziert von hier aus die Feten. In den ersten acht Wochen der Trächtigkeit können sie die Infektion zwar noch unbeschadet überstehen. In der zweiten Trächtigkeitshälfte kommt es jedoch häufig zu einer Schädigung und zum Absterben der Früchte. Läufer und ausgewachsene Schweine zeigen im Verlauf einer Leptospirose dagegen wenig charakteristische Symptome. Meist verläuft die Ansteckung unauffällig. Die infizierten Tiere scheiden den Erreger aber in großen Mengen aus. Infektion über Einstreu und verdreckte Tröge Leptospiren sind Schraubenbakterien. Innerhalb der krank machenden Arten unterscheidet man insgesamt mehr als 200 Erregertypen, so genannte Serovare. In 41,3 % aller in Hannover untersuchten Blutproben (siehe Übersicht) ließ sich das Serovar Leptospira Bratislava nachweisen. Auf Rang zwei und drei folgen L. Copenhageni (11,5 %) und L. Australis (4,4 %). Das Serovar L. Pomona, das noch vor Jahren sehr verbreitet war, fand man dagegen nur in 1,2 % aller untersuchten Blutproben. Für die beiden Serovare Pomona und Bratislava gilt das Schwein als Hauptwirt. Mit anderen Worten: Es ist dadurch nicht nur hoch empfänglich für diese beiden Erregertypen. Es bleibt auch ein Leben lang infiziert, sofern die Erkrankung nicht behandelt wird. Die Tiere zeigen in der Regel nur milde oder gar keine klinischen Symptome. Sie scheiden den Erreger aber massenhaft aus. Für andere Serovare gelten Wanderratten und Mäuse als Haupt- und Schweine, Rinder sowie Hunde als Nebenwirte. Die Schweine scheiden diese Erreger zwar nicht so intensiv aus. Sie können sich aber direkt oder indirekt bei den S C H W E I N Übersicht: Die zehn häufigsten Leptospiren-Serovare* Sevovar Bratislava Copenhageni Australis Pomona Icterohaemorrhagiae Grippotyphosa Canicola Saxkoebing Tarassovi Hardjo positive Seren (Titer 1:100) Anzahl % 1 573 41,3 437 11,5 166 4,4 46 1,2 34 0,9 21 0,6 12 0,3 11 0,3 8 0,2 5 0,1 *) bei 3 810 vom IVD untersuchten Seren Hauptwirten anstecken. In erster Linie scheint die Infektion über den Zukauf von infizierten Läufern, Sauen und Ebern zu erfolgen. Wobei ältere Sauen vermutlich nicht so empfänglich sind wie jüngere. Die Leptospiren werden in erster Linie über den Harn ausgeschieden, aber auch über Sperma und Fruchtwasser. Sauen und Eber infizieren sich durch Kontakt der Schleimhäute, z. B. beim Deckakt oder über Hautwunden. Außerdem stellen verseuchte Pfützen, Suhlen, feuchte Einstreu, und verdreck- Tiefstreu sowie Ausläufe mit Pfützen und Suhlen stellen ideale ErregerReservoire für Leptospiren dar. In knapp der Hälfte aller im IVD-Labor untersuchten Blutproben wurde der Erreger-Subtyp Leptospira Bratislava nachgewiesen, der meist nur schwache Symptome hervorruft. te Tränken und Tröge eine ständige Infektionsquelle dar. Denkbar ist deshalb, dass die zunehmende Verbreitung von eingestreuten Gruppenhaltungsverfahren für tragende Sauen und mangelnde Troghygiene die Ursache dafür sind, dass die Leptospirose in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat. Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass sich die Aufmerksamkeit in letzter Zeit auf andere, die Fruchtbarkeit schädigende Infektionen konzentrierte wie z. B. die PRRS – zumal die Leptospirose klinisch oftmals nicht erkennbar ist. Indirekter Nachweis über Antikörper Bevor mit der Behandlung begonnen werden kann, muss mit dem betreuenden Tierarzt auf jeden Fall eine sorgfältige Diagnostik durchgeführt werden. Der direkte Erregernachweis ist allerdings schwierig. Denn das Anzüchten des Bakteriums dauert mindestens sieben bis zehn Tage, mitunter sogar bis zu vier Monate. Und das PCR-Verfahren (Polymerase-Ketten-Reaktion) wird bislang in der Praxis kaum angewendet. Am häufigsten kommt der indirekte Nachweis zum Einsatz, der Antikörpernachweis mit Hilfe des so genannten Mikroagglutinationstests (MAT). Dieser Test ist einfach, schnell und in der Regel hoch spezifisch. Nach einer internationalen Übereinkunft gelten Antikörpertiter ab 1:100 als positiv. Wobei allerdings gerade Infektionen mit L. Bratislava oft nur eine schwache serologische Reaktion auslösen. Von deutlichen Fruchtbarkeitsstörungen wie Umrauschen, „Leerbleiben“, Aborten und lebensschwachen Ferkeln wird aber zumeist erst bei deutlich höheren Titern berichtet. Ein weiteres Problem: Die MAT-Ergebnisse können leicht fehlinterpretiert werden. Denn aufgrund antigenetischer Gemeinsamkeiten verschiedener Erreger-Subtypen kann es zu Kreuzreaktionen kommen. Die Titer mit kreuzreagie- top agrar 3/2005 S 27 TIERGESUNDHEIT Auch über verschmutzte Tränken können Leptospiren verbreitet werden. Deshalb sollten Tränkeschalen täglich gereinigt werden. renden Serovaren sind dadurch mitunter höher als die des eigentlichen Verursachers. Um den wahren Übeltäter herauszufinden, sind eventuell Verlaufsuntersuchungen von Blutproben erforderlich. Um den Infektionsstatus einer Herde zu bestimmen, sollten von mindestens 10 Tieren Blutproben gezogen und auf Antikörper untersucht werden. Sind klinische Symptome vorhanden, zieht man die Proben am besten von erkrankten Schweinen oder von Kontakttieren. Bei Bedarf können zusätzlich Harnproben oder besser noch Organ-, Gewebe- bzw. Tupferproben aus dem Urogenitaltrakt mit Hilfe des PCR-Verfahrens auf Leptospiren untersucht werden. Allerdings werden die Leptospiren nur zeitweilig ausgeschieden. Tetracyclin-Behandlung über das Futter Die Sanierung von Problembeständen ist nicht einfach, weil sich der Erreger ins Gewebe „verkriechen“ und somit der Bekämpfung entziehen kann. Eine einmalige antibiotische Behandlung über einen Zeitraum von drei Wochen reicht in den meisten Fällen nicht aus, auch nicht bei höherer Dosierung! Häufig kommt es nach etwa sechs Monaten zu Rückfällen. Basierend auf umfangreichen englischen Erfahrungen hat sich folgende Behandlungsempfehlung herauskristalisiert, die aber unbedingt mit dem Hoftierarzt auf den eigenen Bestand abgestimmt werden sollte: ■ Die Sauen werden drei Wochen lang mit einem Medizinalfutter gefüttert, dem pro Tonne Futter 800 g Tetracyclin zugemischt werden. Nach sechswöchiger Pause erfolgt dann nochmals eine dreiwöchige Verabreichung. Dieser Behandlungszyklus sollte vier Mal wiederholt werden. ■ Alternativ kann nach der dreiwöchi- S 28 top agrar 3/2005 gen Auftaktbehandlung mit 800 g Tetracyclin/Tonne Futter für weitere acht Wochen eine Medizinalmischung eingesetzt werden, der 400 g Tetracyclin/Tonne Futter zugesetzt wurden. Auch diese Therapie sollte vier Mal wiederholt werden. ■ Bei regelmäßig wiederkehrenden Fruchtbarkeitsproblemen ist diese Futtermedikation auch kurz vor dem Auftreten der Erkrankung möglich. Den säugenden Sauen kann in Absprache mit dem Tierarzt zusätzlich Streptomycin injiziert werden (25 mg/kg Körpermasse). Eber werden mit gleicher Dosierung alle sechs Wochen behandelt. Alternativ können auch halbsynthetische Penicilline wie z. B. Ampicillin oder Amoxycillin eingesetzt werden. ■ Darüber hinaus kann den Sauen 6 bis 18 Stunden nach dem Belegen als Nachbehandlung mit einem Katheter ein Antibiotikum (Ampicillin, Amoxycillin oder Penicillin/Dihydrostreptomycin) in die Scheide verabreicht werden. Bei hohem Reinfektions-Risiko (Freilandhaltung) ist unter Umständen auch die Behandlung von tragenden Sauen sinnvoll. Schadnager konsequent bekämpfen! Ziel der Leptospirose-Bekämpfung ist die Sanierung des Bestandes. Zusätzlich zur antibiotischen Behandlung aller Zuchttiere kommt es deshalb darauf an, seropositive Tiere zu isolieren, und die Einschleppungsgefahr für neue Erreger zu minimieren. Neben der serologischen Überwachung zugekaufter Jungsauen und Eber sollte viel Wert auf eine sorgfältige Schadnagerkämpfung gelegt werden. Denn Ratten und Mäuse können den Erreger in den Bestand hineintragen und hier weiter verbreiten. Wurden Leptospirose-Ausscheider im S C H W E I N Bestand nachgewiesen, dürfen die Tiere keinen Zugang zu feuchten und sumpfigen Bereichen innerhalb und außerhalb des Stalles bekommen. Erhalten die Sauen während der Trächtigkeit Weideauslauf mit Suhlmöglichkeit, muss die Suhle umgehend für längere Zeit gesperrt werden. Konsequenter ist es, den Weideauslauf für einige Zeit ganz zu unterbinden. Auch Tiefstreu im Stall ist problematisch. Ideal ist, wenn die Tiere möglichst wenig mit ihrem Kot und Urin in Berührung kommen. Zudem müssen Tröge und Tränkeschalen regelmäßig kontrolliert und täglich von „Bodensatz“ befreit werden. Im Zweifelsfall sollte man Tränkeschalen durch Nippel ersetzen, die dann aber auch nicht tröpfeln dürfen! Eine besonders wichtige Rolle spielt bei der Leptospirose die Reinigung und Desinfektion. Die Abteile sollten im Rein-Raus belegt, sorgfältig gereinigt und hinterher mit einem DVG-geprüften Desinfektionsmittel desinfiziert werden. Und ganz wichtig: Bei der Reinigung und Desinfektion dürfen auch Treibewege, Waage und Transportfahrzeuge nicht vergessen werden! Wir fassen zusammen G ehäuft auftretende Aborte oder ein plötzlicher Anstieg der Umrauschquote können auch auf eine Infektion mit Leptospiren hinweisen. Fakt ist, dass in der Praxis seit einiger Zeit wieder ein Anstieg der Leptospirosefälle zu beobachten ist. Möglicherweise liegt dies auch daran, dass bei der Gruppenhaltung von Sauen häufig mit Tiefstreusystemen gearbeitet wird. Denn feuchte Einstreu stellt ein ideales ErregerReservoir dar. Der Leptospiren-Nachweis erfolgt in der Regel über eine Antikörperbestimmung mit Hilfe des MAT-Tests. Bei der Sanierung können die Sauen über einen längeren Zeitraum über das Futter antibiotisch versorgt werden. Säugende Sauen und Eber können zusätzlich per Injektion behandelt werden. Um die Einschleppung und weitere Verbreitung des Erregers im Bestand zu vermeiden, sollten Zukauftiere blutserologisch überwacht und Träger des Erregers isoliert gehalten werden. Wichtig ist zudem, dass den infizierten Tieren der Zugang zu Suhlen und Tiefstreu für längere Zeit versagt wird, Ställe, Treibewege und Transportfahrzeuge sorgfältig gereinigt bzw. desinfiziert werden und eine regelmäßige Schadnager- und Fliegenbekämpfung erfolgt.