Predigt von Pastorin Dr. Katrin Gelder im Kantatengottesdienst am Ostermontag 2009 in der Stadtkirche zu Preetz - Joh. Seb. Bach: „Christ lag in Todesbanden“ Nichts – bei diesem Wort bleibt die Musik f•r einen Augenblick stehen. Es ist, als ob da etwas abgeschnitten w•rde, beendet. Und dann kommt ein prompter Neuanfang. Im dritten Vers der Kantate singt der Solist in klarem Tenorklang: „Da bleibet nichts - denn Todsgestalt, den Stachel hat er verloren.“ Da bleibt nichts •brig von der letzten Macht des Todes, die alles in sich verschlingt. Das ist gemeint. Mit der Auferweckung Jesu von den Toten hat Gott den Tod in seine Schranken gewiesen. Hinauskreuzigen aus dieser Welt – das k„nnen die Menschen in ihrer Bosheit und Gewaltmentalit…t mit Jesus machen – aber Gott hinauszuhalten aus dieser Welt, das gelingt ihnen nicht. Da ist Gott selber davor. Seine Macht ist st…rker als die zerst„rerischen Kr…fte menschlichen Tuns. Anders als alle menschliche Realit…t ist Gottes Liebe frei von Zerst„rungswut und bar zerst„rerischer Agressivit…ten. Freilich ist diese Gr„†e Gottes alles andere als selbstverst…ndlich. Gott selbst muss sie sich immer wieder erringen im Kampf mit den Menschen, die Bibel ist voll von Geschichten, die davon erz…hlen. Das ist gemeint, wenn das Quartett der Solistinnen und Solisten singt: „Es war ein wunderlicher Krieg, da Tod und Leben rungen. Das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen.“ In Gott selbst gewinnt die Zuwendung zu den Menschen immer neu die Oberhand, er l…sst sich von ihrem Widerstand er-schrecken, aber nicht ver-schrecken. Anders als wir Menschen bleibt er souver…n, l…sst sich nicht zum Re-agieren n„tigen, sondern bestimmt sein Handeln selber. Die Auferweckung des gekreuzigten Jesus von den Toten den Menschen zugute ist die Antwort Gottes darauf, dass die Menschen ihn nicht dabei haben wollen, dass sie Jesu aufr•ttelnde Botschaft nicht h„ren und nicht wahrhaben wollen. Das Osterfest, liebe Gemeinde, ist mit seinen Hallelujarufen der bem•hte Versuch der Christinnen und Christen, sich dieser g„ttlichen Wahrheit anzun…hern. Ich sage: bem•ht, denn es gilt ja: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Diese Bitte, die aus der Bibel selber stammt, diesen Gebetsruf „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben“ hat der gro†e Theologe und Reformator Martin Luther sich ein Leben lang zueigen gemacht. Davon zeugt auch der von Luther im Jahr 1524 gedichtete Text des Osterliedes, das der Bachkantate „Christ lag in Todesbanden“ zugrunde liegt. Der Text dieses Liedes spricht ganz realistisch von der S•nde, die zu allem menschlichen Leben dazugeh„rt. Und was ist die S•nde anderes als die abgrundtiefe Trennung des Menschen von Gottes Liebe, von seinem Willen und seinen Geboten! Eine Trennung, die den Tod bringt – den Tod aufrichtiger Beziehungen zwischen Mensch und Mensch, den Tod der Liebe, mit der M…nner und Frauen, Jungen und Alte sich selbst annehmen k„nnen und aus der heraus sie frei w•rden f•r die Zuwendung zu anderen, frei f•r echtes Miteinander und f•r eine Gemeinschaft, die diesen Namen verdient. Die Choralmelodie des Liedes „Christ lag in Todesbanden“, die ebenfalls im Jahre 1524 aus der Feder von Martin Luther geflossen ist, nimmt diese N•chternheit auf. Das Hallelluja – auf deutsch: Lobet den Herrn -, in das alle sieben Strophen einm•nden, ist nicht so jubilierend, wie wir es aus anderen Liedern kennen. Es ist eben Jubel im Angesicht der schlimmsten menschlichen Abgr•nde. Der Jubel •ber den Auferstandenen, der die N…gelmale bleibend an sich tr…gt. Der Jubel •ber die Wirklichkeit neuen Lebens, das in dieser Welt nie frei ist von Verwundungen und Verletzungen und ihren Folgen und Wegmarken. Nie frei von einem lieben Menschen und der damit verbundenen Trauer. Nie frei von dem Knacks, der das Leben der Menschen durchzieht, so wie Roger Willemsen es in einem neuen Buch ausdr•ckt. Kunst, Literatur und Musik machen sich gerade in unserer Zeit so wie damals daran, dieser Wirklichkeit des Menschen Ausdruck zu verleihen. Die Kantate von Johann Sebastian Bach, die Chor, Solisten und Instrumentalisten uns eben so eindrucksvoll zu Geh„r gebracht haben, spricht die gleiche Sprache wie das Osterlied Martin Luthers. Es ist eine musikalische Sprache, die um die Nuancen wei† und um unterschiedlichste Klangfarben und die dazu einl…dt, sich nicht selbst zu bel•gen, die Trauer und den Schmerz, der in uns ist, nicht zu leugnen, sondern ihm Raum zu geben. In der Gewissheit, dass der gekreuzigte Jesus von Gott als stellvertretendes Opfer angenommen wird. In dem Zutrauen, dass an ihm die Wirkmacht letzter Zerst„rung zum Austrag kommen soll. Im Glauben an einen Gott, der uns Menschen auf unausl„schliche Weise vor Augen f•hrt, was menschliche Bosheit vermag, mit einem poetischen Wort gesagt: Herzensh…rtigkeit. Diese Herzensh…rtigkeit, die zu Doppelmoral und Verlogenheit f•hrt, zu Leistungsverweigerung und Bequemlichkeit, zu einem Egoismus eben, der sich selbst und das eigene Ansehen, das eigene Wohlergehen •ber alles stellt – auch •ber Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit. Die jungen L…mmer, liebe Gemeinde, die wir in diesen Tagen auf den Wiesen und Weiden wieder sehen k„nnen, zeugen in ihrer Staksigkeit und Unbeholfenheit von der unverf…lschten und vertrauensseligen Lebensfreude Neugeborener. Doch Tier und Mensch m•ssen die Erfahrung machen, dass Bedrohung und M•he zum Leben geh„ren und dass •berall Gefahren lauern, manchmal hinter dem n…chsten Busch oder um die Ecke herum. In der biblischen Tradition wird das Lamm an verschiedenen Stellen zum Sinnbild Jesu. Er wird als Opferlamm bezeichnet. Damit wird die Tradition des Opferlammes beim Passafest aufgenommen, dessen Blut in Erinnerung an die Befreiung des Volkes Israel aus ‡gypten an die H…userpfosten gestrichen wurde. Im 2. Buch Mose im 12. Kapitel wird uns davon erz…hlt, und in der 5. Strophe der Kantate und des ihr zugrundeliegenden Osterliedes wird das aufgenommen und Jesus als das rechte Osterlamm besungen. Durch die Kirchengeschichte hindurch, liebe Gemeinde, und ebenso in unserer Zeit, gibt es auch Kritik an diesem Bild des Osterlammes und des Opfertodes Jesu. F•r mich ist es ein, wenn nicht das zentrale Bild unserer Bibel f•r das, was Gott an uns tut. In der Gegenwart wird die grundlegende Bedeutung des stellvertretenden Opfertodes beispielsweise auch von dem Philosophen Reneˆ Girard hervorgehoben. Und Sofia Gubaidulina, deren Offertorium am Palmsonntag aufgef•hrt und •ber NDR Kultur •bertragen worden ist, greift ebenfalls das Thema des Opfers auf und setzt es in musikalische Sprache um. Voll der Bilder ist der Text des Osterliedes, das Johann Sebastian Bach in seiner Kantate aufgreift, auch •ber das Bild vom Osterlamm hinaus. Neben dem Osterlamm ist hier gedichtet und vertont, „dass ein Tod den andern fra†“ - das meint: Jesu Sterben am Kreuz hat allen Toden, die Menschen sterben m•ssen, die letzte Macht genommen. In der siebten und letzten Strophe, die uns der Chor soeben zugesungen hat, taucht im Kantatentext das Bild von „rechten Osterfladen“ auf, der den alten Sauerteig abl„se. Da hei†t es: „Wir essen und leben wohl im rechten Osterfladen“. Martin Luther spricht in seinem Liedtext an dieser Stelle vom „s•†en Brot“. Hier hat der Chor uns den tiefsten Grund „sterlicher Freude zugerufen – dass der Opfertod Jesu Menschen immer wieder neu dazu befreit, die Trennung zwischen ihnen und Gott zu •berspringen wie ein junges L…mmlein. Weil Gott mit der Auferweckung des Gekreuzigten von den Toten allen M…chten der Zerst„rung und des Todes die Stirn geboten und ihnen die letzte Macht genommen hat. In diesem wie in jenem Leben. Lassen Sie uns in diese Zuversicht einstimmen, indem wir miteinander die letzten vier Strophen des Osterliedes singen, das der Bachkantate „Christ lag in Todesbanden“ zugrunde liegt. Amen