Spezielle Funktionen - Universität Würzburg

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Kapitel 5
Spezielle Funktionen
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
5.1
Exponentialfunktion
Natürlicher Logarithmus und allgemeine Potenz
Sinus und Cosinus
Trigonometrische Umkehrfunktionen
Polarkoordinaten
Der Fundamentalsatz der Algebra
Exponentialfunktion
Im Folgenden bezeichnet K wieder den Körper R der reellen oder den Körper C der komplexen Zahlen. Die Exponentialfunktion exp : K → K ist dann definiert durch die Potenzreihe
exp(z) :=
∞
X
zk
k=0
k!
=1+z+
z2 z3
+
+ ...,
2!
3!
die wegen Beispiel 3.38 für alle z ∈ K absolut konvergiert. Für K = R spricht man von der
reellen Exponentialfunktion, für K = C von der komplexen Exponentialfunktion.
Eine ganz wichtige Eigenschaft der Exponentialfunktion ist das folgende Additionstheorem.
Satz 5.1 ( Additionstheorem der Exponentialfunktion )
Es gilt exp(z) · exp(w) = exp(z + w) für alle z, w ∈ K.
Beweis: Wir wenden den Satz 3.40 über das Produkt zweier absolut konvergenter Reihen
an, und zwar auf die beiden absolut konvergenten Reihen
exp(z) =
∞
X
zk
k=0
k!
und
exp(w) =
∞
X
wk
k=0
141
k!
.
142
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
Dazu multiplizieren wir beide Reihen im Sinne des Cauchy–Produktes aus (3.9). Unter
Verwendung des binomischen Lehrsatzes 1.9 ist zunächst
n
n X
z n−k
1
wk
1 X n n−k k
cn :=
z w = (z + w)n ∀n ∈ N0 .
·
=
(n − k)! k!
n! k=0 k
n!
k=0
Gemeinsam mit der Definition des Cauchy–Produktes folgt hieraus bereits exp(z + w) =
exp(z) · exp(w).
2
Aufgrund des Additionstheorems 5.1 gilt beispielsweise
exp(z) · exp(−z) = exp(z − z) = exp(0) = 1 ∀z ∈ K
und daher
exp(z) 6= 0 und
exp(−z) =
1
exp(z)
∀z ∈ K.
(5.1)
Wir beweisen als Nächstes die Stetigkeit der Exponentialfunktion.
Satz 5.2 ( Stetigkeit der Exponentialfunktion )
Die Exponentialfunktion exp : K → K ist stetig auf ganz K.
Beweis: Wir zeigen zunächst, dass die Ungleichung
exp(z) − 1 ≤ 2|z| für alle z ∈ K mit |z| ≤ 1
(5.2)
gilt. Sei dazu z ∈ K mit |z| ≤ 1 beliebig gegeben. Aus der Definition der Exponentialfunktion folgt dann
z2 z3
exp(z) − 1 = z +
+
+ ...
2!
3!
und daher
∞
X
|z|k
exp(z) − 1 ≤
k!
k=1
|z| |z|2
|z|k
= |z| 1 +
+
+ ...+
+ ...
2!
3!
(k + 1)!
1
1
1
≤ |z| 1 + + + . . . +
+ ...
2! 3!
(k + 1)!
!
2
k
1
1
1
+ ...+
+ ...
≤ |z| 1 + +
2
2
2
∞ k
X
1
= |z|
2
k=0
= 2|z|
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5.1. EXPONENTIALFUNKTION
143
aufgrund der Konvergenz der geometrischen Reihe.
Sei nun z ∈ K ein beliebiger Punkt und {zn } ⊆ K eine gegen z konvergente Folge. Dann
ist |zn − z| ≤ 1 für alle n ∈ N hinreichend groß. Aus diesem Grunde erhalten wir aus (5.2)
exp(zn − z) − 1 ≤ 2|zn − z| → 0 für alle n → ∞.
Das Additionstheorem impliziert somit
lim exp(zn ) = lim exp(z) · exp(zn − z) = exp(z),
n→∞
n→∞
was die Stetigkeit der Exponentialfunktion beweist.
2
Zur Motivation einer gebräuchlichen Schreibweise benötigen wir das folgende Resultat.
Lemma 5.3 Für jede rationale Zahl r ∈ Q gilt exp(r) = er , wobei e := exp(1) die Eulersche Zahl bezeichnet, vergleiche Beispiel 3.38 (a).
Beweis: Für r = n ∈ N0 gilt aufgrund des Additionstheorems zunächst
exp(n) = exp(n · 1) = (exp(1))n = en .
Für r =
Für r =
1
n
m
n
mit n ∈ N enthält man auf analoge Weise:
n
1
1
= exp(1) = e
= exp n ·
exp
n
n
=⇒
1
1
exp
= en .
n
mit m, n ∈ N folgt hieraus
m
m
m
1
1
exp
= exp m ·
= exp
= en.
n
n
n
Für r = − m
mit m, n ∈ N ergibt sich deshalb
n
m m −1
m
m −1
= e− n
exp −
= exp
= en
n
n
unter Verwendung der Formel (5.1).
2
Das Lemma 5.3 motiviert die übliche Schreibweise
ez := exp(z) ∀z ∈ K
für die Exponentialfunktion. Das Additionstheorem lautet dann
ez+w = ez ew
∀z, w ∈ K
und wird somit zu einer einfachen Potenzrechenregel.
In dem verbleibenden Teil dieses Abschnitts untersuchen wir einige weitere Eigenschaften der reellen Exponentialfunktion.
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144
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
Satz 5.4 ( Eigenschaften der reellen Exponentialfunktion )
(a) Für alle x ∈ R ist ex reell und positiv.
(b) Die Abbildung exp : R → R ist streng monoton wachsend.
(c) Die Abbildung exp : R → (0, +∞) ist bijektiv.
Beweis: (a) Aus der Definition der Exponentialfunktion folgt sofort exp(x) ∈ R für alle
x ∈ R. Ferner wissen wir bereits, dass exp(x) 6= 0 für alle x ∈ R gilt, vergleiche (5.1). Unter
Verwendung des Additionstheorems folgt dann
x x x 2
exp(x) = exp
= exp
+
>0
2 2
2
und damit die Aussage (a).
(b) Wegen
h2
+ . . . > 1 für alle h > 0
2!
folgt unter Verwendung von Teil (a) unmittelbar
eh = 1 + h +
ex+h − ex = ex (eh − 1) > 0 für alle h > 0.
Also die Abbildung x 7→ exp(x) streng monoton wachsend.
(c) Wegen Teil (b) und Satz 2.9 ist die Abbildung exp : R → R+ zumindest injektiv. Wir
haben nur noch zu zeigen, dass es zu jedem y > 0 mindestens ein x ∈ R mit ex = y gibt.
Dabei verwenden wir die bereits im Satz 5.2 bewiesene Stetigkeit der Exponentialfunktion,
die uns insbesondere die Anwendung des Zwischenwertsatzes 4.29 erlaubt.
Wegen exp(x) ≥ x + 1 für alle x ≥ 0 aufgrund der Reihendarstellung der Exponentialfunktion ist exp(x) → ∞ für x → ∞. Mit (5.1) folgt hieraus wiederum exp(x) → 0 für
x → −∞. Wegen der Stetigkeit der Exponentialfunktion ergibt sich die Behauptung daher
aus dem Zwischenwertsatz.
2
Das Wachstum der reellen Exponentialfunktion für x → +∞ und x → −∞ wird in dem
folgenden Resultat untersucht.
Satz 5.5 ( Wachstumsverhalten der reellen Exponentialfunktion )
Betrachte die reelle Exponentialfunktion exp : R → R. Dann gelten
ex
= +∞
x→+∞ xn
lim
und
lim xn ex = 0
x→−∞
für jede (noch so große) natürliche Zahl n ∈ N0 .
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5.1. EXPONENTIALFUNKTION
145
Beweis: Aus der Definition der Exponentialfunktion folgt sofort
ex >
xn+1
(n + 1)!
für alle x > 0, also
xn
(n + 1)!
<
.
x
e
x
Da n ∈ N0 fest ist, folgt hieraus unter Verwendung des Sandwich–Theorems 3.9 sofort
0<
xn
→ 0 für x → +∞.
ex
Durch Bildung des Kehrwertes folgt hieraus die erste Behauptung. Die zweite Behauptung
1
. Damit ergibt sich
lässt sich auf die erste Aussage zurückführen: Wegen (5.1) ist ex = e−x
dann
ξn
ξn
xn ξ:=−x
lim xn ex = lim −x = lim (−1)n ξ = (−1)n lim ξ = 0,
x→−∞
x→−∞ e
ξ→+∞
ξ→+∞ e
e
also gerade die zweite Behauptung.
2
Der Satz 5.5 lässt sich geometrisch (etwas lax) wie folgt formulieren: Die Exponentialfunktion geht für x → +∞ schneller gegen unendlich als jede noch so große Potenz xn .
Außerdem geht ex für x → −∞ schneller gegen Null als jede Potenz xn gegen (plus oder
minus) unendlich divergiert.
Den Graphen der reellen Exponentialfunktion findet der Leser in der Abbildung 5.1
dargestellt. Bereits ab x = −4 lässt sich der Graph kaum noch von der x-Achse unterscheiden (zumindest nicht in der gewählten Auflösung), während er für x > 2 noch sehr viel
steiler ansteigen würde.
7
6
5
4
3
2
1
-4
-3
-2
-1
1
2
Abbildung 5.1: Der Graph der (reellen) Exponentialfunktion für x ∈ [−4, 2].
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146
5.2
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
Natürlicher Logarithmus und allgemeine Potenz
Wegen Satz 5.4 ist die reelle Exponentialfunktion exp : R → (0, +∞) bijektiv und streng
monoton wachsend. Nach Satz 2.10 besitzt diese daher eine ebenfalls streng monotone
wachsende Umkehrfunktion
ln : (0, +∞) → R,
die als natürlicher Logarithmus bezeichnet wird. Definitionsgemäß gelten somit
ln(exp(x)) = x für alle x ∈ R und
exp(ln(x)) = x für alle x ∈ (0, +∞).
Aus dem Additionstheorem der Exponentialfunktion ergibt sich sofort die entsprechende
Funktionalgleichung für den natürlichen Logarithmus.
Satz 5.6 ( Additionstheorem des natürlichen Logarithmus )
Für alle x, y ∈ R++ := (0, ∞) gilt ln(xy) = ln(x) + ln(y).
Beweis: Aus dem Additionstheorem der Exponentialfunktion folgt
exp ln(xy) = xy = exp ln(x) exp ln(y) = exp ln(x) + ln(y)
für alle x, y ∈ R++ . Wendet man daher auf beiden Seiten den natürlichen Logarithmus an,
so folgt die Behauptung.
2
Einige weitere Eigenschaften des natürlichen Logarithmus sind in dem nachstehenden Resultat zusammengefasst.
Satz 5.7 ( Eigenschaften des natürlichen Logarithmus )
Der natürliche Logarithmus ln : R++ → R ist eine stetige und streng monoton wachsende
Funktion mit
lim ln x = +∞ und lim ln x = −∞.
x→+∞
x→0+
Beweis: Der natürliche Logarithmus ist als Umkehrfunktion der streng monoton wachsenden Exponentialfunktion aufgrund des Satzes 2.10 selbst streng monoton wachsend. Die
Stetigkeit der Exponentialfunktion (siehe Satz 5.2) liefert im Hinblick auf den Satz 4.52
dann auch die Stetigkeit des natürlichen Logarithmus.
Die beiden (uneigentlichen) Grenzwerte ergeben sich wie folgt: Sei K ∈ R beliebig
vorgegeben. Da ln streng monoton wächst, gilt ln(x) > K für alle x > exp(K). Also ist
limn→+∞ ln(x) = +∞. Daraus folgt auch der zweite Grenzwert wegen
1
= lim ln(1) − ln(y) = − lim ln(y) = −∞,
lim ln(x) = lim ln
y→∞ | {z }
x→0+
y→∞
y→∞
y
=0
wobei wir das Additionstheorem des natürlichen Logarithmus verwendet haben.
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2
5.2. NATÜRLICHER LOGARITHMUS UND ALLGEMEINE POTENZ
147
Die Abbildung 5.2 zeigt den Graphen des natürlichen Logarithmus in Intervall (0, 5]. Für
x → +∞ wächst der natürliche Logarithmus nur sehr langsam, bleibt wegen Satz 5.7 aber
nicht beschränkt.
1
1
2
3
4
5
-1
-2
Abbildung 5.2: Der Graph des natürlichen Logarithmus für x ∈ (0, 5].
Wir wollen mittels der Exponentialfunktion und des natürlichen Logarithmus die bisherige Definition einer Potenz nun verallgemeinern. Dazu sei daran erinnert, dass wir für
eine natürliche Zahl n ∈ N und ein gegebenes a ∈ R bislang die Potenz an definiert haben
durch
an := a
| · a ·{z. . . · a} .
n−mal
p
q
Für eine rationale Zahl r ∈ Q, etwa r = mit p, q ∈ N (eventuell mit negativem Vorzeichen), und beliebiges a > 0 ist die Potenz an entsprechend definiert durch
p
ar := a q :=
√
q
ap .
Wir wollen diese Definition nun sinnvoll erweitern auf den Fall ax für a > 0 und beliebiges
x ∈ R. Zu diesem Zweck führen wir den nachstehenden Begriff ein.
Definition 5.8 Sei a > 0 beliebig gegeben. Dann wird die Abbildung
expa : R → R, expa (x) := exp x ln(a)
als Exponentialfunktion zur Basis a bezeichnet.
Für a = e = exp(1) stimmt die Exponentialfunktion zur Basis a offenbar mit der üblichen
Exponentialfunktion überein. Einige Eigenschaften der Exponentialfunktion zur Basis a
sind in dem nachstehenden Resultat zusammengefasst.
Satz 5.9 ( Eigenschaften der Exponentialfunktion zur Basis a )
Die Funktion expa : R → R hat die folgenden Eigenschaften:
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148
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
(a) Sie ist stetig auf ganz R.
(b) Es gilt das Additionstheorem expa (x + y) = expa (x) expa (y) für alle x, y ∈ R.
(c) Es ist expa (n) = an für alle n ∈ Z.
√
(d) Es ist expa ( pq ) = q ap für alle p ∈ Z und alle q ∈ N.
Beweis: (a) Die Exponentialfunktion zur Basis a ist als Komposition der beiden als stetig
bekannten Abbildungen x 7→ x ln(a) und y 7→ exp(y) selbst stetig, vergleiche den Satz 4.28.
(b) Diese Aussage ergibt sich unmittelbar aus dem Additionstheorem der Exponentialfunktion:
expa (x + y) = exp (x + y) ln(a)
= exp x ln(a) + y ln(a)
= exp x ln(a) exp y ln(a)
= expa (x) expa (y)
für alle x, y ∈ R.
(c) Wegen exp(0) = 1 ist auch expa (0) = 1 und daher
expa (−x) =
1
expa (x)
für alle x ∈ R,
indem man speziell y = −x in Teil (b) setzt. Durch vollständige Induktion zeigt man
zunächst unter Benutzung von Teil (b)
n
expa (nx) = expa (x)
für alle n ∈ N und alle x ∈ R.
1
Da expa (1) = exp ln(a) = a und expa (−1) = exp(− ln(a)) = exp(ln(a))
= a1 , folgt hieraus
mit x = 1 bzw. x = −1 sofort
expa (n) = an
und
expa (−n) = a−n ,
womit Teil (c) vollständig bewiesen ist.
(d) Mit der Aussage (c) ergibt sich für alle p ∈ Z und alle q ∈ N
p
p q
ap = expa (p) = expa q ·
= expa ( ) ,
q
q
woraus man unmittelbar die Behauptung (d) erhält.
Wir verwenden im Folgenden die üblichere Schreibweise
ax := expa (x) = exp x ln(a) für alle a > 0 und x ∈ R.
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2
5.2. NATÜRLICHER LOGARITHMUS UND ALLGEMEINE POTENZ
149
Wegen Satz 5.9 ist diese Notation konsistent mit den bisher definierten Potenzen mit
ganzzahligen oder rationalen Exponenten.
Als unmittelbare Folgerung aus dem Satz 5.9 erhalten wir noch die nachstehende interessante Eigenschaft.
Korollar 5.10 Für alle a > 0 ist limn→∞
√
n
a = 1.
Beweis: Aus der Stetigkeit der Funktion expa gemäß Satz 5.9 folgt:
√
1
1
n
lim a = lim expa
= expa lim
= expa (0) = 1,
n→∞
n→∞ n
n→∞
n
was zu zeigen war.
2
Weitere Eigenschaften der allgemeinen Potenz ax sind im folgenden Resultat enthalten.
Satz 5.11 ( Rechenregeln der allgemeinen Potenz )
Für alle a, b > 0 und alle x, y ∈ R gelten:
(a) Es ist (ax )y = axy .
(b) Es ist ax bx = (ab)x .
(c) Es ist ( a1 )x = a−x .
Beweis: Wir beweisen hier nur die Aussage (a), da sich die Teile (b) und (c) auf ähnliche
Weise verifizieren lassen. Wegen ax = exp x ln(a) (gemäß Definition der allgemeinen
Potenz) ist ln(ax ) = x ln(a) und daher
(ax )y = exp y ln(ax ) = exp yx ln(a) = axy
für alle a > 0 und alle x, y ∈ R.
2
Zusammen mit ax+y = ax ay (dies ist das Additionstheorem aus dem Satz 5.9) haben wir
somit die wichtigsten Rechenregeln für die allgemeine Potenz zur Verfügung, die wir von
nun an oft anwenden werden, ohne dabei stets auf die entsprechenden Sätze explizit zu
verweisen.
Aus den Eigenschaften der Exponentialfunktion expa lässt sich relativ leicht die nachstehende Bemerkung herleiten, die sonst aber nicht weiter benötigt wird.
Bemerkung 5.12 Die Abbildung expa : R → R++ hat R++ als Bildbereich für jedes
a 6= 1. Für a > 1 ist sie dabei streng monoton wachsend, für 0 < a < 1 ist sie dagegen
streng monoton fallend. Für jedes a > 0 mit a 6= 1 besitzt sie deshalb eine Umkehrfunktion,
die als Logarithmus zur Basis a bezeichnet wird und für die man loga : R++ → R schreibt.
Speziell für a = e erhalten wir wieder den natürlichen Logarithmus.
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150
5.3
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
Sinus und Cosinus
Die Exponentialfunktion exp : K → K war durch die für alle z ∈ K absolut konvergente
Potenzreihe
∞
X
zk
z
exp(z) := e :=
k!
k=0
definiert. Mittels dieser Exponentialreihe definieren wir jetzt den Cosinus und Sinus.
Definition 5.13 Die durch die beiden Vorschriften
cos(z) :=
1 iz
e + e−iz
2
und
sin(z) :=
1 iz
e − e−iz
2i
definierten Funktionen cos : K → K und sin : K → K heißen Cosinus und Sinus. Die
hiermit definierten Funktionen
tan(z) :=
sin(z)
cos(z)
und
cot(z) :=
cos(z)
sin(z)
heißen Tangens und Cotangens und sind natürlich nur für solche Werte z ∈ K definiert,
in denen der jeweilige Nenner von Null verschieden ist.
Aus der Definition 5.13 und der bereits bewiesenen Stetigkeit der Exponentialfunktion
erhalten wir mit bekannten Resultaten über stetige Funktionen sofort die Stetigkeit des
Cosinus und des Sinus auf K und damit wiederum die Stetigkeit des Tangens und Cotangens
auf den jeweiligen Definitionsbereichen.
Mittels des Additionstheorems für die Exponentialfunktion bekommen wir entsprechende Additionstheoreme für den Cosinus und den Sinus.
Satz 5.14 ( Additionstheoreme für Cosinus und Sinus )
Es gelten die Additionstheoreme
cos(z + w) = cos(z) cos(w) − sin(z) sin(w) und
sin(z + w) = sin(z) cos(w) + cos(z) sin(w)
für alle z, w ∈ K.
Beweis: Die beiden Additionstheoreme lassen sich sofort verifizieren, indem man jeweils
die Definition von cos und sin einsetzt und das Additionstheorem eiz eiw = ei(z+w) der Exponentialfunktion ausnutzt.
2
Ebenfalls aus der Definition der Exponentialfunktion ergeben sich die folgenden Potenzreihendarstellungen von cos und sin.
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5.3. SINUS UND COSINUS
151
Satz 5.15 ( Potenzreihenentwicklungen von Sinus und Cosinus )
Die Funktionen Sinus und Cosinus besitzen die beiden Potenzreihendarstellungen
sin(z) =
∞
X
(−1)k
k=0
und
cos(z) =
∞
X
z 2k+1
z3 z5 z7
=z−
+
−
+ ...
(2k + 1)!
3!
5!
7!
(−1)k
k=0
für alle z ∈ K.
z 2k
z2 z4 z6
=1−
+
−
+ ...
(2k)!
2!
4!
6!
Beweis: Die beiden konvergenten Reihen eiz und e−iz dürfen aufgrund des Satzes 3.25
gliedweise addiert bzw. subtrahiert werden. Eine elementare Rechnung liefert dann die beiden Reihendarstellungen von sin und cos.
2
Wir betrachten den Sinus und den Cosinus im Folgenden vorwiegend für reelle Argumente.
Wegen Satz 1.39 gilt für alle x ∈ R
1
1 ix
e + e−ix = eix + eix = Re(eix ) und
2
2
1 ix
1 ix
−ix
sin(x) =
e −e
=
e − eix = Im(eix ).
2i
2i
cos(x) =
Hieraus erhalten wir nochmals die Stetigkeit von Cosinus und Sinus, vergleiche die Ausführungen im Anschluss an den Satz 4.28. Außerdem bekommen wir unmittelbar die so genannte
Eulersche Formel
eix = cos(x) + i sin(x) für alle x ∈ R.
Ferner ist |eix |2 = eix e−ix = e0 = 1 für alle x ∈ R, woraus sich sofort
cos2 (x) + sin2 (x) = 1 für alle x ∈ R
ergibt. Unmittelbar aus der Definition folgt noch
cos(−x) = cos(x) und
sin(−x) = − sin(x) für alle x ∈ R,
so dass der Cosinus eine gerade Funktion und der Sinus eine ungerade Funktion ist. Wir
fassen diese Beobachtungen in dem folgenden Resultat zusammen.
Satz 5.16 ( Eigenschaften der reellen Sinus– und Cosinus–Funktion )
Für alle x ∈ R gelten die folgenden Eigenschaften:
(a) Die Funktionen cos und sin sind stetig auf ganz R.
(b) Es ist cos(x) = Re(eix ) und sin(x) = Im(eix ), insbesondere gilt die Eulersche Formel
eix = cos(x) + i sin(x) für alle x ∈ R.
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152
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
(c) Der Cosinus ist eine gerade und der Sinus eine ungerade Funktion, also cos(−x) =
cos(x) und sin(−x) = − sin(x) für alle x ∈ R.
(d) Es ist cos2 (x) + sin2 (x) = 1.
Die Aussage (d) des Satzes 5.16 lässt, gemeinsam mit der Definition der Tangens–Funktion
und einem aus der Schule bekannten Strahlensatz, die geometrische Interpretation aus der
Abbildung 5.3 zu.
i
eix
tan x
sin x
1
cos x
Abbildung 5.3: Geometrische Interpretation von Sinus, Cosinus und Tangens am Einheitskreis
Aus den Additionstheoremen vom Sinus und Cosinus lassen sich beliebig viele trigonometrische Identitäten herleiten. Wir geben hier zur Illustration nur die nachstehenden
Gleichungen an.
Satz 5.17 Für alle x, y ∈ R gelten
x+y
sin(x) − sin(y) = 2 cos
2
und
cos(x) − cos(y) = −2 sin
x+y
2
sin
sin
x−y
2
x−y
2
.
Beweis: Wir setzen
x−y
x+y
und v :=
.
2
2
Dann ist x = u + v und y = u − v. Aus dem Satz 5.14 folgt daher
u :=
sin(x) − sin(y) = sin(u + v) − sin(u − v)
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5.3. SINUS UND COSINUS
153
sin(u) cos(v) + cos(u) sin(v)
− sin(u) cos(−v) + cos(u) sin(−v)
= 2 cos(u) sin(v)
x+y
x−y
= 2 cos
sin
,
2
2
=
wobei wir ausgenutzt haben, dass der Cosinus eine gerade und der Sinus eine ungerade
Funktion ist. Damit ist die erste Formel bewiesen. Der Nachweis der zweiten Identität gelingt auf ähnliche Weise und bleibt dem Leser überlassen.
2
Der folgende Satz enthalt nun insbesondere die Definition der Zahl Kreiszahl π.
Satz 5.18 ( Definition von π )
π
Der Cosinus
hat im Intervall
[0, 2] genau eine Nullstelle. Diese bezeichnet man mit 2 . Es
π
π
ist cos 2 = 0 und sin 2 = 1.
Beweis: Der Beweis gliedert sich in mehrere Schritte.
Schritt 1: Es gilt cos(2) ≤ − 31 .
Aus der Potenzreihendarstellung des Cosinus folgt
cos(x) ≤ 1 −
x2 x4
+
2
24
für alle x ∈ (0, 2],
denn die Potenzreihe ist (für jedes feste x ∈ (0, 2]) eine alternierende Reihe mit einer
x2k
, so dass die
ab k = 1 streng monoton fallenden Nullfolge an Reihengliedern ak := (2k)!
Abschätzung wie im Beweis des Leibniz–Kriteriums folgt. Speziell für x = 2 ergibt sich die
erste Zwischenbehauptung.
Schritt 2: Es ist sin(x) > 0 für alle x ∈ (0, 2].
Aus der Potenzreihendarstellung des Sinus erhält man wie im vorigen Beweisschritt die für
alle x ∈ (0, 2] gültige Abschätzung
sin(x) > x −
x3
.
6
Der rechts stehende Ausdruck ist aber für alle x ∈ (0, 2] positiv, womit auch die zweite
Zwischenbehauptung bewiesen ist.
Schritt 3: Der Cosinus ist im Intervall [0, 2] streng monoton fallend.
Seien dazu 0 ≤ x < y ≤ 2 beliebig gegeben. Wegen Satz 5.17 gilt dann
y−x
y+x
sin
.
cos(y) − cos(x) = −2 sin
2
2
Der rechts stehende Ausdruck ist wegen Schritt 2 aber negativ. Dies beweist auch die
Zwischenbehauptung 3.
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154
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
Schritt 4: Der Cosinus hat genau eine Nullstelle in [0, 2].
Aus der Potenzreihendarstellung folgt cos(0) = 1 > 0. Wegen Schritt 1 ist aber cos(2) ≤
− 31 < 0. Da der Cosinus wegen Satz 5.16 stetig ist, folgt die Existenz einer Nullstelle in
dem Intervall (0, 2) unmittelbar aus dem Zwischenwertsatz. Wegen Schritt 3 kann es dabei
höchstens eine und damit genau eine solche Nullstelle geben.
Schritt 5: Es ist sin π2 = 1.
π
2 π
Gemäß Definition
ist
eine
Nullstelle
des
Cosinus.
Aus
dem
Satz
5.16
folgt
daher
sin
=
2
2
π
π
1, also sin 2 = ±1. Wegen Schritt 2 ist dabei zwangsläufig sin 2 = 1.
2
Für die Exponentialfunktion folgt mit der Zahl π die nachstehende Tabelle:
x
1
π
2
eix
i
π
3
π
2
2π
−1 −i
1
Aufgrund der Eulerschen Formel gilt nämlich
π π iπ/2
e
= cos
+ i sin
= i.
2
2
Die weiteren Werte ergeben sich dann aus einπ/2 = in für alle n ∈ N.
Mittels der Eulerschen Formel eix = cos x + i sin x und Vergleich von Real– und Imaginärteil erhalten wir aus der obigen Tabelle die folgenden Werte für cos(x) und sin(x):
x
cos(x)
sin(x)
1
π
2
0
1
π
−1
0
3
π
2
0
−1
2π
1
0
Wir wollen im Folgenden zeigen, dass die Exponentialfunktion und die beiden trigonometrischen Funktionen cos und sin periodisch sind. Dabei nennen wir eine Funktion f : K → K
periodisch mit der Periode p ∈ K, wenn
f (x + p) = f (x) für alle x ∈ K
gilt.
Satz 5.19 ( Periodizität von exp, cos und sin )
(a) Für alle z ∈ K gilt
ez+πi/2 = iez ,
ez+πi = −ez ,
ez+2πi = ez .
Die Exponentialfunktion hat also die imaginäre Periode 2πi.
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5.3. SINUS UND COSINUS
(b) Für alle z ∈ K gilt
π
cos z +
= − sin(z),
2
155
cos(z + π) = − cos(z),
cos(z + 2π) = cos(z).
Der Cosinus hat also die reelle Periode 2π.
(c) Für alle z ∈ K gilt
π
sin z +
= cos(z),
2
sin(z + π) = − sin(z),
sin(z + 2π) = sin(z).
Der Sinus hat also die reelle Periode 2π.
Beweis: (a) Wir wissen bereits, dass eiπ/2 = i, eπi = −1 und e2πi = 1 gelten. Die Behauptungen folgen daher alle aus dem Additionstheorem der Exponentialfunktion.
(b) Die Behauptungen folgen allesamt aus der Definition des Cosinus und den bereits
bekannten Eigenschaften der Exponentialfunktion. Beispielsweise gilt
1 i(z+ π )
π
−i(z+ π2 )
2 + e
=
e
cos z +
2
2
π
1 iz i π
=
e e 2 + e−iz e−i 2
2
3
1 iz i π
=
e |{z}
e 2 +e−iz |{z}
ei 2 π
2
=i
=−i
1 iz
e − e−iz
= −
2i
= − sin(z)
für alle z ∈ K. Die anderen Gleichungen lassen sich ebenso verifizieren.
(c) In Analogie zum Teil (b) ergeben sich die Behauptungen sofort aus der Definition des
Sinus und den Eigenschaften der Exponentialfunktion.
2
Wir wollen schließlich noch zeigen, dass die im Satz 5.19 angegebenen Perioden nicht
verkleinert werden können. Dazu ist es sinnvoll, die Nullstellen der betreffenden Funktionen
genau zu kennen. Im Fall der trigonometrischen Funktionen liefert das folgende Resultat
die gewünschte Antwort.
Satz 5.20 ( Nullstellen von cos und sin )
(a) Der Cosinus hat auf R genau die Nullstellen
π
2
+ kπ mit k ∈ Z.
(b) Der Sinus hat auf R genau die Nullstellen kπ mit k ∈ Z.
(c) 2π ist die kleinste positive Periode von Cosinus und Sinus.
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156
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
Beweis: (a) Gemäß Definition ist π2 die einzige Nullstelle des Cosinus im Intervall [0, 2],
insbesondere also im Intervall [0, π2 ]. Da der Cosinus wegen Satz 5.16 (e) eine gerade Funktion ist, handelt es sich bei π2 sogar um die einzige Nullstelle im Intervall (− π2 , + π2 ]. Wegen
cos(x + π) = − cos(x) sind daher π2 und π2 + π die einzigen Nullstellen in (− π2 , π2 + π]. Dieses
Intervall hat die Länge der Periode 2π. Alle weiteren Nullstellen des Cosinus enthält man
somit aus π2 und π2 + π durch Addition von ganzzahligen Vielfachen k2π, k ∈ Z.
(b) Die Nullstellen des Sinus entstehen wegen sin(x) = − cos(x + π2 ) (verwende das Additionstheorem des Cosinus) aus den Nullstellen des Sinus durch eine Verschiebung um
π
.
2
(c) Wäre p mit 0 < p < 2π eine Periode etwa des Cosinus, so müsste wegen der Nullstellenverteilung p = π gelten. Wegen cos(0) = 1 und cos π = −1 ist π aber keine Periode. 2
Schließlich haben wir noch das folgende Resultat.
Korollar 5.21
ist.
(a) Genau dann ist ez = 1, wenn z ein ganzzahliges Vielfaches von 2πi
(b) Cosinus und Sinus haben auch in C nur die im Satz 5.20 angegebenen Nullstellen.
Beweis: (a) Die Rückrichtung ergibt sich sofort aus e2kπi = (e2πi )k = 1k = 1 für alle
k ∈ Z. Sei umgekehrt ez = 1 und schreibe z = x + iy für x, y ∈ R. Dann gilt
1 = |ez | = ex |eiy | = ex .
Die Bijektivität der reellen Exponentialfunktion liefert somit x = 0. Daher erhält man
unter Verwendung der Eulerschen Formel
1 = ez = eiy = cos(y) + i sin(y).
Durch Vergleich von Real– und Imaginärteil folgt hieraus
cos(y) = 1 und
sin(y) = 0.
Wegen Satz 5.20 ergibt sich aus sin(y) = 0 sofort y = kπ für ein beliebiges k ∈ Z. Unter
Verwendung von cos(y) = 1 folgt schließlich, dass nur die geraden Zahlen aus Z in Frage
kommen, denn für ungerades
k = 2m + 1 ergäbe sich aufgrund der 2π–Periodizität von cos
unmittelbar cos (2m + 1)π = cos(π) = −1.
(b) Wir beweisen die Aussage nur für den Sinus, da er für den Cosinus analog verläuft. Die
Behauptung folgt aus den Äquivalenzen
sin(z) = 0 ⇐⇒ eiz = e−iz ⇐⇒ e2iz = 1 ⇐⇒ z = kπ
mit k ∈ Z,
wobei wir den Teil (a) verwendet haben.
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2
5.4. TRIGONOMETRISCHE UMKEHRFUNKTIONEN
157
1.0
0.5
1
2
3
4
5
6
-0.5
-1.0
Abbildung 5.4: Der Graph der reellen Sinus–Funktion für x ∈ [0, 2π].
1.0
0.5
1
2
3
4
5
6
-0.5
-1.0
Abbildung 5.5: Der Graph der reellen Cosinus–Funktion für x ∈ [0, 2π].
Das Aussehen der beiden reellen sin– und cos–Funktionen für ein Periodenintervall [0, 2π]
findet man in den Abbildungen 5.4 und 5.5.
π Aus den obigen
Resultaten folgt außerdem, dass der Tangens für alle z ∈ K mit z 6∈
+ kπ | k ∈ Z definiert ist. Der Graph der reellen Tangens–Funktion findet sich in der
2
Abbildung 5.6.
5.4
Trigonometrische Umkehrfunktionen
Wir wollen in diesem Abschnitt die Umkehrfunktionen der Abbildungen cos, sin und tan
definieren und untersuchen. Zu diesem Zweck benötigen wir das nachstehende Resultat.
Satz 5.22 ( Monotonie–Eigenschaften von cos, sin und tan )
(a) Der Cosinus ist im Intervall [0, π] streng monoton fallend und bildet dieses Intervall
bijektiv auf [−1, 1] ab.
(b) Der Sinus ist im Intervall [− π2 , + π2 ] streng monoton wachsend und bildet dieses Intervall bijektiv auf [−1, +1] ab.
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158
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
6
4
2
-4
2
-2
4
-2
-4
-6
Abbildung 5.6: Der Graph der reellen Tangens–Funktion für x ∈ [− 23 π, + 23 π].
(c) Der Tangens ist im Intervall (− π2 , + π2 ) streng monoton wachsend und bildet dieses
Intervall bijektiv auf R ab.
Beweis: (a) Im Beweis des Satzes 5.18 haben wir gesehen, dass der Cosinus auf [0, 2] streng
monoton fallend ist. Insbesondere ist der Cosinus somit auf [0, π2 ] streng monoton fallend.
Nun ist aber cos(x) = − cos(π − x). Daher ist der Cosinus auch auf dem Intervall [ π2 , π]
streng monoton fallend. Wegen Satz 2.9 ist der Cosinus daher eine injektive Abbildung
auf dem Intervall [0, π]. Folglich ist der Cosinus bijektiv als Abbildung von [0, π] auf den
Bildbereich [cos(π), cos(0)] = [−1, +1].
(b) Wegen sin(x) = cos( π2 − x) folgt aus dem Teil (a), dass der Sinus auf dem Intervall
[− π2 , π2 ] streng monoton wächst. Aus dem Satz 2.9 folgt daher die Injektivität des Sinus
auf dem Intervall [− π2 , π2 ]. Also ist der Sinus eine bijektive Abbildung von [− π2 , π2 ] in den
Bildbereich [sin(− π2 ), sin( π2 )] = [−1, +1].
(c) Seien 0 ≤ x1 < x2 <
Hieraus folgt
π
2
gegeben. Dann ist sin(x1 ) < sin(x2 ) und cos(x1 ) > cos(x2 ) > 0.
tan(x1 ) =
sin(x2 )
sin(x1 )
<
= tan(x2 ).
cos(x1 )
cos(x2 )
Also ist der Tangens auf dem Intervall [0, π2 ) streng monoton wachsend. Wegen tan(−x) =
− tan(x) wächst der Tangens auch in (− π2 , 0]. Also ist der Tangens auf dem gesamten
Intervall (− π2 , + π2 ) streng monoton wachsend. Außerdem gilt limx→ π2 − tan(x) = +∞ und
limx→ −π + tan(x) = −∞, wie man leicht bestätigt. Aus Stetigkeitsgründen folgt mit dem
2
Zwischenwertsatz daher die Behauptung.
2
Wegen der Sätze 5.22 und 2.9 besitzen die Funktionen Sinus, Cosinus und Tangens auf
ihren jeweiligen Bildbereichen eine Umkehrfunktion. Diese erhalten einen eigenen Namen.
Definition 5.23 (a) Die Umkehrfunktion arccos : [−1, +1] → R des Cosinus heißt
Arcus–Cosinus.
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5.4. TRIGONOMETRISCHE UMKEHRFUNKTIONEN
159
(b) Die Umkehrfunktion arcsin: [−1, +1] → R des Sinus heißt Arcus–Sinus.
(c) Die Umkehrfunktion arctan: R → R des Tangens heißt Arcus–Tangens.
Die in der Definition 5.23 angegebenen Umkehrfunktionen bezeichnet man manchmal auch
als Hauptzweige von arccos, arcsin und arctan. Die so genannten Nebenzweige erhält man
mittels der folgenden Beobachtung: In Verallgemeinerung des Satzes 5.22 gelten die folgenden Aussagen für alle k ∈ Z:
(a) cos bildet das Intervall [kπ, (k + 1)π] bijektiv auf [−1, +1] ab.
(b) sin bildet das Intervall [− π2 + kπ, π2 + kπ] bijektiv auf [−1, +1] ab.
(c) tan bildet das Intervall (− π2 + kπ, π2 + kπ) bijektiv auf R ab.
Die zugehörigen Umkehrfunktionen
arccosk : [−1, +1] → R,
arcsink : [−1, +1] → R,
arctank : R → R
sind für k 6= 0 dann die Nebenzweige von arccos, arcsin und arctan (für k = 0 ergeben
sich die Hauptzweige dieser Funktionen). Der graphische Verlauf des Arcus–Tangens ist
beispielhaft in der Abbildung 5.7 angegeben. Gemäß Definition ist hierbei klar, dass der
Arcus–Tangens für x → −∞ die horizontale Asymptote y ≡ − π2 und für x → +∞ die
horizontale Asymptote y ≡ + π2 besitzt.
1.0
0.5
-6
-4
2
-2
4
6
-0.5
-1.0
Abbildung 5.7: Der Graph der reellen Arcus–Tangens–Funktion für x ∈ [−7, +7].
Wir beenden diesen Abschnitt mit zwei kleinen Anwendungen des Tangens und seiner
Umkehrfunktion. Diese treten beispielsweise im Straßenverkehr auf, wenn man ein Verkehrsschild mit einer Steigungsangabe von etwa 12% sieht.
Dies bedeutet gerade, dass man auf 100 Metern Länge 12 Meter Höhe gewinnt. Der
Steigungswinkel α (im Bogenmaß) ergibt sich daher gerade aus
tan(α) =
12
= 0.12
100
⇐⇒
α = arctan(0.12).
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160
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
12
α
100
In Grad umgerechnet entspricht dies etwa einem Wert von 6.843◦.
Die Bahn benutzt für ihre Gleispläne ebenfalls den Tangens. Für Weichen finden sich
etwa Angaben der folgenden Gestalt:
Die Zahl 49 bezieht sich auf das verwendete Schienenprofil, die 190 bezeichnet den Radius (190 Meter) des abzweigenden Gleises, die Angabe 1 : 9 schließlich den Abzweigwinkel.
Genau genommen besagt die Angabe 1 : 9, dass das abzweigende Gleis von dem gradlinig
weiter verlaufenden Hauptgleis nach 9 Metern (gemessen am Hauptgleis) einen Abstand
von 1 Meter aufweist (gemessen von Gleismitte zu Gleismitte). Als Abzweigwinkel α ergibt
sich somit
1
1
.
⇐⇒ α = arctan
tan(α) =
9
9
Die Modellbahnindustrie folgt hier übrigens nicht dem Vorbild, sondern gibt für ihre Weichen gleich den Abzweigwinkel in Grad an.
5.5
Polarkoordinaten
Wir führen in diesem Abschnitt eine andere Darstellung von komplexen Zahlen ein, die
für manche Untersuchungen von Vorteil ist und insbesondere eine einfache geometrische
Interpretation für die Multiplikation von zwei komplexen Zahlen erlaubt.
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5.5. POLARKOORDINATEN
161
Satz 5.24 ( Polarkoordinaten komplexer Zahlen )
Jedes z ∈ C besitzt eine Darstellung
z = reiϕ
mit r := |z| und einem ϕ ∈ R,
wobei ϕ im Fall z 6= 0 bis auf ein ganzzahliges Vielfaches von 2π eindeutig bestimmt ist
und im Fall z = 0 beliebig sein kann.
Beweis: Für z = 0 ist offenbar nichts zu zeigen. Sei daher z 6= 0. Setze dann r := |z| und
ζ := zr , so dass |ζ| = 1 gilt. Die komplette Zahl ζ besitzt nun eine Darstellung der Gestalt
ζ = ξ + iη mit ξ, η ∈ R. Wegen |ζ| = 1 ist ξ 2 + η 2 = 1 und deshalb |ξ| ≤ 1. Daher ist
α := arccos ξ
definiert. Aus ξ = cos(α) folgt mit sin(x)2 + cos(x)2 = 1 deshalb
p
sin(α) = ± 1 − ξ 2 = ±η.
Wir setzen jetzt
ϕ :=
α,
falls sin(α) = η,
−α, falls sin(α) = −η.
In jedem Fall ist dann
eiϕ = cos(ϕ) + i sin(ϕ) = ξ + iη = ζ,
da der Cosinus eine gerade und der Sinus eine ungerade Funktion sind. Damit gilt z = reiϕ ,
womit zumindest die Existenz der behaupteten Darstellung bewiesen ist.
Haben wir noch eine zweite Darstellung z = reiψ mit r = |z| wie vorher und einem
beliebigen ψ ∈ R, so gilt ei(ϕ−ψ) = 1. Wegen Korollar 5.21 impliziert dies unmittelbar
(ϕ − ψ) = 2kπ für ein k ∈ Z.
2
Ein Paar (r, ϕ) mit z = reiϕ bezeichnet man als Polarkoordinaten von z. Die Zahl ϕ selbst
heißt auch Argument von z. Anschaulich ist r die Länge des Vektors z und ϕ beschreibt
den Winkel (im Bogenmaß) zwischen der positiven reellen Achse und dem Ortsvektor z in
der komplexen Zahlenebene.
Als kleine Anwendung der Polarkoordinaten geben wir hier die schon im Abschnitt 1.6
angekündigte geometrische Interpretation für die Multiplikation zweier komplexer Zahlen:
Seien dazu z1 , z2 ∈ C beliebig gegeben. Wegen Satz 5.24 existieren dann (im Wesentlichen
eindeutig bestimmte) Polarkoordinaten (r1 , ϕ1 ) und (r2 , ϕ2 ) mit
z1 = r1 eϕ1
und z2 = r2 eϕ2 .
Multiplikation ergibt unter Ausnutzung des Additionstheorems für die Exponentialfunktion
dann
z1 z2 = r1 r2 eϕ1 +ϕ2 .
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162
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
z·w
|z| · |w|
w
|w|
α+β
β
0
|z|
z
α
1
Abbildung 5.8: Veranschaulichung der Multiplikation zweier komplexer Zahlen
Man erhält also das Produkt zweier komplexer Zahlen, indem man die Beträge multipliziert
und ihre Argumente addiert, vergleiche hierzu die Abbildung 5.8.
Als weitere Folgerung aus der Darstellung einer komplexen Zahl mittels Polarkoordinaten ergibt sich das nachstehende Resultat.
Satz 5.25 ( Einheitswurzeln )
Die Gleichung z n = 1 (n ∈ N) besitzt genau die Lösungen
ζk := ek2πi/n , k = 1, . . . , n.
Beweis: Wegen Satz 2.14 besitzt das Polynom z n − 1 höchstens n Nullstellen in C. Man
verifiziert nun sehr leicht, dass die ζk tatsächlich für alle k = 1, . . . , n Nullstellen dieses
Polynoms sind. Damit ist auch schon alles bewiesen.
2
Die im Satz 5.25 definierten Zahlen ζ1 , . . . , ζn heißen n-te Einheitswurzeln. Anschaulich
bilden sie die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks vom Radius Eins um den Nullpunkt. Für
n = 3 und n = 5 ist dies in der Abbildung 5.9 dargestellt.
5.6
Der Fundamentalsatz der Algebra
Wir beweisen in diesem Abschnitt den schon früher erwähnten Fundamentalsatz der Algebra, wonach jedes (reelle oder komplexe) Polynom vom Grad n genau n Nullstellen
im Körper der komplexen Zahlen C besitzt. Dabei haben auch reelle Polynome eventuell
(konjugiert–) komplexe Nullstellen, wie das Beispiel p(x) := x2 + 1 mit den beiden Nullstellen +i und −i zeigt. Da jedes reelle Polynom insbesondere ein komplexes Polynom ist,
beweisen wir den Fundamentalsatz der Algebra von vornherein nur für komplexe Polynome.
Außerdem genügt es zu zeigen, dass jedes nicht konstante Polynom mindestens eine Nullstelle besitzt. Die eigentlichen Behauptung des Fundamentalsatz der Algebra folgt dann
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5.6. DER FUNDAMENTALSATZ DER ALGEBRA
ζ1
1
1
163
ζ1
ζ2
−1
1
−1
1
ζ3
ζ2
−1
−1
ζ4
Abbildung 5.9: Veranschaulichung der dritten und fünften Einheitswurzeln
aus unseren Ausführungen im Abschnitt 2.3, wonach wir diese Nullstelle abspalten können
und als Rest ein Polynom erhalten, dessen Grad um eine Einheit niedriger ist als der Grad
des gegebenen Polynoms. Sofern dieses nicht konstant ist, hat es dann ebenfalls eine Nullstelle, die wiederum abgespalten werden kann usw. Zum Beweis des Fundamentalsatzes der
Algebra genügt es also, die nachstehende (äquivalente) Formulierung zu zeigen.
Satz 5.26 ( Fundamentalsatz der Algebra )
Jedes komplexe Polynom positiven Grades besitzt mindestens eine Nullstelle in C.
Beweis: Gegeben sei das Polynom
p(z) = a0 + a1 z + . . . + an z n
mit ak ∈ C ∀k = 0, 1, . . . , n
und an 6= 0, also Grad(p) = n. Wir zeigen zunächst, dass |p(z)| → ∞ für |z| → ∞ gilt. Zu
diesem Zweck setzen wir bn−k := an−k /an für k = 1, . . . , n und schreiben
1
1
1
n
p(z) = an z 1 + bn−1 + bn−2 2 + . . . + b0 n = an z n g(z)
z
z
z
mit der für z 6= 0 definierten Funktion
1
1
1
g(z) := 1 + bn−1 + bn−2 2 + . . . + b0 n .
z
z
z
Setzen wir
β := 1 + |bn−1 | + |bn−2 | + . . . + |b0 |,
so gilt für alle z ∈ C mit |z| ≥ β ≥ 1 offenbar
1
1
β
1
≤
.
h(z) := bn−1 + . . . + b0 n ≤ |bn−1 | + . . . + |b0 |
z
z
|z|
|z|
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164
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
Für alle z ∈ C mit |z| ≥ 2β ist daher
h(z) ≤
und somit
β
1
≤
|z|
2
1
|g(z)| ≥ 1 − h(z) ≥ .
2
Damit folgt also
1
|p(z)| = |an | · |z|n · |g(z)| ≥ |an | · |z|n
2
für alle z ∈ C mit |z| ≥ 2β. Dies zeigt aber die Gültigkeit von |p(z)| → ∞ für |z| → ∞
(beachte an 6= 0).
Wegen |p(z)| ≥ 0 für alle z ∈ C existiert aufgrund der Vollständigkeit der reellen Zahlen
das Infimum
µ := inf |p(z)| z ∈ C .
Wegen |p(z)| → ∞ für |z| → ∞ existiert ein r > 0 mit |p(z)| ≥ µ für alle z ∈ Cmit
|z| > r. Also
ist µ sogar das Infimum der Einschränkung von |p| auf den Kreis K := z ∈
C |z| ≤ r , d.h.
µ := inf |p(z)| z ∈ C = inf |p(z)| z ∈ K .
Nun nimmt die stetige Funktion |p| auf der kompakten Menge K aber ihr Infimum an.
Folglich existiert ein ζ ∈ K mit
|p(ζ)| = µ.
Wir wollen nun zeigen, dass dieses ζ eine Nullstelle von p ist. Dazu haben wir zu beweisen,
dass µ = 0 gilt. Per Definition ist µ ≥ 0. Wir führen einen Widerspruchsbeweis und nehmen
an, dass µ > 0 gilt. Dann ist das transformierte Polynom
q(z) :=
p(z + ζ)
p(ζ)
wohldefiniert, vom Grad n mit q(0) = 1 und |q(z)| ≥ 1 für alle z ∈ C (per Konstruktion
von ζ). Wir schreiben q in der Gestalt
q(z) = c0 + c1 z + . . . + cn z n .
Wegen q(0) = 1 ist c0 = 1 und wegen Grad(q) = n ist cn 6= 0. Einige der anderen
Koeffizienten ck , k ∈ {1, . . . , n − 1}, hingegen können Null sein. Sei m ∈ {1, . . . , n} der
kleinste Index mit cm 6= 0. Dann haben wir
q(z) = 1 + cm z m + cm+1 z m+1 + . . . + cn z n .
(5.3)
Die Zahl −|cm |/cm hat den Betrag Eins und besitzt in Polarkoordinaten daher eine Darstellung der Gestalt
|cm |
= eiϕ .
−
cm
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5.6. DER FUNDAMENTALSATZ DER ALGEBRA
165
Definieren wir noch ψ := ϕ/m, so folgt
cm eimψ = cm eiϕ = −|cm |.
Wir betrachten nun spezielle z ∈ C von der Gestalt z = ρeiψ (mit dem gerade eingeführten
Winkel ψ und einer noch beliebigen Länge ρ > 0). Einsetzen in (5.3) liefert wegen |eiα | = 1
für alle α ∈ R dann
q(ρeiψ ) ≤ 1 + cm ρm eimψ + |cm+1 |ρm+1 + . . . + |cn |ρn
= |1 − |cm |ρm | + |cm+1 |ρm+1 + . . . + |cn |ρn .
Für alle ρ > 0 mit ρm < 1/|cm | ist 1 − |cm |ρm > 0 und daher
q(ρeiψ ) ≤ 1 − |cm |ρm + |cm+1 |ρm+1 + . . . + |cn |ρn
= 1 − ρm |cm | − |cm+1 |ρ − . . . − |cn |ρn−m .
Der in Klammern stehende Ausdruck ist für hinreichend kleine ρ > 0 aber positiv. Für die
zugehörigen z = ρeiψ gilt damit
|q(z)| = |q(ρeiψ )| < 1
im Widerspruch zu |q(z)| ≥ 1 für alle z ∈ C per Konstruktion von q. Also ist doch µ = 0
und ζ somit eine Nullstelle des Polynoms p.
2
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166
KAPITEL 5. SPEZIELLE FUNKTIONEN
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