Die Posttraumatische Belastungsstörung

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Aktuelles Wissen für Anästhesisten
Refresher Course Nr. 39
April 2013 · Nürnberg
Die Posttraumatische Belastungsstörung
M. Sieberer · M. Ziegenbein
Einleitung
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine schwere
und oft chronische Störung bei einem Teil der Menschen, die
extrem belastenden bzw. traumatisierenden Ereignissen ausge­
setzt waren. Dabei stellt die PTBS ein häufiges, wenngleich in
der heutigen Definition erst seit etwa 30 Jahren akzeptiertes
Krankheitsbild dar.
Epidemiologie
Die Lebenszeitprävalenz für die Posttraumatische Belastungs­
störung in der Allgemeinbevölkerung wird mit 1-14% (Deutsch­‑
land ca. 1,5-2%) angegeben, wobei die Schwankungen mit
der Auswahl der Erfassungsmethode und der untersuchten
Stichprobe zusammenhängen. Studien an Risikogruppen zeigen
Prävalenzraten zwischen 3-58% (ca. 50% Prävalenz nach
Vergewaltigung, ca. 25% Prävalenz nach anderen Gewaltver­
brechen, ca. 50% bei Kriegs- und Vertreibungsopfern, ca.
15% bei Verkehrsunfallopfern, ca. 15% bei schweren Or­
ganerkrankungen) [20,18]. Untersuchungen bei Patienten von
Intensivstationen zeigen eine Prävalenz von 15-25% [13]. Die
Prävalenz subsyndromaler Störungsbilder ist jedoch wesentlich höher. Sowohl die Expositionswahrscheinlichkeit be­
stimmter Personenkreise als auch die Art des Traumas sind
unter präventionsmedizinischen Gesichtspunkten bedeutsam.
So werden bestimmte Berufsgruppen wie bspw. Soldaten,
Polizisten oder Angestellte im Rettungsdienst naturgemäß mit
deutlich höherer Wahrscheinlichkeit und möglicherweise auch
wiederholt mit schwerwiegenden traumatischen Ereignissen
konfrontiert. Für jene Personen besonderer Gefährdung besteht
demzufolge aufgrund der Expositionswahrscheinlichkeit ein
erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer PTBS, was wiederum
unter primärpräventiven Aspekten relevant ist [18]. Die welt­
weit häufigste Ursache für posttraumatische Störungen sind
Erfahrungen von so genannter organisierter Gewalt, worunter
laut WHO alle Formen zielbewusst eingesetzter physischer
und psychischer Gewalt gegen Menschen durch Staaten,
Or­
ganisationen und Gruppierungen verstanden werden.
Hierunter fallen Folter, Unterdrückung, Geiselhaft, Kriegshand­
lungen und andere Formen politisch, religiös, ethnisch oder
anderweitig weltanschaulich begründeter Gewalt [9]. Diese
traumatischen Erfahrungen werden als „man-made disasters“
bezeichnet und haben – im Gegensatz zu Unglücksfällen oder
Naturkatastrophen, die nicht bewusst durch menschliches
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Handeln herbeigeführt werden – in der Regel schwere psychi­
sche Folgen. Jedoch sind nicht alle Menschen, die Gewalt erlebt
haben, traumatisiert in dem Sinne, dass sie einer speziellen Be­
handlung bedürfen. Selbst ähnliche Traumatisierungen haben
nicht bei allen Menschen die gleichen Folgen, da korrektive
Faktoren bei der Verarbeitung der traumatischen Situation
und protektive Faktoren im Sinne biographischer Disposition
schützend oder zumindest mildernd wirken können [15].
Methodische Standards und Diagnosestellung
Nach der Definition des leitgebenden Diagnostischen und
Statistischen Manuals (DSM-IV) der Amerikanischen Psychia­
tervereinigung (American Psychiatric Association) [2], werden
unter traumatischen Ereignissen nur solche verstanden, bei
denen die Betroffenen ein Ereignis beobachtet oder erlebt
haben, bei dem Leib und Leben der eigenen oder einer ande­
ren Person unmittelbar bedroht waren. Typische traumatische
Ereignisse nach diesem Verständnis sind beispielsweise
lebensbedrohliche Unfälle, Kriegseinsätze, Folter, schwere Na­
turkatastrophen, Vergewaltigung etc. Eine Person, die derartige
Erlebnisse unter intensiver Angst und Hilflosigkeit erlebt, kann
in der Folge Symptome einer PTBS entwickeln. Entscheidend
für die Diagnose der PTBS ist, dass die betroffenen Menschen
von der traumatischen Erfahrung nicht mehr losgelassen wer­
den. Dabei finden sich drei Symptomkomplexe, welche alle
drei in einem ausreichenden Maß vorhanden sein müssen,
um die Diagnose mit ausreichender Sicherheit stellen zu
dürfen. Der eindrücklichste Symptomkomplex äußert sich im
regelmäßigen ungewollten Wiedererleben des Ereignisses, das
darin besteht, dass tagsüber (etwa in der Form sogenannter
Flashbacks) oder nachts (in der Form von quälenden Alp­
träumen) die traumatische Situation in der Form von Bildern,
Geräuschen, Gefühlen und häufig auch Körperempfindungen
wieder erlebt wird. Die betroffenen Personen haben in diesen
Momenten des Wiedererlebens das Gefühl, dass das Ereignis
in diesem Moment und Ort erneut stattfindet. Dabei fühlen
sie sich bedroht und hilflos, obwohl objektiv keine aktuelle
Gefährdung mehr besteht. Dieses Erleben und die damit ver­
bundenen Gefühle der momentanen Bedrohung prägen den
Alltag von traumatisierten Personen. Als Resultat dieser dauer­
haften Belastung versuchen die betroffenen Menschen, Reizen,
die sie an die Vergangenheit bzw. an die traumatisierenden
Ereignisse erinnern, aus dem Weg gehen. Es kommt zu einem
ausgeprägten Vermeidungsverhalten, welches den zweiten
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Symptomkomplex der PTBS charakterisiert. Die wiederholten
und aufdringlichen Erinnerungen an die traumatischen Erleb­
nisse dominieren zwar das Leben der betroffenen Menschen,
jedoch vermeiden es die meisten Betroffenen, über ihre
Erlebnisse zu sprechen, was dazu führt, dass sie sich häufig
isoliert und ausgegrenzt fühlen. Selbst die Betroffenen, die pro­
fessionelle Hilfe aufsuchen, berichten meist nicht unmittelbar
über ihre quälenden Erinnerungen, sondern eher über diffuse
und wenig spezifische Symptome, wie körperliche Schmerzen,
Schwindel, Taubheitsgefühle, Übelkeit, Schlafstörungen sowie
Ängste. Dieser Umstand birgt die Gefahr, dass im Umgang
mit traumatisierten Menschen unerfahrene Kliniker häufig
andere Diagnosen stellen und die notwendigen Behandlungen
ausbleiben. Neben dem Bemühen, Gedanken, Gespräche,
Orte und Menschen, die an das Trauma erinnern, zu umgehen,
findet sich als weitere Form des Vermeidungsverhaltens oft
eine innere Betäubung. Die Betroffenen berichten, dass sie
gefühlsmäßig kalt und abgestumpft wären. Die Fähigkeit in­
tensive Gefühle, wie Liebe und Zuneigung zu empfinden, aber
auch tiefe Traurigkeit, geht dabei verloren. Der dritte Symptom­
komplex wird dominiert durch eine anhaltende körperliche
Übererregung, die aus einem dauerhaften Bedrohungsgefühl
resultiert. Die betroffenen Menschen haben das Gefühl, dass
dauernd Gefahren drohen und sie davor auf der Hut sein müs­
sen. Dieser Umstand führt zu einer erhöhten Schreckhaftigkeit
verbunden mit einer stetigen inneren Anspannung. Ferner
finden sich gehäuft Schlafstörungen in Sinne von Ein- und/
oder Durchschlafstörungen sowie Konzentrationsproblemen.
Viele Betroffene berichten von einer unterschwelligen Wut
und Aggression, was sich in einer dauerhaften Reizbarkeit aus­
drücken kann. Teilweise mündet diese Reizbarkeit in plötzliche
aggressive Durchbrüche mit verbaler oder körperlicher Gewalt
auch gegenüber Familienangehörigen. Im Anschluss sind die
von der PTBS Betroffenen meist zutiefst beschämt über dieses
Verhalten, was zu weiterer Isolation führen kann. Nicht wenige
Patienten mit PTBS empfinden dieses Verhalten als eine Verän­
derung der eigenen Persönlichkeit, weil es vor der Erkrankung
nicht zu vergleichbaren Situationen gekommen ist. Im Resultat
sind bei Personen, die an einer PTBS leiden, häufig massive
Beeinträchtigungen in allen Funktionsbereichen des täglichen
Lebens, wie dem Familienleben, dem Beruf und dem Kontakt
zu Freunden kommen.
Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann in jedem Alter
einschließlich der Kindheit auftreten. Die Symptome beginnen
typischerweise innerhalb der ersten 3 Monate nach dem
Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome auch um
Monate oder sogar Jahre verzögern kann (late-onset PTBS). Die
Symptome der Störung und das verhältnismäßige Vorherrschen
des Wiedererlebens, des Vermeidungsverhaltens oder der
Symptome der Übererregbarkeit können sich über die Zeit
hinweg wandeln. Die Symptomdauer ist dabei unterschiedlich,
wobei in der Hälfte der Fälle innerhalb von 3 Monaten eine
vollständige Remission eintritt, bei vielen anderen Fällen die
Symptome jedoch länger als 12 Monate nach dem Trauma
noch fortbestehen [26].
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Komorbidität
Bei Patienten mit einer PTBS bestehen häufig weitere psy­
chiatrische Krankheitsbilder als komorbide Störungen. Oft
beeinflusst die PTBS den Verlauf parallel vorliegender psychia­
trischer Erkrankungen negativ [6]. Des Weiteren zeigt sich ein
Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer PTBS und der
Inzidenz von beispielsweise kardiovaskulären und metaboli­
schen Erkrankungen [19]. In zwei großen epidemiologischen
Studien, die in den USA und Australien durchgeführt wurden,
zeigten sich bei 85-88% der Männer und 78-80% der Frauen
mit einer PTBS komorbide psychiatrische Erkrankungen [11,
26]. Die Autoren schätzten, dass vor allem bei Depressionen
und Substanzmissbrauch die PTBS in der Mehrzahl der Fälle
als primäre Störung anzusehen sei, während das Verhältnis bei
den Angststörungen umgekehrt zu sein schien. In einer Studie
mit 801 Frauen fanden Breslau et al. [5] ein gut zweifach
erhöhtes Risiko, nach einer PTBS erstmalig an einer Major
Depression zu erkranken, und ein dreifaches Risiko, einen
schädlichen Alkoholkonsum bzw. eine Alkoholabhängigkeit
zu entwickeln. Gleichzeitig war bei Frauen mit bereits zuvor
bestehender Major Depression sowohl die Gefahr, ein trauma­
tisches Ereignis zu erleben, als auch die Wahrscheinlichkeit, in
dessen Folge eine PTBS-Symptomatik zu entwickeln, erhöht.
In der deutschen Studie von Perkonigg et al. [29] wurde bei
87,5 % der PTBS-Patienten mindestens eine weitere psychische
Störung diagnostiziert. Die Autoren postulieren, dass in etwa
einem Drittel der Fälle zuvor bestehende psychopathologi­
sche Faktoren zur Entstehung einer primären Vulnerabilitat
oder einer bestimmten Risikokonstellation beitragen (z.B. bei
bekannter Alkohol- oder Substanzabhängigkeit). Auch könne
beispielsweise durch Angst- oder depressive Störungen die
Schwelle für das Auftreten einer Posttraumatischen Belastungs­
störung nach einem entsprechenden Ereignis gesenkt werden.
Gleichwohl entwickelten sich die komorbiden psychischen
Störungen in der weit überwiegenden Zahl der Fälle sekundär
nach einer PTBS. Dies gelte insbesondere für somatoforme
Störungen, Agoraphobien, generalisierte Angststörungen und
affektive Störungen, wobei nach Ansicht einiger Autoren der
Posttraumatischen Belastungsstörung die Rolle eines maßgebli­
chen Risikofaktors zukommt [6]. Auch die Studie von Zlotnick
et al. bestätigt die hohe Prävalenz komorbider Störungen und
nennt vor allem affektive Störungen, Angststörungen, Sub­
stanzmissbrauch und Somatisierungsstörungen [36].
Im Hinblick auf ein differentialtherapeutisches Vorgehen ist es
in der klinischen Praxis auch deshalb wichtig, distinkte Typen
einer PTBS mit jeweils vorherrschender Symptomatik zu un­
terscheiden [1], wobei sich der somatoforme Typus vorrangig
durch Schmerzen und der depressive Typus durch Vermei­
dungsverhalten, Selbstwertverlust, sozialer Rückzug und Unfähigkeit zu zielorientierten Alltagshandlungen auszeichnet.
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Psychobiologisches Modell der Posttraumatischen
Belastungsstörung
In den letzten Jahren hat die Forschung zu den neuro- bzw.
psychobiologischen Grundlagen der PTBS einige Fortschritte
erzielt. Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass
traumatische Erlebnisse im Gedächtnis in grundlegend ande­
rer Art und Weise abgespeichert werden, als es bei anderen
wichtigen Ereignissen geschieht [7,12,28,3]. Während der
Traumatisierung hinterlassen die Erlebnisse in der sogenannten
„Furchtstruktur“, einer assoziativen Struktur [17] eine Art
biologische Narbe. Ein Netzwerk aus den sinnlichen Eindrü­
cken des Traumas, insbesondere den Bildern aber auch den
Geräuschen, Stimmen, Gerüchen und Körperempfindungen
der traumatischen Situation, bildet die Furchtstruktur. Inner­
halb der Furchtstruktur sind die Eindrücke verknüpft mit den
grundlegenden Bewertungen des Ereignisses, welche durch
extrem bedrohliche Gefühle wie intensive Angst und Schre­
cken sowie den körperlichen Reaktionen, wie Herzrasen und
Schwitzen gekennzeichnet sind. Die Furchtstrukturen trauma­
tisierter Menschen sind besonders groß und die Verbindungen
zwischen den Elementen besonders stark, was dazu führt, dass
eine Erinnerung an das Trauma zu einer Aktivierung einzelner
ähnlicher Elemente der Furchtstruktur führen kann, und damit
häufig weitere Elemente blitzartig mitaktiviert werden können.
Im Gegensatz zu den Furchtstrukturen, wird das traumatische
Erlebnis in anderen Gedächtnisformen nur sehr mangelhaft
abspeichert, was vor allem das sogenannte autobiographische
Gedächtnis betrifft. Beim autobiographischen Gedächtnis han­
delt es sich um eine sehr hoch elaborierte und gut organisierte
Struktur, welche es uns erlaubt, einzelne persönliche Erlebnisse
in den Zusammenhang unserer Lebensgeschichte zu stellen,
also räumlich und zeitlich zuzuordnen. Ferner ermöglicht das
autobiographische Gedächtnis, den Ablauf von Erlebnissen
nachzuvollziehen und z.B. einem anderen Menschen darüber
zu berichten. Im Gegensatz zu anderen bedeutsamen Erleb­
nissen ist die entsprechende Repräsentation von traumatischen
Ereignissen im autobiographischen Gedächtnis nur sehr man­
gelhaft ausgeprägt [10,14]. Aus den Ergebnissen der Untersu­
chungen lässt sich ableiten, dass die Gehirnstrukturen (z.B. der
Hippocampus), welche zur Bildung von Kontextinformationen
benötigt werden, unter der extremen Aufregung während der
traumatischen Erlebnisse in ihrer Funktion beeinträchtigt sind.
Daraus resultiert, dass die traumatischen Ereignisse im Wesent­
lichen auf reiner Wahrnehmungsebene abgespeichert sind und
der jeweilige räumliche und zeitliche Zusammenhang nicht
mehr abrufbar ist. Die Integration und Interpretation mithilfe
des semantischen Gedächtnisses wird unterbrochen und die
Speicherung findet als affektiver Zustand, als somatische oder
sensorische Empfindung oder als visuelles Bild statt. Das
Ergebnis ist ein abgespaltener nichtsymbolischer, unflexibler
und unveränderbarer Inhalt traumatischer Erfahrung, der mit
einer tiefgreifenden Veränderung der regulatorischen Funk­
tionen in den neuroanatomischen Strukturen Neokortex, lim­
bisches System und Stammhirn mit Hypothalamus einhergeht
[33].
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Da von Neurobiologen und Hirnforschern [23,24] die PTBS
als „biologische Narbe, die nicht heilt“ angesehen wird,
können externale Hinweisreize (z.B. zurückkehren in das
Land des Geschehens, erinnern durch Sprache, Gerüche,
Teilaspekte des Geschehens und Teilaspekte des traumatischen
Ereignisses) erneut schwere Symptome des PTBS auslösen. Bei
entsprechender Triggerung ensteht also das Gefühl, die trau­
matisierenden Erlebnisse würden genau hier und jetzt erneut
stattfinden. Trotz nicht vorhandener Gefährdung kommt es
dabei zu einem Gefühl massiver Bedrohung.
Das Erleben kritischer Umweltereignisse, wie etwa Traumata,
kann über Prozesse der DNA-Methylierung oder Histonmo­
difizierung dauerhaft die Expression von Genen beeinflussen,
was wiederum Einfluss auf die Funktionsweise neurobiologi­
scher Systeme hat, ohne dass es zu einer Veränderungen der
primären Erbsubstanz, der DNA, kommt [34]. Diese soge­
nannten epigenetischen Einflüsse finden sich unter anderem
bei Einwohnern von New York, die im Zusammenhang mit
den Terroranschlägen auf das World Trade Center eine PTBS
ent­wickelt haben. Auf der Ebene der hormonellen Regulation
lassen sich bei PTBS-Patienten Veränderungen im Bereich der
sogenannten „neuroendokrinen Stressachse“ nachvollziehen,
wozu u.a. die Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenrindenAchse (HPA-Achse), das sympathoadrenale medulläre (SAM-)
Systems sowie das endogene Opiatsystems zählen. Zudem
wurde bei PTBS-Patienten mit unterschiedlicher Traumatisie­
rung (Kriegserfahrung, sexueller Missbrauch in der Kindheit
etc.) im Vergleich zu Gesunden und anderen psychiatrischen
Patienten ein erhöhter CRF-Spiegel (Corticotropin-releasing
Factor) in der Zerebrospinalflüssigkeit, eine verringerte ACTHFreisetzung (Adrenocorticotropes Hormon), eine erhöhte
Anzahl von Glucocorticoid-Rezeptoren auf Lymphozyten und
eine reduzierte Cortisol-Freisetzung nach Stimulation durch
CRF nachgewiesen [35,4,30]. Die zentrale und periphere
Freisetzung von Katecholaminen (Noradrenalin, Adrenalin)
ist erhöht. Gleichzeitig findet sich bei diesen Patienten eine
starke Reduktion der Alpha-2-adrenergenen Rezeptoren.
Yohimbin, ein alpha-2-Rezeptorantagonist, der eine verstärkte
Freisetzung von Katecholaminen hervorruft, löst bei PTBSPatienten Panikattacken und Flashbacks aus, jedoch nicht
bei Gesunden. Mit der erhöhten Freisetzung von CRF und
Noradrenalin kommt es auch zu einer vermehrten Bildung und
Abgabe von Beta-Endorphinen, die mit einer Minderung der
Schmerzempfindungen einhergeht [25]. Bisher durchgeführte
PET-Untersuchungen zeigten bei PTBS-Patienten während der
Präsentation traumaassoziierten Materials oder imaginierter
traumatischer Geschehnisse eine Zunahme des Blutflusses im
rechtsseitigen Gyrus cinguli und der Amygdala, bei gleichzei­
tiger Blutflussabnahme besonders in der Gegend des BroccaAreals, also eines wichtigen Areals der Sprachregion [32].
Diese Ergebnisse lassen also die Deutung zu, dass unter einer
Triggerung bei PTBS-Patienten Hirnregionen, die an der Ent­‑
stehung und Wahrnehmung von Angst maßgeblich beteiligt
sind, aktiviert werden und gleichzeitig das Sprachzentrum
inaktiviert wird: Der Patient erlebt in dieser Situation also Angst,
ohne entsprechend in Worte fassen zu können.
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Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung
Eine Grundvoraussetzung der Behandlung von Patienten mit
einer PTBS lautet, dass professionelle Hilfe weder erzwungen
noch im Sinne einer prophylaktischen Routine empfohlen
werden sollte. Emotionale Reaktionen auf ein Trauma sollten
zunächst als physiologisch und nicht als grundsätzlich patho­
logisch aufgefasst werden. Die rasche Wiederaufnahme all­
täglicher Arbeiten und Pflichten nach einem erlebten Trauma
sollte im Sinne einer Ressourcenaktivierung daher unterstützt
und den Betroffenen empfohlen werden.
Bei den Therapiekonzepten, die im Rahmen der Behandlung
der Posttraumatischen Belastungsstörung zur Anwendung
kommen, handelt es sich fast ausnahmslos um multidimen­
sionale Ansätze mit dem primären Ziel einer psychischen
Stabilisierung. Diese Entwicklung ist sicherlich auch auf die
aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse zurückzuführen, die
ein multifaktorielles Entstehungsmodell der Posttraumatischen
Belastungsstörung postulieren. Dabei spielen neben psycho­
dynamischen-, entwicklungspsychologischen- und kognitivbehavioralen Ansätzen auch neurobiologische Modelle eine
wesentliche Rolle. Im Rahmen der Therapie kommen daher
unter anderem psychodynamische Therapieansätze [22],
behaviorale und kognitive Behandlungsansätze [27,8] oder
Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) von
Shapiro [31] zur Anwendung. Die Behandlung sollte durch
entsprechend qualifizierte ärztliche oder psychologische Psy­
chotherapeuten erfolgen. Am Anfang steht das Herstellen einer
sicheren Umgebung (Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung)
und die Organisation bzw. Aktivierung des psychosozialen
Helfersystems. Ein nächster Schritt beinhaltet eine differenzierte
diagnostische Einordnung und gegebenenfalls die Einleitung
einer engmaschigen therapeutischen Begleitung, die ressour­
cenorientierte Interventionen (z.B. Distanzierungstechniken
und imaginative Verfahren) integrieren sollte. Wenn darunter
eine nachhaltige psychische Stabilität erreicht werden konnte,
kann eine Traumabearbeitung im engeren Sinne erwogen wer­
den. Im Rahmen der Traumabearbeitung kommt es zu einer
„dosierten“ Rekonfrontation mit dem auslösenden Ereignis mit
dem Ziel der Durcharbeitung und Integration der Traumaerleb­
nisse unter geschützten therapeutischen Bedingungen. Neben
den erwähnten psychotherapeutischen Verfahren werden ad­
juvante Verfahren (z.B. stabilisierende Körpertherapie, Kunst-,
Musik- und Ergotherapie etc.) in den Gesamtbehandlungsplan
einbezogen.
Ob und wann eine Traumabearbeitung aber konkret stattfin­‑
den soll, bleibt im Individualfall zu entscheiden. Unbedingte
Vor­aussetzungen dafür sind neben der ausreichenden Stabili­
tät, dass eine weitere Traumaeinwirkung oder ein neuerlicher
Täterkontakt ausgeschlossen sind. Bei traumatisierten Flücht­
lingen oder Asylsuchenden ist ein zusätzliches Problem, dass
eine angemessene Bearbeitung traumatischer Erfahrungen
unter den Bedingungen eines unseren Aufenthaltsstatus und
insbesondere bei drohender Abschiebung kaum möglich
4
erscheint, da eine sichere und längerfristig Halt gebende the­‑
rapeutische Beziehung nur schwer aufgebaut werden kann
[21]. Das Setting ist in Abhängigkeit von der Schwere der
Störung und dem Stabilisierungsbedarf zu wählen (Schwer­
punktpraxen, Ambulanzen / Institutsambulanzen, Schwer­
punktstationen, Tageskliniken).
Ergänzend zu diesen psychotherapeutischen Verfahren kommt
der Psychopharmakotherapie eine Bedeutung zu. Mit großer
Übereinstimmung schreiben internationale Guidelines den
Psychopharmaka in der Behandlung der PTBS eine nach­
geordnete Rolle zu, die im Sinne einer symptomorientierten
medikamentösen Therapie dann erfolgen kann, wenn eine
traumafokussierte psychologische Therapie nicht möglich ist
oder bisher nicht ausreichend weitergeholfen hat [16]. Psycho­
pharmaka sind demnach nicht Therapie der ersten Wahl bei
der PTBS und können in aller Regel eine psychotherapeutische
Intervention nicht ersetzen. Obgleich Vertreter nahezu aller
Klassen von Psychopharmaka in der Behandlung der PTBS im
klinischen Alltag verordnet werden, gibt es aus wissenschaft­
lichen Studien bisher nur wenig Evidenz für deren Einsatz.
Am häufigsten werden bei PTBS die Antidepressiva der Klasse
Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI), namentlich vor
allem Paroxetin, aber auch Citalopram oder die ältere Substanz
Fluoxetin eingesetzt. Empfehlungen gibt es alternativ auch für
Mirtazapin oder das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin.
Eine gelegentlich aufgrund vorliegender Studien empfohlene
Behandlung mit dem irreversiblen MAO-Hemmer Phenelezin
sollte wegen der pharmakologischen Besonderheiten dieses
Wirkstoffes (u.a. bzgl. des Interaktionspotentials) aber Spezialisten vorbehalten bleiben. Bei den Antidepressiva aus der
Stoffgruppe der Serotoninwiederaufnahmehemmer ist auf die
Suizidgefährdung bei Eindosierung und Dosisanpassungen zu
achten. Bei Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungs­
störung besteht nachweislich eine erhöhte Suchtgefährdung,
weshalb Substanzen mit erhöhtem Suchtpotential (besonders
Benzodiazepine) nur in Krisensituation und unter engmaschi­
ger ärztlicher Kontrolle Verwendung finden sollten.
Präventionsaspekte
Bei der PTBS handelt es sich um eine definiert beginnende und
zur Chronifizierung neigende sowie mit diversen Folge- und
Begleiterkrankungen assoziierte psychische Störung. Daher
erscheinen Präventivmaßnahmen hier besonders sinnvoll.
Die PTBS nimmt, was die Möglichkeit präventiven Vorgehens
betrifft, eine geradezu einzigartige Stellung unter den psychi­
schen Störungen ein, da mit dem auslösenden Trauma ein
unübersehbares Ereignis den Ausgangspunkt für eine Sekun­
därprävention im Sinne einer Postexpositionsprophylaxe bildet.
Auch die Erkenntnis, dass bestimmte Formen des Traumas
mit hoher Penetranz zur Ausbildung einer PTBS führen, sollte
Anlass sein, sich über die Möglichkeiten einer Prävention nach
bestimmten Ereignissen mit hohem Traumatiserungsrisiko (z.B.
sexuelle Übergriffe) Gedanken zu machen.
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