Wortbildung

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Lauffer PS Wortbildung des Deutschen SS 2009
Allgemeines
• Sprechstunde: Donnerstag 14 Uhr, Raum 308 RG
• Vorausgesetzte Kenntnisse
Es werden grammatische Grundkenntnisse im Umfang des ES-Stoffs vorausgesetzt.
Zur Ergänzung bzw. Wiederholung eignet sich: LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN (2004): Studienbuch
Linguistik. 5. Aufl. Tübingen. Kapitel Semantik, Pragmatik und Textlinguistik.
• Arbeitsformen und Leistungsnachweis:
(1) Für alle: Morphologische (Teil-)Analyse eines Wortes (Wortbildung, Flexion)
(2) Für Schein-Aspiranten: Klausur.
Bibliographische Hinweise
Aitchison Jean (1997): Wörter im Kopf. Eine Einführung in das mentale Lexikon. Tübingen
Altmann, H./Kemmerling, S. (2000, 22005): Wortbildung fürs Examen. Wiesbaden
Barz Irmhild /Fleischer W. / Öhlschläger G. (Hrsg.) (1998): Zwischen Grammatik und Lexikon. Tübingen
Barz, Irmhild u.a. (2007): Wortbildung - praktisch und integrativ. Ein Arbeitsbuch. Frankfurt/M. u.a.
Barz, I. (2005): Die Wortbildung. In: DUDEN. Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw.Aufl. Hrsg. von der
Dudenredaktion. Mannheim u.a. (= Der Duden Bd.4). S. 641-772
*Donalies, Elke (2005): Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. Tübingen
*Donalies, Elke (2007): Basiswissen Deutsche Wortbildung. Tübingen
Eichinger L.M. (1994): Deutsche Wortbildung. Heidelberg Groos (Studienbibliographien Sprachwiss.10).-Dazu
rez. in ZfS 16,1997, 324-326
Eichinger L.M. (2000): Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen
Eisenberg, P. (1998, 22004): Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Tübingen
Erben, J. (31993, 42000): Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. Berlin
Fleischer, W. /Barz,I. (1995): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2.Aufl. Tübingen
[Standardhandbuch]
Fleischer, W.(2000): Die Klassifikation von Wortbildungsprozessen. In: Booij, G. u.a. (eds.): Morphologie. Ein
internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung. HSK 17.1. Berlin/New York . S. 886-897
Henzen Walter (1957, 31965): Deutsche Wortbildung. 2.Aufl. Tübingen [zur historischen Wortbildung]
Kühnhold, Ingeborg u.a.(Hrsg./Bearb.): DEUTSCHE WORTBILDUNG. Typen und Tendenzen in der
Gegenwartssprache (1973-1992). 6 Bde. (Bd.1: Das Verb. -Bd.2: Das Substantiv. -Bd.3: Das Adjektiv. Bd.4: Substantivkomposita. -Bd.5: Adjektivkomposita und Partizipialbildungen. -Bd.6: Morphem- und
Sachregister) [Einzeldarstellungen auf breiter Materialbasis]
Lohde, M. (2006): Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen
MORPHOLOGIE. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung. Hrsg. von G.E.Booij u.a. [2000,
2004]. 2 Bde. Berlin, New York (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft [=HSK]17.1-2)
Motsch, Wolfgang (1999, 22004): Deutsche Wortbildung in Grundzügen. Berlin
Müller, P.O. (Hrsg.) (2005): Fremdwortbildung. Frankfurt/M. u.a.
Müller, Peter O. (2006): Deutsche Wortbildung. Eine synchron-diachrone Einführung. Berlin
Muthmann G. (1991): Rückläufiges deutsches Wörterbuch. Handbuch der Wortausgänge im Deutschen, mit
Beachtung der Wort- und Lautstruktur. 2., unveränd.Aufl. Tübingen (RGL 78)
*Naumann B. (2000): Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen. 3., neubearb. Aufl. Tübingen
Olsen, S. (1986) Wortbildung im Deutschen. Stuttgart
Rickheit Mechthild (1993): Wortbildung. Grundlagen einer kognitiven Wortsemantik. Opladen
Weinrich, H.(1993): Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim
Lauffer PS Wortbildung SS 2009
Teil I. Allgemeines
1 Wortschatzerweiterung
1.1. Wege der Wortschatzerweiterung
Entstehen alle neuen Wörter durch Wortbildung? Handelt es sich in den folgenden Fällen um Wortbildung?
• Bedeutungsverschiebung, z. B: Metonymie, Metapher, Katachrese: Fuß (des Berges), Kopf (einer
Konstruktion)
• Onomatopoetica: Kuckuck, grunzen, urgh.
• Künstliche Neubildung, "Kunstwörter", "Urschöpfung": Gas, Quarks (1964), Persil (<Perborat+Silikat),
Haribo (Hans Riegel Bonn), Adidas (Adi Dassler)
• Kürzung: BAföG, Bus, S Bahn: Neue Wörter? (vgl. unten Abschnitt 16)
• Entlehnung (auch aus Varietäten!): Computer, Fax, Handy (!), Denkzettel, Beweggrund
• Zusammenrückung bzw.Zusammenschreibung von syntaktischen Konstruktionen: aufgrund, mithilfe,
querfeldein, radfahren, durchlesen: Neue Wörter?
1.2. Gründe der Wortschatzerweiterung
• Semantisch-begriffliche Funktion: Benennung
• Syntaktische Funktion: Verfügbarkeit eines Begriffs an unterschiedlichen Strukturstellen im Satz (Die Wiese
ist grün, Das Grün der Wiese ist verschwunden, Die Wiese grünt wieder).
Vereinfachung und Komprimierung syntaktischer Konstruktionen durch parallelen Aufbau (Wir bitten um
Überprüfung, Bearbeitung und Weiterleitung unseres Schreibens).
• Textuelle Funktion: Kondensation von Textinhalten und Textverweis, wichtig z.B: in Überschriften.
• Pragmatische Funktion: Anpassung an die Sprechsituation, z.B. durch Kürze des sprachlichen Ausdrucks,
oder Gestaltung der Kommunikation, z.b. durch Selbstdarstellung als kreativ, witzig, intelligent.
2 Morphologische Einheiten
Vorbemerkung: Formen des sprachlichen Wissens
Die Bildung einer sprachlichen Konstruktion beruht auf der Kenntnis ihrer Elemente („Einheiten") und der
möglichen Relationen bzw. Verknüpfungsregeln.
• Lexikalisches Wissen: umfasst die Lexeme einer Sprache („mentales Lexikon").
• Morphologisches Wissen: Wie bildet man aus sprachlichem Material ein neues akzeptables Wort
(Wortbildung)? Wie passt man ein Wort an den syntaktischen Kontext an (Flexion)?
Das morphologische Wissen umfasst als Einheiten die morphologischen Bestandteile möglicher Wortformen
(Stämme, Derivative, Flexive) sowie das prozedurale Wissen, wie man aus solchen Elementen neue Wörter
und Wortformen bilden bzw. diese verstehen kann.
• Syntaktisches Wissen: Wie bildet man aus Wörtern einen grammatischen und akzeptablen Satz?
• Pragmatisches und textuelles Wissen: Wie bildet man aus Sätzen einen kohärenten, d.h. sinnvollen, der
kommunikativen Situation adäquaten Text?
2.1. Morphem
Für flektierende Sprachen wie das Deutsche ist das Morphem-Konzept keine ausreichende
Beschreibungsgrundlage. Es passt besser für die einsilbigen, unveränderlichen Satzbestandteile isolierender
Sprachen wie Vietnamesisch. Probleme sind z.B.
• nicht existente Einheiten wie „Nullallomorph” oder gar „Nullmorphem",
• Portmanteau-Morphe,
• Vokalwechsel als „Bedeutungseinheit” (gab: a < e = Präteritum, Väter: ä < a = Plural),
• das Postulat konstanter Morphem-Bedeutungen, aus denen sich (gemäß Freges „Kompositionalitätsprinzip”)
die Gesamtbedeutung einer Morphemkonstruktion ergeben müsste. In verwandten Wörtern müsste ein
Morphem immer dieselbe Bedeutung haben - was kaum je der Fall ist: Haustür, Hausmeister, häuslich,
hausen, Gehäuse. Bedeutungen sind meist vage und idiosynkratisch, und sie ändern sich je nach Kontext.
Ein „holistischer” Ansatz auf der Basis der Begriffe Wort oder Stamm kommt der sprachlichen Realität
flektierender Sprachen näher. Experimentelle Befunde deuten allerdings darauf hin, dass Morpheme (neben
den Wörtern) kognitive Einheiten der Sprachverarbeitung sind. Deshalb sollte der Begriff - mit den
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notwendigen Ergänzungen - beibehalten werden: als Bezeichnung für eine minimale morphologische Einheit
mit grammatischer oder lexikalischer Funktion, für eine „minimale funktionale Einheit”.
2.2. Wort.
Das Wort als zusätzliche Strukturebene zwischen Morphem und Phrase ist keine universale sprachliche Einheit.
Ein wichtiges Grundkonzept ist es für flektierende Sprachen, für andere Sprachen ist es kaum sinnvoll. Im
„isolierenden“ Vietnamesischen z.B. ist der Satz eine Folge unveränderlicher, einsilbiger Grundeinheiten, im
„inkorporierenden“ Grönländischen entspricht unserem Satz eine komplexe Einheit von Grundelement und
Erweiterungen. Der Wortbegriff muss also für jede Einzelsprache angemessen definiert werden. Universale
Einheiten sind:
Äußerung: pragmatische Einheit des sprachlichen Handelns,
Satz: strukturelle Form einer Äußerung mit unterschiedlicher einzelsprachlicher Form; im Deutschen: Subjekt +
Prädikat,
Phrase: komplexe Konstituente eines Satzes als Bedeutungseinheit,
Morphem: ungegliederte Bezeichnungseinheit.
In flektierenden Sprachen wie dem Deutschen ist das Wort eine autonome Einheit zwischen Laut und Satz.
Seine Eigenschaften sind:
das Wort ist im Satz grundsätzlich frei beweglich (”freie Einheit”, ”minimal free form”, BLOOMFIELD);
das Wort ist nur als ganzes attribuierbar: *reitende Artilleriekaserne;
das Wort ist nur als ganzes pronominalisierbar ("Anaphorische Inseln”): *Jeder Unidozent liebt sie (*die
Uni). Anaphorischen Bezug auf einen Wortteil gibt es allerdings bei Eigennamen: Die Schröderfans
lieben ihn (=Argument für die Sonderstellung der EN innerhalb der Nomina!).
Wörter sind regelhafte Produkte der Performanz wie Sätze, doch werden sie im Unterschied zu Sätzen
gewöhnlich im Gedächtnis gespeichert (”Lexikalisierung” als ”Lexeme”). Speicherung ist eine typische
Eigenschaft des Wortes. Es gibt mögliche Sätze und mögliche Wörter, doch die Unterscheidung
okkasionell - usuell gibt es nur beim Wort.
Idiomatisierung und Bedeutungsentwicklung kennzeichnet das Wort, nicht aber den Satz.
Zusammengefasst: Das Wort ist eine freie, d.h. syntaktisch bewegliche bedeutungstragende Einheit mit
fester innerer Struktur: Tisch, Tischchen, Tischdecke, Tische, aufgetischt.
2.3. Wortform
Sind Fahrrad, Fahrrads und Fahrräder ein Wort oder drei Wörter? Die Frage betrifft den Unterschied
zwischen dem Wort als abstrakter Einheit des sprachlichen Wissens und seiner konkreten Realisierungsform im
Text, der Wortform, die bei flektierbaren Wörtern eine grammatisch veränderte Flexionsform ist. Man kann
(muss aber nicht!) definitorisch festlegen, dass man sich mit dem Terminus Wort auf die konkret geäußerte
Wortform bezieht (in Abgrenzung von der zugrunde liegenden abstrakten lexikalischen Einheit oder dem
Lexem).
Der Formenbestand einer lexikalischen Einheit (also: Tisch, Tisches, Tische usw.) heißt auch ihr Paradigma.
Hinweis: Lexikalische Einheiten haben eine konventionelle Zitierform, bei Verben ist dies der Infinitiv, bei
Substantiven der Nominativ Singular, bei Adjektiven der undeklinierte Positiv. Der Infiniv ist also sowohl
Zitierform der verbalen lexikalischen Einheit wie auch Flexionsform (mít dem Flexiv -en für ‘Infinitiv’).
2.4. Lexem
Gerede und Gefaxe sind zwar beides Wörter der deutschen Sprache, doch nur Gerede ist ein Bestandteil des
sprachlichen Wissens, ist im mentalen Lexikon gespeichert (oder auch in seinem Modell, dem Wörterbuch).
Eine solche lexikalische Einheit heißt Lexem. Das Wort Gefaxe im Sinne von „lästige, andauernde Tätigkeit
am Faxgerät” ist hingegen bis jetzt kein Lexem der deutschen Sprache. Es wurde hier gebildet, zusammen mit
dem Satz, in dem es vorkam, und wäre anschließend unter „normalen” Umständen wie der zugehörige Satz
wieder vergessen worden. Bis zu 1/3 der lexikalischen Einheiten eines Zeitungstexts sind nicht im Wörterbuch
gespeichert, also keine Lexeme in diesem Sinn (laut Duden 1998 S.409). Keine Lexeme, aber lexikalische
Einheiten sind neben solchen „Ad-hoc-Bildungen” auch Eigennamen und nicht lexikalisierte fremde Wörter
(im Unterschied zu Fremdwörtern). Wenn es auf solche Unterscheidungen nicht ankommt, kann man die
abstrakte lexikalische Einheit generell Lexem nennen.
Das Wort gehört also mindestens zwei sprachlichen Ebenen („Modulen”) an. Als abstrakte Einheit ist es
Bestandteil des lexikalischen Wissens (lexikalische Einheit, oder einfach Lexem,), als konkrete, grammatisch
angepasste Einheit ist es Konstituente des Satzes bzw. Textes, ist also auch Element des syntaktischen und
textuellen Regelwissens (Wortform, oder einfach Wort).
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2.5. Stamm
In der traditionellen historischen Sprachwissenschaft bezeichnet man mit Stamm eine Wortform, die von den
grammatischen Kategorien Person und Numerus abstrahiert, also z.B. Präsensstamm, Präteritumstamm,
Konjunktivstamm, Partizipialstamm, Pluralstamm (verbind, verband, verbänd, verbund, wald, wäld).
Für eine synchrone Beschreibung der deutschen Gegenwartssprache genügt eine weitere Definition: Stamm als
Abstraktion von allen grammatischen Kategorien, als nicht flektierte Form eines Wortes (kurz: Stamm = Wort
minus Flexion). Sinngemäß sind auch nicht flektierbare Wörter Stämme. Die Lautgestalt von Stämmen kann
durch Mutierung verändert sein, man spricht von Stammformen: Mann-Männ(er), find(en)-(ge)fund(en).
Stämme verhalten sich in dieser Hinsicht wie Morpheme: Stamm-Stammform / Morphem-Allomorph. Für das
Deutsche ist zu unterscheiden zwischen der unmarkierten Stamm-Grundform und (durch Umlaut oder Ablaut)
markierten Formen.
Hinweis: Der Stamm eines Wortes sollte, zumindest theoretisch, nicht mit dem Lexem identifiziert
werden. Stämme liegen zwar den entsprechenden Lexemen zugrunde, enthalten aber nicht deren
Bedeutungsumfang, und sie sind nicht wortartspezifisch. Bei der Wortbildung bringt der Stamm nur
solche kategorialen Merkmale und Bedeutungsaspekte der entsprechenden Lexeme zur Geltung, die mit
dem jeweils anderen Stamm oder Derivativ verträglich sind. Bei einer Wortbildung wie
Scheibenwischer werden von Anfang an nur diejenigen Bedeutungsanteile der Stämme realisiert, die
dem intendierten Gebrauch des Wortes entsprechen (vgl. Rickheit 1993 : 48). Dieser Aspekt ist wichtig
bei der Beurteilung der Idiomatisierung eines Wortes: Die Bedeutung von Scheibenwischer ergab sich
nicht erst durch Idiomatisierung aus einer allgemeinen Bedeutung „ein Apparat um irgendwelche
Scheiben irgendwie zu wischen“.
Wenn es auf die Unterscheidung zwischen einfachem und komplexem Stamm ankommt, kann man
einen erweiterten Stamm mit Eisenberg (1998/1 : 210) auch Stammgruppe nennen (analog zum
Terminus Wortgruppe in der Syntax): einfacher Stamm schlag, komplexer Stamm=Stammgruppe
vorschlag.
Wurzel nennt man in der historischen Sprachwissenschaft eine nicht weiter analysierbare lexikalische
Basiseinheit, z.B. bind, geb, also die Abstraktion von allen formalen Veränderungen einer lexikalischen Einheit
(besonders: von Flexiven und Derivativen)- also ungefähr das, was die strukturalistische Morphologie
lexikalisches Morphem nennt. In neueren synchron orientierten Darstellungen der Wortbildung wird auf den
Wurzelbegriff meist verzichtet.
2.6. Basis
Terminus der Wortbildung. Die Grundlage einer Derivation oder Konversion heißt Basis. So ist z.B. grün die
Basis von Grün, grünen, begrünen und grünlich. Als Basis fungieren gewöhnlich Stämme, doch gibt es auch
flektierte Basisformen (ein Grüner, die Kinderchen). Die Begriffe Stamm und Basis sind deshalb nicht
synonym. Die Basis kann ein Morphem sein (‘Basismorphem’: Lehr-er), kann aber auch morphologisch
komplex sein (Berücksichtig-ung). An die Basis treten bei der Derivation die Derivationsaffixe (”Derivative”).
2.7. Affix (Präfix, Suffix, Zirkumfix).
Ausschließlich gebunden vorkommendes Morphem zur Bildung von Wortformen (Flexiv) oder von
Wortstämmen (Derivativ). Affixe haben eine allgemeinere, abstraktere Bedeutung als Stämme und
können im Unterschied zu den Stämmen typischerweise nicht kombiniert werden, um neue Affixe oder
Wörter zu bilden. Das Affix ist keine rekursive Kategorie.
Da es zwischen Stämmen und Affixen diachronische Übergänge gibt (vgl. Saustall : Sauwetter : sauteuer :
saubillig), wurde zur Kennzeichnung der Übergangszone der Terminus Affixoid (Präfixoid, Suffixoid)
vorgeschlagen. Zur Diskussion über diesen Begriff vgl. Donalies 2005).
2.8. Konfix
Für gebundene Stämme wie in Vino-thek, Bio-top, biblio-phil u.dgl. wird seit G.D.Schmidt 1987 häufig der
Terminus Konfix verwendet (von R.Kocourek für das Frz. geprägt, von Fleischer/Barz u.a.verbreitet, vgl.
z.B. Donalies 2005:21-23). Der Terminus ist problematisch, da er eine Gleichartigkeit solcher Morpheme mit
Affixen (Präfixen, Suffixen) suggeriert. Es handelt sich um lexikalische Morpheme, die aus historischen
Gründen (in der Regel handelt es sich um Bestandteile von Lehnwörtern) nur gebunden vorkommen. Gleiche
Fälle gibt es auch bei nativen Wörtern: Him-, scheuß-, Stief-, Schwieger-, zimper-. Auch Verben als
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Konstituenten von Weiterbildungen sind in der Regel gebundene Morpheme: Rechn-ung, Les-er, Fahr-rad. Vgl.
unten S. 12.
2.9. Fugenelement
Terminus der Wortbildung. Fugenelemente sind semantisch funktionslose Laute zwischen den Konstituenten
eines komplexen Wortes (also keine Morpheme!): wesentlich, öffentlich, eigentlich, Liebesbrief,
Zeitungsmeldung. Meist wird der Terminus im engeren Sinne auf die Elemente der Kompositionsfuge
eingeschränkt.
3 Morphologische Mittel
Die formalen Mittel zur Bildung morphologischer Konstruktionen sind in der Wortstammbildung
(=Wortbildung) und der Wortformbildung (=Flexionsmorphologie) grundsätzlich dieselben. Einige Verfahren
sind allerdings auf die Wortstammbildung beschränkt. Auf der Basis der allgemeinen Veränderungstypen
„Erweiterung“ und „Ersetzung“ kann man folgende Verfahren sind unterscheiden:
1. Transposition: Überführung in eine andere syntaktische Kategorie: Die Form der Konstruktion bleibt gleich,
die grammatische oder lexikalische Veränderung zeigt sich nur im veränderten syntaktischen Verhalten:
rot > das Rot, lesen >das Lesen, das Mädchen > die Mädchen
dumm > Dummheit, üb(en) > Übung, schöner > verschöner(n), lauf(en) > Lauf.
2. Univerbierung: Verknüpfung der Konstituenten einer syntaktischen Konstruktion zu einem Wort:
auf Grund > aufgrund, kalt stellen > kaltstellen, durch lesen > durchlesen.
Man kann die Univerbierung auch als Sonderfall der Transposition definieren, da durch dieses Verfahren
grundsätzlich eine Phrasenkategorie (z.B. eine NP) zu einer Wortkategorie (z.B. N) wird.
3. Modifizierung/Modifikation: Erweiterung eines Stamms als Kopf/Kern nach links:
(a) Erweiterung durch einen Stamm: Buch > Bilder-buch, greifen > er-greifen
(b) Erweiterung durch ein Präfix: er-blüh-,miß-brauchen, Un-lust (=Präfigierung)
Eine seltene Sonderform der Modifizierung ist die Reduplikation: Verdoppelung einer anlautenden Silbe
mit oder ohne Lautveränderung (Mama, Popo, Klimbim, got. haihait < haitan, lat. cu-curri < currere)
4. Suffigierung:
(a)Überführung eines Stamms als Kern in eine Konstruktion mit Suffix als Kopf: Fleiß > fleißig, groß >
Größe, belehren > Belehrung.
(b) In der Wortformbildung des Deutschen ist die Suffigierung durch Flexive das grundlegende Verfahren.
(c) Die Zirkumfigierung ist ein Sonderfall der Suffigierung bzw. ein Kombination aus Suffigierung und
Modifizierung: ge-(such)-t, be-(leid)-ig-.
5. Mutierung: Ersetzung von Segmenten durch interne formale Veränderung des Stamms:
(a) Vokalwechsel: Vater-Väter, groß-größer, be-hüt(en), röt-lich, un-säg-lich, ein-äug-ig (Umlaut); bind-,
band-, -bund/Bund, find-, -fund/Fund (Ablaut)
Hinweis: Durch Umlaut entsteht oft eine formale Stammveränderung ohne Funktion, z.B. rot > rötlich, Wald
> Wäldchen, fang(en) > fäng(st
(b) Konsonantenwechsel: verlieren – Verlust, : schneiden - schnitt
(c) Akzentwechsel: Dóktor-Doktóren
(d) Die Kürzung (als Mittel der Wortbildung) kann man als Sonderform der Mutierung betrachten:
Automobil > Auto, Professor > Prof, Lastkraftwagen > LKW.
Hinweis: Ersetzung liegt auch bei der Suppletion vor, der Ergänzung eines Paradigmas durch einen anderen
Wortstamm: gut-bess(er), viel-mehr-meist, bin-ist-war.
4 Flexion und Wortbildung
4.1. Unterschiede Flexion –Derivation
• Inventar
Flexion: begrenztes Inventar. Allerdings gilt dies ähnlich auch bei der Derivation.
• Funktion
Flexive dienen der syntaktischen Anpassung, nämlich dem Ausdruck von Rektion und Kongruenz.
• Distribution
Flexive immer am Rand, im Deutschen rechts. Dabei gilt als feste Reihenfolge der Suffixe: Derivativ vor
Flexiv. Scheinbare Ausnahmen: Flektierte Wortformen als Bestandteil von komplexen Wörter, z.B.
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Häusermeer („Numerusfuge“), Kinderchen. In diesen Fällen dienen die Flexive allerdings nicht mehr der
syntaktischen Anpassung.
Das Präteritum-Flexiv –t- in leg-t-est steht nicht am Ende der Konstruktion. Doch: es kann überhaupt nicht
am Ende stehen! Und keinesfalls kann nach dem –t- ein Derivativ antreten. Die beiden Flexive von legte
stehen also zusammen am Wortende.
• Kompositionalitätsprinzip
Das Kompositionalitätsprinzip gilt bei der Flexion uneingeschränkt, die Konstruktion ist voll transparent.
Derivationen unterliegen wie alle Wortbildungen dem Prozess der Idiomatisierung.
• Lexikalisierung
Flexionsformen werden nicht lexikalisiert.
• Restriktionen
Innerhalb der Flexionsklassen gibt es keine Restriktionen wie bei der Wortbildung.
4.2. Zuordnungsprobleme
Folgende Formen erlauben ein zusätzliches adjektivisches Flexiv rechts von der Grundform:
• Partizip II: das bestand-en+e Examen, ein geglück-t-es Examen
• Partizip I: schnatter-nd+e Gänse
• Gradation: eine größ-er+e Freude.
Man kann die Suffixe –en, -et, -nd usw., die dem Adjektivflexiv vorausgehen, deshalb auch als adjektivbildende
Derivative und die Basis als Adjektiv auffassen. Sprachgeschichtlich wäre eine solche Analyse vorzuziehen, da
die Partizipien eigentlich Verbaladjektive sind, die nicht zum Flexionsparadigma des Verbs gehören.
Das Partizip II ist heute allerdings wie der Infinitiv im Flexionsparadigma grammatikalisiert (bei den
periphrastischen Verbformen), so dass diese Formen in der Regel mit Recht zur Flexion gerechnet werden.
4.3. Diachronische Perspektive
In diachronischer Perspektive gibt es Übergänge vom Derivativ zum Flexiv (selten auch umgekehrt), z.B.
• ge- als perfektivierendes Präfix > Flexiv zur Bildung des analytischen Perfekts
• flug-s, eilend-s Flexiv > Derivativ
• Passivparaphrasen wie Das Haus blieb ungebaut, Das Buch blieb ungelesen: hier erscheint das zur
Wortbildung gehörende Präfix un- grammatikalisiert zusammen mit Kopula und Partizip II.
4.4. Synchronische Perspektive
Synchronisch ergibt sich ein Kontinuum mit prototypischer Struktur:
• Kasus sind flexivischer als Plural, das Diminutiv ist flexivischer als das Nomen agentis.
• Skalenenden: Kasus ⇔ Kompositum
Teil II. Wortstammbildung (= Wortbildung)
5 Theoretische Grundbegriffe der Wortbildung
Analogie. Innerhalb der produktiven Wortbildungstypen folgen Neubildungen typischerweise dem formalen
und semantischen Muster lexikalisierter Bildungen. Man spricht in solchen Fällen der Nachahmung einzelner
Wörter von Analogie. Wenn das Muster nicht genau kopiert wird, können analogische Musternachahmungen
auch zu Regelveränderungen führen.
Inkorporation. Sonderfall der Univerbierung, s.d.
Kern. Diejenige Konstituente einer Konstruktion, die die lexikalische Grundbedeutung trägt, z.B. die Basis von
Suffixbildungen: in Lehrer ist lehr- der Kern, -er der Kopf. Im einfachen Stamm und auch in bestimmten
komplexen Wörtern fallen Kopf und Kern zusammen.
Kopf. Diejenige Konstituente einer Konstruktion, die die Kategorie der Konstruktion festlegt, z.B. ein Suffix
(freund-lich vs. Freund-schaft) oder die rechte Konstituente eines Kompositums (Eis-becher vs. eis-kalt). Der
Kopf (engl. head) fordert einen bestimmten Stamm-Typ als Komplement, z.B. -ung einen Verbstamm. Eine
morphologische Konstruktion aus Kopf und Komplement ist ebenso aufgebaut wie eine syntaktische
Konstruktion aus Prädikat und Ergänzung (z.B. in Max gähnt).
Lexikalisierung. Eigenschaft eines Wortes, bereits ”bekannt” zu sein, also zum ”mentalen” Lexikon der
Sprecher zu gehören. Die lexikalisierten Wörter einer Sprache heißen auch Lexeme. Sie sind häufig
idiomatisiert, müssen es aber nicht sein. Ad-hoc-Bildungen sind neugebildete Wörter, die nicht lexikalisiert
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sind, Neologismen hingegen sind zwar ebenfalls neue Wörter, aber sie gehören bereits zum sprachlichen
Repertoire, sind also lexikalisiert.
Modifikator/Modifikation. Modifikatoren sind Konstituenten, die einen Stamm erweitern und modifizieren,
aber keinen Einfluß auf die Kategorie und die Grundbedeutung der Konstruktion haben, z.B. Verbpartikel,
Präfixe oder die linke Konstituente von Komposita. Modifikatoren sind im Deutschen linksverzweigend und
setzen eine Einheit aus Kopf und Kern voraus. Bei Wortbildungsprozessen mit Modifikatoren spricht man von
Modifikation oder Modifizierung.
Hinweis: Bei Suffixbildungen wie kleinlich oder Zweiglein (Diminutiva) ändert sich durch das Suffix zwar
ebenfalls weder die Kategorie noch die Grundbedeutung, es liegt jedoch in solchen Fällen keine Modifikation und
damit auch keine Ausnahme von der angegebenen Regel vor.
Motivierung, Demotivierung (=Idiomatisierung). Als voll motiviert gilt eine Weiterbildung, wenn ihre
formale Struktur und ihre Bedeutung vollständig aus ihren morphologischen Konstituenten und der Funktion der
Wortbildungsregel herleitbar ist („Kompositionalitätsprinzip“). Man spricht in diesem Fall auch von einer
transparenten Bildung. Demotiviert oder idiomatisiert ist eine Weiterbildung dann, wenn eine solche
Zurückführung nur noch teilweise oder gar nicht mehr möglich ist. Demotivierung ist ein diachronischer Prozeß,
der sich kontinuierlich vollzieht. Manche unterscheiden deshalb zwischen voll-, teil- und demotiviert.
Lexikalisierung zum Lexem kann, muß aber nicht mit Idiomatisierung einhergehen.
• Ursache der Idiomatisierung sind alle Formen von Sach- bzw. Bedeutungswandel. Hinzutreten kann
Lautwandel: fahren-fertig, biegen-Bucht, Geselle-Saal.
• Endpunkt der Idiomatisierung ist die Isolierung der Konstituenten (Nachtigall, Pausbacke,
Heuschrecke, drollig, Argwohn, Stiefmutter; Gugelhupf) oder die völlige Verschmelzung zu einem
unsegmentierbaren Stamm (heute, heuer, heint).
• Idiomatisierung liegt auch vor beim Übergang vom Stamm zum Affix: -bar, -haft, -lich, -schaft,
-heit, -mäßig, erz-, sau-, end- usw.
FRAGE: Liegt in Fällen wie Stehsammler, Mausmatte, Warmduscher Idiomatisierung vor?
Neubildungen von Wörtern haben in der Regel nicht eine "eigentliche" Bedeutung, die sich aus den
Konstitutenten und der Bildungsregel ergibt, und die dann später der Idiomatisierung unterliegt.
Vielmehr ist es normal, dass Neubildungen schon im Augenblick ihrer Prägung gegenüber der
"wörtlichen" Bedeutung einen Mehrwert haben, also den Eindruck der Idiomatisierung erwecken.
Beispiel Gutmensch, Warmduscher: Die usuelle Bedeutung von Wörtern wie Bahnhof, Fahrrad,
Gutmensch, Warmduscher war also wahrscheinlich von Anfang an die normale und ist nicht ein Produkt
der Idiomatisierung.
Frage. Wie sind die folgenden Wörter hinsichtlich ihrer Motivierung zu beurteilen: den Gedankengang erfassen,
zum Lernen anspornen, eine Neuigkeit erfahren, ein Sprungbrett zum Erfolg? (nach Barz 2004)
Produktivität. Eigenschaft einer Bildungsregel, die nach vorhandenen Mustern neue Wörter ”produziert”. Nur
noch schwach produktive Muster heißen auch ”aktiv”. ”Sehr produktiv” und ”unproduktiv” markieren
Endpunkte eines Kontinuums. Von den regelhaft möglichen Wörtern werden nur diejenigen gebildet, für die ein
aktueller oder wiederkehrender Bedarf besteht.
FRAGE: Welche der folgenden Suffixe zur Bildung von Substantiven sind heute noch produktiv:
-e, -ung, -t, -nis?
Restriktionen. "Potentielle" Bildungen können aus unterschiedlichen Gründen ungebräuchlich sein. Sofern der
Grund dafür eine grammatische Regel ist (und nicht z.B. fehlender Bedarf für das Wort), nennt man solche Fälle
Regelbeschränkungen oder Restriktionen.
Aufgabe. Ordnen Sie die ungebräuchlichen Bildungen ?Bächchen, Störrischheit, Gottkeit, Armheit, Arbeitung,
Sterbung, Reiser, besen, beginnbar, unschwanger verschiedenen Restriktionstypen zu und geben Sie dafür
Begründungen.
Transposition. Veränderung der syntaktischen Kategorie bei der Wortbildung: die Zielkategorie ist nicht
identisch mit der Basiskategorie. Transposition liegt immer dann vor, wenn sich die Kategorie des
Wortbildungsprodukts gegenüber der des zugrunde liegenden Worts oder Syntagmas verändert. Transposition
ist typisch für Suffixbildungen: schön (Adj.) > Schönheit (Subst.). Hinweis: Konversion ist eine Bezeichnung
für einen Wortbildungstyp, und zwar für solche Wörter, die allein auf Transposition beruhen (s. unten).
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Univerbierung. Verschmelzung von syntaktisch selbständigen, meist benachbarten Konstituenten zu einem
Wort. Ein Sonderfall der Univerbierung ist die Inkorporation: Univerbierung einer abhängigen Konstituente mit
dem Kopf der Konstruktion, z.B. eines Komplements in das Verb (radfahren, kaltstellen) oder eines Attributs in
das Nomen (Meeresrauschen, Schafskopf: „uneigentliche“ Komposita). Hinweis: Zusammenrückung ist eine
Bezeichnung für einen Wortbildungstyp, und zwar für solche Wörter, die allein durch Univerbierung zustande
kommen (s. unten).
Aufgabe. Diskutieren Sie das Problem der Abgrenzung von Syntax und Morphologie an den folgenden Beispielen:
ein tief erschütterndes Bild, mit tief bewegter Stimme – ein tiefschwarzes Kleid, ein tieftrauriges Kind, tiefgekühlte
Ware; Blut stillendes Medikament – blutstillendes Medikament; die Milch kalt stellen – den Gegner kaltstellen.
Konversion. Wortbildungstyp: Bildung eines neuen Worts aus einem anderen Wort mit Änderung der
Basiskategorie (also mit Transposition) und ohne Affix . In der engeren Definition von Fleischer/Barz: ohne
Affix und ohne Mutierung, also ohne formale Änderung des Stamms.
6 Arten der Wortbildung
Auf der Basis der allgemeinen Veränderungstypen (s. oben Abschnitt 3 Morphologische Mittel) werden für die
deutsche Gegenwartssprache folgende Arten der Wortbildung unterschieden:
• Komposition = Modifikation durch einen Stamm oder mehrere univerbierte Stämme
• Derivation (im weiteren Sinn!) = Erweiterung durch Affix (Suffigierung oder Modifikation durch
Präfix)
• Konversion = Transposition ohne weitere Veränderung (auch mit Univerbierung der Basis).
• Kürzung
Es können auch mehrere Veränderungstypen zusammen auftreten. Es entstehen dann komplexe Mischtypen, die
in der Wortbildungstheorie unterschiedlich behandelt und benannt werden (dazu unten s.v. Kombinatorische
Wortbildung). Im folgenden Überblick sind diese zunächst nicht berücksichtigt.
(a) Morphologische Erweiterung: Komposition und Derivation
Wortform
Stamm
einfacher Stamm
Flexiv
erweiterter Stamm:
erweitert mit
1. grün, Grund
2. stehWortstamm
3. scheuß-, -flat, Him4. Vino-, -thek
Komposition
1. blaugrün,Hundehütte,
radfahren
2. rot-grün, Vorschule
3. Him-beere,Vino-thek
4. Rhein-Main-Donau-Kanal
Affix (=Derivativ)
Derivation
1. ent-stehen, Un-flat
2. grün-lich, scheuß-lich
3. un-aussprech-lich
4. drei-bein-ig
(b) Morphologische Kürzung: Kurzwortbildung
Unterschiedliche Arten der Kürzung von Wörtern oder Wortgruppen: Auszubildende(r) > Azubi, Diskothek
> Disko, Professor > Prof. Dazu im einzelnen unten s.v. Kürzung.
(c) Kategoriale Veränderung: Konversion und Zusammenrückung
grün > (das) Grün, grün > grün(en), enstehen > das Entstehen, Rad fahren > das Radfahren.
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(d) Phonologische Veränderung: „ implizite Derivation“
Grund > gründ(en), Hu t> hüt(en), rot > röt(en), find(en) > Fund, zieh(en) > Zug
Frage: Ist die implizite Ableitung heute noch produktiv?
In allen Wortbildungskonstruktionen kann statt eines Stamms auch eine Wortgruppe auftreten, also zum
jeweiligen Veränderungstyp Univerbierung hinzukommen:
• Kompositum: Einfamilienhaus aus ein(-) Familie + Haus,
• Derivation: Gesetzgeber aus Gesetz geb(-) +-er,
• Konversion: kaltstellen aus kalt stellen (sog. Zusammenrückung, Inkorporation)
Hinweis: Die Wortbildung mit nichtnativen Stämmen (Fremdwörtern, Konfixen) zeigt verschiedene
Besonderheiten: die Stämme bilden im deutschen Lexikon ein eigenes Inventar mit mit
phonologischen und morphologischen Besonderheiten: Akzentwechsel innerhalb einer Wortfamilie,
Endbetonung, volle Endsilbenvokale, besondere Vokale wie Nasalvokale oder hohe Kurzvokale u.a.
Die Inventare sind stärker getrennt als im Englischen (hard words) oder Französischen (mots savants),
doch gibt es Übergänge und Mischungen (sog. hybride Bildungen). Zu Konfix, Konfigierung s.oben
Abschnitt 2)
7 Komposition
7.1. Definition
Grundlage ist die Unterscheidung frei-gebunden. Welche Definitionen sind brauchbar?
• Wort+Wort
• Konstruktion aus freien Morphemen
• Konstruktion aus freien Morphemen oder Morphemkonstruktionen.
Problemfall sind jeweils die Komposita mit verbalem Erstglied: Verbstämme. Deshalb besser:
• Konstruktion aus Wörtern oder Wortstämmen. Stamm ist definiert als diejenige Form eines Wortes, die
der Flexion zugrunde liegt, also z.B. mit Flexiven verknüpft werden kann.
Es bleiben dann noch immer als Problemfälle:
− Unflektierbare unikale Morpheme : Him-, Brom-, -gall
− Unflektierbare nichtunikale Stämme, sog. ”Konfixe” (z.B. Fleischer/Barz S.26):
Stief-, Kosmo-, Bio-, Biblio-, Anglo-, Astro-, Info-, Disko-, Thermo-, -thek: weder Wörter, noch
flektierbar; einige Stämme kommen allerdings als Kürzungen frei vor.
• Sinnvoll deshalb als zusätzliches Kriterium: kategoriale Bedeutung, so auch Fleischer/B. ebd.,
„Lexikalisch-semantische Bedeutung”: Astro-↔ Stern-, Kosmo- ↔ Welt-, -thek-↔ -platz.
7.2. Das Determinativkompositum: Formale Eigenschaften
a) Binäre Struktur. Dies gilt auch für Fälle wie Einfamilienhaus, Mehrzweckhalle, Vollkornbrot
Klarsichthülle und für Bindestrich-Komposita wie Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Rhein-Main-Donau-Kanal,
Berg-und-Tal-Bahn. Das mehrgliedrige Determinans ist als Wortgruppen-Konstituente aufzufassen (die
allerdings nicht notwendig einer syntaktischen Konstruktion entspricht).
Anders zu beurteilen ist in dieser Hinsicht die sog. Zusammenrückung, z.B. Vergißmeinnicht.
b) Kopf ist die rechte Konstituente, deshalb „Grundwort”, Determinatum. Das Determinativkompositum ist
eine „rechtsköpfige” Konstruktion, die Benennung erfolgt nach der Kategorie des Kopfs:
Nominalkompositum, Adjektivkompositum usf. Da das Grundwort als Kopf von derselben Kategorie ist
wie die Gesamtkonstruktion, ergibt sich als Test: das Kompositum als Ganzes kann durch sein Grundwort
substituiert werden.
c) Kategorien der Konstituenten. Es gibt kaum kategoriale Beschränkungen für die Konstituenten:
Interjektion+N: Aha-Erlebnis, flektiertes Verb+N: Kann-Kind, Ist-Zustand, usf..
d) Akzent: auf dem Bestimmungswort. Der Akzent ist das beste Kriterium zur Unterscheidung vom
Kopulativkompositum, s.unten. Problem: Diskothek, Allomorph, Thermometer u.dgl. Die Akzentuierung
der zweiten Konstituente entspricht dem Akzentmuster der Derivation (!).
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e) Fuge: Das Fugenelement war ursprünglich das Flexiv eines vorangestellten Genitivattributs: der Kinder
Geschrei > Kindergeschrei, des Elefanten Rüssel > Elefantenrüssel. Während der ältere Kompositionstyp
ohne Fugenelement einer lexikalischen Kompositionsregel folgt, hat sich der Typus mit Fugenelement
aus syntaktischen Attributkonstruktionen entwickelt. Es handelt sich dabei also historisch um
Univerbierung, sog. „Zusammenrückungen“. Im Unterschied zur üblichen Analyse behandelt DONALIES
(2005) die genitivisch interpretierbaren Formen auch synchron als genitivische Wortformen,
Fugenelemente liegen dann nur in Formen wie Zeitungsleser vor, die nicht genitivisch analysierbar sind.
Als Fugenelement gelten in jedem Fall auch die Vokale -o- und -i- bei entlehnten Stämmen, z.B. Thermo-stat, Vin-o-thek, Filz-o-kratie, Agr-i-kultur.
f) Komplexität / Rekursivität:. Die Bildungsregel ist rekursiv (N > N+N), es gibt keine grammatische
Beschränkung für die Anzahl der Konstitutenten: Tütentütentüte, Zwischenzwischenlager (Atommülllager
in der Nähe eines Atomkraftwerks, in dem der Atommüll gelagert wird, bevor er ins Zwischenlager
kommt, 20. 2. 02 BR).
Besonders in Fachsprachen von Recht und Verwaltung: Vertrag, Tarifvertrag, Angestelltentarifvertrag,
Bundesangestelltentarifvertrag, ?Bundesangestelltentarifvertragsverhandlungsbeginn
7.3. Das Determinativkompositum: Semantische Eigenschaften, Bedeutungsstruktur
a) Allgemeine semantische Relation: eine Art von x, Determination. Das Grundwort ist (1) syntaktischer
Kopf der Konstruktion, legt also die syntaktische Kategorie des Kompositums fest, und (2) semantischer
Kern (= Nukleus), der angibt, um welche semantische Sorte von Gegenständen (Referenzbereich) es sich
handelt. Das Determinatum des Kompositums ist wie beim einfachen Wort zugleich Kopf und Kern, das
Determinans ist der Modifikator. Zwischen dem Grundwort und dem Kompositum als ganzem besteht
eine Hyponymierelation: Kiste ist das Hyperonym zu Holzkiste, Abfallkiste usw. Dem syntaktischen
Substitutionstest entspricht ein semantischer Test: ein Tischtuch ist ein Tuch.
b) Beim Typus Adj+N gibt es morphologische Restriktionen, z.B. scheinen adjektivische Derivate als
Determinans ausgeschlossen (*-lich/-bar/-ig + N). Die Komposita vom Typ N+N kennen nur
pragmatische, keine formalen oder semantischen Restriktionen. Die Konstruktion der Bedeutung erfolgt
in gleicher Weise wie die Konstruktion von Sinn in Texten, also die Konstruktion von Kohärenz. Es gibt
allerdings bevorzugte Konzepte, die auf den kognitiven Grundmustern der Wahrnehmung aufbauen, z.B.
(nach Rickheit 1993):
Medium: Flötenspiel, Schürhaken, Schlafsand
Affiziertes Objekt: Kopfschmerz, Bratwurst,
Effiziertes Objekt: Weinanbau, Bisswunde
Funktion: Kannenkran, Kaffeesahne
Aktor: Schülerfest, Filmheld, Kannkind
Ort: Gartenbank, Musikzimmer, Seminarschlaf
Die Interpretation eines Kompositums hängt vom Kontext und vom Weltwissen ab. Auch ohne Kontext
gibt es für jedes Kompositum in der Regel eine bevorzugte Lesart:
Merkmal von Kanne
Relation
Kannenkran
Gewicht: schwer
Affiziertes OBJEKT
Papierkran, Holzkran
Kannenstempel
Gegenstand/Materie
ORT
Schulstempel
Kannenrand
Ganzes mit Teilen
PART
Reisrand, Metallrand
Kannentransport
Gegenstand/beweglich
OBJEKT
Haustransport
Kanneneisen
Materielles Artefakt
MATERIAL
Baumeisen
Kannenmilch
Behälter
ORT
Gesichtsmilch
Kannenmord
Schwer
MEDIUM (Instrument) Buchmord, Vogelmord
Kannenpresse
Artefakt
Effiziertes OBJEKT
Handpresse
Kannenzimmer
Gegenstand/Größe
OBJEKT
Balkenzimmer
Kannengedicht
Sache
THEMA
Schülergedicht
c) Wenn möglich, werden Rektionsbeziehungen realisiert. In solchen Fällen spricht man auch von
„Rektionskomposita“, d.h. das Grundwort regiert sein Bestimmungswort gemäß einer zugrunde
liegenden Rektionsbeziehung. Nach Fleischer-Barz lassen diese Komposita „nur eine Lesart zu”, S.94.
• die Zeitung lesen (Verb+Akkusativobjekt)>Zeitungsleser, maschineschreiben
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•
•
•
sich vor etwas ängstigen, vor etwas Angst haben (PO)>Zukunftsangst, Sicherheitsstreben
der Zug fährt ab (Subjekt/Agens)>Zugabfahrt, Kindergeschrei
arm an etwas (PO)>abgasarm. Ebenso: steuerfrei, fälschungssicher, selbstzufrieden.
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7. 4. Typen des Kompositums
Eine systematische Klassifikation der Komposita ergibt sich nach der Art Benennung, also auf der Basis des
referentiellen Bezugs:
(a) Gattung und Differenz (Modifikation, Spezifizierung): endozentrische Determinativkomposita
ein Buch, und zwar eines mit Bildern > Bilderbuch
(b) Konstitutive Teile (additiv): Kopulativkomposita
aus Baden und Württemberg bestehend > Baden-Württemberg,
medizinisch u. technisch ausgerichtet >medizinisch-technisch(e Assistentin)
(c) Charakteristische Eigenschaft (attributiv): Possessivkomposita
ein rotes Kehlchen habend > Rotkehlchen, eine rote Haut habend > Rothaut
(d) Beziehung (relational): präpositionale Rektionskomposita
vor Mittag > Vormittag, vor der Schule > Vorschule
Die Typen (b)-(d) werden exozentrisch genannt, da der Referenzgegenstand nicht „im“ Kompositum
bezeichnet wird, das referentielle „Zentrum" vielmehr „außerhalb" des Wortes liegt: x besteht aus A und B, x hat
A, x hat die Eigenschaft B(A). Ihr Verhältnis zum Determinativkompositum wird in der Forschung
unterschiedlich beurteilt. Neben dem Determinativkompositum kann das Kopulativkompositum (präzise
definiert, s. unten 6.4.1) als eigenständiger Bildungstyp gelten.
7. 5. Kopulativkomposita
•
•
•
Akzent: rot-grün vs. rotgrün.
Semantik bzw. Syntax der Relation: koordinativ bzw. parataktisch: Garmisch-Partenkirchen. Dies gilt
auch für Fälle wie Nordost (=zwischen Nord und Ost) oder München-Pasing (=München, und zwar
Pasing). Die Konstituenten sind kategorial und semantisch äquivalent: weiß-blau, nebenbei, Nordost,
Baden-Württemberg.
Keine Kopulativkomposita sind demnach Wörter wie Hosenrock, Manteljacke, problematisch ist auch
die Zuordnung von Adjektiven wie dummschlau u.ä.
Aufgabe. Welche der folgenden Wortbildungen könnte man als Kopulativkomposita klassifizieren:
Dichter-Komponist, Waisenknabe, Märchenknabe, Märchenonkel, Kapitänleutnant, Polizeioffizier,
Meistersinger, Hamburg-Altona, rotblond, Hans-Peter?
7. 6. Sonderfälle und Abgrenzungen
(a) Possessivkomposita
Vom synchronen Standpunkt lassen sich die Possessivkomposita vom Typ Dickschädel, Rotkehlchen,
Dreizack am einfachsten als Sonderfall des Determinativkompositums mit metonymischer Bedeutung
(Synekdoche, pars pro toto) auffassen. Zu vergleichen wären Fällen wie Der Lodenmantel sog an seiner
Zigarre (J.R.Becher, zit. Fleischer/Barz), Du Arsch, schieb mal den Blinddarm rüber!
Fleischer/B. (S.46) meinen, sie seien: „prinzipiell als Determinativkomposita zu betrachten”, ähnlich unklar
äußert sich Erben (68): mit „abweichender Funktion”. Historisch ist der „metonymische" Gebrauch
allerdings recht alt oder vielleicht sogar primär, der Ansatz eines eigenen Typus also gerechtfertigt.
Auffällig ist die parallele Form der Ableitung von Wortgruppen, vgl. Dreifuß-Tausenfüßler, RothautDickhäuter. Es handelt sich so gesehen um Ableitungen von Wortgruppen, gegenüber dem expliziten Typus
mit -er jedoch implizit. Der Terminus „implizite Ableitung” ist jedoch unpassenderweise für den Typus
Trank < trinken gebräuchlich. Möglich wäre auch der Terminus „Nullableitung". Diachronische und
systematische Gesichtspunkte (z.B. Akzent, s.oben) sprechen jedoch dafür, die Zuordnung zur Komposition
beizubehalten.
Aufgabe. Welche der folgenden Wortbildungen sind Possessivkomposita: Milchbar,
Milchbart, Geizhals, Halskrause, Rotkehlchen, Rotfuchs, Rothaut, Rothaargebirge, Dickhäuter,
Dickicht, Dickwanst, Dickdarm, Dickkopf, Dickmilch, Einbaum?.
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(b) Präpositionale Rektionskomposita
Bei Wörtern wie Vormittag, Übersee handelt es sich diachronisch in den meisten Fällen um
Zusammenrückungen aus den entsprechenden Präpositionalphrasen: Übersee aus über See, Vormittag aus
vor Mittag (Ich komme noch vor Mittag > vormittag > Vormittag), mit Univerbierung durch Inkorporation
der regierten Nominalphrase. Im Unterschied zu anderen Zusammenrückungen liegt der Akzent auf dem
Erstglied wie beim Determinativkompositum und bei Partikelverben: 'Übersee vs. über'dies, über'eck,
'Vormittag-'Vorzeit-vor'zeiten, vor'einst.
Aufgabe. Welche der folgenden Wortbildungen sind präpositionale Rektionskomposita:
Vorgarten, Vorschule, Sonderschule, Nachtisch, Nachspeise, Vorzeit, Mittag?.
(c) Komposita mit nichtnativen Stämmen („Konfixkomposita“)
Wörter wie Thermo-stat, Vino-thek enthalten nichtnative Stämme, die aufgrund ihrer Herkunft nicht frei
vorkommen, sondern nur gebunden als Bestandteile von Lehnwörtern (Bibliothek) oder Analogiebildungen
(bibliophil, Infothek). Der für solche gebundenen Stämme vorgeschlagene Terminus „Konfix“ ist zwar
ungünstig, da er fälschlicherweise einen Zusammenhang mit den Affixen suggeriert, hat sich aber
weitgehend durchgesetzt. Die Bestandteile solcher Bildungen sind keine Affixe, sondern lexikalische
Stämme, nicht anders als bei nativen Wörtern wie Him-beere, Schwieger-sohn oder Fahr-rad. Es handelt
sich also um einen Sonderfall des Kompositums. Vgl. oben Abschn.2.
7.7. Textuelle Funktionen der Komposita
Textuelle Verdichtung, mit anaphorischem oder kataphorischem Bezug: ”Nominalkomposita lassen sich
als Raffungen von mehr oder minder umfachreichen Textsegmenten beschreiben (Weinrich 938).
• Geisterpferd, Höhlenforscherrettungsmannschaft
• Neuerdings ist zu dieser Fischerei in der Straße von Messina eine andere hinzugekommen und zwar um
Malta, und diese Malta-Fischerei auf Schwertfische, is eigentlich eine Zufallsfischerei. Das wird also
ganz einfach alles mit Hand gemacht...(Hörfunk, zit.Erben S.66).
• Igelriese (Dürrenmatt, Das Versprechen) „großer Mann, der igelartige Trüffel aus Schokolade
verschenkt“.
• Körperfürst (Zauberberg): stilistische Nuancierung.
8 Derivation/Suffigierung
8.1. Komposition und Derivation
Die Derivation ist der zweite Haupttyp der Wortbildung. Während bei der Komposition zwei Stämme beteiligt
sind, tritt bei der Derivation zum Stamm ein Derivativ. Derivative operieren auf Stämmen und aktualisieren
bestimmte Bedeutungsanteile ("semantische Argumente") des Stamms. Da Suffixe und Präfixe unterschiedliche
grammatische Eigenschaften haben, erscheint es sinnvoll, Derivation (im engeren Sinne) als Weiterbildung von
Stämmen durch Suffixe zu definieren und die Präfixbildung als eigenen Wortbildungstyp zu behandeln.
8.2. Kopf und Kern
Für Suffixbildungen gilt grundsätzlich das Prinzip der ”Rechtsköpfigkeit”: die rechte Konstituente, also das
Suffix, bestimmt die grammatische und semantische Kategorie der Gesamtkonstruktion. Suffixe verhalten sich
dabei wie lexikalische Einheiten (Determinatum, Grundwort) im Falle der Komposition:
Derivation
Komposition
Determinatum
Determinans
Suffix:
-er: Person, -ung: Handlung
Stamm:
frau, mann
les-, erzählkauf-, putz-
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Kopf
Stamm: Komposition
Derivativ: Suffigierung
Kategorie des Kopfs und der Konstruktion
Substantiv
Geh-weg
Tröpf-chen
Form-ung
Adjektiv
geh-faul
tropf-ig (!)
form-bar
Verb
weg-gehen
tröpf-el(n)
form-ier(en)
Der semantische Kern (also der Nukleus) einer Derivation ist die Basis, Kopf und Kern sind also nicht identisch
wie beim Determinativkompositum:
• Derivation: Kern (lehr-) +Kopf (-er)
• Determinativkompositum: Modifikator(lehr-)+Kern=Kopf.(-personal)
8.3. Suffix oder Stamm: Zur Bestimmung von Affixen
(a) Distributionelle Basiskriterien:
• Nur in Verbindung mit einem Stamm
• In fester Position relativ zu einem Stamm und zu anderen Suffixen.
Das Affix ist damit hinreichend von den gebundenen Stämmen, speziell den Verbstämmen abgegrenzt.
Kommt die Einheit auch frei vor, entscheidet die Semantik (zig Leute, Urwald). Ein besonderes Problem in
diesem Zusammenhang sind die trennbaren Verben und die Bildungen mit „Konfix“.
(b) Restriktionen bezüglich der Stammkategorie: begehbar -?gehbar - *bergbar. Dazu unten 8.4 (c).
(c) Beschränkte Kombinierbarkeit, keine Rekursivität: *freiheitlichkeithaft, *Tischchenchen, aber:
Tütentütentüte
(d) Verhalten an der Silbengrenze: Lei-t#ung, Flei-sch#e-r#ei vs. Hühner#-ei.
(e) Abstrakte Semantik: „Entkonkretisierung, Verallgemeinerung” (Fleischer). Im Falle von Affixoiden:
entsprechende semantische Veränderung des Affixes gegenüber dem Stamm (steuerfrei vs. rückenfrei,
Haupt der Bande vs. Hauptbandit).
(f) „Reihenbildung”. Typische Eigenschaft von Affixen, manchmal als wichtigste angesehen. Gilt allerdings
nur im Rahmen der jeweiligen Restriktionen: -ette in Sandalette, -ice in Directrice,
-chen bei Substantiven usw. Andererseits gibt es häufig benutzte Kompositionsmuster, deren Frequenz
manches Derivationsmuster übertrifft. Also: Reihenbildung ist eine zusätzliches, allerdings prototypisches
Kriterium.
8.4. Restriktionen
Während die Komposition keinen systematischen Beschränkungen unterliegt, ist die Suffigierung durch
Restriktionen unterschiedlicher Art und Reichweite gekennzeichnet:
(a) sachliche: kein Bezeichnungsbedarf ("Informativität"): ?Flöhin, ?Rieslein, ?unschwanger, ?Tuer,
?beginnbar,
(b) lexikalische: lexikalisiertes Synonym (”blocking”): ?Stechung/Stich, ?Fahrung/Fahrt, ?besen/kehren,
?Reiser/Reisender, ?Armheit/Armut,
(c) syntaktische: Kategorie der Basis:-chen bei Substantiven, -ung bei Verben ("deverbal"), -bar bei
transitiven Verben (aber: unsinkbar, unkaputtbar); Zielkategorie: be- nur zur Weiterbildung von Verben
(d) semantische: ?Sterbung, ?Tuer vs. Nichtstuer, ?Gähnung, !?Rieslein, !?Speiserei vs.Esserei (Erben S.45
"stilistische" Beschränkung), ?Erzfreund vs. Erzfeind
(e) phonologische: ?Stühllein, ?Bächchen, ?Geanbrülle
(f) morphologische: im Unterschied zur Komposition (die laut Duden 1998 S. 409 „rund zwei Drittel des
Wortschatzes” umfasst) sind die Derivationsregeln nur beschränkt rekursiv bzw. kombinierbar:
*Rudererin, Zaubererin, *honigig, *rötlichig, *beverstecken, Gottkeit, Störrischheit,
*Geverstecke: nicht bei präfigierter Basis, aber bei trennbarer Partikel: Herumgestehe. Möglich:
Versteckerei. Aber: Fremdlingin.
(g) historische: Herkunft der Konstituenten (Fremdwort + Fremdaffix).
Problem: Welche Restriktionen gehören (wie gewöhnlich im Falle der Syntax) zum Sprachsystem, also zur
Grammatik, welche sind als Normbeschränkungen zu beschreiben?
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9 Präfixbildung
1. Präfixe unterscheiden sich von Suffixen grundlegend dadurch, daß sie nicht Kopf der Konstruktion sind,
also nicht die Wortart bzw. die kategoriale Bedeutung bestimmen. In dieser Hinsicht ist die
Zusammenfassung von Präfigierung und Suffigierung unter dem Begriff Derivation (z.B. im DUDEN)
problematisch.
2. Präfixe ändern grundsätzlich nicht die Wortart der Basis: schön-unschön, Mut-Mißmut, zahlen-bezahlen.
Auch in Fällen wie befeuchten, entgiften ändert die Präfigierung nicht die Wortart, es liegt zusätzlich eine
Transposition der Basis vor, also eine kombinatorische Wortbildung (vgl. dazu unten Kap. 14). Anders Barz
2005:673.
3. Präfixe sind teilweise akzentfähig (Missgunst, Unmensch), Suffixe in der Regel nicht (Ausnahme:
Fremdsuffixe wie in Lauferei, universal, Philosophie). Die „echten“ Verbalpräfixe wie be- sind jedoch nicht
akzentuierbar. Es stellt sich daher die Frage, ob der Typus „Präfigierung“ als homogener Wortbildungstyp
gelten kann.
Kein grundsätzlicher Unterschied zur Suffigierung besteht hinsichtlich der Kategorie der Basis (anders:
Fleischer). Auch Suffixe verbinden sich mit verschiedenen Basiskategorien: traumhaft, naschhaft, krankhaft.
Allerdings ist verbale Basis für die Präfixe be-, ent-, er-, ver-, zer- typisch.
10 Wortbildung durch Transposition I: Konversion
Verwandte bzw. konkurrierende Termini: implizite Derivation, implizite Ableitung, Nullableitung
Wie die konkurrierenden Termini zeigen, kann man die Konversion auch als Sonderfall der Derivation
(=Ableitung) auffassen. Die Ableitungsbeziehung bleibt implizit, die Kategorie des Konversionsprodukts ist nur
an der Flexionsform bzw. an der syntaktischen Verwendung kenntlich.
10.1. Stamm als Basis ("lexikalische Konversion")
•
Verbstamm
V > N der Ruf, das Lob, die Schau. Problem: Ableitungsrichtung in Fällen wie Arbeit, Lob, Rast.
V > Interjektion ächz, stöhn, seufz, zitter
• Adjektivstamm
Adj > N das Grün, ein Hoch (auf jmdn.), Barock, Deutsch
Adj > V grün(en), welk-, faul-. Mit Mutierung (Umlaut): röt-, schwärz-, kürz• Nomen
N > V film-, salz-, fisch-, frühstück-, hamster-, emailN > Präp dank, trotz, kraft
N > Adj ernst, klasse, schuld, orange
• Sonstiges
Ein zues Wirtshaus, ein Muß, das Heute, kein Zurück, das Es, eine Sechs.
10.2. Flektierte Wortform als Basis ("syntaktische Konversion")
• Infinitiv ("Infinitivkonversion"): V > N
das Lernen, Studieren, Schwimmen
• Flektiertes Adjektiv, Partizip I, Partizip II: Adj/Part > N
die Grünen (ein Grüner, der Grüne), das Schöne, dein Alter, mein Gläubiger
Studierende, die Reisenden
ein Abgeordneter, die Angestellten, der Beamte, die Verstorbene
10.3. Syntaktische Wortgruppe als Basis.
Als syntaktische Konversionen können auch die verschiedenen Fälle der Zusammenrückung bestimmt werden.
Durch Univerbierung ergibt sich eine Transposition von einer Wortgruppe zu einem Wort, z.B. auf Grund
(=Präpositionalphrase) > aufgrund (=Präposition). Weitere Formveränderungen liegen nicht vor, das
definierende Kriterium einer Konversion ist also erfüllt. Vgl. unten Abschn.13 Wortbildung mit WortgruppenKonstituenten.
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11 Wortbildung durch Transposition II
11.1. „Präfixkonversion“
Verben wie bestuhlen, erbleichen, entgräten, verschönern, versacken sind durch Präfigierung und zusätzliche
Veränderung der Wortart, also Transposition, entstanden. Die zugrunde liegenden Stämme sind keine Verben,
die Bestimmung solcher Wörter als Präfixbildungen (z.B. Barz 2005) ist deshalb nicht adäquat: eine
Präfigierung verändert nicht die Wortart.
Hinweis: Die Bezeichnung Präfixkonversion (Fleischer/Barz) ist genau genommen irreführend, da keine
Konversion im üblichen Sinne des Terminus vorliegt. Dasselbe gilt für den analog gebildeten Terminus
Partikelkonversion. Der DUDEN-Terminus „desubstantivische bzw. deadjektivische Präfixderivation“ (Barz
2005) enthält wiederum keinen Bezug auf den Prozess der Transposition (Präfixe verändern nicht die Wortart).
11.2. „Partikelkonversion“
Eine ähnliche Bildungsweise zeigen Verben wie aufgabeln. auftischen, unterbuttern, einsacken (ein = in, vgl.
hinein), übervorteilen, übernachten. Der zugrunde liegende nominale Stamm wird wiederum durch
Transposition zu einem Verb und erfährt gleichzeitig eine Modifikation, hier nicht durch ein Präfix, sondern
durch eine Partikel (Partikel hier wie im Terminus Partikelverb im weiteren Sinn für unflektierbare Wörter, z.B.
Präpositionen). Zugrunde liegt entweder eine Wortgruppe im syntaktischen Sinn wie bei der Zusammenrückung
(aufgabeln < auf die Gabel, unterbuttern > unter die Butter), oder auch eine konzeptuell-lexikalische
Verknüpfung wie im Falle der mehrgliedrigen Derivation oder Komposition (Türsteher bzw. Hals-NasenOhren-Arzt). Vgl. dazu unten Kap. 12.
Hinweis: Die Bezeichnung „desubstantivisches Partikelverb“ im DUDEN (Barz 2005:1061/1069) erfasst
nicht die Tatsache, dass bei solchen Bildungen eine Transposition der Basis vorliegt. Eine Modifikation
einer substantivischen Basis durch eine Partikel ergibt kein Verb, vgl. Auf-wind (Wortart unverändert!)
vs. auf-tischen.
Systematisch kann man Partikelkonversion und Präfixkonversion im Rahmen eines Modells der
kombinatorischen Wortbildung beschreiben, vgl. unten Kap.14, im Schema S. 20 D3 und D4.
12 Wortbildung mit Mutierung (= Stammveränderung)
1. Für Weiterbildungen mit Stammalternation, also mit Mutierung des Stamms, wird häufig der Terminus
"implizite Ableitung/implizite Derivation" verwendet (z.B. Fleischer/Barz). Soweit die Mutierung die
einzige formale Änderung der Basis darstellt, handelt es sich um einen ererbten, heute aber unproduktiven
Bildungstyp mit Ablaut: fliegen-Flug, sprechen-Spruch, schießen-Schuß, werfen-Wurf, greifen-Griff, ziehenZug usw.
Eine synchrone Analyse der Ableitungsbeziehung ist in solchen Fällen weder möglich noch angebracht. In
Analysen kann man die Stammalternation notieren und eventuell hypothetisch als Derivation rekonstruieren:
fliegen ist gegenüber Flug wahrscheinlich primär, also Basis.
Im übrigen ist der Terminus "implizit" in solchen Fällen ohnehin nicht angebracht, da ja eine explizite
Markierung (eben durch Mutierung) vorliegt. Der Terminus "implizite Ableitung" (oder "implizite
Derivation") wäre besser geeignet für die Konversion (und wird gelegentlich auch so gebraucht): hier bleibt
der Übergang von einem Wort zum anderen in der Tat implizit, nämlich ohne formale Markierung.
2. Für synchrone Analysen wichtiger ist die Mutierung durch Umlaut. Der Umlaut geht zurück auf die
Assimilation eines hinteren Stammvokals an eine -i-oder -j-haltige Folgesilbe im Ahd. Er wurde bei gleichen
phonologischen Bedingungen regelmäßig durchgeführt, und zwar unabhängig von der morphologischen
Struktur: bei kausativen Verben wie hängen<*hangjan zu hangen, drück(en)<Druck, tränk(en)<Trank,
fäll(en) <Fall, röten<rot, schwärzen<schwarz, bei Suffigierungen mit -i-haltigem Suffix wie rötlich zu rot,
schwärzlich zu schwarz, bei Diminutiven wie Fräulein zu Frau oder auch in Pluralformen wie Kälber<kelbir
zu kalb. Der Umlaut wurde im Deutschen dann zwar analogisch ausgeweitet als Merkmal für schwache
Verben (vögeln<Vogel), Adjektive, Diminutive oder Pluralformen ("grammatikalisiert"), jedoch ist er
synchron kein produktives Wortbildungsmittel. Es empfiehlt sich deshalb, die Mutierung in solchen Fällen
lediglich als zusätzliche, phonetisch bedingte Formveränderung zu notieren und Fälle wie röten<rot nicht
anders zu behandeln als Fälle wie grünen<grün, nämlich als Konversion. Man muß dann nur zusätzlich
angeben: "mit Mutierug des Stamms (durch Umlaut)".
Aufgabe. Analysieren Sie die Wortbildung von Binde, Band, Bündel, Gebinde. Welche davon
sind „implizite Ableitungen“?
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13 Wortbildung mit Wortgruppen – Konstituenten
Zusammenbildung und Zusammenrückung
13.1. Zur Terminologie
•
Wortgruppen als Konstituenten von Weiterbildungen gibt es bei allen Grundtypen der Wortbildung: als
Determinans eines Kompositums, als Basis einer Derivation und als Basis einer Konversion.
Kompositum
Suffigierung
Konversion
KERN bzw. MODIFIKATOR
augen
hals-nasen-ohren
ab
tisch
dick haut
ab land
grün
rot haut (!?)
ab sahne
KOPF
Arzt
Arzt
wind
ler
er
ig
∅ [Substantiv]
∅ [Substantiv]
∅ [Verb]
Im Unterschied zu anderen Weiterbildungen spielt bei diesen Typen die lexikalische Analogie nur eine
unwesentliche Rolle. Welche Wortkombination „zusammengerückt” oder „zusammengebildet” wird, hängt
von textuellen oder konzeptuellen Faktoren ab. Zugrunde liegen häufig realisierte syntaktische
Konstruktionen (damit, infolge, infolgedessen, zeitlebens; vgl. staubsaugen, Vormittag, Übersee), aber auch
sachlich begründete konzeptuelle Beziehungen zwischen Lexemen, die keine syntaktische Basis haben
(Rhein-Main-Donau-Kanal, Türsteher).
• Während bei Wortgruppen-Komposita und Wortgruppen-Derivationen allenfalls die Bezeichnung
strittig ist, gibt es bei der Wortgruppen-Konversion eine Kontroverse, ob man Bildungen wie aufgrund
überhaupt zur Wortbildung rechnen soll (z.B. Eisenberg 1, 1998, 225: kein "Gegenstand der
Wortbildung im eigentlichen Sinne"). Die Entscheidung hängt davon ab, wie man Wortbildung, Syntax
und Lexikon abgrenzt. Im folgenden wird davon ausgegangen, daß Wortbildung nicht als Komponente
des Lexikons definierbar, sondern ein eigenes grammatisches Modul ist, das sowohl mit der Syntax wie
mit dem Lexikon in Beziehung steht. Man kann dabei zwischen paradigmatischer (lexikalischer) und
syntagmatischer (syntaktisch fundierter) Wortbildung unterscheiden.
Ein starkes Argument für eine solche Sichtweise ist der historisch nachweisbare Übergang von
syntagmatischer zu paradigmatischer Wortbildung bei der Komposition (ynn schaffs kleydern Luther
1546 - in Schafskleidern Luther 1552: "Reanalyse" einer Attributkonstruktion als Kompositum).
13.2. Typologie
a) Wortgruppe als Determinans eines Kompositums
Langzeitgedächtnis, Großraumwagen, Fünfganggetriebe, Vorkriegszeit, Einfamilienhaus, Sauregurkenzeit
(Erben S. 32f. "Zusammenrückung"), Nachhauseweg
Rhein-Main-Donau-Kanal, Hals-Nasen-Ohren-Arzt
Mehrzweck-: -halle, -gerät, möbel, -tisch
Vollkorn-: -brot, -nahrung, -mehl (vs. Roggenschrotsemmel!)
Klarsicht-: -hülle, -folie, -packung
b) Wortgruppe als Basis einer Derivation (traditionell: "Zusammenbildung", z.B. Erben 31f.)
vielgliedrig, rotwangig, übernächtig,
neutestamentlich, zweiwöchentlich (vs. wöchentlich!?)
Gesetzgeber, Schwarzhörer, Türsteher, Warmduscher, Vorwärtseinparker, Ärmelaufkrempler, Schnellmerker
(Stellengesuch JETZT 24/1999)
Viersitzer, Fensterheber
c) Wortgruppe als Basis einer syntaktischen Konversion (gewöhnlich: "Zusammenrückung")
Fleischer/Barz (1992:48f. ) fassen die Zusammenrückung als Wortgruppenkonversion auf, da das
Konversionsprodukt (stets: ein Wort) kategorial verschieden sei von der Konversionsbasis (stets: eine
Wortgruppe), also definitionsgemäß die Voraussetzung einer Konversion vorliege: Veränderung der
Kategorie ohne explizite formale Kennzeichnung.
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Lauffer PS Wortbildung SS 2009
d) Sortiert man die Fälle nach der Kategorie der Basis sowie des Konversionsprodukts, ergeben sich folgende
Typen mit syntaktischer Basis:
(1) Satz>N ("Imperativische Satznamen")
Vergissmeinnicht, Rührmichnichtan, Guckindieluft, Taugenichts, Kehraus, Stelldichein, Fingerzeig,
Zeitvertreib
(2) Verbalphrase>N
dein ständiges Zuspätkommen (erweiterte Infinitivkonversion)
Dankeschön, Habenichts (evtl. auch zu a)
(3) Präpositionalphrase > Präposition
aufgrund, anstelle, mithilfe, zugunsten, zulasten, infolge
(4) Präpositionalphrase > Adverb
währenddessen, trotzdem, vorzeiten, beizeiten, ohnedies
kopfüber, flußauf, tagein - tagaus
(5) Adverbphrase>Adverb (d.h. Zusammenrückung einer attributiven Adverbkonstruktion)
fortan; dabei, darauf, dazu, damit, daneben usw., worüber, worauf usw.
herab, herüber usw., hinauf, hinab usw.
(6) Adjektivphrase>N
Dreikäsehoch, Nimmersatt, Gernegroß, Fußbreit; Magenbitter
(7) Nominalphrase>Adverb: jederzeit, heutigentags, derart
(8) Nominalphrase>N: Vaterunser
Hinweis: Anders zu beurteilen ist der Typus unterbuttern, aufgabeln. Hier liegt zwar wie bei den
Zusammenrückungen eine Univerbierung syntaktischer Konstituenten vor, hinzu kommt aber
systematisch die Transposition der Basis vom Nomen zum Verb. Der Typus ist deshalb eher der
Präfixkonversion anzuschließen, s. oben S. 14.
14 Wortbildung des Verbs
In der Wortbildung des Verbs spielt die Suffigierung nur eine geringe Rolle (stud-ier-, inform-ier-). Typische
verbale Wortbildungsmittel sind die Präfigierung (be-, ent-, er-, ge-, ver-, zer-, u.a.) und die teils feste, meist
aber unfeste Verbindung mit sog. Partikeln“ (auf-, ab-, vor- usw., „trennbare Verben). Aufgrund der
Trennbarkeit bzw. des freien Vorkommens dieser Konstituenten ergeben sich vielfältige begriffliche Probleme,
eine brauchbare terminologische Regelung fehlt.
14.1. Kriterien einer Systematik
• Vorkommen des Erstglieds als Wort:
Mit diesem Kriterium müßte man Fälle wie trennbares durchfahren, übersetzen und untrennbares
durchfahren, übersetzen zusammenfassen, da in beiden Fällen das frei vorkommende durch bzw. über
zugrunde liegt. Nachteile: die syntaktischen Unterschiede werden verwischt (Trennbarkeit, Betonung), und
in vielen Fällen ergeben sich Probleme mit der Bedeutung: sind die trennbaren und die nicht trennbaren
„Partikel“ semantisch identisch oder soll man Homonymie annehmen?
• Trennbarkeit:
Klares grammatisches Kriterium. Die trennbaren „Halbpräfixe” werden mit den anderen trennbaren
Kategorien zusammengefasst, also mit Präpositionen, Adverbien, Adjektiven oder Substantiven. Man kann
von trennbaren Verbalkomposita sprechen, die einerseits von untrennbaren Komposita wie staubsaugen
unterschieden werden, andererseits von den verbalen Präfixbildungen. Nachteil: Untrennbare Einheiten wie
um in umfáhren müssen anders behandelt werden, z.B. als Präfixe, obwohl es gleichbedeutende freie Formen
gibt.
14.2. Folgerungen und Vorschläge
• Untrennbare Konstituenten:
Die untrennbaren Partikelverben kann man aufgrund ihrer grammatischen Eigenschaften den Präfixverben
zurechnen. Neben der Distribution (Untrennbarkeit) ist auch die Intonation dieselbe: umfahren, übersetzen
wie befahren, versetzen. Wortbildungstyp ist also Präfixbildung (bzw. Derivation, wenn man Derivation
als Oberbegriff für Suffigierung und Präfigierung verwendet). Um den Zusammenhang mit den
entsprechenden freien Wörtern (Präpositionen, Adverbien) zu kennzeichnen, kann man den Terminus
Halbpräfix beibehalten oder (mit Altmann/Kemmerling) von "Partikelpräfix" sprechen.
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Lauffer PS Wortbildung SS 2009
• Trennbare Konstituenten:
Die trennbaren Partikel (Typus abreisen) verhalten sich grammatisch wie die entsprechenden trennbaren
Verben mit Substantiv, Adjektiv oder Adverb (radfahren, kaltstellen, herkommen). In den finiten Formen
stehen sie getrennt mit eigenem Wortakzent, in den infiniten Formen ändert sich grammatisch überhaupt
nichts (Stellung und Betonung bleiben gleich!), doch werden die Teile zusammengeschrieben. Man könnte
also das Problem auf die Orthographie reduzieren (zumal angesichts der neuen Regeln!), dagegen spricht
aber die für Wörter typische Lexikalisierung und Idiomatisierung solcher Einheiten. Es liegt also eigentlich
eine partielle Zusammenrückung syntaktischer Konstituenten vor, nämlich die Zusammenrückung
abhängiger Satzglieder mit dem Verb (Inkorporation). Die Konstituenten werden üblicherweise dort
zusammengerückt (und traditionell zusammengeschrieben), wo sie syntaktisch in Kontaktstellung stehen, in
den anderen Fällen bleiben sie getrennt.
Da der Typus unabhängig von einer syntaktischen Basis durch Analogie produktiv ist (z.B. aufsitzen:
absitzen nach aufsteigen : absteigen), sollte man ihn zur Wortbildung rechnen. Am besten wäre es, wie bei
den „uneigentlichen“ Komposita mit Fugenelement (die ja auch aus Zusammenrückungen entstanden sind!)
von Komposition zu sprechen. Die Intonation liegt im Unterschied zu den untrennbaren Fällen auf der
ersten Konstituente wie beim Determinativkompositum: übersetzen wie Überdruck, abreisen sie Abweg,
staubsaugen wie Staubtuch, kaltstellen wie Kaltfront. Je nach Erstglied könnte man dann unterscheiden
zwischen einem verbalen Substantiv-, Adjektiv- oder Partikelkompositum.
Wenn man den Typus "Partikelverben" nennt, erfasst man entweder nicht den grammatischen
Zusammenhang mit den gleichartigen Substantiv- und Adjektivfügungen, oder man muss (wie Eisenberg
1998/1: 254ff., oder Barz im DUDEN) ad hoc eine übergreifende Kategorie „Verbpartikel" einführen (mit
einem gänzlich anderen Partikelbegriff als dem in der Syntax üblichen).
Praktischer Hinweis: Trotz dieser Einwände empfiehlt es sich, in Examensaufgaben für alle trennbaren
Verben die eingeführten Termini Partikelverb bzw. Partikelverb-Bildung zu verwenden.
Trennbare Verbteile (Zusammenrückung, Inkorporation): Übersicht
Substantiv
Sie fährt
weil sie
Sie beabsichtigt
Sie will
Rád
rád gefahren ist
rád zu fahren
rád fahren
Adjektiv
Der Motor läuft
...weil der Motor
Der M. ist in Gefahr
Der M. darf nicht
heiß
Ich faxe
Ich habe
Ich beabsichtige
Ich wollte
zurück
heiß gelaufen ist
heiß zulaufen
heiß laufen
Adverb
zurück gefaxt
zurück zu faxen
zurück faxen
Präposition (PP)
Er lehnte das Fahrrad
Er hat das Fahrrad
Er beabsichtigt, das F.
Er will das Fahrrad
án <die Wand>
án <die Wand> gelehnt
án <die Wand> zu lehnen
án <die Wand> lehnen
Aufgabe. Ordnen Sie die folgenden Verben den verbalen Wortbildungstypen zu und begründen Sie
Ihre Entscheidung: durchtrennen, loslassen, recyceln, layouten, emailen.
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Lauffer PS Wortbildung SS 2009
Aufgabe. Beschreiben Sie die Bedeutungen des Präfixes ver- in den gegenwartssprachlichen Verben
verblühen, verzuckern, verbauen, verkalken, versetzen, versagen, verwerfen, verführen.
15 Kombinatorische Wortbildung
Wortbildung lässt sich als Kombination von fünf grundlegenden Operationen beschreiben (vgl. oben
Grundtypen der Wortbildung)
1. Transposition: Überführung in eine andere syntaktische Kategorie
2. Univerbierung: Verknüpfung einer syntaktischen Konstruktion zu einem Wort
3. Modifikation: Erweiterung eines Stamms als Kopf/Kern nach links
4. Suffigierung: Überführung eines Stamms als Kern in eine Konstruktion mit Suffix als Kopf
5. Mutierung: Interne formale Veränderung eines Stamms durch Vokal- oder Konsonantenwechsel.
Auf der Basis dieser fünf Operationen kann man sowohl die bekannten Wortbildungstypen definieren, als auch
solche Fälle systematisch beschreiben, für die keine einheitliche Benennung existiert, z.B. „Präfixkonversion“
oder „Partikelkonversion“ (dazu oben S. 14) oder „kombinatorische Derivation“.
Beispiele (die Nummerierung bezieht sich auf die Tabelle S. 20):
A 1 Komposita mit Stamm als Determinans bzw. Erstglied
(a) Tischtuch, Uni-Fest
(b) Videothek (Komposita mit gebundenen nichtnativen Stämmen, sog. „Konfixen“)
(c) Kindergeschrei, Sonnenschein (historisch= Typ D2, Inkorporation eines pränuklearen Genitivattributs)
(d) rotgrün, Garmisch-Partenkirchen, Nordost, Hans-Peter (Kopulativkomposita)
(e) Dickkopf, Arschloch, Fettwanst, Grünschnabel; Dreirad, Fünfzylinder, Neunauge (Possessivkomposita)
(f) Vormittag, Übersee, Untertasse (präpositionale Rektionskomposita, historisch=Typ D2d Zusammenrückung)
A 2 Komposita mit einer Wortgruppe als Determinans
(a) Einfamilien-haus, Fünfgang-getriebe, Viehhalte-plan
(b) Boden-Luft-Rakete, Hab-Acht-Stellung
A 3 Komposita mit inkorporiertem Erstglied
(a) einsetzen, ausstellen, abreisen, einparken („Partikelverben“ mit Adverb/Präposition als Erstglied)
(b) rad>fahren, kaltstellen, leisetreten, schwarzarbeiten, hochrechnen, haushalten, hohnlachen, ehebrechen,
gewährleisten, bergsteigen(„Partikelverben“ mit Adjektiv/Substantiv als Erstglied)
(c) hocherfreut, schwerbeschädigt, wassertriefend
(d) kennenlernen, sitzenbleiben, stehenlassen, spazierengehen
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------B Präfigierung
(a) belegen, erheben, unschön, Mißklang
(b) übersétzen, umfáhren („Partikelpräfixverben“ mit frei vorkommende „Halbpräfixen“)
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------C 1 Derivation mit einfachem Stamm als Basis
Vorles-ung, les bar, inform-ier(en)
Zweig-lein, grün-lich
C 2 Derivation mit Wortgruppe als Basis
Gesetzgeber, Türsteher, Frauenversteher, Weltverbesserer, Warmduscher(Nomen agentis)
Viersitzer, Fensterheber, Rasenmäher (Nomen instrumenti)
unter-schwell-ig, ab-land-ig, ab-seit-ig, über-zeit-lich, über-nächt-ig, rot-wang-ig, viel-gliedr-ig
C 3 Kombinatorische Derivation mit Präfix und Suffix
(a) un-erschütter-lich, un-verrück-bar
(b) ver-stein-er(n), ver-knöch-er(n) (zur alten Stammform der Knoch), be-rücksicht-ig(en)
(c) Ver-glatz-ung
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
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D 1 Konversion mit einfachem Stamm als Basis (Transposition eines Worts)
(a) das Gute, ein Angestellter, das Italienische, die Reisenden, ein Muss;
treffend, eingebildet, aufgeweckt (Wortform als Basis: Syntaktische Konversion)
(b) der Schlag, der Ruf, das Rot, Deutsch, Handel<handeln, Haushalt<haushalten
fisch(en), weit(en), grün(en), frühstück(en) (Stamm als Basis: Lexikalische Konversion)
D 2 Konversion mit Wortgruppe als Basis (Transposition einer Wortgruppe, Zusammenrückung)
(a) Nimmersatt, Handbreit, Gernegroß, Magenbitter, Gänseklein, Immergrün, Dreikäsehoch (Basis:
Adjektivphrase)
(b) Zeitvertreib, Rührmichnichtan, Taugenichts, Möchtegern, Störenfried<Störe den Frieden (Basis: Satz)
(c) hinauf, hinab, kopfüber, bergab, , kurzum, , fortan (Basis: Adverbphrase u.a.)
(d) aufgrund, dabei, ohnedies, jederzeit (Basis: Präpositionalphrase, Nominalphrase)
D 3 Präfixkonversion (Transposition mit Modifikation durch ein Präfix)
(a) ver-kleiner(n), ver-niedlich(en), ver-größer(n), be-grün(en), ent-rind(en), ver-sack(en), ver-zweig(en), verwurst(en), ver-dreck(en), ver-unglück(en), ent-bein(en), ver-ballhorn(en)
(b) be-helm-t, ver-tier-t, ent-mensch-t, ver-glatz-t, be-wald-et (Part.II ohne fin. Verb)
D 4 Partikelkonversion (Transposition mit Modifikation durch einen Stamm)
(a) ein-gemeind(en), ein-sack(en) (ein=in, vgl. hinein), aus-grenz(en), über-nacht(en), über-vorteil(en), unterbutter(n), über-flügel(n), auf-tisch(en), auf-gabel(n), aus-grenz(en), ein-grenz(en)
(b) aus-ge-fuchs-t, ein-ge-fleisch-t (Partizip II ohne finites Verb)
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Operation/Merkmal 1.Transposition 2.Univerbierung
des Kerns
Bildungstyp
A Komposition (3 Typen)
A1
Stamm als Determinans:
Kanzlerkandidat
+
A2
Wortgruppe als Determinans
Univerbierung
(DUDEN=Zusammenbildung)
des
Zahnputzglas
Modifikators
+
A3
Inkorporation:
Univerbierung
kaltstellen, einsitzen
von Modifikator und Kern
B Präfixbildung (1 Typ)
B1
zerreißen, Unlust
übersetzen, widersprechen
C Derivation (3 Typen)
C1
Derivation mit einfacher
Basis:
Schönheit, heutig
C2
Derivation mit
Wortgruppenbasis
(=Zusammenbildung)
Schriftsteller
C3
Kombinatorische
Derivation
un-aussprech-lich
be-rücksicht-igen
D Konversion (4 Typen)
D1
einfache Basis
(a) syntaktische Basis
Schwimmen, Beamter
(b) lexikalische Basis:
das Rot, Wurf, Schau
D2
Wortgruppe als Basis
(=Zusammenrückung):
Vergißmeinnicht
D3
"Präfixkonversion"
erbleichen, entgräten
D4
"Partikelkonversion"
ausufern, abholzen,
3.Modifikation
des Kerns
+
+ Modifikation
durch Stamm
+
Modifikation
durch Präfix
+ Modifikation
durch Präfix
+
+
+
täglich
Kälbchen
Größe
+
einäugig
+
unsäglich
schwärzen
+
Univerbierung
des Kerns
+
+
5. Mutierung
des Kerns
(fakultativ)
+ Modifikation
durch
Wortgruppe
+
Univerbierung
des Kerns
—
des Kerns
+ Modifikation
durch Stamm
— kleinlich
— Zweiglein
------------------+ Kleinheit
+
4. Suffigierung
+ Modifikation
durch Präfix
+
Univerbierung
von Modifikator und Kern
erröten
+
Modifikation
durch Stamm
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In diesem Überblick nicht erfasst ist lediglich der Bildungstyp Kürzung (dazu unten Abschn. 16), nicht erfasst
auch die sog. Rückbildung, die sich als Sonderform der Derivation oder Konversion auffassen lässt:
Sanftmut < sanftmütig, staubsaugen < Staubsauger, handhaben < Handhabe,
bruchlanden < Bruchlandung, bausparen < Bausparvertrag?
Nicht erfasst sind ferner solche Formen der Wortschatzerweiterung, die nicht zur Wortbildung im
grammatischen Sinn gehören (vgl. oben Abschn. 1):
• Reduplikation (u.ä.): Zickzack, ruckzuck, Wauwau
• Entlehnung: Computer, Maus, Kopf [einer Konstruktion], Gewissen, Gegenstand
• Entwicklung von Homonymen durch Bedeutungswandel: Bank, Schloss, mouse, head
• Lautmalerei (Onomatopoetica): kikeriki, Kuckuck
• Kontamination und andere Kunstwörter: Liger, Zesel; Haribo, Gas.
16 Wortkürzung
1. Kurzwörter (unisegmentale K.): Kürzung auf einen morphologischen Teil des Basisworts.
• Kopfformen (auch: linksseitiges Kurzwort): Uni, Akku, Foto, Zoo, Auto, Disko, Ober, Öko,
Fax<Faksimile
• Endformen (auch: rechtsseitiges Kurzwort): Bus, Platte, Pille, Schirm, Rad, Bahn
• Klammerformen: Fern(melde)amt, Laub(holz)säge
2. Initialwörter (multisegmentale K., Akronyme): Kürzung auf Buchstaben des Basisworts
• graphemische Initialwörter (Buchstabenwörter): PKW, UKW, ARD, ZDF, EDV, ADAC, PC, WM,
Telex < teleprinter exchange, u.a..
• phonetische Initialwörter: Ufo, FOS, TÜV, UNO, APO, DIN,DAX, Aids, BAföG
• partielle Initialwörter: U-Bahn, U-Boot, R-Gespräch
3. Silbenwörter: Kürzung auf Silben des Basisworts
• Kopfformen: Kripo, Nazi, Mofa, Gestapo, Persil<Perborat+Silikat, Telex < teleprinter exchange
• Klammerformen, Mittelsilben: Motel<Motorhotel, Lisa
Es gibt vielfältige Kombinationen von Kürzungsformen: Azubi, BAföG, Kin(emat)o(graph).
Hinweis 1. Wortkürzungen können durch -i erweitert werden: Tax-i < Taxameter, Prof-i < Professional, Gab-i
< Gabriele, Fund-i < Fundamentalist, Pull-i < Pullover. Bei –i handelt es sich allerdings nicht um ein
„normales“ Suffix, da es nicht Kopf der Konstruktion ist: der Fundi, die Gabi, das Taxi.
Hinweis 2. Geschriebene, aber nicht gesprochene Abkürzungen gehören nicht zur Wortbildung. z.B. z.B.,
bzw., km (vs. kmh), Dr. (vs. Prof).
Teil III. Hinweise zur morphologischen Analyse
1. Grundsätzliches
•
•
Zu beschreiben ist in jedem Falle die Struktur der Konstituenten. Eine bloße Benennung der Teile des
Wortes genügt nicht: ?Wort-bild-ung-s-analyse-n.
In der Regel ist jedes zu analysierende Wort bis zur Morphemebene zu analysieren (sofern nicht anders
verlangt). Allerdings sollten idiomatisierte Stämme nur unter Vorbehalt „zerlegt” werden,
z.B. „beseitigen: kann nur noch formal analysiert werden in die Basis Seite und ein Zirkumfix be-ig, wie
z.B. in beleidigen, berücksichtigen“
Eine synchronische Wortbildungs-Analyse lässt sich nur „flach”, für die erste Stufe, als Analyse des
betreffenden Wortes durchführen - alle weiteren Analyseschritte sind diachronische Rekonstruktionen
lexikalisierter, oft schon idiomatisierter Stämme: das Wort Abfallbeseitigung zu erklären heißt also nicht
unbedingt, bis auf fallen und Seite zurückzugehen.Beachten Sie in diesem Punkt genau den Wortlaut der
Aufgabe!
Anm. Striktes synchronisches Vorgehen erfordert sogar strenggenommen die Analyse von Neubildungen und
nicht von Lexemen. da der Prozess der Wortbildung bzw. dessen Regeln nur an Neubildungen ablesbar ist (wie
z.B. an einem beliebigen, stets neu gebildeten Satz im Falle der Syntax). Der vorhandene Wortschatz als die
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•
•
•
Menge aller Lexeme ist genau genommen nur sprachhistorisch beschreibbar, da diese Wörter früher gebildet
wurden und seitdem mehr oder weniger verändert sein können.
Im Normalfall besteht eine morphologische Konstruktion aus zwei Teilen, ist also binär zu segmentieren:
Wortbildungsanalyse < Wortbildung(s) + Analyse, usw. Dreiteilige Wörter sind in der Regel zweimal binär
zu segmentieren (Fahrradschlauchreparatur), oder es eine Konstituente besteht aus einer Wortgruppe
(Vierzylindermotor).
Die Konstituenten müssen existieren! Eine Segmentierung, die eine nicht belegbare Konstituente enthält, ist
falsch: *Dach-decker.
Gibt es Beschreibungsalternativen, die sich formal nicht entscheiden lassen, kann oft die Semantik den
Ausschlag geben: fisch(en) < Fisch, und nicht umgekehrt.
2. Bestimmung der Flexion.
•
•
Wenn dies nicht durch die Aufgabenstellung ausgeschlossen ist, sollte jedes Wort zunächst (im ersten
Schritt und in der Regel nur hier!) nach seiner Flexionsform bestimmt werden. Wortformen innerhalb
eines Flexionsparadigmas, die kein Flexiv enthalten, heißen auch unmarkiert (z.B. der/dem/den Tisch). Das
Adjektiv in adverbialer oder prädikativer Verwendung ist unflektiert.
Beispiel: (dem) Lehrer: Deklination Subst. mask., Dativ Sing., unmarkiert.- (den) teuren (Autos):
Deklination Adj. schwache.Flexion, Dativ Pl., Flexiv -en.
3. Analyse der Wortbildung
Erst nach der Bestimmung der Flexionsform folgt die Analyse der Wortbildung, und zwar für jeden
Segmentierungsschritt getrennt nach drei Gesichtspunkten:
(1) Wortbildungstyp, z.B. Determinativkompositum, Derivation/Suffixbildung, Konversion, usf.
(2) Morphologische Beschreibung der jeweiligen Konstituenten (in der Regel zwei, s.o.), z.B. Apfelbäumchen:
Grundwort: Bäumchen, Substantiv, Bestimmungswort: Apfel, Substantiv.Bäumchen: Basis Substantiv Baum, hier in der durch Umlaut mutierten Stammform Bäum- . Suffix
(Derivativ) -chen. Keine Transposition.
(3) Beschreibung der Motivationsbedeutung: „Paraphrase”
Die semantische Paraphrase der Wortbildung erfolgt wie die formale Beschreibung für jede Analysestufe
getrennt.
Wichtig: Die „Paraphrase” soll nicht die aktuelle Bedeutung oder die lexikalisierte
Gebrauchsbedeutung(en) des Wortes beschreiben, sondern die strukturelle Bedeutung, die seiner Bildung
zugrunde liegt (d.h. durch die es motiviert ist: „Motivationsbedeutung“). In der Regel sind die lexikalischen
Bedeutungen eines Wortes viel spezifischer als seine Strukturbedeutung. Idiomatisierung liegt vor, wenn
sich die lexikalische Bedeutung nicht mehr aus der Struktur der Wortbildung, d.h. aus der Bedeutung bzw.
Funktion der Konstituenten + der Funktion der Bildungsregel erklären lässt. In solchen Fällen kann/soll auf
eine Rekonstruktion der strukturellen Bedeutung verzichtet werden. Notwendig ist dann die Bemerkung
„idiomatisiert”.
Beachten Sie bei der Paraphrase unbedingt folgende Richtlinien:
Komposition: Die Paraphrase soll
(1) die Konstituenten des Kompositums (jeweils in ihrer Wortart!) enthalten,
(2) in möglichst allgemeiner Form die semantische Beziehung zwischen ihnen rekonstruieren.
Beispiel: Tischtuch: ”Tuch, das den Zweck hat, auf dem Tisch zu liegen” (finale+lokale Relation). Wichtige
Relationen sind u.a.: Funktion, Medium (Instrument), Affiziertes Objekt, Effiziertes Objekt, Aktor, Ort, Zeit
usw., s. dazu unten Punkt 4 Terminologie.
Die Paraphrase durch ein Genitivattribut ist nicht ausreichend, da in einer solchen Konstruktion die
semantische Beziehung zwischen den Konstituenten nicht zum Ausdruck kommt: weder in Kindergeschrei
noch in Geschrei der Kinder kommt die Agens-Rolle von Kinder zum Ausdruck!
Derivation / Konversion: Die Paraphrase soll
(1) die Basis enthalten (möglichst in der zugrunde liegenden Wortart!),
(2) die Funktion des Affixes bzw. der Konversion wiedergeben. Beispiel: Les-ung: ”Tätigkeit zu lesen”
(Nomen actionis, idiomatisiert).- Häus-chen: ”kleines/nettes Haus” (Diminutiv / Hypokoristikum), Lesen:
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”Tätigkeit zu lesen” (Nomen actionis).
(3) Wichtig ist in jedem Fall, dass in der Paraphrase die Wortart des zu paraphrasierenden Wortes zum
Ausdruck kommt! Also nicht durch Sätze paraphrasieren, z.B. für Lesung *“jemand liest etwas“ oder für
Schönheit *“etwas ist schön“!
4. Terminologie zur Beschreibung der strukturellen Bedeutung komplexer Wörter
agentiv
augmentativ
diminutiv
durativ
faktitiv
final
kausal
graduativ
hyponymisch
identifikativ
inchoativ
instrumental
intensivierend
iterativ
kausativ
kollektiv
komparativ
konsekutiv
kopulativ
limitativ
lokal
Nomen loci
material
mensurativ
modal
moviert
Nomen acti
Nomen actionis
Nomen qualitatis
Nomen agentis
objektiv
Bienenhonig. Dichterlesung, Säugetier
(s. auch Nomen agentis. Als syntaktische Funktion typischerweise Subjekt)
Hochgenuß, Vollgas, Riesenfreude, Höllenkrach, Bullenhitze, Bombenrolle, endgeil
Kindchen, Männlein, kränkeln, Minirock
kränkeln
erhellen, zermürben,
Fischmesser, Kleiderschrank, Strandanzug, wasserdicht
Schmerzensschrei, Niespulver, regenfeucht
blutjung, heilfroh, uralt, saubillig, superleicht, hypermodern
Walfisch, Tannenbaum, Seidenstoff
s. hyponymisch
einschlafen, entbrennen, erklingen
Merkblatt, handgeschrieben, brieflich, Wecker, Hebel, telefonieren
befragen, verfolgen
Gebelle, hüsteln, tröpfeln
begradigen, verunreinigen, einschläfern
Menschheit, Lehrerschaft, Bürgertum, Laubwerk, Rechtswesen, Gebirge
Kugelfisch, Mondgesicht, grasgrün, löwenhaft, lehrbuchmäüig, närrisch, affig, monströs,
monumental
siedeheiß
rotgrün, Nordost, Garmisch-Partenkirchen
Sehvermögen, denkfaul, lebensfremd, schulisch, ärztlich, verkehrsmäßig, finanziell
Bierfass, Büroarbeit, augenkrank, knietief, ofenwarm, seiltanzen, auslaufen, Aufwind, Schmiede,
Gärtnerei, Gefängnis
Holzfass, Blumenstrauß, holzgeschnitzt, golden, blechern
kilomerlang, tonnenschwer
Silberstreif (s. auch komparativ)
Studentin, Gänserich
Schwellung, Erzeugnis
Behandlung, Lauferei, Pflege, Gesang, Reparatur, Schwimmen
Schönheit, Fanatismus
Dichter, Lehrling, Wüterich, Dirigent, Bibliothekar
Volesungsverzeichnis, Umhängetasche, Brathering, danksagen, Lohnverzicht,
steuerfrei, fälschungssicher (evtl. als zugrundeliegende Valenzbeziehung: Objekt)
ornativ
Deckelvase, bekleiden, motorisieren, bebrillt, glücklich, tückisch, waldig
partitiv
Baumwurzel, Tischfuß. München-Pasing (s. kopulativ)
pejorativ
Getue, Gehämmere, Singerei
perfektiv, resultativ erarbeiten, verheizen, ausheilen, zerdrücken, begradigen, mattieren
possessiv
Gemeindewald, Rotkehlchen, Dickkopf
privativ, reversativ entkleiden, desinfizieren, schälen, sinnlos, unweit, asozial, inaktiv, dezentral, antidemokratisch
prohibitiv
Beißkorb, Fliegengitter
qualitativ,
Schönwetter, Blaulicht, hellblau, glatthobeln. (s. auch Nomen qualitatis)
prädikativ
resultativ
s.perfektiv
soziativ
Mitschüler, mitmachen
temporal
Montagsauto, Abendessen, Sendetermin, nachtblind
thematisch
Wortbildungsseminar, Bedeutungslehre
Vgl. auch Eichinger 2000 : 118-120, Altmann-Kemmerling 2000.
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Lauffer PS Wortbildung SS 2009
5. Zur Form der Analyse
Die Form der Wortbildungsanalyse ist nicht festgelegt. Es empfiehlt sich jedoch, die Erklärungen zu
standardisieren, z.B. anhand des oben vorgeführten dreiteiligen Schemas und eines Baumdiagramms der
Konstituentenstruktur.
Beispiel (1)
Vorlesungsverzeichnisse
(Die Vorlesungsverzeichnisse sind fertig)
Flexion: Substantiv-Deklination (stark), Nom.Plur.Neutr., markiert durch Flexiv -e, mit Doppel-schreibung von
<s> zur Kennzeichnung des stimmlosen [s] bzw. des Silbengelenks (geschlossene Silbe nis mit kurzem i, urspr.
mit Nebenton).
Wortbildung
Vorlesungverzeichnis
1 Vorlesung(s)
2 vorles3 vor-
Verzeichnis
ung
les4 verzeichn- -nis
5 ver- zeichn6 zeichen
1. Vorlesung(s)+Verzeichnis
(a) Bildungstyp: Determinativkompositum N+N
(b) Konstituenten: Grundwort (Determinatum): Verzeichnis, Nomen. Bestimmungswort (Determinans):
Vorlesung, Nomen. Fugenelement: -s
(c) Paraphrase:"Verzeichnis für Vorlesung(en)"
2. Vorles+ung
(a) Derivation/Suffigierung, mit Transposition V>N
(b) Basis: Verbstamm vorles-, Suffix: -ung
(c) hier Nomen acti: "etwas, das vorgelesen wird" oder "Ergebnis der Handlung vorlesen"; sonst: Nomen
actionis, „Handlung vorzulesen“
3. vor-lesen
(a) Partikelverb-Bildung (oder: Partikelkompositum)
(b) Basis: lesen, Partikel (=Modifikator): vor. Kein Präfix, da in gleicher Bedeutung auch frei vorkommend.
(c) „vor (jemandem) lesen“
4. Verzeich(n)+nis
(a) Derivation/Suffigierung, mit Transposition V > N
(b) Basis: Verbstamm verzeichn-, Suffix: -nis, mit Verschmelzung (Assimiliation) der beiden Nasale
(c) "Ort, an dem etwas verzeichnet ist", Nomen loci, oder "etwas, das verzeichnet worden ist", Nomen acti
5. ver+zeichnen
(a) Derivation/Präfigierung
(b) Basis: Verb zeichnen, Präfix: ver(c) idiomatisiert, ursprünglich wohl perfektiv (eine Handlung zum Abschluss bringen)
6. zeich(e)n- V < Zeichen N
(a) Konversion N > Verb
(b) Basis Nomen Zeichen, mit Elision (Synkope) des unbetonten -e- im zugrunde liegenden Stamm von
Zeichen
(c) "Zeichen machen", idiomatisiert.
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Auch unterschiedliche Darstellungen in Form eines Kastendiagramms sind möglich.
Beispiel (2): Bekanntmachung
1. Derivation/Suffigierung V > N
bekanntmach(en) + -ung
Basis: Verbstamm + Suffix
Nomen actionis, „Handlung bekanntzumachen“
2. Zusammenrückung Adj/Partizip + Verb > V
bekannt (Adj) + machen (V)
(Inkorporation eines Objektsprädikativs)
„etwas bekannt machen“
3. Flexion: Partizip II
bekenn- + -t (+ Mutierung : Vokalwechsel)
4. Präfigierung/Präfixverb V > V
be+ kennen
Präfix + Basis Verb(stamm)
Idiomatisiert, keine Paraphrase möglich
Eine Kopiervorlage weiterer Analysebeispiele befindet sich im Ordner LAUFFER in der Infothek!
Teil IV. Theoretische Aspekte der Wortbildung
1. Wortbildung, Syntax und Lexikon
Die Wortbildung ist ein Teilbereich („Modul“) der Grammatik. Sie hat systematische Beziehungen
sowohl zum Lexikon wie zur Syntax.
(1) Der transformationelle Ansatz der Wortbildung nahm an, dass Wortbildung als Teilmodul der
Syntax konzipiert werden muss. Als empirischer Grund wird angeführt, dass Wortbildungsregeln
syntaktische Eigenschaften berücksichtigen müssen. Solche Fälle sind z.B.:
• „Syntagmatische“ Wortbildung:
Die Bildung geht auf eine syntaktische Form zurück, und war auf ein einzelnes flektiertes Wort
oder auf eine syntaktische Konstruktion (Phrase oder Satz). Es entsteht dabei kein potentiell
produktives Muster, da die Prägung von der besonderen syntaktischen Verknüpfung der
Konstituenten abhängt. Manche Autoren rechnen diesen Typus deshalb nicht zur Wortbildung.
Allerdings kann der univerbierte Konstruktionstyp so häufig zusammengerückt werden, dass
daraus ein paradigmatisches Bildungsmuster hervorgeht. Beispiele sind die "uneigentlichen"
Komposita, die sprachgeschichtlich auf die Zusammenrückung von Attributkonstruktionen
zurückgehen, oder die verbalen Bildungen vom Typ wiedersehen, kaltstellen (mit Inkorporation
eines Adverbials oder Objektsprädikativs).
• Typus starker Raucher: ist nur mit Bezug auf Syntax zu erklären.
• Steigerung nicht lexikalisierter Adjektive auf -bar: nur durch syntaktische Mittel: *Diese Tapete
ist abwaschbarer als jene, nur: Diese T. ist besser abwaschbar / kann besser abgewaschen
werden. Umgekehrt nicht möglich: ist sauberer, aber: *ist besser sauber.
• Verbalabstrakta: Steuereinzug durch das Finanzamt : der Einzug der Steuern durch das
Finanzamt : das Finanzamt zieht Steuern ein. Ähnlich:
• Täterbezeichnungen: der Schreiber dieser Zeilen, der Fahrer des Busses: „Argumentvererbung“.
• Allgemein: Möglichkeit einer syntaktischen Paraphrase: Hundehütte : Hütte für einen Hund.
• Ambiguität von Wortbildungs-Konstruktionen kann als Ambiguität syntaktischer Basisstrukturen
(„Tiefenstrukturen“) erklärt werden: Täterbeschreibung wie Beschreibung des Täters.
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• Theoretische Folgerung wäre: die regelhafte Wortbildung ist Teil der Syntax. Dagegen wird
eingewandt, dass der transformationelle Ansatz ist zu stark ist. Probleme z.B.: Unterschiede in
der Produktivität, z.B. Lücken in Bildungsmustern, Unterschied zwischen okkasionellen und
usuellen Bildungen, semantische Unterschiede zwischen hypothetischer syntaktischer Basis und
Wort: Schreibmaschine vs. Maschine [zum] Schreiben, Fahrrad vs. Rad [zum] Fahren, Lehrer
[+habituell] vs. einer, der lehrt.
(2) Im neueren, „lexikalistischen“ Ansatz wird Wortbildung als modularer Teil des Lexikons oder
als eigenes Modul konzipiert. Wahrscheinlich sind zwei Module anzunehmen, wobei das erste
Modul die allgemeinen Regeln für mögliche Wörter enthält, also die Regeln der paradigmatischen
Wortbildung, und das zweite als Filter fungiert für die Aktualisierung nach Mustern, also für die
tatsächlich aktualisierten Analogiebildungen mit ihren semantischen und pragmatischen
Restriktionen.
(3) Das wichtigste Argument für die Filterfunktion von Analogieprozessen sind die üblichen
semantischen Restriktionen bzw. die semantisch beschränkte Reihenbildung wie z.B. beim Typ
fleckig, schmutzig, ölig, dreckig, staubig („Vorhandensein von Gegenständen an anderen
Gegenständen“, gegenüber *knopfig, *taschig),u.ä.
Das Analogiemodul dürfte auch zuständig sein für neue Wörter, die außerhalb produktiver Muster
nach dem Vorbild analysierbarer lexikalisierter Wörter entstehen. Gemäß dem modularen
Grammatikkonzept, das eine Interaktion zwischen den autonomen Modulen vorsieht, muß aber mit
Rückwirkungen der analogischen Wörter auf das Regelsystem gerechnet werden. Nicht zwingend
ist die Annahme zweier verschiedener Analogietypen. Die Analogiebildung bei Fällen wie
Hausmann, Vorschußbrennesseln, Arbeitsbegräbnis oder Geisterpferd („lexikalische Analogie“)
ist strukturell gleichartig mit dem Fall erbauen : Erbauer → zerstören : Zerstörer („grammatische
Analogie“).
(4) Im Rahmen eines lexikalistischen Ansatzes lässt sich der Prozess der paradigmatischen
Wortbildung als Nachbildung lexikalisierter Wortbildungsprodukte beschreiben. Die Nachbildung
beruht auf lexikalischen Einheiten (Wörtern, Stämmen, Affixen) und Relationen zwischen diesen
Einheiten, wie sie im lexikalischen Gedächtnis gespeichert sind. Im folgenden werden
unsystematisch einige Aspekte dieses Ansatzes genannt
(a) Wortbildungsregeln können nicht den Anspruch erheben, den kognitiven Prozess der
Produktion neuer Wörter abzubilden. Neue Wörter werden nicht nach Regeln gebildet, sondern
nach Mustern, z.B. drucken → Drucker, kopieren → Kopierer wie bohren : Bohrer, radieren :
Radierer usw. Je mehr solche Muster im lexikalischen Gedächtnis gespeichert sind, desto eher
können sich Neubildungen anschließen. Man sagt dann: desto produktiver ist die
Wortbildungsregel.
(b) Die Nachahmung umfasst in der Regel alle Aspekte des Musters, z.B. Kategorie der Basis +
Bedeutung der Basis + Suffix → Form + Bedeutung der Gesamtkonstruktion:
machen : machbar, lesen : lesbar, kopieren : kopierbar = faxen : X
kopier-+-er : Kopierer = "Gerät zum Kopieren" → fax-+-er : Faxer="Gerät zum Faxen"
ein-nehmen : Ein-nahme → in Betrieb nehmen : Inbetriebnahme (*Nahme!, ahd. nâma).
Die Analogiebildung kann darüber hinaus ganz spezielle Gebrauchsbedingungen und
Bedeutungsaspekte des Musters übernehmen:
Fahrer (auf der Autobahn...) : Geisterfahrer → Pferd auf der Autobahn..: X
(c) Traditionell spricht man nur dann von Analogie, wenn ein einzelnen Muster (z.B. bei
Geisterpferd) zugrunde liegt. oder wenn sich eine regelhaft erwartbare Form an ein anderes
Muster angleicht (z.B. in der Flexion: mhd. ich reit, wir riten → nhd. ich ritt, wir ritten). Der
Begriff der Wortbildungsregel lässt sich jedoch allgemein auf der Basis des Analogiebegriffs
definieren: eine produktive Regel liegt dann vor, wenn Analogiebildungen auf eine Menge
gleichartig analysierbarer lexikalisierter Wortpaare zurückgreifen können.
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(d) Die Nachbildung kann sich aber auch in einzelnen oder mehreren Merkmalen vom Muster
unterscheiden, indem z.B. Kategorie oder Bedeutung der Basis abweichen, indem semantisch
verwandte Präfixe oder Partikel substituiert werden oder in einer Ableitungskette ein
ursprünglich verbindendes Glied übersprungen wird:
Bi(gamie) : Mono(gamie) = Bikini : X
aufsteigen : absteigen
= aufsitzen : X
befahren (transitives Verb) : befahrbar →fahren (intrans. Verb) : fahrbar.
(e) Wenn solche abweichende Bildungen wiederum nachgeahmt werden, kann durch häufige
Musterwiederholung ein neuer Bildungstyp entstehen:
∅
legen
be-legen
(entlegen)
Fall
fallen
befallen
entfallen
Kleid
kleiden
be-kleiden
ent-kleiden (Ornativa u. Privativa)
Stuhl
∅
be-stuhlen
!ent-stuhlen
Schmutz
∅
be-schmutzen
!ent-schmutzen
Gräte
∅
∅
ent-gräten („Präfixkonversion“)
Staub
∅
∅
ent-stauben
⇓
Holz
∅
∅
ab-holzen („Partikelkonversion“)
Gras
∅
∅
ab-grasen
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------stark
stärken
ver-stärken
Verstärk-ung (Resultativa, Faktitiva)
besser
bessern
ver-bessern
Verbesserung
spät
∅
ver-späten
Verspät-ung
⇓
Holz
∅
ver-holzen
Verholz-ung
Knoche(n)
∅
ver-knöch-er-n
Verknöcher-ung
∅
ver-steppen
Verstepp-ung
Steppe
Glatze
∅
∅
Verglatz-ung (SZ)
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
∅
Nachteil
Rücksicht
stark
nachteil-ig
∅
stärken
∅
∅
be-stärk-en
be-nachteilig-en
be-rücksicht-ig-en (Präfix-Suffix-Derivat.)
(f) In gleicher Weise kann man auch die sog. Rückbildungen zu erklären:
Mut
⇒
mutig
Hochmut
⇒
hoch#müt-ig
⇓
Sanftmut
⇐
sanft-mütig
(g) Man sagt, eine Regel (d.h. ein Wortbildungstyp) sei produktiv, wenn nach diesem Muster neue
Wörter gebildet werden, und man unterscheidet nach der Häufigkeit solcher Weiterbildungen
sogar Grade von Produktivität. Im Grunde ist aber jede einigermaßen transparente
Lexikoneinheit ein potentielles Analogiemuster:
reden : Rede, fragen : Frage
schreiben → die Schreibe, machen → Mache, anmachen → Anmache
denken → die Denke
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2. Diachronie der Wortbildungstypen
Wortbildungstypen sind Produkte des Sprachwandels. Die Entwicklung geht im Deutschen in
historischer Zeit von analytischer zu synthetischer Ausdrucksweise. Aus syntaktischen Konstruktionen
entstehen durch häufigen Gebrauch und Funktionswandel Wörter, Teile von Wörtern entwickeln sich
zu Affixen:
1. Wortgruppe
der Riesen Lärm, *fruht bâri ("Frucht tragend")
Semantische Spezialisierung, Idiomatisierung
⇓
2. Zusammenrückung/Inkorporation
der stete Riesen Lärm, fruhtbære
⇓
3. Kompositum:
der Ríesenlärm
Semantische Generalisierung, Grammatikalisierung]
⇓
⇓
4a. Präfixbildung
4b. Suffixbildung
fruchtbar
der Riesenlärm
In Phasen des sprachlichen Wandels herrscht synchronisch Unsicherheit über die Kategorisierung, was
sich in Termini wie Präfixoid, Suffixoid oder Halbpräfix, Halbsuffix ausdrückt. Übergänge zwischen
grammatischen Kategorien sind aber sprachgeschichtlich eine ganz normale Erscheinung. Eine
synchronische Beschreibung muss dem Rechnung tragen, indem sie solche Übergänge nicht durch
starre Begriffe "wegargumentiert". Man sollte grammatische Kategorien besser im Sinne der
Prototypen-Semantik verstehen, also mit Kern, Rand- und Übergangszonen zur benachbarten
Kategorie.
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Teil V. Flexionsmorphologie
1. Flexion des Verbs: Partizip II
stark: Flexiv –en
Initialsilbe betont
einfaches Verb
ohne Präfix
schwach: Flexiv –t/-et
ge- vor Stamm
ich fahre > bin ge-fahr-en
ich sage > habe ge-sag- t
rede > ge-red-et
rechne > ge-rechn-et
komplexes Verb
ohne Präfix (Kompositum)
staubsauge>ge-staubsaug-t
liebäugle > ge-liebäugel-t
hohnlächle>ge-hohnlächel-t
nichtnatives einfaches
Verb
__________
faxe > ge-fax-t
forwarde > ge-forward-et
Partikelverb
mit trennbarem Verbteil
fahre um > um/ge-fahr-en
nehme teil >teil/ge-nomm-en
lasse los > los/ge lass-en
setze über > über/ge-setz-t
nichtnatives Partikelverb
sauge staub(?)>staub/ge-saug-t
lerne kennen>kennen/gelern-t
faxe durch > durch/ge-fax-t
loade down>down/ge-load-et
__________
date up > up/ge-dat-et (!?)
Initialsilbe nicht betont
ohne ge
Präfixverb
befahre > befahren
missfalle > missfallen
besetze > besetzt
Präfixverb
mit trennbarem Verbteil
erstehe auf > auf/erstanden
gestehe zu > zu/gestanden
bereite vor > vor/bereitet
erkenne zu > zu/erkannt
nichtnatives Verb mit
trennbarem Verbteil
__________
formuliere aus>aus/formuliert
tefoniere ab > ab/telefoniert
„Partikelpräfix“verb,
umfahre > umfahren
mit untrennbarem Verbteil
übersetze > übersetzt
nichtnatives Verb
ohne Inititalakzent
studiere > studiert
informiere > informiert
__________
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2. Die Ablautklassen der starken Verben
1. Gruppe: Kriterium Stamm-Vokal
Klasse 1 Stammvokal germ i: mhd. î-ei, nhd. Präs. ei – Präteritum i
1a rîten-reit-riten-geriten
1b lîihen-lech-lihen-gelihen. Sonderfall: Prät.Sing. ê (germ.ai>ê vor r,h,w)
Klasse 2 Stammvokal germ. u: mhd. Prät. ou-ô, nhd. Präs. ie, Präteritum o
2a biuge/biegen-bouc-bugen-gebogen
2b biute/bieten-bôt-buten-geboten
2. Gruppe: Kriterium Stamm-Konsonant
Klasse 3 Sonant+Konsonant nach Stammvokal binden, helfen
3a Nasal gebunden
3b Liquid geholfen, geworden
Klasse 4 Sonant nach oder vor Stammvokal: nemen, brechen, sprechen
Dazu mit h nach Stammvokal: vehten, vlehten, stechen
Klasse 5 Obstruent nach Stammvokal: geben, wesen, bitten
3. Gruppe: Kriterium a-b-b-a, mit b=uo (VI) und b=ie (VII)
Klasse 6 Präteritum uo, nhd. u
tragen-truoc-truogen-getragen
Klasse 7 Präteritum ie, nhd. <ie>, unterschiedliche Stammvokale im Präsens
halten-hielt-hielten-gehalten (a+l+Kons)
hâhen (<*hanhan)-hienc-hiengen-gehangen (a+n+Kons)
râten-riet-rieten-gerâten
heißen-hieß-hießen-geheißen
loufen-lief-liefen-geloufen
Übergänge von der starken zur schwachen Flexion:
• Heute schwach: kreischen, rächen, falten, bellen, reuen, hinken
• Reste starker Formen: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen
• Heute noch im Übergang stark>schwach: sieden, weben, backen, spalten
Reste alter Formen
• Päteritum Sing. ward neben wurde ~wurden
• Grammatischer Wechsel: fliehen-flog/geflogen, ziehen-zog/gezogen, schneidenschnitt/geschnitten
Das Verb sein
Drei Stämme
1. Idg. *es-/*s-: ist, sint
2. Idg. *bheu-/*bhu-: lat. fui, gr. physis, mhd. bin, bis(t), birn, birt (verschmolzen mit Wurzel *es-. Der
Auslaut n < -m ist Flexiv, vgl. lat. sum. Verwandt: bauen.
3. Die Suppletivformen im Präteritum gehören zum starken Verb wesen, Klasse V (davon sonst nur noch
Infinitiv wesen und Imperativ wis!, heute noch: das Wesen, anwesend/abwesend).
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3. Flexion des Adjektivs
Pronominale Flexion
DIES
DIES
DIES
DIES
ER
ES
EM
EN
D
D
D
D
ER
ES
EM
EN
DIES
DIES
DIES
DIES
DIES
DIES
DIES
DIES
E
ER
EN
E
E
ER
ER
E
DI E
D ER
D ER
DI E
DI E
D ER
D EN
DI E
DIES
DIES
DIES
DIES
ES
ES
EM
ES
DA S
D ES
D EM
DA S
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------STARKE ADJEKTIVFLEXION: Kein Artikel.
Bei manch, solch, mehr und Kardinalzahlen (pronominale, „determinierende“ Flexion).
GUT
GUT
GUT
GUT
ER RAT
EN RAT ES
EM RAT
EN RAT
HEIß E NACHT
KALT
HEIß ER NACHT
KALT
HEIß ER NACHT
KALT
HEIß E
NACHT
KALT
HEIß E
TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
HEIß ER TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
HEIß EN TAGEN/NÄCHTEN/GETRÄNKEN
HEIß E
TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
ES GETRÄNK
EN
GETRÄNK ES
EM GETRÄNK
ES GETRÄNK
SCHWACHE ADJEKTIVFLEXION: Adjektiv-Flexive nur –e und -en
Bei der, dieser, jener, derselbe, jeder („nominale, attribuierende“ Flexion).
D
D
D
D
ER
ES
EM
EN
GUTE
GUTEN
GUTEN
GUTEN
RAT
RATS
RAT
RAT
DI E HEIßE NACHT
DA S
D ER HEIßEN NACHT
D ES
D ER HEIßEN NACHT
D EM
DI E HEIßE
NACHT
DA S
DI E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
D ER HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
D EN HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
DI E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
KALTE GETRÄNK
KALTEN GETRÄNK
KALTEN GETRÄNK
KALTE GETRÄNK
GEMISCHTE ADJEKTIVFLEXION: Nominativ teilweise stark mit Flexiv -er
Bei ein, mein, kein
EIN
EIN
EIN
EIN
-ES
EM
EN
GUT ER RAT
GUT EN RATS
GUT EN RAT
GUT EN RAT
KEIN
KEIN
KEIN
KEIN
EIN E HEIß E
NACHT
EIN -KALT ES
EIN ER HEIß EN NACHT
EIN ES KALT EN
EIN ER HEIß EN NACHT
EIN EM KALT EN
EIN E HEIß E
NACHT
EIN
KALT ES
E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
ER HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
EN HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
E HEIß EN TAGE/NÄCHTE/GETRÄNKE
GETRÄNK
GETRÄNK
GETRÄNK
GETRÄNK
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4. Flexion des Substantivs
Grundregel 1 „gemischte“ Feminina: Frau, Katze; Suffixe -heit, -keit, -schaft, -in, -ung
Singular
Plural
∅
en/n
Frau, Katze „stark“: ∅ (d.h. ohne Flexiv)
Frau-en, Katze-n (zur e-Tilgung s.u.) „schwach“: nur Flexiv -(e)n
Grundregel 2 „starke“ Maskulina/Neutra: Tag, Jahr; Suffixe: -er, -ling, -chen
Singular
Plural
Gen. (e)s
Dat (e)
Tag-(e)s, Jahr-(e)s, Auto-s, PKW-s
Tag(e), Jahr(e)
e
Normalfall
Tag-e, Jahr-e (zur e-Tilgung s.u.);
mit Umlaut: Gäst-e, Stühl-e (alte -i-Stämme ahd. gasti>Gäste)
s
Sonderfall: mehrsilbig, voller Auslautvokal, d.h. kein Schwa
Auto-s, Opa-s, LKW-s
Flop-s, Prof-s (Fremdwort/Kurzwort)
er
Sonderfall er-Plural, keine synchronische Regel. Bei hinterem
Stammvokal immer Umlaut (-er < ahd.-ir): Kinder, Wälder; Suffix –tum
Maskulina: Wälder, Sträucher, Würmer; Geister
Neutra:
Wörter, Hühner, Kälber; Bilder, Kinder
Zusatzregel:
e-Tilgung im Plural:
Ein e (Schwa) im Pluralsuffix wird getilgt, wenn die Endsilbe eines mehrsilbigen Stamms ein
Schwa enthält. Bei den Maskulina und Neutra entfällt damit regelhaft das Suffix –e, die
Pluralform erscheint ohne Markierung.
Feminina
Freude > Freude--n
Feder > Federn--n
Regel > Regel--n
Maskulina/Neutra:
Getriebe > Getriebe-Bohrer > Bohrer--, Eimer > Eimer--, Lehrer > Lehrer-Meisel > Meisel--, Esel > Esel-Wagen > Wagen--, Garten > Gärten—
Die Schwa-Tilgung findet sich auch beim e-Plural der starken Feminina, s.unten Sonderfall (2).
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------2. Sonderfall „gemischte“ Maskulina/Neutra
Singular stark
(e)s
Staat-es, Auge-s, See-s
Plural schwach (e)n
Staat-en, Auge-n, See-n
3. Sonderfall „schwache“ Maskulina:
Singular + Plural schwach: –(e)n:
Löwe, Drache, Bär („Typus Löwe: schwach“), ferner bei
nichtnativen Suffixen: -ant, -ent, -and, -ient, -ist, -ast, -at, -et, -it, -ot ,-nom, -loge u.a.
Singular Gen.Dat.Akk. (e)n des Löwe-n, Bär-en, Demonstrant-en, Student-en, Klient-en
Plural
(e)n die Löwe-n, Bär-en, Demonstrant-en, Student-en, Klient-en
4. Sonderfall „starke“ Feminina: Mäuse, Töchter („Typus Maus: stark“)
Singular ∅, Plural –e, bei Typ (1) und (2) nur mit Umlaut, Stammvokal a, o, u, au
(1) Singular ∅, Plural –e:
Maus, Laus, Gans, Kuh; Luft, Lust, Brust, Kunst, Kraft, Not
(2) Singular ∅, Plural ∅
(Schwa-Tilgungsregel, s.o.): Mutter, Tochter
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(3) Singular ∅, Plural -s
(zweisilbig, voller Auslautvokal): Oma, Bar, Prof
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