Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 Die klassische Mechanik beschreibt die Bewegung von Körpern und Bewegungsänderungen durch wirkende Kräfte. Dies geschieht auf der Grundlage der Newtonschen Axiome (klassisch) und ist gültig im Bereich kleiner Geschwindigkeiten und makroskopischer großer Systeme. Historisch ist die Mechanik das Ursprungsgebiet vieler anderer physikalisch-technischer Disziplinen. Mit dem Lagrange-Formalismus wurde eine sehr elegante Formulierung entwickelt, die auch Ausgangspunkt weiterer physikalischer Theorien ist. 1 Grundlagen und Definitionen 1.1 Vektoroperationen Definition 1.1 Der Nabla-Operator ∇ ist definiert als ∂x ∇ = ∂y . ∂z Definition 1.2 Der Gradient einer skalaren Funktion φ ist gegeben durch ∂x φ grad φ = ∇φ = ∂y φ . ∂z φ Man beachte: ∇φ ist ein Vektorfeld. Definition 1.3 Die Divergenz eines Vektorfeldes A ist gegeben durch div A = ∇ · A = ∂x Ax + ∂y Ay + ∂z Az . Man beachte: ∇ · A ist ein Skalarfeld. Definition 1.4 Die Rotation eines Vektorfeldes A ist gegeben durch ∂y Fz − ∂z Fy rot A = ∇ × A = ∂z Fx − ∂x Fz . ∂x Fy − ∂y Fz Für eine Komponente lässt sich das auch gut mit dem Tensor schreiben (∇ × A)i = ijk ∂j Ak Man beachte: ∇ × A ist ein Vektorfeld. 1 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 1.2 Bahnkurve Die Bewegung eines Teilchens im Raum kann durch eine Bahnkurve in Abhängigkeit von der Zeit t beschrieben werden (Ortsvektor). x(t) r(t) = y(t) z(t) = x(t)ex + y(t)ey + z(t)ez Wir definieren die Geschwindigkeit v(t) v(t) = dr(t) = ṙ(t) dt und die Beschleunigung a(t) a(t) = d2 r(t) = r̈(t). dt2 Man beachte, dass es sich hierbei um totale Zeitableitungen handelt1 . Die kartesischen Einheitsvektoren sind konstant 1 0 0 ex = 0 , ey = 1 , ez = 0 , 0 0 1 deshalb gilt die einfache Beziehung v(t) = ẋ(t)ex + ẏ(t)ey + ż(t)ez a(t) = ẍ(t)ex + ÿ(t)ey + z̈(t)ez . Für andere Koordinatensysteme ist dies nicht der Fall, wie wir gleich sehen werden. 1.3 Koordinatensysteme Im Prinzip können wir jedes Problem in kartesischen Koordinaten lösen, allerdings ist das oft unnötig schwer. Deshalb kann man sich alternative Koordinatensysteme wählen mit einem geeigneten Set an Einheitsvektoren. Oft wählt man sich ein System was der Symmetrie des Problems angepasst ist, welches man lösen möchte. Hier stellen wir zwei häufig genutzte Koordinatensysteme vor, es wird empfohlen diese ggf. auswendig zu lernen, damit man sie jederzeit sicher anwenden kann. 1 df (φ,t) dt = ∂f ∂t + ∂f φ̇ ∂φ 2 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 1.3.1 Zylinderkoordinaten Wir beschreiben die Position im Raum mit einem Radius ρ in der Ebene, einem Winkel φ in der Ebene und einer z−Koordinate.2 Diese Koordinaten sollte man immer verwenden wenn es ein Problem mit einer Rotationssymmetrie um eine Achse gibt. Der Ortsvektor in Zylinderkoordinaten lautet ρ cos φ r(t) = ρ sin φ z = ρ(t)eρ + z(t)ez mit den Einheitsvektoren cos φ − sin φ 0 eρ = sin φ , eφ = cos φ , ez = 0 0 0 1 Wenn wir jetzt die Geschwindigkeit berechnen, müssen wir auch den Einheitsvektor eρ (φ) differenzieren. Es ergibt sich d (ρeρ ) + ż(t)ez dt deρ dρ eρ + ρ +ż(t)ez = dt dt |{z} v(t) = ṙ = ∂φ eρ φ̇ = ρ̇(t)eρ + ρφ̇(t)eφ + ż(t)ez 6= ρ̇(t)eρ + φ̇(t)eφ + ż(t)ez . Analog erhalten wir für die Beschleunigung a(t) = (ρ̈ − ρφ̇2 )eρ + (ρφ̈ + 2ρ̇φ̇)eφ + z̈ez . 1.3.2 Kugelkoordinaten Bei einem kugelsymmetrischen Problem (z.B. Punktmasse bewegt sich auf Erdoberfläche) bietet es sich an Kugelkoordinaten zu verwenden. Der Ortsvektor lässt sich dann mit r, φ, θ schreiben r cos φ sin θ r(t) = r sin φ cos θ r cos θ = r(t)er 2 Ohne die z-Koordinate handelt es sich um Polarkoordinaten, die für zweidimensionale Probleme verwendet werden können. 3 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 mit den Einheitsvektoren cos φ sin θ − sin φ cos φ cos θ er = sin φ sin θ , eφ = cos φ , eθ = sin φ cos θ cos θ 0 − sin θ Wir berechnen beispielhaft die Ableitung für er ∂er ∂er ∂er der ṙ + = φ̇ + θ̇ dt ∂r ∂φ ∂θ |{z} =0 cos φ cos θ − sin φ sin θ = φ̇ cos φ sin θ + sin φ cos θ − sin θ 0 {z } | {z } | ėr = eθ sin θeφ = sin θφ̇eφ + θ̇eθ und erhalten analog ėθ = −θ̇er + φ̇ cos θeφ ėφ = −φ̇ (sin θer + cos θeθ ) . Damit ergibt sich die Geschwindigkeit v(t) = ṙer + rθ̇eθ + r sin θφ̇eφ . 1.3.3 Näherungen Oft können wir die DGL nicht lösen aber wir können Näherungen vornehmen, die eine Lösung einfacher machen. Dafür ist die Annahme, dass die Variable nur kleine Werte annimmt (z.B. kleine Auslenkungen beim Fadenpendel). Dann können wir Teile der Lösung mit einer Taylorentwicklung vereinfachen, indem wir nur bis zum linearen (oder quadratischen Term) entwickeln. Häufig kommen dabei folgende Situationen vor x3 x5 sin(x) = x − + + ... | 3! {z5! } ≈x x2 x4 cos(x) = 1 + + + ... } | 2! {z4! ≈1 Terme höherer Ordnung Terme höherer Ordnung ex = 1 + x + x2 x3 + + ··· ≈ 1 + x 2! 3! (1 + x)n ≈ 1 + nx 4 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 Als Spezialfälle der letzten Gleichung ergeben sich √ 1 1 + x = (1 + x) 2 ≈ 1 + 12 x 1 = (1 + x)−1 ≈ 1 − x. 1+x 2 Newton’sche Axiome 1. Galilei’sches Trägheitsprinzip: Es gibt ausgezeichnete Koordinatensysteme, sogenannte Inertialsysteme, in denen sich ein kräftefreier Körper mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, d.h. ṙ(t) = const., r̈ = 0. 2. Newton’sches Bewegungsgesetz: In einem Inertialsystem ist die Änderung des Impulses p dem Einwirken einer Kraft proportional und geschieht in Richtung der Kraft, d.h. dp dt = F mit Impuls p = mv. Die Masse ist gerade der Widerstand, den der Körper der Änderung des Bewegungszustands entgegensetzt. Meist bleibt die Masse konstant und wir schreiben mr̈ = F. 3. “Actio = Reactio”: Der Kraft, mit der die Umgebung auf einen Massenpunkt wirkt, entspricht stets eine gleichgroße, entgegengesetzt gerichtete Kraft, mit der der Massenpunkt auf seine Umgebung zurückwirkt, F12 = −F21 . • Kräfte zwischen zwei Massepunkten wirken entlang der Verbindungslinie: r12 × F12 = 0. • Superpositionsprinzip: wirken n Kräfte auf einen Massepunkt ein, so ist die Gesamtkraft die vektorielle Summe der Einzelkräfte (hiervon kann es Abweichungen geben). In der Mechanik beschränken wir uns auf Kräfte, die von Ort, Geschwindigkeit und Zeit abhängen (keine höheren Ableitungen) F = F(r, ṙ, t). Oft beschränkt man sich auch auf eindimensionale Bewegungen. Typische Probleme sind • Bewegung im Gravitationsfeld mẍ = −mg • Bewegung mit Reibung mẍ = −γ ẋ • Freie gedämpfte Schwingung mẍ = −kx − γ ẋ • Erzwungene Schwingung Es wird empfohlen sich intensiv mit diesen Problemen auseinander zu setzen. 5 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 2.1 Kochrezept: Newtonsche Axiome 1. Bestimmen der Kräfte und Aufstellen der DGL mr̈ = F. 2. Lösen der DGL durch Integration oder mit Erhaltungsgrößen 3. Bestimmung der Integrationskonstanten durch die Anfangsbedingungen (DGL 2. Ordnung benötigt 2 Anfangsbedingungen). 4. Diskussion und physikalische Interpretation der Lösung 2.2 Beispiel: Freier Fall im Schwerefeld der Erde mit Reibung Anna lässt einen Ball senkrecht fallen (Punktmasse m). Zur Zeit t = 0 gilt z(0) = h, v(0) = 0. Auf den Ball wirken das Schwerefeld der Erde und eine Reibungskraft FR = −γv (Luftwiderstand). Lösung Da der Ball senkrecht nach unten fällt handelt es sich um eine eindimensionale Bewegung 0 r(t) = 0 . z(t) Wir brauchen also nur die Differentialgleichung für z zu betrachten. Auf den Ball wirken die Schwerkraft Fg = −mg und die Reibungskraft FR = −γv. Damit lautet die Differentialgleichung mz̈ = −mg − γ ż. Um diese zu lösen setzen wir v = ż und gehen über zu einer DGL 1. Ordnung. mv̇ = −mg − γv. Diese können wir durch Trennung der Variablen lösen v Z ⇔ 0 | dv 0 γ 0 v 1 + mg {z } dv γ = −g − m v dt Z t = −g dt0 0 Anfangsbedingung eingesetzt ⇔ mg γ ln 1 + ⇔1+ γ mg v γ mg v = −gt γ =e− m t γ ⇔ v = − mg 1 − e− m t . γ 6 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 Dabei haben wir die Anfangsbedingung v(0) = 0 verwendet. Erneute Integration liefert uns z(t). γ dz(t) 1 − e− m t = − mg γ dt ⇔ z(t) = γ m2 g γ2 1 − e− m t − mg γ t +h Dabei wurde die Anfangsbedingung z(0) = h verwendet. Im Unterschied zum freien Fall hängen sowohl z(t) als auch die Geschwindigkeit von der Masse des Balls ab. Für t → ∞ ergibt sich ein Gleichgewicht und es stellt sich die Grenzgeschwindigkeit lim v(t) = − mg γ t→∞ ein. Man beachte: Da die Reibungskraft nicht konservativ ist, kann man das Problem nicht mit dem Energierhaltungssatz lösen. 2.3 Beispiel: Harmonischer Oszillator Wir betrachten einen Ball der Masse m der an einer Feder hängt. Zur Zeit t = 0 wird am Ball gezogen und die Feder um die Strecke x0 gedehnt. Bestimme die Trajektorie x(t). Lösung Die DGL für die eindimensionale Bewegung lautet mẍ = −kx. Wir machen den Lösungsansatz x(t) = Aeαt und setzen dies ein mα2 Aeαt = −kAeαt q k ⇔ α = ±i m . Die Lösung lautet also r x(t) = Ae i k mt r + Be −i k m t. Wir bestimmen A und B durch die Anfangsbedingungen x(0) = x0 , ẋ(0) = 0. q q k k ẋ(0) = i m A−i m B=0 ⇔A=B 7 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 Dies setzen wir ein und benutzen die zweite Anfangsbedingung x(0) = 2A = x0 x0 ⇔A= 2 Damit ergibt sich x0 x(t) = 2 r e = x0 cos i k mt q r +e −i k mt ! k mt Der Ball führt also eine Schwingungsbewegung aus. 3 Erhaltungssätze Eine Erhaltungsgröße ist eine physikalische Größe des Systems, deren Wert sich nicht mit der Zeit ändert. Wir werden später den Zusammenhang zwischen Erhaltungsgrößen und den Symmetrien eines Systems betrachten. Es gilt dA = 0 ⇔ A = const. dt 3.1 Impulserhaltung Wirkt auf ein Teilchen keine resultierende Kraft F = 0, so folgt aus dem 2. Newton’schen Axiom direkt dp = 0. dt Damit ist der Impuls p = const. eine Erhaltungsgröße. Dies kann genauso für einzelne Komponenten von p betrachtet werden. 3.2 Drehimpulserhaltung Der Drehimpuls L ist gegeben durch L=r×p und das Drehmoment M durch M = r × F. Es gilt dL = M. dt 8 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 Verschwindet das Drehmoment, so gilt Drehimpulserhaltung M=0⇔ dL = 0 ⇔ L = const. dt Für Zentralkräfte gilt F||r (vgl. Übungen). Dann gilt M=r×F∝r×r=0 und es folgt die Drehimpulserhaltung. 3.3 Energieerhaltung Die Arbeit W , die beim Zurücklegen eines Weges C in einem Kraftfled F(r) geleistet wird ist gegeben durch Z W = F(s)ds. C Definition 3.1 Für eine Kraft F(r) sind folgende Aussagen äquivalent • F ist konservativ • Es existiert ein Potential U (r) sodass F(r) = −∇U (r) • ∇ × F(r) = 0 • Die zwischen zwei Punkten P1 und P2 verrichtete Arbeit ist unabhängig vom Weg bzw. die Arbeit über einen beliebigen geschloßenen Weg ist = 0. Z F(r)ds = U (r2 ) − U (r1 ) IC F(r)ds = 0 Für konservative Kraftfelder ist die Energie E = T + U eine Erhaltungsgröße mit T = 1 2 2 mṙ . Damit ergibt sich ein weiterer Lösungsansatz um die Trajektorie zu bestimmen E = 21 mṙ2 + U (r) r 2(E − U (r) ⇔ ṙ = m r dr 2(E − U (r)) ⇔ = dt m Z Z dr q ⇔ dt = 2(E−U (r)) m 9 Philipp Landgraf Christina Schindler Ferienkurs Theoretische Mechanik SS 2014 3.4 Beispiel: Bewegung im Zentralpotential Wir betrachten die Bewegung einer Punktmasse im Zentralpotential V (r) = V (r). Es gilt Energieerhaltung und Drehimpulserhaltung E = 12 mṙ2 + V (r) = const. Die Drehimpulserhaltung folgt aus der Form des Zentralpotentials. Wir legen also das Koordinatensystem sodass die z-Achse in Richtung des Drehimpulsvektors zeigt. Dann findet die Bewegung in der Ebene senkrecht dazu statt und wir können Zylinderkoordinaten verwenden. In Zylinderkoordinaten berechnen wir L L = mr × ṙ = m rer ×(ṙer + rφ̇eφ ) |{z} | {z } =r =ṙ 2 = mr φ̇ez Dies können wir nach φ̇ auflösen. φ̇ = L mr2 In Zylinderkoordinaten gilt ṙ2 = ṙ2 + r2 φ̇2 . Nun setzen wir diese beiden Beziehungen in die kinetische Energie ein E = 12 mṙ2 + V (r) = 12 m(ṙ2 + r2 φ̇2 ) + V (r) L2 + V (r) 2mr2 = 21 mṙ2 + Ueff (r) = 21 mṙ2 + Wir können alle Zentralpotentialprobleme auf diese Art mit dem effektiven Potential Ueff (r) umschreiben. 10