Frühgeburtlichkeit Zervixinsuffizienz Zerklage Literatur: Cochrane Library, UptoDate-Online, Der Frauenarzt 11.2013, ... © 2010-2013, Dr. med. Martin Neuß Oberarzt, Johanniter-Krankenhaus, Geesthacht http://www.mneuss.de Mittwoch, 27. November 13 Allgemeines • 12% vorzeitige Geburten • 20-30% aus med. Indikation (iatrogen) • 80-70% spontan (PPROM, PTL) Mittwoch, 27. November 13 Pathogenese • • Entzündung Auslösung einer inflammatorischen Reaktion Direkte Einwirkung durch Bakterien Aktivierung der maternalen oder fetalen HypothalamusHypophysen-NNR-Achse vorzeitige Reifung i.S. der Vorbereitung zur Geburt (Prostaglandine, Cortisol, Östrogene; s.a. folgende Grafik) Blutung Uterusdehnung Zervix- oder Uteruspathologie • • • • • • Mittwoch, 27. November 13 Mittwoch, 27. November 13 Pathogenese • Ursachenkomplexe schließen sich nicht • • gegenseitig aus, überlagern sich teilweise Münden in gemeinsame, teilweise überlagernde Endstrecken PPROM (vorzeitiger BS) PTL (vorzeitige Wehen) Zervixinsuffizienz Endergebnis aller Vorgänge ist die frühe Geburt • • • Mittwoch, 27. November 13 Risikofaktoren • • • • • • • Stress (Umfeld, Arbeitsbelastung, sozialer Status, Erkrankungen, Operationen, ...) Uterusdehnung (Zwillinge, Polyhydramnion, Myome, Uterusanomalien, ...) Zervixfaktoren (Voroperationen, anamnestisch Zervixinsuffizienz, ...) Infektion (Hygienestatus, Bakteriurie, akute Infektion, Zahninfektion, ...) Plazentapathologie (Hämatom, Prävia, Blutung) Sonstige (Anamnese vorz. Geburt, geringer SS-Abstand, Substanzmissbrauch, Rauchen, Gefäßerkrankungen, Anämie, junge/alte Mutter, ...) Fetale Faktoren (Missbildung, IUGR, ...) Mittwoch, 27. November 13 Präventions-, Therapieansätze • primär: Ausschluss von RF, Therapie nach • • Risikokollektiven,Vermeidung v. Mehrlingen, Lebensführung, Hygiene, ... sekundär: gezielte Diagnostik und Therapie in de Schwangerschaft tertiär:Versorgung der Frühgeborenen, Planung des Entbindungsortes, Marker für bevorstehende Geburt Mittwoch, 27. November 13 Diagnostische Möglichkeiten • Risk-Scoring-Systeme • Bildgebung, klinische Beurteilung • Biochemische Marker Mittwoch, 27. November 13 Scoring-Systeme • Ziel: Erstellung eines prädiktiven Scores auf • der Basis der Anamnese. Bis jetzt kein System mit Evidenz-basierten Vorteilen in der Kombination verschiedener Risikofaktoren Mittwoch, 27. November 13 Wesentliche RF • Vorzeitige Geburten in der Anamnese bes. in • • • • der letzten SS sehr kurzer Abstand der Schwangerschaften Mehrlinge Vaginose, Harnwegsinfekt/ Bakteriurie Rauchen Mittwoch, 27. November 13 Klinische Beurteilung • • • Vaginale Untersuchung (Palp., Spek., Sono): offener MM, prolabierende Fruchthäute Zervixlängenmessung Zusatzbefunde (Sludge, Membrandehiszenzen,...) anatomische Besonderheiten Ausschluss eines Infektes, ggf. eines AIS Eruierung weiterer Risikofaktoren, Erkrankungen, Prozesse (Wehentätigkeit, ...) • • • Mittwoch, 27. November 13 • Sonografie • • • • • • "Diagnostik" einer Zervixinsuffizienz Goldstandard: vaginale Sonografie Wesentlicher Parameter ist Zervixlänge Cut-Offs 15mm bzw. 25mm Zusatzbefunde: Messung MM-Eröffnung, Sludge, Membranablösungen, Einblutungen, ... Trichter für Therapieplanung nicht relevant Zur Diagnose einer Zervixinsuffizienz außerhalb der SS und im ersten Trimenon nicht sinnvoll • Mittwoch, 27. November 13 Diagnose Zervixinsuffizienz • Keine einfache oder immer eindeutige Diagnose • Kombination verschiedener Parameter • Sehr wahrscheinlich gegeben wenn: • Cx-Länge <15mm und • anamnestisch vorz. Geburt im 2. Trimenon und • Z. n. Zervixverletzung oder -abnormalität • ohne Hinweis auf Infektion (Sludge, Ödem, Membranablösung) Mittwoch, 27. November 13 Biochemische Marker • Infektionsdiagnostik: Scheiden-pH, Abstriche, Urindiagnostik, ... • Vielzahl an Markerproteinen überwiegend • wissenschaftliches Interesse, Nachweis im Vaginalsekret oder Serum. Relevante Marker Fetales Fibronektin ph ILGFBP-1 (phosphoryliertes Insulin-like Growth-Factor Binding-Protein) • • Mittwoch, 27. November 13 Fibronektin • • • • "Kleber" des Trophoblasten, Nachweis im Vaginal-/ Zervixsekret, bzw. Scheidengewölbe Allg. Einschlusskriterien intakte Fruchtblase, MM<3cm, 22+0 bis 34+6 SSW Entnahme vor Untersuchung Beeinflussung durch Sekrete, Gleitmittel, ... kommerzielle Tests (RapidfFN®, QuickCheck fFN®) • • • Mittwoch, 27. November 13 ph IGFPB-1 • deziduales phosphoryliertes Insulin-like• Growth-Factor-Binding-Protein 1 Ab 24+0 SSW, unempfindlich gegen Urin, Sperma, weitestgehend auch gegen Blut. Mittwoch, 27. November 13 fFN/ ph IGFBP-1 • • • Symptomatische Patientinnen Cx-Länge >3cm: geringes Risiko Cx-Länge <15mm: hohes Risiko Cx-Länge 16-(25-)30mm: intermediäres Risiko Durchführung sinnvoll bei intermediärem Risiko: hoher negativer PV: bei negativem Test niedriges Risiko für bevorstehende Entbindung. Patientin braucht wahrtscheinlich keine Behandlung Test auch bei spez. Indikationen bei Cx<15mm (z.B. Planung Zerklage) • • • • Mittwoch, 27. November 13 fFN/ ph IGFBP-1-Test • Asymptomatische Patientinnen • Cx <25mm: 2x negativer Test: <1% auf • Entbindung in 7d pos. Test: erhöhtes Risiko, schlechter PPV Im Hochrisikokollektiv Ausschluss Notwendigkeit einer stat. Behandlung. Mittwoch, 27. November 13 Therapiemöglichkeiten • • • • Nur bei vitalem/ gesunden Feten Primäre Prävention Verbesserung der Ausgangsbedingungen Definition der zu behandelnden Patientinnen Sekundäre Prävention Behandlung der akuten Situation Tertiäre Prävention Verbesserung des Outcomes durch Schaffung der bestmöglichen Bedingungen für das Neugeborene • • • • Mittwoch, 27. November 13 Primäre Prävention • • • Frauen nach Frühgeburt, Z.n. Zerklage, Mehrlingsschwangerschaft Änderung der Lebensführung, Hygiene, Beseitigung von Risikofaktoren. Rauchen beenden Behandlung einer bakteriellen Vaginose Behandlung einer Bakteriurie Medikamentöse Therapie Progesteron bei anamn. Risiko • • • • Mittwoch, 27. November 13 Gestagene • Progesteron (200mg Kps., 90 mg Gel, ) • Off-label-Use • Teilweise widersprüchliche Daten in Studien Mittwoch, 27. November 13 Gestagene • Frühgeburt in Anamnese von16+0 SSW bis • • • 36+0 SSW Cx-Länge ≤25mm vor 24. SSW: bis 36+6 SSW Vaginale Blutung in 1. / 2. Trimenon: über 2 Wochen Aussschlusskriterien: Mehrlinge, Zerklage, pos. fFN/ phIGFBP-1 Zu behandelnde Grunderkrankung • • Mittwoch, 27. November 13 Höhergradige Mehrlinge • Profitieren von intensivierter Überwachung • • und Zervixlängenmessung. Ziel ist rechtzeitige Überweisung an Zentren Progesteron ohne Verbesserung des Outcome. Mittwoch, 27. November 13 Sekundäre Prävention • Screening ? • Medikamentöse Therapie • Progesteron (bei Cx-Verkürzung) • Tokolytika (Oxytocin, Atosiban, Nifedipin, • Partusisten, Indomethacin) "Operative" Therapie Zerklage Pessare • • Mittwoch, 27. November 13 Zervixlängen-Screening • Ökonomische Berechnungen aus • • Interventionsstudien lassen Zervixlängenmessung vor der 24. SSW als effektiv erscheinen. Es gibt keine Belege aus prospektiven, randomisierten Studien. Derzeit nicht empfohlen Mittwoch, 27. November 13 Zervixlänge bei Risiko • Nach Frühgeburt/ Spätabort • Cx-Länge vor 24. SSW < 25mm • Profitieren von einer sekundären Zerklage • Ansonsten überwiegen die Nachteile der Zerklage die Vorteile Mittwoch, 27. November 13 Keine Indikation zur Intervention • Symptomatische Patientin • Cx größer als 25 mm • negativer fFN/ ph IGFBP-I • sehr geringes Risiko für Entbdindung in den • nächsten 7 (-14 Tagen) in der Regel keine weitere Therapieindikation Mittwoch, 27. November 13 Pessare • Cochrane Metaanalyse 2010 • keine aussagekräftigen Daten zur Therapie • • vorhanden Seitdem zwei prospektive Studien bei Risikokollektiv mit unterschiedlichen Ergebnissen Weitere Studien folgen Mittwoch, 27. November 13 Pessar ja/nein • Risikokollektiv (Z.n. Frühgeburt, Cx<25mm • • vor 24. SSW) Einlage eines Zerklage-Pessars verlängert die Schwangerschaftsdauer signifikant EL 1b, Empfehlungsgrad +/- Mittwoch, 27. November 13 Zerklage • Positiver Effekt belegt nur bei Einlingen • Z.n. Frühgeburt, Cx< 25mm vor 24+0 SSW • MM-Eröffnung >1cm vor 24+0 SSW • Noch besser mit totalem MM-Verschluss (TMMV) mit Vernähen des MM nach Anfrischen. Mittwoch, 27. November 13 Progesteron • Nach Behandlung vorz. Wehen wahrscheinlich • • • sinnvoll ("bis 35. SSW") Evtl. auch bei vorz. Wehen Nach Blutungen im ersten und zweiten Trimenon für 2 Wochen Therapiedauer (Senkung der Abortrate, keine Verlängerung der Dauer) Nicht bei Blasensprung Mittwoch, 27. November 13 Tokolyse • • • • Bei Muttermunds-wirksamen Wehen. Verzögerung der Geburt über 48h in 80% der Fälle, in 70% bis 7 Tage Dauer- und Erhaltungstokolyse nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht empfohlen. evtl. Einzelfallentscheidung (frühe vorz. Wehen, sympt. Praevia, ...) sorgfältige Beratung, sorgfältige Abwägung Gewonnene Zeit für tertiäre Prävention nutzen • • Mittwoch, 27. November 13 Tertiäre Prävention • Optimale Bedingungen für die Entbindung und • • • das Neugeborene schaffen. Planung der Geburt Verlegung in Zentrum organisieren Lungenreife durchführen Mittwoch, 27. November 13 Lungenreife • Einmalige Gabe vor der 34+0 SSW • Reduktion von • Mortalität und "serious outcome" • Hirnblutung, RDS, nekrotisierende Enterokolitis, systemische Infektion in den ersten Tagen Mittwoch, 27. November 13 Wiederholung • bei fortbestehendem Risiko zur Frühgeburt • Wiederholungsgabe nach 14 Tagen möglich • Verbesserung des Outcomes s.o. • Wahrscheinlich keine relevanten Probleme Mittwoch, 27. November 13 Neuroprotektion • Vorgeburtliche Gabe von Magnesium vor 34. • • • SSW 4-6 g einmalig i.v. gefolgt von 1-2g/h reduziert deutlich neurologische Erkrankungen Motorische Dysfunktion, Zerebralparese ohne wesentliche maternale oder fetale unerwünschte NW • Mittwoch, 27. November 13 Zusammenfassung Mittwoch, 27. November 13 Was nun? Strategien • • Notwendig ist Identifikation von speziellen Risikogruppen nach ausgewählten Studien. Weitere Überlegungen: Gestationsalter, vor oder nach Lebensfähigkeit Notwendigkeit der Entbindung wahrscheinlich (AIS, PPROM, Blutung), Ausmaß der Cx-Verkürzung, Nachweis fetales Fibronektin Vorgeschichte (Abstand zu letztes SS <6 Monate, Frühgeburten bes. <34+0 SSW, bes. in letzte SS) • • • • Mittwoch, 27. November 13 Generell • Erkennen der Risikosituation • Rauchen beenden • Behandlung einer Vaginose • Behandlung auch einer asympt. Bakteriurie Mittwoch, 27. November 13 Niedrigrisikokollektiv • ohne Besonderheiten im Verlauf • keine Gestagene • Screening Cx-Länge nicht sinnvoll Mittwoch, 27. November 13 Hochrisikokollektiv • Z.n. Frühgeburt oder Zerklage • Progesteron ab der 16+0 SSW bis 36+0 • SSW (36+6 SSW) Zervixlängenmessung höhergradige Mehrlinge nur Zervixlängenmessung • Mittwoch, 27. November 13 Vaginale Blutung • im ersten oder zweiten Trimenon • Progesteron vaginal über zwei Wochen Mittwoch, 27. November 13 Risikokollektiv, vor 24. SSW, Cx lang • "Primäre" Zerklage vertretbar bei "klassischer" Anamnese Z.n. multiplen Frühgeburten <34+0 SSW, Ausschluss anderer Genese vitalem Feten, Ausschluss Fehlbildung • • Mittwoch, 27. November 13 Zervixverkürzung, <24+0 SSW • CXL<25 mm vor der 24. SSW • Hochrisikollektiv (nicht Mehrlinge) • Zerklage, besser mit totalem • Muttermundsverschluss Niedrigrisikokollektiv Progesteron vaginal bis 36+0 (36+6) SSW • Mittwoch, 27. November 13 Zervixverkürzung, >24+0 SSW • CX<25mm ohne Zeichen Infektion • ggf. fFN/ ph IGFBG-1-Test • positiv oder gleichzeitige vorzeitige Wehen • Therapiemaßnahmen einleiten • nach Wehenhemmung Progesteron bis 36+0 • (36+6) SSW negativ ohne Wehentätgkeit ambulante Überwachung • Mittwoch, 27. November 13 Frühgeburt wahrscheinlich • Tokolyse (Nifedipin, Fenoterol) • Nifedipin Mittel der ersten Wahl • Tokolyse >7d als Einzelfallentscheidung • Lungenreifeinduktion (Dexamethason oder • Betamethason) evtl. Wiederholungsgabe nach 14d. Neuroprotektion (Magnesium) 4-6g i.v. Bolus, 1-2g/h i.v. Erhaltungsdosis • • Mittwoch, 27. November 13 Offener MM, FB-Prolaps • "Tertiäre" Zerklage mit TMMV nach Ausschluss/ Behandlung von vorzeitigen Wehen Infektion (Klinik, Labor, Sono-Befund, ggf. Amnioszentese) fetalen Schäden Nachweis einer Verlängerung bes. bei GA<24+0 SSW • • • • Mittwoch, 27. November 13 Z.n. Zerklageversager • Nach multiplen Frühgeburten und Versagen vaginaler Zerklagen ist abdominales Vorgehen möglich. Mittwoch, 27. November 13 Z. n. erfolgreicher Zerklage • Erfolgreiche Zerklage kein alleiniger • Indikationsgrund für erneute prophylaktische Zerklage. Ausreichend viele Folge-SS haben letztendlich einen normalen Verlauf. Mittwoch, 27. November 13 Techniken Mittwoch, 27. November 13 Techniken Mittwoch, 27. November 13 Techniken Mittwoch, 27. November 13 Techniken Mittwoch, 27. November 13 Zusammenfassung • Progesteron wird Standard bei Risiken • fFN / ph-IGFBP-1 haben Indikation in eher • • wenigen Fällen, sollten verwendet werden Zerklageindikationen mittlerweile etwas häufiger und rel. klar definiert Mit totalem MM-Verschluss korrekt ausgeführt wahrscheinlich noch besser Mittwoch, 27. November 13 Zusammenfassung • Pessare wahrscheinlich indiziert evtl. • • • Alternative, noch nicht empfohlen Langzeittokolyse >7d weiterhin nicht belegt Lungenreife nach 14 bei akutem Risiko wiederholbar Neuroprotektion durch Magnesium i.v. Mittwoch, 27. November 13 © Dr. med. Martin Neuß FA f. Gynäkologie und Geburtshilfe Oberarzt am Johanniter-Krankenhaus-Geesthacht URL: http://www.mneuss.de Mittwoch, 27. November 13