Pragmatik und Spracherwerb Bianca Becher & Anna-Lena Schomburg Gliederung z Einleitung z an das Kind gerichtete Sprache z 4 Erwerbsphasen z Zu den 4 Erwerbsphasen z Pragmatische Erwerbsprinzipien z Pragmatische Störungen z Zusammenfassung z Quellen Einleitung - Grammatik und Pragmatik müssen erlernt werden. - Für sämtliche Phänomene der Pragmatik kann man sich fragen, wann und wie sie erworben werden, und wie sich ihre Beherrschung in der Kindheit entwickelt. - Sprache dient der Kommunikation -> Wolfskinder - Das Wissen über die Situation und Welt kann schnell aufgebaut werden. - Entwicklungstendenzen: a) Kinder verhalten sich weniger egozentrisch. b) mit der Zeit beziehen sie immer mehr nicht-situatives Wissen mit ein (generelles Hintergrundwissen). c) schließlich können sie Sprechaktkonventionen beachten. An das Kind gerichtete Sprache (KGS) verschiedene Ansichten: Noam Chomsky vs. Jean Piaget Chomsky: - Fähigkeit des Sprechens ist angeboren. - nativistische Position Piaget: - kontinuierlicher Aufbau von Strukturen - Kognitivismus ≠ Interaktionismus (sämtliche Fähigkeiten nur aus Interaktion) KGS ist langsamer, kürzer, manchmal formal oder inhaltlich einfacher, hochtoniger, mit ausgeprägter Intonation, flüssiger, grammatisch korrekter und mehr situationsbezogen als Erwachsenensprache. ∟> erleichtern den Spracherwerb? ≠ Chomsky - KGS ist möglicherweise universell, da sie in vielen Sprachen der Welt auftaucht -Feinanpassung an Fähigkeiten der Kinder (Prosodie, evtl. Syntax) Wortschatz: referentiell expressiv Viele Nomina (referieren auf etwas) Herstellung sozialen Kontakts, Steuerung d. Interaktion, Ausdruck v. Gefühlen (nein, doch, bitte, hallo, aua..) Zusammenhang KGS u. Wortschatz - viele Direktive (Aufforderung) -> „expressive“ Kinder - Eltern, die oft Gegenstände benennen/erläutern -> „referentielle“ Kinder - Dichte des Inputs bestimmt Schnelligkeit des Wortschatzerwerbs u. Umfang des Wortschatzes der Kinder - keine expliziten Korrekturen grammatisch falscher Äußerungen, ABER: - >implizite Hilfe beim Sprachenlernen: erweiterte Wiederholungen (korrekte Form + zusätzliche Info) klärende Nachfragen Zwischenfazit: Chomskys Ansicht muss widersprochen werden: z KGS bietet Anhaltspunkte, die eine interaktionistische Sicht des Spracherwerbs unterstützen Die 4 Erwerbsphasen z z z z - Einwortäußerungen (ca. 1,0 - 1,8 Jahre) Zweiwortäußerungen (ca. 1,6 – 2,3) Drei- u. Mehrwortäußerungen (2,0 – 4,0) komplexe Strukturen (ab ca. 4,0 J.) Phasen können überlappen interindividuelle Variation Erwerb der pragmatischen Kompetenz - schon vor der Einwortphase - Eltern reagieren auf Laute der Babys - man weiß nicht, wann Babys mit den Lauten eine Intention haben (schlecht testbar) - Reaktionen d. Eltern zeigen dem Kind, dass es mit seinen Geräuschen etwas erreichen kann. - langsam Interaktion zw. Eltern und Kind - „lautliche Gesten“ = Vorläufer von Wörtern - „turn-taking“ wird früh geübt - bei kleinen Kindern sind die Lücken zw. 2 Redebeiträgen größer als bei Erwachsenen. ∟> zeitliche Abstand wird geringer Einwortphase z z z z mit etwa 12 Monaten einzelne Nomina (Ball, Auto) / Eigennamen / Wörter wie auf, da, runter rudimentär referentielle und prädikative Akte > Illokution: Benennen, Aufforderung, Frage sehr kleine Dialoge nur in der Gegenwart Zweiwortphase z z z z Alter: 1,6 Jahre – 2,3 Jahre Äußerungen wie da auto, füße weg, musik haben, baby weint drückt Vorhandensein, Nicht-Vorhandensein, Objekt und Handlung, Besitzer und Besitz, Lokalisierung etc. aus. neu erlernt: Negation u. Frageintonation Zweiwortphase - illokutionäre Akte: häufig Aufforderungen Bsp. Mone rein -> Simone (Agens) will in den Kinderwagen (Ort) gesetzt werden - Kind begreift sich selbst als deiktisches Kommunikationszentrum - Sprechakttypen: Aufforderung/Bitte, Ja/Nein-Frage, Beschreibungen u. Kommentare, Zustimmung, Ablehnung, Widerspruch, Aufforderung an sich selbst Zweiwortphase illokutionäre Indikatoren: Intonation, bestimmte Partikeln (ja, nein, doch) z Verb häufig am Ende des Satzes Kontextreferenz: - auf sich selbst = implizit (auch) - auf andere = explizit (mama auch) - später auch auf sich selbst = explizit (mone auch) z Zweiwortphase mit ca. 1,8 Jahren: etwa 50 Wörter -> Wortschatzspurt ∟> Voraussetzung für den Ausbau konversationeller Fähigkeiten z Drei- und Mehrwortphase z z z Alter: 2-4 Jahre Ausbau von Syntax und Flexion, d.h. Geschlecht + Kasus der Nomina; Flexionsformen der Verben „übergeneralisiert“ regelmäßige Flexion auf unregelmäßige Verben übertragen, Bsp.: sagen – ich habe gesagt; schlafen – ich habe *geschlaft Komplexe Strukturen z z Alter: Ab 4 Jahren Erlernen von Satzgefügen mit verschiedenen Typen, d.h. Nebensätzen, Relativsätzen + Passiv Zu den 4 Erwerbsphasen z z Zahlreiche Studien zum Thema Erwerb pragmatischer Fähigkeiten in diesen 4 Phasen Æ hier einige wesentliche herausgegriffen: Ab wann verstehen Kinder indirekte Sprechakte? Bsp.: „Do you want to do A?“ = Aufforderung A zu tun // Angebot A zu tun Forschungsergebnisse: Kinder zwischen 2 ½ + 3 Jahren bevorzugen die Angebots-Lesart • schon kleine Kinder sind sensibel für Höflichkeit, Duzen/Siezen wird aber erst später erlernt Æ beschränktes Wissen über soziale Rollen Zu den 4 Erwerbsphasen z Ab wann verstehen Kinder Metaphern + Ironie? Bsp. „Schlange“ = Auto, das in Kurven den Arm hochfährt (Kind 1 ½ J.); „The prison guard was a hard rock“ bis 14 J. schwer zu verstehen Æ metaph. Denken rückführbar auf frühere Erfahrungen (Ähnlichkeit) • Ironie versteht man, wenn man die Sprechereinstellung erschließen kann (erst im Schulalter) Zu den 4 Erwerbsphasen Ab wann können Kinder Geschichten erzählen? Æ erst kurz vor der Einschulung lange Entwicklung der narrativen Kompetenz (Koordination, Subordination, Verknüpfungen, chronologische Abfolge usw.) Î Einige pragmatische Prozesse werden früh gelernt (z.B. turn-taking, Bitten schon in der vorsprachlichen Phase (bis ca. 1 J.); die spätere pragm. Entwicklung hingegen scheint stark vom Situations- + Weltwissen abzuhängen z Pragmatische Erwerbsprinzipien z z z Kinder ab 2 Jahre erlernen durchschnittlich 10 neue Wörter am Tag; mit 6 Jahren ein Wortschatz von ca. 14.000 Wörtern Kinder müssen die neuen Wörter isolieren, sie ins mentale Lexikon übernehmen + dort nach & nach mit Angaben (phonologische, morphologische, syntaktische, semantische + pragmatische Eigenschaften) versehen Frage: Wie funktioniert das? Pragmatische Erwerbsprinzipien Clarks Behauptung: 2 pragmatische Prinzipien spielen dabei eine Rolle 1) Prinzip der Konventionalität „Für jede Bedeutung existiert eine Form, von der die Sprecher der Sprachgemeinschaft erwarten, dass sie gebraucht wird.“ Æ Zwang sich den Sprachnormen anzupassen (Bsp. „Kloster“) • Kinder orientieren sich früh an diesem Prinzip Neubildungen nur um lex. Lücken zu füllen („Brennlicht“ = Stern) z Pragmatische Erwerbsprinzipien 2) Prinzip des Kontrasts „Sprecher nehmen an, dass Unterschiede der Form auch Unterschiede in der Wortbedeutung signalisieren.“ Bsp.: fünfzig/fuffzig, Opa/Großvater Æ 1. Gedanke der Kinder: Unterschiedliche Dinge bzw. Personen Î Beide Prinzipien helfen den Wortbedeutungserwerb + die Schnelligkeit des Wortschatzerwerbs zu verstehen Pragmatische Störungen z z Spezifische Störung des Spracherwerbs, wenn die Sprachentwicklung (im Vergleich zum normalen Verlauf) verzögert ist, wenn die Intelligenz im Normalbereich liegt + wenn es keinen Hörschaden oder keine emotionale Störung/Verhaltensstörung gibt Untersuchung pragmatischer Störungen ist steht noch am Anfang (bisher eher Störungen des Grammatikerwerbs) Zusammenfassung Grundlegende Fähigkeit, eine Sprache zu erlernen, scheint angeboren zu sein z Doch die Aneignung geschieht immer in konkreten Handlungssituationen z Viele Aspekte pragmatischer Kompetenz sind erst ab ca. 12 Monaten möglich Æ sind aber doch zurückführbar auf verschiedene Arten vorsprachlichen Verhaltens z Zusammenfassung Ist die vorsprachliche Phase überstanden: erhebliche Fortschritte im Erwerb von Grammatik, Wortschatz + Pragmatik • Viele Aspekte des Erwerbs pragmatische Kompetenz sind noch unerforscht + der Prozess erstreckt sich außerdem über die gesamte Schulzeit z Quellen z Meibauer, Jörg: Pragmatik. Eine Einführung. 2., verbesserte Auflage. Tübingen: Stauffenburg 2008, S. 162-177.