Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 1 5 NONVERBALES VERHALTEN ALS RÜCKMELDUNG Den grössten Teil unseres Lebens verbringen wir damit, mit anderen oder mit uns selbst zu kommunizieren. Kommunikation besteht aus zwei hauptsächlichen Vorgängen: dem Kodieren und dem Dekodieren.4 Kodieren heisst, dass der Sender einen Teil seines inneren Zustandes in vernehmbare Zeichen übersetzt. Diese Zeichen werden dann dem Empfänger übermittelt. Die Bedeutung wird gesendet, aber nicht automatisch entsprechend so empfangen. Um diese zu erfassen, muss der Empfänger die Bedeutung in die Zeichen der Nachricht hineinlesen, er muss sie dekodieren. 1.1 EINE MELDUNG KOMMT ZURÜCK Eine Meldung, die zurückkommt wird als Rückmeldung bezeichnet. Mit Rückmeldungen sind alle Reaktionen vom Gegenüber auf das Verhalten und Senden von Informationen gemeint. Eine solche sinnlich wahrnehmbare Reaktion wird in der Kommunikation auch Feedback genannt. Beide Begriffe sind das Echo im Verhalten der anderen auf das eigene Verhalten. Sie kennzeichnen eine Antwort oder Anregung aufgrund eines gezeigten oder nicht gezeigten Verhaltens. Rückmeldungen (Feedbacks) zeigen, wie andere das empfangene Verhalten wahrnehmen und erleben. Sie überwachen das Erreichen eines Ziels und helfen, wenn nötig, beim Korrigieren des Verhaltens. Aus der Rückmeldung des Empfängers merkt der Sender, was und wie es dort angekommen ist. Ohne das Verarbeiten von Rückmeldungen über Effekte des eigenen Tuns ist flexibles und lernfähiges Handeln nicht möglich. Unsere Handlungen haben Auswirkungen auf die Menschen um uns herum; sie verändern die folgenden Ereignisse. Wir nehmen diese Veränderungen wahr und werten sie als Rückmeldung auf unsere Handlungen. An der jeweiligen Rückmeldung können wir erkennen, ob wir unser Ziel erreicht haben oder nicht: Wenn man erfolgreich ist, wird man sich in Zukunft ähnlich verhalten. Wenn man nicht erfolgreich war, wird man sein Verhalten ändern (siehe Abbildung 1). 4 Dieses Kommunikationsmodell geht auf ein ähnliches Modell aus der Nachrichtentechnik zurück (Spada, 1992, S. 287f.). Obwohl das inzwischen als „klassisch“ zu nennendes Modell und daher korrektur- und ergänzungsbedürftig ist, soll es hier wegen seiner Einfachheit zur Beschreibung der Kommunikationsprozesse verwendet werden. 1.1 Eine Meldung kommt zurück 6 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung Abbildung 1: Lernmodell nach Trower, Bryant & Argyle, 1978, zit. n. Berryman, J. (1991). Psychologie: Eine Einführung. Bern: Hans Huber, S. 30. Die tägliche Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern besteht darin, Nachrichten zu senden, um bei den Schulkindern einen Prozess des Lernens zu initiieren und zu unterstützen. Dies ist jedoch kein einseitiger Prozess, sondern ein gegenseitiges Austauschen von Rückmeldungen. Betrachtet man den „Unterricht als Folge von Verhaltensweisen, die Ergebnisse von Entscheidungen darstellen“ (Hofer, 1986, S. 379), so versteht sich, dass Lehrpersonen nach der Umsetzung solcher Handlungsentscheidungen in offenes Verhalten die Wirkungen ihres Tuns erfahren und als Rückmeldung verarbeiten. Eine Verbesserung ihres Leistungsverhaltens ist erschwert, wenn sie nicht zur Kenntnis nehmen können, ob ihre Tätigkeit Erfolg hatte oder nicht. Es ist für Lehrpersonen wichtig, in der Phase der Handlungsbewertung die Wirkungen und die Folgen ihrer Handlungen zu beurteilen. Lehrpersonen versuchen unter anderem, indem sie die Schülerinnen und Schüler im Unterricht aufrufen, Informationen zu erhalten, ob der Lernstoff verstanden wurde, aber auch, wie positiv diese den Unterricht bewerten. Der Lehrerinnen- und Lehrer-Verein der Schweiz (LCH) fordert sogar explizit in seinem Berufsleitbild mit der These 7 eine professionelle Feedbackkultur für Lehrpersonen: Für Lehrerinnen und Lehrer sind Selbst- und Fremdbeurteilung ihrer Arbeit Bestandteil des Berufes. Sie nutzen vielfältige Beratungs- und Beurteilungsformen zur persönlichen Weiterentwicklung und zur Weiterentwicklung der Schule. (1993, S. S. 31) Durch Rückmeldungen können unter anderem in gruppendynamischen Übungen Konflikte vermieden, Verhalten geändert und eine effektivere Zusammenarbeit erreicht werden durch Verringerung der Diskrepanz zwischen dem Bild von sich selbst (Selbstbild) und wie einen die anderen sehen (Fremdbild), zwischen Wunschbild und Realbild (vgl. Keller & Novak, 1993, S. 143). Mit Hilfe von Rückmeldungen, bei denen die eigenen Gefühlsreaktionen auf das Verhalten der Partnerin und des Partners in einer nicht deutenden Weise annehmbar mitgeteilt wird, haben die Partnerin und der Partner über diese emotionale Erfahrungsrückmeldung die Möglichkeit einer Verhaltenskorrektur. Die Begriffe Rückmeldung und Feedback werden in der Literatur in der Regel gleichgesetzt. Da diese jedoch aus verschiedenen Bereichen kommen, sollen sie im folgenden erläutert werden. 1.1.1 Rückmeldung oder Feedback? Mit dem Begriff der Rückmeldung ist hier nicht die Zurückmeldung zu etwas, z.B. „Ich melde mich zur Arbeit zurück.“ gemeint, sondern eine Reaktion auf etwas, z.B. ein Antworten auf eine Frage hin. Rückmeldung wird oft mit dem Begriff „Feedback“ 1.1 Eine Meldung kommt zurück Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 7 gleichgesetzt. Feedback hingegen stammt aus der Kybernetik. Dort versteht man unter Feedback die „zielgerichtete Steuerung eines technischen, biologischen od. sozialen Systems durch Rückmelden der Ergebnisse, wobei die Eingangsgrösse beeinflusst werden kann“ (Dudenredaktion, 1990, S. 248). Durch die Verwertung dieser zurückgemeldeten Ergebnisse reguliert sich das System selber. In der Regelungstechnik wird ständig die Ausgangsgrösse der Regelung mit dem vorgegebenen Sollwert verglichen und bei Abweichungen korrigiert.5 Über ein Thermostatventil am Heizkörper wird die gewünschte Raumtemperatur überprüft. Bei Abweichungen wird die Heizquelle automatisch instruiert, die entsprechende Temperatur einzuhalten. Nach der Kybernetik sind Kommunikations- und Steuerungssysteme bei lebenden Organismen und bei Maschinen analog zu betrachten. Um bei menschlichen Organen und mechanischen Geräten eine gewünschte Leistung zu erhalten, müssen Informationen über den tatsächlichen Ausgang einer erwünschten Handlung als Anhaltspunkt für zukünftige Handlungen verfügbar sein. Im menschlichen Körper koordinieren Gehirn und Nervensystem Informationen, die dann dazu eingesetzt werden, den weiteren Handlungsverlauf zu bestimmen. Kontrollmechanismen zur Selbstkorrektur in Maschinen dienen einem ähnlichen Zweck. (Microsoft, 1993-1996) Über das Biofeedback wird die Steuerung solcher Körperfunktionen überwacht und beeinflusst. Biofeedback ist eine durch elektronische Geräte kontrollierte Methode des individuellen Verhaltenstrainings. Sie wird vor allem zur Behandlung schmerzhafter oder stressbedingter Zustände eingesetzt und hilft der Patientin oder dem Patienten, physiologische Vorgänge zu regulieren, die normalerweise unwillkürlich ablaufen. Beim Biofeedback-Training messen elektronische und mechanische Instrumente, die am Körper der Patientin oder des Patienten angebracht sind, Körperfunktionen wie die Muskelspannung. Diese Informationen werden dann von einem Gerät zu Signalen verstärkt, die man hören oder sehen kann, z.B. ein Piepston oder ein Lichtsignal. Dadurch kann man selbständig feststellen, ob die eigenen Körperreaktionen normal sind. Diese Feedback-Information orientiert die Patientin oder den Patienten darüber, auf welche Weise die eigenen Körperfunktionen6 gesteuert werden müssen. Feedback wird besser mit Rückkoppelung übersetzt: „information about the results of a set of actions, passed back to the person (or machine) in charge, so that changes can be made if necessary“ (Summers, 1987, S. 221). Darunter wird das „Echo im Verhalten der anderen auf das eigene Verhalten“ (Knaur, 1979, S. 135) verstanden. Dadurch liefert die Rückkoppelung (Feedback) den Kommunikationsparterinnen und –partnern die Information für korrigierende Handlungen und Änderungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Ein interessantes Modell, welches auf dem Prinzip der Rückkoppelung beruht, ist das TOTE-Modell7 (Test-Operate-Test-Exit): Wenn jemand mit dem Hammer einen Nagel einschlägt, um etwas daran aufzuhängen, muss man nach den Schlägen (O = 5 Bsp: Falls man Bauchschmerzen hat, ist dies die Rückmeldung von den Magennerven, dass man wahrscheinlich etwas Schlechtes gegessen hat. Die Ursachen dieser Schmerzen könnten jedoch auch stressbedingt sein. Erst über das gedankliche „Rückessen“ (= wortwörtliche Übersetzung des englischen Wortes: feedback) zeigt sich, dass der zuletzt gegessene Apfel schon faul war. Das System wird sich dann von selbst regulieren und beim nächsten Mal keinen solchen Apfel mehr zu sich nehmen. 6 Biofeedback-Experimente “are showing that it is possible to instrumentally condition autonomic responses such as heart rate, even though subjects are usually unable to report such responses“ (St. John & Shanks, 1997). 7 Das TOTE-Modell (Miller et al., 1960) wird auch VVR-Einheit genannt (VVR = Veränderung-VergleichRückkoppelung). 1.1 Eine Meldung kommt zurück 8 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung operate, d.h. arbeiten, funktionieren) prüfen, ob der Nagel tief genug, aber nicht zu tief sitzt (T = test, d.h. Kurzprüfung, Rückmeldung). Diesen Vorgang muss man wiederholen, bis (nach einem T) der gewünschte Endzustand (E = exit, Ende) erreicht ist. Rückmeldungen verarbeiten heisst also, „Informationen daraufhin zu analysieren, ob sie die der Entscheidung zugrundeliegenden Kognitionen bestätigen. Rückmeldungen stellen eine der Quellen dar, aus denen Kognitionen über HandlungsEntscheidungen stammen“ (Hofer, 1986 , S. 304). Brunner (1989, S. 70) schreibt dazu, dass jeder Interaktionspartner auf Informationen des anderen angewiesen sei, um adäquat handeln zu können. Durch entsprechende Rückmeldungen werden die Wirkungen des eigenen Handelns erfahren. In der Kommunikation wird das Verhalten einer Person mit einer anderen fortlaufend von Rückmeldungen gesteuert, welche die Wahrnehmung und Bewertung der Ergebnisse eigenen Tuns unterstützen. Der Einfluss von Rückmeldungen auf die Denkprozesse von Lehrpersonen kann in einem Modell dargestellt werden: Zum Zeitpunkt t1 verhält sich die Lehrperson im Einklang mit den Meinungen und Überzeugungen, über die sie zu diesem Zeitpunkt verfügt. Sie erhält anschliessend (t2) Rückmeldung über die unmittelbaren Ergebnisse ihres Tuns. Später (t3) erfährt sie mehr über die Folgen, was ihr Tun oder Nicht-Tun ausgelöst hat. Die Lehrperson kann nun die Erscheinungen zu den Zeitpunkten t2 und t3 als Ergebnisse und Konsequenzen ihres Tuns interpretieren. Rückmeldung einholen heisst dann, gedankliche Verbindungen (Kontingenzen) zwischen der Handlung und den zeitlich danach erfolgenden Ereignissen herzustellen. Die Art und Weise, wie solche Verbindungen hergestellt werden, können die Denkprozesse beeinflussen und zu einer Veränderung der handlungsleitenden Überzeugungen führen. Die Konsequenz daraus könnte sein, dass die Lehrperson zu einem späteren Zeitpunkt t4, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befindet, ein anderes Verhalten zeigt (Hofer, 1986 , S. 305). Nach diesen Ausführungen wäre ein Feedback, welches nicht zur Systemregulierung, d.h. zu einer Verhaltensänderung führen würde, eine Rückmeldung und eben keine Rückkoppelung. Auf das menschliche Verhalten übertragen, wird Feedback als die Korrektur von Verhaltensweisen durch ein Individuum oder durch Gruppen aufgrund von Rückmeldungen an die Person, von welcher diese Verhaltensweisen stammen, verstanden. In der Literatur wird diese Unterscheidung zwischen Rückmeldung und Feedback bzw. Rückkoppelung nicht so explizit vorgenommen. Die eigentliche Feedbackerklärung (aus der Kybernetik stammend) wird durch die Psychologie erweitert: „sinnlich wahrnehmbare Rückmeldung (z.B. durch Gestik od. Mimik), die dem Kommunikationspartner anzeigt, dass ein Verhalten od. eine sprachliche Äusserung verstanden wurde“ (Dudenredaktion, 1990, S. 248). Dorsch (1994, S. 246) schreibt, dass ein Feedback in der Sozialpsychologie jede Art von Gegenverhalten sei, das rückmeldend zu einem Ausgangsverhalten erfolge. In der Kommunikation wird Feedback als Bezeichnung für Nachrichten eines Kommunikationspartners verwendet, mit denen er mitteilt, was die vorausgegangene Botschaft in ihm ausgelöst hat, wie sie angekommen ist, wie er sie verstanden hat; oder er teilt dem Partner mit, wie er zu ihm steht, wie er die Beziehung beurteilt. (Keller & Novak, 1993, S. 143) 1.1 Eine Meldung kommt zurück Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 9 Aus der Perspektive einer Beobachterin oder eines Beobachters gibt es in einer kommunikativen Interaktion8 immer Mehrdeutigkeit. Das Phänomen der Kommunikation hängt nicht von dem ab, was übermittelt wird, sondern von dem, was im Empfänger geschieht (Maturana & Varela, 1997, S. 212). Mit dieser Aussage wird klar, wie wichtig eine Rückmeldung im Kommunikationsprozess zwischen zwei Personen ist. Rückmeldungen überwachen somit das Erreichen des Zieles, ob eine Nachricht richtig angekommen und entsprechend verstanden wurde. Falls nötig, kann das Verhalten korrigiert werden. 1.1.2 Vom Empfänger zum Sender und umgekehrt Rückmeldungen können vom Standpunkt des Senders oder Empfängers von Nachrichten aus angesehen werden. Der Sender wird zum Empfänger einer Rückmeldung und der Empfänger wird zum Rückmeldesender. So betrachtet ist jede Person zugleich Sender und Empfänger. Es besteht ein ständiger, gegenseitiger Austausch von Informationen. Als Beispiel für eine einseitige Kommunikationsform könnte die Massenkommunikation genannt werden. Diese verläuft in der Regel von einem Sender zum Empfänger, aber nicht zurück, d.h. einseitig und indirekt.9 In der sozialen Kommunikation reagiert der Empfänger stets irgendwie auf das Verhalten des Senders und die übermittelte Botschaft. Diese Reaktion kann bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt, verbal oder nonverbal, ehrlich oder unehrlich, sofort oder verzögert, offen oder versteckt gesendet werden. Mischformen sind dabei eher die Regel: Ein Teil wird bewusst gesendet, der andere Teil unbewusst; ein Ja kann mit einem Kopfnicken unterstützt werden, und wenn das Nicken sofort zu sehen ist, ist es möglich, dass das Ja verzögert ausgesprochen wird. Dabei kann das Ja ehrlich klingen und ein Wegschauen zugleich Unehrlichkeit ausdrücken. Von Kommunikation wird dann gesprochen, wenn Lebewesen Informationen mit anderen Lebewesen oder Apparaten austauschen. Das Beachten und Entschlüsseln von Rückmeldungen ist wichtig für den Austausch, die Vermittlung und Aufnahme von Informationen zwischen Menschen. Durch Rückmeldungen erfährt eine Person, wie andere ihr Verhalten wahrnehmen und erleben. „Rückmeldungen sagen einem Menschen nicht ‘die Wahrheit’ über sich. Sie sagen ihm nur, wie andere ihn wahrnehmen und erleben“ (Marmet, 1988, S. 74). Für die Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit sind solche Rückmeldungen jedoch wichtig. Der Existenzphilosoph Karl Jaspers (vgl. Kunzmann et al., 1995, S. 199) schreibt, dass der Mensch nur durch den anderen zur Klarheit über sich selbst kommt und unterstreicht damit die Wichtigkeit der von den Mitmenschen erhaltenen Rückmeldungen. Erst durch die Rückmeldung des Gegenübers erkennt man, welcher Teil der gesendeten Meldung angekommen ist, und wie diese verstanden wurde. Ohne ein Gegenüber würde diese Meldung nicht zurückkommen. 8 In der Literatur wird zwischen den Begriffen Interaktion und Kommunikation keine klare Trennung vorgenommen. Interaktion wird eher benutzt, um die Prozesse wechselseitiger zwischenmenschlicher Beeinflussung zu erklären, Kommunikation dagegen, um Prozesse des Austausches von Informationen zu beschreiben (Delhees, 1994; vgl. Nawratil, Nawratil & Rabaioli-Fischer, 1991). 9 Anhand einer Untersuchung der Hörerinnen- und Hörerpost konnte gezeigt werden, dass auch Rückmeldungen vom Empfänger (Zuhörerin und Zuhörer) zum Sender (Sendeanstalt des Deutschlandfunks) von Bedeutung sind (Scheuch, 1988). 1.1 Eine Meldung kommt zurück 10 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung Rückmeldungen sind vor allem in der sozialen Kommunikation zu beachten, wo das Verhalten von Lebewesen aufeinander bezogen wird, d.h. interaktional ist. Darunter versteht man den Austausch, die Vermittlung und Aufnahme von Informationen zwischen Menschen. „Wo Lebewesen Informationen in ihrem Bedeutungsgehalt aufeinander beziehen, handelt es sich um soziale Kommunikation“ (Delhees, 1994, S. 12f.). Da es in den folgenden Ausführungen immer Menschen sind, welche in einer Interaktion zueinander stehen, ist mit diesem sozialen Verhalten stets die soziale Kommunikation gemeint. Lehrpersonen finden die Ergebnisse ihres Handelns meist auf der Ebene von subjektiven Erziehungszielen. Sie müssen die Rückmeldungen auf der Ebene der Persönlichkeit von Schülerinnen und Schülern einholen. Solche Prozesse finden in einer sozialen Interaktion statt, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass das Handeln eines jeden beteiligten Individuums wesentlich durch das Handeln der jeweils anderen Individuen beeinflusst wird. 1.1.3 Reaktionen der Lehrperson auf das Verhalten der Schulkinder Gage & Berliner (1986, S. 650ff.) klassifizieren die Reaktion der Lehrperson auf eine Schulkinder-Antwort danach, wie schnell diese erfolgt und ob sie positiv, negativ oder strukturierend ist. Zu den Strukturierungsmassnahmen gehören nach Wright & Nuthall (1970, zit. n. Gage & Berliner, 1986, S. 655) der Adressatenwechsel10 (dieselbe Frage einem anderen Schulkind stellen) und das Strukturieren am Ende einer Episode (z.B. „Gut, danke. Also, dann würden beide Aussagen zusammen...“). Bei diesen Strukturierungsmassnahmen handelt es sich um sanfte Kritik. „Beide Varianten machen dem Schüler deutlich, dass der Lehrer mehr von ihm erwartet, und bei leistungstarken Schülern korrelieren sie auch positiv mit ihrer Leistung“ (Gage & Berliner, 1986, S. 655). Die drei anderen Klassifikationen sollen in den folgenden Abschnitten etwas ausführlicher dargestellt werden. Die Techniken des operanten Konditionierens befassen sich ausgiebig mit den Möglichkeiten der Verstärkung und Bestrafung durch Rückmeldungen und ihre Auswirkungen auf das Verhalten. 1.1.3.1 Wartezeit Die Wartezeit tritt ein, nachdem eine Schülerin oder ein Schüler eine Frage beantwortet hat. In Gage & Berliner (1986) wird dieser Wartezeittypus „Wartezeit II“ genannt. Die Zeit, die zwischen dem Stellen der Frage (Lehrperson) und dem Antwortgeben (Schulkind) verstreicht, ist die „Wartezeit I“. Eine Studie von Putnam (1987 in Bromme, 1992) hatte gezeigt, dass Lehrpersonen auf fast jeden Fehler der Schulkinder sofort reagierten. Rowe (1974, zit. n. Gage & Berliner, 1986, S. 650) stellt fest, dass Lehrpersonen nach einer Frage länger warten sollten (mindestens drei Sekunden), als sie es für gewöhnlich tun (ungefähr eine Sekunde), bevor sie die Frage wiederholen, eine andere Schülerin oder einen anderen Schüler aufrufen oder sonst etwas sagen. Somit bekäme das Unterrichtsge- 10 Oser (1997, S. 25f.) spricht in diesem Zusammenhang bei einer Fehlersituation vom Bermuda-Dreieck, wenn die Lehrperson das Lernpotential, das in einer falschen Antwort steckt, nicht produktiv nutzt, sondern einfach eine andere Schülerin oder einen anderen Schüler aufruft. 1.1 Eine Meldung kommt zurück Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 11 spräch mehr den Charakter einer Konversation anstelle eines „Verhörs“. Dies führt zu einer Verbesserung der Aufmerksamkeit und der Leistung der Schulkinder. 1.1.3.2 Positive Rückmeldung Von Beginn der Einschulung an sollte versucht werden, beim Kind nie das Gefühl des Versagens aufkommen zu lassen. Die Stärken und Fähigkeiten eines Kindes sollten hervorgehoben werden, nicht seine Schwächen. Werden Fehler nicht mehr als Versagen und Blosstellungen empfunden, sondern als korrigierbar und als Chancen für neues Lernen, kann dies zu einer experimentierfreudigeren Haltung führen. Fehler sind notwendige Stationen auf dem Weg zu Lösungen - oft sind sie wichtige Schritte auf dem Weg zum Verständnis einer Sache. Fehler sind ein Mittel, um den richtigen Weg durch ein System, eine Struktur, ein Netz zu finden. „Wir können gar nicht lernen, wenn wir keine Fehler machen dürfen“ (Jost, 1992, S. 34). In einer positiven Fehlerkultur11 soll Fehlermachen grundsätzlich erlaubt sein und die Angstbesetzung des Fehlermachens systematisch abgebaut werden, damit es als kreatives Potential und als Lernsituation wahrgenommen und aktiv zur Förderung der Lernprozesse genutzt werden kann. Für Gage & Berliner (1986) können positive Reaktionen durch verbales Lob, Akzeptieren der Ideen von Schulkindern und Tokens (≈ Chipabgabe als Belohnung) ausgedrückt werden. In acht von neun Untersuchungen fanden Dunkin & Biddle (1974, zit. n. Gage & Berliner, 1986, S. 653) positive Korrelationen zwischen dem Akzeptieren der Ideen und den Leistungen von Schülerinnen und Schülern. Die Schulkinder haben das Gefühl, dass man sie beachtet und dass sie ernst genommen werden. Zu den beruflichen Standards einer Lehrperson gehört für Oser (1997, S. 31) auch die Kompetenz, den Schulkindern fördernde Rückmeldungen geben zu können. 1.1.3.3 Negative Rückmeldung Rückmeldungen können in zweierlei Hinsicht negativ sein. Einerseits kann eine Rückmeldung einfach schlecht sein, den Empfänger kritisieren und erniedrigen (= negative Rückmeldungen mit negativen Effekten). Zum andern kann etwas Negatives zurückgemeldet werden, aber als konstruktive Kritik verstanden werden (= negative Rückmeldungen mit positiven Effekten). Diese beiden Sichtweisen müssen auseinander gehalten werden. • Negative Rückmeldungen mit negativen Effekten: Zu den schlechten Rückmeldungen können all jene gezählt werden, denen ein negatives Menschenbild zugrunde liegt und die das Gegenüber verachten. Bei Rückmeldungen, die schlecht sind, wird oft die Inhaltsebene mit der Beziehungsebene verwechselt und/oder vermischt. Wenn sich zuviel Kritik z.B. in einer Partnerschaft einschleicht, warnt Gottman (1995), läuft man Gefahr, einander bei jeder Diskussion „fertigzumachen“ und gefährdet somit die Beziehung. Wird die Beziehung von negativen Rückmeldungen beherrscht, die bestimmt sind von Aspekten wie Feindseligkeiten, Aggressionen oder Arroganz, so ergeben sich unweigerlich Probleme. Will sich beispielsweise eine Person nicht von einer anderen bevormunden lassen, so wird sie deren Vorschlag, auch wenn dieser gut- 11 Am Pädagogischen Institut der Universität Freiburg läuft zur Zeit ein Forschungsprojekt zum Thema „Lernen aus Fehlern - Zur Entwicklung einer Fehlerkultur in der Schule“. Es wird durch den Schweizerischen Nationalfonds unterstützt (vgl. die Ausführungen dazu S. 1). 1.1 Eine Meldung kommt zurück 12 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung gemeint ist und sie ihn inhaltlich akzeptieren kann, nicht annehmen. Der Machtkampf wird auf der Beziehungsebene ausgetragen. Der Inhalt ist längst zur Nebensache geworden. „Negative Rückmeldungen können dazu führen, dass das Erfolgsniveau gesenkt wird“ (Hofer, 1986, S. 319). Mit dem Erfolgsniveau wird der Punkt bezeichnet, ab dem eine Person mit ihrer Leistung zufrieden ist. Indem das Erfolgsniveau tief gehalten wird, kann die Person weiterhin Erfolg erleben. Auf falsche Antworten von Schulkindern neigen manche Lehrpersonen dazu, mit Missbilligung, Rügen, Kritik und Tadel zu reagieren. Lehrpersonen, die ihre Schulkinder häufiger kritisieren,12 haben Kinder, die bei Leistungstests schlechtere Leistungen erbringen (Gage & Berliner, 1986, S. 654). Kritik und Tadel stehen somit in negativem Zusammenhang mit der Leistung13. • Negative Rückmeldungen mit positiven Effekten: Eine wichtige Form von Information ist die negative Rückmeldung, welche Abweichungen von den Zielen (bzw. Sollwerten) rückmeldet. Wenn ein gebranntes Kind das Feuer meidet, hat es durch eine negativen Rückmeldung gelernt, dass Feuer heiss ist. In diesem Beispiel wurde die Rückmeldung noch selber erfahren. Müsste man alle negativen Reaktionen zuerst selber erfahren, würde dies bestimmt zum Aussterben der Menschheit führen. Eine interessante theoretische Annahme dazu ist die Theorie des „negativen Wissens“ (Oser, 1994). Es handelt sich um Wissen, wie man etwas nicht machen soll bzw. wo Fehler sein können. Dieses Wissen dient dem Menschen als Schutz. Das negative Wissen wird auch als „Fehlerwissen“ bezeichnet (ebd., S.33f.). Beispiele für negatives Wissen sind „das Fehlerhafte, das Gescheiterte, das Böse“. Fehler machen an sich führt nicht zum Erlangen von negativem Wissen. Von negativem Wissen kann nur gesprochen werden, wenn es zum Schutz des Prozesses des richtigen Denkens, Entscheidens und Handelns dient. Gemäss Oser wäre zudem positives Wissen ohne negatives Wissen zufällig, weil unter negativem Wissen jenes Wissen verstanden wird, „das darauf verweist, welche Fehler vermieden werden müssen, damit ein Handlungsablauf gelingt“ (Oser, 1993, S. 6). 1.1.4 Reaktionen der Schulkinder auf das Verhalten der Schulkinder Für das Unterrichtserleben ist neben der Lehrer-Schüler-Beziehung auch das Verhältnis der Schulkinder zueinander von Bedeutung (vgl. Dreesmann, 1982, S. 63ff.). Wie die Schulkinder aufeinander wirken und was sie einander rückmelden, ist für jede und jeden einzelnen wichtig. Sie erhalten soziale und emotionale Unterstützung. In unsicheren Situationen dienen die anderen Kinder mit ihren Reaktionen als Anhaltspunkte für das eigene Verhalten. 12 Nach Dunkin & Biddle (1974, zit. n. Gage & Berliner, 1986, S. 654) verwenden Lehrpersonen Kritik durchschnittlich in weniger als 6% der gesamten Unterrichtszeit. 13 „Da Jungen in der Grundschule, wo alle diese Untersuchungen über Tadel durch Lehrer durchgeführt worden waren, weniger gute Leistungen als Mädchen zeigen, entstammt die negative Korrelation zwischen Tadel des Lehrers und Leistungen der Schüler möglicherweise der Verknüpfung beider Variablen mit dem Geschlecht des Schülers“ (Gage & Berliner, 1986, S. 654). Knaben wurden in den Grundschule mehr getadelt als die Mädchen. 1.1 Eine Meldung kommt zurück Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 13 Fertigkeiten und Kompetenzen können verbessert werden, „vorausgesetzt, es gibt eine rasche, genaue und spezifische Rückmeldung (Feedback), die hilft, Fehler zu identifizieren und auszumerzen“ (Zimbardo, 1992, S. 328). Ein solche Rückmeldung erfordert jeweils eine exakte Fehleranalyse. „Bedenkt man, dass die Klassen etwa aus 25-30 Schülern bestehen, dann ist plausibel, dass Lehrer nicht die Fehler ihrer Schüler diagnostizieren können, wie Ärzte Krankheiten diagnostizieren“ (Bromme, 1992, S. 87), um überhaupt auf jede Schülerin und jeden Schüler zu reagieren.14 Im Projekt „Eigenständig lernen“15 (Beck et al., 1996) arbeiten die Schulkinder in Lernpartnerschaften. Weil gegenseitige Rückmeldungen wichtig sind, stehen sie in einem (fast) ständigen Dialog mit einer Mitschülerin oder einem Mitschüler und müssen aufeinander reagieren. Über solche Lerngemeinschaften geben sich die Dialogpartnerinnen und Dialogpartner bei Unklarheiten und Fehlern sofort Rückmeldungen: „Ich hab das nicht verstanden. Erklärst du mir das nochmals?" „Sprich bitte deutlicher!“ Jede Lernerin und jeder Lerner hat eine Lernpartnerin bzw. einen Lernpartner, mit dem oder der die eigenen Lernerfahrungen, Probleme und Fragen besprochen werden. Die Lernpartnerinnen und Lernpartner stehen sich gegenseitig immer zur Verfügung. In dieser Form findet die erste Evaluation der gemachten Erfahrungen statt. Über solche Lernpartnerschaften ist eine direkte und sofortige Rückmeldung möglich. 14 In kleineren Klassen kann es auch mehr schriftliche Aufgaben, eine engere Überwachung der Schülerinnen- und SchülerBeteiligung, mehr individualierte Unterrichtsprogramme und mehr Rückmeldungen über die Leistungen geben als in grösseren (Gage & Berliner, 1986, S. 598). 15 Schülerinnen und Schüler sollten lernen, ihre eigenen Lernprozesse zu beobachten und daraus Folgerungen für ihr künftiges Lernen zu ziehen. Dies geschah durch die Anwendung von fünf Prinzipien: Arbeitsheft (monitoring), Arbeitsrückschau im Lernheft (reflection), Ausführungsmodell (modeling), Arbeit in Lernpartnerschaften (evaluation) und Klassenkonferenz (conferencing). 1.1 Eine Meldung kommt zurück Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 1.2 15 MAN KANN NICHT NICHT RÜCKMELDEN In der sozialen Kommunikation, wo Lebewesen in einer Interaktion zueinander stehen, ist es gar nicht möglich, sich nicht zu verhalten, denn auch keine Reaktion ist eine Reaktion. Jegliches Verhalten kann somit vom Gegenüber als Rückmeldung auf die eigenen Äusserungen und/oder Verhaltensweisen verstanden werden. Die Aussage: „Man kann nicht nicht rückmelden.“ bezieht sich auf das Axiom von Watzlawick (1990, S. 50ff.) „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Rückmeldungen können eben nicht nur verbal, sondern auch nonverbal gesendet werden, z.B. durch Blicke, Körperhaltung, Mimik oder Gesten. Es spielen hier verschiedene Ausdrucksphänomene eine wesentliche Rolle, die nicht nur die Sprache unterstützen oder ersetzen und ihren Sinngehalt modifizieren können, sondern auch Einblicke in psychische Vorgänge der Kommunikationspartner zurückmelden. Die nonverbale Kommunikation (bewusst oder unbewusst) ist für das glatte Funktionieren der sozialen Interaktion wesentlich. Sympathie und Zuneigung etwa können auf diese Weise vermittelt werden. Die nonverbale Kommunikation hat eine sehr viel längere Tradition als das gesprochene Wort. „Sie ist unser ältestes und hochgradig beziehungsrelevantes Kommunikationsinstrument“ (Mühlen Achs, 1993, S. 7). Im Gegensatz zur verbalen Kommunikation ist man bei der nonverbalen Kommunikation ständig am Senden. Der Gesichtsausdruck erfüllt in der menschlichen Kommunikation eine gänzlich andere Funktion als die Gestik. Er erlaubt der Beobachterin und dem Beobachter oft unmittelbare Rückschlüsse auf den Gefühlszustand der Senderin oder des Senders (vgl. Argyle, 1972, S. 102). Nonverbale Kommunikation erfüllt zahlreiche Funktionen: Sie kann Sprache ergänzen, illustrieren oder gar ersetzen. Entsprechende Verhaltensweisen zeigen situationsangepasstes Verhalten (Bsp.: Während einer Beerdigung wird nicht laut gelacht.) und definieren den Beziehungsaspekt zwischen den Kommunikationspartnerinnen und -partnern. Körpersprache vermittelt Informationen über die wesentlichen individuellen Merkmale, Befindlichkeiten und Eigenschaften einer Person, z.B. Alter, Geschlecht, Rassenzugehörigkeit, Gefühle und Einstellungen, ihr Selbstbild und Selbstwertgefühl und über ihren gesellschaftlichen Status. Obviously, there are different types of nonverbal behavior just as there are different types of verbal behavior. Some nonverbal cues are very specific, and some are more general. Some are intended to communicate, and some are expressive only. Some provide information about emotions, and others carry information about personality traits or attitudes. (Knapp, 1980, S. 4) Delhees (1994, S. 133ff.) beschreibt die Funktionen der nonverbalen Kommunikation, indem er die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Beziehung zur verbalen Kommunikation darstellt: 1. Redundanz: Dabei handelt es sich um das mehrfache Aussenden derselben Information. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Mitteilung richtig verstanden wird, ist es sinnvoll, diese auf zwei oder mehreren „Kanälen“ zu übermitteln. 2. Ergänzung: Nonverbale Mitteilungen ergänzen die Sprache meistens, wenn diese durch äussere Einflüsse erschwert ist, oder weil einem „die Worte feh- 1.2 Man kann nicht nicht rückmelden 16 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung len“. Neben Hand- und Körperbewegungen können auch Kleidung, Haartracht, Abzeichen usw. die Bedeutung des Gesprochenen ergänzen. 3. Betonung: Einzelne Punkte einer verbalen Mitteilung werden beim Sprechen gezielt hervorgehoben (schneller sprechen, seufzen, schreien...). Durch das nonverbale Signal erfährt die Botschaft eine besondere Akzentuierung. Sie würde jedoch auch ohne Ergänzung verstanden. 4. Koordination: Nonverbale Signale sind Steuerungs- und Koordinationsmittel. Durch Kopfnicken wird z.B. jemand zum Sprechen aufgefordert, während ein Gähnen dem Gegenüber signalisiert, den Monolog zu beenden. Eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Kommunikation kommt nur durch eine koordinierte Abfolge gegenseitiger Äusserungen zustande. 5. Substitution: Eine verbale Mitteilung wird durch eine nonverbale ersetzt, d.h. substituiert. Wenn man anstelle von freundlichen Worten ein Lächeln zeigt, kann das verschiedene Gründe haben: (a) Nonverbale Kommunikation eignet sich besser, subjektive Erfahrungen, das Befinden eines Menschen und die Feinheiten zwischenmenschlicher Beziehungen zu beschreiben. Das Sozialverhalten spielt sich weitgehend ohne besondere verbale Mitteilung ab. (b) Persönliche und interpersonale Probleme bleiben manchmal besser unausgesprochen. Diese zu verbalisieren könnten für einen selbst oder andere schmerzvoll sein. Entsprechende Signale nehmen wir wohl wahr, belassen sie aber meistens auf dieser Aufmerksamkeitsstufe, ohne sie zu analysieren und zu einer abschliessenden und womöglich schmerzhaften Deutung zu führen. (c) Mit Hilfe der nonverbalen Kommunikation kann man dem Gegenüber trotz sozialer Konventionen (über den Vorgesetzten erzählt man nur Gutes) umgehen und seine Gedanken unmissverständlich mitteilen. Seine wahre Einstellung lässt man „durchsickern“, ohne dafür verantwortlich gemacht werden zu können. (d) Äussere Einflüsse können die sprachliche Verständigung, etwa durch eine zu grosse Distanz zwischen den Partnern, verunmöglichen. (e) Nonverbale Kommunikation hilft, einer Zweitperson etwas mitzuteilen, das nicht für die Ohren Dritter bestimmt ist. (f) Eine nonverbale Information kann viel schneller und effektiver sein als die entsprechende verbale (z.B. Verkehrsregelung durch Handzeichen). 6. Widerspruch: Wenn Wörter und Körpersprache nicht übereinstimmen, entsteht eine Widersprüchlichkeit in der Kommunikation. Der Empfänger ist verwirrt, weil er nicht weiss, ob er der verbalen oder nonverbalen Botschaft glauben soll. Solche Widersprüche entstehen vor allem deshalb, weil die Partner in bezug auf ihre Gefühle nicht aufrichtig sind. Meistens sind die nonverbalen Signale dem Sender grösstenteils unbewusst und dem Empfänger teilweise bewusst. Der Empfänger wird dem nonverbalen Signal immer dann die grössere Aufmerksamkeit zuwenden, wenn sich verbale und nonverbale Komponenten einer Mitteilung widersprechen (siehe Abschnitt 1.2.3). Es lassen sich vier verschiedene Funktionen nichtverbalen kommunikativen Verhaltens unterscheiden (Dorsch et al., 1994, S. 517): • Funktion für die Sprachproduktion (nichtverbales Verhalten, das eng mit dem Sprechen verbunden ist, es wird z.B. rhythmisch begleitet oder ersetzt) 1.2 Man kann nicht nicht rückmelden Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 17 • Regulatorische Funktion für den Ablauf der Interaktion (z.B. beim Wechsel der Sprecher-Hörer-Rolle)16 • Expressive Funktion zum Ausdruck von Affekten und Persönlichkeitseigenschaften • Interpersonale Funktion zur Bestimmung der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern (z.B. Grad der Intimität) Diese letzte Funktion ist vor allem in der Fehlersituation wichtig, bei der eine gute Beziehung zwischen den Gesprächspartnern für das Lernen aus Fehlern bedeutend ist (vgl. Kapitel 3: Positive Beziehungen in Fehlersituationen). 1.2.1 Angeboren oder erlernt? Unsere Körpersprache umfasst sowohl erlernte, als auch angeborene Verhaltensmuster. Neuere Forschungen zeigen, dass der emotionale Ausdruck universal ist und vermutlich eine genetische Basis hat (vgl. Spada, 1992, S. 424ff.). Der Mensch besitzt die leistungsfähigste Mimik, die an die stammesgeschichtlich alten Teile des Gehirns gebunden ist. In den ersten beiden Jahren seines Lebens kommuniziert der Mensch ausschliesslich nonverbal. So ist z.B. das Lächeln als Ausdruck der Freude und entgegenkommenden Nicht-Aggression dem Menschen angeboren. Babys brauchen das Lächeln nicht zu lernen. Taube und blinde Babys lächeln ebenso wie alle gesunden Kleinkinder; im Alter von ungefähr sechs Wochen tritt das Lächeln als Reaktion auf soziale Kontakte bei allen Kindern auf. Auch das Weinen ist eine angeborene Reaktion, die bei allen gesunden, aber auch bei allen tauben und blinden Kleinkindern zu beobachten ist (vgl. Berryman, 1991, S. 12). Das beweist die Entwicklung der Grundmuster des mimischen Ausdrucks auf der Grundlage eines biologischen Programms. In den ersten drei Monaten nimmt dieses Lächeln wieder ab. Es wird von einem exogen ausgelösten Lächeln abgelöst, das z.B. nach sanftem Streicheln auftritt. In der Kindheit lernen wir dann, wo und wann wir diese Verhaltensmuster zeigen dürfen. So wird z.B. in westlichen Gesellschaften den Mädchen das Weinen eher gestattet als den Jungen. 1.2.2 Unterschied: Frauen und Männer? Auffallend sind Interpretationen der Körpersprache von Männern und Frauen. Unterschiede werden jedoch ausschliesslich auf das Geschlecht zurückgeführt. Dabei sind die meisten dieser Unterschiede nicht angeboren, sondern wurden erst im Laufe der Sozialisation erlernt. 16 Ducan (1972, 1973, zit. n. Hiebsch & Leisse, 1991, S. 29) konnte z.B. sechs Zeichen nachweisen, die zum Abschluss einer Redeeinheit führen: (1) Veränderung der Intonation: Anheben oder Abfallen der Stimmhöhe, (2) Verzögerung des Sprechtempos, (3) Beendigung einer Gestikulation oder Entspannung einer gespannten Haltung, (4) Verwendung von Terminierungsstereotypen („..., oder so“, ..., aber na ja“), (5) Abfallen der Stimmhöhe und/oder Lautstärke über einem Terminierungsstereotypen, (6) Beendigung einer grammatischen Konstruktionseinheit. 1.2 Man kann nicht nicht rückmelden 18 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung Eine bestimmte soziale Rolle führt so zu einer spezifischen Körpersprache, und diese bestimmt wiederum die Position innerhalb der sozialen Ordnung. Key (1977) führt dazu aus: Male/female differences show other dimensions of patterned group behavior. When one considers the hierarchy of importance that sex differences have in human interaction, whatever the sexual orientation, it is amazing that so few scientifically based studies are available on male/female differences. (, S. 124) Untersuchungen zeigen, dass sich Frauen und Männer in der Wahrnehmung unterscheiden: Bei Frauen ist die nonverbale Decodierungsfähigkeit bei eindeutigen (konvergenten) Aufgaben ausgeprägter als bei Männern, dies von Kleinkindern über Schulkinder bis zu jungen Erwachsenen. Männliche Versuchspersonen schneiden häufiger bei divergenten, komplizierten, z.B. Täuschungsverhalten besser ab (Rosenbusch, 1995, S. 186). Männer achten mehr auf die Stimme, während Frauen dem Gesichtsausdruck mehr Aufmerksamkeit widmen. Grund dafür könnte sein, dass der vokale Kanal mehr mit Macht und Dominanz, das Gesicht dagegen mehr mit Freundschaft und Anziehung zu tun hat (Schwertfeger & Lewandowski, 1990, S. 139f.). Es gibt auch geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhalten: „Viele Körperhaltungen und -bewegungen wirken bei Frauen gezierter, angespannter, schlicht unbequem, was sie im übrigen vielfach auch sind“ (Ibelgaufts, 1997, S. 35). Männliche Gestik ist entschieden und klar, nachdrücklich, wettbewerbsorientiert und, wenn nötig, auch aggressiv. Während Männer ihre Hände gezielt zur Abrenzung von anderen und als symbolische Waffen einsetzen, ist die Gestik der Frauen selbstreflexiver, richtet sich häufiger in emotionaler Weise auf den eigenen Körper (vgl. Mühlen Achs, 1993, S. 67ff.). Frauen lächeln beispielsweise mehr (Hargie et al., 1994) . Auf die Schule bezogen fand Bates (1976, zit. n. Rosenbusch, 1995, S. 198) heraus, dass Lehrpersonen akzeptierten Schülerinnen und Schülern gegenüber mehr Worte verwenden und zu positiverem Tonfall tendieren. Lehrerinnen hatten dabei einen signifikant positiveren Tonfall als Lehrer. Parties d’une analyse des manifestations de la féminité, les études sur les différences sexuelles dans les mouvements expressifs aboutissent ainsi à dissoudre leur objet: paradoxalement, alors que rien ne semble plus aisé que de constater une différence de comportement entre hommes et femmes, il n’est de loin pas évident que le sexe, en tant que facteur biologique, rende compte de la différence observée. (Feyereisen, 1985, S. 212) Auf der Suche nach Unterschieden zwischen weiblicher und männlicher nonverbaler Sprache sollte folgendes bedacht werden: Nonverbale Sprache wirkt nur dann wirklich überzeugend, wenn sie zur betreffenden Person passt. Grosse oder dominante Gesten bei einem schüchternen und zurückhaltenden Menschen wirken genauso unpassend wie zaghafte oder hektische Gesten bei einem selbstsicheren und souveränen Menschen. Somit dürfte die Fokusierung von der Geschlechtsspezifität auf eine mögliche „Personenspezifität“ zu einem verständisvolleren Umgang untereinander und miteinander beitragen. 1.2.3 Tarnen, täuschen, lügen Wenn man bei der Aussage: „Ich bin traurig“ lächelt, bestehen Unstimmigkeiten zwischen dem Gesprochenen und der Mimik. Zum objektiven Inhalt einer Rückmeldung fliessen Absichten der Selbstdarstellung, Einstellung zum Empfänger, Erwartungen bezüglich Reaktionen des Empfängers und Interpretation der Situation mit ein 1.2 Man kann nicht nicht rückmelden Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 19 (Delhees, 1994). Durch solche Unstimmigkeiten zwischen dem, was man sagt, und dem was man denkt und fühlt, können unbewusst Verhaltensunstimmigkeiten mitgesendet werden. Solche Unstimmigkeiten zwischen verbalen Äusserungen und der sie begleitenden nonverbalen Botschaften sind Alarmsignale, selbst dann, wenn es sich nicht um ein bewusstes Täuschungsmanöver handelt. Oft ist es einer Person gar nicht bewusst, dass sie mit ihren verbalen Äusserungen nicht die Wahrheit sagt. Wir lernen das Lügen wahrscheinlich gleichzeitig mit dem Sprechen. Und am häufigsten belügen wir uns selbst. Wir schämen uns unserer Angst oder Selbstsucht und wehren uns nur allzuoft gegen unsere Gefühle. Aber unser Körper reagiert normalerweise instinktiv und ehrlich. Die Körpersignale zeigen z.B. wenn wir hungrig, ängstlich, erregt oder ruhig sind. Durch Beherrschung der Körpersprache gelingt es zum Teil, Glaubwürdigkeit zu erlangen. Schliesslich gibt es den sehr bewussten Aspekt körpersprachlicher Äusserungen, den wir beispielsweise in Zeremonien oder auch in Werbung und Politik finden. Gerade Politikerinnen und Politiker lernen, durch intensiven Blickkontakt Vertrauen zu erzeugen oder auch schlechte Nachrichten mit einem solch nichtssagenden Gesicht mitzuteilen, dass es aussieht, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Schauspielerinnen und Schauspieler machen sich bei ihrer Arbeit die Erkenntnisse der Körpersprache zunutze, indem sie ihr Publikum Dinge glauben machen. Das Trainieren von Körpersprache, indem sie vom Unterbewusstsein auf die Bewusstseinsebene gehoben wird, ist denn auch die einzige Möglichkeit, in diesem Bereich der Kommunikation lügen zu können (Ibelgaufts, 1997, S. 28): Weil die Körpersprache aufgrund ihrer biologischen und kulturellen Wurzeln ursprünglicher ist (vgl. Abschnitt 1.2.1 „Angeboren oder erlernt?“), unterliegt sie in sehr viel geringerem Masse der bewussten Kontrolle oder überhaupt der Bewusstseinsebene. Somit verlässt man sich auf deren „Aussagen“ unter dem Blickwinkel der Ehrlichkeit viel stärker. Dies gilt in ganz besonderer Weise für den Ausdruck von Gefühlen, sowohl auf der Sender- als auch auf der Empfängerinnenseite. Kommunikation über einen einzigen Kanal wird als unbefriedigend und unnatürlich erlebt.17 Durch Multikanal-Kommunikation wird bewusst Redundanz erzeugt. Missverständnisse können dadurch ausgeschaltet werden. Wenn über mehrere Kanäle dieselben Inhalte weitergegeben werden, treten keine Probleme auf. Probleme tauchen erst dann auf, wenn unterschiedliche Inhalte gleichzeitig gesendet werden. Verschiedene Inhalte auf mehreren Kanälen irritieren: Lügen können aus Widersprüchen zwischen verbalen und nonverbalen Botschaften vermutet werden. Hier setzt die Double-bind-Theorie von Bateson, Jackson, Haley & Weakland (1956, zit. n. Dorsch et al., 1994, S. 169) ein. Sie vermutet, dass Schizophrenie bei Personen häufiger ist, die oft einer bestimmten Information und deren gegenteiliger Information ausgesetzt sind, ohne diese Lage vermeiden oder sie durch Metakommuni- 17 Meyer (1991, S. 372) lädt die Leserin und den Leser zu einem Experiment ein: Man solle sich in der Gruppe so hinsetzen, dass sich die Mitglieder nicht sehen können, also Rücken gegen Rücken, mit dem Blick gegen die Wand. In dieser Situation soll man dann ein Gespräch über ein beliebiges Thema führen. Dabei ist man zwar in der Lage, sachliche Informationen zu liefern, kann aber nicht z.B. aus der Mimik der anderen ablesen, wie diese Informationen aufgenommen werden. 1.2 Man kann nicht nicht rückmelden 20 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung kation18 aufklären zu können. Wenn nun eine Schülerin der Lehrperson gähnend versichert, sie folge dem Unterricht sehr interessiert, kann von einer Double-bindNachricht gesprochen werden: Nonverbale Information stimmt nicht mit der verbalen Information überein. Es kann geschehen, dass die verbalen Botschaften einer Lehrperson nicht zu ihren nonverbalen Botschaften passen, so dass sie sich gegenseitig dämpfen oder neutralisieren. Die Lehrperson kann zum Beispiel ein Schulkind rügen, aber durch ihre Körpersprache signalisieren, dass sie das Vertrauensverhältnis zu diesem Schulkind aufrecht erhält. Es kann aber auch sein, dass eine Lehrperson verbale Botschaften sendet, die in klarem Widerspruch zu den nonverbalen Botschaften stehen. Dies ist eine schlimme Angelegenheit, weil sie von den betreffenden Lehrpersonen oft gar nicht bemerkt wird, aber dennoch zu schwerwiegenden Kommunikationsstörungen führen kann (Meyer, 1991, S. 385). Solche oft unbewussten Verhaltensunstimmigkeiten werden als störend empfunden. Gelingt es, solche „Lügen“ bewusst zu machen, werden diese nicht mehr als Unstimmigkeiten wahrgenommen. Divergente Botschaften gibt es allerdings nicht nur zwischen verbalen und nonverbalen Signalen, sondern auch zwischen nonverbalen, z.B. wenn die Lehrperson lächelnd mit dem Finger droht: Mimik vs. Gestik. Weiter finden sich Divergenzen innerhalb von Ausdrucksbereichen; so innerhalb der Mimik, wo im Sinne der „Gefühlsüberblendung“ unterschiedliche Signale produziert werden, z.B. ein Lächeln, das bestimmte Züge von Trauer enthält. Rosenbusch (1995, S. 182) teilt divergente Signale in drei Stufen: • Interdivergenz: zwischen verbalen und nonverbalen Signalen, • Intradivergenz: zwischen unterschiedlichen nonverbalen Ausdrucksbereichen (z.B. Gestik vs. Mimik ), • Subdivergenz: innerhalb des einzelnen Ausdrucksbereiches (z.B. Mimik lächeln vs. Mimik weinen). Man kann zwar leicht mit Worten lügen. Um aber auf der Ausdrucksebene täuschen zu können, muss man eine gute Schauspielerin oder ein guter Schauspieler sein. Deshalb durchschauen Kinder die Erwachsenen oft ziemlich rasch. Sie spüren die Diskrepanz zwischen dem Inhalt und dem Beziehungsaspekt. Besondere Probleme ergeben sich dort, wo der Beziehungsaspekt mit dem Inhalt nicht übereinstimmt. Viele Kinder empfangen auf der verbalen Ebene die Botschaft: "Wir lieben dich! Wir wollen nur das Beste für dich!" Und sie sind zutiefst verstört, weil sie auf der Beziehungsebene ganz anderes wahrnehmen. Allerdings ist es langfristig gesehen schwierig, anderen etwas vorzumachen. Werden jedoch widersprüchliche Kommunikationssignale über längere Zeit gesendet, können sogar pathologische Folgen eintreten (vgl. Watzlawick et al., 1990). Bei Kindern zeigte es sich, dass die Widersprüche meist so aufgelöst werden, dass das Schlimmste vermutet wird. Lehrpersonen, die lächelnd an einem Kind aus der Grundschule Kritik üben, mildern dadurch die Wirkung des verbalen Kontextes nicht ab, was bei Erwachsenen gelingen würde. 18 Damit ist die Kommunikation über die Kommunikation gemeint. In der Metakommunkation wird auf einer Metaebene erörtert, wie gesendete Nachrichten gemeint waren und empfangene Nachrichten entschlüsselt wurden. 1.2 Man kann nicht nicht rückmelden Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 21 Die gemachten Ausführungen sollten zeigen, wie wichtig es ist, dass Mimik und Gestik mit der Sprache und der Stimme, ja mit der ganzen Persönlichkeit übereinstimmen. Verbales, vokales und nichtverbales Veralten müssen übereinstimmen. Andernfalls werden die Lernenden im Kommunikationsprozess verwirrt. 1.2 Man kann nicht nicht rückmelden Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 1.3 23 ELEMENTE DER NONVERBALEN KOMMUNIKATION In einer normalen Konversation zwischen Personen dürfte nur ein Drittel der Bedeutung auf verbaler Ebene kommuniziert werden und beinahe zwei Drittel auf nonverbaler Ebene (vgl. Sielski 1979 in Delhees, 1994). „Wenn die natürliche Sprache auch eine präzisere kognitive Kommunikation ermöglicht, so sind doch nonverbale Elemente für einen signifikanten Anteil der gesamten Botschaften verantwortlich, die übermittelt werden, wenn zwei Menschen miteinander in Interaktion treten“ (Mehrabian, 1971, zit. n. Zimbardo, 1992, S. 336). Für diese Menge von Informationen steht eine Vielfalt von nonverbalen Elementen. Diese werden im folgenden erläutert. Rosenbusch (1995, S. 6ff.) ordnet die Elemente der nonverbalen Kommunikation entweder der vokalen nonverbalen Kommunikation, der nonvokalen nonverbalen Kommunikation oder der nonverbalen Kommunikation im weiteren Sinne zu. Diese Aufteilung soll helfen, die verschiedenen Elemente der nonverbalen Kommunikation einzuteilen und im folgenden zu beschreiben. Abbildung 2 zeigt die Elemente im Überblick. Elemente der nonverbalen Kommunikation Rä um lic he As pe kte (P rox em ik) ik •Lächeln •“Finsteres”Brauenzusammenziehen •Naserümpfen Blickv erhalt en Mim Ge sti k •Augengruss •Lachen •Seufzen Nonverbale Kommunikation im weiteren Sinn •Physische Charakteristiken •Umweltfaktoren •Symbolische Kommunikation •Künstliche Zeichensysteme •Olifaktorik ik es Kin •Betonung Nonvokale nonverbale Kommunikation (“Körpersprache”) ns alte erh n-V use -Pa ech Spr des nte me Ele he lic m im St te en em l E en orm eF dig tän lbs Se Spr ach beg leite te F orm en Vokale nonverbale Kommunikation (Paralinguistik) •Hände •Kopfnicken Kö rp er ha ltu ng •Territorialität •Nähe •Orientierung •Körperkontakt un d Kö rp er be w eg un g •Verschränken der Arme •Stille Abbildung 2: Elemente der nonverbalen Kommunikation mit Beispielen, in Anlehnung an Rosenbusch, H. S. & Schober, O. (1995). Körpersprache in der schulischen Erziehung. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren. S, 7. 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation 24 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung 1.3.1 Vokale nonverbale Kommunikation (Paralinguistik19) Bei der Paralinguistik geht es darum, wie etwas gesagt wird. Je nach dem, welches Wort in einem Satz betont wird, erhält der Satz eine neue Bedeutung. Zur Paralinguistik gehört auch der Rhythmus der Sprache, die Tonlage, das Volumen und die Klangfarbe. Gerade die Tonlage verrät etwas über Emotionen wie Freude, Angst oder Wut. Zusätzlich beeinflussen die Häufigkeit und die Länge der Pausen die Kommunikation. Die Art, wie etwas gesagt wird, kann einen Inhalt langweilig oder interessant machen (vgl. Hargie et al., 1994). Die vokale nonverbale Kommunikation wird von Rosenbusch (1995, S. 7) in sprachbegleitete Formen und selbständige Formen (z.B. Lachen, Seufzen) eingeteilt. Die sprachbegleiteten Formen sind stimmliche Elemente (Betonung) und Elemente des Sprech-Pausen-Verhaltens. Stille: Als wichtig wird die Möglichkeit des Schweigens erkannt. Schweigen kann alle emotionalen Spielarten einschliessen, wie Zorn, Missfallen, Gleichgültigkeit bis Liebe und Sympathie. „Silence can be a powerful communicative element. It can be dominant in the interaction, controlling and intimidating or soothing and encouraging“ (Key, 1977, S. 117). 1.3.2 Nonvokale nonverbale Kommunikation („Körpersprache“) Im psychologischen Wörterbuch (Dorsch et al., 1994, S. 516) werden als nichtverbale sichtbare Modalitäten oder Elemente der Kommunikation genannt: die Mimik (1.3.2.1), das Blickverhalten (1.3.2.2), die Gestik (1.3.2.3), die Körperhaltung und Körperbewegung (1.3.2.4), räumliche Aspekte wie Körperkontakt, Distanz, Sitzpositionen (1.3.2.5). Die Kinesik20, welche die Körperbewegungen in sozialen Interaktionen untersucht, befasst sich vor allem mit der Gestik, Körperhaltung und Körperbewegung. 1.3.2.1 Mimik Die frühesten mimischen Ausdrucksweisen, die sich entwickelten, waren Intentionsbewegungen (z.B. das Zeigen der Zähne) oder Versuche, besser zu sehen (z.B. das weite Öffnen der Augen und das Hochziehen der Augenbrauen). Diese biologisch nützlichen Ausdrucksweisen wurden im Laufe der Entwicklung als soziale Signale ritualisiert. Damit wurden einige standardisierte soziale Signale Bestandteil des angeborenen Repertoires, und das Gesicht selbst entwickelte sich als ein Kommunikationsbereich. Der Gesichtsausdruck vermittelt Informationen über verschiedene Bereiche: persönliche Eigenschaften, Emotionen und Interaktionssignale. Das Gesicht besteht aus mehreren verschiedenen Teilen, die unabhängig voneinander, aber auch in Konfiguration agieren können: Mund, Augenbrauen, Haut, Nase (Argyle, 1992, S. 217ff.). Während der sozialen Interaktion geschieht im Gesicht eine schnelle und komplexe Abfolge von Äusserungen, die bei der verbalen Kommunikation eine zentrale Rolle 19 Teilgebiet der Linguistik, das sich mit den die Kommunikation begleitenden Erscheinungen (z.B. Atmung, Pausen) befasst. 20 Diese Wissenschaft ist in den fünfziger Jahren von dem Anthropologen Birdwhistell begründet worden und wird von ihm definiert als „die Wissenschaft vom körperlichen Kommunikationsverhalten“ definiert (vgl. Dorsch et al., 1994). 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 25 spielen und für die Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen wesentlich sind. Mimische und andere Signale werden in enger Verbindung mit der Sprache verwendet, und die Bedeutungen von Äusserungen zu vervollständigen um von Seiten der Zuhörer ein Feedback zu gewährleisten und um die fortwährende Aufmerksamkeit anzuzeigen. Diese Signale unterscheiden sich von emotionalen Gesichtsausdrücken insofern, als dass sie schneller ablaufen, nur einen Teil des Gesichts betreffen und auf eine gewisse Bedeutung hinweisen. Wenn Personen die Gesichter anderer Personen betrachten, so können sie daraus Informationen ziehen über Glücksgefühl, Überraschung, Angst, Ärger, Ekel/Verachtung, Interesse und Traurigkeit. Sie können auch die erhaltene Information in Dimensionen wie Lust/Unlust, aktiv-passiv und intensiv-kontrolliert beschreiben. Der Eindruck, ob jemand ärgerlich, glücklich, traurig etc., ist, kann zu bestimmten Bewegungen und Stellungen des Gesichts in Beziehung stehen. (Ekman et al. 1974, S. 143) In der Literatur ist ein Minimum der folgenden sechs Grundemotionen als kulturübergreifend anerkannt: Freude, Trauer, Wut, Ekel, Überraschung, Angst. Mimisch werden vor allen Dingen Gefühlszustände mitgeteilt. Gesichtsausdrücke wahrzunehmen und zu verstehen ist eine wichtige und nützliche Fertigkeit. Expressives Verhalten fördert die Kommunikation, es ermutigt das Gegenüber, sich zu öffnen und sich ebenfalls auszudrücken. Lächeln: Während das Lachen ein vokales nonverbales Element ist, kann das Lächeln zur Mimik gezählt werden. Das Signal „lächeln“ wird in allen Kulturen und allen Altersstufen als Ausdruck des Erkennens oder der Freude erkannt. Bewegungen des Körpers, insbesondere der Hände, widerspiegeln den seelischen Zustand bereits im Säuglingsalter. Es wird vermutet, „dass das Lächeln für den Menschen bereits sehr frühzeitig zu einem Überlebensaspekt wurde, da man damit auch über etwas grössere Entfernungen Freundschaft signalisieren kann“ (Ibelgaufts, 1997, S. 13). Morris (1994) spricht beim Lächeln gar vom menschlichen Gegenstück zum Fellgriff: Menschliche Säuglinge können nicht in den mütterlichen Pelz greifen, um sich anzuklammern, und müssen auf andere Weise sicherstellen, dass die beschützende Mutter sich nie zu weit entfernt. Also lächeln sie. Schon im zarten Alter von vier Wochen strahlen sie ihre entzückte Mutter an, die das Kleine prompt hochnimmt, streichelt, mit ihm spricht oder wenigstens in der Nähe bleibt. (, S. 21f.) "Finsteres" Brauenzusammenziehen: Die kommunikative Bedeutung des Brauenzusammenziehens im zwischenmenschlichen Bereich vermittelt über das „finstere“ Gesicht eine skeptische Ablehnung. Es kommt zum Abblenden vom anderen, weil das Einverständnis für dessen Interaktion fehlt. Naserümpfen: Das Naserümpfen ermöglicht es, den Luftstrom zur Nase dann einzuengen, wenn ein unangenehmer Geruch wahrgenommen wird. Dies geschieht reflektorisch und unwillkürlich. Als kommunikatives Signal steht es für eine milde soziale Missbilligung und eine leichte Distanzierung, durch die eine freundliche Interaktion jedoch nicht gefährdet wird. 1.3.2.2 Blickverhalten „Am Glanz der Augen misst man das Mass der Freiheit und die Tiefe der Kultur bei einem guten Arbeiter, der es verdient, als guter Erzieher gekennzeichnet zu wer1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation 26 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung den“, hat ein alter Schafhirte vor vielen Jahren zu dem französischen Volksschullehrer Freinet gesagt (vgl. Freinet, 1980, S. 24). Das Auge ist (neben der Haut)21 das einzige Sinnesorgan, das gleichzeitig senden und empfangen kann. Die Augen sind Rezeptoren, ein Mittel, die nonverbalen Signale des anderen aufzunehmen. Gleichzeitig senden sie aber selbst auch nonverbale Signale aus. Gewöhnlich ist man sich der eigenen oder fremder Blickmuster allerdings nicht oder kaum bewusst. Der Blickkontakt nimmt in der schulischen Interaktion eine zentrale Rolle ein. Bewegungen mit den Augen können verschiedene Signale aussenden. Man hat herausgefunden, dass Leute beim Sprechen weniger Augenkontakt suchen, als beim Zuhören. Durch den Blickkontakt kann man jemanden auffordern, etwas zu sagen. Augenkontakte sind wichtig, um Kontrolle über die Konversation zu bewahren und sie in Gang zu halten: Die hörende Person hingegen will durch intensives Beobachten der sprechenden Person deren Worte auf den Wahrheitsgehalt überprüfen. Sie achtet darauf, ob Inhalt und Sprache mit dem Ausdruck der Augen übereinstimmen. Auf diese Weise kann nun wieder die sprechende Person feststellen, ob ihre Rede einen Aufmerksamkeitswert hat oder nicht. Freilich sind gebannte Blicke noch lange kein Beweis für gute und überzeugende Argumente. Es könnte auch durchaus sein, dass die Zuhörerin oder der Zuhörer wie abwesend aus dem Fenster oder an die Decke starrt scheinbar völlig desinteressiert. Dahinter muss nicht unbedingt Langeweile stecken. Wer tief nachdenkt, und sei es über das, was man gerade hört, schweift mit seinem Blick oft vom Gegenüber ab. Man schaut ins Leere und nimmt überhaupt keine Dinge wahr. Der Blick ist ins Innere gerichtet. Blickkontakt erleichtert uns, unsere Gefühle gegenüber anderen Personen mitzuteilen (wir halten längeren Blickkontakt mit Personen, die wir mögen). Blickkontakt erleichtert uns auch, Feedback wahrzunehmen. Eine Studie hat gezeigt, dass Personen mit höherem Status längeren Blickkontakt halten und Frauen länger als Männer (vgl. Hargie et al., 1994). Wer Blickkontakt mit dem Kommunikationspartner hat, kann sehen, was dieser ausdrücken will, und zugleich rückmelden, dass er diese Botschaft verstanden hat. Einige Untersuchungen beschäftigen sich mit der Veränderung der Pupille. Sie ist nicht nur von den Lichtverhältnissen abhängig, sondern auch vom inneren Interesse der Person. Eine kleine Pupille erzeugt einen stechenden Blick - und lässt auf Abneigung oder arge Feindseligkeit schliessen. Grosse weite Augen mit weiten Pupillen signalisieren lebhaftes Interesse, Zustimmung, oft sogar herzliche Zuneigung. Fast schamlos werden Blicke, wenn das Gegenüber nicht zurück in die Augen schauen kann. In diesem Fall wird der Vorteil genutzt, möglichst viel Information von anderen zu bekommen. Man selbst kann ja dabei nicht beobachtet werden. Das ist eine Seite. Andererseits rufen Menschen, die ihre Augen vor den anderen verbergen, beim Publikum grosses Misstrauen hervor. (Schwertfeger & Lewandowski, 1990, S. 129) 1.3.2.3 Gestik Gesten helfen nicht nur der Senderin und Sender, sich auszudrücken, sie helfen auch der Empfängerin und dem Empfänger, Gesagtes besser zu verstehen. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass Gesagtes, welches mit Gesten unterstrichen wurde, besser gemerkt und erinnert werden konnte. Mit Gesten werden auch Ge21 Durch die Haut können Berührungen aufgenommen und zugleich Gefühle gesendet werden, z.B. Angst oder Scham durch Schwitzen oder Erröten. 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 27 fühle ausgedrückt (Scham, Nervosität, Angst, Aggressionen) (vgl. Hargie et al., 1994). Professionelle Helferinnen und Helfer sollten Gesten sensibel beobachten, weil damit viel wertvolle Informationen weitergegeben werden. Gesten können Gesprochenes ersetzen, ergänzen oder unterstreichen (z.B. zum Abschied winken). Ersetzt wird, wenn Sprache unangebracht ist, z.B. bei zuviel Geräuschen, Polizist auf Kreuzung. Feldmann (1991, zit. n. Hargie et al., 1994) unterscheidet Gesten, welche mit der Sprache verbunden sind (betonen, unterstreichen), solche, die auf Objekte oder Ereignisse hindeuten und solche, die gegen sich selbst gerichtet werden. Auch die Gestik hat in bestimmten Kulturkreisen - wie beispielsweise Südeuropa oder den lateinamerikanischen Ländern - und Sprachsystemen als Begleitung der verbalen Kommunikation einen so hohen Stellenwert, dass man Menschen, denen man zur Auflage machen würde, auf dieses Ausdrucksmittel zu verzichten, in ihrem Artikulationsvermögen deutlich einschränken würde; ein Phänomen, das ganz besonders für Italiener zu gelten scheint. (Ibelgaufts, 1997, S. 26) Im engeren Sinne wird unter Gestik die Information übermittelnden Bewegungen der Hände und Arme verstanden. Im weiteren Sinne sind es die Signale aussendenden Änderungen der Körperhaltung als sprachbegleitendes Element.22 Hände: Molcho (1983) beschreibt die Hände als das sensibelste Werkzeug und die ausdrucksstärksten Glieder des Menschen. Die Hand kann offen oder zugedeckt sein. Die offene Hand zeigt uns ihre Innenfläche. Wer die sensible Seite der Hand offen zeigt, schenkt Vertrauen und Bereitschaft, friedlich und wohlgesonnen zu handeln, denn er verdeckt seine Empfindsamkeit und Empfindungen nicht. ... Die offene Hand signalisiert Achtung vor dem anderen und das Angebot einer ausgeglichenen Wechselbeziehung. (Molcho, 1983, S. 149) Für Thiel (1986, S. 52ff.) sind Hände Detektoren, welche Veränderungen der Psyche einer Person registrieren, z.B. soll das Bedecken des Mundes bedeuten, dass man zwar etwas zu sagen hätte, dies jedoch lieber für sich behält. Kopfnicken: Mit Kopfnicken wird von der Empfängerin oder dem Empfänger Interesse für Gehörtes signalisiert. Sie oder er ermutigt die Senderin oder den Sender weiterzusprechen, und die Senderin oder der Sender deutet mit einem Kopfnicken an, dass sie oder er etwas sagen möchte. In nahezu allen Kulturen bedeutet ein Kopfschütteln „Nein“. Eine Ausnahme findet man in Griechenland. Dort wird das „Nein“ durch ein Auf- und Zurückwerfen des Kopfes ausgedrückt (Morris, 1994, S. 23). 1.3.2.4 Körperhaltung und Körperbewegung Grundsätzlich gibt es drei Haltungen: Stehen, Sitzen und Liegen. Die Körperhaltung kann verschiedenes mitteilen: positive und negative Haltungen, emotionaler Zustand und Überzeugung. Die Körperhaltung ist ein wichtiges Mittel, um interpersonale Einstellungen zu vermitteln. Weiter stehen Körperhaltungen auch mit Gefühlszuständen in Zusammenhang, und sie unterliegen starken sozialen Konventionen. Die Körperbewegung dient im allgemeinen der Selbstdarstellung und gibt über das Verhältnis zwischen Interaktionspartnerinnen und –partnern Aufschluss. Synchrone Übereinstimmung kann Harmonie, konträre Körperorientierung Ablehnung signalisieren. 22 Gesten und Gestik beinhalten die Ausdrucksbewegungen der Gliedmasse., besonders der Hände (vgl. Dorsch et al., 1994). 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation 28 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung Mehrabians (in Argyle, 1992) Untersuchungen des Enkodierens und Dekodierens erbrachten für die Körperhaltung zwei wichtige Dimensionen: • Unmittelbarkeit: sich nach vorne lehnen, Öffnung der Arme und der Beine (kombiniert mit nicht durch die Körperhaltung bedingten Variablen wie dem Blickkontakt). Diesen Verhaltensstil verwendet man gegenüber Leuten, die man gern hat. • Entspannung: asymmetrische Arm- und Beinhaltung, zur Seite lehnen, entspannte Hände, rückwärts lehnen. Dieser Stil wird gegenüber Menschen mit niedrigerem Status angenommen, gegenüber einem Menschen des anderen Geschlechts mehr als gegenüber einem gleichen Geschlechts. Sitzen oder stehen sich zwei Interaktionspartner gegenüber, kann man beobachten, dass sie oft zur gleichen Zeit die gleiche Haltung einnehmen. Das Phänomen der „Spiegelung“ kommt häufiger in einem positiven Gespräch vor. Spiegelung zeigt sich bei Verhaltensweisen wie Beine übereinanderschlagen, sich nach vorne neigen, Kopf aufstützen und Arme verschränken. Man hat auch festgestellt, dass eine Person, die sich in einem Gespräch nach vorne neigt, eine bessere Haltung gegenüber dem Gesprächspartner hat als eine, die sich nach hinten lehnt (vgl. Hargie et al., 1994). 1.3.2.5 räumliche Aspekte Körperorientierung, Berührung und Distanzen sind Merkmale, die über die Intimität und die relative Haltung (Zuneigung, Status) der Personen zueinander Aufschluss geben. Im Gegensatz zum Ausdrucksverhalten wie Mimik, Gestik, Blickverhalten, definieren diese Merkmale fast ausschliesslich die Relation von Personen zueinander. Sie kennzeichnen damit die soziale Situation und Beziehungsaspekte der Interaktion. Mit räumlichem Verhalten werden interpersonale Einstellungen wie Affiliation23 (durch Nähe und Orientierung) und Dominanz (durch Abstand und Einnehmen symbolträchtiger Plätze und Räume) übermittelt. Räumliches Verhalten gehört somit zu den sozialen Fertigkeiten. Ein eigenes Forschungsgebiet der Proxemik, das die Bewegungen der Menschen zueinander untersucht, wurde erst 1966 durch Edward T. Hall begründet (Dorsch et al., 1994, S. 595). Proxemik versteht das Raumverhalten als ein eigenes menschliches Kommunikationssystem (nichtverbale Kommunikation), dessen Basiseinheiten: • Körperberührung: festhalten, streicheln, usw. • Orientierungswinkel der Interaktionspartnerin und des -partners: gegenüber, Seite an Seite, usw. • Geruchsempfindungen über die verschiedenen Kommunikationskanäle übermittelt werden und gemeinsam jeweils ein komplexes Pattern des Raumverhaltens bilden. Das Raumverhalten ist kulturspezifisch geformt, gleiches Verhalten kann in verschiedenen Kulturen eine 23 Unter Affiliation wird die Wahrscheinlichkeit des Beginns einer Interaktion mit einer oder mehreren anderen Personen ohne ausdrückliche Bezugnahme auf ihren Zweck (Zusammenarbeit, Zusammensein) verstanden. 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 29 unterschiedliche Bedeutung haben; einmal gelernt, wird es weithin ausserhalb der bewussten Aufmerksamkeit wahrgenommen und ausgeführt. Vor allem wurden seither interpersonale Distanzen in Interaktionen untersucht. Territorialität: Die wichtigsten Aspekte des räumlichen Verhaltens beziehen sich auf das Territorium: es errichten, erobern und verteidigen. Man kann drei Arten von Territorien nach ihrer Grösse unterscheiden: der persönliche Raum, das persönliche Territorium und die Heimatterritorien (Argyle, 1992, S. 281ff.). Our territorial behavior can be helpful in regulating social interaction and controlling density; it can also be the source of human conflict when territory is disputed or enroached upon. Although we often think that people vigorously defend their territory, the type of defense is highly dependent on who the intruder is, why the intrusion is taking place, what type of territory is being encroached upon, what type of encroachment is used (violation, invasion, or contamination), how long the encroachment takes, and where it occurs. (Knapp, 1980, S. 92) Der persönliche Raum umgibt unseren Körper unmittelbar. Wird der persönliche Raum nicht respektiert, fühlt man sich unwohl. Das persönliche Territorium ist weiter gefasst. Es ist der Raum, in welchem wir uns bewegen. Dieser Raum gewährt Privatheit und Intimität. Ein Beispiel für einen solchen Raum ist, wenn ein Mitglied in der Familie am Mittagstisch jeweils denselben Platz einnimmt. Eine Lehrperson kann bewusst die Sitzordnung ändern, um beispielsweise eine Diskussion offener zu gestalten. Das persönliche Territorium kann auch die eigene Wohnung sein. Werden Territorien nicht akzeptiert, kommt es zu Auseinandersetzungen. Nähe: Der Anthropologe E. T. Hall (vgl. Miller, 1981) hat sich mit dem Distanzverhalten in verschiedenen Interaktionssituationen beschäftigt. Er unterscheidet für die amerikanische Gesellschaft 4 Distanzzonen: intime (bis 50 cm), persönliche (50 - 120 cm), sozial-beratende (2,5 - 3,5 m) und öffentliche (3,5 m und mehr). Die Nähe zwischen zwei Interaktionspartnern gibt Auskunft über ihre Beziehung. Generell kann man sagen, dass die Distanz beim Stehen kleiner ist als beim Sitzen. Ist der Abstand zwischen zwei Interagierenden zu klein oder zu gross, verhindert dies eine gute Kommunikation. Der Gesprächsfluss wird häufig unterbrochen und Körperbewegungen nehmen zu. Leute mit gleichem Status stehen sich näher. We do know that each of us seeks a comfortable conversational distance - a distance that will vary depending on age, sex, cultural and ethnic background, setting, attitudes, emotions, topics, physical characteristics, personality, and our relationship with the other person. (Knapp, 1980, S. 93) Orientierung: Orientierung betrifft die „Lage“ des Körpers. Damit ist der Winkel gemeint, in dem jemand mit seinem Körper einem anderen gegenübersteht. Zwischen Orientierung und Nähe besteht ein umgekehrtes Verhältnis, d.h. eine frontale Orientierung ist mit einem grösseren Abstand verbunden (Hargie et al., 1994). Körperkontakt: Körperkontakt ist die ursprünglichste Form der sozialen Kommunikation. „Durch Körperkontakt geschieht die erste soziale Kommunikation mit einem Neugeborene und es bleibt vorerst auch der wichtigste Kommunikationskanal“ (Kaiser, 1998, S. 96). Die anderen Formen der nonverbalen Kommunikation sind eine spätere Ent- 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation 30 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung wicklung, sowohl in der Evolution als auch im individuellen Wachstum.24 Durch Berührungen können die grundlegendsten Formen interpersonaler Einstellungen kommuniziert werden. In einem gewissen Masse können auch Gefühlszustände vermittelt werden. Das Berühren scheint eine ursprüngliche Bedeutung von erhöhter Intimität zu haben und es bewirkt eine verstärkte emotionale Erregung. Die genaue Bedeutung einer einzelnen Berührungsform ist jedoch von der jeweiligen Kultur abhängig und ist erlernt. Je älter ein Kind wird, um so mehr wird der Körperkontakt reduziert. Nach und nach wird er durch andere Signale ersetzt. Das Kind lernt visuelle Reize wie die Mimik oder Gestik kennen, und schliesslich tritt die Sprache in den Vordergrund. Lob und Strafe, Zuneigung und Ablehnung werden nun mit Worten ausgedrückt. Unter Erwachsenen ist der körperliche Kontakt schliesslich stark eingeschränkt und nur noch unter bestimmten Umständen erlaubt. (Schwertfeger & Lewandowski, 1990, S. 107) Das Ausmass und der Typ des Körperkontakts ist weithin von Alter, Geschlecht und von den sozialen Beziehungen der Beteiligten abhängig. Im Ausmass und der Art der Berührung bestehen aber auch grosse kulturelle Unterschiede und solche zwischen verschiedenen Schichten. Knapp (1980, S. 146ff.) hat die Ergebnisse vergleichender Studien zusammengefasst. Demnach werden Frauen häufiger berührt und berühren andere häufiger als Männer. Mütter berühren ihre Kinder häufiger als Väter, und gegengeschlechtliche Freunde und Freundinnen berühren sich häufiger als gleichgeschlechtliche. Amerikaner lassen ein weitaus grösseres Mass an Körperkontakt zu als Japaner. Die wichtigste Funktion des Berührens liegt in der Kommunikation und in der Freude an interpersonalen Beziehungen. Neuere Untersuchungen über die Bewohner und Bewohnerinnen von Altenheimen haben gezeigt, dass ein ‘Programm’, das bewusst Berührungen durch das Personal vorsieht, bei den älteren Menschen zu einer ganzen Reihe von gesundheitlichen Verbesserungen führte und die Versuchspersonen sich auch in jeder anderen Hinsicht sehr viel wohler fühlten. (Berryman, 1991, S. 26) Ein solches Ergebnis darf jedoch bei einem heiklen Thema wie es die körperliche Berührung ist, nicht einfach bedenkenlos verallgemeinert werden. Berührungen im Unterricht werden unterschiedlich erlebt. So signalisiert nicht jeder Körperkontakt der Lehrperson zu den einzelnen Schulkindern zwangsläufig Zuneigung. „Auf jeden Fall ist die Lehrperson aufgerufen, die Qualität ihrer Berührungen zu reflektieren und im Einzelfall beim Schüler oder der Schülerin Rückmeldung einzuholen“ (Spychiger, 1998, S. 6). Daneben dienen Berührungen auch der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Dies wird deutlich, wenn man sich vorführt, wer wen berührt und berühren darf. Während die Chefin ihren oder der Chef seinen Angestellten als Lob für eine gute Leistung auf die Schulter klopft, ist dieses Verhalten umgekehrt kaum denkbar. Lehrpersonen berühren ihre Schulkinder, Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinen und Patienten und Geschäftsleute ihre Sekretärinnen und Sekretäre. 1.3.3 Nonverbale Kommunikation im weiteren Sinne Es gibt zusätzliche Merkmale und Objekte, welche über die damit verbundene Person etwas aussagen könnten: 24 „Die Anwesenheit und körperliche Nähe des anderen Menschen vermittelt ihm das nötige Gefühl der Sicherheit“ (Schaffer, 1992, S. 27). Erikson (in Baacke, 1993) schreibt, dass wenn Kinder auf persönliche Zuwendung, körperliche Wärme, Liebe, Nähe und fühlbaren Schutz verzichten müssten, ein „Urmisstrauen“ entwickeln würden. 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 31 Movement and vocalizations may be modified by other elements. These objects may be extensions of a limb, such as the arm - an umbrella is used to push elevator buttons or knock on doors. A cigarette can be thrust into the air as though to attack whatever is the subject of the discussion. Clothing can modify movement and walking. (Key, 1977, S. 116) Einige solcher Elemente stellen die nonverbale Kommunikation im weiteren Sinne dar: Physische Charakteristiken: In unserer Gesellschaft ist Attraktivität eine Schlüsseldimension der Erscheinung. Attraktivität wird unterstützt durch Make-up, Schmuck, Parfum und Bekleidung. In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass attraktive Lehrpersonen besser eingeschätzt wurden als unattraktive. Auch das Äussere einer Schülerin oder eines Schülers hat einen Einfluss darauf, wie die Lehrperson mit ihr oder ihm umgeht. Bei Menschen, die man als körperlich attraktiv ansieht, meint man zugleich, sie würden auch andere günstige Eigenschaften besitzen.25 Lehrpersonen, die von den Lernenden als attraktiv beurteilt wurden, wurden auch als kompetenter und mit besseren Fähigkeiten zur Motivation eingeschätzt (Chaikin, 1978, zit. n. Dubs, 1995, S. 124). Die Frage, was attraktiv ist, unterliegt jedoch dem zeitlichen Wandel. Die Manipulation der äusseren Erscheinung hat hauptsächlich den Zweck, Botschaften über das Selbst auszusenden und sich nach aussen hin eine individuelle Identität zu geben. Kleidung, Abzeichen und Schmuck stehen gänzlich unter der Kontrolle dessen, der sie trägt, Körperbau, Haar und Haut nur teilweise. Die äussere Erscheinung hat auf die Vorstellungen und Reaktionen von anderen (und teilweise auch auf den Betreffenden selbst) eine mächtige Wirkung und beeinflusst damit in starker Weise, wie sich eine Person selbst empfindet und sich anderen gegenüber verhält (vgl. Argyle, 1992, S. 303ff.). Cliffor und Walster (1973, zit. n. Gage & Berliner, 1986) fanden, dass die als attraktiv eingestuften Jungen und Mädchen häufiger in positive Interaktionen eingebezogen worden waren als die unattraktiven Jungen und Mädchen. Und Mietzel (1987, S. 270) schreibt, dass bereits Kindergartenkinder, die nach Einschätzung unabhängiger Beurteilerinnen und Beurteiler als gut aussehend einzustufen sind, unter den Gleichaltrigen hohe Beliebtheit geniessen. Entsprechende Zusammenhänge liessen sich auch bei Jugendlichen und Erwachsenen finden. Es besteht eine sehr ausgeprägte Neigung, gut aussehenden Menschen eine stattliche Anzahl positiver Merkmale zuzuschreiben: „interessant“, „sozial“, „innerlich ausgeglichen“, „bescheiden“ und „intelligent“. Einen Trost würde es jedoch auch für jene geben, die meinen, bezüglich ihres eigenen Aussehens weniger gut bedacht worden zu sein: Das Aussehen spielt vor allem beim ersten Eindruck eine grosse Rolle und verliert an Bedeutung, wenn Personen sich näher kennenlernen. Umweltfaktoren: Im Gegensatz zur „Proxemik“, geht es bei den Umweltfaktoren hier nicht um den Platz, den jemand in einem Raum einnimmt, sondern um den Raum an und für sich: die Architektur, die Innendekoration, die Farben, die Musik, usw. 25 Oft wird auch von einem Halo-Effekt gesprochen, wo vordergründige Merkmale (z.B. gutes Aussehen) andere Merkmale angezogen werden und diese überstrahlen: Wer attraktiv ist, ist auch intelligent. 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation 32 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung Die Umgebung, die freundliche offene Atmosphäre, ist für eine gute spontane Kommunikation wichtig. Man soll sich wohl fühlen, dies ist auch für die Schulzimmereinrichtung wichtig (vgl. Abschnitt 1.5.3). Symbolische Kommunikation: Andere Formen symbolischer Kommunikation finden sich beim Signalwert von Kleidung und Schmuck, der Selbstdarstellung von Ethnien und Nationen durch Fahnen, Gebäude usw. Als eine Art der nonverbalen Kommunikation zwischen den Menschen und Gott bzw. Göttern wird allgemein auch das Opfer betrachtet. Notationen: Ein Sonderfall der visuellen Kommunikation ist die Informationsweitergabe durch Schrift- und Zahlensymbole. Bei der Notation handelt es sich um ein künstliches Zeichensystem, wobei durch Symbole Information dargestellt wird. • Ein künstliches Zeichensystem ist das Flaggenalphabet zur Verständigung auf See. Jede der in ihrer Farbe und Form genau definierten Flagge hat eine doppelte Bedeutung. Sie steht für jeweils einen Buchstaben oder Ziffer und bedeutet für sich genommen noch eine wichtige Kurzbotschaft. • Weitere wichtige Zeichensysteme sind die Taubstummensprache, in der Buchstaben durch verbindlich festgelegte Bewegungsabfolgen der Finger und Hände definiert sind, und die Braille-Schrift, bei der Buchstaben und Zahlen als erhobene Punkte im Relief auf dem Papier erscheinen. Ferner werden gelegentlich auch thermische26 und olfaktorische Informationen als Teil der nonverbalen Kommunikation betrachtet. Entsprechend den bei der Informationsübertragung beteiligten Sinnesmodalitäten wird zwischen akustisch-auditivem, optisch-visuellem, haptisch-taktilem, olfaktorischem, gustatorischem und thermischem Kanal unterschieden (Dorsch et al., 1994, S. 516). Olfaktorik: Unsere Sprache kennt nur wenig Worte, um die Vielzahl an Gerüchen, die unsere Nasen unterscheiden können, auch zu beschreiben. Wir sprechen kaum über unsere natürlichen Ausdünstungen, und wenn uns jemand sagt, dass wir schlecht riechen, sind wir beschämt. „Der Geruchssinn ist in erster Linie ein Warn- und Locksinn, der aber nur eine ungenaue Lokalisierung der Reizquellen zulässt. Die beiden Funktionen Vermeidung und Anziehung werden durch den ‘Gestank’ und die ‘Düfte’ repräsentiert“ (Benesch, 1992, S. 117). In der Geruchswahrnehmung wird berichtet, dass Körper- und Mundgeruch, ebenso wie exotische Eigengerüche, z.B. bei Kindern nichtdeutscher Muttersprache, Anlass für Ausgrenzungen sein können (Rosenbusch, 1995, S. 178). 26 Damit sind Informationen, welche auf Wärme beruhend bzw. durch Wärme bewirkt werden, z.B. Fieber, körperliche Betätigung, usw. 1.3 Elemente der nonverbalen Kommunikation Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 1.4 33 WAHRNEHMUNG NONVERBALER INFORMATIONEN Die Wahrnehmung dient dem Menschen dazu, Informationen zu gewinnen, um sich in seiner Umwelt orientieren und angemessen verhalten zu können. Jede Interaktionspartnerin und jeder Interaktionspartner ist auf Informationen des anderen angewiesen, um adäquat handeln zu können.27 Brunner (1989) betont, dass das Individuum nicht schutzlos der Fülle von Informationen ausgeliefert ist, die aus der Umgebung auf es einströmen. Informationsverarbeitung ist in erster Linie ein Akt der Informationsselektion: Der Mensch ist aktiv an der Auswahl und Weiterverarbeitung beteiligt. Aktiv heisst, dass die Person in die Situation Erwartungen/Hypothesen über wahrzunehmende Reize hineinbringt. Diese beeinflussen die Art und Weise, wie sie den Verhaltensstrom der anderen Personen in Einheiten gliedert und auf welche Dispositionen sie sie zurückführt. Die Rolle, die eine Person in einer interpersonellen Situation einnimmt, aktiviert Zielvorstellungen, und diese eine kognitive Struktur. Die kognitive Struktur stellt die wahrnehmungsbeeinflussenden Erwartungen bereit. Dabei verhält er sich auch selektiv. Er beachtet nur bestimmte Dinge und vernachlässigt andere. „Informationen, die unserer Theorie zuwiderlaufen, werden beharrlich ‘übersehen’, ‘überhört’“ (Perrig et al. 1993, S. 175) . Wir nehmen Informationen also nicht einfach wahr, wir selektionieren sie, um sie dann zu kategorisieren und zu vorhandenem Wissen und Strukturen in Beziehung zu setzen, wobei die bereits vorhandenen kognitiven Strukturen einen aktiven Anteil an der Verarbeitung haben (Apeltauer, 1995, S. 108ff.). Alle Eindrücke, die wir aufnehmen, ordnen wir automatisch den Denkmustern zu, die unser Gedächtnis gespeichert hat. Was wir sehen, hören, riechen oder schmecken, ist kein einfaches Abbild der Realität. Somit ist die Wahrnehmung vielen Faktoren ausgesetzt, die sie verzerren, ja sogar verfälschen. „Wahrnehmung ist Interpretation, ist Bedeutungszuweisung“ (Roth, 1985, S. 97). Subjektive Strukturen können die Wahrnehmung auf zweierlei Weise beeinflussen: indem sie a) relevante Merkmale erwarten lassen, und in dem sie b) innerhalb der Merkmale bestimmte Ausprägungen erwarten lassen, die in der Wahrnehmung bevorzugt oder schneller erkannt werden (vgl. Hofer, 1986, S. 118ff.). Hall u. a. (1978, zit. n. Rosenbusch, 1995, S. 186) fanden in umfangreichen Untersuchungen mit dem PONS-Test (Profile Of Nonverbal Sensitivity) heraus, dass sich nonverbale Dekodierungsfähigkeit mit zunehmendem Alter besser ausprägt und sich bei 25 bis 30 Jahren einpendelt. Die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsbreite kommunikativer Signale ist im Unterricht wichtig. Lehrpersonen sind abhängig von der richtigen Interpretation des Verhaltens der Schulkinder, um flexibel, ökonomisch und verständnisvoll zu reagieren. Auch Schulkinder sind auf die treffsichere Identifizierung kommunikativer Signale der Lehrperson angewiesen. Der Erfolg von Unterricht wird auch davon bestimmt, wie gross die kommunikative Wahrnehmungs- und Verarbeitungsbreite bei Lehrpersonen und Schulkinder ist. Dies gilt für die Inhaltsvermittlung, besonders aber für die Gestaltung des Beziehungsverhältnisses, von dem der erzieherische Erfolg des Lehrens weitgehend abhängt (vgl. Rosenbusch, 1995, S. 182). Auch Halberstadt und Hall (1980, zit. n. Rosenbusch, 1995, S. 196) stellten fest, dass die Fähigkeit des 27 „So reicht in der Regel bereits 1/24 Sekunde aus, um den Gesichtsausdruck einer Person richtig wahrzunehmen und zu identifizieren“ (Schwertfeger & Lewandowski, 1990, S. 12). 1.4 Wahrnehmung nonverbaler Informationen 34 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung Kindes, nonverbale Hinweise zu verstehen, die Eindrücke der Lehrperson über die intellektuellen Fähigkeiten der Schulkinder beeinflusst. So kann beides, das nonverbale Verhalten des Schulkindes und dessen Fähigkeit, das nonverbale Verhalten anderer zu verstehen, dazu führen, die Eindrücke der Lehrperson zu formen. Verhalten sich Schulkinder der Lehrperson gegenüber nonverbal positiv, so zeigen sie ihr, dass sie sie für kompetent halten. Folglich verhalten sich die Lehrpersonen so, wie es die Kinder erwarten, d. h. sie bemühen sich, gut zu unterrichten. Für eine Lehrperson ist es sehr wichtig, dass sie die nichtverbalen Signale (vgl. auch „Physische Charakteristiken“, S. 31) in der Klasse bewusst beobachtet und wahrnimmt, um entsprechend reagieren zu können. Dies gilt auch für die Schulkinder. Einige Untersuchungsergebnisse, wie nonverbale Botschaften der Schulkinder von den Lehrpersonen wahrgenommen und decodiert werden und umgekehrt, zeigen die beiden folgenden Abschnitte. Die gegenseitige Orientierung dient der sensiblen Einschätzung des Zustandes der anderen und erleichtert dadurch die flüssige und situationsadäquate Kommunikation. Damit ökonomisiert die richtige Interpretation beobachteter nonverbaler Phänomene die unterrichtliche Kommunikation, weil sie verbale Fragen sowie Kontrollen weitgehend erspart. 1.4.1 Lehrpersonen nehmen ihre Schulkinder wahr „Jede pädagogische Situation stellt sich für die beteiligten Interaktionspartner auch als ein Akt der Informationsverarbeitung dar“ (Brunner, 1989, S. 70). Den Gehalt der Informationen in der entsprechenden Situation verarbeiten zu können, wird durch die eigene Miteingebundenheit oft noch verstärkt. Gerade während dem Unterrichten ist es fast unmöglich, eine „Auszeit“ zu fordern, um über die erhaltene Information nachzudenken oder mit einem Gespräch Klarheit zu bekommen. Denn im Klassenzimmer sind noch weitere Personen versammelt, welche gerne weitermachen würden und nicht viel zur Klärung beitragen wollen, obwohl der Erfolg der weiteren Lektion gerade von einer erhaltenen oder nicht erhaltenen Rückmeldung abhängen kann. Die Äusserung eines Schülers, er passe nicht auf, weil er heute morgen mit dem Fahrrad einen Sturz gehabt habe und ihm der Kopf immer noch schmerze, wird bei der Lehrperson ein anderes Verhalten hervorrufen, als die Beobachtung, wie dieser Schüler seinen Kopf schwerfällig in seine auf dem Pult aufgestützten Arme legt. Es gehört zu den Fähigkeiten einer „guten“ Lehrperson, während den eigenen Ausführungen niemals zu übersehen, dass jemand unter den Schulkindern eine Frage stellen oder einen eigenen Beitrag leisten möchte. Schulkinder liefern für die Lehrperson wertvolle Rückmeldungshinweise, beispielsweise wird erkennbar, dass ein Zusammenhang nicht verstanden wurde, dass jemand amüsiert und/oder hochkonzentriert auf die Ausführungen reagiert. Lachen als Gefühlsäusserung für Freude über eine gelungene Äusserung und auch als Zeichen von Verlegensein und Verwirrung, Stuhlrücken, Veränderung der Sitzhaltung, der Beinhaltung, Spielen an den Haaren etc. als Zeichen für Beteiligtsein, Interesse oder Verunsicherung, sind für die Lehrperson wichtige Signale. Rosenbusch (1995, S. 184) schreibt, dass Lehrpersonen von ihren Schulkindern auf nonverbalem Weg herausfinden, • ob sie ein Problem verstanden haben (Schulkinder nicken im richtigen Moment, verständnisvolles „Aufleuchten“ im Gesicht, bestätigende Gestik) 1.4 Wahrnehmung nonverbaler Informationen Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 35 • ob sie interessiert sind (Blickkontakt mit der Person, welche gerade spricht, etwas „gewertete“ Augen, mimisches Mitgehen), • ob sie sich langweilen (uninteressiertes Wegschauen, Spielen, mimisch keine Reaktion auf Informationsschritte), • ob sie müde sind (Gähnen, mühsamer Blickkontakt, mimisch abgeschwächte, verspätete Reaktionen), • ob sie sich widersetzen (herausforderndes Wegschauen, verschlossenes, unbewegtes Gesicht, keine Reaktion auf Versuche der Lehrperson, einen Spass zu machen, Körperhaltung von der Lehrperson weg orientiert) Auf diesem Weg geben Schulkinder der Lehrperson Rückmeldungen auf ihr Verhalten. Durch nonverbale Signale, die unmittelbar auf bestimmte Ereignisse hin bei Schulkindern eintreten (bekanntlich erfolgen nonverbale Signale auf bestimmte Ereignisse rascher als verbale), kann die Lehrperson umgehend reagieren und, falls ihr das nötig erscheint, sich neu orientieren. Er würde z.B. ein Kind, das nonverbal Angst zeigt, nicht schroff aufrufen oder eines, das sich ausnahmsweise meldet, übersehen. Lehrpersonen schätzen für nonverbale Signale sensible Schulkinder als intelligenter ein. Zeigen Schulkinder positive nonverbale Signale wie Blickkontakt, häufigeres Lächeln, Kopfnicken, so antwortet die Lehrperson mit positiven nonverbalen Signalen und schreibt diesen Schülerinnen und Schülern mehr intellektuelle und soziale Fähigkeiten zu. Lehrpersonen zeigen ihre positive Einstellung Schulkindern gegenüber durch positives nonverbales Verhalten, also Vorwärtslehnen, Bewegungen auf Schulkinder zu, Steigerung des Blickkontakts, bekräftigendes Kopfnicken und Lächeln. Mehr positives Verhalten wird auch untypischen Schülerinnen und Schülern in der Klasse entgegengebracht, auch lebhaften und langsamen oder geistig zurückgebliebenen Kindern. Ermutigung wird dem begabten und dem auffälligen Kind eher gezeigt als dem „Normalkind“ (Rosenbusch, 1995, S. 196). Neill (1991) stellt in einer Untersuchung nonverbale „Lehrersprache“ in den Zusammenhang der Kontrolle von Klassen sowie der entsprechenden Reaktionen der Schulkinder. Dabei geht er auf Drohverhalten von Lehrpersonen ein. Drohverhalten findet sich bei der Erwartung von möglichen Gegenattacken, welche es zu verhindern gilt. Lehrpersonen würden Drohverhalten vor allem durch Lautstärke, Vorbeugen gegen das bedrohte Kind und eindringlichen Blickkontakt zeigen. Dabei würden die Augenbrauen zusammengezogen. Dieses Drohverhalten verliere jedoch bei häufigerer Verwendung an Wirksamkeit. Lehrpersonen, die positive Beziehungen zu ihren Klassen hätten, müssten weniger Drohverhalten zeigen, sie seien humorvoll und freundlich und in ihrem Verhalten ruhiger. Effektiv sei die rasche Reaktion auf unpassendes Verhalten der Schulkinder. Weniger sichere Lehrpersonen zeigten ihre Schwäche dadurch, dass sie mit der Reaktion zögerten, vielleicht sogar noch dazwischen lächelten. „Lehrer verstehen nebenbei bemerkt dieses submissive Verlegenheitslächeln bei Schülern manchmal fälschlicherweise als frech“ (Rosenbusch, 1995, S. 199). 1.4.2 Schulkinder nehmen ihre Lehrperson wahr Schulkinder orientieren sich am nonverbalen Verhalten der Lehrperson. Sobald die Lehrperson in das Klassenzimmer kommt, um mit dem Unterricht zu beginnen, wird 1.4 Wahrnehmung nonverbaler Informationen 36 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung sie von ihren Schülerinnen und Schülern gemustert. Dieser Ersteindruck, den die Schulkinder gewinnen, kann für den nachfolgenden Unterricht entscheidend sein. Ein neuer oder ein abgetragener Anzug, ein auffälliges oder zerknittertes Kleid, der Kreidestaub am Ärmel oder ein nicht geschlossenes Kleidungsstück können die Aufmerksamkeit der Schulkinder vorübergehend absorbieren und vom Lernen ablenken. Zumeist wirken solche Äusserlichkeiten nur für kurze Zeit so stark, bis sich die Schulkinder an den Anblick gewöhnt haben, der Neuigkeitsgehalt abnimmt und andere Dinge interessanter erscheinen (vgl. Becker, 1991, S. 68f). Lehrpersonen versuchen manchmal bei älteren Schulkindern sich entsprechend zu kleiden, um ihnen nichtverbal mitzuteilen, dass sie ähnlich fühlen und denken und derselben Generation angehören. Dies ist ein Versuch, über eine ähnliche Kleidung (aber auch mit „coolen“ Sprachausdrücken) einen besseren Zugang zu den Schulkindern zu finden. Aus nonverbalen Botschaften entnehmen die Schulkinder die Einstellungen der Lehrperson. Was ein Lehrer nicht schätzt, kann kein Schüler unbesehen hochachten; wenn der begeisterte Biologielehrer nur Zynismus über das Nichtwissen der Schüler zeigt, dürfte auf die Dauer Biologie bei jedem Schüler Abneigung hervorrufen. (Brunnhuber, 1988, S. 23) Aus den nonverbalen Reaktionen der Lehrperson können die Schulkinder Rückschlüsse auf ihr eigenes Verhalten ziehen. Bereits Kinder der Grundschule können feststellen, wie der vorhergehende eigene Beitrag war, auf den die mimische Reaktion ihrer Lehrperson erfolgte. Ebenso werden zurechtweisende mimische Reaktionen richtig erkannt. Nonverbale Bewertungshandlungen von Lehrpersonen werden von älteren Schülerinnen und Schülern leichter entschlüsselt als von jüngeren, von Mädchen besser als von Jungen (vgl. Rosenbusch, 1995, S. 183f.). Nonverbale Sensitivität entwickelt sich mit zunehmendem Schulalter. Soziale Signale, Kontrolle von nonverbalen Verhaltensweisen sowie nonverbales Täuschungsverhalten sind erst ab einer bestimmten Altersstufe möglich. Divergente Signale sind von jüngeren Kindern selten decodierbar. So werden Ironie, Sarkasmus von Grundschulkindern kaum so verstanden, wie sie gemeint sind. Sogar Schulkinder bis in höhere Altersstufen werden durch widersprüchliche kommunikative Mitteilungen verwirrt und verunsichert. Für Lehrpersonen, besonders in Klassen mit jüngeren Kindern, ist es daher unbedingt notwendig, auf Konvergenz und Eindeutigkeit verbaler und nonverbaler Mitteilungen zu achten. 1.4 Wahrnehmung nonverbaler Informationen Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 1.5 37 NONVERBALE KOMMUNIKATION ALS CHANCE FÜR DEN UNTERRICHT Nonverbale Kommunikation vor der Klasse ist ein vernachlässigtes Gebiet. Nach wie vor sind die meisten Lehrpersonen ausschliesslich auf die Vermittlung von Inhalten konzentriert, ohne sich bewusst zu sein, dass wirkliches Verstehen auf das engste auch mit körperlichem Erleben verknüpft ist. Auch bei der Lehrperson ist die inhaltliche Stoffvermittlung untrennbar mit nonverbalen Signalen verknüpft. Ihre Glaubwürdigkeit hängt in hohem Mass von der Widerspruchsfreiheit aller Signale und der Gleichgerichtetheit von Denken bzw. Reden und Handeln ab. Die für die Unterrichtskommunikation kaum zu unterschätzende Bedeutung der Körpersprache erklärt sich vor allem dadurch, dass Verbal- und Körpersprache parallel gesendet werden. Die Bedeutung wird zusätzlich dadurch erhöht, dass die nonverbale Sprache über verschiedene Kanäle gesendet werden kann (vgl. 2.1). Meyer (1991, S. 378) verdeutlicht, dass der Satz „Können wir endlich mit Mathe anfangen!“ rein verbalsprachlich gar nicht zu verstehen sei. Seine situative Bedeutung erhält er erst dadurch, dass die Lehrperson alle ihre verfügbaren Elemente der nonverbalen Kommunikation zieht: Die Lehrperson... • nimmt eine bestimmte Körperhaltung ein, die Anspannung, Ruhe und Disziplin signalisiert. • stellt sich an einen bestimmten Ort im Klassenzimmer - zumeist vor oder neben das Pult der Lehrperson. Mit diesem Verhalten im Raum (Proxemik) kann sie alle Schulkinder sehen und von allen gesehen werden. • steht zu Beginn einer neuen Unterrichtsstunde zumeist isoliert von ihren Schulkindern. Es besteht kein Körperkontakt. In späteren Phasen der Stunde kann dies - je nach Alterstufe der Kinder, Thema, Sozialform sowie Naturell der Lehrperson - anders werden. So wird z.B. ein Schulkind berührt, um es zu disziplinieren, zu beruhigen oder zu ermuntern. • bedient sich einer bestimmten Gestik. Vielleicht hält sie die rechte Hand hoch, um ihre Aufforderung zur Ruhe zu bekräftigen. Vielleicht stemmt sie beide Hände in die Hüften. • nimmt Blickkontakt zu möglichst vielen Schulkindern auf. Dies kann mehrere Funktionen haben: Sie orientiert die Kinder auf sich, ermuntert oder diszipliniert sie. • entwickelt in dieser Situation eine bestimmte Mimik. Sie guckt in der Regel freundlich, aber bestimmt in die Klasse. • nutzt für jede verbale Botschaft die sogenannte Paralinguistik. Dabei kann das Sprechtempo, die Stimmhöhe und die Lautstärke variiert, können Pausen eingelegt, kann gelacht oder geräuspert werden. 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht 38 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung Das Klassenzimmer ist eine wahre Fundgrube von nonverbalem Verhalten. Akzeptanz und Verständnis von Ideen und Gefühlen von Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern, Ermutigung und Kritik, Schweigen oder Befragen - all diese Elemente beinhalten nonverbale Kommunikation. Hierzu einige Beispiele: 1. Das ungeduldige Aufstrecken einer Schülerin, die sicher ist, dass sie die korrekte Antwort kennt. 2. Der Schüler, der die richtige Antwort nicht kennt und versucht einen Augenkontakt mit der Lehrperson möglichst zu vermeiden. 3. Die Wirkung von Kleidung oder Haarlänge des Schülers auf die LehrerSchüler- Beziehung. 4. Gesichtsausdruck, Drohgebärden und Stimmlage werden in der Grundstufe oft als disziplinäre Mittel eingesetzt. 5. Die Lehrperson, welche die Schulkinder dazu anhält Fragen zu stellen und Kritik zu üben, die aber auf nonverbale Weise klarmacht, dass sie dafür gar nicht empfänglich ist. 6. Die Abwesenheit einer Schülerin oder eines Schülers ist auch ein Art zu kommunizieren. 7. Das Vertrauen einer Lehrperson gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern wird manchmal durch die Sitzanordnung und dadurch, wie sie die Schulkinder in Prüfungssituationen überwacht, gekennzeichnet. 8. Die Vielzahl von Techniken, die von den Schülerinnen und Schülern angewandt werden, um vorzugeben zu lernen oder zuzuhören, wenn sie in Wirklichkeit schlafen. 9. Die Lehrperson, die sich bereitwillig für Schülerinnen- und Schülerkonferenz zur Verfügung stellt, die dabei jedoch immer unruhig ist und ständig auf die Uhr schaut und somit eher ihren Unwillen ausdrückt. 10. Lehrpersonen, die versuchen sichtbare Rückmeldungen zu erhalten, ob die Schulkinder sie verstanden haben. 11. Sogar die Inneneinrichtung des Klassenzimmers (Farbe der Wände, Pultabstand, Fensteranordung) hat Einfluss auf das Teilnahmeverhalten der Schulkinder. „Die Körpersprache ist nicht nur eine wünschenswerte, zur Not aber entbehrliche Zutat zur Verbalsprache, sondern ihre umfassende leibliche Grundlage“ (Meyer, 1991, S. 386). Es ist deshalb notwendig, • dass sich Lehrpersonen der Wichtigkeit und Wirkung ihres nonverbalen Verhaltens bewusst werden, 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 39 • dass sie darauf achten, Grundsätze der Kommunikationshygiene zu berücksichtigen, welche störungs- und widerspruchsfreie, ökonomische und verständliche Kommunikation zum Ziel haben, • dass sie sensibler für das nonverbale Verhalten ihrer Schulkinder werden (vgl. Rosenbusch, 1995, S. 199). Die nonverbale Kommunikation spielt im Unterricht in vielfacher Weise eine bedeutsame Rolle (Cooper, 1991): Erstens unterstützt es die Selbstpräsentation (z.B. Aussagen werden durch die nichtverbale Unterstützung glaubwürdiger). Zweitens nehmen die Lernenden Regeln und Erwartungen der Lehrperson deutlicher wahr, wenn sie nichtverbal unterstützt dargelegt werden. Drittens beeinflusst das nichtverbale Verhalten die Wahrnehmung der Verstärkung sehr stark. Viertens bringt das nichtverbale Verhalten der Lehrperson die Wertschätzung und Zuneigung bzw. Ablehnung eines Schülers oder einer Schülerin viel deutlicher zum Ausdruck als alle anderen Formen des Verhaltens der Lehrperson. Fünftens kann nichtverbales Verhalten den Fluss eines Lehrgespräches oder einer Diskussion ganz wesentlich steuern, indem die Lehrperson mit Signalen aller Art auf den Verlauf Einfluss nehmen kann (z.B. einem Schulkind, das zu lange spricht, dies mit einem Zeichen deutlich machen). In den folgenden Abschnitten sollen Chancen der nonverbalen Kommunikation im Unterricht gezeigt werden: 1.5.1 Das Lernen unterstützen „Bei negativer nonverbaler Rückmeldung vermindern sich Leistung und Kreativität, während sie bei positiver nonverbaler Rückmeldung gesteigert werden“ (Ellgring, 1995, S. 46). Emotionale negative Erregung, z.B. durch grimmige und „böse“ Blicke von der Lehrperson, aber auch von den Mitschülerinnen und Mitschülern, blockieren Lernprozesse (vgl. Petermann, 1990, S. 76). Gute Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen ist ein menschliches, angstfreies Klima.28 Nichtverbales Verhalten der Lehrperson das missbilligt, negativ wirkt und Unbefriedigtsein ausdrückt, gehört bestimmt nicht dazu. Ergebnisse beweisen, dass der Lernerfolg bei Schulkindern konsistent im Zusammenhang steht mit nonverbalem Verhalten der Lehrperson, das sich durch Enthusiasmus, Lebendigkeit, Anregung, Energie, Aktivität dokumentiert (vgl. Rosenbusch, 1995, S. 190). Die positiven Auswirkungen von Gesten und Bewegungen sind nicht wegen bestimmten Formen bedeutsam, sondern mehr durch deren Vorhandensein. Die Lehrperson wird dadurch lebendiger wahrgenommen. Allerdings dürfen die Gesten und Bewegungen nicht zu heftig und zu nervös sein, sonst lenken sie vom Lernen ab (Rosenshine 1968, zit. n. Dubs, 1995, S. 12). Zur Glaubwürdigkeit einer Lehrperson scheint die Mimik beizutragen und ein gutes Mittel für die Führung der Klasse zu sein (Cooper, 1991). Damit können Zustimmung, Interesse am einzelnen Schüler und an der einzelnen Schülerin sowie Zurechtweisung recht deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Ganz wichtig ist, dass das verbale und nichtverbale Verhalten miteinander übereinstimmen. Andernfalls wird das Verhalten der Lehrper28 Der LCH (1993) fordert im Berufsleitbild Lehrpersonen mit einer positiven Lebensgrundhaltung. Zudem sollen sie sich selbst und die anderen in ihren Gefühlen und Reaktionen differenziert wahrnehmen. 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht 40 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung son durch die Lernenden nicht mehr interpretierbar, was zu starker Verunsicherung führt (vgl. Abschnitt 1.2.3). Für Meyer (1993, S. 37) ist der Körper der Lehrperson das wichtigste Medium im Unterricht: Die Lehrperson sollte ihren Körper häufiger und bewusster als Lehrmittel einsetzen, indem sie selbst etwas vorträgt, vormacht, vorsingt, vorzeigt; indem sie mit ihrem Körper und dem der Schulkinder ein „Standbild“ baut, mit dem die eigene Haltung sinnlich-hand(be)greiflich ausgedrückt wird; indem sie durch Blickkontakte, durch Gestik, Mimik und Bewegung im Klassenraum provoziert und dramatisiert. Was bei den Schulkindern „ankommt“ hängt nicht zuletzt davon ab, wie der entsprechende Inhalt inszeniert und vermittelt wird, wie die Interaktion und Kommunikation im Unterricht gestaltet wird und welche Handlungen und Handlungsspielräume den Schulkindern und Lehrpersonen ermöglicht werden (vgl. Jank, 1993, S. 238f.). Expressive nonverbale Kommunikation ist ein Bestandteil von lebendigem, stimulierendem und dynamischem Verhalten. Besonders dann, wenn das gesprochene Wort alleiniger Träger der zu vermittelnden Information ist, kommen die nonverbalen Funktionen des Ergänzens, Unterstützens, Einrahmens, Kommentierens, Illustrierens, Interpunktierens, Organisierens und Strukturierens zum Tragen und helfen mit beim Verstehen und Verarbeiten der Information. 1.5.1.1 Beitrag zur multikulturellen Erziehung Verständigungen über Sprachgrenzen hinweg werden immer ein Prozess der gegenseitigen Annäherung sein. Aufgrund der biologischen und kognitiven Voraussetzungen sind Menschen fähig, sich einander anzunähern und zu verständigen. Kulturspezifische Programmierungen sind jedoch dafür mitverantwortlich, dass Verunsicherungen entstehen können. Diese sind oft durch „Kleinigkeiten“ ausgelöst, welche nicht bewusst wahrgenommen werden. Wenn gelernt wird, Schwellenängste zu überwinden, sind über Grundkategorien29 aber auch dann eine Verständigung möglich. In der interkulturellen Kommunikation spielt der nonverbale Ausdruck eine wichtige Rolle. Deshalb sollten universelle Mittel zur Überwindung kulturspezifischer oder subkultureller Grenzen genutzt werden. Apeltauer (1995, S. 143f.) schlägt dazu folgende vier Punkte vor: 1. Die traditionelle Vernachlässigung der Körpersprache in unserer Gesellschaft sollte überwunden werden, weil es Bereiche im körpersprachlichen Ausdruck gibt, die bei der Überwindung kultureller Grenzen helfen können. Statt den körpersprachlichen Ausdruck von Gefühlen oder Einstellungen zu unterdrükken, sollte gelernt werden, Gefühle zu zeigen und wie man ihren Ausdruck möglichst genau lesen kann. 2. Neben dem Ausdruck von Gefühlen dienen nonverbale Mittel auch der Rückmeldung bzw. der „Rückversicherung“. Daher sollten „Hörerreaktionen“ in ihrer gesprächsteuernden Funktion und ihrer kulturspezifischen Ausprägung bewusst gemacht werden. 29 Grundemotionen wie Freude, Angst oder Wut lassen sich auch über kulturelle Grenzen hinweg an Haltung, Mimik, Gestik und Stimmführung ablesen. 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 41 3. Mit manchen einfachen Gebärden kann man sich in durchschaubaren Situationen präziser und ökonomischer verständigen als mit vielen Wörtern. Darum sollten diese Formen der Verständigung im Sprachunterricht nicht nur als Ausdrucks-Alternativen thematisiert, sondern auch systematisch geübt und differenziert werden. 4. Nonverbale Mittel werden immer auch zur Selbstdarstellung und Beziehungsdefinition genutzt. Beides dient auch der Bestimmung des Kontextes bzw. zur steuernden Veränderung von Kontexten. Daher sollten auch solche Zusammenhänge reflektiert und praktisch erprobt werden. Kinder von Zuwanderinnen und Zuwandern konzentrieren sich während des Spracherwerbsprozesses stärker auf nonverbale Mittel, um dadurch Unzulänglichkeiten in der Beherrschung ihrer Zweitsprache zu kompensieren. Eine Sensibilisierung der einheimischen Kinder auf die nonverbalen Botschaften könnten mit dazu beitragen, dass kulturelle Grenzen in Zukunft leichter überwunden würden. 1.5.1.2 Schichtspezifisch Es zeigt sich, je höher die Schulform, desto geringer der Anteil der Kinder aus unteren Sozialschichten; je niedriger die Schulform, desto höher der Anteil dieser Kinder. Für die Kinder aus hohen Sozialschichten gilt das Umgekehrte (vgl. Kaiser & Kaiser, 1991, S. 164ff.). Dieser unterschiedliche Schulerfolg ist auch eine Konsequenz der Art der Sprachverwendung in den betreffenden Familien und damit des Spracherwerbs durch das Kind.30 Schichtenspezifische Sprachgewohnheiten sind prägend, und oft behindern sie den Umgang von Angehörigen verschiedener Schichten und Subkulturen nicht nur auf der Sachebene, sondern auch und v.a. auf der Beziehungsebene. Ein bewusster Einsatz nonverbaler Kommunikationsmittel könnte als Beitrag zur Aufhebung schichtspezifischer Ungleichheiten gesehen werden. Kinder aus unterschiedlichen Schichten unterscheiden sich in der Interpretation nonverbaler Verhaltensweisen. Die Behinderung durch mangelnde Übung im sprachlichen Ausdruck könnte gemildert werden, wenn Möglichkeiten des Lehrens von Gegenständen und Methoden über Analogcodierungen gefunden würden. „Das sprachliche ungeübte Kind zeigt nämlich in der Regel ein sehr differenziertes Analogcodierungs- und Decodierungsvermögen, in dem es teilweise den der ‘Sprache der Schule’ angepassten Kindern überlegen ist“ (Thiele, 1977, S. 18f.). Es hat sich gezeigt, dass die Tonlage, in der eine Lehrperson spricht, für Unterschichtkinder wichtiger ist als für Mittelschichtkinder (Blanck & Rosenthal, 1982, zit. n. Meyer, 1991, S. 384). „Es wird also den Kindern in der Schule wenig Raum gelassen für analoge Kommunikation, obwohl gerade sie für die Kinder der sozialen Unterschicht ... von besonderer Bedeutung ist“ (Knauer, 1977, S. 113). 30 Bernstein (1980, zit. n. Kaiser & Kaiser, 1991, S. 172ff.) hat für die Mittelschicht den elaborierten oder formalen Code und für die Unterschicht den restringierten oder öffentlichen Code gekennzeichnet. Der elaborierte Code zeichnet sich durch eine differenzierte, ausgearbeitete Sprache aus, während der formale Code als eine verkürzte, eingeengte, begrenzte Sprache beschrieben wird. 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht 42 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung 1.5.2 Ganzheitlich Untrügliche Zeichen für die Einheit von Denken und Erleben entstehen aus der Bereitschaft des Menschen, angenehme Reize auf den Körper wirken zu lassen und unangenehme abzuwehren. Schüpbach (1997, S. 93ff.) fordert ein ganzheitliches Lernen: „Keine Kopffüssler in Einzelhaft“. Dabei ist Ganzheitlichkeit ein grundsätzliches Anliegen: Menschen müssten auch in der Schule lernen, vom Ganzen her und auf die Erhaltung des Ganzen hin zu leben. Durch das Zusammenwirken von unterschiedlichen Bereichen entsteht ein vielfältiges Neues und Ganzes. Zum ganzheitlichen Lernen gehört eben der ganze Körper dazu. Die einseitige Formierung der Sinnlichkeit der Schulkinder wird zwar durch die Rahmenbedingungen der Schule bzw. der Schulzimmer gefördert, aber durch das methodische Handeln der Lehrperson hergestellt. „Kommunikative Gesten werden zumeist reglementiert und eingeschränkt (z.B. Blickkontakte), die körperlichen Kontakte weitgehend unterdrückt“ (Heinze-Prause & Heinze, 1974, S. 266) Die Lehrperson sorgt dafür, dass die Kinder die meiste Zeit des Unterrichts stillsitzen und Kopfarbeit leisten. „Die den Schülern im alltäglichen Unterricht abverlangten Tätigkeiten sind einseitig verkopft. Sie setzen über weite Strecken voraus, dass die Schüler gelernt haben, ihre Körper stillzustellen“ (Meyer, 1991, S. 66). Viele haben verlernt, ihren Körper zu erleben und mit ihm zu leben. Aber gerade für die sehr genau beobachtenden Schulkinder wird die Kluft zwischen Denken und Erleben sichtbar, wenn eine Lehrperson etwas anderes sagt oder tut, als ihr Körper signalisiert, z.B. freundliche Worte und gleichzeitige Blockade bei Händeschütteln oder gekreuzte Beine und Arme bei einem freundlichen Gespräch, gehobene Schultern bei angeblich sicherem Auftreten. Eine Kommunikationsregel der „Themenzentrierten Interaktion“ (TZI)31 lautet: Beachte deine Körpersignale.32 Denn um besser herauszubekommen, was man im Augenblick fühlt und will, kann der Körper mehr über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse erzählen als der Kopf. Eine auf Sprache fixierte Lehrperson verhindert einen ganzheitlichen Lernprozess. Sie muss deshalb lernen, Nichtverbales innerhalb und ausserhalb der Schule zu sehen und zu verstehen (vgl. Schoffer, 1977). Ganzheitlicher Unterricht geht davon aus, dass das Lernen grundsätzlich ganzheitlich, also mit Kopf, Herz, Händen und allen Sinnen abläuft. Klafki (1993) fordert Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten. Dazu gehören auch zwischenmenschliche Beziehungsmöglichkeiten und ästhetische Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeiten. In diesem Sinn arbeitet beispielsweise die Rudolf Steiner-Schule, welche sich durch eine gleichmässige Förderung der leiblichen, seelischen und geistigen Entwicklung auszeichnet (Näf, 1988). Und für die Regelschule fordert z.B. Schmassmann (1992) die Anerkennung einer breiten Palette mathematischer Ausdrucksformen im Mathematikunterricht, eben auch nonverbaler Elemente (mit dem Körper „gross“ und „klein“ darstellen, den Kopf schütteln für „nicht wahr“, mit den Fingern Zahlen darstellen, usw.). 31 Die TZI wurde begründet von Ruth Cohn. Sie schuf ein Modell, das Lernen an die Person der Lernenden bindet, Lebendigkeit, persönliches Wachstum und Bezug zur Gesellschaft vereint (vgl. Gudjons, 1995). 32 Goleman (1997) schreibt, dass die Beachtung der Gefühle der Schlüssel zu vernünftigeren persönlichen Entscheidungen sei. 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 43 1.5.3 Schulzimmer Auch die Art der Räumlichkeit und die räumliche Aufteilung haben kommunikativen Charakter: Schulzimmer können autonomes Lernen fördern und unterstützen oder es behindern und abtöten. Achermann (1993, S. 222ff.) fordert deshalb eine heimelige und gemütliche Lernumgebung. „Die unmittelbare Lernumgebung ist für das Lernen bedeutsam“ (Schüpbach, 1997, S. 25). Dazu gehört neben der ganzen Gestaltung des Schulzimmers auch die Anordnung der Pulte. Wenn die Lehrperson beispielsweise etwas darstellen oder erzählen will, sollten die Pulte so angeordnet sein, dass alle Schulkinder sie hören und sehen können. Für einen Gesprächskreis, eine Gruppenarbeit oder eine individualisierende Unterrichtsform empfiehlt es sich, die Pulte entsprechend zu stellen. Jeder Mensch braucht Distanz zum anderen, um sich vor möglichen Angriffen zu schützen. Dieser Abstand ist das persönliche Territorium, in das keine Fremden hineingelassen werden. Ein solches Territorialverhalten ist auch in den Schulzimmern zu beobachten: Mit feinen Bleistiftstrichen markieren Schulkinder ihre Pultfläche, belegen mit persönlichen Gegenständen den ihnen zugestandenen Arbeitsplatz, ritzen ihre Initialen in den von ihnen beanspruchten Stuhl usw. Auch die Lehrpersonen haben ihren persönlichen Raum im Schulzimmer, welchen sie entsprechend mit Gegenständen belegen. Während die Schulkinder meistens an ihren Plätzen sitzen, darf die Lehrperson sitzen, stehen oder umhergehen. Häufig sitzen die Kinder mit gleichbleibendem Blickwinkel. Ausnahme ist wiederum die Lehrperson und jene Schulkinder, die sich nicht an diese Ordnung halten. Entscheidend für das Territorialverhalten ist jedoch, dass die Schulkinder bei einem Eindringen in ihren persönlichen Raum diesen weder verteidigen, noch vor diesem Angriff flüchten können. Heidemann (1983) empfiehlt deshalb, im Umgang mit den Schulkindern grundsätzlich auf die Einhaltung von Distanzzonen zu achten. Dabei gilt, dass je unsicherer die Lehrperson oder die Kinder sind, um so grösser sollte der Abstand zunächst sein. Von einer gewissen Nähe an (weniger als 50 Zentimeter) reagieren Menschen mit Erregung und mit der Erhöhung des Hautwiderstandes. Für Kinder ist es nicht immer eine Wohltat, wenn sich die Lehrperson zu ihnen herabbeugt, sich neben sie setzt oder gar unsichtbar hinter ihnen steht. Andererseits fühlen sich Schulkinder während des Unterrichts mehr in den Unterrichtsprozess einbezogen, wenn die Lehrperson sich in ihrer Nähe befindet. Die Schulkinder verhalten sich dann eher unterrichtsorientiert, und sie beurteilen jene Lehrpersonen, die die körperliche Nähe der Kinder suchen, insgesamt positiver. Auch nimmt die Sprache der Lehrperson bei grösserer räumlicher Distanz zu den Kindern andere Formen an. Sie wird formeller und weniger vertraulich (Meyer, 1991; Rosenbusch, 1995). Die wichtigste Variable bei der Frage nach der Sitzordnung scheint der Blickkontakt zu sein. Schulkinder, die die Lehrperson direkt anschauen, nehmen mehr an der Diskussion teil als jene, die an den Seiten oder hinten sitzen. Auch der Platz des einzelnen in der Gruppe im Bezug zur Position des Lehrers ist für den Blickkontakt von Bedeutung (vgl. Gage & Berliner, 1986). Interessant dürfte hierzu die Beobachtung sein, dass abgelehnte Schulkinder häufig in entferntere Bereiche des Klassenzimmers verbannt werden (Rosenbusch, 1995, S. 196). Es wurden auch Zusammenhänge gefunden zwischen dem Verhältnis von vorhandenem Raum und der Zahl der Interaktionspartner: Überfüllte Klassenzimmer hatten 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht 44 Kapitel 1: Nonverbales Verhalten als Rückmeldung ein weniger produktives Verhalten der Schulkinder zur Folge (Rosenbusch, 1995, S. 193). 1.5.4 Prozessregelung Rosenbusch (1995, S. 180ff.) spricht von einer Polyfunktionalität kommunikativen Handelns im Unterricht. Es ist nämlich möglich, dass die Lehrperson zur gleichen Zeit drei unterschiedliche Botschaften übermittelt und sich dabei an den Schulkindern orientiert. Die Abbildung 3 zeigt eine solche Unterrichtssituation, wo die Lehrperson vor den Schulkindern am Pult angelehnt steht und zu ihnen spricht. • Mitteilung A: Der Inhalt „In dieser Klasse dürfen Fehler gemacht werden.“ wird verbal übermittelt. • Mitteilung B: Mit einer freundlichen Mimik wird nonverbal die Beziehungsbotschaft übermittelt, dass die Lehrperson die Schulkinder mag. • Mitteilung C: Durch das Anheben der linken Hand steuert die Lehrperson nonverbal den Prozess. Orientierung: Die Lehrperson orientiert sich über das nonverbale Verhalten der Schulkinder und nutzt diese Rückmeldungen für ihr eigenes Verhalten. (Wenn sich z.B. die Person rechts in der Abbildung 3 erheben würde, müsste die Lehrperson den Inhalt, die Beziehungsbotschaft und/oder das Prozessverhalten ändern.) Abbildung 3: Die Polyfunktionalität kommunikativen Handelns. Aus: osenbusch, H. S. (1995). Nonverbale Kommunikation im Unterricht - Die stille Sprache im Klassenzimmer. In H. S. Rosenbusch & O. Schober (Hrsg.), Körpersprache in der schulischen Erziehung.(S. 166-206). Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren, S. 181. Die Regulierung der Interaktion ist im Unterricht wichtig, weil meistens mehr als 20 Personen miteinander interagieren. Nonverbale Botschaften sind ein wirksames Verfahren für eine geordnete Interaktion. Somit können prozessuale Aspekte des Unterrichts weitgehend nonverbal geregelt werden, z.B. durch Blickaustausch, Handzeichen, Aufstehen, Abwinken, ermunterndes Zunicken usw. Es gilt: Je besser Lehrperson und Schulkinder aufeinander eingespielt sind, d.h. je mehr regulative Vorgänge bereits ritualisiert und formalisiert sind, desto mehr genügen normalerweise nonverbale Signale, um bestimmte Vorgänge auszulösen (vgl. Rosenbusch, 1995, S. 179). 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen. 45 Für die Regelung der Interaktionsabläufe ist der Blickkontakt von grosser Bedeutung. Auch die Gestik muss hier genannt werden: Schulkinder können sich mit dem Hochhalten der Hand melden, sie werden durch eine Handbewegung der Lehrperson aufgerufen. Reaktionen auf eine Äusserung können in drei Typen auftreten (vgl. Scherer & Wallbott, 1979, zit. n. Rosenbusch, 1995, S. 175): 1. Signale der Aufmerksamkeit (Mitteilung, dass man zuhört - Blickkontakt), 2. Signale des Verstehens (Mitteilung, dass man eine Äusserung verstanden hat Kopfnicken, verständnisvolles Lächeln - oder nicht verstanden hat: Hochgezogene Augenbrauen), 3. Signale der Bewertung (zustimmendes Nicken, ablehnendes Kopfschütteln, unentschiedenes Achselzucken). Allein durch kurz andauerndes Anschauen können disziplinierende Wirkungen bei Schulkindern hervorgerufen werden. Mit einem anhaltenderen Blickkontakt teilt die Lehrperson einem Klassenmitglied mit, sich wieder dem Unterricht zuzuwenden. Das besondere an dieser nonverbalen Prozessregelung ist, dass die Lehrperson gleichzeitig mit der übrigen Klasse weiter kommuniziert. Um die Aufmerksamkeit der Schulkinder von vornherein zu sichern, kann die Lehrperson erst einmal die Blicke der Schulkinder „einsammeln“. Sie soll also erst mit den anwesenden Kindern durch einen Blick Kontakt aufnehmen und danach mit dem geplanten Unterrichtsprogramm beginnen. Nonverbales Verhalten ist ein wichtiges Mittel bei der Disziplinerhaltung, ein wichtigeres als eine kognitive Instruktion. Starke Beeinflussungsmöglichkeiten im Hinblick auf das Klassenmanagement scheinen durch paralinguistische Mittel vorzuliegen: Durch das Anheben oder Senken der Stimme, durch Unterbrechen des Sprechflusses oder Schweigen kann auf den Unterrichtsprozess eingewirkt werden. In dem Kontinuum zwischen offener oder verdeckter Machtausübung nimmt die nonverbale Kommunikation eine Schlüsselstellung ein. Sie ist das Mittel, mit dem sich Menschen am leichtesten manipulieren lassen, denn mit ihrer Hilfe lässt sich soziale Kontrolle am unauffälligsten und wirksamsten ausüben. Dubs (1995, S. 125) fordert deshalb, dass nichtverbales Verhalten in erster Linie zur Unterstützung und Förderung der Lernenden und nur ergänzend zur Kontrolle des Geschehens im Klassenzimmer eingesetzt wird. 1.5 Nonverbale Kommunikation als Chance für den Unterricht