Internierung und Widerstand von Frauen in Frankreich: 1939 – 1944

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Internierung und Widerstand von Frauen in Frankreich: 1939 – 1944
von Mechthild Gilzmer
1. Einleitung:
Zwischen Oktober 1939 und Juni 1944 existierten in Südfrankreich zwei Lager, Rieucros und
Brens, in denen ausschließlich Frauen interniert waren. Auch wenn die geographische und
soziale Herkunft der Frauen unterschiedlicher nicht hätte sein können, so galt doch für alle
gleichermaßen, dass sie – aus noch näher zu betrachtenden Gründen – als besonders gefährlich für die innere Sicherheit Frankreichs angesehen wurden. Die ausschließliche Internierung
von Frauen in spezifischen Lagern gehört zu den lange vernachlässigten Kapiteln der deutschfranzösischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Die Spezifik dieser Internierung, die Tatsache, dass die französischen Behörden eine Trennung der Geschlechter im Rahmen ihrer
ansonsten eher chaotischen Internierungspolitik für notwendig erachteten, ist ebenso auffällig
wie aufschlußreich und sie liefert uns den schlagenden Beweis für die Notwendigkeit, die
Geschlechtszugehörigkeit als zentrale Kategorie bei der wissenschaftlichen Betrachtung der
Internierung zugrunde zu legen. Erst eine Betrachtung der mit dem Geschlecht verbundenen
Zuschreibungen und ihrer konkreten Folgen und Auswirkungen im Rahmen der Internierung
wird uns zu neuen Fragestellungen und damit auch zu neuen Ergebnissen bei der historischen
Analyse führen. Dies gilt auch für den Widerstand von Männern und Frauen und seine historische Aufarbeitung und Bewertung. Ein Historiker, der bei seiner Arbeit die Kategorie
Geschlecht unberücksichtigt läßt, bewegt sich auf seinem Terrain, wie ein Archäologe der den
Spaten vergessen hat. Es fehlt ihm das Instrument, um die tieferliegenden Schichten freizulegen, die sich unter den verstaubten Archiven und den Erinnerungen der Zeitzeugen abgelagert
haben. Erst der Blick darauf, das Erkennen dieser Spur, die sich eingeschrieben hat in die
Geschichte und die geschichtliche Erfahrung, führt zu einem umfassenderen Verständnis der
Vergangenheit zu dem auch Brüche und Diskontinuitäten gehören. Dies betont auch die
renommierte französische Historikerin Michelle Perrot in ihrem Plädoyer für eine
Geschlechtergeschichte:
„L’histoire des femmes et des rapports des sexes pose avec bonheur la question de la permanence et du changement, de la modernité et de l’action, des ruptures et des continuités, de
l’invariant et de l’historicité ... Objet d’enquêtes précises et nécessaires, terrain rêvé pour la
micro-histoire, elle est aussi un terrain de réflexion majeure .... Elle interroge le langage et les
2
structures du récit, les rapports du sujet et de l’objet, de la culture et de la nature, du public et
du privé. Elle remet en cause les partages disciplinaires et les manières de penser.“1
2. Die Geschichte der beiden Lager Rieucros und Brens2
Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht setzt die Einrichtung von Lagern in Frankreich nicht
erst mit dem Ausbruch des Krieges ein. Es handelt sich dabei auch nicht – wie häufig vermutet wird – um eine Maßnahme die mit der Besatzung Frankreichs durch die Deutschen
zusammenhängt. Die Internierung ist ein rein französische Angelegenheit, deren
Durchführung und Organisation ausschließlich von der französischen Administration getragen
wurde.
„Le Centre de rassemblement d’étrangers de Rieucros créé par le décret du 21 janvier 1939, a
été destiné à héberger des étrangers de toutes les nationalités, indésirables en France et qui ne
pouvaient déférer à la mesure d’éloignement dont ils ont fait l’objet.“3
Mit dieser Begründung wurde das Lager Rieucros, bei Mende, der Hauptstadt von Lozère,
dem kleinsten Département Frankreichs, bereits im Januar 1939, also noch während der III.
Republik und lange vor Kriegsausbruch eingerichtet. Die gesetzlichen Grundlagen für diese
Maßnahme waren im November 1938 gelegt worden und bildeten den Höhepunkt einer
restriktiven Politik gegen Ausländer, die in zahlreichen Artikeln und Pamphleten – vor allem
in der rechtsgerichteten Presse - für die wirtschaftliche und soziale Krise verantwortlich
gemacht wurden. Um ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen und beim Wähler als Garant für
die innere Sicherheit zu erscheinen, übernahmen so manche Politiker den fremdenfeindlichen
und antisemitischen Diskurs. Die ersten Zwangsmaßnahmen im Mai 1938 beispielsweise
wurden vom damaligen Premierminister Daladier mit folgendem Argument gerechtfertigt:
„Le nombre sans cesse croissant d’étrangers résidant en France impose au Gouvernement ...
d’édicter certaines mesures que commande impérieusement le souci de la sécurité sociale, de
l’économie générale du pays et la protection de l’ordre public.“ 4
Daladier betont weiter, dass die Veränderungen sich durchaus nicht gegen politische Flüchtlinge richte, sondern dass ausschließlich diejenigen avisiert seien, die sich unerlaubt und mit
1
Michelle Perrot: Les femmes ou les silences de l’Histoire. Paris 1998, Seite XVII
vgl. ausführlich dazu: Mechtild Gilzmer: Fraueninternierungslager in Südfrankreich. Rieucros und Brens
(1939-1944). Berlin 1994
3
Archives Départementales, Lozère, 2 W 2603
4
Journal Officiel, 3. Mai 1938, S. 4967
„Die ständig steigende Zahl von Ausländern, die in Frankreich leben, zwingt die Regierung dazu ... gewisse
Maßnahmen zu ergreifen, die von der Sorge um die soziale Sicherheit, die allgemeine wirtschaftliche Lage des
Landes und die Wahrung der öffentlichen Ordnung getragen sind.“
2
3
falschen Ausweispapieren in Frankreich aufhielten. Der Ministerpräsident weist darauf hin,
dass die politisch Verfolgten selbstverständlich weiter in den Genuß des französischen Asylrechts kommen würden. Gleichzeitig sei Frankreich jedoch nicht länger bereit, Ausländer aufzunehmen, die davon unrechtmäßig Gebrauch machten und das Gastrecht der Franzosen mißbrauchten.5 Diese Regelung traf jedoch eben gerade die Emigranten, da sie Deutschland
meistens in aller Eile und ohne gültige Papiere verlassen mußten. „Ils se trouvaient par la
force des choses en situation irrégulière par rapport au règlement français.“6
Mit dem Ende des spanischen Bürgerkriegs und der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge wurden
diese Gesetze erstmals angewandt und in Rieucros zunächst ehemalige Spanienkämpfer,
Interbrigadisten interniert. Hinter der Vokabel „Unerwünschte“ („indésirables“), die in den
offiziellen Texten immer wieder auftaucht und denen eine besondere Kontrolle gilt, verbergen
sich demnach Ausländer, die in Spanien auf der Seite der Republikaner gegen Franco
gekämpft haben, darunter auch viele Kommunisten. Die Gefahr, die dem französischen Staat
angeblich droht, kommt also von links, was für die „Radicaux de Gauche“, Regierungspartei
der III. Republik, den Vorteil hatte, dass sie damit gleichzeitig ihren früheren
Koalitionspartner in der Volksfrontregierung, die kommunistische Partei diskreditieren und
politisch kalt stellen konnte.
Den Archivunterlagen zufolge waren am 7. März 1939 in Rieucros 62 Ausländer interniert,
die von der Lagerleitung als „Angehörige der Internationalen Brigaden“ charakterisiert
werden und vor dem Ausbruch des Spanienkriegs bereits in Frankreich gelebt hatten – was
wohl bedeutet, dass sie in dieser Zeit bereits registriert und deshalb aktenkundig waren. Unter
den in Rieucros Internierten – und auch das wird häufig vergessen – befanden sich in den
folgenden Monaten ebenfalls zahlreiche Frauen und Kinder, die in den ersten Monaten des
Jahres 1939 mit den Flüchtlingskonvois über die Pyrenäen gekommen und in
Südwestfrankreich gestrandet waren. Ihre Internierung zeigt die Irrationalität der
französischen Internierungspolitik, bei der teilweise die Grenzen zwischen der Bewältigung
eines Flüchtlingsproblems einerseits und der Kontrolle politisch Mißliebiger fließend waren.
Es zeigt sich ebenfalls bei all dem, dass die Internierungspraxis und die öffentliche
Diskussion, die sie begleiten, die Ideologie und Praxis des Vichy Regimes vorwegnehmen. In
5
ebd.
„Cet esprit de générosité envers celui que nous nommerons l’étranger de bonne foi trouve sa contrepartie
légitime dans une volonté formelle de frapper désormais de peines sévères tout étranger qui se serait montré
indigne de notre hospitalité! Et, tout d’abord, la France ne veut plus chez elle d’étrangers ‚clandestins‘, d’hôtes
irréguliers: ceux-ci devront, dans le délai d’un mois .. s’être mis en règle avec la loi ou, s’ils le préfèrent, avoir
quitté notre sol.“
6
Barbara Vormeier, in: Gilbert Badia: Les barbelés de l’exil. Etudes sur l’émigration allemande et autrichienne,
1938-1940. Grenoble, Presses universitaires de Grenoble, 1979, S. 162
4
einer Studie mit dem bezeichnennden Titel „die republikanischen Ursprünge von Vichy“7
zeigt der französische Sozialwissenschaftler Gérard Noiriel sehr deutlich, wie die III.
Republik durch die Kriminalisierung der Ausländer die Politik der Ausgrenzung des VichyRegimes vorbereitet hat. Sein Blick auf einen längeren historischen Zeitraum macht deutlich,
dass die Diskriminierung, die sich unter Pétain voll entfalten wird, dadurch erleichtert wurde,
dass bestimmte Auschlußformen bereits in die Gesetze der Republik aufgenommen wurden
und auf diese Weise den meisten Bürgern legitim, d.h. normal erschienen. Die Tatsache, dass
man schon in der III. Republik Listen von Ausländern erstellte, bot eine wichtige
administrative Grundlage bei der Umsetzung der Judenverfolgung Vichys vor allem bei der
Verfolgung der Juden, die nicht die französische Staatsangehörigkeit besaßen.
Bei Ausbruch des Krieges im September ‘39 stellte sich für die französischen Behörden die
Frage, wie die zahlreichen Ausländer im wehrdienstfähigen Alter zu behandeln seien, ob und
wie sie in den Kriegshandlungen eingesetzt werden sollten. Eine eigens zu diesem Zweck
eingerichtete Kommission „commission de criblage“ entschied über Freilassung oder Internierung der rund 15000 vorwiegend deutschen und österreichischen Emigranten, die in den
ersten Kriegsmonaten interniert wurden. Mitte Januar 1940 befand sich ein Teil der „politisch
Unverdächtigen“ wieder auf freiem Fuß. Diejenigen, von denen man entweder annahm oder
auch wußte, dass sie politisch links waren, kamen in spezielle Lager, sogenannte „camp
répressif“. Die Männer brachte man in das berüchtigte Lager „Le Vernet“ in den Pyrenäen, in
dem neben zahlreichen Kadern der deutschen kommunistischen Partei auch der Schriftsteller
Friedrich Wolf und sein Kollege Rudolf Leonhardt interniert waren. Die Frauen kamen nach
Rieucros, das somit im Oktober 1939 zum reinen Frauenlager wurde.
Mit der Verordnung vom 18. November 1939 wurde die Überwachung und Kontrolle von
„Verdächtigen“ noch umfassender gesetzlich abgesichert. Mit diesem Gesetz war eine
Ausnahmeverordnung geschaffen worden, derzufolge nicht mehr nur noch unliebsame
AusländerInnen, sondern auch Franzosen und Französinnen unter Hinweis auf die von ihnen
ausgehende Gefahr für die innere Sicherheit und öffentliche Ordnung aus dem Verkehr
gezogen werden konnten – eine Maßnahme, die mit dem Kriegsausbruch begründet wurde. In
einem Bericht des Lagerkommandanten heißt es dazu: „Seit dem Waffenstillstand wurde eine
Reihe von Französinnen unter Bezugnahme auf das Dekret vom 18. November 1939 nach
Rieucros gebracht.“8 Wie aus den Lagerarchiven hervorgeht, waren tatsächlich bereits ab
7
8
Gérard Noiriel: Les origines républicaines du régime de Vichy. Paris, Hachette, 1999
Archives Départementales, 2 W 2805
5
Dezember 1939 Französinnen in Rieucros interniert. Die gemeinsame Internierung der
französischen und ausländischen Frauen war ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht.
Die Frage, warum die Französinnen letztendlich doch von Ende 1939 bis zur Auflösung der
Lager zusammen mit den Ausländerinnen interniert wurden, kann nicht eindeutig beantwortet
werden.
Bei dem Versuch, die Geschichte der Internierung dieser „verdächtigen Frauen“ zu rekonstruieren, sind drei Etappen zu unterscheiden, in denen sich Funktion und Umstände der
Internierung verändern und jeweils anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchen:
-
Die erste Phase, die den Zeitraum des „merkwürdigen Kriegs“, des „drôle de guerre“
umfaßt und mit dem Vormarsch der Deutschen, dem Waffenstillstandsabkommen und
der Rückkehr zahlreicher deutscher Frauen nach Deutschland endete (Oktober 1939 August 1940).
-
Die zweite Phase bis zum Transfer am 15. Februar 1942 in das bei Gaillac gelegene
Lager Brens, 60 km nordöstlich von Toulouse. Diese Phase ist gekennzeichnet durch
den kontinuierlichen Rückgang der deutschen und spanischen Internierten (Rückkehr
ins Herkunftsland, Emigration nach Übersee) und die Zunahme der Französinnen
-
Die dritte Phase in Brens bis zum Ende des Krieges, in deren Verlauf die Deportationen jüdischer Internierter stattfanden.
3. Die Internierten und die Internierungsgründe
„In Ausführung der Anordnung des Innenministers vom 19. September erlaube ich mir, Ihnen
mitzuteilen, daß ich vorschlage, die in diesem Schreiben genannten Spanienflüchtlinge unter
Bewachung in das Lager Rieucros überstellen zu lassen.“ So oder mit ähnlichem Wortlaut
beginnen zahlreiche Schreiben, in denen die Präfekten anderer Départements in den folgenden
Monaten um die Möglichkeit ersuchen, Frauen nach Rieucros zu schicken.9 Die Begründung
dafür ist ebenso einfach wie stereotyp: Es handelt sich um „Unerwünschte“, „Verdächtige“.
Wirft man einen genauen Blick auf den weiteren Text, so offenbart sich hinter den
administrativen Floskeln eine merkwürdige Mischung aus Moral und Politik, in der eine
Ideologie zutage tritt, die sich unter dem Vichy-Regime zur vollen Blüte entfalten wird. Die
betroffenen Frauen „haben sich nicht nur in moralischer Hinsicht und in ihrem Betragen
strafbar gemacht, sondern sie sind darüber hinaus auch noch unerwünscht, weil sie ständig
6
versuchen, mit Gruppen von Kommunisten anzubändeln.“10 Es ist frappierend, wie
konservative Politiker hier unter dem vorgegebenen Schlagwort „unerwünscht“ versuchen,
jene Frauen zu kriminalisieren, deren Lebensstil den Rahmen der bürgerlichen
Vorstellungswelt und Normen sprengt. Und dazu bedarf es freilich wenig: Da wird z.B. eine
Emigrantin russischer Abstammung „aufgrund ihrer Vergangenheit“ als besonders gefährlich
eingestuft, denn „es handelt sich um eine ehemalige Tänzerin, ohne festes Einkommen, die
mit einem Marineoffizier liiert ist.“11
Der für die Aufnahme in das Lager zuständige Präfekt des Departements Lozère sieht sich mit
einer Flut von Anträgen konfrontiert, die alle nach diesem Muster gestrickt sind. In seinen
Antwortschreiben betont er immer wieder die spezifische Funktion des Lagers und lehnt deshalb einige Anfragen ab. An den Präfekten von Seine et Marne schreibt er zum Beispiel im
Dezember 1939: „Das Lager Rieucros ist dazu bestimmt, Frauen aufzunehmen, die gefährlich
für die innere Sicherheit sind und politisch extremistische Ansichten äußern. Die Frauen, von
denen sie sprechen, sind aber lediglich disziplinlos.“12
Die amtliche Korrespondenz belegt, daß man seitens der lokalen Behörden durchaus darauf
bedacht war, den spezifischen Charakter des Lagers als einem „camp répressif“ zu bewahren
und den Strom der Unerwünschten jeglicher Couleur aus ganz Frankreich aufzuhalten. Doch
bereits in der Aufforderung des Innenministers an den Präfekten, wöchentlich eine Liste aller
internierten Frauen an den zuständigen Leiter der Staatssicherheit in Paris zu übersenden,
wird neben den politischen Internierungsgründen „gefährlich für die innere Sicherheit“ und
„Verbreitung extremistischer Ideen“ die Kategorie „Vorbestrafte“ genannt.
In Ausführung dieser Order erstellt der Lagerkommandant am 14. Dezember 1939 einen
Bericht, in dem insgesamt 249 Internierte verzeichnet sind. Erstaunlicherweise taucht hier
noch eine vierte Kategorie auf, die „andere Motive“ für die Internierung angibt. Hinter diesem
Oberbegriff verstecken sich solche Delikte wie „schlechte Führung“, „leichter Lebenswandel“, „fehlende Ausweispapiere“ und vor allem ein vielsagendes „etc.“
Ein Blick auf die Statistiken belegt: Die Frauen, die aufgrund sogenannter „anderer Motive“
interniert wurden, bilden bis zur Auflösung des Lagers Rieucros und dem Transfer nach Brens
immer die größte Gruppe. Diese Kategorie bot die Möglichkeit für willkürliche Internierungen. „Verdächtig wegen ihrer zahlreichen Reisen nach Deutschland“, „gefährlich für die
9
Stadtarchiv Mende , ungeordnetes Aktenbündel
ebd.
11
Ebd.
12
Archives Départementales Lozère, 2 W 2603
10
7
öffentliche Gesundheit“, „fällt durch heftige und bösartige Reaktionen auf“ so oder ähnlich
grotesk lauten die Kommentare, mit denen diese Internierungen gerechtfertigt werden.
Gleichzeitig wird mit dem Vorwurf des leichten Lebenswandels aber auch Etikettenschwindel
betrieben. Zahlreiche der politisch aktiven Emigrantinnen wurden offiziell nicht wegen ihrer
politischen Überzeugung und ihrer Aktivitäten interniert, sondern wegen „galanterie“, womit
im Klartext Prostitution gemeint war. Gilbert Badia, der in seinem Aufsatz über Rieucros
diesen Tatbestand herausstreicht, zieht zur Erklärung ein Schreiben von Felix Chevrier, dem
Leiter der staatlichen Lagerkommission heran: „Manch eine der Frauen, die man eines leichten Lebenswandels beschuldigt, ist vermutlich nur da, weil sie zu selbstbewußt aufgetreten
ist.“13
Dieser Sachverhalt hängt mit dem Status und der besonderen Situation der betroffenen Frauen
zusammen. Unter den von der ersten Internierungswelle betroffenen Frauen befand sich ein
hoher Anteil relativ junger unverheirateter Frauen, die bedingt durch die spezifische Situation
des Exils mehr oder weniger enge, durch den gemeinsamen politischen Kampf geprägte Bindungen eingingen. Nur die wenigsten Paare jedoch waren verheiratet, zumal eine Eheschließung aufgrund mangelnder Papiere häufig schon von vornherein unmöglich war. Für die französischen Behörden aber war die unverheiratet mit einem Mann zusammenlebende Frau a
priori verdächtig, da sie damit gegen die herrschenden Moralvorstellungen verstieß. Bei ihrer
Verhaftung erhielt diese Tatsache dann ein größeres Gewicht als ihre politische Überzeugung
und wurde als wesentliches und die Internierung entscheidendes Argument herangezogen.
Die Tatsache, daß in Rieucros tatsächlich auch Prostituierte zusammen mit den „Politischen“
interniert wurden, verstärkte diese Ambiguität noch. Sie verweist auf einen spezifischen
Aspekt bei der Internierung von Frauen, den es näher zu betrachten gilt. Die Tatsache, daß die
von den Frauen ausgehende Gefahr in ihrem „Lebenswandels“ und nicht in ihrem politischen
Engagement gesehen wurde, stellt einerseits eine Minimierung der Bedeutung der Frauen dar,
die sich doch gerade als politische Wesen verstehen. Gleichzeitig wird darin deutlich, daß die
den Internierungsprozeß anordnende Institution im Falle der Frauen nicht nur deren Ideen,
sondern auch ihren Körper, ihr Geschlecht thematisieren.
In Brens wird diese Mischung noch flagranter sein, insofern, als die Prostituierten im April
1943 ein Drittel der Lagerpopulation darstellen. Aus dem Briefwechsel zwischen
Lagerbehörde und Präfekt geht hervor, daß dies erhebliche Probleme mit sich brachte. Der
Lagerkommandant betonte immer wieder eindringlich den schädlichen Einfluß der
13
Rapport Chevrier, CDJC, 1/04/1940
8
Prostituierten auf die anderen Frauen und forderte nachdrücklich eine Lösung. Er schreibt,
daß die gemeinsame Internierung der aus ganz unterschiedlichen Gründen internierten Frauen
Auswirkungen hat, „deren ganzes Ausmaß ich zur Zeit noch nicht abschätzen kann.“ Was er
nicht ausspricht, bringt der stellvertretende Generalinspektor der Internierungslager, Lebègue
in seinem Bericht vom April 1943 unverblümt zur Sprache.14 Die Anwesenheit der
zahlreichen Prostituierten provoziert im Lager angeblich genau das, was man durch die
Internierung zu verhindern versucht hatte: ein unkontrolliertes Sexualleben. Zum Zeitpunkt
der Abfassung des Berichts wurden drei Wärter „wegen sexueller Beziehungen mit
Internierten entlassen“, schreibt Lebègue. Wie seine Nachforschungen ergeben, soll es im
Lager zwanzig homosexuelle Paare geben, was ihn zu dem Kommentar veranlaßt:
„Wie sollte es auch anders sein, da doch 28% der Internierten Prostituierte sind.“ Die
gemeinsame Unterbringung in einer Baracke zusammen mit den Prostituierten, von denen
angeblich zwei Drittel an Geschlechtskrankheiten erkrankt waren, wurde auch von zahlreichen Mitinternierten heftig kritisiert. Einige beklagen sich, „daß sie zur gleichen Zeit in der
Krankenstube behandelt würden, wie die Prostituierten.“ Die relativ hohe Zahl der Prostituierten, die sich im Laufe des Jahres 1943 zum Arbeitsdienst nach Deutschland meldeten, läßt
vermuten, dass man ihnen diese Lösung - mehr oder weniger nachdrücklich - nahegelegt
hatte. Ab August 1943 wurden viele Prostituierte entlassen. Auf besondere Anweisung von
Pétain wurden im September 1943 insgesamt 69 der unter der Kategorie „Prostituierte“
geführte Frauen freigelassen, und drei Monate später schreibt der Lagerkommandant: „Die
Freilassung fast aller wegen ihres Lebenswandels internierten Frauen hat zu einer erheblichen
Beruhigung im Lager geführt.“
In Ermangelung eindeutiger Hinweise in den Archivunterlagen können an dieser Stelle nur
Vermutungen zu den genauen Hintergründen dieser Maßnahme und der Motivation der Behörden geäußert werden. Zunächst war deren Entscheidung wohl vor allem von der Sorge
bestimmt, die Ausbreitung epidemischer Krankheiten im Lager zu verhindern und eine Eskalation der Spannung zwischen den verschiedenen Gruppen zu vermeiden. Gleichzeitig offenbart sich darin aber auch, wie sehr die Internierungspolitik von Willkür und Unwägbarkeiten
bestimmt war, was sich im konkreten Fall zugunsten der Betroffenen auswirkte.
Die noch verbliebenen jüdischen Frauen kamen im Verlauf des Jahres 1943 und auch noch
Anfang 1944 in die unterschiedlichsten Lager, Heime oder Zentren. Je nachdem, welcher
Institution diese unterstanden und wer sie leitete, konnte das die Rettung vor der Deportation
14
AD Tarn, 495 W
9
bedeuten. Am 3. Juni 1944 wurde Brens dann von den Deutschen beschlagnahmt und die
restlichen 151 Frauen wurden in das Lager Gurs in den Pyrenäen gebracht, das am 25. August
1944 offiziell aufgelöst wurde. Nach der Befreiung diente das Lager Brens zur Internierung
von Kollaborateuren und Schwarzhändlern.
4. Internierung und Widerstand
Es wird nun im folgenden zu zeigen sein, wie Internierung und Widerstand von Frauen
zusammenhängen. Dafür ist es hilfreich, die Internierung als eine Art Kristallisationspunkt zu
begreifen, der den Widerstand in eine zeitliche Abfolge gliedert, in einen Widerstand vor,
während und nach der Internierung.
In vielen Fällen ging der Widerstand der Internierung voraus, diente als Argument für die
Internierung - auch wenn er sich auf ganz unterschiedliche Weise geäußert hatte.
Für einige der Frauen hatte dieser Widerstand bereits lange vor der Emigration begonnen. Für
die 1888 geborene Rosi Wolfstein beispielsweise schon 1914, als sie als Mitglied des
Kreisvorstandes der SPD engagiert Stellung gegen die Burgfriedenpolitik ihrer Partei ergreift.
In der Novemberrevolution 1918 wurde sie in den Düsseldorfer Arbeiter- und Soldatenrat
gewählt, und als Delegierte Mitbegründerin der KPD in Berlin, für die sie 1921 in den
Preußischen Landtag gewählt wurde; 1929 schloß man sie allerdings bereits als
„Rechtsabweichlerin“ wieder aus der Partei aus. Im März 1933 emigrierte sie nach Belgien
und 1936 weiter nach Paris, wo sie als Mitglied der SAP-Auslandsleitung publizistisch tätig
war und für die deutsche Volksfront warb.
Ob Kommunistin oder Sozialdemokratin, viele der internierten Frauen hatten aufgrund ihrer
parteipolitischen Zugehörigkeit und politischen Aktivitäten aus Deutschland fliehen müssen
und setzten ihre Arbeit nun in Frankreich fort.
Andere wiederum kämpften als Ärztinnen oder Krankenschwestern an der Seite der
Republikaner im spanischen Bürgerkrieg, wie beispielsweise die 1907 in Hamburg geborene
Lisa Mössl, die am 17. November 1939 ins Lager kam oder die 1916 in Lublin geborene
Krankenschwester Helen Brzustowa, die dann später vom Lager Brens aus im August 1942
nach Auschwitz deportiert wurde, wo sie umgekommen ist.
Lisa Holländer aus Lodz, die als Jüdin nicht hatte studieren können und deshalb
Krankenschwester geworden war, hatte vor ihrem Engagement im spanischen Bürgerkrieg
10
bereits einschlägige politische Erfahrungen gesammelt. Sie schloß sich einer Gruppe der
Internationalen Roten Hilfe an und wurde 1927 zum ersten Mal verhaftet. Als Mitglied der
kommunistischen Partei Polens mußte sie ihre Arbeit - da die Partei verboten war - in der
Illegalität fortführen. Sie arbeitete im Lodzer Komitee für Frauenarbeit und wurde dann
Mitglied vom Militärauschuß des Zentralkomitees. 1936, nachdem sämtliche Mitglieder des
Ausschußes verhaftet worden waren, ging sie über Frankreich nach Spanien und nahm als
Krankenschwester am spanischen Bürgerkrieg teil.15 Gertrud Rast (geb. Gräser), die in der
Arbeiter-Jugend Bewegung aktiv war, wurde schon im Ersten Weltkrieg wegen
Antikriegspropaganda in „Schutzhaft“ genommen. Sie ging bald nach der Machtergreifung
Hitlers nach Frankreich und arbeitete in Paris für die Pariser Emigrantenzeitung „Pariser
Tageblatt“.16 Ein anderes Beispiel ist Steffi Spira, die 1931 in die kommunistische Partei
eintrat und als Schauspielerin in der von Gustav Wangenheim geleiteten Theatergruppe
„Truppe 31“ mitspielte und die sich nur in letzter Minute der Verhaftung durch ihre Flucht in
die Schweiz und nach Frankreich retten konnte. Dort wirkte sie von 1934-1938 zusammen mit
ihrem Mann Günther Ruschin beim Emigrantentheater „Die Laterne“ mit.
Die Liste der engagierten und politisch aktiven, widerständigen Frauen könnte beliebig
verlängert werden. Ihr Engagement gegen Krieg, Nationalsozialismus und Faschismus waren
Gründe genug für die französischen Behörden der III. Republik, sie als besonders gefährlich
anzusehen und zu internieren.
Die Tatsache, dass sich unter den in Rieucros internierten Frauen eine große Zahl von Frauen
mit politischen Überzeugungen und Erfahrungen befand, bewirkte dass sich auch im Lager
intensive widerständische Aktivitäten entwickelten. Die politisch geschulten Frauen
organisierten sich in Kleingruppen, analysierten ihre Situation, reagierten auf Mißstände und
stellten konkrete Forderungen an die Lagerleitung. Dies betraf beispielsweise die Frage der
nach Nationalitäten getrennten Unterbringung der Frauen in verschiedenen Baracken, ebenso
wie gemeinsame Protestaktionen, wenn es zu Übergriffen der Lagerleitung kam. Während
diese Aktionen im Verlauf des ersten Jahres stärker von den ausländischen Frauen getragen
wurde, kam den Französinnen im Lauf der Zeit und aufgrund ihrer zahlenmäßigen Bedeutung
ab 1941 und vor allem in Brens eine Schlüsselrolle zu. Bei einem Treffen aller
Lagerkommandanten der freien Zone im September 1941 im Innenministerium in Vichy
wurde auch die Frage der politischen Aktivitäten im Lager erörtert. Der Lagerkommandant
15
Weitere Informationen finden sich in Petra Lataster-Czisch: Eigentlich rede ich nicht gerne über mich.
Lebenserinnerungen von Frauen aus dem spanischen Bürgerkrieg 1936 – 1939. Leipzig und Weimar 1990
16
Vgl. Gertrud Rast: Allein bist du nicht. Kämpfe und Schicksale in einer schweren Zeit. Frankfurt a. M. 1972
11
von Rieucros betonte bei dieser Gelegenheit die intensive politische Aktivität der internierten
Frauen in seinem Lager: „Eine kleine Gruppe von Internierten (speziell einige Frauen von
ebenfalls aus politischen Gründen internierten Männern) machen aktive Propaganda in diesem
Lager, in dem keinerlei Möglichkeit besteht, die verschiedenen Internierten getrennt
unterzubringen.“17
Die Zeugnisse ehemaliger Internierter und die entsprechenden Passagen in den Berichten der
Lagerverwaltung bestätigen, dass die Französinnen ihre politischen Überzeugungen
tatsächlich sehr direkt und offensiv zum Ausdruck brachten, sei es in ihrer Korrespondenz als
Kritik am Regime und an den herrschenden Zuständen, oder sei es durch gemeinsame
Aktionen der Selbstbehauptung und des Widerstands. Diese Aktivitäten wurden von der
Verwaltung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und ebenso wie die zahlreichen Briefe
genauestens kontrolliert. Der Eintritt der Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg bedeutete für
die internierten Kommunistinnen eine Stärkung ihrer politischen Position. Die prosowjetische
Propaganda der französischen Kommunistinnen wurde mit Besuchs- und Schreibverbot für
alle Internierten sanktioniert, ein geschickter Schachzug der Lagerleitung, die mit dieser
Kollektivstrafe die aus ganz unterschiedlichen Gründen internierten Frauen gegeneinander
auszuspielen versuchte. Die Angst vor möglichen Unruhen im Lager scheint recht groß
gewesen zu sein. Als die Französin Mathilde Péri, die Ehefrau des bekannten
Kommunistenführers Gabriel Péri, der im Dezember 1941 von den Deutschen erschossen
wurde, Anfang 1940 ins Lager kam, brachte man sie und ihre Schwester Pauline ebenso wie
deren zweijährige Tochter und die siebzigjährige Mutter getrennt von den anderen unter. Die
Parteizugehörigkeit der Frauen zu der im Widerstand aktiven kommunistischen Partei und die
dadurch gegebenen Verbindungen zu Mitgliedern von Widerstandsgruppen bildete auch die
Voraussetzung für die erfolgreichen Fluchtversuche einiger Frauen aus dem Lager Brens.
Die wohl spektakulärste Widerstandsaktion fand am 26. August 1942 anläßlich der
Deportation von 31 jüdischen Frauen statt. In zahlreichen mündlich und schriftlich
überlieferten Berichten ist von diesem Ereignis die Rede. Die deutsche Kommunistin Gertrud
Rast schreibt in ihrer Autobiographie: „ Wir hatten uns wie abgesprochen, alle an einem Ende
der Baracke gesammelt. Die für den Transport bestimmten Frauen und Mädchen standen an
der Außenwand zusammengedrängt. Wir anderen, wir nicht Betroffenen oder Noch-NichtBetroffenen, standen in dichten Reihen vor ihnen, um sie zu decken.“18
Es folgte ein verzweifelter Kampf, der trotz aller mutigen Anstrengungen an der männlichen
Übermacht scheitern mußte und mit dem Abtransport der Frauen endete. Im offiziellen
17
Archives Départementales Lozère, 2 W 2603
12
Bericht des Monats August heißt es dazu lapidar: „Die Ereignisse des 26. August, das heißt
die Verlegung der jüdischen Frauen ins Lager Saint-Sulpice mit dem Ziel ihres weiteren
Transfers aus Frankreich hat unter den verschiedenen Gruppen im Lager eine gewisse Unruhe
hervorgerufen.... Die Französinnen haben einige Schreie ausgestoßen, um außerhalb des
Lagers den Eindruck zu erwecken, die Jüdinnen würden brutal behandelt.“19
Weniger spektakulär doch durchaus wirkungsvoll waren die von den Politischen organisierten
und durchgeführten kulturellen Aktivitäten, die eine spezifische Art des Widerstands
darstellten. Dazu gehörten Sprachkurse und Vorträge ebenso wie Aufführungen von
Theaterstücken und sogenannte bunte Abende. Schon bald nach ihrer Ankunft in Rieucros
begannen die Frauen mit der Darbietung von szenischem Spiel. Als erstes Datum für eine
solche Aufführung nennt Steffi Spira Weihnachten 1939: „Mit einigen Frauen studierte ich
ein paar Kurzszenen ein. Genannt le petit instant, der kleine, der kurze Augenblick – die
Redensart der Polizisten, die uns in Paris verhaftet hatten ... Eine Szene zeigte auf dem
Bahnhof den Abtransport ins Ungewisse. Eine andere unsere Ankunft in Rieucros.“20
Als Anlässe für Darbietungen wurden Jahrestage gewählt, wie der 8. März, der Internationale
Frauentag, der 1. Mai, der 14. Juli oder auch der 10. November, der Jahrestag der russischen
Oktoberrevolution, mit der die Frauen ihre Verbundenheit mit revolutionärem Gedankengut
und der Tradition der Arbeiterbewegung kundtun. Ein wesentliches Merkmal der
Aufführungen bestand in der kollektiven Vorbereitung und einer ungewöhnlichen Mischung
von Genres und Sprachen. Die dabei entstandenen Kampf- oder Gelegenheitsgedichte dienten
ganz offensichtlich dazu die politischen Überzeugungen der Frauen zum Ausdruck zu bringen
und eine Atmosphäre der Solidarität und Gemeinschaft zu schaffen. Gleichzeitig boten sie
eine Abwechslung im bedrückenden Lageralltag: sie waren bewährte Mittel gegen
Niedergeschlagenheit, Angst, Verzweiflung und Ratlosigkeit der Frauen.
Trotz dieser vielfältigen Aktivitäten waren die Handlungsspielräume der internierten Frauen
und die Möglichkeiten ihrer Einflußnahme auf den engen Rahmen der Internierung
beschränkt, so dass es das verständliche Ziel vieler Frauen war, das Lager zu verlassen. Dies
galt verstärkt für die ausländischen Frauen, die aufgrund ihrer früheren politischen Aktivitäten
mit der Auslieferung an Deutschland rechnen mußten und vor allem für die jüdischen Frauen,
denen die Deportation drohte. Deshalb versuchten viele ausländische Frauen im Verlauf des
18
Gertrud Rast, ebd., S. 25
Archives Départementales Tarn 495 W
20
Steffi Spira-Ruschin: Trab der Schaukelpferde. Berlin, Weimar 1983, S. 157
19
13
Jahres 1941 das Lager zu verlassen. Diejenigen von ihnen, für die eine Weiteremigration in
ein außereuropäisches Land in Frage kam, konnten zur Erledigung der notwendigen
Formalitäten vorübergehend nach Marseille. Doch auch diejenigen, die keinesfalls die
Absicht hatten, Europa endgültig zu verlassen, nutzen die vorübergehende Freilassung, um
unterzutauchen und in den Widerstand zu gehen. Aufgrund der Intervention entsprechender
Hilfsorganisationen kamen im Frühjahr 1941 eine ganze Reihe von tschechischen und
italienischen Internierten nach Marseille ins Transitlager Bompard. „Es wäre allerdings ein
Irrtum“, so schreibt die tschechische Schriftstellerin Lenka Reinerova, die auf einigen
Umwegen nach Mexiko emigrierte, „daß für uns nunmehr eine Art Idyll angebrochen war.
Wir mußten Frankreich so schnell wie möglich verlassen, sonst drohte uns die Rückkehr
hinter Stacheldraht. Ohne Geld und zudem unter polizeilicher Begleitung die notwendigen
Reisedokumente, Visum und Schiffskarte zu erhalten war nicht gerade einfach. Dennoch
verließen wir mit der Zeit das Bompard. Manche von uns verließen in der Tat sogar
Frankreich .. Andere wiederum verschwanden in der Illegalität, außerhalb der Reichweite der
französischen Polizei und der deutschen Spitzel. .. Zu ihnen zählte Käthe, die dann bis zum
Ende des Krieges im französischen Widerstand tätig war. Auch Estella verschwand eines
Tages aus dem Bompard.“21 Mit „Käthe“ ist die mitinternierte Tschechin Katharina
Nekvasilova, geb. Adlerova gemeint, die sich in Paris in einer Widerstandsgruppe anschloß.
Hinter dem Vornamen „Estella“ verbirgt sich die Italienerin Teresa Noce, die ab Sommer
1941 die Gesamtleitung der MOI (Main d’Oeuvre Immigré: eine von der KPF getragene
Widerstandsgruppe, in der ausländische Immigranten mobilisiert waren) im Süden
Frankreichs übernahm. Teresa Noce, Mitglied des Zentralkommitees der kommunistischen
Partei Italiens und Ehefrau von Luigi Longo, einem der Führer der Partei erinnert sich in ihrer
Autobiographie: „J’étais chargé par le Parti communiste français de diriger le travail de la
Main-d’oeuvre immigrée et commençai à organiser mon travail à Marseille en établissant les
contacts nécessaires avec les émigrés des différents pays. Je formai pour cela un petit groupe
de camarades chargés de maintenir les liaisons... Pendant un certain temps, notre travail
consista surtout à diffuser parmi les émigrés le matériel du Parti après l’avoir traduit dans les
différentes langues.“22 1943 wird Teresa Noce in Paris verhaftet und nach Ravensbrück
deportiert, was sie wie ein Wunder überlebt hat.
Von den zahlreichen Frauen, die den Schritt aus dem Lager in die Illegalität mit allen Folgen
wagten, sind uns nur wenige bekannt. Wenn sich Spuren ihrer Tätigkeit überliefert haben, so
21
Lenka Reinerova: Der Ausflug zum Schwanensee. Berlin und Weimar 1985, S. 49
Teresa Noce: Rivoluzionaria professionale, Florence, La Piètra, 1974. Zitiert nach: Grégoire Georges-Picot:
L’innocence et la ruse. Les étrangers dans la Résistance en Provence 1940-1944. Editions Tirésias, S.43
22
14
nur weil sie innerhalb einer Widerstandsorganisation eine bedeutende Funktion innehatten
oder wenn die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand für das offizielle
Selbstverständnis eine wesentliche Rolle spielte – wie beispielsweise in der DDR. Dieser
Tatsache ist es auch sicher zu verdanken, dass wir etwas über die Aktivitäten einiger
deutscher „Antifaschistinnen“ wissen. Bekannt sind vor allem diejenigen Frauen, deren Wege
und Schicksale von einer Weggefährtin, der Widerstandskämpferin Dora Schaul nach dem
Krieg in einem Buch mit dem Titel „Résistance. Erinnerungen deutscher Antifaschisten“23
beschrieben wurden. Dora Schaul selbst floh am 14. Juli 1942 aus dem Lager Brens und
arbeitete – wie einige andere Frauen auch – als zivile Arbeitskraft bei deutschen
Wehrmachtsstellen, um Informationen für die Résistance zu finden. Andere verpflegten und
versteckten Widerstandskämpfer; vereinzelt nahmen deutsche Widerstandskämpferinnen auch
am bewaffneten Widerstand teil. Lisa Ost und Hedwig Rahmel-Robens z.B., die zwischen
1937 und 1939 als Krankenschwester bei den Internationalen Brigaden in Spanien waren,
gehörten seit 1943 der Résistance Gruppe „Bir-Hakeim“ an, die im südfranzösischen
Departement Lozère operierte. Im Juli 1944 fielen sie Wehrmachtsverbänden in die Hände
und wurden von ihnen umgebracht. Für andere Frauen wiederum endete die Tätigkeit
innerhalb der Résistance in Ravensbrück, wo einige den Tod fanden.
Eine spezifische und besonders gefährliche Aufgabe bestand vor allem für die
deutschsprachigen Emigrantinnen im Rahmen des sogenannten Travail Anti-Allemand (TA)
in der Kontaktaufnahme mit deutschen Wehrmachtssoldaten, die sowohl als Zielscheibe der
Propaganda als auch als Informationsquelle genutzt wurden. In diesem Zusammenhang ist die
Tatsache unbedingt hervorzuheben, dass sich viele Frauen nach dem Krieg mit dem indirekten
oder auch direkten Vorwurf der Prostitution konfrontiert sahen. Es scheint fast, als müsse ihre
Rollenüberschreitung und die damit verbundene Unabhängigkeit im Nachhinein sanktioniert,
ihre Bedeutung diskreditiert werden.
Wie wir bereits gesehen haben, waren nicht nur die zahlreichen Ausländerinnen, sondern in
zunehmendem Maße auch Französinnen aufgrund ihrer Widerstandstätigkeit von der
Internierung betroffen. Öffentliche Kritik am System, das Verteilen von Flugblättern, die
frühere Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei reichten für diese Kontroll- und
Disziplinierungsmaßnahme schon oft aus. Die Zahl der internierten Französinnen nahm im
Verlauf der Zeit stetig zu und stieg von 101 im Februar 1942 auf 206 im August 1943. Diese
Zunahme spiegelt die kontinuierliche Mobilisierung der Bevölkerung in der Folge der
23
Résistance. Erinnerungen deutscher Antifaschisten. Zusammengestellt und bearbeitet von Dora Schaul. Berlin
15
verschiedenen repressiven Maßnahmen der Besatzungsbehörden wieder, auf die auch die
Frauen mit widerständischen Aktionen reagierten. Darüber hinaus hing sie auch mit der
ideologischen Konsolidierung des Vichy-Regimes und der von Pétain lancierten „nationalen
Révolution“ zusammen. Dazu gehörte als wesentliches Element die Festschreibung einer
bestimmten, das System stabilisierenden gesellschaftlichen Rolle der Frau. Mit dem Erlaß
vom 11. Oktober 1940, der mit einer Reihe von Regelungen den kontinuierlichen Ausschluß
der Frauen aus dem Berufsleben vorsah, wurde diese Entwicklung eingeleitet.24 Zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurde darin z.B. die Entlassung von verheirateten Frauen
aus dem öffentlichen Dienst festgelegt. Gleichzeitig setzte eine vehemente Propaganda ein,
nach der die eigentliche Bestimmung der Frau ihre Funktion als Ehefrau und Mutter sei.25
Die damit einhergehende Kontrolle über den Körper der Frau schloß das Verbot der
Verhütung und vor allem die drastische Bestrafung von Abtreibungen mit ein. Die
Nichteinhaltung der Gesetze wurde unerbittlich geahndet und am 29. August 1943 mit der
Hinrichtung einer „Engelmacherin“ ein brutales Zeichen gesetzt. Dagegen stellt die
Internierung in Brens, die für eine Reihe von Frauen aus diesem Grund nachweisbar ist, eine
vergleichsweise milde Sanktion dar.
Ein bisher erst in Ansätzen erforschtes Phänomen bilden die durch die katastrophale
Versorgungslage provozierten Hausfrauendemonstrationen.26 Als Reaktion auf eine solche
Hausfrauendemonstration in Alès bei Nîmes wurde eine Reihe von Frauen, die man völlig
willkürlich aufgegriffen hatte, zur allgemeinen Abschreckung im Lager Rieucros interniert.
Wie dieses Beispiel zeigt, bildet die Internierung im Gesamtzusammenhang der Repression
von Widerstand und widerständischem Handeln in Frankreich eine Art Vorstufe im Rahmen
der Strafmaßnahmen. Auch wenn die Bedingungen der Internierung hart sind, so erscheinen
sie doch noch menschlich im Vergleich zu dem was die Deportierten in einem deutschen
Lager nach erfolgter Aburteilung als Widerstandskämpfer zu erleiden hatten. Die Internierung
bot unter Umständen auch die Möglichkeit durch Flucht wieder freizukommen – was einer
Reihe von Kommunistinnen mithilfe tatkräftiger Unterstützung von außen auch gelang. Eine
solche Flucht bedeutete in den meisten Fällen, dass die Widerstandsaktivität unmittelbar
wieder aufgenommen wurde. Wie beispielsweise die französische Internierte Michèle
1985
24
Vgl. dazu Rita Thalmann (Hg.): Femmes et Fascismes. Paris 1986
25
vgl. dazu: Francine Muel-Dreyfus: Vichy et l’éternel féminin. Paris, Seuil, 1996
26
vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Jean Marie Guillon
16
Domenech, die eine bedeutende Rolle im Widerstand spielte und als Kurier in der Region
Tarn und dem Aveyron tätig war.27
Oder nehmen wir Simone Pellissier, die aufgrund ihrer Widerstandstätigkeit im Südosten
Frankreichs im November 1942 in Brens interniert wurde und die in ihrem
autobiographischen Bericht ihre Flucht aus dem Lager schildert.28
5. Schluß
Auch wenn die gemeinsame Internierung der sehr unterschiedlichen Frauen im Alltag des
Zusammenlebens nicht immer konfliktfrei verlief, so bildete sich unter den Internierten trotz
der unterschiedlichen nationalen oder sozialen Herkunft eine gemeinsame Haltung heraus,
die sich in der Ablehnung von autoritärem und faschistischem Gedankengut und den daraus
resultierenden widerständischen Handlungen zeigte. Leider hat dieser Aspekt der jüngeren
Geschichte in der Erinnerungskultur Deutschlands und Frankreichs bisher kaum eine Rolle
gespielt. Dabei könnten die in Rieucros und Brens internierten Frauen durchaus als historische
Vorbilder für eine widerständische europäische Bewegung verstanden werden, deren Ziel es
wäre, sich dem Einheitsdenken entgegenzustellen und für die Globalisierung der
Menschenrechte einzutreten.
27
vgl.: H.R. Kedward: In search of the maquis. Rural resistance in southern France, 1942-1944. Oxford 1993, S.
91
28
Thérèse Dumont – Simone Pellissier: Femmes en Résistance. Editions de Provence, 1994, S. 119 ff.
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