Fachtagung Gewalt im behinderten Alltag 25. November 2013 PowerPoint Präsentation Gesellschaftlicher Umgang mit Anderssein Prof. Dr. Reinhard Markowetz Ludwig-Maximilians-Universität München Alle Tagungsunterlagen finden Sie auch auf: www.hslu.ch/fachtagung-behinderung Prof. Dr. Reinhard Markowetz Gesellschaftlicher Umgang mit Anderssein oder: Über Vorurteile und Einstellungen gegenüber Menschen Behinderungen und von sozialen Reaktionen auf Behinderungen mit Ein aktuelles Beispiel… UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung – Artikel 24 ?!?! Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 #2 1 Gliederung 1. Ein Beispiel aus der Praxis… 2. Soziologie der Behinderten – was ist das? 3. Mit welchen Themen beschäftigt sich die „Soziologie der Behinderten“? 4. Behinderung aus Sicht der „Soziologie der Behinderten“ 5. Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber Menschen mit Behinderungen 6. Möglichkeiten der Veränderung von Einstellungen und des Abbaus von Vorurteilen 7. Behinderung als Stigma 8. Die Stigma-Identitätsthese 9. Identität – was ist das? 10. Forderung: über identitätsrelevante Erfahrungen reden und im Dialog auf Richtigkeit und Haltbarkeit überprüfen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 #3 • Die „Soziologie der Behinderten“ ist ein wissen-schaftliches Arbeits- und Forschungsgebiet innerhalb der Heil- und Sonderpädagogik, das relevante Fragen bewusst soziologisch beantwortet. • Der Begriff Soziologie setzt sich aus dem lateinischen Wort socius (= Geselle, Partner, Gefährte, Mitmensch) und dem griechischen Wort logos (= Wort, Wahrheit; i.w.S. Wissenschaft) zusammen. • Die Soziologie beschäftigt sich mit sozialen Subjekten, sozialen Prozessen und sozialen Katalysatoren. Sie fragt nach Strukturen und Gesetzmäßigkeiten des sozialen Handelns, der sozialen Beziehungen und der sozialen Gebilde und welchem sozialen Wandel diese unterliegen. Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 #4 2 #5 Prof. Dr. Reinhard Markowetz • • • • • • • Für den Behindertensoziologen ist ein Mensch behindert, wenn er in unerwünschter Weise anders ist, von definierten Erwartungen abweicht und deshalb die soziale Reaktion auf ihn negativ ist. Für die ´Soziologie der Behinderten´ ist der behinderte Mensch kein ´Mängelwesen´. Sie interessiert sich für die sozialen Folgen einer Schädigung. Aufgrund unserer gesellschaftlichen Normen und Werte sowie unserer Sozialisation wird eine sichtbare und dauerhafte Abweichung im körperlichen, geistigen oder seelischen Bereich negativ bewertet. Behinderung ist das Ergebnis eines sozialen Abwertungsprozesses, das die sozialen Teilhabechancen behinderter Menschen negativ beeinflusst. Negative Bewertungen müssen aber nicht zwangsläufig zu negativen Reaktionen führen. Behinderung wird als nichts Absolutes, sondern als etwas Relationales gesehen. Dennoch fasst die ´Soziologie der Behinderten´ Behinderung als eine Form des abweichenden Verhaltens und als ein Stigma auf. Damit konzeptualisiert sie Behinderung als ein empirisch erfassbares ´soziales Problem´ Zuverlässige Daten liegen allerdings kaum vor. Expertenschätzungen gehen von etwa 10% der Gesamtbevölkerung aus. Durchaus widersprüchlich wird diskutiert, ob Behinderte eine ´soziale Minderheit´ sind Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 #6 3 Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber Menschen mit Behinderungen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 #7 Das Problem • Der Behinderte weicht von der gesellschaftlichen Norm ab • Die Einstellung zur Behinderung wird vom Werte- und Normensystem stark beeinflusst • Das Wertesystem der Gesellschaft dominiert unsere Einstellungen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 #8 4 Ringvorlesung Soziologie der Behinderten Die sozialen Reaktion auf behinderte Menschen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 #9 • Behinderung: Negativ belegte, dauerhafte, sichtbare Abweichung, die eine soziale Reaktion hervorruft • soziale Reaktion: Beinhaltet die Gesamtheit der Einstellungen und Verhaltensweisen; reagiert auf sichtbare Abweichungen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 10 5 • Einstellung: Stabiles System von positiven und negativen Bewertungen in Bezug auf ein soziales Objekt • Werte: Einstellungen mit Bezug zu symbolischen oder abstrakten Objekten Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 11 Die drei Komponenten der Einstellung: • Die „Wissenskomponente“: Wahrnehmung des Behinderten auf besondere Weise • die „Gefühlskomponente“: beschreibt positive und negative Gefühle des Individuums gegenüber dem Einstellungsobjekt • Die „Handlungskomponente“: zielt auf die Verhaltensintensionen oder Handlungstendenzen gegenüber dem Behinderten ab Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 12 6 • Vorurteile: Extrem starre, irrationale und negative Einstellungen • Stigma: Soziale Form des Vorurteils Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 13 Einstellungen gegenüber behinderten Menschen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 14 7 Einstellungen gegenüber behinderten Menschen Bestimmende Faktoren • Art der Behinderung: Bewertung von Funktionsleistungen, die beim Behinderten oft fehlen; je nach Art der Behinderung unterschiedliche Einflüsse Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 15 Einstellungen gegenüber behinderten Menschen Bestimmende Faktoren • Einfluss einzelner Persönlichkeitsmerkmale: nicht eindeutig festlegbar • Kontakt mit Behinderten: Wichtig aber keine Garantie für positive Einstellung • Ergebnis: Kontakt der einzig relevante Faktor Konsequenz: Ablehnende Haltung in Gesellschaft ist fest verankert Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 16 8 Interaktionsstörungen Unterscheidung verhaltensrelevanter Aspekte • Auffälligkeit der Behinderungen: vor Kontaktaufnahme sichtbar drängt sich überraschend auf Bleibt zunächst verborgen • Ästhetische Beeinträchtigung: stärker als funktionale Beeinträchtigung, das Fehlen eines „ästhetischen Aussehens“ Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 - # 17 Interaktionsstörungen Unterscheidung verhaltensrelevanter Aspekte • Funktionale Beeinträchtigung kommunikativer Fähigkeiten: erschwerte Kommunikation erschwert Kontakt • Zugeschriebene Verantwortlichkeit: Dem Behinderten wird die Schuld an der Behinderung gegeben Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 18 9 Interaktionsstörungen Der soziologische Erklärungsansatz • Irrelevanzregel: „Höfliches“ Übersehen der Behinderung; führt zu Scheinormalität • Interrollenkonflikt: Widerspruch zwischen der Rolle als Behinderter und seinem sonstigen Status (z.B. Reichtum) Konsequenz: Reduzierung auf Behinderung Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 19 Interaktionsstörungen Der soziologische Erklärungsansatz • Uneindeutige Verhaltensregeln: Fehlende Erfahrung im Umgang mit Behinderten führt zu Unsicherheit • Widersprüchliche Normen: Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Normen und eigener affektiver Reaktion Konsequenz: Scheinakzeptanz Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 20 10 Interaktionsstörungen Der psychologische Erklärungsansatz • Schuldangst: Gewissenskonflikt; Gesellschaft will Akzeptanz, der einzelne nicht; Entstehen von Abwehrmechanismen • Bedrohung der eigenen physischen Integrität: Angst, selbst betroffen zu werden oder sich anzustecken Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 21 Interaktionsstörungen Der psychologische Erklärungsansatz • Kognitive Dissonanz: Angst vor Fremden und Andersartigem, man hält es auf Distanz • Reaktion: Spenden statt direktem Kontakt Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 22 11 Entstehung der sozialen Reaktion auf behinderte Menschen Sozialisationsvariablen • Sozialisationsinhalte vermitteln soziale und kulturelle Wirklichkeit; Abweichungen sind „böse“ und „schlecht“ • Sozialisationspraktiken werten alles ab, was mit Krankheit zu tun hat; Aufwertung von Gesundheit • Verstärkung der negativen Kindheitsbilder z.B. in Literatur, Fernsehen etc. Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 23 Entstehung der sozialen Reaktion auf behinderte Menschen Kulturhistorischer Hintergrund • Hebräisch: Behinderungen eine Strafe Gottes; Eigenschuld des Behinderten • Griechisch: Behinderungen bedeuten soziale Inferorität • Calvinistisch: Behinderungen sind der Entzug der göttlichen Gnade, aufgrund dessen auch materieller Erfolg verloren geht • Christlich: Behinderungen dienen der Läuterungen und sind ein Weg zur Gnade Gottes • Wissenschaftlich: Der Kranke ist nicht selbst schuld und kann deshalb auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 24 12 Verhaltensweisen gegenüber Behinderten Typische Reaktionsformen • Originär: Anstarren und Ansprechen, diskriminierende Äußerungen, Witze, Spott und Hänseleien • Vordergründig positiv: Mitleid, aufgedrängte Hilfe, unpersönliche Hilfe in Form von Spenden Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 26 13 Prof. Dr. Reinhard Markowetz Möglichkeiten der Veränderung der sozialen Reaktion auf behinderte Menschen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 14 Informationsstrategien Vorurteil als Urteil im Voraus: Korrektur durch Sachwissen Selektive Wahrnehmung Neutrale Information kann negative Einstellung verstärken Ausnutzung von Schuldgefühlen und Ängsten Behinderte als Problemfall Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 29 Optimale inhaltliche und formale Präsentation der Aussage • • • • Wahrnehmung des Behinderten als Mensch, der neben anderen menschlichen Eigenschaften auch eine Behinderung hat: Positive Darstellung Identifikationsmöglichkeit geben bzw. erhöhen Glaubwürdigkeit der Vermittler? Behinderte Menschen selbst in die Öffentlichkeit! • Effektivität von Informationsstrategien tatsächlich sehr gering Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 30 15 Kontakt • Kontakthypothese nimmt Kausalbeziehung zwischen Kontakt und einer positiven Einstellung an • Hohe Abhängigkeit von den Bedingungen, unter denen der Kontakt stattfindet Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 31 Bedingungen, die eine positive Einstellung fördern • Miteinander in einem gemeinsamen Lebensraum • Relative Statusgleichheit • Verfolgung gemeinsamer Aufgaben und Ziele • Positive Gefühle insbesondere für die Nichtbehinderten • Freiwilligkeit Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 32 16 Weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Einstellung • Simulation von Behindert-Sein bzw. Rollenspiel • Einwirkung auf persönlichkeitsspezifische Merkmale • Zulassen von originären Reaktionen Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 33 Unfreiwillige Kontakte • Berufliche Kontakte: Medizin, Sonderpädagogik, sozialer Bereich • Familie • Schule: Lern- und verhaltensbehinderte Kinder werden trotz bzw. wegen Integration abgelehnt Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 34 17 • Die Kombination verschiedener Strategien sind sinnvoll und notwendig!!! Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 35 Behinderung als Stigma Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 36 18 Die Stigma-IdentitätsThese Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 19 Ein behindertensoziologisches Modell Identität“ von „ Prof. Dr. Reinhard Markowetz Literaturtipp CLOERKES, G., Soziologie der Behinderten. Eine Einführung. Unter Mitwirkung von REINHARD MARKOWETZ. 3., neu bear. und erw. Auflage. Heidelberg (Universitätsverlag C. Winter Edition S) 2007 Prof. Dr. Reinhard Markowetz 25.11.2013 # 40 20