Präbiotische Chemie – Die chemische Evolution Wie die moderne Chemie alte Mythen entzaubert Lange Nacht der Chemie 20.01.11 Armin Geyer Woher kommen die Lebewesen? Bienen entstehen aus Blumen und Fliegenlarven entstehen in totem Fleisch. Biotechnologie im Jahr 1727 Man füttert eine Kuh mit Blättern des Maulbeerbaums und tötet ihr Kalb. Aus dem zerstückelten Körper entstehen Raupen des SeidenspinnerSchmetterlings. Pierre Pomet - Materialien- u. Naturalien-Magazin, 1727 Leipzig, Verlag M. G. Weidmann Armin Geyer Jan.11 Armin Geyer Jan.11 Noch im 18. Jahrhundert glaubten die Menschen an die spontane Entstehung von Leben aus toter Materie Francesco Redi beweist bereits 1668, daß Fliegenmaden nicht aus totem Fleisch entstehen. Zerstücktes Kalb, daraus Seiden würmer werden Armin Geyer Jan.11 Lazzaro Spallanzani († 1799) und später Louis Pasteur (1861) zeigen, dass sich in sterilen Nährlösungen keine Mikroorganismen bilden. Jedes Lebewesen ist der Nachkomme anderer Lebewesen. Deshalb werden heute keine Kälber mehr für die Seidenraupenzucht geschlachtet. Armin Geyer Jan.11 Aber wie und wann entstand das erste, das einfachste Lebewesen? Charles Darwin prägt den Mythos der „shallow tidal ponds“ auf Deutsch die Ursuppe. S. 12/13 Die Ur-Landschaft ...In irgendeinem noch unbekannten Augenblick der Urzeit erscheint das erste Leben: Algen überziehen den feuchten Fels mit ihrem Grün. Sind kleine Lebewesen wirklich „einfacher“ als große? Armin Geyer Jan.11 Blick in eine einfache (!) Zelle Die richtige zeitliche und räumliche Kombination von Lipiden, Aminosäuren, Kohlenhydraten und Nukleinsäuren ist essentiell für das Leben. CCTGAGCCAACTATTGAT DNA transcription CCUGAGCCAACUAUUGAU 106 fache Transkription DNA wird abgelesen Armin Geyer Jan.11 mRNA translation Vergrößerung PEPTID Protein Jede Zelle ist eine komplexe Fabrik CCTGAGCCAACTATTGAT Alle Lebewesen... benutzen die selben vier Nucleobasen in ihrem genetischen Code, benutzen die selben 20 L-Aminosäuren in ihren Proteinen, benutzen D-konfigurierte Zucker, benutzen Adenosintriphosphat als Energieträger. Wann lebte unser letzter gemeinsamer Vorfahr? Gab es einst weitere Lebensformen? Gibt es ein molekulares Modell? Armin Geyer Jan.11 Beispiel Erbsubstanz Deosxyribonukleinsäure (DNA) 10-millionenfach 30-millionenfach vergrößerte DNA Zucker, Phosphat und die Nucleobase müssen richtig zusammengesetzt werden um die Doppelhelix zu bilden. Ohne ein molekulares Modell für die Entstehung von Stoffwechsel und Vererbung gibt es keine plausible Alternative zum Schöpfungsmythos. Armin Geyer Jan.11 Wie wurde aus der Kombination unabhängiger chemischer Reaktionen ein komplettes Lebewesen? Organische Chemie Biochemie Formose-Reaktion N-Heterocyclen Strecker-Synthese Polyphosphate Fe, S, FeS2 Glycolyse, Citratcyclus DNA/RNA Transkription Porteinbiosynthese ATP, Energieträger Stoffwechsel Zeit Präbiotische Chemie Ursprung des Lebens Letzter gemeinsamer Vorfahr Armin Geyer Jan.11 Die Erdgeschichte als Kreisdiagramm vorher: abiotisch, unbelebte Natur präbiotisch: Innerhalb eines ergeschichtlich kurzen Zeitraums entstehen erste Lebensformen nachher: biotisch, Lebewesen verändern die Welt, Evolution Armin Geyer Jan.11 Bis zu dem Zeitpunkt vor 3.8 Milliarden Jahren und ab dem Zeitpunkt gibt es gute Erklärungsmodelle. Die Astrophysik beschreibt die Situation auf der Urerde, das Universum und die Sterne. „Alles brennt“ und strebt dem thermodynamischen Minimum zu. Die Biologie beschreibt die Evolution neuer Lebensformen. „Alles geordnet“ und die Komplexität der Lebewesen nimmt zu. Wie kam es zu dieser Umkehr? Armin Geyer Jan.11 Schalenbrennen in Superriesen: So entstehen Elemente H He Ne C O Mg Si Fe Armin Geyer Jan.11 Hochmolekulare Verbindungen entstehen spontan in der Umgebung von Sternen Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) 1 m Vor dem Verlassen der Umgebung des Sterns überzieht sich Silicat mit Schicht aus Eis, Ammoniak und kohlenstoffhaltigen Verbindungen. In der Nähe anderer Sterne initiiert UV-Strahlung Radikalbildung und Synthese neuer Verbindungen wie CH3NH2, CH3OH. S. Kwok, Nature 2004, 430, 9085 Armin Geyer Jan.11 Wichtige Moleküle des Lebens finden sich in Meteoriten Aminoacids 60 ppm Carbohydrates 60 Pyrimidines 0.06 Purines 1.2 Armin Geyer Jan.11 Sind das entscheidende Schritte in der molekularen Evolution oder ist das nur „organischer Müll“? Synthese von Aminosäuren 1 m Gaschromatogramm nach 24 h Bestrahlung eines Gemisches von H2O / CH3OH / NH3 / CO / CO2 (2:1:1:1:1) G. M. Munoz Caro et al., Nature 2002, 416, 403 Armin Geyer Jan.11 Das Miller-Urey Experiment Eine künstliche Urerde im Labor: Die Atmosphäre enthält H20, H2, CH4, NH3. Entladungen simulieren Blitze und gekocht hat es wohl auch damals. 1952 ein innovatives Experiment S.L. Miller Science 117 (1952) 528-529 J. Am. Chem. Soc. 77 (1955) 2351-2361 Armin Geyer Jan.11 Nach einer Woche findet man viele Biomoleküle in der « Ursuppe » und die %-Zahlen ähneln denen von einfachen Lebewesen. Was dabei sonst noch alles entsteht, wird meist nicht aufgelistet. Wo ist hier die Selbstorganisation der Materie oder eine Form von Stoffwechsel? Weil man alles findet, beweist das Miller-UreyExperiment nichts. Armin Geyer Jan.11 Oligomere Ribonukleotide (RNA) sind die ursprünglichsten Biopolymere, denn RNA ist: Informationsspeicher, sie kann katalytisch aktiv sein und sie ist fähig zur autokatalytischen Replikation. NH2 O HO OH HO N O HO N H OH Ribose + C O + O P OH Phosphat ? = (oder A, U, G) Armin Geyer Jan.11 O HO OH Präbiotische Synthese von Kohlenhydraten HO OH Die Formose-Reaktion CH2O OH (CH2O)n Dabei bildet sich ein Gemisch zahlloser Kohlenhydrate. (n = 1, 2, 3, 4, 5…) mit unterschiedlicher Stereochemie. Borate oder andere Mineralien beeinflussen die Gleichgewichtslage. Präparativ unbrauchbar, da viele falsche Moleküle neben wenigen brauchbaren Molekülen gebildet werden. Deshalb ist die Bedeutung der Formose-Reaktion für die präbiotische Chemie zweifelhaft. Armin Geyer Jan.11 HC N H HC N CN HC N NC NH CN HC N NC NH2 NC NH2 HC N NC N H2N N H NH2 NH2 HC N Adenin O H2N Cyclisierung von HCN, Harnstoff und Cyanoacetaldehyd H2N N H N H2O Präbiotische Synthese von DNA-Basen N N O N N C C N HN N H H2 N N N H N Guanin NH2 Auch präparativ unbrauchbar, da sich nur Molekülgemische bilden. Wiederum zweifelhafte Bedeutung für die präbiotische Chemie. N analog N H Cytosin O Das thermodynamisch stabilste Produkt in Gegenwart von Wasser ist die Harnsäure O HN O H N O N H N H O Mit anderen Aminen könnte sich sogar Koffein bilden! O Armin Geyer Jan.11 N N N N Wie werden die richtigen Molekülpaare in der korrekten Stereochemie verknüpft? NH2 N N H O NH2 - H2O N HO O O HO O OH HO HO N ? OH OH Es ist etwas faul an den bisherigen Erklärungsversuchen: Dabei entstehen zu viele falsche Moleküle mit falschen Verknüpfungen. Armin Geyer Jan.11 Wurden über Jahrzehnte die falschen Reaktionen untersucht? Ist eine stereospezifische Synthese von Ribonucleotiden ohne spezielle Enzyme überhaupt möglich? OMe Ja, aber die Schutzgruppen der Organischen Synthese gab es erst 3,8 Mrd. Jahre später. O HN N O N N O N O HN N MeO N C O P O O N O O CPG O Armin Geyer Jan.11 O O M.H. Carruthers Acc. Chem. Res. 1991, 278 Selektive Synthese eines aktivierten Nucleotids unter präbiotischen Reaktionsbedingungen - ohne Schutzgruppen M. W. Powner, B. Gerland, J. D. Sutherland, Nature, Vol 459, S. 239 14 May 2009 Ein fundamental anderer Erklärungsversuch: Cytidin bildet sich nicht aus Ribose und Cytosin! Armin Geyer Jan.11 Selbstorganisation… von Buchstaben IN D CT IY von Silben von Wörtern NH2 IC TD YN N CYTI DIN HO CYTIDIN N O O O P O Armin Geyer Jan.11 O O H O HO H OH O IN D CT IY CN NH2 IC TD YN HO OH N CYTI DIN CYTIDIN O P NH2 O N N H N O O H2N Armin Geyer Jan.11 HO O O O C CC C C C C C CC C CC C C C C FormoseReaktion C O H O HO H OH OH O IN D CT IY HO NH2 HO IC TD YN OH N CYTI DIN HO CYTIDIN H2N O O O P NH2 CN H2N NH2 NN N N N NN N N N NN N N Armin Geyer Jan.11 N N O N N N N H N O O Purine, Pyrimidine O O C Buchstaben und Silben sind nicht die Bausteine, sondern Das richtige Wort bildet sich erst im letzten Schritt. CC C C C C C CC C CC C C C C C O H O HO H OH OH O IN D CT IY HO CYTIDIN NH2 HO IC TD YN OH N CYTI DIN HO CYTIDIN H2N O O O P NH2 CN H2N NH2 NN N N N NN N N N NN N N Armin Geyer Jan.11 N N O CYTIDIN N N N N H N O O O O HO HO O CN O HO O HO N O Arabinose ! NH2 O HO N N NH2 O HO Cyanoacetylen N NH HO Anhydro-arabinonucleosid O O P OH 2-Amino-oxazol NH2 HO Glycolaldehyd N NH2 HO O N CN O NH2 O H2N Cyanamid N O N H H2N O NH2 N OH HO HO O HO N O OH CN NC HO H H P O HO O OH O O HO O O P OH O O P O Armin Geyer Jan.11 O O OH O O O CN O HO HO O Arabinose ! O HO N N NH2 HO Cyanoacetylen O N NH HO Anhydro-arabinonucleosid O O P OH NH2 N Nachbargruppeneffekte bilden eine Voraussetzung für die -selektive Glycosylierung. Ähnliche Effekte nutzt man auch bei der Laborsynthese von Nucleotiden. HO N O O O P O Armin Geyer Jan.11 O O Durch Experimente bei denen alles entsteht, kann man alles erklären – oder auch nichts. 1 m Selektive chemische Reaktionen ohne Schutzgruppen haben sinnvolle (Labor-)Anwendungen und lassen sich vielleicht zu einem Katalysezyklus (Stoffwechsel) verknüpfen. Armin Geyer Jan.11 Ist die Wolke etwas durchsichtiger geworden? Organische Chemie Biochemie O HO N HO O N NH Zeit Präbiotische Chemie Armin Geyer Jan.11 Ursprung des Lebens Letzter gemeinsamer Vorfahr Vielen Dank ! Armin Geyer Jan.11 Pierre Pomet - Materialien- u. Naturalien-Magazin, 1727 Leipzig, Verlag M. G. Weidmann