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Lebendige Vergangenheit
Rudolf Ritter
„Fräulein Jeritza und Herr Ritter - beide längst hofopernreif - sangen so schön, dass den Hörern
das Herz aufging!“ schrieb der Kritiker der Zeitschrift „Das Theater“ anlässlich der Uraufführung
der Oper „Der Kuhreigen“ ' von Wilhelm KienzI am 23. November 1911 in der Wiener Volksoper.
Die Jeritza war vom Direktor der Volksoper Rainer Simons ein Jahr zuvor vom Münchener
Künstlertheater, einer Operettenbühne, nach Wien geholt worden. Im selben Jahr hatte Rudolf
Ritter an der Volksoper als Hoffman debütiert. Maria Jeritza war von dem stattlichen Tenor fasziniert und empfahl ihn ihrem ehemaligen Chef Max Reinhardt, der seinerseits von dem
Zusammenspiel der beiden so beeindruckt war, dass er mit der Jeritza und Ritter in München die
„Schöne Helena“ und „Orpheus in der Unterwelt“ für den 4. Festspielsommer im Künstlertheater
inszenierte.
Ritter sang den Pluto und den Paris, gastierte mit Alexander Girardi 1912 in Berlin und wurde als
Operettensänger so berühmt, dass niemand außer ihm selbst an eine Karriere als Heldentenor
mehr glauben mochte.
Aber Rudolf Ritter hatte andere Pläne. Zwar trat er im Mai 1913 noch einmal im Münchener
Künstlertheater in Sullivans „Mikado“ auf; mit seiner Verpflichtung an das Stuttgarter Hoftheater
1913 jedoch begann seine Entwicklung zu einem der bedeutendsten Wagnersänger seiner Zeit.
Die Wagnerpartien waren der eigentliche Grund, warum Rudolf Ritter die Bühnenlaufbahn einschlug; eine deutliche Parallele zu seinem Fachkollegen Walther Kirchhoff, dessen Leben und
Karriere noch andere Ähnlichkeiten aufweisen.
Wie Kirchhoff war Ritter zunächst Offizier. Er gehörte bereits zum Generalstab der österreichisch-ungarischen Armee, als er sich im Alter von bereits 30 Jahren doch noch entschloss,
Sänger zu werden. Zwei Jahre studierte er an der Wiener Musikakademie bei Professor Haböck,
August Stoll und Edward Unger Gesang und Operndarstellung, ehe er 1910 an der Wiener
Volksoper debütierte.
Seine Erfolge als Operettentenor waren seinem eigentlichen Ziel, Heldentenor zu werden, gar
nicht einmal besonders förderlich. Er war immerhin bereits 35 Jahre alt, als Baron von Puttlitz
ihn für zwei Gastspiele nach Stuttgart einlud. Ritter sang Lohengrin und Don José und wurde mit
Beginn der Spielzeit 1913/14 an die Württembergische Hofoper engagiert. Dieser Verpflichtung
ist er 20 Jahre, bis zum Ende seiner Karriere 1933, trotz manch verlockender Angebote großer
deutscher und ausländischer Bühnen treu geblieben.
Innerhalb weniger Jahre wurde Ritter zunächst auf den deutschen Bühnen bekannt. 1917 kehrte
er zu einem Gastspiel nach München zurück, diesmal jedoch an das Hoftheater: mit Joseph
Schwarz gastierte er bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Giuseppe Verdis „Rigoletto“ und
erlebte dort zwei Wochen später die Uraufführung des „Palestrina“ mit Karl Erb in der Titelpartie,
die später auch eine seiner eigenen Erfolgsrollen werden sollte. 1918 trat er wiederum in
München als Walther von Stolzing auf und begann damit seine internationale Wagnerkarriere.
1921 gastierte er bei den Münchener Opernfestspielen als Palestrina und sang 1921 und 1922 an
der Wiener Staatsoper. 1923 schloss er sich der German Opera Company an und stellte auf der
mehrmonatigen Tournee dieser Gesellschaft durch die USA von Rienzi bis Parsifal alle elf
Heldenpartien Richard Wagners dar; außerdem war er der erste Interpret des Matthias in Kienzls
„Evangelimann“ in Amerika, am 3. November 1923 in Chicago.
1924 berief ihn Siegfried Wagner für die Wiedereröffnung der Festspiele nach Bayreuth; Ritter
sang den Siegfried und sprang einen Tag nach der letzten „Götterdämmerung“ für Carl Clewing
als Stolzing ein. 1925 kehrte er für den Siegfried wiederum nach Bayreuth zurück. 1926 sang er
am Teatro Colón in Buenos Aires Stolzing, Max, Siegmund, Tristan und Tannhäuser und unternahm anschließend wieder eine Tournee durch Nord- und Südamerika. 1927 trat er als Siegfried,
alternierend mit Erik Enderlein und Fritz Soot, an der Zoppoter Waldoper auf und schloss sich
1928 wiederum der diesmal von Johanna Gadski geleiteten German Opera Company in den USA
an. Seine große internationale Karriere beendete er 1930 als Tannhäuser in Bayreuth. Er
beschränkte dann seine Gastspiele auf die großen Bühnen Deutschlands; 1933 im Alter von 55
Jahren zog er sich von der Bühne zurück. Seinen Platz in Stuttgart nahm der junge Ludwig
Suthaus ein.
Im Alter von 88 Jahren ist Rudolf Ritter 1966 an den Folgen eines Unfalls gestorben. Seine wenigen Schallplatten lassen Kraft und Raumwirkung seines mächtigen Heldentenors nur zum Teil
erkennen. Seine größten Erfolge erzielte er außer in Deutschland in Frankreich und Amerika, wo
man ihn mit Rudolf Laubenthal, Lauritz Melchior und Richard Schubert als einen der eindrucksvollsten Wagnersänger seiner Generation schätzte. Eigenartiger Weise hat er niemals in Italien
gesungen, trotz mehrfacher Einladungen. Sein schon angekündigtes Auftreten an der Londoner
Covent Garden Opera 1925 kam ebenso wenig wie ein schon vertraglich festgelegtes Gastspiel
an der Metropolitan Opera zustande. Trotz mancherlei Gerüchte ist es nie an die Öffentlichkeit
gedrungen, warum seine Gastspiele in London und New York vereitelt wurden. Ritter selbst hat
sich zu den Gerüchten nie geäußert, die von Intrigen namhafter Kollegen wissen wollten. Das
hätte nicht zu seiner vornehmen und kollegialen, bei aller humorvollen Schlagfertigkeit zurückhaltenden Art gepasst.
Die Erfahrungen der späten zwanziger Jahre jedoch haben ihn zweifellos ernüchtert, so dass er
keinen großen Wert mehr auf Auslandsgastspiele legte. Arturo Toscanini, der ihn 1930 noch einmal nach Bayreuth rief, sagte von ihm: „Ritter heißt er mit Recht - er ist ein wirklicher Edelmann.
Was noch mehr ist: er ist nicht nur Tenor, nicht nur Darsteller, nicht nur Musiker - obwohl er alles
das auch ist. Er ist ein echter Künstler.“
Einhard Luther
“Miss Jeritza and Mr. Ritter - both of them long since ready for the Court Opera - sang so
beautifully that it made the listeners’ hearts melt!” Those were the words of a critic writing in the
magazine Das Theater after the première performance of Wilhelm Kienzl’s opera Der Kuhreigen
at Vienna’s Volksoper on 23 November 1911.
The director of the Volksoper, Rainer Simons had brought Maria Jeritza to Vienna a year earlier
from Munich’s Künstlertheater, a house that staged operettas. In the same year Rudolf Ritter had
sung his debut at the Volksoper as Hoffman. Jeritza was fascinated by the impressive tenor and
had recommended him to her former boss, Max Reinhardt, who for his part was so impressed by
the way the two of them performed together that he used Jeritza and Ritter in his Munich staging
of La Belle Hélène and Orphée aux enfers for the fourth Summer Festival at the Künstlertheater.
Ritter sang Pluto and Paris, made a guest appearance with Alexander Girardi in Berlin in 1912,
and became so famous as an operetta singer that no one except him still expected him to have a
career as a heldentenor.
But Rudolf Ritter had other plans. While he did perform in operetta one more time – in Gilbert
and Sullivan’s Mikado at Munich’s Künstlertheater in May 1913 – that same year he began an
engagement at Stuttgart’s Hoftheater and became one of the most important Wagnerian singers of
his time.
The Wagner roles were the real reason that Ritter had chosen a stage career; this is clearly a
parallel to his fellow tenor Walther Kirchhoff, whose life and career showed other similarities as
well.
Like Kirchhoff, Ritter had initially been an officer. He was already a member of the general staff
of the Austro-Hungarian army when he decided, at the age of 30, to become a singer instead. For
two years he studied voice and opera performance at the Vienna Academy of Music under
Professor Franz Haböck, August Stoll and Edward Unger, before singing his debut at Vienna’s
Volksoper in 1910.
His success as an operetta tenor did not make any substantial contribution to his real goal of becoming a heldentenor. He was already 35 years old when Baron von Puttlitz invited him to Stuttgart
for two guest appearances. Ritter sang Lohengrin and Don José, and at the beginning of the
1913/14 season he was engaged to sing at the Württemberg Hofoper. He remained faithful to that
house for the next 20 years – until the end of his career in 1933 – despite a number of enticing
offers from great German and foreign opera companies.
Within only a few years Ritter had become famous, initially at German houses. In 1917 he returned to Munich for a guest appearance, but this time to the Hoftheater. There he performed with
Joseph Schwarz in a benefit performance of Giuseppe Verdi’s Rigoletto, and two weeks later he
was in the première performance of Palestrina with Karl Erb in the title role. This later became
one of Ritter’s successful roles as well. In 1918 he appeared again in Munich as Walther von
Stolzing, thus launching his international Wagnerian career. In 1921 he appeared as a guest at
Munich’s Opera Festival as Palestrina and also sang that year and the next at Vienna’s Staatsoper.
In 1923 he joined the German Opera Company. On an American tour of several months with that
company he sang all eleven heroic Wagnerian roles from Rienzi to Parsifal. In Chicago on 3
November 1923, he also became the first tenor to sing Matthias in Kienzl’s Evangelimann in
America.
In 1924 Siegfried Wagner called him to Bayreuth for the reopening of the festival. Ritter sang
Siegfried and, a day after the last performance of Götterdämmerung, replaced Carl Clewing as
Stolzing. In 1925 he returned to Bayreuth to sing Siegfried. At the Teatro Colon in Buenos Aires
in 1926 he sang the roles of Stolzing, Max, Siegmund, Tristan and Tannhäuser before undertaking
a tour of North and South America. In 1927 he alternated with Erik Enderlein and Fritz Soot in
singing Siegfried at the Waldoper in Zoppot (now Sopot in Poland). The next year he once again
joined the German Opera Company for an American tour, his time directed by Johanna Gadski.
He ended his great international career as Tannhäuser in Bayreuth in 1930. After that he limited
his guest appearances on Germany’s big stages, and in 1933, at the age of 55, he retired. His
replacement in Stuttgart was the young Ludwig Suthaus.
In 1966 Rudolf Ritter died at the age of 88 from injuries suffered in an accident. The few records
he made only partially reveal the power and great effect in performance of his mighty heldentenor
voice. His greatest successes, apart from Germany, were in France and America, where he was
esteemed along with Rudolf Laubenthal, Lauritz Melchior and Richard Schubert as one of the
truly impressive Wagnerian singers of his generation. Strangely enough, he never sang in Italy,
despite many invitations to do so, and his previously announced performances at London’s
Covent Garden in 1925 as well as a guest appearance for which a contract had already been
signed with the Metropolitan Opera never took place. Despite a number of rumours, it never
became public why these guest appearances in London and New York were cancelled. Ritter
himself never commented on the rumours, which suggested intrigues by some of his famous
colleagues. A comment from him would not have been in keeping with his high-minded and
considerate approach to his colleagues, notwithstanding his talent for quick repartee.
The experiences he had in the late 1920s, however, certainly sobered him enough that he was no
longer particularly interested in performing abroad. Arturo Toscanini, who brought him back to
Bayreuth for a last time in 1930, said about the singer: “Ritter [German for ‘knight’] is wellnamed - he is really a nobleman. And what is even more important: he is not only a tenor, not
only an actor, not only a musician - although he is all of the above. He is also a true artist.”
Einhard Luther
MONO
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