Stimmung und Stimmprobleme

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ABC der Musik
Basiswissen musikalische Akustik 2
Stimmung und Stimmprobleme
Unsere modernen Tasteninstrumente (und Computer) sind im Allgemeinen so
gestimmt, dass alle Halbtöne gleich gross (100 Cent) sind. Diese Stimmung nennt
man etwas ungenau gleichschwebende Temperatur, da Intervalle gleicher Proportion in unterschiedlichen Frequenzbereichen unterschiedlich schweben. Korrekt
wäre deshalb der Terminus gleichstufige Temperatur. Diese hat den Vorteil, dass
ein bestimmtes Intervall (oder ein Akkord) immer genau gleich tönt, unabhängig
davon, von welchem Ton man ausgeht. Dafür tönt ausser der Oktave kein Intervall wirklich rein (d.h. schwebungsfrei).
Ursache dafür ist der eingeschränkte Tonvorrat von Tasten- und Bundinstrumenten. Der Klavierspielerin stehen pro Oktave nur 12 (fest gestimmte) Töne zur
Verfügung, während ein Sänger problemlos so intonieren kann, dass durch (stufenloses) Anheben oder Absinken die Tonhöhe eines jeden Tones nach Bedarf
modelliert werden kann.
Im Laufe der Geschichte haben sich deshalb verschiedene Stimmungen, resp.
Temperaturen1 entwickelt, abhängig von den jeweiligen Erfordernissen. Die
Stimmungen haben sich im Laufe der Jahrhunderte nicht prinzipiell verbessert,
sie haben sich bloss verändert – der jeweiligen Musiksprache angepasst. Es macht
deshalb durchaus auch heute Sinn, eine Orgel oder ein Cembalo anders als
gleichstufig zu stimmen, will man die Musik einer bestimmten Epoche adäquat
wiedergeben.
Gekoppelt an Stimmungssysteme sind auch Tonartencharakteristika. Konsultiert man die wichtigsten Musiktheoretiker und –schriftsteller des 16. bis 19.
Jahrhunderts, finden sich immer wieder Versuche, einzelnen Tonarten spezifische Affekte zuzuschreiben. Die Ausführungen der Autoren reichen von ausführlichen, widersprüchlichen (siehe Link rechts) bis zu etwas pauschalen Aussagen, so notiert z.B. Mitzler (Leipzig 1736 – 38): [...] daß alle Dur=Thone munter scharff und lustig, hingegen alle Moll=Thone, sittsam angenehm und traurig
klingen, welches die Erfahrung beweiset.
► Tonartencharakteristik am
Beispiel von G-Dur unter
http://www.koelnklavier.de/quellen/t
onarten/dur.html
Einfacher rechnen mit der Cent-Skala
Nach Vorarbeiten von Riche de Prony (1832) und H. Belermann (1873) veröffentlichte A. J. Ellis 1885 einen Artikel, in dem er eine neue Masseinheit für Tonoder Frequenzintervalle mit Cent benannte und ihr zu grosser Verbreitung verhalf. Diese Masseinheit, mit dem Wert 1200 C für die Oktave, ist nicht nur der
gleichstufig (gleichschwebend) temperierten Tonskala optimal angepasst, sondern berücksichtigt auch die Unterscheidungsfähigkeit des Gehörs für Tonhöhen.
Der gerade noch merkliche Unterschied beträgt in der empfindlichsten Region
des Gehörs etwa 3 bis 5 C. Der Unterschied von 1 C ist also in keinem Fall hörbar.
Cent (abgekürzt C) ist auch ein für unsere anschauliche Vorstellung von der Addition und Teilung der Intervalle nachgebildetes Distanzmass für Intervalle. Bei der
sog. Gleichteilung der Oktave (mit dem Schwingungsverhältnis 2:1) in 12 gleich
12
grosse Tonschritte ( 2 / 1 ) erhält jeder der so entstehenden Halbtöne die Masszahl 100 C (von lat. centum, Hundert). Es sind die Halbtöne der gleichstufig temperierten Stimmung (Klavier). Für die anderen Intervalle ergibt sich dann die
Cent-Zahl aus der Anzahl der in ihnen liegenden Halbtöne, die mit 100 zu multiplizieren sind. Die Quinte hat z.B. 700 C und die Oktave 1200 C usw. Solche Quinten nennt man gleichschwebend temperierte Quinten, obwohl ihre Schwebungen
je nach Tonlage unterschiedlich schnell pulsieren.
► Zur Erinnerung: Von der
Schwebung zum Kombinationston, siehe
ww.youtube.com/watch?v=6OnWCw2x48
► Repetition Pythagoras:
http://library.thinkquest.org/18054/d
ata/text/german/d24.html
1
Stimmung: Fixierung von Tönen eines Musikinstrumentes (in der Regel nach einem vorgegebenen System). Temperatur: Gezielte Veränderung einiger Intervalle zugunsten verbesserter Klangqualität anderer
Intervalle. Die Unterscheidung wirkt heute etwas künstlich.
ABC – Akustik 2
1
Der für die Bestimmung eines Intervalls entscheidende physikalische Parameter
ist das Verhältnis f2 / f1 der Schwingungszahlen oder Frequenzen der beiden Töne.
Es ist (mit gewissen Einschränkungen) dem Saitenteilungsverhältnis umgekehrt
proportional f1 / f2 . So war es möglich, noch bevor Schwingungszahlen gemessen
werden konnten, Intervalle durch solche Längenverhältnisse zu definieren; denn
bei ein und demselben Intervall bleiben sie unabhängig von Tonlage und Klangfarbe konstant.
Diese seit den Pythagoräern im Abendland bekannte Tatsache hat aber für die
Berechnung von Intervallen zur Folge, dass bei der Zusammensetzung aufeinanderfolgender Intervalle die Verhältnisse zu multiplizieren und beim Abziehen
zweier Intervalle voneinander diese zu dividieren sind. Zwar entspricht diese
Vorgehensweise nicht unserer Anschauung, hängt aber zusammen mit der Anordnung der Rezeptoren auf der Basilarmembran des Innenohres, auf der die
einzelnen Oktaven etwa gleichen Platz einnehmen. Die Schwingungszahlen von
einer Reihe von Tönen im Oktavabstand 1:2:4:8, geschrieben in der Form
20:21:22:23, zeigen deutlich den exponentiellen Anstieg der Frequenzen, der gehörsmässig einem Fortschreiten in gleich grossen Intervallschritten entspricht.
Im Exponenten werden die Oktaven gezählt. Dieser Zusammenhang ist ein logarithmischer (vgl. Weber-Fechnersches Gesetz für die Lautstärke).
► Exkurs Innenohr:
http://www.dasgesundeohr.de/ohr/2
03_das_hoerorgan.shtml
Schwingungsmuster der Basilarmembran in 3D
Durch Logarithmierung der Verhältnisse erhält man Distanzmasse für die Intervalle, die addiert und subtrahiert werden dürfen. Die Definition eines Intervalls
in Cents lautet2: 1200  log  f 2 
 f 
 1
log 2
Die Division durch den Logarithmus von 2 dient also der Normierung zum Oktavmass, in dem die Oktave die Grösse 1200  1  1200 erhält:
Für die schwebungsfreie Quinte ( f2 : f1 = 3:2) erhält man in Cents demzufolge
1200  log (3 / 2)
 701,955 C
log 2
Für die schwebungsfreie Quarte (4:3)
1200  log (4 / 3)
 498,045 C
log 2
was zusammen 1199,99999, also 1200 C (gleich einer schwebungsfreien Oktave)
ergibt.
Bald nach der Erfindung der Logarithmen und der Herausgabe von Tafeln (Napier/Neper 1614) wurden die Logarithmen - nach anfänglicher Verwendung nur
als Rechenmittel - dazu herangezogen, Tondistanzen darzustellen. Pietro Mengoli
(1670) dürfte der erste gewesen sein, der die einzigartige Möglichkeit dieses
neuen mathematischen Werkzeugs zur Grössendarstellung von Intervallen erkannt und angewandt hat. Der von ihm vorgelegte Vorschlag zu einer Einteilung
der Oktave in 12 gleiche Abschnitte mit jeweils bestimmten Toleranzbreiten ist
schon sehr fortschrittlich, auch wenn er noch auf Zehnerlogarithmen basiert. Leonhard Euler (1739) führte dann die später als Oktavmass bezeichneten Logarithmen auf der Basis 2 ein, auf denen die weitere Entwicklung zum Cent aufbauen konnte.
2
Durch Logarithmierung der Verhältnisse erhält man Distanzmasse für die Intervalle, die addiert und subtrahiert werden dürfen, denn
.
log(
f
f 2 f3
f
 )  log( 2 )  log( 3 )
f1 f2
f1
f2
Die Definition für die Berechnung der Cents aus dem Schwingungsverhältnis f2/f1 (mit f2>f1 und
f=Frequenz) oder dem durch Kürzung daraus hervorgegangenen Intervallverhältnis f2/f1 lautet
Intervall zwischen f1 und f2 in Cent =
f 
1200  ld 2 
 f1 
' ld ' steht dabei für den Logarithmus zur Basis 2, dem Logarithmus dualis (ld). Für f2/f1 gleich 2 (Oktave)
erhält man ldf2 / f1   ld(2)  1 und damit 1200 C für eine Oktave. Schreibt man nun eben den Zweierlogarithmus (ld, Logarithmus dualis) in den Zehnerlogarithmus (log, den Logarithmus zur Basis 10) um, so erhält man, weil
die obenstehende Formel 1200  log  f 
log (a)
2
ld (a) 
ABC – Akustik 2
log 2
 f1 
log 2
2
Die Unmöglichkeit einer vollkommenen Stimmung
1. Das Quintkomma
► Graphiken und Hörbeispiele
zu den erwähnten Kommata
unter
http://www.lehrklaenge.de/html/die_
kommata.html
Baut man 12 reine Quinten aufeinander (c-g-d-a-e-h-fis-cis-gis-dis-ais-eis-his)
und vergleicht man den Endton his mit seiner enharmonischen Verwechslung c,
den man aus 7 aufeinander geschichteten reinen Oktaven erhält, ergibt sich eine
Differenz von 23,5 Cent.
Diese errechnet sich aus: (3/2)12 : (2/1)7 = 531'441 : 524'288 und bedeutet, dass
das his um 23,5 C höher als das c ist. Diese Differenz, die etwa 1/8 Klavierton entspricht, heisst pythagoräisches Komma oder Quintkomma. Wir sehen also, dass
sich der Kreis bei Verwendung schwebungsfreier Quinten nicht schliesst. Bei der
Stimmung eines Tasteninstrumentes können wir aber keinesfalls auf schwebungsfreie, reine Oktaven verzichten.
► Hörbeispiel Pythagoräisches
Komma anhand einer Durtonleiter
http://www.musiklehre.at/11_006.ht
m
2. Das Terzkomma
Wenn man von c ausgehend 4 schwebungsfreie Quinten einstimmt und danach
das erreichte e um zwei reine Oktaven nach unten transponiert, erhält man ein
Terzintervall, das grösser ist als die schwebungsfreie Terz aus der Naturtonreihe:
(3/2)4 : (2/1)2 = 81/64.
Berechnen wir die Differenz zur schwebungsfreien Terz (5/4), erhalten wir als
Resultat 81/80 oder 21,5 Cent. Diesen Unterschied nennt man syntonisches
Komma, didymisches Komma oder Terzkomma. Wir lernen also, dass schwebungsfreie Terzen und schwebungsfreie Quinten bei gleichzeitiger Einhaltung schwebungsfreier Oktaven nicht zu haben sind.
3. Die kleine Diësis
Versuchen wir es anders herum (also unter Auslassung der Quinten): Wir stimmen von c ausgehend nacheinander 3 schwebungsfreie grosse Terzen (c-e-gishis) und vergleichen den Schlusston his mit seiner enharmonischen Verwechslung c: (5/4)3 : (2/1) = 125/128.
► Hörbeispiel zur grossen und
kleinen Diësis unter
http://www.lehrklaenge.de/PHP/Tons
ystem/Diesis.php
ABC – Akustik 2
3
Die durch Aufeinanderschichtung dreier grosser Terzen erreichte Oktave ist also
um 41,1 Cent kleiner als die schwebungsfreie Oktave. Der Unterschied wird kleine Diësis genannt. Wie bereits weiter oben erwähnt, ist aber ein Verzicht auf
schwebungsfreie Oktaven nicht denkbar.
4. Die grosse Diësis
Werden von c ausgehend nacheinander 4 schwebungsfreie kleine Terzen (c-esges-bes-deses) eingestimmt, so bildet der Endton deses mit dem Anfangston c eine Oktave, die grösser als das schwebungsfreie Intervall ist: (6/5)4 : (2/1)=
648/625. Die Differenz von 62,6 Cent heisst grosse Diësis.
► Direkter Vergleich der
Grundkadenz (C-, A- und Fis-Dur)
in verschiedenen Stimmungssystemen unter
http://www.lehrklaenge.de/html/verg
l__horbeispiele.html
► Kleines harmonisches Labyrinth (vermutlich von Johann
David Heinichen, 1683 – 1723) in
fünf Stimmungen mit Notenbeispiel: Interessant wird der Vergleich bei den chromatischen
Passagen ab Takt 7:
Gleichschwebende Temperatur: 0:00
Kirnberger: 1:13
Werkmeister III: 2:22
Mitteltönig (reine Terzen!): 3:33
Pythagoräisch (!): 4:41
5. Aufgabe:
Berechnen Sie nun selbstständig (in Brüchen und in Cent) die Differenz zur
schwebungsfreien Terz, die sich a) aus dem Zusammenzählen zweier grossen
Ganztöne und b) zweier kleiner Ganztöne ergibt. Welches Resultat erhalten Sie,
wenn Sie c) einen kleinen und einen grossen Ganzton aufeinander schichten?
Zeigen Sie den Lösungsweg auf.
http://www.youtube.com/watch?v=m
gEL3N55fwI&feature=related
► Historische Stimmungen im
direkten Vergleich: Chromatisch
aufsteigende Dur-Dreiklänge und
Dur-Tonleitern unter
http://www.youtube.com/watch?v=DJ
2xsRxkjrc
► Das wohltemperierte Clavier:
Johann Sebastian Bach schreibt
in seiner Sammlung chromatisch
ansteigend, beginnend in C-Dur
für jeweils eine Dur und Molltonart je ein Präludium und eine
Fuge. Die vollständige Reinschrift
aller Stücke stammt aus dem
Jahr 1722. Revolutionär an Bachs
Sammlung ist die Tatsache, dass
die 24 Stücke in verschiedenen
Tonarten auf einem Instrument
ohne Umstimmen spielbar sind.
Voraussetzung dafür ist die Entwicklung der wohltemperierten
("wohl" heisst hier "gut") Stimmung, die unserer gebräuchlichen gleichstufigen Stimmung
sehr nahe kommt.
Um die Charakteristika der verschiedenen, zu Bachs Zeit geläufigen Stimmungssysteme hörend
zu erfahren, finden Sie unter
http://www.lehrklaenge.de/html/verg
l__horbeispiele.html
(unten auf der Seite) die Einspielung des Präludiums in C-Dur
aus dem ersten Band.
Die Sammlung war ein solcher
Erfolg, dass Bach noch einen
zweiten Band verfasste.
Clavier bezeichnet zu Bachs Zeit
jegliche Art von Tasteninstrument, so z.B. Clavichord, Cembalo, Spinett oder Orgel.
TB/MS, 3.2013
ABC – Akustik 2
4
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