„Einführung in die Geschichte der Neuzeit“ Grundkurs BA Sitzung 9 Die Weimarer Republik 1918-1933 I. Allgemeines 1. Namensgebung: Tagungsort der Nationalversammlung, die 1919 die parlamentarischdemokratische Verfassung verabschiedete. 2. Verfassung: föderative Republik, an der Spitze ein für sieben Jahre direkt vom Volk gewählter Reichspräsident. Die Reichsregierung wurde vom Reichskanzler geführt, der sowohl vom Reichspräsidenten als auch von einer Reichstagsmehrheit abhängig war. Die Legislative bestand aus dem (wichtigeren) Reichstag und dem Reichsrat (Ländervertretung, entspricht dem heutigen Bundesrat). Der Reichstag war die für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht gewählte Volksvertretung; er besaß die vollen demokratischen Gesetzgebungs-, Budget- und Kontrollrechte und spielte im politischen Prozess eine entscheidende Rolle. Seine Funktion war allerdings durch die Rechte des Reichspräsidenten eingeschränkt (besonders das Recht zur Auflösung des Parlaments, aber auch: Ernennen und Entlassung von Reichskanzler und Reichsministern; Oberbefehl über die Reichswehr; Notstandsverordnung). 3. Merkmale (Zusammenfassung): o Republik und parlamentarische Demokratie o bundesstaatlicher Reichsaufbau o starker Reichspräsident o "Geburtsfehler" nach Eberhard Kolb: Der Dualismus von Parlamentsdemokratie und Präsidentenmacht ermöglichte jene Entwicklung, die sich in der Endphase der WR vollzog, als die "präsidiale Reserveverfassung" voll zum Zug kam. 4. Parteien in Weimar: Die wichtigsten Parteien der WR waren: o Weimarer Koalition: Deutsche Demokratische Partei (DDP), Deutsche Zentrumspartei (Z), Sozialdemokraten (SPD) o die konservativen Rechtsparteien: die monarchistische Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP) unterstützten die WR nur zögernd und halbherzig ("Vernunftrepublikanismus") oder lehnten sie ab o die extremen Parteien: Kommunisten (KPD) und Nationalsozialisten (NSDAP) als radikale Gegner des demokratischen Staates 5. Versailler Vertrag 1919: o Gebietsabtretungen / Besatzung: Gebietsverluste von 1/8 des Vorkriegsterritoriums (Elsass-Lothringen an Frankreich, Saargebiet unter Völkerbundverwaltung, 1935 Volksabstimmung; Kreis EupenMalmedy an Belgien; Nordschleswig: nach Volksabstimmung an Dänemark; Memelgebiet an Litauen; Provinz Posen und 2 o o o o o Westpreußen bis auf kleine Restgebiete ohne Volksabstimmung und Ostoberschlesien nach Volksabstimmung an Polen; Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei) mit z. T. großen Rohstoffvorkommen und 1/10 der Bevölkerung. Außerdem: Besetzung und dauerhafte Entmilitarisierung der linksrheinischen Gebiete; Entmilitarisierung einer 50 km breiten neutralen Zone auf dem rechten Rheinufer für die Dauer von 15 Jahren. Verlust der Kolonien (ökonomisch ohne nennenswerte Bedeutung). Verbot des Anschlusses Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich Reparationen: § 231 legt deutsche alleinige Kriegsschuld als Basis für Reparationsforderungen fest. Militärisch: Beschränkung der Armee auf 100.000 Berufssoldaten Marine 15.000 Mann Auflage, das Heer lediglich zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und als Grenzpolizei einzusetzen Verbot von Panzer-, Gas-, Luft- und U-Bootwaffen, Begrenzung der Flotte Überwachungstätigkeit durch eine Interalliierte MilitärKontrollkommission II. Die Revolution 1918/19 1. Erste Phase: Von der Monarchie zur Republik o September 1918: Oberste Heeresleitung (OHL) / General Erich Ludendorff fordert angesichts der militärischen Lage sofortige Waffenstillstandsverhandlungen; verbunden mit Parlamentarisierung (Hintergrund: Forderung der Entente, nur mit demokratisch legitimierten Politikern zu verhandeln). Strategie: Abwälzen der Verantwortung für Niederlage auf politische (demokratische) Kräfte. Davon unabhängig gleichzeitig auch Forderung von SPD, Zentrum und Linksliberalen nach Parlamentarisierung. o Oktober 1918: Die parlamentarische Reichsregierung unter Prinz Max von Baden beginnt Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten. Dieses Zeichen der Kapitulation zieht eine Massenbewegung nach sich: Die Öffentlichkeit, die die lange von der Propaganda geschönte Kriegslage und die Aussichtslosigkeit eines deutschen Sieges erkennt, fordert nun so schnell wie möglich eine Beendigung der Kampfhandlungen. o 29. Oktober 1918: Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven verweigern den Befehl zum Auslaufen der Flotte für eine letzte Schlacht in der Nordsee; Ausweitung der Aufstände: in allen größeren deutschen Städten Bildung von revolutionären Arbeiter- und Soldatenräten, die städtische Verwaltungen übernehmen. Nun auch politische Forderungen. 3 9. November 1918: Revolution erreicht Berlin. Max von Baden erklärt eigenmächtig den Thronverzicht des Monarchen und übergibt dem Vorsitzenden der Mehrheitssozialdemokraten, Friedrich Ebert, das Amt des Reichskanzlers. M(ehrheits)SPD und U(nabhängige)SPD verständigen sich auf eine Regierung (Rat der Volksbeauftragten) 2. Zweite Phase: Konflikt um Beendigung oder Fortsetzung der Revolution o Dezember 1918: Zerwürfnis zwischen MSPD und USPD , die den Rat der Volksbeauftragten verlässt. o Januar 1919: Spartakusaufstand der äußersten Linken für Fortsetzung der Revolution, blutig niedergeschlagen (mit Hilfe der konservativen Freikorps), Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, Ende der Revolution. o Ziel der sozialdemokratischen Führung: an der Spitze der revolutionären Bewegung diese auffangen und Blutvergießen verhindern, angesichts des Druckes der immensen aktuellen Probleme (Lebensmittelversorgung, Wiedereingliederung der Soldaten, Umstellung der Wirtschaft von Kriegs- auf Friedensproduktion, drohende Schwächung der Verhandlungsposition in Versailles durch Bürgerkrieg) verzichtet die Revolutionsregierung auf die Einleitung tief greifender Reformen: Die konservativen Strukturen in Armee, Verwaltung und Justiz blieben erhalten. o III. Krisenjahre 1919-1923 1. "Erfüllungspolitik" und innere Konflikte o Juni 1919: Die von den Parteien der "Weimarer Koalition" gebildete Reichsregierung unterzeichnet angesichts der alliierten Drohung, sonst die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen, unter Protest den Versailler Vertrag. o 1921 Londoner Konferenz: Die Alliierten legen die Summe der vom Deutschen Reich zu zahlenden Reparationen auf 132 Mrd. Goldmark fest. Die Weimarer Koalition akzeptiert dies wegen sonst drohenden alliierten Einmarsches ins Ruhrgebiet, versucht aber in den nächsten Jahren zu beweisen, dass die deutsche Wirtschaft diese Lasten nicht erfüllen kann. o Reaktionen von rechts gegen diese "Erfüllungspolitik": Kapp-Putsch 1920 (konservative Freikorps besetzen Berlin, schließlich entmachtet durch Streiks und loyale Armeeeinheiten); Ermordung der "Erfüllungspolitiker" Matthias Erzberger 1921 und Walter Rathenau 1922; Hitlerputsch in München 1923. Konservativ geprägte Justiz und Armee reagieren auf diese Gefährdung der Demokratie mit Milde oder sogar insgeheimer Sympathie, während sie gegen Offensiven von links mit größter Härte vorgehen: Zerschlagung einer SPD-KPD-"Volksfrontregierung" in Sachsen 1923 und einer "Roten Armee" an der Ruhr 1920. 4 2. Internationale Beziehungen Ziel der deutschen Außenpolitik: Revision des Versailler Vertrags durch Durchbrechen der außenpolitischen Isolierung. 1922 Vertrag von Rapallo mit Sowjetrussland (Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen sowie gegenseitiger Verzicht auf Kriegsentschädigungen, Intensivierung der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit. Weiterer Ausbau der handelspolitischen und militärischen Beziehungen durch den deutsch-sowjetischen Freundschafts- und Neutralitätspakt von 1926). o 1923 Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen. Anlass war ein geringfügiger Verzug der deutschen Reparationslieferungen, treibende Kraft jedoch der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré, der angesichts eines möglichen deutsch-russischen Bündnisses (gegen die Westmächte) eine dauerhafte Schwächung Deutschlands anstrebte. Der Ruhrkampf (finanzielle Unterstützung des von der Regierung ausgerufenen passiven Widerstandes gegen die alliierten Truppen) verschlechterte die wirtschaftliche Lage derart, dass die durch die Inflation bereits stark geschwächte deutsche Währung zusammenbrach. o August 1923: Große Koalition (SPD, Z, DDP, DVP) unter Führung Gustav Stresemanns (DVP). Sie brach den gescheiterten Widerstand ab, nahm die Zahlungen von Reparationsleistungen wieder auf und beendete mit der Schaffung der Rentenmark die Inflation. o IV. Die Phase relativer Stabilität 1924-1929 1. Außenpolitik: o Neuer Kurs unter Außenminister Gustav Stresemann (seit 1923, gestorben 1929). Ihm gelang es, Deutschland wieder in das internationale Staatensystem zu integrieren und die Isolation der ersten Nachkriegsjahre zu durchbrechen. Strategie: Revision des Versailler Vertrags durch Verständigung mit den alliierten Siegermächten in multilateralen Verträgen. o Erster Schritt: Neuregelung der Reparationsfrage im Dawes-Plan 1924 (benannt nach einem amerikanischen Bankier; vorläufiger Verzicht auf Festsetzung von Höhe der Gesamtzahlungen; neben der Währungsreform ermöglichten amerikanische Kredite einen Wirtschaftsaufschwung und Reparationszahlungen an Frankreich und Großbritannien, die damit wiederum ihre Kriegsschulden in den USA abzahlen können und die Räumung des Rheinlandes ankündigen). o Zweiter Schritt: 1925 Abschluss der Locarno-Verträge (Deutschland, Frankreich und Belgien verzichten auf eine gewaltsame Veränderung der bestehenden Grenzen). Deutschland erkennt damit die im Versailler Vertrag fixierten Westgrenzen an, 5 war jedoch nicht bereit, für seine Ostgrenzen entsprechende Abmachungen zu treffen (kein Verzicht auf die Forderung nach friedlicher Revision der polnisch-deutschen Grenze, aber Schiedsverträge mit Polen und der Tschechoslowakei). Alliierte räumten im Gegenzug erste Zone des Rheinlandes und zogen Interalliierte Kontrollkommission aus Deutschland ab. o Dritter Schritt: 1926 Beitritt Deutschlands zum 1919 gegründeten Völkerbund. o Vierter Schritt: 1929 Abschluss des Young-Plans (ersetzte den Dawes-Plan; benannt nach einem amerikanischen Wirtschaftsexperten; setzte die Höhe der deutschen Reparationen auf 112 Mrd. Mark und durchschnittliche jährliche Zahlungen in Höhe von rd. 2 Mrd. über einen Zeitraum von 59 Jahren fest. Damit weiterhin hohe Reparationszahlungen und -belastungen, aber auch Vorteile wie die Räumung der noch besetzten Teile des Rheinlandes durch die Alliierten). Während Stresemann die Vorteile des Young-Plans für die deutsche Seite erkannte, nutzte das rechte politische Lager den Plan als Vehikel für eine gegen die Republik gerichtete Kampagne. Der von der DNVP und der NSDAP initiierte Volksentscheid gegen den Young-Plan scheiterte jedoch. 2. Innenpolitik Trotz äußerer Erfolge und wirtschaftlicher Erholung blieb das parlamentarisch-parteienstaatliche System auch in der Phase der "relativen Stabilisierung" innerlich labil. Parlamentarische Mehrheiten für die großen Entscheidungen der Innen- und Außenpolitik kamen nur mit Mühe zustande. Die Wahl des extrem konservativen 78jährigen Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten (1925) bedeutete eine empfindliche Niederlage der demokratischen und republikanischen Kräfte, auch wenn er sich zunächst verfassungs-loyal verhielt. V. Die Auflösung 1929-1933 • • • Weltwirtschaftskrise: Der Abzug amerikanischer Kredite, auf denen der Aufschwung seit 1924 beruhte, führt seit 1929 zu Firmenzusammenbrüchen. Die Arbeitslosenquote steigt bis 1932 auf 30 % (=5,6 Mio. registrierte Arbeitslose). Die Republik verliert rasant an Unterstützung in Wählerschaft und Parteien. 1930 Auseinanderbrechen der Großen Koalition (SPD, DDP, DVP, Zentrum). Es folgen die Präsidialregierungen Brüning (1930-32), Papen (Juni-Dezember 1932) und Schleicher (Dezember 1932-Januar 1933), die sich nicht mehr auf Reichstagsmehrheiten, sondern auf das Vertrauen des Reichspräsidenten stützen, und mit Notverordnungen nach § 48 der Verfassung den Reichstag schrittweise entmachten. Konservative um Hindenburg (DNVP, Reichswehrführung, Schwerindustrie, hohe Bürokratie) streben eine Transformation zum autoritären System an. Nach Hindenburgs Wiederwahl als Reichspräsident 1932 (gegen Hitler) Krise des Präsidialregimes wegen fehlender Massenbasis, die auch zwei Reichstagswahlen im Juli und November nicht bringen 6 • • • Konzept einer "Einrahmung" und "Zähmung" Hitlers und der NSDAP in einer konservativen Koalitionsregierung als Ausweg. Brüning und das Zentrum nutzen die Weltwirtschaftskrise als Erfüllungsgehilfen Hindenburgs für den autoritären Umbau der Verfassung, Abbau des Sozialstaates, Isolierung der SPD und für die erfolgreiche Revision des Versailler Vertrages (Erfolg: Verzicht der Alliierten auf weitere Reparationen bei der Konferenz von Lausanne im Juli 1932). Die SPD toleriert Brüning und unterstützt Hindenburg bei der Präsidentschaftswahl als "kleineres Übel" gegen Hitler; sie nimmt die Absetzung der sozialdemokratischen Regierung in Preußen durch Papen im Juli 1932 hin ("Preußenschlag"). Die NSDAP erzielt ebenso wie die Kommunisten enorme Stimmengewinne. Beide Parteien rufen zur politischen Gewalt auf und treiben die Destabilisierung der Weimarer Republik voran.