Haemovigilance Jahresbericht 2013 Sommer 2014 1 HaemovigilanceBericht 2013 Der Jahresbericht wurde erstellt durch: Dr. med. Markus Jutzi und Dr. med. Lorenz Amsler Clinical Reviewer Haemovigilance / Swissmedic [email protected] [email protected] Weitere Informationen finden Sie auf der Haemovigilance-Internet-Seite: www.swissmedic.ch -> Marktüberwachung -> Blutkomponenten 2 Inhaltsverzeichnis Abkürzungen 1. Allgemeine Informationen zur Haemovigilance 3 4 1.1Einführung 1.2 Entstehung, Auswirkung und Abklärung von Haemovigilance Ereignissen 4 4 2. 5 Eingegangene Meldungen 2.1Übersicht 2.2 Verteilung der Meldungen 2.3 Transfusionsreaktionen (TR) 2.3.1Häufigkeit 2.3.2 Imputability (Zusammenhang mit der Transfusion) 2.3.3Schweregrad 2.3.4 Transfusionsreaktionen nach Blutkomponenten 5 5 5 5 6 7 8 2.4 Anzahl transfundierter Blutkomponenten und Risiken in der Schweiz 2013 2.4.1Transfusionszahlen 2.4.2 Melderaten 2.4.3Transfusionsrisiken 2.4.4 Risiken für lebensbedrohliche und tödlich verlaufende Transfusionsreaktionen 8 2.5 IBCT (Fehltransfusion) und Near Miss Ereignisse 2.5.1IBCT 2.5.2 Near Miss Ereignisse 2.6 Spendernebenwirkungen 10 10 11 13 3. Präventive Massnahmen und Erkenntnisse 3.1 «Male donor» Strategie für Plasma 3.2 Pathogeninaktivierung von Thrombozytenkonzentraten (TK) mit dem Intercept® Verfahren 3.2.1 Refraktärzustand auf Plättchentransfusionen / reduzierte Wirksamkeit 3.2.2TRALI 3.3 Massnahmen zur Verhinderung von transfusionsübertragenen Infektionen 14 14 15 4. Fallbeispiele 4.1Todesfälle 4.2 Transfusionsreaktionen mit Schweregrad 3 4.3 weitere Fallbeispiele von Transfusions­reaktionen 4.4IBCT-Fälle 19 19 20 21 5.Literaturverzeichnis 25 8 8 9 9 16 17 18 23 3 Abkürzungen °C Grad Celsius AKAntikörper AML Akute Myeloische Leukämie ARDS Acute Respiratory Distress Syndrome (akutes Atemnotsyndrom) ASAT Aspartat Amino Transferase BDBlutdruck BGBlutgruppe BNP Brain Natriuretic Peptide SRK Schweizerisches Rotes Kreuz C3d Teil des Komplementsystems CKCreatinkinase CK-MB Creatinkinase aus Untereinheit M (muscle Type) und B (brain type), Isoform 2 CO2Kohlendioxid CPAP Continous Positive Airway Pressure (Form der apparativen Atemtherapie) CRP C-reaktives Protein (Entzündungsmarker) CTComputer-Tomographie DAT Direkter Antiglobulintest, auch direkter Coombs Test genannt DNADesoxy-Ribonukleinsäure EKErythrozytenkonzentrat FGP Frisch gefrorenes Plasma, auch FGP, fresh frozen plasma FGPq Frisch gefrorenes Plasma, quarantäne-gelagert FGP-SD Frisch gefrorenes Plasma, (Solvent-Detergent) virus-inaktiviert FNHTR Febrile Nicht Hämolytische Transfusionsreaktion G/l Giga / Liter = 109 / Liter g/l Gramm / Liter GOT Glutamat-Oxalacetat Transferase Hb Hämoglobin HBV Hepatitis B Virus Anti- Antikörper gegen Hepatitis B Virus core Antigen HBc-AK HBs-AgHepatitis B Virus surface Antigen HCV Hepatitis C Virus HI-TR High Imputability Transfusions Reaktionen HIV Humanes Immundeffizienz Virus HLA Human Leucocyte Antigen HNA Human Neutrophil Antigen HPA Human Platelet Antigen HTR Hämolytische Transfusionsreaktion i.R. im Rahmen IBCT Incorrect blood component transfused IDIdentifikation IgA Immunglobuline der Klasse A IgE Immunglobuline der Klasse E IgG Immunglobuline der Klasse G IgM Immunglobuline der Klasse M IHImmun-Hämatologie ivintravenös kTK konventionelle Thrombozytenkonzentrate LDHLaktat-Dehydrogenase MELD Model for End-stage Liver Disease mlMilliliter mm Hg Millimeter Quecksilbersäule, Masseinheit für (Blut)Druck negnegativ ng/lNanogramm/Liter NM Near Miss O2Sauerstoff Peni/ Resistent gegen Penicillin und Ampicillin Ampi R PI-TK Pathogen-Inaktivierte Thrombozyten Konzentrate pos Positiv, (Z.B. BG 0 pos = Blutgruppe 0, Rhesusfaktor positiv) RFIDRadio-Frequenz-Identifikation Rh Rhesus (Faktor) SIRS Systemic Inflammatory Response Syndrome St. n. Status nach TACO Transfusion Associated Circulatory Overload, Transfusions-assoziierte Volumenüberlastung TAD Transfusions-assoziierte Dyspnoe TK Thrombozytenkonzentrat (Tka : Thrombozytenkonzentrat aus Apherese) Tkb Thrombozytenkonzentrat aus Vollblutspende, hergestellt mit der buffy-coat Methode TR Transfusionsreaktion TRALI Transfusion Related Acute Lung Injury, Transfusions-assoziierte Akute Lungen Insuffizienz TTI Transfusion Transmitted Infection (transfusionsübertragene Infektion) T&S Type and Screen (Blutgruppenbestimmung und Suche nach irregulären AK) U/l Unit(s) / Liter umol/lMicromol/Liter Vd. a. Verdacht auf VPVerträglichkeitsprobe whswahrscheinlich z.B. zum Beispiel 4 1. Allgemeine Informationen zur Haemovigilance 1.1 Einführung 1.2 Entstehung, Auswirkungen und Abklärung von Haemovigilance Ereignissen Im aktuellen Haemovigilance Jahresbericht präsentieren wir die Auswertung der 2013 eingegangenen Meldungen über vermutete Transfusionsreaktionen (TR), Near Miss Ereignisse (NM) und inkorrekt transfundierte Blutkomponenten (= IBCT, Incorrect Blood Component Transfused). Veränderungen gegenüber dem Vorjahr werden ausgewiesen und wo möglich und sinnvoll deren Ursache und Bedeutung erklärt. Basierend auf den aktuellen Zahlen weisen wir die Risiken der Transfusion aus. Im Kapitel Präventive Massnahmen und Erkenntnisse analysieren wir die Wirkungen getroffener Massnahmen und evaluieren einzelne potentielle Risiken. Weiterführende Informationen bieten die referenzierten Arbeiten und die Internetseite von Swissmedic wie angegeben auf Seite 1 des vorliegenden Berichts. Die schematische Darstellung der Transfusionskette illustriert, welche Berufsgruppen Handlungen in welcher Reihenfolge ausführen um eine Transfusion durchzuführen. Jeder durchgeführte oder unterlassene Schritt kann Auslöser eines unerwünschten Ereignisses sein. Near Miss Ereignisse können prinzipiell jederzeit entdeckt werden, während Fehltransfusionen und Transfusionsreaktionen erst am Ende der Handlungsabläufe, also während oder nach der Transfusion bemerkt werden. Entsprechend erfolgt deren Analyse retrospektiv und daraus abgeleitete Massnahmen sollen die Diagnose beim betroffenen Patienten sichern, zu einer Schadensminderung beitragen und im Rahmen des nationalen Haemovigilance Systems Erkenntnisse über aktuelle Risiken und Optimierungspotential ermöglichen. Daher ist eine kontinuierliche und hohe Meldebereitschaft weiterhin von zentraler Bedeutung. Grafik 1 Transfusionskette -Transfusionsentscheid - Verordnung - Spenderrekrutierung - Blutspende - Spenderscreening - Produktherstellung - Produktlagerung - Produktauslieferung Blutspendedienst - Evaluation Effekt - Follow-up Patient - Blutentnahme für T&S - Prätransfusionelle Untersuchung an Patientenproben - Auslieferung ↔ IH-Labor - Empfang, Handling BP - Kontrolle Produkt/Pat ID - Verabreichung Produkt - Überwachung Patient ↔ Pflege ↔ Arzt 1 5 2. Eingegangene Meldungen 2.1Übersicht 2.3 Insgesamt sind 2013 bei Swissmedic 2031 Haemovigilance Meldungen eingegangen, von denen sich 16 bei der Prüfung nach Eingang als Doppelmeldungen herausstellten. Zur Auswertung verbleiben 1175 Transfusionsreaktionen, 26 Fehltransfusionen, 799 Near Miss Ereignisse und 15 Spendernebenwirkungen. Nach einem leichten Rückgang im letzten Berichtsjahr hat die Anzahl der gemeldeten Transfusionsreaktionen im Jahre 2013 weiter zugenommen. Es sind 1175 Meldungen eingegangen. Im mehrjährigen Verlauf hat die Anzahl der Meldungen (mit Ausnahme des Jahres 2012) stetig zugenommen. Die Analyse der aktuellen Meldungen ergab, dass in 8 Fällen keine Transfusionsreaktion vorlag. Die Verteilung der 1167 in die Auswertung einbezogenen Meldungen auf die Kategorien von Transfusionsreaktionen zeigt Grafik 3. Tabelle 1: Anzahl Haemovigilance Meldungen 2013 Kategorie Anzahl Transfusionsreaktionen 1175 Fehltransfusionen / Incorrect blood product transfused (IBCT ) Near Miss Ereignisse 26 799 Spende-Nebenwirkungen 15 Ausgewertete Meldungen total 2015 Anzahl Ereignisse 2013 nach Typ 1000 799 500 0 275 34 798 2009 337 41 938 2010 38 57 1068 1010 2011 2012 Grafik 3: gemeldete TR 2013 TR 2013 nach Klassierung und Häufigkeit 46.2% 2000 619 2.3.1Häufigkeit 14.0% Grafik 2: gemeldete Ereignisse 2013 467 0.5% 0.3% 0.3% 0.3% 1.7% 0.2% 2.2% 3.2% 2.2 Verteilung der Meldungen 1500 Transfusionsreaktionen (TR) NM 26 IBCT 1175 TR 2013 Die Zunahme der Gesamtzahl Meldungen 2013 beruht auf einer Zunahme der gemeldeten Transfusionsreaktionen um 16% und der Near Miss Ereignisse um 29%. Die Meldungen von IBCT gingen um 54% zurück (Grafik 2). 31.0% FNHTR Allo-AK Allergische TR TACO Andere Hypotensive TR Infektion TRALI HTR TAD Platelet refractoryness Weiterhin machen Allo-Immunisierungen, Febrile Nicht-Hämolytische Transfusions-Reaktionen (FNHTR) und allergische TR zusammen ca. 90% der gemeldeten Transfusionsreaktionen aus. Die grösste Zunahme lässt sich bei den Allo-Immunisierungen feststellen. Deren Meldungen haben von 280 um 259 auf 539 zugenommen (von 28% im Vorjahr auf aktuell 46% aller TR-Meldungen), im Wesentlichen weil ein Zentrum 2013 angefangen hat, diese Ereignisse zu melden. Daraus haben sich gegenüber dem Vorjahr Verschiebungen der Proportionen bei den verschiedenen Klassen von Transfusionsreaktionen ergeben. Dementsprechend hat der Anteil von FNHTR gegenüber dem Vorjahr von 43.5 auf 31.0% (439 bzw. 361 Meldungen) und derjenige der allergischen Reaktionen von 18.1 auf 14.0% (182 -> 163 Meldungen) abgenommen. Wie in den Vorjahren stehen an vierter und fünfter Stelle bezüglich Häufigkeit Meldungen über die transfusionsassoziierte Volumenüberlastung (Transfusion Associated Circulatory Overload, TACO) und 6 die hypotensive Transfusionsreaktion. Im Vergleich zu den Vorjahren ist der Anteil an TACO erneut zurückgegangen (von 3.9 auf 3.2%), bei nahezu unveränderter absoluter Zahl (39 vs 37 Meldungen). Die Verteilung der übrigen vermuteten Transfusionsreaktionen hat sich gegenüber dem Vorjahr nicht geändert, mit Ausnahme der hämolytischen Transfusionsreaktionen (HTR) mit einer Abnahme von 1.0 auf 0.3% (10 und 4 Meldungen). Die Bedeutung dieser Häufigkeiten im Hinblick auf das Risiko unerwünschter Transfusionswirkungen beurteilen wir unter Einbezug der Imputability im Kapitel 2.4.3 Transfusionsrisiken. HTR in der abschliessenden Beurteilung die Transfusion eine unter mehreren möglichen Ursachen und die Imputability wird als möglich angegeben. Im Folgenden werden nur noch die Fälle mit hoher Imputability dargestellt, um ein möglichst spezifisches Bild der Haemovigilance-Daten in der Schweiz wiederzugeben. Tabelle 2: Anzahl Ereignisse 2013 nach Klassierung und Imputability Imputability alle niedrig möglich hoch Allergische TR 163 2 34 127 (78%) FNHTR 361 37 218 106 (29%) 2.3.2Imputability (Zusammenhang mit der Transfusion) Allo-AK 539 5 534 (99%) HTR akut 3 2 1 Im Berichtsjahr 2013 wurde 815 Ereignissen (70% der gemeldeten TR) eine hohe Imputability zugeordnet, d.h. sie wurden als wahrscheinlich oder sicher auf eine Transfusion zurückzuführen beurteilt. Der prozentuale Anstieg dieser Reaktionen gegenüber dem Vorjahr (von 59 auf 70%) ist auf die höhere Anzahl gemeldeter Fälle mit Allo-Antikörpern zurückzuführen, welche im Labor nachgewiesen werden und somit praktisch immer eine hohe Imputability aufweisen. HTR verzögert 1 Hypotensive TR 20 1 Infektion, viral 2 2 bakteriell 4 2 Tabelle 2 zeigt, dass bei 96% der gemeldeten Transfusionsreaktionen nach abschliessender Beurteilung von einer hohen oder ‚möglichen‘ Imputability ausgegangen wird. Dass bei allergischen Reaktionen in nahezu 4 von 5 Fällen abschliessend von einem kausalen Zusammenhang mit der Transfusion ausgegangen werden kann, liegt sicher auch daran, dass allergische Reaktionen vom sofort-Typ in der Regel klinisch gut zu erkennen sind und sich alternative potentielle Auslöser wie erstmals verabreichte Medikamente im relevanten Zeitraum meist zuverlässig ausschliessen lassen. Es erscheint auch plausibel, dass FNHTR lediglich in 29% der Meldungen eine hohe Imputabilität zukommt, weil für die unspezifischen Symptome neben der Transfusion zahlreiche andere mögliche Ursachen wie die Grundkrankheit (beispielsweise bei vorbestehenden Infektionen), Komplikationen der Behandlung unabhängig von der Transfusion (z.B. Fieber in Neutropenie) oder neu aufgetretene Infekte (Harnwegsinfekt, Pneumonie, Katheterassoziierte Bakteriämie) vorliegen können. Diese sind bei transfusionsbedürftigen Patienten relativ häufig und der Beweis oder Ausschluss einzelner unter den verschiedenen möglichen Ursachen ist meist nicht zuverlässig möglich. Deshalb bleibt bei 60% der gemeldeten FN- 1 10 9 1 1 TACO 37 12 25 (68%) TAD 4 1 3 TRALI 5 1 4 Refraktärzustand auf TKTransfusion 2 Andere Anzahl Ereignisse 2 26 11 13 2 1167 55 (4.5%) 297 (26%) 815 (70%) Niedrige Imputability: Zusammenhang mit Transfusion ‚ausgeschlossen‘ oder ‚unwahrscheinlich‘ Hohe Imputability: Zusammenhang mit Transfusion ‚wahrscheinlich‘ oder ‚sicher‘ 7 2.3.3Schweregrad Tabelle 3: Ereignisse mit hoher Imputability 2013 nach Klassierung und Schweregrad Schweregrad alle Allergische TR 127 Grad 1 Grad 2 Grad 3 Grad 4 116 mild 99 99 anaphylaktoid 19 anaphylaktisch 2 9 16 1 2 9 1 1 7 FNHTR 106 105 1 Allo-AK 534 534 HTR akut 1 1 HTR verzögert 1 1 Hypotensive TR 9 7 Infektion bakteriell 1 1 TACO 25 14 TAD 3 3 TRALI 2 6 5 4 1 3 Refraktärzustand auf TKTransfusion 2 2 Andere 2 2 815 250 548 17 100% 31% 67% 2.1% Anzahl Ereignisse Prozent fusionsreaktion zu vermeiden. Je nach Anzahl und Spezifität der Antikörper kann der Anteil geeigneter Blutkomponenten im 1-stelligen Prozentbereich liegen, was deren Bereitstellung im klinischen Alltag schwierig werden lässt. Der Anteil lebensbedrohlich (Schweregrad 3) oder tödlich (Schweregrad 4) verlaufender Transfusionsreaktionen liegt 2013 mit 2.1% (17 von 815 TR) erneut tiefer als im Vorjahr (2.8%, 17 Ereignisse von 599). In absoluten Zahlen haben hier allerdings keine Änderungen stattgefunden und in Anbetracht der Rückläufigen Anzahl transfundierter Blutprodukte ist das Risiko für Transfusionsreaktionen mit Schweregrad 3 oder 4 gegenüber dem Vorjahr nicht gesunken. Die zeitliche Entwicklung der absoluten Zahlen von 2008 – 2013 ist in Grafik 4 dargestellt. Von den 17 Fällen mit lebensbedrohlichen Transfusionsreaktionen im 2013 traten 6 im Zusammenhang mit Erythrozytenkonzentraten (EK), 3 mit Plasma, 7 mit Thrombozytenkonzentraten (TK) und einer mit einer Produktekombination (EK und Plasma) auf. 2013 wurden keine Transfusionsreaktionen mit tödlichem Verlauf und hoher Imputability gemeldet. Vier Meldungen über Todesfälle in zeitlichem Zusammenhang mit einer Transfusion gingen ein. Diese werden im Kapitel 4 erläutert. Grafik 4: Verteilung der lebensbedrohlichen oder tödlichen Ereignisse Verteilung TR Grad 3&4 2008-2013 0% 35 1 1 1 1 1 2 2 2 30 Die Anteile der verschiedenen Schweregrade haben sich gegenüber dem Vorjahr verändert. In Tabelle 3 sind die Verteilungen der Schweregrade pro Reaktionstyp dargestellt. Als nicht schwerwiegend (Grad 1) wurden 2013 31% (Vorjahr 47%) der gemeldeten Transfusionsreaktionen eingestuft, 67% (Vorjahr 50%) verliefen schwerwiegend oder hinterliessen eine bleibende Schädigung (Grad 2). Diese Erhöhung der Grad 2 Reaktionen gegenüber dem Vorjahr sind vorwiegend auf Meldungen von Allo-Antikörpern zurückzuführen, welche per definitionem als Grad 2 eingestuft werden. Wir betrachten diese als bleibende Schädigung bzw. ein permanentes Risiko, weil für Patienten mit transfusionsmedizinisch relevanten Allo-Antikörpern bei künftigen Transfusionen kompatible Produkte ausgewählt werden müssen, um eine Allo-antikörpervermittelte hämolytische Trans- 25 20 1 1 2 1 1 1 1 1 6 7 4 15 4 10 20 18 1 1 1 3 6 5 8 9 18 12 5 0 1 2 2 1 1 2008 2009 Andere Hyperkaliämie HTR verzögert TAD Hypotensive TR Infektion bakteriell TRALI HTR akut 2010 2011 2012 TACO Allergische Reaktion 2013 2013 wurden als lebensbedrohliche Reaktionen allergische Transfusionsreaktionen, Volumenüberlastungen sowie TRALI gemeldet. 8 2.3.4 Transfusionsreaktionen nach Blutkomponenten 2.4 Anzahl transfundierter Blutkomponenten und Risiken in der Schweiz 2013 In der prozentualen Verteilung der 815 High Imputability TR nach Blutkomponente zeigt sich, dass der Anteil der Meldungen mit Erythrozytenkonzentraten (EK) gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen hat (von 75 auf 84%). Dies ist auf die höhere Anzahl gemeldeter Fälle mit Allo-Antikörpern zurückzuführen. Eine Abnahme des Anteils ist bei den Thrombozytenkonzentraten aus Apherese (Tka) zu verzeichnen, von 16 auf 9% (Tabelle 4). 2.4.1Transfusionszahlen Die Jahresstatistik von Blutspende SRK Schweiz zeigt die Anzahl ausgelieferter Blutkomponenten in der Schweiz im Verlauf über die letzten 6 Jahre (Tabelle 5). Tabelle 5: Transfusionszahlen Blutkompo- 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Erythrozytenkonzentrate 313’587 311’521 308’670 308‘627 297‘582 279‘510 FGP (therap. Einheiten) 65’800 70’300 61’500 50‘063 49‘832 44‘083 TK (Produkte) 27’600 29’600 29’900 33‘068 34‘265 34‘750 Total Blutkomponenten 407’079 411’528 400’070 391‘758 381‘679 358‘343 nenten Tabelle 4 Erythrozytenkonzentrat 84% (681) Frisch Gefrorenes Plasma (FGP)* 3% (23) Thrombozytenkonzentrat aus Apherese 9% (76) TK aus Buffycoat / Vollblut 2% (15) Verschiedene Blutkomponenten 2% (20) *Frisch gefrorenes Plasma Quarantäne gelagert (FGPq) oder Solvent-Detergent virus-inaktiviert (FGP-SD) Die Gesamtzahl ausgelieferter Blutkomponenten ist gegenüber dem Vorjahr erneut rückläufig. Es wurden ca. 6% weniger EK und ca. 9% weniger FGP ausgeliefert als 2012. Der Verbrauch von TK ist gegenüber dem Vorjahr um 1.5% gestiegen. Der Anteil aus Vollblutspenden gewonnener TK beträgt 35%, was dem letztjährigen Anteil entspricht (34%). 2.4.2 Melderaten Die Gesamtmelderate ist 2013 erneut angestiegen und beträgt aktuell 5.6 Meldungen (inkl. NM) pro 1000 Transfusionen (Grafik 5). Grafik 5 Meldungen pro 1000 Transfusionen Bei Betrachtung der absoluten Zahlen haben sich wesentliche Häufigkeiten lediglich bei der Anzahl gemeldeter Alloimmunisierungen nach Erythrozyten Transfusionen (Aktuell 529, im Vorjahr 267) ergeben. Zusammen mit den FNHTR (aktuell 91 Meldungen, Vorjahr 103) machen sie wie üblich den Hauptanteil (77%) der gemeldeten TR nach EK-Transfusion aus. Danach kommen die allergischen Reaktionen (27, Vorjahr 44 Meldungen) und transfusionsassoziierte Volumen-Überlastungen (21, Vorjahr 23 Meldungen). Im Zusammenhang mit Plasmatransfusionen wurden neben einer FNHTR 22 allergische Reaktionen gemeldet, (Im Vorjahr 30 Meldungen). Internationale Daten zeigen für quarantänegelagertes frisch gefrorenes Plasma (FGPq) und solvent-detergent inaktiviertes frisch gefrorenes Plasma (FGP SD) keine wesentlichen Unterschiede im Risikoprofil [1]. Auch bei den TK standen allergische Reaktionen mit 69 Meldungen (im Vorjahr 65) im Vordergrund, gefolgt von FNHTR (aktuell 10, im Vorjahr 22), TACO und TRALI (je 3 und im Vorjahr je 1) sowie Alloimmunisierungen (3, im Vorjahr 8). Seit Einführung des Intercept Verfahrens zur Pathogeninaktivierung wurden keine Transfusionsreaktionen aufgrund einer bakteriellen Kontamination von TK mehr gemeldet. Nach der Transfusion von mehreren verschiedenen Blutkomponenten traten vorwiegend allergische Reaktionen (9) und FNHTR (4) auf. Entwicklung der Melderate 6.0 5.0 4.0 3.0 2.0 1.0 0.0 0.8 1.1 1.5 1.6 2.0 2.4 2.7 2.7 3.3 5.6 3.9 4.4 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 9 2.4.3Transfusionsrisiken Die Darstellung der Transfusionsrisiken dient dem behandelnden Arzt als Grundlage für die NutzenRisiko-Abwägung bei der Indikationsstellung zur Transfusion sowie für die Aufklärung des Patienten über mögliche unerwünschte Wirkungen. Aufgeführt werden sowohl die nicht vermeidbaren als auch die prinzipiell vermeidbaren Risiken der Transfusion. Bei potentiell vermeidbaren Transfusionsreaktionen gibt die Häufigkeit der Ereignisse Aufschluss darüber, wo risikomindernde Massnahmen angezeigt sind und dokumentiert die Wirkung bereits ergriffener Massnahmen. Anhand der Anzahl Transfusionsreaktionen mit hoher Imputability und der ausgelieferten Blutkomponenten stellen wir die Melderaten für Transfusionsreaktionen 2013 bezogen auf EK, Plasma und TK (im Format 1 Ereignis pro XXX ausgelieferte Produkte) dar (Grafik 6). Dabei haben wir uns auf TR mit mehr als 10 Meldungen beschränkt. Seltenere Ereignisse lassen sich aufgrund der kleinen absoluten Fallzahlen nicht zuverlässig auf jährlicher Basis darstellen. Die dargestellten Melderaten geben Auskunft über Art und Grössenordnung der Transfusionsrisiken in der Schweiz zum heutigen Zeitpunkt. Die exakte Risikoquantifizierung ist mit Hilfe der Melderaten allerdings nicht möglich, da trotz gutem Meldeverhalten vieler Spitäler nicht damit gerechnet werden kann, dass 100% aller TR gemeldet werden. Es ist aber bekannt, dass schwere Reaktionen zuverlässiger gemeldet werden als mild verlaufende. Es ist davon auszugehen, dass dies in der Schweiz für alle 3 labilen Blutprodukte gilt. Somit können die Risiken der einzelnen Produkte auch untereinander verglichen werden (Relatives Risiko). In der Grafik 6 kann abgelesen werden, dass das Risiko, irgend eine TR zu erfahren, für Plasma etwa 5 mal kleiner ist als für EK und TK. Das Risiko einer allergischen Reaktion hingegen ist in der Schweiz für EK ca. 5 mal kleiner als für Plasma, und ca. 20 mal kleiner als für TK. Grafik 6 Melderaten per Produkt 2013 ~ 1:380 Total Rate TK Allergische TR TK ~ 1:500 ~ 1:400 Total Rate EK Allo-AK EK FNHTR EK ~ 1:500 ~ 1:3000 Allergische TR EK ~ 1:10'000 TACO EK ~ 1:13'000 Total Rate FGP ~ 1:2'000 Allergische TR FGP ~ 1:2'000 2.4.4 Risiken für lebensbedrohliche und tödlich verlaufende Transfusionsreaktionen In Grafik 7 haben wir die TR der Schweregrade 3 und 4 für die letzten 6 Jahre und bezogen auf alle Blutkomponenten nach Klassierung und Anzahl Ereignisse aufgeführt. Es sind wiederum nur die Fälle mit hoher Imputability dargestellt. Die Fallzahlen sind klein, sie sind aber dieses Jahr nicht weiter zurückgegangen (total 17 im 2013, genau wie 2012). Die Risiken lassen sich im einzelnen Jahr nur ungenau quantifizieren. Daher berechnen wir die Grössenordnung der Risiken aus den kumulierten Daten 2008 – 2013. Grafik 7 TR Grad 3 & 4 2008-2012, alle Blutprodukte 150 / ~ 1:15'000 Total Risiko alle TR 85 / ~ 1:30'000 Allergische Reaktion TACO 30 / ~ 1:80'000 TRALI 8 / ~ 1:300'000 HTR akut 7 / ~ 1:350'000 Hypotensive TR 6 / ~ 1:400'000 Infektion bakteriell 6 / ~ 1:400'000 TAD 5 / ~ 1:500'000 Total 2008-2013 Hyperkaliämie 1 / ~ 1:2.5 Mio HTR verzögert 1 / ~ 1:2.5 Mio In diesem Zeitraum ereigneten sich 4 transfusionsbedingte Todesfälle (2008 ein TACO nach FGP und ein TRALI nach TK, 2009 eine akute HTR nach EK sowie 2012 ein TACO nach EK). 10 2.5 IBCT (Fehltransfusion resp. Transfusions- fehler) und Near Miss Ereignisse Die Anzahl gemeldeter IBCT hat von 57 (2012) auf 26 abgenommen und macht damit 2013 1.3 % aller Meldungen aus (Vorjahr 3.4%). Hingegen haben die Near Miss Meldungen erneut zugenommen: die 799 gemeldeten Ereignisse entsprechen 39% aller eingegangenen Meldungen (Vorjahr 37%, = 619 Meldungen). 2.5.1IBCT Die Abweichung, welche zur Transfusion der nicht für den Patienten bestimmten oder nicht optimal für ihn geeigneten Blutkomponente führte, ereignete sich in 5 Fällen bei der Verordnung oder Bestellung und 12 Mal bei der Verabreichung der Blutprodukte. Zwei Ereignisse gingen auf Fehler bei der Testung der Patientenproben im Labor zurück während für 7 Patienten vorbestehende, aktuell nicht mehr nachweisbare Allo-Antikörper für die Auswahl der Blutprodukte nicht berücksichtigt wurden, weil das betreffende Labor davon keine Kenntnis hatte. Bis auf die letztgenannten 7 Fälle wären also alle gemeldeten Ereignisse allein durch die korrekte Ausführung der Schritte entlang der Transfusionskette vermeidbar gewesen (Tabelle 6). waren aber zufällig kompatibel waren (Tabelle 7). Wichtig bei der Auswertung dieser Fälle ist nicht ob und wie schwerwiegend der Patient geschädigt wurde, sondern die Erkenntnis, welcher fehlerhafte Vorgang dem Ereignis zu Grunde liegt und wie ein erneutes Auftreten vermieden werden kann. Tabelle 7: Fehltransfusionen im engeren Sinn Fehltransfusion Anzahl Beschreibung AB0-System, inkompatibel 2 A neg EK an 0 pos Pat., 0-FGP an A-Pat. AB0-System, zufällig kompatibel 6 TK statt FGP, 2x TK an falschen Pat., 3x Patienten-Verwechslung mit gleicher BG Allo-AK-Kompatibilität nicht gesichert 5 3x fehlende VP, 2x fehlende Phänotypisierung Verabreichung ungetesteter EK 3 Trotz bereitgestellter ausgetesteter EK Tabelle 6: IBCT, nach Lokalisation der Abweichung Loka­lisation Anzahl Vorbereitung 5 Labor Beispiele Verordnung/ Bestellung Verordnung falsches Produkt, Bestellung für falschen Patienten Auslieferung (7) Vorbestehende, nicht mehr nachweisbare Allo-Antikörper nicht berücksichtigt Testung (2) Probenverwechslung mit Fehltransfusion A neg EK an 0 pos Patienten Verabreichung Patientenverwechslung 9 Anwendung 12 Total 26 Für die weitere Auswertung berücksichtigen wir lediglich die 16 gemeldeten Fehltransfusionen im engeren Sinne. Darunter verstehen wir die Transfusion eines Produktes bei welchem die Verträglichkeit bezüglich AB0-, Rh- oder anderer Blutgruppen-Antigene nicht sichergestellt ist (ausgenommen Notfallsituationen). Darunter fallen auch Transfusionen von Produkten die für einen anderen Patienten bestimmt 11 Die Analyse des Herganges der 8 Fehltransfusionen im AB0-System ergab die folgenden zugrundeliegenden Abweichungen: Bei den 4 EK-Transfusionen: • Patientenverwechslung Blutgruppen-inkompatibel: Die Verwechslung der Patientenblutprobe im Labor führte zur Auslieferung und Transfusion von 4 EK der Blutgruppe (BG) A-neg an einen 0-pos Patienten, mit Abfall des Hb von initial 9.7 auf 6.0 g/l, aber ohne berichtete klinische Symptome einer akuten Hämolyse (Beschreibung s. «Fall 12, IBCT» im Kapitel 4) • Patientenverwechslung BG-kompatibel: – bei der Verabreichung von 2 Transfusionen bei Patienten mit ähnlichem Namen auf gleichem Zimmer mit zufällig gleicher BG; – nach patientenferner Kontrolle von Produkt und BG-Karte nach dem 4-Augen Prinzip; –bei Entnahme einer falschen Konserve aus dem Kühlschrank (Verwechslung der Entnahmenummer) (gleiche BG, Type&Screen (T&S) neg) und Versagen der prätransfusionellen Kontrolle phänotypisierten Produkte zur Verfügung standen. Ein EK stellte sich im Nachhinein als K-positiv heraus. In einem weiteren Fall wurde ein EK mit unbekanntem Jkb-Phänotyp transfundiert nach inadäquatem Hb-Anstieg auf eine Transfusion eines Jkb-negativen EK am Vortag. Im Verlauf erfolgte auf die Transfusion des EK mit unbekanntem Jkb-Status ein adäquater Hb-Anstieg. Hier sind formal die Kriterien für eine Fehltransfusion erfüllt ohne dass unmittelbare klinische Konsequenzen beobachtet wurden. Bei den 4 TK und FGP-Transfusionen: •Nach Entnahme der FGP im peripheren «Selbstbedienungs-Gefrierschrank» Transfusion von FGP der BG 0 an Patient mit der BG A •Nach falscher Bestellung Verabreichung von TK anstelle von FGP •Nach Bestellung mit falschen Print-Etiketten Verabreichung von TK an den falschen Patienten • Nach Laborfehler Auslieferung eines TK für den falschen Patienten, Verabreichung ohne Kontrolle der Verordnung Definition: Ein Fehler oder eine Abweichung von Vorschriften oder Richtlinien, die vor Beginn einer Transfusion entdeckt wird und zu einer Fehltransfusion oder einer Transfusionsreaktion bei einem Empfänger hätte führen können, wenn der Fehler / die Abweichung nicht entdeckt worden wäre. In 3 der 5 gemeldeten Fälle von Antikörper-inkompatiblen Transfusionen wurde die Verträglichkeitsprobe nicht durchgeführt: •Bei vorbekannten, aktuell nicht nachweisbaren AK (diese wurden aber berücksichtigt) •Bei schwach positivem Direktem Antiglobulin Test (DAT) •Bei bekanntem Kälte-Autoantikörper Anti-I, mit negativem T&S; adäquater Anstieg des Hämoglobins (Hb), keine Hämolysezeichen In zwei weiteren Fällen wurden EKs ohne erweiterten Phänotyp (Phänotypisierung die neben dem AB0 und dem Rhesus-System weitere Blutgruppensysteme umfasst) ausgeliefert. Einmal wurden nicht phänotypisierte Eks zur Notfalltransfusion bei einer Blutung unter der Geburt ausgeliefert für eine Patientin mit bekannten Anti-Kell Allo-Antikörpern, da keine Auch wenn weniger IBCT gemeldet wurden im Vergleich zum letzten Jahr, so zeigen die dargestellten Fehltransfusionen doch, dass effizienten und zielführenden Prozessen weiterhin hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, sowie dass sinnvolle Qualitätssicherungsmassnahmen zur Fehlervermeidung und -entdeckung weiterhin von grosser Wichtigkeit sind. 2.5.2 Near Miss Ereignisse 12 Tabelle 8: Einteilung der Ereignisse nach Lokalisation der Abweichung Lokalisation Anzahl Konsequenzen, Bemerkungen Vorbereitung 510 – davon mussten in 363 Fällen die Analysen wiederholt und in 100 Fällen die betroffenen Blutkomponenten vernichtet werden Prozessabweichungen 111 Keine eigentlichen Near Miss, sondern Abweichungen von zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen (betrifft meist die Vorbereitung) Labor 88 – davon 24 Auslieferung, 12 Lagerung, 6 Testung, 28 Zustellfehler Anwendung 16 Andere 74 Total z.B. erwärmtes EK nicht transfundiert und vernichtet 799 Die Anzahl der gemeldeten NM hat gegenüber dem Vorjahr (619 Meldungen aus 14 Spitälern) auf 799 Ereignisse aus 30 Institutionen erneut zugenommen. Tabelle 8 zeigt auf, dass Abweichungen an allen Stellen der Transfusionskette auftreten können, auch wenn die Mehrheit der gemeldeten Fehler die Vorbereitung betrifft. Meist wurden diese Fehler aus der Vorbereitung nur wenig später entdeckt, bei der Probeneingangskontrolle im Labor. Ebenso ist aus Tabelle 8 ersichtlich, dass die Anzahl der gemeldeten NM von Anfang gegen Ende der Transfusionskette abnimmt. Je früher ein Fehler passiert, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass er noch rechtzeitig entdeckt und korrigiert werden kann. Somit verhält sich gemäss den HaemovigilanceDaten die Auftretenswahrscheinlichkeit im Prinzip umgekehrt proportional zur Schadenswahrscheinlichkeit. Deshalb ist das Weiterführen oder Verbessern von Qualitätssicherungssystemen an allen Stellen der Transfusionskette sehr wichtig, und nicht nur in der Vorbereitung, wo die grosse Mehrheit der Meldungen herkommt. Die NM Meldungen aus der Anwendung der Blutprodukte (16 Fälle, 2% der NM Meldungen) sind im Vergleich zum Vorjahr (45 Fälle, 7%) zurückgegangen. Es ist bemerkenswert, dass parallel dazu ein Rückgang der IBCTs und der hämolytischen Transfusionsreaktionen stattgefunden hat. Die Bedeutung dieser auf kleinen Zahlen beruhenden Beobachtung ist im Moment unklar. Eine Schwankung im Meldeverhalten als Ursache ist natürlich möglich. Falls sich diese Entwicklung aber als mehrjährig stabiler Trend heraus- stellen sollte, könnte dies als Hinweis darauf gewertet werden, dass sich durch bereits vorhandene oder neu eingeführte Qualitätssicherungsmassnahmen sichtbare Verbesserungen der Transfusionssicherheit erzielen liessen. Near Miss im engeren Sinn (506 Fälle, 63 % der NM Meldungen) Als «Near Miss im engeren Sinn» bezeichnen wir Abweichungen, die unentdeckt zu einer Fehltransfusion hätten führen können. Sie sind in Tabelle 9 dargestellt. 13 Tabelle 9 Art der Abweichung Anzahl (%) Bemerkungen Patienten-ID-Probleme administrativ 8 (2%) z.B. Namenvarianten, fehlerhafte Erfassung bei Patientenaufnahme, Identitätsmissbrauch, mehrere Patientendossiers lautend auf den gleichen Patienten Patienten- oder Probenverwechslung i.R. der prätransfusionellen Blutentnahme 69 (14%) Ähnliche Namen, fehlende oder fehlerhafte ID-Kontrolle. Häufig erst anhand Blutgruppen-Diskrepanz zu Vorwert entdeckt, Hergang dann oft nicht rekonstruierbar. Entnahmefehler 7 (1%) Probe verdünnt, falsches Röhrli Beschriftungs- /Etikettier-fehler aller Art 307 (61%) Proben und/oder Auftrag nicht, unvollständig, diskrepant (z.B. verschiedene Patientennamen) beschriftet Bestellfehler Auslieferung 19 (4%) Falsches Produkt oder für falschen Patienten bestellt, Spezifikation nicht beachtet /angegeben 7 (1%) Falsches Produkt, diskrepante Beschriftung Laborfehler 23 (5%) Probenverwechslung im Labor, Fehler bei Übertragung von Resultaten, Resultat fehlinterpretiert Kommunikation 11 (2%) Informationen nicht weitergegeben (Transplantationsanamnese); Missverständnisse (Verfall T&S/Produkt) Andere Total 55 (11%) Probenlieferung verzögert (davon 38 in einem Spital wegen neuem Rohrpostsystem) 506 Der Anteil der «NM im engeren Sinn» an der Gesamtzahl der NM Meldungen ist gegenüber dem Vorjahr (383 Meldungen = 62%) stabil geblieben. Auch die nicht korrekte Beschriftung von Patienten-Proben oder Laboraufträgen als häufigste Abweichungsart hat sich mit aktuelle 61% gegenüber dem Vorjahr (66%) nicht wesentlich verändert. Es wird interessant sein zu beobachten, ob diese Abweichungsart im Zuge der zunehmenden Einführung Computerassistierter Systeme für die Identifikation der Patienten und die Zuweisung von Blutproben und Laboraufträgen (Bar-Code oder RFID basiert) an Häufigkeit abnehmen wird. Dies würde, zusammen mit Daten aus diesen Systemen selbst, die dokumentieren wie viele Fehlzuweisungen verhindert werden konnten, eine quantitative Beurteilung der Wirksamkeit und des Nutzens solcher Systeme erlauben. Entsprechende Funktionalitäten und Auswertungsmöglichkeiten sollten bei der Planung und Implementierung solcher Systeme vorgesehen werden. Prozessabweichungen (111 Fälle, 22% der NM-Meldungen) Diese Meldungen betreffen alle (mit einer Ausnahme) ein einziges Spital, in welchem ein zusätzliches Kontrollsystem für die Patientenidentifikation eingeführt wurde. Fehlerhafte Zwischenlagerung von Blutkomponenten (182 Fälle, 36% der NM Meldungen) 2013 gingen erneut deutlich mehr Meldungen zum Umgang mit bzw. der Zwischenlagerung von Blutkomponenten nach Auslieferung ein. Der Anteil hat von 22% (2012) auf 36% (2013) zugenommen. 98 Meldungen betrafen bestellte oder ausgelieferte Blutprodukte, die dann nicht transfundiert wurden, wobei die Blutprodukte meist vernichtet werden mussten. 2.6 Spendernebenwirkungen 2013 gingen 15 Einzelfallmeldungen zu Spendernebenwirkungen ein. 8 Meldungen betrafen Vollblutspenden, und 7 Apheresespenden (davon 6 im Rahmen einer Thrombozytenspende). Bei 3 Spendern traten je zwei Ereignisse auf, also wurden insgesamt 18 Ereignisse berichtet. Einer Meldung wurde der Schweregrad ‚mild‘ zugeordnet, 10 Meldungen der Schweregrad ‚moderat‘, und 4 Meldungen wurden als ‚schwerwiegend‘ beurteilt. 6 der 18 Ereignisse waren lokale vaskuläre Reaktionen, davon die beiden folgenden schwerwiegend: 14 nach einer Vollblutspende wurde eine Thrombo­ phlebitis beobachtet, welche antibiotisch behandelt werden musste, sowie nach einer Plasmapherese ein grosses Hämatom (40x15cm). 8 Ereignissen lag eine vasovagale Reaktion zugrunde, 2 davon wurden als schwerwiegend beurteilt: Eine 31-jährige Erstspenderin erlitt 80 Minuten nach der Vollblutspende eine schwere vagale Reaktion mit Bewusstseinsverlust, Urininkontinenz, Konvulsionen und vorübergehendem Sehverlust rechts. Im zweiten Fall blieb ein 20-jähriger Zweitspender 10 Minuten nach der Vollblutspende liegen, kollabierte aber im Anschluss und stürzte heftig; er musste zur Commotio-Überwachung für zwei Tage hospitalisiert werden, worauf er sich vollständig erholt hat. Die 4 restlichen Ereignisse betrafen 3 Citratreaktionen und 1 anaphylaktoide Reaktion mit Lidödemen und Bronchospasmus während und nach Apherese. Von 3 Zentren wurden Spendernebenwirkungen in kumulierter Form gemeldet. Dabei waren von 268 Ereignissen 228 im Zusammenhang mit Vollblutspenden und 40 mit Apheresen aufgetreten. Von den 228 Ereignissen bei Vollblutspenden waren 191 (84%) vasovagale Reaktionen (davon 5 schwerwiegend), 23 (10%) lokale Reaktionen (davon 1 schwerwiegend) und 14 (6%) andere (meist Hypotonie). Hingegen waren 19 (48%) der 40 mit Apheresen assoziierten Ereignisse lokale Reaktionen (davon 1 schwerwiegend). Von den weiteren Fälle mit Apherese wurden 7 (18%) als vasovagale Reaktionen, 13 (33%) als Citratreaktionen (davon 1 schwerwiegend) und 1 als andere klassiert. 3. Präventive Massnahmen und Erkenntnisse Neben der generellen Risikoabschätzung gehört die Auslösung und Evaluation von präventiven Massnahmen zu den Hauptaufgaben des Haemovigilanzsystems. Im Folgenden stellen wir die Evaluation von drei präventiven Massnahmen dar, welche in der Schweiz ausgelöst wurden respektive derzeit durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um Zusammenfassungen, ausführlichere Berichte werden referenziert. 3.1 ‚Male donor‘ Strategie für Plasma Diese Massnahme wurde schon 2007 eingeführt. Die zu verhindernde unerwünschte Reaktion, die Transfusionsassoziierte Akute Lungenschädigung (TRALI) ist selten. Deshalb kann die Wirkung der Massnahme erst nach mehreren Jahren statistisch robust nachgewiesen werden. In der Pathophysiologie des TRALI werden zwei zugrundeliegende Mechanismen diskutiert: •immunes TRALI (leukozytenspezifische HNA- oder HLA-Antikörper reagieren mit Empfängerleukozyten) •nicht immunes TRALI (Aktivierung neutrophiler Granulozyten durch biologisch aktive Substanzen wie z.B. Lipide im Blutprodukt) Die Strategie der vorwiegend männlichen Spender (male donor strategy) hat zum Ziel, die Wahrscheinlichkeit zu senken, dass im Plasma zur Transfusion HLA-oder HNA-Antikörper vorhanden sind. Diese Antikörper können unter anderem durch Schwangerschaften oder Geburt entstehen. Deshalb werden seit 2007 in der Schweiz nur noch Spenden von Männern oder von Frauen, welche nie wissentlich schwanger waren oder einen negativen Test für HLA- und HNA-Antikörper aufweisen, für die Herstellung von Plasma verwendet. Für die Evaluation dieser Massnahme wurde die Häufigkeit von TRALI Meldungen im Zeitraum vor Einführung der Massnahme (2002 – 2007) mit derjenigen in der Zeitperiode nach Einführung (2008 – 2013) verglichen. Die Meldungen wurden gemäss den Definitionen des TRALI consensus panel von Kanada 2004 klassiert[2]. Grafik 8 zeigt die absolute Zahl der in den beiden Zeiträumen gemeldeten TRALI-Fälle. Zusätzlich zu den absoluten Zahlen stellt Grafik 9 eine Disproportionalitäts-Analyse dar, bei welcher die TRALI-Fälle ins Verhältnis zu allen anderen Meldungen (alle Typen von Transfusionsreaktionen) für Plasma (FGP) gestellt werden. Die Anzahl der verabreichten Plasma-Transfusionen sind für die beiden Zeiträume vergleichbar (435‘000 von 2002 – 2007; 342‘000 von 2008 – 2013). Somit ergibt sich durch den starken Rückgang der Fälle auch ein klarer Rückgang in der Melderate von 1/21‘000 auf 1/86‘000 Plasmatransfusionen. 15 3.2 Pathogeninaktivierung von Thrombozytenkonzentraten (TK) mit dem Intercept® Verfahren Grafik 8 TRALI Fälle mit FGP 25 TRALI, möglich Anzahl Fälle 20 15 TRALI, sicher oder wahrscheinlich 10 5 0 2002-2007 2008-2013 Grafik 9 100% Disproportionality analysis (Vergleich der Proportionen) 21 (6.9%) 4 (1.4%) TRALI mit FGP 98% 96% Alle anderen TR mit FGP 94% 92% Relatives Risiko=0.21 (95% VI 0.07- 0.59) 90% 88% 2002-2007 2008-2013 p= 0.001 (Fisher exact - test) Die TRALI-Meldungen sind signifikant gesunken mit der Einführung dieser präventiven Massnahme. Verschiedene weitere Vergleiche (TRALI mit anderen Produkten, Fälle von Volumenüberlastungen) zwischen den beiden Zeiträumen zeigten keine Hinweise auf einen Meldebias oder andere Verzerrungen, welche den Unterschied im Risiko nur vorgespiegelt hätten. Die präsentierten Zahlen bestätigen die Wirksamkeit der Strategie der vorwiegend männlichen Spender für Plasma zur Transfusion. Das TRALI-Risiko für Plasma wurde dadurch deutlich gesenkt. Diese Daten sind in Übereinstimmung mit Publikationen aus anderen Ländern. Der gesamte Bericht (als poster.pdf) kann bestellt werden unter [email protected]. Nachdem 2011 die Pathogeninaktivierung für TK eingeführt wurde, lassen die Daten der letzten 5 Jahre einen Vergleich der Transfusionsrisiken konventioneller TK (kTK) mit denen von pathogeninaktivierten TK (PI-TK) zu. Ein Hintergrundbericht dazu wurde im Swiss Medical Forum im März 2013 publiziert[3]. Tabelle 10 zeigt den Vergleich der Risiken der Thrombozyten Transfusion zwischen pathogeninaktivierten TK und konventionellen TK. Seit der Einführung des Pathogen-Inaktivierungsverfahrens für alle TK in der Schweiz ist keine durch TK hervorgerufene Sepsis mehr gemeldet worden. Der angestrebte Hauptnutzen, nämlich die zuverlässige Vermeidung klinisch relevanter bakterieller Kontaminationen von Thrombozytenkonzentraten, konnte mit der flächendeckenden Verwendung des Intercept-Verfahrens für alle TK in der Schweiz klar erreicht werden. Die Anzahl transfusionsübertragener bakterieller Infektionen die durch die konsequente Anwendung des Intercept-Verfahrens vermieden werden konnten, lässt sich anhand der eingegangenen Meldungen vor Einführung dieser Massnahme abschätzen und mit kürzlich publizierten internationalen Daten vergleichen. 2005 bis 2011 wurden in der Schweiz 16 septische Transfusionsreaktionen aufgrund bakteriell kontaminierter TK gemeldet, darunter 3 Todesfälle. Im entsprechenden Zeitraum wurden 191‘700 konventionelle, (nicht pathogen-inaktivierte) TK transfundiert. Aufgrund der Schweizer Zahlen beträgt das Risiko für eine transfusionsübertragene Sepsis 1:12‘000 TK, jenes für Todesfälle durch bakteriell kontaminierte TK 1:65‘000. In Kanada betragen diese Risiken für den Zeitraum 2004 bis 2013 trotz bakteriellem Screening aller TK 1:86‘000 (Sepsis) bzw. 1:600‘000 (Todesfälle). In Frankreich, wo für TK weder bakterielles Screening noch Pathogeninaktivierung durchgeführt wird, werden Sepsis und Todesfälle für den Zeitraum 2006 – 2012 mit 1:43‘000 und 1:250‘000 angegeben und in einem Transfusionszentrum in den USA quantifizierte ein Überwachungsprogramm zwischen 2004 und 2011 das Risiko für eine transfusionsübertragene Sepsis auf 1:1‘600 TK. [4] Konkret können wir aus diesen Zahlen die Schlussfolgerung ableiten, dass durch die Anwendung des Intercept Verfahrens für alle TK in der Schweiz septische Transfusionsreaktionen vermieden werden, die ohne diese Massnahme zwischen 1:1‘600 und 1:86‘000 TK auftreten würden. Mit Todesfällen wäre ohne pathogeninaktivierung in 1:65‘000 bis 1:600‘000 TK-Transfusion zu rechnen. 16 Tabelle 10: Gemeldete Transfusionsreaktionen mit konventionellen und pathogeninaktivierten TK Transfusionsreaktionen 2009 – 2011 kTK 2011 – 2013 PI-TK Transfundierte Einheiten 66‘000 95‘515 Risiko = 1 Reaktion pro x TK Meldungen Risiko Meldungen Risiko Alle HI Meldungen 223 ~ 1:300 251 ~ 1:400 HI Meldungen Grad 3 & 4 23* ~ 1:3‘000 13* ~ 1:7‘000 *p= 0.04 (Fisher exact test) Tabelle 10 zeigt, dass zusätzlich zur zuverlässigen Vermeidung septischer Transfusionsreaktionen die Einführung des Intercept-Verfahrens für alle Thrombozytenkonzentrate mit einer Reduktion von Anzahl und Schweregrad der nicht infektionsbedingten TR nach TK-Transfusion einherging. Als mögliche Nebenwirkungen des Verfahrens werden Refraktärzustand auf Plättchentransfusion resp. reduzierte Wirksamkeit und respiratorische Reaktionen inkl. TRALI diskutiert. Für beide möglichen Risiken gibt es in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise. Evidenz, welche deren klinische Relevanz bestätigt oder ausschliesst liegt bis heute nicht vor. Im Folgenden diskutieren wir diese beiden möglichen Risiken vor dem Hintergrund der Schweizer Daten. 3.2.1 Refraktärzustand auf Plättchentransfusion / reduzierte Wirksamkeit Mögliche Auswirkungen des PathogeninaktivierungsVerfahrens auf die Thrombozytenstabilität und -funktionalität werden seit langem erforscht. Insgesamt konnte in den klinischen Studien die Wirksamkeit und Sicherheit der pathogeninaktivierten Thrombozytenkonzentrate gezeigt werden [5-10]. HaemovigilanceDaten haben auf ein günstiges Sicherheitsprofil von PI-TK im Allgemeinen und verglichen mit konventionellen Thrombozytenkonzentraten im Speziellen hingewiesen [3, 11, 12]. Zur Beantwortung der Frage, ob in Einzelfällen klinisch relevante Einschränkungen der Wirksamkeit pathogeninaktivierter TK auftreten könnte, müssen neben den klinischen Studien auch weitere Datenquellen zu Rate gezogen werden. Auch die Schweizer Haemovigilance-Daten könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten. Obschon in ers- ter Linie Transfusionsreaktionen und Near Miss Ereignisse gemeldet werden, sind die Haemovigilanceverantwortlichen und die Ärzteschaft angehalten, auch vermutete Fälle von fehlender Wirksamkeit von Blutprodukten zu melden, sofern produktspezifische Faktoren als Ursache vermutet werden oder die ausbleibende Wirkung nicht erklärbar scheint. In der Schweiz sind 2013 zum ersten Mal zwei Fälle eines Refraktärzustandes auf Plättchentransfusionen gemeldet worden. Allerdings wurden beide Ereignisse beim gleichen Patienten nach zwei verschiedenen Plättchentransfusionen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen beobachtet. Am ersten Tag wurde dem Patienten mit Multiplem Myelom Thrombozyten aus Vollblutspenden, am 2. Tag Thrombozyten aus einer Apheresespende transfundiert. Der Patient hatte im Anschluss an die beiden Transfusionen jeweils Fieber und Schüttelfrost, war aber hämodynamisch immer stabil. Die Thrombozytenzahl ist von 7 G/l vor der ersten Transfusion auf 5 G/l 24h später, und von 5 G/l vor der zweiten Transfusion auf 4 G/l eine Stunde später abgesunken. Beim Patienten wurden anti-HLA A und B Antikörper festgestellt, besonders ein ausgeprägter anti-HLA A2 (bei negativem Anti-HPA Antikörpernachweis). Der Patient hatte 9 Tage vor den Transfusionen die 3. autologe Stammzellentransplantation erhalten. Diese beiden Fälle von Refraktärzustand auf Thrombozytentransfusion sind wahrscheinlich auf die nachgewiesenen HLA-Antikörper zurückzuführen. Bei Swissmedic sind bis anhin keine weiteren Meldungen von verminderter Wirksamkeit eingegangen. Aus dem Haemovigilancesystem liegen keine Hinweise vor auf eine Funktionseinschränkung von Thrombozyten durch die Pathogeninaktivierung. Weitere Untersuchungen zu diesem Thema sind in Arbeit, auch in der Schweiz. 17 3.2.2 TRALI In einer klinischen Studie aus dem Jahre 2001 sind in der Gruppe der Empfänger von pathogeninaktivierten TK (N=318) 5 Fälle von ARDS aufgetreten, während in der gleich grossen Kontrollgruppe die konventionelle TK erhielten, keine Fälle von ARDS beobachtet wurden[6]. Eine detaillierte Nachanalyse derselben Studie zeigte einen Trend in die gleiche Richtung, aber weniger deutlich und statistisch nicht mehr signifikant[13]. Bei Lipopolysaccharid-vorbehandelten Mäusen wurde später gezeigt, dass UVBbestrahlte TK zur Entwicklung einer Lungeninsuffizienz beitragen, während dies nach der Transfusion von nicht UV-bestrahlten TK nicht beobachtet wurde[14]. Seither wird kontrovers diskutiert, ob Thrombozytenkonzentrate, die mit dem Intercept® Verfahren behandelt und daher UVA-bestrahlt sind, ein höheres Risiko für TRALI aufweisen als konventionelle Thrombozytenkonzentrate. Vor diesem Hintergrund sind die TRALI-Haemovigilance-Daten aus der Schweiz von besonderem Interesse. Seit Bestehen der Meldepflicht für unerwünschte Transfusionsreaktionen sind Swissmedic 12 Fälle von zumindest möglichem TRALI nach der Transfusion von Thrombozytenkonzentraten – ausschliesslich oder in Kombination mit andern Blutkomponenten – gemeldet worden. Im Verlauf des Jahres 2011 wurde die Pathogeninaktivierung der Thromozytenkonzentrate gestaffelt von allen regionalen Blutspendezentren eingeführt. Entsprechend wurden die 2003 und 2008 gemeldeten TRALI nach der Transfusion von TK im Zusammenhang mit konventionellen Produkten beobachtet. Auch die zwei Meldungen von 2011 bezogen sich auf konventionelle TK, während alle seit 2012 gemeldeten TRALI nach TK-Transfusion Intercept-behandelte Produkte betreffen. Grafik 10 zeigt die gemeldeten TRALI Fälle aus der Schweiz im Zusammenhang mit Plättchentransfusionen. TRALI Fälle mit TK in der Schweiz 4 3 2 4 1 0 2 0 2002 2003 3 2 0 0 0 0 2004 2005 2006 2007 2008 0 0 2009 2010 2011 1 2012 2013 Jahr 2003 (2 Fälle) 2008 (4 Fälle) 2011 (2 Fälle) 2012 (1 Fall) 2013 (3 Fälle) Imputability Sicher Wahrscheinlich Möglich/unwahrscheinlich Möglich Wahrscheinlich Möglich Möglich Wahrscheinlich Wahrscheinlich Wahrscheinlich Wahrscheinlich Wahrscheinlich Immunes versus Nicht-Immunes TRALI Immun Nicht-Immun Unbekannt Unbekannt Immun Immun Immun Immun Immun Nicht-immun Immun Immun Produkt(e) erhalten TK FGP + TK TK (Apherese) + EK TK (Apherese)+FGP+EK TK (Apherese) TK (Apherese) TK + EK TK (Apherese) TK (Apherese) TK (buffy coat) TK (buffy coat) TK (Apherese) Schweregrad 3 3 3 3 4 3 3 3 3 3 3 2 Blau=Konventionelle TK, Grün = Pathogeninaktivierte TK. Schweregrad: 2= schwerwiegend, 3= lebensbedrohlich, 4= Todesfall. Die Fälle sind pro Jahr aufgelistet, die Reihenfolge innerhalb der einzelnen Felder bleibt sich gleich. Lesebeispiel: Beim zweiten TRALI Fall in 2003 war die Imputability ‚Wahrscheinlich‘; es handelte sich um ein Nicht-immunes TRALI, bei welchen der Patient FGP+ TK erhalten hatte, der Schweregrad war 3 (lebensbedrohlich). 18 Zwischen 2002 und 2011 wurden 247‘700 konventionelle TK transfundiert und 8 TRALI (5 Immun TRALI, 2 TRALI mit unbekannter Ätiologie und ein NichtImmun TRALI ) gemeldet, während von 2011 bis 2013 bei 95‘450 transfundierten pathogeninaktivierten TK 4 TRALI-Meldungen (3 Immun TRALI und ein NichtImmun TRALI) eingegangen sind. Das entspricht einer TRALI-Häufigkeit von ca. 1:30‘000 konventionelle bzw. 1:24‘000 pathogen-inaktivierte TK. Eine potentielle Risikoerhöhung würde sich prinzipiell mit Fällen von nicht immunem TRALI äussern, da immunes TRALI durch Spenderantikörper ausgelöst wird, auf deren Auftretenshäufigkeit das Intercept Verfahren keinen Einfluss hat. Bei lediglich je einem Fall von nicht Immun TRALI nach der Transfusion von konventionellen bzw. pathogeninaktivierten TK lässt sich basierend auf Haemovigilance-Daten eine leichte Erhöhung des relativen Risikos für TRALI weder nachweisen noch ausschliessen. Die weitere Evaluation dieses potentiellen Risikos unter Einbezug neuer Erkenntnisse und Vigilance-Daten hat daher einen hohen Stellenwert. Entsprechend wichtig ist es, dass auch in Zukunft alle am Transfusionsprozess Beteiligten sich der Möglichkeit schwerer Transfusionsreaktionen mit respiratorischen Symptomen bewusst sind und im Verdachtsfall Abklärungen einleiten und Swissmedic die Meldungen zukommen lassen. in der Schweiz bei. Beispielsweise wurde die oben dargestellte Pathogeninaktivierung bei Thrombozytenkonzentraten von einzelnen regionalen Zentren im 2013 auch für Plasma eingeführt. Für Einführung und Umsetzung dieser Massnahmen sind die Blutspendedienste verantwortlich, welche damit die Sicherheit der Produkte gewährleisten. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem Referenzzentrum für Infektionen durch Blut und Blutprodukte, welches auch im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit tätig ist. Swissmedic überprüft im Rahmen der Steuerung und Aufsicht des Blutspendewesens, ob die getroffenen Massnahmen dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen und ob die Daten der Marktüberwachung auf zusätzlich notwendige Massnahmen zum Schutz der Patientinnen und Patienten hinweisen. Tabelle 11: Fälle von TTI 2013 und abgeschätzte Risiken Krankheit Gemeldete Fälle 20131) – Imputability Abgeschätzte Risiken 4 Bakterielle – 1 wahrscheinlich – 1 möglich 1:600‘0002) Infektion – 1 unwahrscheinlich – 1 ausgeschlossen 3.3 Massnahmen zur Verhinderung von transfu­sionsübertragenen Infektionen Massnahmen an verschiedenen Stellen der Transfu­ sionskette wie Spenderscreening, Spenderausschlüsse und ‚Look back’ sind die Ecksteine der Prävention von transfusionsübertragenen Infektionen (TTI). Schon vor Längerem wurde die Leukozytendepletion und der Spende-Ausschluss von Transfusionsempfängern eingeführt, welche auch vor neu auftretenden oder bislang unbekannten Infektionskrankheiten schützen. Die getroffenen Massnahmen sowie die allfällige Notwendigkeit weiterer Schritte zur Prävention transfusionsübertragener Infektionen werden laufend überprüft und den aktuellen Gegebenheiten und Erfordernissen angepasst. Seit 2013 ist das Chagas-Screening bei Risikopersonen vorgeschrieben. Weiter wurde ein Massnahmenplan für den Fall von West-Nile-Virus Infektionen in der Schweiz entwickelt, welcher 2014 in seiner ersten Version fertiggestellt wurde. Zusätzlich zu diesen Anpassungen der Spendetauglichkeitskriterien und Screening Untersuchungen tragen verschiedene produktbezogene Massnahmen zur hohen Sicherheit der Blutprodukte 1 HBV – ausstehend (s. Fall 2 im Kapitel 4) 1:4‘100‘000 Spenden3) HIV HCV 1:400‘000 Spenden3) 1 – ausge­schlossen 1:6‘700‘000 Spenden3) Syphilis Theoretisches Risiko4) Chagas Theoretisches Risiko in CH5) WestNile-Virus Theoretisches Risiko in CH6) 1) Die Tabelle zeigt alle Fälle, welche als Hämovigilancemeldungen eingegangen sind. Zusätzlich zu den beiden viralen Verdachtsfälle in der Tabelle wurde vom Referenzzentrum im Rahmen der Look back Verfahren 2 weitere virale Verdachtsfälle abgeklärt, welche im Rahmen das Haemovigilance-System nicht gemeldet worden sind: in 1 weiteren Fall von Verdacht auf HCV-Übertragung konnte ein Zusammenhang mit der Transfusion ausgeschlossen werden, in 1 weiteren Fall mit Verdacht auf HBV-Übertragung sind die Abklärungen noch in Arbeit. 19 2) CH-Haemovigilance-Daten 2011 – 2013 3) Nat. Referenzzentrum für durch Blut und Blutprodukte übertragene Infektionen 4) Keine Meldungen seit Einführung des Haemovigilancesystems in der Schweiz. Treponema pallidum ist sehr fragil bei in Komponenten aufgeteiltem Blut. 5) Das schon sehr kleine Risiko wurde durch die Einführung des Screenings von Risikopersonen auf praktisch 0 reduziert. 6) Bis zum jetzigen Zeitpunkt (April 2014) sind in der Schweiz keine autochthonen Fälle beim Menschen entdeckt worden. Das Risiko kann – in Abhängigkeit von der epidemiologischen Situation – ändern. Zusätzlich zu den erwähnten patientenbezogenen Look backs sind 2013 fünf spenderbezogene Look backs ausgelöst worden (2 für HIV, 1 für Borrelien, 2 für Chagas). Transfusionsübertragene Infektionen durch die genannten Erreger wurden nicht nachgewiesen. In drei Fällen (1 HIV und 2 Chagas) sind die Abklärungen noch in Bearbeitung. Sämtliche TTI Risiken werden laufend evaluiert und analysiert, damit auf potentielle Veränderungen rasch und gezielt reagiert werden kann. Dies gilt aktuell besonders auch für neu auftretende oder in der Schweiz bislang nicht beobachtete TTI, beispielsweise wie erwähnt für West-Nile-Virus. 4. Fallbeispiele 4.1 Todesfälle Vier Todesfälle in zeitlichem Zusammenhang mit einer Transfusion wurden 2013 gemeldet. Keinem der vier Fälle wurde nach der Evaluation eine hohe Imputability zugeordnet. Eine klinisch als terminal beurteilte moribunde Patientin ist während der Transfusion verstorben ohne dass Symptome berichtet wurden, die auf eine Transfusionsreaktion hinweisen. Auch die Abklärungen zeigten keine Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang mit der Transfusion. In einem weiteren Fall zeigte ein Patient mit akutem anurischem Nierenversagen und symptomatischer Anämie von 5.8 g/l nach Ende der Transfusion von 2 EK Dyspnoe und einen Anstieg von Temperatur und Blutdruck. Im weiteren Verlauf verstarb der Patient und die Obduktion zeigte keinen Hinweis auf einen Kausalzusammenhang zwischen der Transfusion und dem Tod des Patienten. Die beiden weiteren Fälle werden im Folgenden detaillierter beschrieben: Fall 1 Ein 1965 geborener Patient in schlechtem Allgemeinzustand am 11. Tag der Induktionschemotherapie bei einer akuten lymphatischen Leukämie, mit erhöhten Laktat-Werten, Bauchschmerzen, Vigilanzminderung und respiratorischer Einschränkung, (Vd.a. Pneumonie bei radiologisch nachgewiesenen pulmonalen Infiltraten, SIRS) erhält bei einer Thrombozytenzahl von 6 G/l ein Thrombozytenkonzentrat aus Apherese. Die initiale Überwachung zeigt keine Auffälligkeiten, ca. 10 Minuten später wird der Patient mit einem Kreislaufstillstand im Bett vorgefunden. Nach elektromechanischer Reanimation und bei trotz hohen Katecholamindosen mässig stabilem Kreislauf wird der Patient auf die Intensivpflegestation verlegt. Dort zeigt sich eine rapide respiratorische Verschlechterung. Die Transfusion des 2. TK aus der gleichen Apherese-Spende erfolgt ohne erkennbare Veränderung des Zustandes des Patienten. Im weiteren Verlauf stellt sich trotz hoher Pressorendosen eine nicht beherrschbare Situation ein, worauf die intensivmedizinischen Massnahmen eingestellt werden und der Patient verstirbt. Im CT Schädel/Thorax und Abdomen auf der Intensivstation konnten keine Blutungen nachgewiesen werden. Die bilateralen Infiltrate wurden als Verschlechterung der vermuteten vorbestehenden Pneumonie, als Aspiration und/oder pulmonale Hämorrhagien nach Reanimation bei sehr tiefen Thrombozytenwerten interpretiert. Im Blut des ansonsten unauffälligen, langjährigen Thrombozytenspenders wurden HLA-Antikörper der Klasse I nachgewiesen. Die Differentialdiagnose TRALI wurde klinisch als sehr unwahrscheinlich eingestuft, HLA-Antigene beim Empfänger wurden nicht untersucht. Die vor der Transfusion entnommene Blutkultur des Patienten zeigte Wachstum von Bacillus cereus, in der Kultur des Restproduktes, am Folgetag und bei offenem Besteck entnommen, wurde in Anreicherung ein Koagulase negativer Staphylococcus nachgewiesen. Eine Autopsie wurde abgelehnt. Kommentar: In dieser komplexen Situation eines schwer kranken Patienten mit vorbestehenden Komplikationen der Grundkrankheit und ihrer Therapie ist eine definitive Bestimmung der Ursache sowohl des Kreislaufstillstandes als auch des weiteren Verlaufs nicht möglich. Bei der Beurteilung, ob die Transfusion dabei eine kausale Rolle gespielt hat und ob die im Anschluss aufgetretene respiratorische Verschlechterung als TRALI gewertet werden soll, halten wir uns an die Einschätzung der involvierten Kliniker, welche beides als sehr unwahrscheinlich erachten. 20 Eine primäre bakterielle Kontamination des pathogeninaktivierten Thrombozytenkonzentrates ist unseres Erachtens in der beschriebenen Situation ebenfalls wenig plausibel. Fall 2 Bei einer 88-jährigen Patientin mit paralytischem Ileus wird am 18. November 2013 eine akute Hepatitis B diagnostiziert. Die Patientin stirbt am Folgetag an den Komplikationen des Ileus. Die Ätiologie des konservativ therapierefraktären paralytischen Ileus wird als multifaktoriell beurteilt, wobei differentialdiagnostisch die akute Hepatitis B als mitverantwortlicher Faktor in Frage kommt. Die Patientin ist vorgängig seit dem 26. Juni 2013 hospitalisiert gewesen mit mehreren orthopädischen Eingriffen. Dabei wurden 3 EK-Transfusionen verabreicht, ausgegeben am 29. Juli und am 05. und 06. September. Die Diagnose der akuten Hepatitis B wurde mit folgenden Testresultaten bestätigt: Hepatitis B HBs-Ag Reaktiv (2x), Hepatitis B anti-HBc positiv, Hepatitis B anti-HBc IgM (positiv), Hepatitis B anti-HBe positiv, Hepatitis B quantitativ DNA positiv, Hepatitis B viral load > 170‘000‘000 IE/ml. GOT (ASAT) war 1007 U/l. Vom 8. August 2013 existieren von der Patientin negative serologische Ergebnisse bezüglich Hepatitis B: HBs-Ag nicht reaktiv, anti-HBc IgG/IgM negativ, GOT (ASAT) 11 U/l. Sie wurde damals als Indexpatientin getestet, weil sich offenbar Spitalpersonal verletzt hatte. Der patientenbezogene Look back ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Es wurden bis anhin keine Hinweise auf eine Transfusionsübertragene Hepatitis B gefunden. 2 der 3 Spender konnten vollständig abgeklärt werden, beim 3. Spender stehen noch letzte Tests an, die bisherigen Ergebnisse zeigten allerdings keine Hinweise auf eine Infektion mit dem Hepatitis B Virus. Ebenso wenig haben die spitalhygienischen (chirurgischen) Abklärungen Hinweise auf den Übertragungsweg ergeben. Ein nicht-iatrogener Übertragungsweg ist bei einer 88-jährigen Frau nicht sehr wahrscheinlich, kann aber auch nicht ganz ausgeschlossen werden. Kommentar: Bei noch nicht vollständig abgeschlossenem Look back und bisherigen Ergebnissen, die nicht für eine Transfusionsübertragung sprechen, haben wir diesem Fall eine tiefe Imputability zugeordnet. 4.2 Transfusionsreaktionen Lebensbedrohliche Transfusionsreaktionen mit hoher Imputability wurden 2013 insgesamt in 17 Fällen ge- meldet. Sie wurden in 9 Fällen als allergische (2 anaphylaktoide und 7 anaphylaktische) Transfusionsreaktionen klassiert, 3 Ereignisse erfüllten die Kriterien für TRALI und 5 transfusionsbedingte Volumenüberlastungen (TACO) wurden klinisch als lebensbedrohlich eingestuft. Eine Auswahl aus diesen und aus weniger schwerwiegenden Transfusionsreaktionen sowie Beispiele von IBCT beschreiben wir im folgenden Kapitel. Fall 3 Anaphylaktische TR Eine 1968 geborene Patientin mit AML erhält bei einer Thrombozytenzahl von 8 G/l ein TK aus Aph­ erese. Nach Transfusion von 90% innerhalb von 45 Minuten treten Dyspnoe, Hypoxie, Tachykardie und eine Urtikaria auf. Der Blutdruck sinkt von 105/60 auf 90/50 mm Hg, der Puls steigt von 80 auf 120 Schläge pro Minute. Die Reaktion wird klinisch als lebensbedrohlich beurteilt, Angaben zur Behandlung und zum weiteren Verlauf liegen uns nicht vor. Die Dokumentenüberprüfung bleibt unauffällig, auf immunhämatologische und mikrobiologische Abklärungen wird verzichtet und das Geschehen als schwere allergische (anaphylaktische) Transfusionsreaktion klassiert. Die Abklärungen durch den Blutspendedienst ergeben keine Auffälligkeiten in der Produktgeschichte und in der Anamnese der Spenderin mit bisher 26 Spenden, die Suche nach HLA I und II AK bei Spenderin bleibt negativ. Kommentar: Die beschriebene Symptomatik ist vereinbar mit einer allergischen Reaktion. Aus den vorliegenden Angaben allein können Schweregrad und Imputability nicht zuverlässig beurteilt werden, die klinische Einschätzung des behandelnden Arztes sowie des Haemovigilance Verantwortlichen erscheint plausibel, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der Blutspendedienst involviert wurde und dieser eine HLA-Antikörper Abklärung durchführte. Fall 4 Anaphylaktische TR Eine 17-jährige Patientin mit bekanntem allergischem und Anstrengungsasthma sowie einer Latex-Allergie wird wegen Infekt mit gastrointestinalem Ursprung hospitalisiert. Bei klinischem Verdacht auf ein hämolytisch-urämisches Syndrom bzw. eine thrombotischthrombozytopenische Purpura wird sie auf die Intensivstation aufgenommen wo die Indikation für eine Plasma-Austauschtransfusion gestellt wird. Nach Prämedikation mit Antihistaminika und unter ImipenemTherapie wird die erste Austauschtransfusion mit Verabreichung von insgesamt 20 FGPq komplikationslos durchgeführt. Am darauf folgenden Tag werden Tavegyl und Solumedrol als Prämedikation verabreicht und während der Transfusion des 9. FGP kommt es zu 21 einem abrupten Blutdruckabfall mit arteriellem Mitteldruck von 50 mm Hg, einem Sättigungsabfall aufgrund eines Bronchospasmus‘, zu einem Angiödem des Gesichts und des Halses sowie zu einem generalisierten Hautausschlag. Die Plasma-Austauschtransfusion wird unterbrochen, auf die Behandlung mit Adrenalin i.v., Solumedrol, Tavegyl und Volumensubstitution folgt ein rascher Rückgang der Symptome. Am Folgetag stellt sich eine Besserung des Infektionssyndroms und der mikroangiopathischen Manifesta­ tionen ein. Weitere Transfusionen sind nicht erforderlich und die Patientin kann am 6. Hospitalisationstag nach Hause entlassen werden. Eine Exposition gegenüber Latex lag nicht vor, gleichzeitig mit der Plasmatransfusion wurden keine Medikamente verabreicht und verdächtige Nahrungsmittel konnten nicht eruiert werden. Ein IgA- und ein Haptoglobin-Mangel konnten ausgeschlossen werden und der Tryptase-Wert aus einer Blutentnahme 15 Minuten nach der Reaktion war grenzwertig erhöht. Die allergologische Beurteilung kam zum Schluss, dass am ehesten eine IgE-vermittelte Reaktion auf ein nicht bekanntes, spezifisches Antigen, das in einer der transfundierten Plasma-Einheiten enthalten war stattfand. Für allenfalls in Zukunft erforderliche Transfusionen wurde empfohlen, die Indikation sehr zurückhaltend zu stellen, eine aktive Überwachung zu gewährleisten und eine Prämedikation mit Antihistaminika und Corticosteroiden durchzuführen. 4.3 weitere Fallbeispiele von Transfusionsreaktionen Fall 5 TRALI Eine 72-jährige Patientin mit Polyarthritis erhält wegen Panzytopenie (aufgrund einer chronischer Meto­ threxat-Einnahme ohne Folsäuresubstitution) eine Transfusion mit 2 Beuteln Thrombozytenkonzentrat aus Apherese. Fünf Minuten nach Start des 2. Beutels klagt die Patientin über Schmerzen in der Nierengegend, gegen Ende der Transfusion fällt die Sauerstoffsättigung auf 70% ab und die Patientin erleidet Dyspnoe, der Blutdruck fällt ab (von initial 122/62 auf 95/60), begleitet von einem Pulsanstieg. Rasselgeräusche über allen Lungenfeldern werden festgestellt. Die Patientin wird mittels CPAP und Volumengabe behandelt, im Verlauf pendelt sich die Sauerstoffsättigung bei 85% ein unter 6 l Sauerstoff, die Patientin erholt sich langsam im Verlauf von mehreren Tagen. Das Thorax-CT zeigte bilateral ausgeprägte diffuse ventralbetonte Infiltrate, und keine Zeichen einer Lungenembolie. Echokardiographisch gab es keine Hinweise für eine kardiale Dekompensation, die Auswurffraktion war 65%, die Füllungsdrücke tief. Die arterielle Blutgasanalyse zeigte das Bild einer partiellen respiratorischen Insuffizienz mit metabolischer Alkalose. Das natriuretische Peptid (NT-Pro-BNP) war mit 2321 ng/l stark erhöht, es existiert allerdings kein Vorwert. Das CRP zeigte 102 mg/l (Vorwert vor Transfusion 62). Es bestanden Zeichen einer möglichen Hämolyse: LDH 830 IE/l (Vorwert 859), Bilirubin total 25 umol/l (Vorwert 21), Haptoglobin < 0.03 g/l, Coombs Test positiv auf C3d. Die D-Dimere waren mit 1857 mcg/l klar erhöht, CK und CK-MB waren stets normwertig. Eine HLA-Typisierung bei der Empfängerin wurde durchgeführt und es wurden korrespondierende HLA-B44 Antikörper bei der Spenderin des zweiten Tka nachgewiesen. Kommentar: Die meldenden Ärzte hatten als Differentialdiagnosen Volumenüberlastung und TRALI angekreuzt. Für TRALI spricht das klinische Bild und der CT-Befund. Zusätzlich lässt die Echokardiographie ohne Hinweise auf eine kardiale Dekompensation, und einer Auswurffraktion von 65% mit tiefen Füllungsdrücken die Diagnose einer Volumenüberlastung eher unwahrscheinlich erscheinen, auch wenn das NT-Pro-BNP – bei unbekanntem Vorwert – stark erhöht war. Ebenso spricht der Blutdruckabfall im Verlaufe der Reaktion gegen eine Volumenüberlastung. Somit handelt es sich am ehesten um ein TRALI, der Fall wurde als wahrscheinliches TRALI klassiert. Aufgrund der nachgewiesenen korrespondierenden HLA-Antikörpern bei der Spenderin ist von einem Immun-TRALI auszugehen. Fall 6 TACO Episode 1 Einer 70-jährige Patientin mit AML wird bei Thrombopenie von 4 G/l innerhalb von 30 Minuten ein Thrombozytenkonzentrat aus Apherese (TKa) mit einem Volumen von ca. 250 ml transfundiert. 1.5 h nach Ende der Transfusion wird ein Temperaturanstieg von 37.4 auf 38.9°C, Schüttelfrost, Dyspnoe, eine Hypoxie sowie ein Anstieg von Blutdruck (170/64 -> 200/120) und Puls 81 -> 109 festgestellt. Das TKa stammte aus einer Doppelapherese, die 2. Einheit wurde einem anderen Patienten problemlos transfundiert, der Spender ist ein langjähriger Spender von Thrombozytenkonzentraten mit bisher über 50 Spenden ohne Auffälligkeiten, HLA-Antikörper konnten im Blut des Spenders nicht nachgewiesen werden. Blutkulturen der Patientin wurden abgenommen und blieben ohne Wachstum. Die Reaktion wird klinisch als schwerwiegend aber nicht lebensbedrohlich beurteilt, ohne weitere Abklärungen wird von einer wahrscheinlichen Transfusionsassoziierten Dyspnoe ausgegangen. 22 Fall 7 TACO Episode 2 des vorangegangenen Falles Am nächsten Tag tritt trotz vorgängiger Prämedikation mit Tavegyl und Solumedrol 45 Minuten nach Ende einer TKa-Transfusion erneut eine Transfusionsreaktion mit Schüttelfrost, Anstieg von Temperatur (36.4 -> 38.4°C), BD (95/55 -> 190/120) und Puls (66 -> 110) auf. Die symptomatische Behandlung erfolgt mit Tavegyl 2mg, Solumedrol 80 mg, Pethidin 25 mg und 100% O2. Das CT Thorax zeigte Pleuraergüsse bds, keine bilateralen Infiltrate. Blutkulturen der Patientin wurden abgenommen und blieben ohne Wachstum. Immuhämatologische Untersuchungen und Produktekulturen wurden nicht durchgeführt. Dieses TKa stammte ebenfalls aus einer Doppel-Thrombapherese, von einer Spenderin ohne nachweisbare HLA-Antikörper und mit über 50 bisherigen Spenden. Auch hier wurde das Parallel-Produkt transfundiert ohne dass Komplikationen gemeldet wurden. Kommentar: Differentialdiagnostisch kommen eine anaphylaktische TR, eine TAD, ein TRALI oder ein TACO in Frage. Die zweite Transfusionsreaktion verlief heftiger als die vorangegangene und wurde klinisch als lebensbedrohlich eingeschätzt. Ohne pulmonale Infiltrate und bei relativ raschem Ansprechen auf symptomatische Therapie und Erholung von beiden Reaktionen jeweils innert einiger Stunden ist ein TRALI in beiden Fällen unwahrscheinlich. Anaphylaktische Reaktionen wurden anscheinend klinisch auch in Betracht gezogen, die aufgetretene Hypertonie und die Latenz erschienen allerdings zumindest atypisch. Nach einer Rückfrage zum Verlauf und allfälliger weiterer Resultate erfuhren wir, dass der Patientin in der Zwischenzeit nach einem Myokardinfarkt ein koronarer Stent eingelegt wurde. In der Folge benötigte Sie bei einer Chemotherapie induzierten Thrombopenie eine weitere TK-Transfusion. Diese tolerierte sie unter Prämedikation gut. Abschliessend wurden die beiden Ereignisse sowohl von den lokalen Verantwortlichen als auch von den Reviewern Haemovigilance bei Swissmedic als wahrscheinliche Volumenüberlastungen mit Schweregrad 2 bzw. 3 eingestuft. Fall 8 Hypotensive TR Ein 1934 geborener Patient mit Panzytopenie und St. n. Chemotherapie bei metastasiertem Bronchialkarzinom zeigt nach der Transfusion von ca. 1/3 EK einen isolierten Blutdruckabfall von 115/65 auf 74/39 mm Hg, der Puls steigt von 76 auf 92 Schläge pro Minute. Nach Abbruch der Transfusion und der Infusion von 500 ml Hydroxy-Ethyl-Stärke Lösung steigt der Blutdruck innerhalb von 30 Minuten auf 95/50. Die Abklärungen zeigten keine Hinweise auf eine Hä- molyse oder eine immunhämatologische Unverträglichkeit des betroffenen Produktes. Der Patient stand unter Dauermedikation mit Escitalopram, Irbesartan, Hydrochlorothiazid, Torasemid und Allopurinol, weitere Medikamente waren nicht verabreicht worden. Kommentar: Bei passender klinischer Präsentation (isolierter BD-Abfall von mindestens 30 mm Hg ohne erkennbare andere Ursache), fehlenden Hinweisen auf ein allergisches Geschehen, raschem Ansprechen auf Transfusionsabbruch und Volumensubstitution und unauffälliger Hämolyseabklärung sowie Immunhämatologie schliessen wir uns der Beurteilung der lokalen Haemovigilance Verantwortlichen an, dass es sich am ehesten um eine hypotensive TR handelt. Die Beurteilung als nicht schwerwiegendes Ereignis ist vereinbar mit der Annahme, dass die Infusion von der Hydroxy-Ethyl-Stärke Lösung primär zu prophylaktischen Zwecken und zum Offenhalten eines venösen Zuganges durchgeführt wurde. Bei therapeutischer Notwendigkeit der Infusion zur Stabilisierung der hämodynamischen Situation würden wir den Schweregrad mit 2 (schwerwiegend) bezeichnen. Fall 9 transfusionsübertragene bakterielle Infektion Am 23.09.2013 erhält eine 93-jährige Patientin mit microzytärer Anämie von 75 g/l bei erosiver Gastritis (Hb bei Eintritt 54 g/l) zwischen 20:46 und 22:09 ein EK transfundiert. Zwischen 21:33 und 06:34 wird eine Temperaturerhöhung von prätransfusionell 36.9 auf 39.7°C registriert. Die Patientin habe «von der Reaktion physisch nichts mitbekommen». Gemäss zusätzlichen klinischen Angaben zeigte die Patientin ausschliesslich eine Temperaturerhöhung, welche nach einmaliger Paracetamolgabe und ohne antibiotische Therapie innerhalb von 9 Stunden seit Beginn vollständig regredient war. In Blutkulturen der Patientin (Entnahme am 23.09.2013 um 23:35 und am 24.09. 2013 um 00:15) sowie in einem Blutkultur-Set beimpft aus dem Schlauchinhalt des Transfusionssets am 24.09.2013 um 16:00 (laut Biomedizinischer Analytikerin vermutlich abgestöpselt, entnommen durch Anstechen des desinfizierten Schlauchs mit einer sterilen Spritze, bei leerem Beutel, aufbewahrt im Labor im Kühlschrank, Transferzeitpunkt des Beutels von der Station ins Labor unbekannt) wurde Staphylococcus aureus mit identischem Resistenzmuster (Peni/Ampi R, übrige getestete Antibiotika sensibel) nachgewiesen. Lediglich ein Stamm aus der Blutkultur der Patientin wurde asserviert. Die Blutkulturen der Patientin, entnommen am Tag 3 nach der Transfusion blieben ohne Wachstum, bei der Patientin war keine Quelle für eine spontane Bakteriämie erkennbar. In einem Nasenabstrich des Spenders des 23 betroffenen Produktes wurde ebenfalls ein Staphylococcus aureus nachgewiesen, beide Isolate (das aus der Blutkultur der Patientin und das aus dem Nasenabstrich des Spenders) wurden zur Typisierung nach Basel verschickt und wurden als Staphylococcus-Protein-A-Typ «t159» typisiert. Der Spender war zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Art und Weise symptomatisch. Kommentar: Eine transfusionsübertragene bakterielle Infektion ist nachgewiesen. Obwohl nicht definitiv erklärt werden kann, wie der Keim in das Blutprodukt gelangte, erscheint am wahrscheinlichsten, dass der Spender zeitgleich mit der Spende eine transiente asymptomatische Staphylococcus aureus Bakteriämie hatte, der Keim sich im EK im Kühlschrank bei 4°C vermutlich nicht substantiell vermehrt hat und so in einer geringen Menge mit der Transfusion in die Patientin gelangt ist. Bemerkenswert erscheint uns die Tatsache, dass eine betagte Patientin in reduziertem Allgemeinzustand eine nachgewiesene Bakteriämie mit Staphylococcus aureus hatte, keinerlei Symptome zeigte und ohne spezifische Therapie die Infektion überwinden konnte. Fall 10 Andere Einem Patienten wird nach einem Hüftprothesenwechsel ca. 400 ml nicht aufbereitetes Wundblut retransfundiert. Nach ca. 20 ml wird der Patient kaltschweissig und klagt über Übelkeit. Die Transfusion wird abgebrochen, der Patient erbricht zweimal, die Vitalparameter bleiben immer stabil und die Symptome klingen ab. Als Ursache werden im WundblutSammelbehälter aktivierte Leukozyten oder von Ihnen freigesetzte Zytokine vermutet. Kommentar: Wir erhalten selten Meldungen über unerwünschte Ereignisse nach der Rücktransfusion von postoperativ gesammeltem Wundblut. Auch das Ausmass, in dem solche Systeme eingesetzt werden, kennen wir nicht. Teilweise wird dabei das aus der Wunde gesammelte Blut nach einigen Stunden direkt aus dem Sammelbehälter in die Blutbahn infundiert, bei anderen Systemen wird die gesammelte Flüssigkeit zuvor einem Schritt zur Abreicherung von unerwünschten Bestandteilen wie Zell-Debris oder Leukozyten unterzogen. Insgesamt gehen wir davon aus, dass bei der Wundblut Rücktransfusion biologisches Material verabreicht wird, das eher weniger standardisiert und weniger exakt charakterisiert ist als Blutkomponenten. Daher scheint uns auch beim Einsatz solcher Verfahren das Bewusstsein wichtig, dass prinzipiell unerwünschte Wirkungen auftreten können und eine klinische Überwachung des Patienten, ähnlich wie bei der Transfusion von «klassischen» Blutkomponenten notwendig ist. 4.4 IBCT-Fälle Fall 11 Rh-Phänotyp inkompatible Notfalltransfusion Eine Schwangere tritt notfallmässig in den Gebärsaal ein und die Indikation zur dringlichen Transfusion wird gestellt. Der Rhesus-Phänotyp der Patientin ist CCee, die Blutbank verfügt lediglich über Erythrozytenkonzentrate deren Rh- Phänotyp ihr nicht bekannt ist. Vier Erythrozytenkonzentrate aus der Reserve wurden für die Notfalltransfusion ausgegeben und deren Rh-Phänotyp wird nachträglich bestimmt. Es stellte sich heraus, dass alle vier transfundierten EK das c-Antigen und zwei das E-Antigen aufwiesen. Da die Entwicklung von Allo-Antikörpern möglich ist und diese in einer zukünftigen Schwangerschaft zu einer intrauterinen oder neonatalen Hämolyse führen könnten, wurde dem nachbehandelnden Arzt empfohlen, in ca. 3 Monaten sowie vor einer weiteren Schwangerschaft einen Antikörpersuchtest durchführen zu lassen. Kommentar: Wie im Kapitel 8.1.3.2. der aktuellen Empfehlungen zu Transfusionsmedizinischen Laboruntersuchungen an Patientenproben ist bei Mädchen und Frauen vor dem und im gebärfähigen Alter wenn immer möglich die Transfusion von Rh-Phänotyp (und Kell-) kompatiblen Erythrozytenkonzentraten anzustreben um Alloimmunisierungen in diesen Systemen mit potentiellen Folgen für spätere Schwangerschaften so weit wie möglich zu vermeiden. Formal betrachtet handelt es sich beim oben beschriebenen Vorfall um ein IBCT, weil die EK mit unbekanntem RH-Phänotyp nicht sicher den optimal geeigneten Produkten für diese Patientin entsprachen. In der Notfallsituation waren innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit allerdings keine Produkte verfügbar die diese Anforderungen erfüllt hätten. Entsprechend klassieren wir dieses Ereignis nicht als Fehltransfusion im engeren Sinne. Trotzdem weist der Vorfall auf Optimierungspotential hin. Für ImmunhämatologieLabors die lediglich EK an Lager haben deren RH-Phänotyp nicht deklariert ist, stellen Notfalltransfusionen bei Frauen eine schwierige Herausforderung dar. Einige Blutspendedienste haben in dieser Konstellation ihre Möglichkeit genutzt, als Hersteller und exklusiver Lieferant von Blutkomponenten im ihnen zugewiesenen Gebiet einen aktiven Beitrag für die Transfusionssicherheit zu leisten. Sie deklarieren – falls er ihnen bekannt ist – den Rh-Phänotyp aller von ihnen ausgelieferten EK. Dadurch stehen in den entsprechenden Versorgungsgebieten auch für Notfalltransfusionen von Schwangeren praktisch immer innert nützlicher Frist optimal geeignete Blutkomponenten zur Verfügung. 24 Fall 12 Fehltransfusion Im Immunhämatologie-Labor treffen Laboraufträge und Blutproben für die erste und zweite Blutgruppenbestimmung sowie eine Bestellung von EK für einen Patienten Jahrgang 1922 (tatsächliche Blutgruppe 0 positiv) ein. Kurze Zeit später trifft eine Bestellung von EK und ebenfalls Blutproben für die erste und zweite BG-Bestimmung für eine 1960 geborene Patientin (tatsächliche Blutgruppe A negativ) mit gleichem Nachnamen im Labor ein. Im Laufe der Analysen werden die Proben über Kreuz verwechselt und den Patienten die falschen Blutgruppen zugeordnet. In den folgenden 2 Tagen werden dem 1922 geborenen Patienten mit Blutgruppe 0 positiv zwei Mal je 2 EK der Blutgruppe A negativ transfundiert. Da das Hämoglobin weitere 2 Tage später von 9.7 auf 6.0 g/l abgesunken ist, werden mit einem neuen T&S erneut zwei EK angefordert. Der Nachweis von Erythrozyten sowohl der Blutgruppe A als auch der Blutgruppe 0 in dieser Blutprobe löst im Labor Abklärungen aus. Diese zeigen, dass die Aufträge der beiden Patienten gleichzeitig im Laborinformationssystem eingelesen und die Blutproben mit zusätzlichen Etiketten für die Analyseautomaten beklebt wurden. Dabei fand die Verwechslung statt, welche zur AB0-inkompatiblen Fehltransfusion führte. Sofort eingeleitete klinische Abklärungen beim Patienten zeigten Zeichen einer verzögerten Hämolyse und keine Komplikationen einer akuten intravasalen Hämolyse. Insbesondere entwickelte der Patient kein Nierenversagen und es zeigten sich keine Zeichen einer disseminierten intravasalen Gerinnung. Die Überprüfung der Patienten­ akte ergab, dass während der zwei Tage an denen die inkompatiblen EK transfundiert wurden erstaunlicherweise keine bedeutsamen Abweichungen der Vitalparameter festgestellt wurden und der demente Patient hatte nicht über Symptome berichtet. Die Arbeitsabläufe im betroffenen Spital und Immunhämatologie-Labor wurden überprüft und angepasst. Neu werden für jeden einzelnen eingegangenen Auftrag alle Arbeitsschritte bei der Erfassung und Etikettierung vollständig abgeschlossen, bevor mit der Erfassung des nächsten Auftrags begonnen wird. Als weitere Neuerung wird auf der Station die zweite, unabhängige Blutentnahme zur zweiten BGBestimmung bei Patienten mit noch nicht bekannter Blutgruppe erst durchgeführt, nachdem das Labor diese – nach erfolgter erster Bestimmung – aktiv anfordert. Diese zwei Massnahmen sollten eine Wiederholung der beschriebenen Verwechslung zuverlässig vermeiden. 25 5.Literaturverzeichnis 1) Mertes, P., et al., Reply to letter to the editor J Allergy Clin Immunol 2012. 131: p. 1254-1255. 2) Kleinman, S., et al., Toward an understanding of Transfusion Related Acute Lung Injury: statement of a consensus panel. Transfusion, 2004. 44 (December): p. 1774 - 1789. 3) Jutzi, M., et al., Einführung der Pathogeninaktivierung für Thrombozytenkonzentrate in der Schweiz. Schweiz Med Forum, 2013. 13 (11): p. 222-226. 4) Pietersz, R.N.I., et al., Bacterial contamination in platelet concentrates. 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