Komplexchemie

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WWU Münster
Institut für Anorganische Chemie
Seminar zum Praktikum IIIa ( AC-F für Lehramt )
WS 2001/2002
Referent : Arne Hüls
20.November 2001
Komplexchemie : Struktur, Geometrie und Liganden
0. „Eine geniale Frechheit !“ – zur Geschichte der Komplexverbindungen
Bereits im 19. Jhd. wurden viele Komplexverbindungen hergestellt, ohne dass bekannt gewesen wäre wie dieser
Verbindungstyp genau zustande kommt oder welche Struktur er hat. 1893 postulierte Alfred Werner seine
„Koordinationslehre“ und gab damit eine Erklärung zur Struktur von Komplexverbindungen. Das erstaunliche
daran war, dass Werner nicht ein einziges Experiment im Vorfeld angestellt hatte, sondern ihm die Idee quasi
über Nacht im Schlaf gekommen war. Im Nachhinein bestätigte er seine Theorie mit tausenden von
Experimenten. Eine „geniale Frechheit“ wie ein Kollege Werners anmerkte.
1. Eine Definition der Komplexverbindung
Ein Komplex ist eine chemische Verbindung, in der ein Zentralatom oder Zentralion als Koordinationszentrum
von einer Ligandenhülle, bestehend aus Ionen oder Molekülen, umgeben ist. Die Bindung der Liganden an das
Koordinationszentrum ist so fest, dass sie praktisch nicht mehr einzeln auftreten können. Das Zentralteilchen
bindet mehr Liganden an sich als dies nach seiner Ladung oder Stellung im PSE zu erwarten wäre. Die Anzahl
der gebundenen Liganden wird Koordinationszahl genannt, ihre geometrische Anordnung um das
Zentralteilchen heißt Koordinationspolyeder.
2. Nomenklatur von Komplexen
(i)
Die Formeln von Komplexteilchen beginnen mit dem Zentralteilchen. Es folgen anionische und darauf
neutrale Liganden, jeweils in alphabetischer Reihenfolge. Die Formeln werden in eckige Klammern
gesetzt. Kationische Gegenionen werden vor die Klammer geschrieben, anionische dahinter.
[ZA N ]
n
Zentralteilchen
l
m
Ladung des
Komplexes
neutrale
Liganden
anionische
Liganden
( ii )
Im Namen der Komplexteilchen werden zuerst die Liganden in alphabetischer Reihenfolge genannt.
Anionische Liganden erhalten hierbei die Endung –o ; die Endung –id entfällt ( z.B. chloro für Cl
Aus sprachlicher Bequemlichkeit verwendet man folgende Trivialnamen :
O
2−
2−
O2
2−
S
HS
−
oxo
CN
peroxo
−
SCN
−
).
cyano
−
thio
CH 3 O
mercapto
CH 3 S
thiocyanato
−
−
methoxo
methylthio
Neutrale Liganden werden in Klammern geschrieben und behalten ihren Namen. Nicht in Klammern
geschrieben werden die Trivialnamen für :
( iii )
H 2O
aqua
NH 3
amin
CO
carbonyl
NO
nitrosyl
Die Anzahl der jeweiligen Liganden wird als griechische Zahlensilbe vor die Ligandenbezeichnung
geschrieben :
1
mono
4
tetra
7
hepta
10
deca
2
di
5
penta
8
octa
11
undeca
3
tri
6
hexa
9
nona
12
dodeca
1
Bei mehrzähnigen Liganden und bei solchen Liganden die selbst schon Zahlensilben enthalten
verwendet man die Vorsilben bis, tris, tetrakis, pentakis, usw. um Verwechslungen mit anderen Stoffen
zu vermeiden.
( iv )
Nach den Liganden wird das Zentralteilchen genannt. Bei neutralen und kationischen Komplexteilchen
wird einfach der Elementname verwendet, bei anionischen Komplexteilchen der lateinische
Elementname mit der Endung –at ( z.B. ferrat für Eisen ). Hinter das Zentraleilchen kann in römischen
Zahlen in runden Klammern die Oxidationsstufe des Zentralteilchens geschrieben werden. Alternativ
kann auch die Ladung des gesamten Komplexteilchens in arabischen Zahlen in runden Klammern
angegeben werden. Bei optischen Isomeren kann zusätzlich noch die Drehrichtung ( + oder - )
hinzugefügt werden.
(v)
Je nachdem ob das Komplexteilchen kationisch, neutral oder anionisch ist wird ggf. noch das
entsprechende Gegenion angegeben. Bei anionischen Komplexteilchen wird das Kation vor die
Komplexbezeichnung geschrieben und durch einen Bindestrich abgetrennt. Bei kationischen
Komplexteilchen kommt das Anion ans Ende des Namens, wiederum abgetrennt durch einen
Bindestrich.
3. Struktur von Komplexen – Koordinationszahlen und Koordinationspolyeder
Koordinationszahl 2
+
+
Die KZ 2 ist recht selten und auf die Elemente der 1. Nebengruppe Cu , Ag , Au
beschränkt. Komplexe dieser Zusammensetzung sind fast ausschließlich linear gebaut.
+
sowie auf Hg
2+
Koordinationszahl 3
Die KZ 3 ist sehr selten. Die Liganden sind hierbei trigonal planar um das Zentralteilchen angelagert.
Koordinationszahl 4
KZ 4 ist sehr häufig. Hauptsächlich bildet sich hierbei eine tetraedrische Struktur, aber auch quadratisch planare
oder verzerrte Tetraederformen sind möglich.
Koordinationszahl 5
Die KZ 5 ist relativ selten und tritt in Form von trigonalen Bipyramiden und tetragonalen Pyramiden auf. Diese
beiden Formen lassen sich durch Deformation leicht ineinander überführen.
Koordinationszahl 6
Sechs Liganden ist die mit Abstand häufigste Koordinationszahl. Komplexe dieser Form sind mit ganz wenigen
Ausnahmen fast ausschließlich oktaedrisch gebaut. Dies können neben regelmäßigen Oktaedern auch verzerrte,
also gestreckte und gestauchte Oktaeder sein.
2
Koordinationszahlen > 6
Insbesondere ist die KZ 8 noch recht häufig vertreten, da hierbei große Zentralteilchen eine gute Verteilung in
der Ligandensphäre ermöglichen. Alle KZ größer als 9 sind extrem selten, da hier die sterische Hinderung der
Liganden untereinander einfach zu groß wird.
4. Isomerie in Komplexverbindungen
Isomere sind Verbindungen gleicher Zusammensetzung, aber unterschiedlicher Struktur. Man unterscheidet
folgende Arte der Isomerie :
Ionisationsisomerie
Hierbei kann ein Ion entweder als Ligand oder als Gegenion außerhalb des Komplexes gebunden sein. Dies führt
dazu dass es zu völlig unterschiedlichem Verhalten in dissoziierter Form kommt, da ja verschiedene Ionen
vorliegen. Ein Beispiel ist :
[CoCl (NH ) ]SO → [CoCl (NH ) ] + SO
[CoSO (NH ) ]Cl → [CoSO (NH ) ] + Cl
2+
3 5
4
3 5
+
4
3 5
4
2−
4
−
3 5
Wenn es sich bei den ausgetauschten Teilchen um Wassermoleküle handelt so spricht man von Hydratisomerie.
Koordinationsisomerie
Bei Komplexen in denen sowohl Kation als auch Anion Komplexteilchen sind tritt Koordinationsisomerie auf,
wenn die Zentralteilchen vertauscht werden.
Salzisomerie
Wenn ein Ligand über verschiedene Atome an das Zentralteilchen gebunden sein kann, so nennt man die
jeweiligen Möglichkeiten Salzisomere.
Stereoisomerie
Bei Stereoisomeren ist die räumliche Anordnung der Liganden verschieden. Man unterscheidet hierbei noch
zwischen cis/trans Isomerie und Spiegelbildisomerie.
( i ) cis/trans Isomerie
( a ) cis
( b ) trans
Liegen bei zwei Arten von Liganden zwei gleiche Liganden an einer Kante so spricht man von einer ciskonfiguration. Liegen sie diametral an gegenüberliegenden Ecken, so spricht man von einer trans-konfiguration.
3
( ii ) fac/mer Isomerie
Bei oktaedrischen Komplexen kommt es auch zur sog. fac (facial) / mer (meridional) Isomerie.
( iii ) Spiegelbildisomerie
Spiegelbildisomere oder Enantiomere verhalten sich zueinander wie Bild und Spiegelbild. Dies bedeutet, dass sie
ein sogenanntes Chiralitätszentrum besitzen, also ein Teilchen welches keine Symmetrieeigenschaften besitzt.
Enantiomere sind „optische“ Isomere, da sie die Schwingungsebene von polarisiertem Licht drehen.
Enantiomere drehen das Licht um den selben Betrag, aber in entgegengesetzte Richtungen.
4. Liganden und ihre Zähnigkeit – der Chelateffekt
Die Fähigkeit von Liganden sich an Zentralteilchen zu binden beruht darauf, dass sie über ein freies
Elektronenpaar verfügen. Besitzt nun ein Ligand mehrere freie Elektronenpaare, so kann er theoretisch auch
mehrere Koordinationsstellen am Zentralteilchen besetzen. Die Anzahl der Bindungen, die ein Ligand eingeht
nennt man die Zähnigkeit des Liganden. Komplexe in denen mehrzähnige Liganden gebunden sind bezeichnet
man als Chelat-Komplexe. Diese sind um ein vielfaches stabiler als Komplexe mit einzähnigen Liganden.
Die Stabilität von Chelat-Komplexen ist hauptsächlich ein thermodynamischer Entropieeffekt. Bei der Bildung
solcher Komplexe aus anderen Komplexen entstehen mehr freie Teilchen, da ja z.B. zwei einzähnige Liganden
durch einen zweizähnigen Liganden ersetzt werden. Zusätzlich gibt es auch noch kinetische Gründe für die
größere Stabilität von Chelat-Komplexen. Selbst wenn eine Bindung des Liganden zum Zentralteilchen gelöst
wird ist er immer noch mit einer oder mehreren Bindungen an das Zentralteilchen gebunden, kann also leicht
wieder in die ursprüngliche Position zurückkehren und die gelöste Bindung wieder schließen.
Literatur
•
Demuth / Kober : Grundlagen der Komplexchemie
Salle+Sauerländer ( Frankfurt a/M , Aarau, Salzburg ); 1992 ( 2. Auflage )
•
Jäckel / Risch : Chemie heute – Sekundarbereich II
Schroedel ( Hannover ) ; 1988
•
Mortimer : Chemie – Das Basiswissen der Chemie
Georg Thieme Verlag ( Stuttgart , New York ) ; 1996 ( 6. Auflage )
•
Atkins / Beran : Chemie – Einfach alles
VCH ( Weinheim ) ; 1996 ( 2. Auflage )
•
Riedel : Anorganische Chemie
de Gruyer ( Berlin , New York ) ; 1994 ( 3. Auflage )
4
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