Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem The electron structure of "simple" iron complexes: a very complex problem Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion, Mülheim an der Ruhr Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung W ir stellen ein relativ einfaches anorganisches System aus zw ei ko-kristallisierenden synthetischen Eisenkomplexen vor, das bemerkensw ert komplizierte Elektronenstrukturen aufw eist. Grund ist die große Zahl von möglichen Redoxzuständen für die Eisenzentren w ie auch die redoxaktiven Liganden. Erstmals w ird bei diesem Material auch ein äußerst komplexer reversibler Phasenübergang bei 235 K beobachtet. W ir demonstrieren an diesem Modell, w ie man die komplexen Vorgänge, die in ähnlicher Weise durchaus in biologischen Systemen auftreten können, mit komplementären experimentellen Techniken aufklären kann. Summary We present a relatively simple inorganic system of tw o co-crystallized synthetic iron complexes w ith remarkably complex electronic structures, ow ing to the large number of possible redox states at the metal centers as w ell as at the redox-active ligands. For the first time an unprecedented complex reversible phase transition at 235 K is observed. W ith this model the exploration of complex processes, w hich may happen in similar w ays in biological systems, is demonstrated by combined experimental techniques. In der Biochemie w erden oxidative Reaktionen häufig von Metalloproteinen katalysiert. Klassische Beispiele solcher Enzyme mit Übergangsmetall-Ionen sind die Häm-Peroxidasen oder die P-450-Entgiftungsenzyme der Leber. Diese haben als w ichtigste Gruppe im aktiven Zentrum einen Porphyrin-Eisenkomplex. Insbesondere für die Peroxidasen konnte man schon vor langem zeigen, dass der „heißeste“ Zw ischenzustand im Reaktionszyklus ein hochvalenter Zustand ist, bei dem das Eisen zu Eisen(IV) oxidiert ist und zusätzlich auch das Porphyrin ein Oxidationsäquivalent trägt – also ein Radikal ist. Mittlerw eile kennt man eine ganze Reihe von Metallo-Enzymen mit redoxaktiven Liganden, sow ie Enzyme, die w ährend des Katalysezyklus organische Radikale in gew isser Entfernung vom aktiven Zentrum bilden, w ie z.B. Ribonukleotid-Reduktase, Photosystem II in grünen Pflanzen, Galaktose Oxidase, Prostaglandin H Synthase oder Amin-Oxidase. Motiviert von der faszinierenden Chemie dieser Systeme w urden die grundlegenden Eigenschaften von Übergangsmetall-Komplexen mit redoxaktiven Liganden und koordinierten Radikalen untersucht, mit Schw erpunkt auf synthetischen anorganischen Systemen mit relativ kleinen Liganden, die © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/8 Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem leichter als Porphyrine oder Aminosäuren herzustellen und zu studieren sind. Diese Systeme erlauben systematische Studien an Serien von Komplexen mit verschiedenen Metallionen, variabler Anzahl von Valenzelektronen und unterschiedlichen Liganden. Besonders „w ürzige“ Eigenschaften offenbarten in diesem Zusammenhang zw ei relativ ungew öhnliche synthetische Eisenkomplexe mit den redox-aktiven α-Diimin-Liganden „dad“ (dad = 2,6-iPr2 -C 6 H3 -N=C (Me)C(Me)=N-2,6-iPr2 -C 6 H3 ) und „pda“ (pda = tetrakis-(3-methylphenyl)-N,N,N′,N′-2,5-phenylendiamin), w eil sie sich als Paradebeispiele für ein zunächst einfach aussehendes, aber in W irklichkeit ziemlich komplexes System herausstellten. Die beiden ionischen Komplexe kristallisieren zusammen als ein Kation-Anion-Paar, w ie in Abbildung 1 gezeigt. Es sind das sechsfach koordinierte Kation (positiv geladene) K = [(dad)3 Fe]n+ und das vierfach koordinierte Anion (negativ geladene) A = [(pda)2 Fe]n- . Weitere Gegenionen sind nicht vorhanden, w ie man aus der Kristallstruktur erkennen kann. Die Struktur von K ist nahezu oktaedrisch, w ährend die Symmetrie von A zw ischen Tetraeder und einer planaren Ligandenanordnung liegt. Der Aufbau der Liganden ist in Abbildung 2 gezeigt. Mole k ülstruk ture n de s Di-Anions A = [(pda ) 2Fe ] 2- und de s DiKa tions K = [(da d) 3Fe ] 2+ , ge m e sse n be i 120 K. Die Ellipse n ze ige n die Ve rte ilung de r Atom positione n a ufgrund the rm ische r Schwingunge n be i 30% e ine r W a hrsche inlichk e itsgre nze . © Ma x -P la nck -Institut für bioa norga nische C he m ie Da s s K tatsächlich ein Kation ist, und A ein Anion, kann man zw ar nicht unmittelbar den Strukturen der Moleküle ansehen, es ergibt sich aber aus einer nachfolgend gezeigten sorgfältigen Bew ertung der metrischen Details der Ligandenabmessungen, der Bestimmung der elektronischen Strukturen mithilfe von Messungen der magnetischen Suszeptibilität und der Mößbauerspektren. Aber nicht einmal w enn man die Ladungen der Moleküle w üsste, könnte man in diesem Fall daraus deren elektronische Struktur ableiten – w eil eben nicht nur die zentralen Metallionen, sondern auch die Liganden verschiedene Redoxzustände haben können. Damit ergeben sich von vornherein außerordentlich viele Möglichkeiten, w ie eine gew isse (unbekannte) Zahl von Valenzelektronen sich über das Dimer verteilt: Beide Eisen (in A und K) könnten sow ohl zw eiw ertig als auch dreiw ertig sein, und jeder der fünf Liganden könnte prinzipiell in drei Redoxstufen vorkommen. © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/8 Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem Struk turform e l de r α-Diim in-Liga nde n (da d) und (pda ), die be ide prinzipie ll in dre i ve rschie de ne n O x ida tionsstufe n vork om m e n k önne n. Die obe re R e ihe ze igt De ta ils de r m e trische n Abm e ssunge n, wie m a n sie typische rwe ise in de n dre i O x ida tionsstufe n de r Diim ine finde t. Die Muste r de r Bindungslä nge n im „N-C -C -N“-R ück gra t e ntspre che n be m e rk e nswe rt gut de n Le wis-Form e ln de r Liga nde n: Einfa chbindunge n lie fe rn re la tiv la nge Atom a bstä nde und Doppe lbindunge n k urze . Da he r k a nn m a n a us ge na ue n Absta ndm e ssunge n de n O x ida tionszusta nd de r Liga nde nm ole k üle be stim m e n. © Ma x -P la nck -Institut für bioa norga nische C he m ie Was man aus Strukturdaten lesen kann Molekül A: Die Feinheiten der Molekülstruktur des quasi-tetraedrischen Anions A in Abbildung 1, wie man sie aus Röntgenbeugungsexperimenten mit guten Einkristallen bekommt, lassen klar erkennen, dass die beiden (pda)-Liganden sehr ähnliche und typische Verteilungen der Atomabstände in ihrem N-C-C-N-„ Rückgrat“ haben. Sie zeigen jeweils eine kurze C=C- und zwei lange N-C-Bindungen, ganz so wie in Abbildung 2 für den voll reduzierten Zustand (pda2-) skizziert. Deshalb kann man postulieren, dass die beiden Liganden in A formal jeweils elektrisch zweifach negativ geladen sind und geschlossene Schalen ohne Radikalcharakter haben. Andererseits sind die Bindungen des Eisens zu den vier Stickstoffatomen der (pda 2- )-Liganden bemerkensw ert lang, gemessen an den Fe-N-Abständen bekannter Komplexe. Das ist typisch für zw eiw ertiges Eisen in der elektronischen high-spin Konfiguration mit formaler Ladung (+2), kurz als Fe(II) high-spin bezeichnet. (Generell gilt, je mehr Valenzelektronen ein Übergangsmetallion hat, umso größer sind w egen der Elektron-ElektronAbstoßung sein Ionenradius und seine Bindungsabstände; außerdem korrelieren high-spin-Zustände mit längere Abständen als low-spin-Zustände). Eisen(II) high-spin hat sechs Elektronen in den fünf Orbitalen seiner 3d-Valenzschale, von denen also zw ei ein Orbital doppelt besetzen müssen und somit ihre Spins gepaart haben. Die anderen vier Elektronen sind ungepaart und liefern den Spin SFe = 2. Damit können w ir aufgrund der Strukturdetails den Komplex A als Di-Anion mit der Formel [(pda 2- )2 Fe(II)]2bezeichnen. Magnetisch gesehen, müsste die Verbindung also ein Quintett mit Spin S A = 2 sein, der vollständig vom Eisen herrührt. Molekül K: Die (dad)-Liganden des oktaedrischen Kations K dagegen zeigen alle drei die gleiche lange C-CBindung und zw ei kurze N=C-Bindungen, die typisch sind für den neutralen Zustand (dad 0 ). Da das Gesamtsystem aus K und A neutral ist, muss K also ein Di-Kation mit der Gesamtladung (+2) sein, w omit für © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/8 Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem das Eisenion in K also nur die Oxidationszahl (+2) bleibt, d.h. w iederum Eisen(II). Die entsprechende Formel is t K = [(dad 0 )3 Fe(II)]2+. Die Länge der Eisenbindungen zu den sechs Stickstoffatomen der Liganden in K ist allerdings so kurz, dass eigentlich nur low-spin Eisen(II) in Frage kommt. In dieser Konfiguration hat das Eisenion alle sechs Valenzelektronen spin-gepaart in den drei energetisch niedrigsten Orbitalen sitzen, w as Spin Null für das Eisen ergibt, SFe = 0. Das Molekül K muss also insgesamt diamagnetisch sein, SK = 0. Dies ist nun schon eine sehr detaillierte Beschreibung der Elektronenstruktur der beiden Komplexe, aber ist sie auch richtig? Überprüfen kann man solche Modelle z.B. sehr gut anhand ihrer Vorhersagen für die magnetischen Eigenschaften der Substanzen. Magnetismus stützt die Interpretation Eine Messung der magnetischen Suszeptibilität einer Pulverprobe des Kation-Anion-Paares A+K unterstützt ganz klar die aus der Struktur abgeleiteten Vermutungen über die Elektronenstruktur der beiden Komplexe. W ie man in Abbildung 3 sieht, zeigt die Verbindung ein nahezu konstantes effektives magnetisches Moment von etw a 4,9 μ B im Temperaturintervall von 30 K bis 235 K. Der Wert dieses Plateaus entspricht genau dem erw arteten „Spin-only“ Wert für S = 2: μ e ff = g[S(S+1)]1/2 mit g = 2. Somit stimmt der tatsächliche Spin des Systems mit dem im Modell vorhergesagten überein: SA = 2 und SK = 0. Te m pe ra tura bhä ngigk e it de s e ffe k tive n m a gne tische n Mom e nte s von A + K. Da s e inge se tzte Bild offe nba rt e ine Hyste re se de s Sprungs in de r Me ssung be i zyk lische r Ve rä nde rung de r Te m pe ra tur im Be re ich von 235 K. © Ma x -P la nck -Institut für bioa norga nische C he m ie Den Abfall von μ e ff (T) unterhalb von 30 K kann man auch sehr gut verstehen: Der Spin-Grundzustand von Fe(II), der ja den Spin SA = 2 des Systems bestimmt, hat eine Feinstruktur aufgrund von Spin-Bahnkopplung, eine sogenannte Nullfeldaufspaltung. Aus dem Temperaturintervall, in dem sich dies ausw irkt (hier bis ca. 30 K), kann man deren Größe bestimmen. Die genaue Simulation liefert einen Nullfeldaufspaltungsparameter D = 4,5 cm-1 , w as w iederum sehr typisch ist für Fe(II) high-spin in quasi-tetraedrischer Koordination. Im Detail kann man aus dem W ert w eitere Schlüsse über die Stärke der Liganden ableiten. Die Magnetmessung unterstützt also alle bisherigen Interpretationen, allerdings findet sich in diesem Modell absolut keine Erklärung für den Sprung von μ e ff (T) bei 235 K. Man ist versucht, die kleine abrupte Änderung zunächst für einen Apparatefehler zu halten. In der Tat verbirgt sich dahinter aber eine ganz außerordentliche © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/8 Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem und grundlegende Umordnung der elektronischen Strukturen des Anion-Kation-Paares A und K. Dies kann man allerdings erst aus den Mößbauerspektren der Verbindung sehen. Mößbauerspektren enthüllen Details über Eisen Mößbauerspektroskopie mit 57 Fe, das zu 2,2 % natürlich in jeder Eisenverbindung vorhanden ist, ist eine mikroskopische Technik, die den Atomkern als chemische „Sonde“ nutzt. Man misst die Absorption von γStrahlung und erhält aus den Übergängen der Atomkerne, d. h. den Banden der Mößbauerspektren, die Stärke der sogenannten Hyperfein-Kopplung mit der Elektronenschale des Atoms. Diese erlaubt Aussagen über den Zustand des Eisens unter dem Ligandenfeldeinfluss seiner unmittelbaren Nachbar-Atome. Für feste Proben ohne angelegtes Magnetfeld erw artet man im Mößbauerspektren ein Liniendublett für jeden unabhängigen Eisenplatz – verschiedene Spezies in einer Probe liefern entsprechende Überlagerungen solcher Dubletts. Ein entsprechendes Muster erkennt man klar in Abbildung 4 (unten). Die Subspektren der Komplexe A und K sind in Abbildung 4 zur besseren Orientierung blau und rot farblich gekennzeichnet. Chemische Informationen erhält man aus der Quadrupolaufspaltung und der Isomerieverschiebung der Spektren, das sind die Linienaufspaltung der Dubletts und die Verschiebung der Schw erpunkte der Spektren gegen den Energie-Nullpunkt. (Die Energieachse von Mößbauerspektren w ird w egen der angew endeten Energiemodulation durch Doppler-Effekt aufgrund der Bew egung der Strahlungsquelle in Geschw indigkeiten von mm s -1 angegeben). © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/8 Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem Mößba ue rspe k tre n e ine r P ulve rprobe von A + K ge m e sse n be i 80 K (unte n) und 260 K (obe n, A ’ und K’). Die grün m a rk ie rte n Subspe k tre n sind e in Abba uproduk t de r se hr e m pfindliche n P robe . © Ma x -P la nck -Institut für bioa norga nische C he m ie Die große Quadrupolaufspaltung, die man für das Di-Anion A bei 80 K findet (Abb. 4 unten, blau) belegt in Verbindung mit der hohen Isomerieverschiebung ganz eindeutig den zw eiw ertigen Zustand des Eisens in der high-spin-Konfiguration mit Spin SFe = 2. Andererseits sind die niedrige Quadrupolaufspaltung und die niedrige Isomerieverschiebung des Di-Kations K typisch für Eisen(II) low-spin (rot gezeichnet). Vollends gestützt w erden kann diese Interpretation letztlich durch quantenchemische Rechnungen, die erst die Zusammenhänge zw ischen Molekülstruktur, Natur der Liganden und die Herkunft der gemessenen Parameter im Detail quantitativ erklären. Die Mößbauer-Isomerieverschiebungen und Quadrupolaufspaltungen, gemessen bei 80 K, bestätigen also das obige Modell für die Elektronenanordnung in der Verbindung A + K für den Zustand bei tiefen Temperaturen unterhalb 235 K. Bei Betrachtung der Spektren bei 260 K (Abb. 4, oben) ergibt sich aber ein völlig anderes Bild für beide Eisenzentren: Das (rote) Kation K’ zeigt nun eine deutlich größere Isomerieverschiebung als zuvor, w ährend das (blaue) Subspektren des Anions A’ eine deutlich kleinere Isomerieverschiebung aufw eist, die jetzt sogar geringer ist als die des (roten) Subspektrums von K’. Ähnlich gegenläufig haben sich auch die Quadrupolaufspaltungen entw ickelt. Damit muss beim Übergang der magnetischen Suszeptibilität bei 235 K eine größere Umordnung der Elektronenstrukturen von A und K stattgefunden haben. Im Detail ergibt sich aus den Daten für den Experten, dass das high-spin-Eisen(II) des Anions offenbar oxidiert w urde zu Fe(III) im © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/8 Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem relativ ungew öhnlichen intermediären Spinzustand SFe = 3/2, w ährend das Eisen des Kations anscheinend nur seinen Spinzustand von low-spin zu high-spin geändert hat. Es muss also beim „Übergang“ des Systems jew eils ein Elektron vom Di-Anion A zum Di-Kation K übertragen w orden sein, sodass oberhalb von 235 K beide nur noch einfach geladen sind. Wo aber ist das reduzierende Elektron auf dem Kation K’ geblieben, w enn das Mößbauerspektrum zeigt, dass es nicht beim Eisen angekommen ist? Es kann nur einen der Liganden reduziert haben. Tatsächlich kann man dies auch in einer entsprechenden, bei Raumtemperatur gemessenen Kristallstruktur erkennen: Einer der (dad)-Liganden zeigt das Atom-Abstandsmuster für (dad 1- ). Er ist also zum Radikal gew orden, hat einen Spin SR a d = 1/2, und ist negativ geladen (Abb. 5). Sche m a tische Da rste llung de r e le k tronische n Struk tur de r Kom ple x e s A und K unte rha lb und obe rha lb 235 K. © Ma x -P la nck -Institut für bioa norga nische C he m ie Überprüfen lässt sich dieser Schluss w iederum mit der Magnetmessung. Der Gesamt-Spinzustand der beiden Moleküle oberhalb 235 K muss sich nun zusammensetzen aus dem Beitrag SA = 3/2 von intermediate-spin Eisen(III) in A’ und dem der beiden antiferromagnetisch gekoppelten Spins des Eisens und des einen radikalischen Liganden in K’. Für letzteres erhält man, mit SFe = 2 und SR a d = 1/2, w iederum ein Quartett SK = 3/2. Die Summe der beiden effektiven Momente für die Beiträge von zw eimal S=3/2, μ e ff = 2 1/2 x μ e ff (S = 3/2) = 5,47 μ B, liefert ziemlich exakt den beobachteten W ert. Somit verbirgt sich hinter dem kleinen Sprung im effektiven magnetischen Moment eine große Änderung von zw ei Molekülen, die in diesem Fall die Kombination eines Elektrontransfers mit zw ei Spinübergängen ist. Damit stellt sich natürlich die Frage, w as eine solche spontane Änderung antreibt? Spinübergänge und Spingleichgew ichte sind seit langem für Eisenverbindungen bekannt und w erden bis heute systematisch untersucht, unter anderem w egen ihres möglichen Potenzials als molekulare Schalter. Völlig ungew öhnlich ist hier die Tatsache, dass das Anion A von high-spin bei tiefen Temperaturen zu low-spin bei hohen Temperaturen schaltet – sonst ist dies immer umgekehrt, w ie auch hier für das Eisen in K. Getrieben w ird der Übergang üblicherw eise im W esentlichem von der Zunahme der Entropie im high-spin-Zustand. Anderseits sind Elektrontransfer-Vorgänge zw ischen Molekülen die Grundlage von allen Redoxvorgängen. © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 7/8 Jahrbuch 2008/2009 | Khusniyarov, Marat; W eyhermüller, Thomas; Bill, Eckhard; W ieghardt, Karl | Die Elektronenstruktur „einfacher“ Eisenkomplexe: Ein sehr komplexes Problem Besonders in der Biochemie können Elektronen über erhebliche Strecken (mehrere Nanometer) übertragen w erden. Die Richtung des Transfers w ird dabei vom Redoxpotenzial bestimmt. Was macht aber diesen Vorgang bei A + K ↔ A’ + K’ reversibel temperaturabhängig? Man kann sich natürlich vorstellen, dass sich das Redoxpotenzial zw ischen A und K mit der Temperatur ändert und der folgende spontane Elektronentransfer die Spinänderungen und die damit einhergehenden Strukturänderungen nach sich zieht. Umgekehrt könnte der „Spin-Crossover“ auch zuerst stattfinden und die resultierenden Strukturänderungen den Elektronentransfer auslösen. Einen besonderen Hinw eis liefert uns hierzu die Beobachtung einer Hysterese in der Magnetisierungsmessung (Abb. 3, eingesetztes Bild). Bei zyklischen Temperaturänderungen über die Übergangstemperatur hinw eg folgt die Kurve beim Anstieg offenbar nicht den gleichen Werten w ie beim Abstieg. Hysteresen solcher Art rühren von kollektiven Phänomenen her, bei denen ganze Domänen von Teilchen gleichzeitig von einem Zustand in den anderen schalten. Dazu muss es ein „Signal“ geben, das sich von Teilchen zu Teilchen mitteilt. Bei strukturellen Phasenübergängen oder auch Spinübergängen sind das z.B. geometrische Änderungen an der Molekülstruktur, w ie z.B. Volumen pro Teilchen. Kollektive Redoxvorgänge sind dagegen zumindest bisher nicht bekannt. W ir können deshalb annehmen, dass im vorliegenden Fall der konzertierte Spinübergang an den zw ei Eisenzentren und der Elektronenübertragung zw ischen dem Anion A und dem Kation K initiiert w ird vom „regulären“ Spinübergang des Eisens im Kation K, SFe ,A = 0 ↔ SFe ,A = 2, so w ie er in vielen anderen Eisenverbindungen auch schon beobachtet w urde. Der damit verbundenen Strukturänderung folgt dann der Elektronenübertrag von Eisen(II) high-spin in A zu einem Ligandenradikal in K, w obei das Eisenion in A zu Eisen(III) oxidiert w ird. Damit verbunden ist dann offenbar der „umgekehrte“ Spinübergang des Eisen(III) von high-spin zu intermediate-spin. Zusammenfassend w urde mit diesen Untersuchungen demonstriert, dass ein relativ einfaches System aus zw ei Molekülen w ie dem Anion-Kation-Paar A + K in einem kristallinen anorganischen Festkörper eine bemerkensw ert komplizierte Elektronenstruktur haben kann, deren grundlegende Bestimmung erhebliche Ansprüche an die experimentellen und theoretischen Methoden stellt. Grund ist die Zahl der möglichen Redoxzentren an den Übergangsmetallionen und den Liganden, w ie sie prinzipiell auch in natürlichen Enzymsystemen vorkommen können. Unser einfaches Modell zeigt zudem eine äußerst komplexe reversible Zustandsänderung, die aus zw ei konzertierten Spinübergängen und einer Elektronenübertragung besteht. Aufklären kann man die Vorgänge in beachtlichem Detail, w enn man mehrere, sich gegenseitig ergänzende experimentelle Methoden einsetzen kann. Solche grundlegenden Forschungsarbeiten profitieren deshalb in ganz besonderer bioanorganische Weise Chemie von als den Möglichkeiten interdisziplinäres eines Max-Planck-Instituts, Forschungsgebiet bearbeitet wo w ird. insbesondere Nur durch die enge w echselseitige Zusammenarbeit von synthetischen Chemikern, spektroskopisch orientierten Physikern und letzten Endes auch theoretischen Chemikern kann man komplexe anorganische Systeme w ie das hier vorgestellte finden und verstehen. © 2009 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 8/8